„Etwa hier die Siedlung“
Der frühmittelalterliche Fundplatz
Wiskiauten/Mohovoe im Kaliningrader Gebiet
im Lichte alter Dokumente und neuer Forschungen
Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades
der Philosophischen Fakultät
der Christian-Albrechts-Universität
zu Kiel
vorgelegt von
Timo Ibsen
Kiel 2009
Erstgutachter: Prof. Dr. C. von Carnap-Bornheim
Zweitgutachter: Prof. Dr. M. Müller-Wille
Tag der mündlichen Prüfung: 12. Mai 2009
Durch den zweiten Prodekan, Prof. Dr. R. Zaiser
zum Druck genehmigt am: 10. Mai 2010
Vorwort
Im Jahr 2005 begann gleichzeitig mit dieser Arbeit ein archäologisches Forschungsprojekt, dass
sich die Auffindung von Siedlungsspuren in der Umgebung der Hügelgräbernekropole von
Wiskiauten (heute Mohovoe in Russland) zum Ziel gesetzt hat und das nun mit der Vorlage dieser Dissertation ein erstes Etappenziel erreicht hat.
Die Idee, sich mit einem der interessantesten und meist diskutierten frühmittelalterlichen
Fundplätze an der südlichen Ostseeküste zu beschäftigen, entstand auf einer Exkursion ins
Kaliningrader Gebiet unter Leitung von Prof. Claus von Carnap-Bornheim im Jahr 2002 – in
seinem Kopf! Nach einer zweijährigen theoretischen und praktischen Beschäftigung mit dem
Gräberfeld von Groß Ottenhagen/Berezovka im Rahmen meiner Magisterarbeit und ersten
russisch-deutschen Ausgrabungen, die als Testprojekt begonnen haben und schließlich nach
Wiskiauten führten, hat Claus von Carnap-Bornheim mich in archäologischer Hinsicht zielsicher
auf einen Weg gebracht, den ich so schnell wohl nicht mehr verlassen werde. Dafür und darüber
hinaus auch für die vielen privaten Impulse, für das in mich gesetzte Vertrauen und für vielerlei
Unterstützung in jeglicher Hinsicht möchte ich mich aufrichtig bedanken. Ihm und Prof. MüllerWille als Zweitgutachter danke ich auch für die Übernahme und Betreuung dieser Arbeit ganz
herzlich.
Ein Grabungsprojekt, das praktisch aus dem Nichts ersteht und irgendwo auch ein bis dato archäologisches Nichts, die Siedlung von Wiskiauten, dingfest zu machen versucht, braucht viel
Unterstützung und Hilfe. Sie wurde mir und meinem Team von vielerlei Seite aus zuteil.
Die erste vertrauensvolle finanzielle Starthilfe für die Feldarbeiten verdankt das WiskiautenProjekt Prof. S. von Schnurbein und der Römisch-Germanischen Kommission Frankfurt a. M.,
die auch unter Leitung von Dr. F. Lüth weiterhin die Forschungen unterstützt. Beiden sei dafür herzlich gedankt. Gleichzeitig ermöglichten mir dankenswerterweise R. Bröcking und P.
Kessler von der Beratungsgesellschaft für Beschäftigung in Schleswig-Holstein mit einer über
den Europäischen Sozialfond finanzierten Anstellung, die gleichzeitig auch von der RömischGermanischen Kommission Franfurt a. M. und dem Museum für Vor- und Frühgeschichte,
Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz zu Berlin getragen wurde, die so wichtige, dauerhafte Beschäftigung mit dem Fundplatz. Ihnen allen, besonders auch Prof. W. Menghin gilt mein
herzlicher Dank.
Dank dieser Hilfestellungen gelang es im Jahr 2007 mit den ersten, bis dahin erzielten Ergebnissen,
bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen Antrag im Normalverfahren bewilligt zu bekommen, was für weitere drei Jahre die Feldforschungen ermöglichte. Hier sei besonders Dr.
D. Bienert, aber auch Dr. E.-M. Streier, für das Vertrauen und die großzügige Erweiterung der
Möglichkeiten gedankt. Auch der International-Center der Christian-Albrechts-Universität Kiel
und hier besonders A. Ritter leisteten in dieser Anfangsphase einen finanziellen Beitrag.
Besonderer Dank gebührt auch dem Stiftungsrat und dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung
Schleswig-Holsteinischer Landesmuseen Schloß Gottorf sowie der gesamten Belegschaft des
Archäologischen Landesmuseums, wobei besonders die unermüdlich organisierende S. Fischbach
hervorzuheben ist. Eine solch angenehme Arbeitsatmosphäre fördert die Forschung. Für unbürokratische technische Hilfe in allen Lebens- und Grabungsfragen danke ich stellvertretend für
das gesamte Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein W. Bauch, J. Fischer und T. Prodtzig.
Mit Bekleidung für die Grabungen half das Technische Hilfswerk Kiel, mit der Vermietung eines angemessenen Fahrzeuges für die Grabungen K. Roddewig und S. Hartung von der AG
Ochsenweg gGmbH.
Im Hinblick auf die Gewinnung von Daten vor Ort gebührt vor allem V. I. Kulakov von der
Baltischen Expedition des Archäologischen Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften
Moskau und dessen Direktor Prof. N. A. Makarov für die Erlaubnis zur und die Unterstützung
bei der Forschung mein größter Dank. Weiterhin hat mein Freund K. N. Skvorzov mich in jeder
Hinsicht in Russland unterstützt.
Für großartige und großflächige geophysikalische Messungen am Fundplatz, die neben den
Ausgrabungen das Herzstück dieser Studie darstellen, sei Dr. H. Stümpel vom Institut für
Geowissenschaften der CAU Kiel und seinen Mitarbeitern H. Petersen, Dr. S. Wölz, C. Cajar, C.
Podolski, V. Glomb, C. Podolski, Chr. Klein, M. Proksch und T. Wunderlich gedankt.
Fachlich haben mich Prof. D. Heinrich (Institut für Haustierkunde der CAU Kiel), Prof. P Grootes
und Dr. M. Hüls (Leibniz-Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung der CAU Kiel),
Dr. V. Hilberg (Schleswig), Dr. R. Bleile und viele andere weitergebracht, wofür ich allen danke.
Die Grabungen vor Ort waren nur möglich durch die engagierte Mitarbeit von vielen fleißigen
Händen, die zu den Studierenden L. Schlisio, K. Kamp, T. Schroedter, M. Mennenga, S. Knorre,
A. Windler, H. Onat, J. Sahr, F. Trede, B. Irkens und F. Schmoll gehören. Darüber hinaus haben
zahlreiche russische Studierende an den Grabungen mitgewirkt. Stellvertretend seien Dima 1,
Dima 2, Iwan, Olga, Piotr und Igor genannt. Auf ihren Schultern sind die hier zusammengefassten Forschungsergebnisse errungen.
Wichtig sind auch die vielen Freunde gewesen, die in allen Zeiten an mich geglaubt haben und
mir ihre Unterstützung in allen Lebensbereichen sicherten. Dafür danke ich R. Blankenfeldt, A.
Rau, I. Hillenstedt, K. Hein, S. Kalmring, A. Wendt, J. Prassolov, A. Bartsch und M. Honold und
vielen anderen sowie besonders B. Kısakürek, die zum Schluss die nötige Übersicht behielt.
Besonders danken möchte ich meinem Freund und Kollegen J. Frenzel, auf den privat wie beruflich immer Verlass ist. Es macht Spaß, mit Dir zu arbeiten.
Meiner Mutter Gudrun Ibsen und meinem leider kurz vor Fertigstellung dieser Studie verstorbenen Vater Willi Ibsen möchte ich diese Arbeit widmen.
Kiel, den 26. Februar 2009
Inhalt
A Grundlagen .................................................................................................................................. 13
A.1 Einführung.................................................................................................................................. 13
A.2 Zielsetzung der Arbeit............................................................................................................... 15
A.3 Methodische Vorbemerkungen................................................................................................ 16
A.4 Forschungsgeschichte zum Fundplatz von Wiskiauten....................................................... 17
A.4.1 Forschungsgeschichte zum Gräberfeld............................................................................ 17
A.4.1.1 Deutsche Forschungsepoche vor 1945...................................................................... 17
A.4.1.2 Prussia-Verlagerungsgeschichte................................................................................ 25
A.4.1.3 Sowjetische und russische Forschungsepoche nach 1945...................................... 26
A.4.2 Forschungsgeschichte der Siedlungsuntersuchungen.................................................. 27
A.4.2.1 Deutsche Forschungen vor 1945................................................................................ 27
A.4.2.2 Russische Forschungen zwischen 1945 und 2005................................................... 30
A.4.2.3 Neue Forschungen 2005–2007.....................................................................................31
A.5 Quellen und Quellenprobleme................................................................................................. 33
A.5.1 Ausgrabungsmethodik....................................................................................................... 33
A.5.2 Chronologische Probleme der Frühmittelalterforschung............................................. 34
A.5.3 Literarische Quellen............................................................................................................ 36
A.5.3.1 Literarische Erwähnungen des Samlandes.............................................................. 36
A.5.3.2 Namensproblem Wiskiauten...................................................................................... 38
A.5.3.2.1 Ortsname................................................................................................................ 38
A.5.3.2.2 Der Name der wikingerzeitlichen Ansiedlung................................................ 42
A.5.4 Archivalien........................................................................................................................... 42
A.6 Lage und Topographie des Fundplatzes................................................................................ 45
A.6.1 Großräumige Lage.............................................................................................................. 45
A.6.2 Kleinräumige Lage.............................................................................................................. 48
A.7 Archäologisches Umfeld........................................................................................................... 53
A.7.1 Großräumiges archäologisches Umfeld im Frühmittelalter......................................... 56
A.7.2 Kleinräumiges archäologisches Umfeld.......................................................................... 60
A.7.2.1 Neolithikum.................................................................................................................. 60
A.7.2.2 Bronzezeit und Vorrömische Eisenzeit..................................................................... 62
A.7.2.2.1 Bronzezeit.............................................................................................................. 62
A.7.2.2.2 Vorrömische Eisenzeit.......................................................................................... 63
A.7.2.3 Römische Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit................................................... 63
A.7.2.4 Frühmittelalter (Wikingerzeit/Spätheidnische Zeit)............................................... 65
A.7.2.4.1 Fundstellen mit Siedlungsspuren....................................................................... 67
A.7.2.4.2 Burgwälle............................................................................................................... 70
A.7.2.4.3 Gräberfelder............................................................................................................71
A.7.2.4.4 Hortfunde.............................................................................................................. 77
A.7.2.4.5 Einzelfunde............................................................................................................ 78
A.7.3 Zusammenfassung.............................................................................................................. 78
B Das Gräberfeld ............................................................................................................................ 81
B.1 Allgemeine Beschreibung des Gräberfeldes............................................................................81
B.2 Forschungsstand......................................................................................................................... 82
B.3 Bestattungssitten und Grabbau................................................................................................ 85
B.3.1 Bestattungsarten.................................................................................................................. 85
B.3.1.1 Brandbestattungen....................................................................................................... 86
B.3.1.2 Körperbestattungen..................................................................................................... 86
B.3.1.3 Kenotaphe oder Leergräber........................................................................................ 88
B.3.1.4 Tierbestattungen/Tierbeigaben.................................................................................. 89
B.3.2 Grabbau................................................................................................................................ 90
B.3.2.1 Hügelgräber.................................................................................................................. 90
B.3.2.2 Flachgräber.................................................................................................................... 94
B.3.2.3 „Spätheidnischer Aschenplatz“ von Wiskiauten..................................................... 95
B.3.2.4 Weitere Befunde im Gräberfeld................................................................................. 99
B.4 Regionaler und überregionaler Vergleich des Grabbaus................................................... 100
B.4.1 Zusammenfassung............................................................................................................ 107
B.5 Kurzer Überblick über das Fundmaterial............................................................................. 108
B.5.1 Einleitung........................................................................................................................... 108
B.5.2 Quellensituation................................................................................................................ 108
B.5.3 Beigabensitte...................................................................................................................... 109
B.5.4 Die Beigaben...................................................................................................................... 110
B.5.4.1 Waffen.......................................................................................................................... 110
B.5.4.1.1 Schwerter.............................................................................................................. 110
B.5.4.1.2 Schwertortbänder.................................................................................................111
B.5.4.1.3 Lanzen.................................................................................................................. 114
B.5.4.1.4 Schildbuckel......................................................................................................... 114
B.5.4.1.5 Äxte....................................................................................................................... 115
B.5.4.2 Reit- und Pferdezubehör........................................................................................... 115
B.5.4.2.1 Sporen................................................................................................................... 115
B.5.4.2.2 Steigbügel............................................................................................................. 116
B.5.4.2.3 Trensen................................................................................................................. 117
B.5.4.2.4 Schnallen vom Pferdegeschirr........................................................................... 118
B.5.4.2.5 Glocken und Schellen......................................................................................... 119
B.5.4.3 Trachtgegenstände..................................................................................................... 120
B.5.4.3.1 Fibeln.................................................................................................................... 120
B.5.4.3.1.1 Schalenfibeln................................................................................................ 120
B.5.4.3.1.2 Dosenfibeln.................................................................................................. 122
B.5.4.3.1.3 Gleicharmige Fibeln................................................................................... 122
B.5.4.3.1.4 Gerätefibeln................................................................................................. 124
B.5.4.3.1.5 Terslev-Fibel................................................................................................. 124
B.5.4.3.1.6 Zungenfibel.................................................................................................. 124
B.5.4.3.1.7 Kleeblattfibeln.............................................................................................. 125
B.5.4.3.1.8 Hufeisenfibeln............................................................................................. 125
B.5.4.3.1.9 Weitere Fibeln.............................................................................................. 129
B.5.4.3.2 Gürtelzubehör..................................................................................................... 129
B.5.4.3.2.1 Schnallen...................................................................................................... 129
B.5.4.3.2.2 Riemenzungen............................................................................................. 130
B.5.4.4 Keramik........................................................................................................................131
B.5.4.5 Sonstige Beigaben...................................................................................................... 133
B.6 Datierung des Gräberfeldes.................................................................................................... 135
B.7 Struktur und Belegungsabfolge des Gräberfeldes............................................................... 137
B.8 Zur Herkunft der in Wiskiauten bestatteten Personen....................................................... 138
B.9 Aussagemöglichkeiten zur Größe der zu vermutenden Siedlung aufgrund der
Grabfunde........................................................................................................................................ 142
C Die Siedlungsforschungen der Jahre 2005–2007 ................................................................. 145
C.1 Einleitung.................................................................................................................................. 145
C.2 Bisherige Theorien zur Lage der Siedlung........................................................................... 145
C.3 Fragestellungen........................................................................................................................ 149
C.4 Eingrenzung des potentiellen Siedlungsgeländes durch verschiedene
Prospektionsmethoden...................................................................................................................151
C.4.1 Geologische und naturräumliche Untersuchungen.................................................... 152
C.4.1.1 Geologische Bohrungen............................................................................................ 152
C.4.1.2 Süßwasservorkommen in der Umgebung von Wiskiauten................................ 158
C.4.1.3 Bodenarten in der Umgebung von Wiskiauten......................................................161
C.4.1.4 Aussagen zu potentiellen Siedlungsflächen aufgrund der Topographie.......... 162
C.4.2 Geophysikalische Untersuchungen............................................................................... 163
C.4.2.1 Messfahrten und Arbeitsgebiete.............................................................................. 164
C.4.2.2 Technische Vorraussetzungen.................................................................................. 165
C.4.3 Bohrungen zu ausgewählten Anomalien...................................................................... 167
C.4.4 Ergebnisse der Prospektionen......................................................................................... 169
C.4.4.1 Messfläche A............................................................................................................... 170
C.4.4.1.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien............................................ 172
C.4.4.1.2 Anomalienkonzentrationen.............................................................................. 173
C.4.4.1.3 Lineare Strukturen.............................................................................................. 175
C.4.4.1.3.1 Graben südlich der Kaup.......................................................................... 175
C.4.4.1.3.2 Vermuteter Wall.......................................................................................... 178
C.4.4.1.4 Oberflächenfunde............................................................................................... 179
C.4.4.1.5 Interpretation...................................................................................................... 179
C.4.4.2 Messfläche B................................................................................................................181
C.4.4.2.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien............................................ 182
C.4.4.2.2 Anomalienkonzentrationen.............................................................................. 183
C.4.4.2.3 Interpretation...................................................................................................... 185
C.4.4.3 Messfläche C............................................................................................................... 185
C.4.4.3.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien............................................ 186
C.4.4.3.2 Anomalienkonzentrationen.............................................................................. 189
C.4.4.3.3 Oberflächenfunde............................................................................................... 189
C.4.4.3.4 Interpretation...................................................................................................... 192
C.4.4.4 Messfläche D............................................................................................................... 193
C.4.4.4.1 Anomalienkonzentration AK1.......................................................................... 193
C.4.4.4.1.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien.................................... 193
C.4.4.4.1.2 Lineare Strukturen..................................................................................... 200
C.4.4.4.1.3 Weitere auffällige Strukturen.................................................................... 203
C.4.4.4.1.4 Oberflächenfunde....................................................................................... 203
C.4.4.4.1.5 Interpretation ............................................................................................. 210
C.4.4.4.2 Anomalienkonzentration AK2...........................................................................211
C.4.4.4.2.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien.................................... 212
C.4.4.4.2.2 Lineare Strukturen..................................................................................... 218
C.4.4.4.2.3 Oberflächenfunde....................................................................................... 220
C.4.4.4.2.4 Interpretation.............................................................................................. 226
C.4.4.5 Messfläche E............................................................................................................... 226
C.4.4.5.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien............................................ 226
C.4.4.5.2 Lineare Strukturen.............................................................................................. 230
C.4.4.5.3 Oberflächenfunde und Interpretation..............................................................231
C.4.4.6 Messfläche F............................................................................................................... 232
C.4.4.7 Messfläche G............................................................................................................... 232
C.4.4.7.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien............................................ 234
C.4.4.7.2 Lineare Strukturen.............................................................................................. 240
C.4.4.7.3 Oberflächenfunde im Bereich von Anomalienkonzentration AK3............. 240
C.4.4.7.4 Interpretation.......................................................................................................241
C.4.4.8 Messfläche H.............................................................................................................. 243
C.4.4.8.1 Anomalienkonzentration AK4.......................................................................... 244
C.4.4.8.1.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien.................................... 244
C.4.4.8.1.2 Interpretation.............................................................................................. 246
C.4.4.8.2 Anomalienkonzentration AK5.......................................................................... 246
C.4.4.8.2.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien ................................... 247
C.4.4.8.2.2 Interpretation.............................................................................................. 249
C.4.4.9 Messfläche I................................................................................................................ 249
C.4.4.9.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien.............................................251
C.4.4.9.2 Interpretation...................................................................................................... 256
C.4.4.10 Messfläche J.............................................................................................................. 256
C.4.4.10.1 Messfläche J1..................................................................................................... 257
C.4.4.10.2 Messfläche J2..................................................................................................... 259
C.4.4.10.2 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien..................................... 262
C.4.4.10.3 Interpretation.................................................................................................... 265
C.4.4.11 Messfläche K............................................................................................................. 265
C.4.4.11.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien.......................................... 266
C.4.4.11.2 Interpretation.................................................................................................... 269
C.4.5 Zusammenfassung der Prospektionsergebnisse.......................................................... 270
C.5 Die Ergebnisse der Ausgrabungen 2005–2007..................................................................... 273
C.5.1 Fläche 1............................................................................................................................... 273
C.5.1.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 273
C.5.1.2 Fundmaterial.............................................................................................................. 276
C.5.1.3 Datierung.................................................................................................................... 277
C.5.1.4 Interpretation.............................................................................................................. 277
C.5.2 Fläche 7............................................................................................................................... 278
C.5.2.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 278
C.5.2.2 Fundmaterial.......................................................................................................... 280
C.5.2.3 Datierung.....................................................................................................................281
C.5.2.4 Interpretation.............................................................................................................. 282
C.5.3 Fläche 3............................................................................................................................... 282
C.5.3.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 282
C.5.3.2 Fundmaterial.............................................................................................................. 284
C.5.3.2.1 Tierknochen......................................................................................................... 284
C.5.3.2.2 Keramik................................................................................................................ 284
C.5.3.2.3 Metallfunde......................................................................................................... 285
C.5.3.2.4 Sonstige Funde.................................................................................................... 286
C.5.3.3 Datierung.................................................................................................................... 286
C.5.3.4 Interpretation.............................................................................................................. 287
C.5.4 Fläche 5............................................................................................................................... 290
C.5.4.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 290
C.5.4.2 Fundmaterial.............................................................................................................. 292
C.5.4.2.1 Keramik................................................................................................................ 292
C.5.4.2.2 Tierknochen......................................................................................................... 293
C.5.4.3.3 Weitere Funde..................................................................................................... 294
C.5.4.4 Datierung.................................................................................................................... 294
C.5.4.5 Interpretation.............................................................................................................. 295
C.5.5 Fläche 8............................................................................................................................... 297
C.5.5.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 297
C.5.5.2 Fundmaterial.............................................................................................................. 299
C.5.5.3 Datierung.................................................................................................................... 300
C.5.5.4 Interpretation.............................................................................................................. 300
C.5.6 Fläche 2............................................................................................................................... 300
C.5.6.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 300
C.5.6.1.1 Befund 1 – Der Brunnen.....................................................................................301
C.5.6.1.2 Befund 2............................................................................................................... 310
C.5.6.2 Fundmaterial.............................................................................................................. 312
C.5.6.2.1 Tierknochen......................................................................................................... 312
C.5.6.2.1.1 Unbearbeitete Knochen............................................................................. 313
C.5.6.2.1.2 Bearbeitete Knochen................................................................................... 315
C.5.6.2.2 Keramik................................................................................................................ 316
C.5.6.2.2.1 Handgemachte Keramik............................................................................ 317
C.5.6.2.2.2 Drehscheibenware...................................................................................... 319
C.5.6.2.3 Metallfunde..........................................................................................................321
C.5.6.2.3.1 Bronzefunde.................................................................................................321
C.5.6.2.3.2 Eisenfunde................................................................................................... 323
C.5.6.2.4 Funde aus Glas und Bernstein.......................................................................... 323
C.5.6.2.5 Steinartefakte....................................................................................................... 324
C.5.6.2.6 Sonstige Funde.................................................................................................... 325
C.5.6.3 Datierung.................................................................................................................... 327
C.5.6.4 Interpretation.............................................................................................................. 328
C.5.6.5 Aussagemöglichkeiten zu einer nahen Siedlung.................................................. 329
C.5.7 Fläche 4............................................................................................................................... 329
C.5.7.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 329
C.5.7.1.1 Pfostenlöcher....................................................................................................... 330
C.5.7.1.2 Weitere Befunde.................................................................................................. 332
C.5.7.2 Das Fundmaterial...................................................................................................... 333
C.5.7.2.1 Tierknochen......................................................................................................... 334
C.5.7.2.2 Keramik................................................................................................................ 335
C.5.7.2.3 Metallfunde......................................................................................................... 337
C.5.7.2.3.1 Eisenfunde................................................................................................... 337
C.5.7.2.3.2 Bronzefunde................................................................................................ 338
C.5.7.2.3.3 Silberfunde.................................................................................................. 338
C.5.7.2.4 Sonstige Funde.................................................................................................... 338
C.5.7.2.5 Streufunde im Umfeld....................................................................................... 339
C.5.7.4 Datierung.................................................................................................................... 339
C.5.7.5 Interpretation.............................................................................................................. 340
C.5.8 Fläche 6................................................................................................................................341
C.5.8.1 Anlass der Grabung....................................................................................................341
C.5.8.2 Grabungsergebnisse...................................................................................................341
C.5.8.3 Das Fundmaterial.......................................................................................................341
C.5.8.4 Datierung.....................................................................................................................341
C.5.8.5 Interpretation.............................................................................................................. 342
C.6 Zusammenfassung der Grabungsergebnisse 2005–2007.................................................... 342
D Wiskiauten – Handelsstützpunkt der Wikinger an der südlichen Ostseeküste? ........ 347
D.1 Bisherige Interpretationen des Fundplatzes Wiskiauten................................................... 347
D.2 Vergleich mit anderen Handelsplätzen an der südlichen Ostseeküste.............................351
D.3 Zusammenfassung.................................................................................................................. 358
D.4 Ausblick..................................................................................................................................... 363
E Anhänge, Listen, Verzeichnisse, Katalog und Pläne .......................................................... 364
E.1 Literatur..................................................................................................................................... 364
E.1.1 Archivalien und Sammlungen......................................................................................... 364
E.1.2 Abgekürzt zitierte Literatur............................................................................................. 364
E.2 Listen.......................................................................................................................................... 384
E.2.1 Fundstellen in der Umgebung von Wiskiauten (Abb. 19).......................................... 384
E.2.2 C14-Datierungen, geordnet nach Labornummern....................................................... 390
E.2.3 C14-Datierungen, geordnet nach Radiocarbon-Alter.................................................. 394
E.2.4 Tierknochen aus Fläche 5..................................................................................................401
E.2.5 Tierknochen aus Fläche 5 nach Skelettelementen......................................................... 404
E.2.6 Tierknochen aus Fläche 2................................................................................................. 405
E.2.7 Tierknochen aus Fläche 2 nach Skelettelementen ........................................................411
Grundlagen
A Grundlagen
A.1 Einführung
Seit der ersten Erwähnung in einer wissenschaftlichen Publikation im Jahr 1865 (Wulff
1865) nimmt der wikingerzeitliche Fundplatz
von Wiskiauten im ehemaligen nordöstlichen
Ostpreußen (heute Mohovoe im Kaliningrader Gebiet; vgl. Abb. 1) eine Schlüsselposition
in der archäologischen Forschung der Region
ein. Inmitten der im Frühmittelalter von den
Prussen besiedelten, bernsteinreichen Landschaft des Samlandes bildet das große, über
500 Bestattungen umfassende HügelgräberDiese Schreibweise ergibt sich nach dem internationalen System der Transkription des russischen
Alphabetes in lateinische Buchstaben (Barran 1992,
15). Im Folgenden wird fast ausschließlich der
Name Wiskiauten verwendet, da der Fundplatz unter diesem Namen Eingang in die Literatur gefunden hat (vgl. Wulff 1865). Nur dort, wo moderne
Lagebeschreibungen die Nennung des russischen
Namens „Mohovoe“ nötig erscheinen lassen, wird
dieser angeführt. Gleiches gilt für die Ortschaften
von ehemals Bledau (heute Sosnovka), Wosegau
(heute Vishnevoe) und Cranz (heute Selenogradsk).
Im Kapitel A.7 (Archäologisches Umfeld) dagegen
sind Doppelbezeichnungen unvermeidbar, da sie
in der Literatur so abgedruckt sind. In diesem Kapitel werden deutsche und russische Ortsnamen
zusammen wiedergegeben.
Die genaue Anzahl der Bestattungen ist heute
unbekannt. Nach Angaben von Nerman (1942, 92)
belief sich die Gesamtzahl der Grabhügel auf „ca.
500“. Bereits 1880 ist in den Jahresberichten der
Prussia-Gesellschaft (Ohne Verfasser 1880) von
„120 bei Wiskiauten geöffnete[n] Gräber[n]“ die
Rede. Allein bis 1900 sind bereits „wohl an 250
Gräber“(Heydeck 1900, 60) untersucht worden.
Die von Kulakov (2005, 56) angegebene Zahl von
86 untersuchten Hügeln bzw. die von Wróblewski (2006b, 141) erwähnten „nur etwas mehr als 90
Gräber“ beruhen auf dem Mißverständnis, dass
von zur Mühlen (1975, 122-140) offensichtlich nur
diejenigen Hügel katalogisiert hat, zu denen sich
im Prussia-Archiv Unterlagen befunden haben.
Schon von zur Mühlen (1975, 14) gibt die Zahl
mit 90 ergrabenen Hügelgräbern viel zu niedrig an.
Auch die Zahl der zwischen den Hügeln liegenden
Flachgräber lässt sich nicht beurteilen. Eine Grabung von V. I. Kulakov im Jahr 2005 erbrachte auf
einer Fläche von ca. 203 qm im Umfeld nur eines
Hügelgrabes allein sieben Flachgräber (IA RAN
13
feld in einem Wäldchen mit dem Flurnamen
Kaup mit seinem deutlich skandinavisch
geprägtem Fundgut ein einzigartiges Denkmal, das in der näheren Umgebung keine
Vergleiche kennt. Die Nekropole muss dabei
als Hinweis auf die dauerhafte Anwesenheit
von Skandinaviern gewertet werden. Erst mit
dem gut 110 km weiter südwestlich gelegenen
Truso am Drausensee in Polen (Ebert 1926;
Jagodziński 2000b; 2006) oder dem 200 km
entfernten Grobin an der Küste Kurlands in
Lettland (Nerman 1958) weiter nördlich lassen sich wieder Fundorte belegen, die ähnlich
starke Anteile an skandinavischem Fundgut
aufweisen und auf den dauerhaften Aufenthalt von Skandinaviern an der südlichen Ostseeküste hindeuten. Zwar tauchen auch an anderen frühmittelalterlichen Fundplätzen wie
Linkuhnen/Rževskoe, Wischwill/Viešvilė und
Oberhof/Aukśtakiemiai im Memelmündungsbereich wie auch sonst im gesamten Samland
und den benachbarten Gebieten schlaglichtartig größere Ensembles skandinavischer Funde
in Gräbern und Siedlungen auf. Ihr Vorkommen innerhalb der ansonsten einheimisch geprägten Fundplätze dürfte aber weitgehend
auf Handelstätigkeiten zurückzuführen sein.
Trotz der langjährigen Forschungen sowohl
von deutscher (vgl. z.B. Heydeck 1900; von zur
Mühlen 1975) als auch von russischer Seite (zuletzt Kulakov 2005) muss der Forschungsstand
zum Gräberfeld heute als schlecht bezeichnet
werden, was ursächlich mit der Zeitgeschichte
der Region zusammenhängt. So kann die Forschungsgeschichte der Wiskiautener Nekropole als symptomatisch für das Schicksal einer
großen Anzahl von Fundplätzen gelten, die
zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und
dem Beginn des Zweiten Weltkrieges erforscht
wurden. Denn die Kriegshandlungen führten
– abgesehen von den Veröffentlichungen in der
zeitgenössischen deutschen Literatur – zum vorübergehenden, fast vollständigen Verlust der
bis dato zusammengetragenen Fundmaterialien
2005). Ihre Gesamtzahl dürfte daher fast ebenso
hoch einzuschätzen sein wie die der Hügelgräber.
Nerman (1936, 79) schätzte, dass nach den deutschschwedischen Ausgrabungen in den 1930er Jahren
etwa 300 Hügel ausgegraben waren. Die Zahl der
in 140 Jahren Forschung insgesamt freigelegten
Hügelgräber lässt sich heute zusammenfassend auf
etwa 325 Gräber festlegen.
14
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 1 Lage des Fundplatzes Wiskiauten im ehemaligen Ostpreußen (verändert nach Ibsen/Skvorzov 2005,
382 Abb. 1).
und originalen Ausgrabungsdokumentationen.
Eine Überprüfung alter Ergebnisse anhand der
Originale war damit lange Zeit nicht möglich.
Trotzdem verleiteten die vor dem Krieg erzielten Resultate auch in der jüngeren und jüngsten
archäologischen Forschung immer wieder zu
der Erkenntnis, in Wiskiauten müsse zwischen
dem 9. und 11. Jahrhundert über 200 Jahre lang
eine Kolonie ortsfremder, wahrscheinlich skandinavischer Siedler bestanden haben, deren
dauerhafte Anwesenheit durch die zahlreichen
skandinavisch geprägten Beigaben aus Männer- und besonders auch Frauengräbern belegt
schien (Nerman 1931, 171 Anm. 4; Kleemann
1939b, 201). Diese These, auch von sowjetischen
und später russischen Archäologen formuliert
(vgl. zuletzt Kulakov 2005), gilt in ihren Grundsätzen noch heute, wenngleich alternative Interpretationsansätze Wiskiauten eher einen polyethnischen Charakter zurechnen (Wróblewski
2006a; 2006b).
Eine der dringendsten Fragen ist dabei das bis-
lang nicht gelöste Problem der Lage der zum
Gräberfeld gehörenden Siedlung, die trotz vielversprechender Ansätze durch den russischen
Archäologen V. I. Kulakov (zuletzt zusammenfassend mit weiterer Literatur Kulakov 2005,
62) bis in die jüngste Vergangenheit nicht zufriedenstellend lokalisiert werden konnte.
Insbesondere vor dem Hintergrund der wieder
aufgetauchten Teile der ehemaligen PrussiaSammlung (vgl. hierzu Kap. A.4.1.2) sind nun
neue Detailstudien zum Gräberfeld möglich und
dringend nötig. Über das durch Altpublikationen
bekannte Material hinaus können jetzt neue Gesamtbetrachtungen zur Nekropole erfolgen bzw.
alte Theorien überprüft werden.
Zusätzlich sind in jüngster Zeit internationale
und interdisziplinäre Forschungen am Fundplatz
selbst möglich geworden. Erste Untersuchungen fanden in den Jahren 2005–2007 in einem
Auch im Jahr 2008 sind Ausgrabungen durchgeführt worden, die hier aber größtenteils unberücksichtigt bleiben, da die Aufarbeitung und Auswer
Grundlagen
russisch-deutschen Gemeinschaftsprojekt statt.
Sie erbrachten zahlreiche Hinweise auf großräumige Siedlungsaktivitäten im gesamten Umfeld
der Nekropole und lassen sich schon jetzt grob
in einzelne Siedlungsphasen des 7.–13. Jahrhunderts aufgliedern.
Erst heute ist damit die längst überfällige Gesamtbetrachtung des Fundplatzes unter Einbeziehung
aller verfügbaren Informationen möglich, die in
dieser Studie ansatzweise erfolgen soll. Die über
Jahrzehnte alle Forschungen dominierende Hügelgräbernekropole tritt mehr und mehr in den
Hintergrund und stellt nunmehr nur noch einen
Teil eines wesentlich komplexeren Siedlungsgefüges dar, als bislang angenommen.
A.2 Zielsetzung der Arbeit
Das Thema dieser Studie ist der frühmittelalterliche Fundplatz Wiskiauten/Mohovoe
im Kaliningrader Gebiet. Bekannt ist hier ein
Gräberfeld mit stark skandinavisch gefärbtem
Fundmaterial und einem Hügelgrabbau, der
auf die Bestattung skandinavischer, vermutlich mittelschwedischer oder gotländischer
Personen hinweist. Es fehlen aber konkrete
Hinweise auf die zugehörige Siedlung, die in
140 Jahren Forschung nicht zufriedenstellend
lokalisiert werden konnte.
Dieser Aufgabe widmet sich die vorliegende
Arbeit. Durch Zusammentragen archäologischer und historischer Informationen soll die
Existenz einer Ansiedlung eindeutig begrüntung zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Studie noch nicht abgeschlossen war.
Die Ausgrabungen werden in Zusammenarbeit
zwischen dem Archäologischen Landesmuseum
Schleswig in der Stiftung Schleswig-Holsteinischer
Landesmuseen Schloß Gottorf und dem Archäologischen Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften Moskau unter Beteiligung des Instituts
für Geowissenschaften (Abteilung Geophysik) der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durchgeführt. Initiiert hat die Forschungen Prof. Dr. C. von
Carnap-Bornheim, Direktor des Archäologischen
Landesmuseums Schleswig. Die Finanzierung wurde in den Jahren 2005 und 2006 vom Europäischen
Sozialfonds (ESF) und der Römisch-Germanischen
Kommission Frankfurt a. Main des Deutschen Archäologischen Instituts gesichert. Seit dem Jahr
2007 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft die
maßgebliche Förderung übernommen. Allen Förderern sei herzlich für die Unterstützung gedankt.
15
det werden. Im Anschluss werden die verschiedenen Methoden der rezenten Siedlungsforschungen der Jahre 2005–2007 und deren
Ergebnisse vorgestellt.
Die Arbeit ist in fünf Teile gegliedert. Nach
den methodischen Vorbemerkungen, der ausführlichen Darstellung der Quellenbasis samt
Quellenkritik und der Abhandlung einiger
grundlegender Themen wie der Forschungsgeschichte, der Topographie des Fundplatzes
und seines archäologischen Umfeldes in Teil A
liegt der Schwerpunkt in Teil B zunächst auf
den bisherigen Forschungen zum Gräberfeld.
Durch Beschreibung von Grabbau und Fundmaterialien etc. wird der in der Literatur vorhandene Forschungstand zusammengefasst
und an einigen Stellen anhand der Archivalien überprüft und gegebenenfalls korrigiert.
Im Anschluss werden Aussagen zur chronologischen Gliederung des Fundmaterials, zur
Belegungsabfolge und zur Herkunft der bestatteten Personen formuliert, soweit sie nach
den bisher publizierten Ergebnissen zu treffen
sind. Dadurch wird versucht, das Vorhandensein einer zugehörigen Siedlung eindeutig zu
begründen oder zu negieren. Darüber hinaus
werden Aussagen zur Größe der zu erwartenden Niederlassung diskutiert.
In Teil C werden nach der Darlegung bisheriger Lokalisierungsversuche die Forschungsergebnisse der Siedlungsuntersuchungen aus
den Jahren 2005–2007 und ansatzweise auch
des Jahres 2008 vorgestellt. Dabei erfolgt zunächst eine Beschreibung der angewandten
Prospektionsmethoden zur Eingrenzung des
potentiellen Siedlungsgeländes mit der Vorstellung der jeweiligen Ergebnisse. Teil C endet mit der Beschreibung der bislang acht
kleinräumigen Ausgrabungen, die in chronologischer Reihenfolge vorgelegt werden und
zusammen mit den Prospektionsergebnissen
zu einer vorläufigen Einschätzung des Fundplatzes führen.
In Teil D werden diese Ergebnisse vor dem
Hintergrund der in den letzten Jahren stark
angewachsenen Kenntnis zum Frühmittelalter
im Vergleich mit ähnlichen Fundplätzen disWeitere zwölf Grabungsschnitte sowie 16 Sondagen des Jahres 2008 sind nur ansatzweise eingearbeitet, da die Aufarbeitung der Ergebnisse zum
Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Studie noch
nicht abgeschlossen war.
16
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
kutiert, um zu einer Bewertung dieses wichtigen Fundplatzes in seinem chronologischen
und siedlungsarchäologischen Umfeld zu gelangen. Besonders Fragen zur Funktion und
Einbindung in die wikingerzeitlichen Handelsnetzwerke werden dabei erörtert.
Im Katalogteil (Teil E) soll durch Vorlage der
Grabungsbefunde und Funde aus den Siedlungsuntersuchungen sowie der geomagnetischen Messbilder eine Überprüfbarkeit der
erzielten Ergebnisse gewährleistet werden.
A.3 Methodische Vorbemerkungen
Jegliche Forschung zum Fundplatz Wiskiauten ist mit dem Problem konfrontiert, dass
der weitgehende Verlust der originalen Ausgrabungsdokumentationen und einer Vielzahl
der Originalfunde im Zusammenhang mit den
Ereignissen des Zweiten Weltkrieges zu großen Lücken im überlieferten Bild geführt hat.
Diese Lücken lassen sich heute kaum noch
schließen, da weder die Ausgräber selbst für
Erläuterungen zur Verfügung stehen noch die
Felddokumentationen vollständig erhalten
sind. Immerhin sind mittlerweile große Teile
der lange vermissten Prussia-Sammlung mit
zahlreichen Materialien und Funden zu Wiskiauten nach mehr als 65 Jahren wieder vorhanden (vgl. hierzu Reich 2003; 2005; Valujev 2005; vgl. Kap. A.4.1.2). Bis in allerjüngste
Vergangenheit aber musste die Forschung sich
mit den vorkriegszeitlichen Publikationen begnügen. Sicherlich liegt in diesem Umstand
begründet, dass umfassende Behandlung des
Fundplatzes in der Nachkriegszeit nicht erfolgte.
Es erscheint sinnvoll, in dieser Arbeit eine
methodische Trennung bei der Bearbeitung
des Gräberfeldes und den Ergebnissen der
Siedlungsforschungen vorzunehmen. Bei der
Betrachtung des Gräberfeldes kommen ausschließlich sekundäre Quellen in Frage, die
Diskussion der Siedlungsfrage dagegen beruht auf Ergebnissen, die vom Verf. bei rezenten Feldforschungen eigenständig vor Ort
gewonnen wurden. Insofern sind beide Quellengruppen unterschiedlichen Quellenkritiken
unterlegen.
Die in dieser Studie wiedergegebenen Informationen zum Gräberfeld beruhen größtenteils auf den bisherigen Forschungsergebnis-
sen, die entweder die Ausgräber selbst in der
damaligen Literatur veröffentlichten oder die
nachfolgende Wissenschaftler anhand der verfügbaren Berichte und Abbildungen in der älteren Literatur gewonnen haben (vgl. Kap. B2
Forschungsstand).
Zwar stand vor Beendigung der Arbeit ein
reichhaltiges, von Verf. aus verschiedenen
Archiven zusammengetragenes Material aus
über 1600 Einzeldokumenten und ca. 50 Altfunden zur Verfügung, das zumindest teilweise in die Ergebnisse eingeflossen ist. Die Gesamtauswertung dieses Datenbestandes soll
jedoch an späterer Stelle erfolgen. Dagegen
sind die jüngsten Ergebnisse der sowjetischen
und russischen Ausgrabungstätigkeiten berücksichtigt.
Ziel des zweiten Teiles dieser Studie ist dementsprechend nicht die vollständige Neubearbeitung des Gräberfeldes. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Darstellung der bisher
veröffentlichten Ergebnisse und einer Prüfung
derselben anhand der Originaldokumente,
wobei besonders die Frage der Herkunft der
bestattenden Gemeinschaft im Vordergrund
steht, um den Charakter der zugehörigen
Siedlung schärfer zu umreißen. Erst auf dieser
Grundlage können im Anschluss die rezenten
Untersuchungen zur Siedlungsfrage diskutiert
werden.
Archivalien zur Siedlungssuche deutscher
Archäologen fehlen fast völlig. Nur spärliche
Hinweise aus der Literatur helfen kaum weiter und liefern bestenfalls Hinweise, wo entsprechende Forschungen ergebnislos verlaufen sind und bei kommenden Ausgrabungen
ebenso verlaufen dürften. Die Ausführungen
zu den siedlungsarchäologischen Untersuchungen stützen sich daher fast ausschließlich
auf die bisherigen Ergebnisse der sowjetischen
und russischen Forschung und der Ausgrabungen der Jahre 2005–2007 sowie der parallel
durchgeführten geophysikalischen Prospektion.
Die daraus resultierenden digitalen Messbilder können aber nur Ansatzpunkte liefern, wo
archäologische Feldmethoden Erfolg versprechen. Als Problem stellt sich dabei die geringe
Vergleichbarkeit aufgrund weitgehend fehlender, analoger Untersuchungsmethoden auf
anderen Fundplätzen dar. Dennoch ermöglicht die Kombination der verschiedenen Me-
Grundlagen
thoden relativ sichere Aussagen zur Lage von
Siedlungsspuren und in Anfängen auch ihrer
Struktur und zeitlichen Tiefe.
A.4 Forschungsgeschichte zum Fundplatz
von Wiskiauten
Bei der Abhandlung der Forschungsgeschichte in dieser Studie liegt das Hauptaugenmerk
zunächst auf den Forschungen zum Gräberfeld, die aufgrund der Vielzahl der damals wie
heute aufsehenerregenden Funde aus den Bestattungen in der Kaup seit den ersten Grabungen im Jahr 1865 jegliche Interpretationen zum
Fundplatz dominiert haben.
Die eher theoretisch behandelte Frage zur
Lage der zugehörigen Siedlung stand dagegen
lange Zeit hinter den Gräberfeldforschungen
zurück und konnte in deutscher Zeit nicht gelöst werden. Alle Bemühungen blieben größtenteils ergebnislos. Erst die sowjetische und
später russische Forschung verzeichnete erste
kleine Erfolge.
Das Wissen um frühere, besonders auch negative Lokalisierungsversuche und Aktivitäten
verschiedener Archäologen ist für die Frage
nach dem Ort der Siedlung trotz der geringen
Aussagemöglichkeiten aber insofern von großer Bedeutung, als sich in der Zusammenschau
einerseits Verdichtungen von Hinweisen zu
erkennen geben, andererseits bestimmte Flächen aufgrund der auf ihnen vorgenommenen,
ergebnislosen Untersuchungen zunächst aus
der Wahl der zu berücksichtigenden Bereiche
ausscheiden. Die dabei gewonnenen negativen
wie positiven Hinweise haben maßgeblich die
Wahl der Untersuchungsflächen der rezenten
Feldforschungen bestimmt.
Einen besonderen Aspekt der Forschungsgeschichte bildet die Verlagerungsgeschichte der
Archivalien aus der ehemaligen Königsberger
Prussia-Sammlung, in der auch die Grabungsberichte und Funde des Wiskiautener Gräberfeldes enthalten waren. Sie hat dazu geführt,
dass die der Originalmaterialien jahrzehntelang unzugänglich blieben und verhinderte
damit die Überprüfung der alten Ergebnisse
auf der Grundlage neuerer Forschungen. Diesem Teil der Forschungsgeschichte ist ein eigenes Kapitel gewidmet.
Die Forschungsgeschichte soll im Folgenden
ausführlich dargelegt werden, wobei zunächst
17
die Forschungen zum Gräberfeld vorgestellt
werden. Erst im Anschluss werden die bisherigen siedlungsarchäologischen Untersuchungen erläutert. Dieses Vorgehen erscheint sinnvoll, da beide Teile als unabhängige Projektteile mit unterschiedlichen Forschungsstrategien
betrachtet werden müssen.
A.4.1 Forschungsgeschichte zum Gräberfeld
A.4.1.1 Deutsche Forschungsepoche vor 1945
Seit dem Beginn der Forschungen im Gräberfeld von Wiskiauten sind vermutlich insgesamt fast 325 Grabhügel untersucht worden
(siehe Anm. 2).
Die erste wissenschaftliche Beschreibung zu
frühmittelalterlichen Funden aus dem Wäldchen Kaup bei Wiskiauten geht auf das Jahr
1865 zurück. Der archäologisch interessierte
Oberleutnant Wulff des Zweiten Ostpreußischen Grenadierregimentes erkundete während seiner freien Zeit die Umgebung seines
Standortes in ehem. Mülsen, Kr. Fischhausen
(heute Ochotnoe, raj. Selenogradsk), und befragte auf der Suche nach „Überbleibseln“ von
der Schlacht bei Rudau die Bevölkerung nach
archäologischen Funden (Wulff 1865, 641).
Man verwies ihn auf ein kleines Wäldchen von
ca. 500 x 300 m Ausdehnung mit dem Flurnamen Kaup, in dem eine „Menge alter Waffen
und halbverbrannte Menschen- und Pferdeknochen“ (Wulff 1865, 641) beobachtet worden waren. Der Platz muss tatsächlich schon
lange in der Bevölkerung als vorgeschichtlicher Begräbnisplatz oder zumindest als Ort
seltsamer Funde bekannt gewesen sein. Einerseits ist der Ort bereits 1331 bei der Festlegung
der Grenze zwischen Ordensland und dem an
den Bischof von Samland fallenden Gebietsteil
als Grenzmarke (Kleemann 1939a, 4), im „Urkundenbuch des Bisthums Samland“ (Woelky/Mendthal 1891, 191) überliefert. Hier wird
durch das Wort „Wosegowyskapinis“ (Gerullis 1922, 208), das Kleemann (1939a, 4) mit
„Wosegauer Gräber“ gleichsetzt, auf einen Bestattungsplatz hingewiesen, der mit dem Gräberfeld in der Kaup identisch sein muss (zum
Namensproblem vgl. auch Kap. A.5.3.2). Auch
der von Kleemann (ebd.) ermittelte altertümliche Flurname „Schwentmedfeld“ im Osten
des Gräberfeldes von Wiskiauten, der als alt
Vorname nicht ermittelbar.
18
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
preußisches Wort soviel wie „Feld am heiligen
Wald“ bedeutet, bezieht sich offenbar auf das
Wäldchen mit dem Gräberfeld. Die Bezeichnung stammt wahrscheinlich aus der Zeit vor
dem Niedergang der prussischen Sprache, der
im Allgemeinen ins 15. oder 16. Jahrhundert
gelegt wird (Biskup/Labuda 2000, 76f.). Somit
liegt durch den Flurnamen ein Hinweis darauf vor, dass der durch die zahlreichen Gräber
als heilig angesehene Wald mindestens im 16.
Jahrhundert. Bestand hatte. Dazu passt das zu
vermutende hohe Alter einiger großer Eichen
in der Kaup, die aufgrund des Stammumfanges sicherlich mehrere hundert Jahre alt sein
dürften (Kulakov 2005, 55).
Auf die Bekanntheit und Besonderheit des Platzes in der örtlichen Bevölkerung weisen auch
einige volkstümliche Überlieferungen hin, die
von C. Engel (ALM) am 31.8.1934 schriftlich
festgehalten wurden. Neben der Sage um ein
versunkenes Schloss in der kleinen Kaup ist
dabei besonders eine Überlieferung interessant: „Einmal ging eine Frau, die in der Nähe
auf dem Feld arbeitete, in die Kaup austreten. Dabei sah sie einen Trog mit Gelbweizen
stehen. Sie nahm sich ein paar Ähren heraus
und steckte sie sich unter die Röcke. Als sie
aus der Kaup heraustrat, wollte sie nachsehen,
was sie da mitgenommen hatte. Da waren es
Geldstücke aus purem Golde.“ Sicherlich steht
diese Geschichte mit einem zufälligen Fund
von Beigaben aus einer Bestattung der Kaup
in Zusammenhang.
Als wichtiger Hinweis kurz vor der eigentlichen Entdeckung durch Wulff erweist sich die
von Engel (ALM) festgehaltene Überlieferung,
dass in einer Lehmgrube in der kleinen Kaup
bei der Verlegung der Straße Wiskiauten-Wosegau um 1860 viele Steigbügel, Knochen und
Waffen gefunden wurden, von denen man zunächst annahm, es handele sich um Überreste
eines Krieges. Diese Funde dürften unzweifelhaft vom prussischen Gräberfeld im Osten der
Kaup stammen, das durch Engel (1932a, 140)
in den 1930er Jahren bei der Anlage einer Lehmgrube in einer Rettungsgrabung dokumentiert wurde. Mehrere prussische Brandgräber
Das Originaldokument von Engel befindet sich
heute im Nachlaß von Rudolf Grenz im ALM.
Wróblewski (2006a, 224) vermerkt 16 Brandgruben und 17 Pferdebestattungen, die er aus einer
Zeichnung aus dem Nachlaß Engel/Grenz im ALM
mit darunterliegenden Pferdebestattungen erweisen die Ortsangabe der Überlieferung als
richtig.
Nach der Entdeckung einiger Streufunde am
ersten Tag – darunter eine Lanzenspitze, ein eisernes Gebiss und mehrere unkenntliche Eisenfragmente (Wulff 1865, 643) – führte Leutnant
Wulff mit mehreren Soldaten in den folgenden
Tagen während seiner Freizeit vom Manöver
Ausgrabungen an einigen Gräbern in der Kaup
durch und tätigte reiche Funde. Zuerst untersuchte er den Teil direkt „links“ (ebd.) des neu
durch den Wald getriebenen Weges. Ob dabei
der Bereich westlich oder östlich der Straße
gemeint war, bleibt unklar. Sicher dagegen ist,
dass Wulff den später als „spätheidnischen
Aschenplatz“ bezeichneten Teil des Gräberfeldes erfasste. Wulff (ebd. 644) deckte eine
Grablege auf, die von einem Steinkranz umfasst wurde. Insgesamt kamen sieben Lanzenspitzen, mehrere Bronzefragmente sowie ein
eisernes Schwert mit Ortband „aus Eisen“ zutage. Die folgenden fünf Nachmittage brachten
weitere 21 Lanzenspitzen, ein Schwert, acht
Steigbügel, einen Stachelsporn, sieben Messer,
einen Schlüssel, mehrere Scheren, eine Fibel
und mehrere Bruchstücke von solchen, drei
Schnallen, einen Feuerstahl, drei Bronzeringe
sowie zwei Ohrringe, einen Bronzegewandhaken, drei Perlen, viele Nägel, mehrere „Zwingen“10, zahlreiche Eisenfragmente und schließlich offenbar Bruchstücke von bronzenen
Schalen, fälschlicherweise als Schildbuckel
interpretiert, mit Verzierungen, die von Wulff
(ebd. 645) als „runenartige“ Zeichen beschrieben wurden. Es dürfte sich also um Fragmente
von ab der Mitte des 11. Jahrhunderts vorkommenden sog. Hansaschüsseln (Poklewski 1961,
9) gehandelt haben. Alle Funde sollen aus Gräbern stammen, die relativ einheitlich gestaltet
waren. Ein Steinkranz von etwa 0,9–1,2 m11
kennzeichnete die Bestattungen, darunter fanentnommen hat, wobei er eine als Verwesungsschicht angesprochene Signatur fälschlicherweise
ebenfalls als Brandgrubengrab gezählt hat.
Das Material Eisen scheint für ein Ortband ungewöhnlich. Möglicherweise erkannte Wulff nicht,
dass es sich um Bronze handelte.
10
Vermutlich sind hier Niete mit rechteckigen Nietplatten gemeint.
Bei Wulff (1865, 645) ist von „3 bis 4 Fuß“ die
Rede.
11
Grundlagen
den sich in einer Tiefe von 0,6 m12 die Beigaben.
Auffällig ist Wulffs Bemerkung, in den Gräbern
hätten sich Urnen befunden, die aber aufgrund
der Porosität nicht geborgen werden konnten
(Wulff 1865, 645). Urnen kommen in den Hügelgräbern Wiskiautens nur äußerst selten vor.
Nach den Scherben zu urteilen, waren die Gefäße offenbar mit umlaufenden Linien verziert
(ebd. 645), was analog zu den Keramikfunden
aus Fläche 2 (vgl. Kap. C.5.6.2.2) und Fläche 4
(vgl. Kap. C.5.7.2.2) als Hinweis auf eine späte Datierung ins 11. oder 12. Jahrhundert zu
werten ist. Zum Schluss deckte Wulff (ebd.)
auch zwei Hügelgräber im Inneren der Kaup
auf. Die dabei entdeckten Gegenstände sollen
mit den im „spätheidnischen Aschenplatz“ getätigten Funden identisch gewesen sein (ebd.),
was aber aufgrund der fehlenden archäologischen Ausbildung Wulffs nicht verwundert
und nicht wörtlich zu verstehen ist.
Nach dieser ersten semi-wissenschaftlichen
Erschließung des Fundplatzes durch Wulff begann der Königsberger Maler und Professor
an der Kunstakademie Johannes Heydeck mit
systematischeren Ausgrabungen im Wäldchen
Kaup. Dies scheint bereits kurz nach den Untersuchungen Wulffs stattgefunden zu haben,
denn bei einer Sitzung der Prussia-Gesellschaft
vom 19. September 1873 heißt es, dass die
schon vor 8 Jahren begonnenen Ausgrabungen
fortgesetzt wurden (Bujack 1874, 81). Es ergibt
sich das Jahr 1865 als Beginn der regulären
Grabungen, wenn damit nicht Wulffs Aktivitäten gemeint sind. Ob es zuvor, wie Engel13 in
einem Zeitungsbericht klagt, auch zu weiteren
„planlosen“ Hügelöffnungen in der Kaup gekommen war, oder ob er sich in diesem Bericht
auf die baulichen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Verlegung der Straße oder gar auf
die Untersuchungen von Wulff bezieht, bleibt
dabei offen. Zunächst wurde in der kleinen
Kaup der große Steinzeithügel freigelegt (Bujack 1876a, 280; Heydeck 1893, 46). Im gleichen
Jahr muss Heydeck einen frühmittelalterlichen
Grabhügel angegraben haben (Bujack 1876a,
279). Ab diesem Zeitpunkt ist in „Abständen
von 2 zu 3 und 5 Jahren immer wieder dort
Die Beigaben lagen „2 Fuß“ tief (Wulff 1865,
645).
12
C. Engel, Nordische Piraten an ostpreußischer
Küste. Zeitungsartikel in der Königsberger Hartungschen Zeitung, Datum unbekannt (ALM).
13
19
gegraben worden, ohne das Gräberfeld ganz
zu erschöpfen“ (Heydeck 1900, 60). Die erste
qualitativ wertvolle Publikation Heydecks erschien im Jahre 1877 (ders. 1877). Bereits 1880
ist in den Jahresberichten der Prussia-Gesellschaft von „120 bei Wiskiauten geöffnete[n]
Gräber[n]“ die Rede (Ohne Verfasser 1880).
Um 1900 sollen der östliche und mittlere Teil
schon „nahezu ausgebeutet“ gewesen sein,
wohingegen im Westen noch viele unberührte Gräber vorhanden gewesen sein müssen
(Heydeck 1900, 61). Die Zahl der bis zur Jahrhundertwende untersuchten Bestattungen gibt
Heydeck (ebd. 60) mit „wohl an 250 Gräber“ an.
Zu dieser Zeit datierte Heydeck (1893, 57) die
Wiskiautener Gräber aufgrund der Funde von
arabischen Münzen in die zweite Hälfte des 8.
und in das 9. Jahrhundert. Interessant ist hier
allerdings die Bemerkung, dass er die Gesamtlaufzeit des Gräberfeldes in der Kaup als länger einschätzte. So erwähnte Heydeck (ebd.)
„neben den Wikingergräbern und solchen, die
nicht den gleichen Charakter aufweisen aber
dennoch derselben Zeit angehören, noch eine
große Zahl von Gräbern, die dem 10.-12. Jahrhundert zugerechnet werden müssen.“ Als
Argumente führte er die Bronzeschalen und
Eimerreifen an. Wenngleich eine Einordnung
ins 8. Jahrhundert sicherlich aus heutiger Sicht
falsch ist, lag Heydeck mit seiner Einschätzung der Gesamtlaufzeit doch annähernd richtig (vgl. Kap. B.6). Erwähnenswert ist an dieser
Stelle, dass Heydeck schon 1879 ein Pferdeskelett bzw. mehrere Skelettteile ausgegraben zu
haben scheint, die vermutlich mit der kleinen
Kaup und dem dortigen Flachgräberfeld in
Verbindung stehen. Das jedenfalls ist aus einer
Zeichnung aus den Prussia-Archivalien zu ersehen, eines der wenigen Dokumente aus der
Ära von Heydeck, das die Odyssee der Prussia-Sammlung (vgl. Kap. A.4.1.2) unbeschadet
überstanden hat. Auf der betreffenden Situationszeichnung (SMB-PK/PM-A 522/1 Blatt 050
und 051) ist ein Pferdeskelett mit Kopf im Süden und Trense im Maul zu erkennen (Abb. 2).
Eine zweite Zeichnung gibt einen Profilschnitt
wieder, der mehrere Skeletteile von Pferden
unter einer Brandschicht mit kalzinierten Knochen, Urnenscherben und Bronzefragmenten
zeigt. Hierbei handelt es sich offensichtlich um
den später als „spätheidnischen Aschenplatz“
bezeichneten Teil des Gräberfeldes in der sog.
20
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 2 Wiskiauten. Zeichnung eines Pferdeskelettes von J. Heydeck (SMB-PK/PM-A 522/1-050).
„kleinen Kaup“, der von Bearbeitern des 20.
Jahrhunderts als prussischer Friedhof des 11.
und 12. Jahrhunderts (Gaerte 1933a, 13), teilweise sogar des 13. Jahrhunderts (Engel 1932a,
140; von zur Mühlen 1975, 16) gedeutet worden ist.
Trotz der großen Menge an geöffneten Bestattungen ist die Anzahl der Publikationen zu
diesen frühen Ausgrabungen Heydecks leider
sehr klein. Das ist umso bedauerlicher, als die
Originaldokumente gerade dieser Zeit – abgesehen von wenigen Ausnahmen, so z.B. die
Zeichnung eines Pferdegrabes vom 21.6.1879
(SMB-PK/PM-A 522/1 Blatt 050 und 051) – heute nicht mehr auffindbar sind. Problematisch ist
weiterhin, dass nur außergewöhnliche Stücke
auch in den Publikationen abgedruckt worden
sind. Einfachere Funde wie z. B. Keramik oder
fragmentierte Gegenstände ohne damals erkennbare Funktion dagegen fanden nur selten
eine allgemeine Erwähnung (vgl. z.B. Heydeck
1877, 651), wenn ihr Vorhandensein überhaupt
vermerkt ist.
Abgesehen von den wissenschaftlichen Ausgrabungen Heydecks in dieser ersten Forschungsepoche scheint durch die Aktivitäten
der Königsberger Archäologen offenbar auch
die Aufmerksamkeit der Anwohner in der Gegend des Fundplatzes geschärft worden zu
sein. Schon 1877 weist G. Bujack (1877a, 661)
in den Sitzungsberichten der Prussia-Gesellschaft auf den Ankauf von Funden hin, die
einerseits beim Kiesfahren gefunden worden
sind, andererseits „auf dem Felde nahe dem
Wäldchen Kaup“ bei Wiskiauten aufgelesen
worden sein müssen. Weitere Ausgräber dieser frühen Phase sind „Dr. Prof. Schneider
und Bildhauer Eckhard“ (Heydeck 1877, 650)
sowie Kretschmann14 (von zur Mühlen 1975,
133 Nr. 48), der ein Hügelgrab zusammen mit
Heydeck untersuchte. Das Wäldchen Kaup
war bereits 1881 für seine reichen Funde „in
der Archäologie berühmt“ (Bujack 1881, 89).
Als nur kurzes Zwischenspiel lassen sich die
Ausgrabungen von A. Bezzenberger charakterisieren, die im Jahr 1896 stattfanden. Bezzenberger untersuchte lediglich zwei Hügelgräber15, von denen nur eines bei von zur Mühlen
(1975, 128 Nr. 30) katalogisiert ist.
Nachdem in dieser ersten Forschungsetappe
insgesamt geschätzte 250 Gräber bearbeitet
waren, hatte man einen für die damalige Zeit
recht umfassenden Wissensstand über die Nekropole und ihre Beziehung zur skandinavischen Welt gewonnen. Man interpretierte die
freigelegten Beigaben aus den Bestattungen
teilweise zunächst als gotländische Metallarbeiten (Heydeck 1877, 651-652), 1893 wurde
allgemeiner von den „Wikingerfunden“ (ders.
1893, 47) gesprochen.
Mit dem Tod Heydecks im Jahr 1910 endet
14
Vorname unbekannt.
Einer dieser Grabhügel wird bei von zur Mühlen
(1975, 128 Nr. 30) erwähnt, der zweite ergibt sich
aus der Literatur (Bezzenberger 1900a; Heydeck
1900, 62; Ohne Verfasser 1900, 259).
15
Grundlagen
diese erste intensive Forschungsepoche. Für
die nächsten fast 25 Jahre sind keine archäologischen Aktivitäten auf dem Gräberfeld von
Wiskiauten zu verzeichnen. Lediglich in der
Literatur wird das bisher geborgene Fundmaterial zu Analysen herangezogen. Wegweisend
war zuvor die Vermutung von Heydeck (1900,
62), zum Gräberfeld müsse eine Siedlung gehört haben. Dadurch wurde ab 1900 für die
kommenden 25 Jahre bis zum erneuten Einsetzen von Feldforschungen eine Phase eröffnet,
in der die Forschungen von der theoretischen
Beschäftigung mit dem Fundplatz geprägt sein
sollten.
Sicherlich steht das Ausbleiben von Feldforschungen zu Beginn des Jahrhunderts mit
der allgemeinen politischen Situation und der
forschungsgeschichtlichen Situation im Speziellen in Zusammenhang. Durch den Ersten
Weltkrieg und die folgenden Jahre wirtschaftlicher Depression fehlte offenbar das nötige
Geld. Kleemann (1939a, 4) führt „ungünstige
Umstände, die starke denkmalpflegerische
Belastung in der ausgedehnten Provinz, auch
wohl die innere Neuordnung des Landesamtes“ als weitere Gründe an.
Eine zweite Epoche intensiver Forschungen in
Wiskiauten wird durch M. Ebert und W. Gaerte in der Mitte der 1920er Jahre eingeleitet. Zunächst scheint Ebert ein einzelnes Grab aufgedeckt zu haben. Abgesehen von einer Fundauflistung bei von zur Mühlen (1975, 133 Nr. 51,
Grabhügel 151a) existieren keine Dokumente
dieser Einzelaktion. Sie sind entweder bis zum
Einsetzen des 2. Weltkrieges verloren gegangen oder haben gar nicht existiert (ebd. 62-63
Anm. 70). Gleiches gilt für zwei Gräber (ebd.
133 Nr. 49 und Nr. 50), die zwischen dem 16.
und 20. Juli 1927 durch W. Gaerte aufgedeckt
wurden. Insbesondere Aufzeichnungen zur
Ausgrabung Eberts wären interessant gewesen,
da dieser nur zwei Jahre später behauptet, die
Lage der Siedlung von Wiskiauten zu kennen
(Ebert 1926, 18)16.
Möglicherweise haben ihn die Ergebnisse seiner
Ausgrabung am erwähnten Hügelgrab zu dieser
Annahme verleitet, weshalb die Lage der Bestattung interessant wäre. Da es sich um den ehemaligen Grabhügel „151a“ (von zur Mühlen 1975,
133 Nr. 51) handelt, diese Nummer aber leider im
Katalog von zur Mühlens (ebd. 133 Nr. 51, 137
Nr. 69) zweimal erwähnt ist, läßt sich die exakte
16
21
Nach diesen anfänglichen Grabungen, bei denen es sich nur um vereinzelte Aktionen handelte, lenkte ein 1930 bei Rodungsarbeiten entdeckter Grabfund (Zeitungsartikel im ALM)
die Aufmerksamkeit der Prussia-Gesellschaft
erneut auf das Gräberfeld von Wiskiauten,
die im Jahr 1932 in der schwedisch-deutschen
Ausgrabungskampagne gipfelte.
Schon vorher bestanden anscheinend Kontakte zwischen H. Kemke und B. Nerman aus
Schweden, wie aus einem Brief vom 26.7.1929
aus den Archivalien des neu eingerichteten
Prussia-Archivs in Berlin hervorgeht (SMBPK/PM-A 522/1-62a). Darin schreibt Nerman,
offensichtlich auf Anfrage Kemkes, seine Einschätzung zu den Wiskiautener Funden, die
er offenbar im selben Jahr zum ersten Mal in
Königsberg gesehen hat. Gleichzeitig drückt er
Lage nicht mehr feststellen. Wahrscheinlich wurde das 1930 beim „Stubbenroden“ entdeckte Grab
(ebd. 137 Nr. 69, alte Grabnummer 151a) mit dem
Zusatz „a“ benannt, weil es in der Nähe des schon
damals kartierten Grabes 151 lag. Dieser Hügel mit
der alten Grabnummer 151 (heute keine Entsprechung) liegt im nordwestlichen Randbereich der
in den 1930er Jahren kartierten Gräber. Aussagen
zur Lage der Siedlung ergeben sich dadurch nicht.
Für diese Theorie spricht auch eine Skizze aus dem
Nachlaß Jankuhn, die vermutlich von Ebert selbst
angefertigt wurde. Sie verzeichnet im Südosten
des Wäldchens Kaup eine Siedlung, in deren Nähe
dann auch das von Ebert ausgegrabene Hügelgrab
gelegen haben könnte, zumal die Numerierung der
Gräber erst Anfang der 1930er Jahre durch Engel erfolgte. Auch die Angabe von Nerman (1932, 2), bei
einer erneuten Kartierung der Gräber in der Vorbereitung der schwedisch-deutschen Grabungen aus
dem Jahr 1932 sei mit Hilfe eines Distanzrohres der
alte Plan von Engel überprüft und ergänzt worden,
ist hier hilfreich. Nerman erwähnt in seinem Grabungsbericht, neue Gräber hätten den Zusatz „a“
erhalten. So ist es möglich, dass das 1930 entdeckte
Grab im Nordwesten des Gräberfeldes gelegen hat,
während sich die von Ebert freigelegte Bestattung
eher im Südbereich der Nekropole befunden haben
könnte. Abweichend ist hier allerdings eine Lageskizze, die das beim Stubbenroden entdeckte Grab
„151a“ 105 m westlich der Straße Wiskiauten-Wosegau zwischen den Grabhügeln 32 und 33 verzeichnet (SMB-PK/PM-A 522/1-85a). Diese Lage scheint
richtig zu sein, da auch auf dem Gesamtplan
(SMB-PK/PM-A 522/17-28 bis 34) an dieser Stelle
ein Kreuz erscheint, das im Plan von zur Mühlens
(1975 Taf. 2) als Flachgrab markiert ist.
22
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
den Wunsch nach einer persönlichen Besichtigung Wiskiautens aus. Offensichtlich bahnt
sich hier schon die Zusammenarbeit des Jahres 1932 an, in deren Verlauf insgesamt ca. 30
Gräber untersucht worden sind.
Einigen Zeitungsartikeln des Jahres 1931, verfasst von C. Engel17, ist zu entnehmen, dass es
anscheinend im Vorfeld der Entdeckung des
Grabfundes von 1930 zu großflächigen Rodungsarbeiten in der Kaup gekommen war.
Im Anschluss scheint sich das Gräberfeld, befreit von dichtem Unterholz, in einer bisher
nicht gekannten Klarheit präsentiert zu haben.
Allerdings ist es aufgrund der „katastrophalen Wirtschaftslage“ zu dieser Zeit „höchst
fraglich“ gewesen, ob es möglich sein würde,
„diese schwer gefährdeten Denkmäler noch
vor der Neubepflanzung zu retten oder wenigstens durch sachgemäße Untersuchung ihren
Inhalt für die Wissenschaft zu erhalten“.
Den von Engel geäußerten Wunsch nach sachgemäßer Untersuchung setzte man offensichtlich im Jahr 1932 in die Tat um, indem man
das Komitee für baltische Zusammenarbeit in
Stockholm einlud, an den geplanten Ausgrabungen in Wiskiauten teilzunehmen. Vermutlich war die Initialisierung eines schwedischdeutschen Projektes mit teilweise schwedischer
Finanzierung der rettende Einfall, um auch im
eigenen Land genügend Mittel für ein solches
Unternehmen ausfindig machen zu können. In
einem anderen Artikel vom 30. Dezember 1932
in der Zeitung „Grenzgarten“18 schreibt Engel,
dass das zur Hilfe gerufene Komitee sogar die
„erforderlichen Mittel“ bereitstellte. Auch die
Aktionen des Prussia-Museums waren damit
offenbar „größtenteils“ finanziell abgesichert.
Die Finanzierung wurde zumindest teilweise
von der A.G. Osram Elektraverken übernommen (Nerman 1932, 1), da der Schatzmeister
des Komitees für baltische Zusammenarbeit
Generalkonsul H. E. Henke der „Chef“ dieser
Firma war. Weitere Unterstützungen erfuhr die
Forschergruppe seitens der Notgemeinschaft
der Deutschen Wissenschaft, der Provinzialverwaltung Ostpreußen und der Kreisgemeinschaft Fischhausen (Gaerte 1933b, 73).
Vom Komitee als Leiter der Untersuchungen
Die Zeitungsartikel sind Bestandteil des Nachlassteiles von C. Engel im Nachlass von R. Grenz
im Archäologischen Landesmuseum Schleswig.
18
ALM.
17
bestimmt, kam Nerman in Begleitung seiner
beiden Assistenten I. Atterman und J.-E. Anderbjörk auf offizielle Einladung des Direktors des Prussia-Museums, W. Gaerte, für den
Zeitraum vom 6. September bis 7. Oktober
1932 nach Wiskiauten, um zusammen mit dem
Konservator des Prussia-Museums, F. Jaensch,
und dem Museumsvorsteher, H. Sommer, insgesamt 21 Hügelgräber19 freizulegen (Abb. 3).
Gleichzeitig fanden unter Leitung von C. Engel und P. Paulsen vom 16. September bis 15.
Oktober 1932 auch Ausgrabungen an weiteren
acht Gräbern20 statt, die in alleiniger Verantwortung des Prussia-Museums durchgeführt
wurden. Es handelte sich also um eine organisatorische Zweitteilung, die neben der räumlichen Trennung der Arbeitsbereiche auch eine
unterschiedliche Grabungsmethodik zur Folge hatte. Auch die Überlieferung in den Archivalien wurde dadurch beeinflusst. Die weitaus
vollständigste Sammlung von Grabzeichnungen findet sich heute im Nachlass von Birger
Nerman (Nerman 1932) in Stockholm, wohingegen die Zeichnungen aus dem Prussia-Museum nahezu zerstört sind.
Dennoch sind diese Ausgrabungen und die der
folgenden Jahre mit Abstand am besten überliefert, da einerseits sehr genaue Grabungsberichte angefertigt wurden, andererseits auch
viele dieser Dokumente die wechselvolle Geschichte der Prussia-Sammlung überlebt haben.
Besonders wertvoll sind neben den durch die
Anfertigung auf einer Schreibmaschine sehr
gut lesbaren Berichten die insgesamt etwa 400
fotografischen Aufnahmen der in dieser Zeit
freigelegten Bestattungen. Auch der Gesamtplan resultiert aus der Epoche gemeinsamer
schwedisch-deutscher Forschungen, wenngleich schon vorher ein erster Plan von Engel
erstellt worden sein muss (Nerman 1932, 1)21.
Grabnummern bei Nerman (1932): 43, 44, 55, 64,
72, 73, 133, 138, 139, 139a, 140, 141, 143, 144, 144a,
144b, 185, 189, 204, 207.
20
Gräber 170, 170a, 170b, 170c, 170d, 172, 174, 175
(von zur Mühlen 1975, 137-139 Nr. 72 – 79) sowie
Gräber 170 e und 162.
19
Tatsächlich existieren sowohl in Stockholm (Riksantekvariet Ämbetet) als auch im neu eingerichteten Prussia-Fundarchiv Berlin Gesamtpläne des
Gräberfeldes. Beide Pläne sind als Umzeichnung
publiziert (Nerman 1942 Fig. 85; von zur Mühlen
1975 Taf. 2).
21
Grundlagen
23
Abb. 3 Ausgrabungen in Wiskiauten von B. Nerman und C. Engel. Zeitungsartikel von 1932 (Königsberger
Allgemeine Zeitung, ALM Schleswig).
Nach diesem schwedisch-deutschen Gemeinschaftsprojekt lag die weitere Untersuchung
der Nekropole wiederum allein in den Händen der Prussia-Gesellschaft, wobei die Aktivitäten der folgenden Jahre schwer zu differenzieren sind. Finanziert durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, wurden die Grabungen anscheinend im Jahr 1933
von Kleemann fortgesetzt (Kleemann 1933,
247). Neben einem Gesamtnivellement der
Nekropole soll zwischen Anfang August und
Ende Oktober innerhalb von neun Wochen
besonders der Südostteil des Gräberfeldes
untersucht worden sein. Dokumente zu diesen Grabungen existieren nicht. Das ist um so
erstaunlicher, als nicht weniger als zwei Grabhügel, ein wikingerzeitliches Flachgrab sowie
mindestens vier weitere Bestattungen oder Befunde untersucht wurden und zusätzlich auch
die Frage der Ausdehnung des Aschenplatzes
in südlicher Richtung ermittelt werden konnte.
Für das Jahr 1933 wird bei von zur Mühlen
(1975, 139 Nr. 80) lediglich eine Grabung von
K. Voigtmann22 aufgeführt, die aber nach den
Archivalien zu urteilen (SMB-PK/PM-A 522/8277-288) erst im Jahr 1934 durchgeführt wurde. In diesem Jahr scheint zunächst W. Gaerte
vom 23. – 27. Juli, im Anschluss K. Voigtmann
vom 28. Juli bis 12. Oktober und letztlich F. Jaensch vom 13. – 19. Oktober für die Ausgrabungen verantwortlich gewesen zu sein (SMBPK/PM-A 522/8-277). Dabei wurden die Hügel
Grabhügel 181 (Von zur Mühlen 1975, 139 Nr.
80).
22
24
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
16323, 16724, 18125, 18326, 18427 aufgedeckt und
bis auf Hügel 163 vollständig untersucht (SMBPK/PM-A 522/8-277-288). Gleichzeitig wurden
auf Veranlassung Gaertes Suchgräben in der
Umgebung des sog. „spätheidnischen Aschenplatzes“ angelegt. In der Literatur wird ein
Jahr später besonders auf die Freilegung des
Hügels 163 hingewiesen (Gaerte 1935a, 40f.).
Für den Zeitraum vom 5.8. – 12.9.1935 lässt
sich rekonstruieren, dass in diesem Jahr „zwei
altpreußische Bestattungen mit Pferden, mehrere wikingische Brandgruben, 2 wikingische
Flach-Brandgräber, ein beigabenloses Körpergrab, ein Grab mit drei Toten wikingischer
Zeit und ein reich ausgestattetes wikingisches
Körpergrab im Bohlensarg“ (Ohne Verfasser
1935, 170) dokumentiert worden sind. Auch
an anderer Stelle wird von diesen Grabungen
berichtet (Agde 1936, 9). Demnach soll eine
„Restuntersuchung an Hügel 163“ stattgefunden haben. Auch das komplett im Block geborgene Skelettgrab in Hügel 192 (vgl. Abb. 8, a.b)
sowie Grab 151 mit drei Bestattungen und ein
in der Nähe gelegenes Hockergrab gehören zu
den damals freigelegten Befunden. Der gleichen Quelle ist zu entnehmen, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft diese Untersuchungen unterstützt hat.
1936 kaufte die Regierung, vertreten durch den
„Minister für Wissenschaft, Erziehung und
Volksbildung und den Oberpräsidenten (Verwaltung des Provinzialverbandes)“ einen großen Teil des Gräberfeldes auf (Ohne Verfasser
1936; Gaerte 1937). Zweck dieser Maßnahme
war die Erhaltung des Gräberfeldes und die
Einrichtung eines „Naturschutzparkes“ bzw.
eines „Wikingerhaines“, der „als ehrwürdiges
Denkmal der nordisch-germanischen Blutsverwandten und Kulturträger auf den Besucher den gewünschten nachhaltigen Eindruck
Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog
der Grabnummer 70.
23
Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog
der Grabnummer 71.
24
Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog
der Grabnummer 80.
25
Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog
der Grabnummer 81.
26
Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog
der Grabnummer 82.
27
Abb. 4 Wiskiauten. Holzhütte mit Schautafeln im
Wäldchen Kaup, vermutlich aus dem Jahr 1935
(SMB-PK/PM-A 522/29-190).
nicht verfehle[n]“ sollte (ebd.). Schon vorher
hatte man offensichtlich mehrere kleine Informationstafeln installiert, die auf einem 1935
von Kleemann aufgenommenen Foto im Prussia-Archiv (Abb. 4) an der Wand einer kleinen
Holzhütte erkennbar sind. Ob diese Tafeln für
einen kurzfristigen Besuch der Presse oder einer besonderen Persönlichkeit oder dauerhaft
für Besucher aufgehängt wurden, ist nicht zu
ermitteln.
Von der bei von zur Mühlen (1975, 137 Nr. 71)
erwähnten Untersuchung des Grabhügels 167
aus dem Jahr 1937 durch Kleemann ist in den
Prussia-Archivalien ebenfalls kein Material
überliefert. Vom 6. – 8. September 1939 scheint
entweder W. La Baume selbst oder mit Unterstützung von D. Bohnsack eine Massenbestattung mit sieben Skeletten unter einem Steinpflaster freigelegt zu haben. Im Anschluss
erfolgte im gleichen Jahr 1939 die Nachuntersuchung der Hügel 163 und 175. Besonders
die Untersuchung an letzterem wird als Nachuntersuchung in einem schon von Paulsen
erforschten Grab bezeichnet (SMB-PK/PM-A
522/10-334). So ist es auch möglich, dass Hügel 163 ein zweites Mal nachuntersucht wurde,
wofür auch ein Hinweis aus dem Grabungsbericht von 1934 (ebd.) spricht: „Die wissenschaftlichen Untersuchungen an Hügel 163
für dieses Jahr abgeschlossen.“ Anscheinend
dauerte die Arbeit aufgrund der vielen vorgefundenen Skelette in diesem Hügel länger an
als geplant und wurde in mehreren Etappen
vollzogen.
Grundlagen
Nach dem Jahr 1939 scheinen keine Ausgrabungen mehr stattgefunden zu haben. Lediglich vom Beginn der Bauarbeiten zur Wiederherstellung des Denkmales und der Herrichtung für die Öffentlichkeit ist in der Literatur
zu lesen (La Baume 1939; 1941b; Ohne Verfasser 1939a-b). In diesem Zusammenhang wurden Ausholzungen vorgenommen und der
Wald durch Anlage von Wegen besser zugänglich gemacht. Die endgültige Umgestaltung ist
anscheinend durch die Kriegsereignisse unterbrochen worden, spätere Berichte sind der
Literatur nicht mehr zu entnehmen.
A.4.1.2 Prussia-Verlagerungsgeschichte
Während der wechselvollen Verlagerungsgeschichte der Prussia-Sammlung sind auch die
Materialien zu Wiskiauten stark in Mitleidenschaft gezogen worden und dementsprechend
heute in unterschiedlichen Institutionen verteilt. Der Großteil der Funde war kurz vor Ende
des Krieges in Raum 5 der sog. Schausammlung im Südflügel des Königsberger Schlosses
ausgestellt. In einem der Türme des Schlosses
existierte sogar ein eigener Raum, der speziell als Wikingerausstellung hergerichtet war
(Kleemann 1937b, 354).
Um die vorgeschichtlichen Sammlungen der
Gefahr durch Luftangriffe zu entziehen wurden bereits 1943 das gesamte Fundarchiv sowie ein großer Teil der sogenannten Studiensammlung nach Carlshof, Kr. Rastenburg (heute Karolewo, Gm. Kętrzyn, Woj. WarmińskoMazurskie,) ausgelagert (Reich 2005, 46; Ibsen
2005, 24).
Von hier gelangten unter anderem mehrere Keramikgefäße28 aus Wiskiauten kurz nach dem
Krieg ins Muzeum Warmii i Mazur in Olsztyn,
Woj. Warmińsko-Mazurskie (ehemals Allenstein, Kr. Allenstein) und sind heute noch dort
erhalten. Außerdem lagern hier einige Dokumente von Heydeck zum steinzeitlichen Hügelgrab.
Es handelt sich um insgesamt fünf Gefäße aus
den Gräbern 170A (von zur Mühlen 1975, 137 Nr.
73), 43 (ebd. 134 Nr. 52), 174 (ebd. 138 Nr. 78) sowie
zwei weiteren, nicht sicher identifizierbaren Bestattungen („Grab 5/1932“ und „VI.431.12806“). Für die
Erlaubnis zur Einsichtnahme in die Archivbestände sowie die Zusendung mehrerer Zeichnungen sei
Dr. M. Hoffmann und Dr. J. Sobirajski (beide Muzeum Warmii i Mazur, Olsztyn) herzlich gedankt.
28
25
Durch Vermittlung von Engel sind Teile des
in Carlshof lagernden Fundmaterials auf zwei
Eisenbahnwaggons verteilt zuvor bereits nach
Demmin in Vorpommern transportiert worden,
wo neben den Funden auch Grabungsberichte
auf dem Dachboden des Gutshofes Broock bei
Demmin gelagert worden sind, während ein
zweiter Teil in einem leerstehenden Barbierladen in Demmin zwischengelagert wurde.
Beide Sammlungsteile gelangten später nach
Ost-Berlin ins Museum für Vorgeschichte. In
diesem Fundus waren die heute im Museum
für Vor- und Frühgeschichte - Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz zu Berlin befindlichen Dokumente29 sowie einige Originalfunde30 aus Wiskiauten enthalten.
Die sog. Schausammlung, darunter die in den
Ausstellungsräumen des Prussia-Museums
präsentierten wertvollsten Funde sind 1944
in den Katakomben des Kaliningrader Forts
Nr. III in Quednau im Nordosten Königsbergs
eingemauert worden. Während der Nutzung
dieser Festung durch die sowjetische Armee
in der Folgezeit sind vereinzelt Funde aus der
Sammlung auf den Schwarzmärkten aufgetaucht, ohne jedoch das Interesse zuständiger
Behörden zu wecken. Erst nach Abzug der
Armee am Anfang der 1990er Jahre tauchten
erneut Funde auf dem Kaliningrader Schwarzmarkt auf, die von den Kaliningrader Archäologen K. Skvorzov und A. Valujev zweifelsfrei
der Prussia-Sammlung zugeordnet werden
konnten. In der Folge sind ab dem Jahr 2000
insgesamt mehr als 30 000 Prussia-Funde in
den Kasematten von Fort Nr. III ausgegraben
worden, darunter etwa 50 Originalfunde aus
Wiskiauten31.
29
SMB-PK/PM-A 522/1-47.
So z.B. das Schwert mit der Inv.-Nr. V, 146,
7746:11 aus einem Grab ohne Nummer (von zur
30
Mühlen 1975, 131 Nr. 41), ein Schwert aus einem
Grab ohne Nummer (ebd. 127 Nr. 26), oder der
Schwertknauf aus einem Grab ohne Nummer (ebd.
122 Nr. 1). Weitere Funde sind vermutlich noch
nicht identifiziert.
Diese Funde sind seit dem Jahr 2005 teilweise in
einer Dauerausstellung zum „Prussia-Museum“
im Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad
zu sehen.
31
26
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
A.4.1.3 Sowjetische und russische Forschungsepoche nach 1945
Nachdem die sowjetische Forschung nur zwei
Jahre nach Kriegsende mit archäologischen
Forschungen in der Region begann, wird der
Komplex von Wiskiauten erst 1956 durch die
Kaliningrader Abteilung der sog. Baltischen
Expedition unter der Leitung von Frida D.
Gurevič erneut untersucht (Gurevič 1963; Kulakov 2005, 56) und im Jahr 1958 fortgesetzt.
Insgesamt sind dabei 20 Grabhügel32 und zwei
Steinsetzungen dokumentiert worden. Ein Jahr
später, 1959, sind weitere sieben Hügelgräber
geöffnet worden33.
Nach einer Pause von 21 Jahren, die in einer
besonderen, auf die Suche nach slawischen
Ursprüngen der Region Kaliningrad ausgerichteten Forschungsstrategie der Sowjetunion
begründet lag, welche zwangsläufig zu negativen Ergebnissen führte (Kulakov/Tiurin 2007,
21) und in der es zu massiven Aktivitäten von
Raubgräbern kam (Kulakov 2005, 61), widmete sich Kulakov (1989; 2005) ab dem Jahr 1979
erneut der Nekropole und insbesondere auch
deren Umfeld. Erstmals wurden Luftbildaufnahmen ausgewertet, um Hinweise auf den
Standort der Siedlung zu gewinnen (ebd.).
Nach einem ersten Probeschnitt im südwestlichen Teil des Wäldchens, angelegt zur Überprüfung einer auffälligen Konzentration von
Oberflächenfunden, wurde eine als Teil eines
Hauses interpretierte Steinsetzung lokalisiert
(Kulakov 2005, 62-63). Im folgenden Jahr wurden die Untersuchungen der vermeintlichen
Siedlungsspuren fortgesetzt, wobei neben einem zweiten Hausgrundriss auch vier Grabhügel (K 172, K 174, K 175, K182/182) untersucht werden konnten. Nach einer Pause von
20 Jahren setzte Kulakov die Grabungen seit
dem Jahr 2000 fort. Bis zum Abschluss dieser
Studie sind weitere fünf Grabhügel34 unterBei Kulakov (2005) sind abweichend nur folgende Hügel im Katalog angegeben: KI, KII, Grabhügel III, K1 bis K11, also nur 14 Hügel insgesamt.
Gurevič (1963, 198) selbst schreibt von 20 untersuchten Hügeln. Zu einigen finden sich im Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad Archivalien in Form von Grabungsberichten.
33
Diese Grabhügel, zu denen im Archiv in Kaliningrad Zeichnungen existieren, sind bei Kulakov
(2005) nicht erwähnt.
32
34
Bislang sind nur die Ergebnisse zu den Grabhü-
sucht worden. Abgesehen von den überhügelten Bestattungen konnten dabei auch mehrere
Befunde dokumentiert werden, bei denen es
sich um Flachgräber handeln dürfte35.
Insgesamt sind bei den bisherigen Ausgrabungen somit seit Beginn der ersten Aktivitäten
von Wulff (1865) geschätzte 325 Bestattungen
untersucht worden. In der überwiegenden
Mehrzahl handelt es sich um Grabhügel. Konkrete Informationen zu Grabbau und Funden
liegen immerhin für etwas weniger als die
Hälfte vor. Insbesondere die Ausgrabungen
aus deutscher Zeit vor dem Jahr 1900 sind nur
spärlich dokumentiert, was einerseits mit den
damals niedrigeren ausgrabungstechnischen
Standards erklärt werden kann, andererseits
in der wechselvollen Geschichte der PrussiaSammlung begründet liegt, die als denkmalpflegerisches Archiv fungiert hat und durch
die komplizierte Verlagerungsgeschichte nur
noch in Resten existiert.
8888Seit der politischen Wende des Ostens und
dem Beginn der Perestroijka-Zeit lässt sich ein
weiteres, dunkles Kapitel von forschungsgeschichtlichem Interesse anschließen. Es betrifft
die Raubgrabungen im Gräberfeld in der Kaup
bei Wiskiauten, die seit den 1990er Jahren
extrem zugenommen haben. Fast jedes Jahr
werden mehrere Grabhügel geplündert. Davon zeugen rechteckige Raubschächte in den
Hügeln (Abb. 5). Teilweise deutet bereits die
Form oder Größe der Raubschächte auf die zu
vermutende, zerstörte Bestattung hin. So sind
Raubgruben von 3 x 4 m vorsichtig als Doppelbestattungen oder Bestattungen mit Pferdebeigabe zu interpretieren. In der jüngsten Vergangenheit stand das Gräberfeld von Wiskiauten
auf einer inoffiziellen Liste der am stärksten
von Raubgrabungen betroffenen Fundplätze
Russlands auf Platz 136. Immer wieder tauchen
auf den Schwarzmärkten in Kaliningrad und
Moskau Funde auf, deren Herkunftsort mit
Wiskiauten angegeben wird. Auch die Bereiche zwischen den Hügeln werden offenbar
regelmäßig von Sondengängern auf Funde
abgesucht, wie die typischen kleinen quadrageln K 167/167 und K 128/146 publiziert (Kulakov
2005, 70ff.).
35
Freundl. Auskunft des Ausgräbers.
Freundl. mündl. Mitteilung von Prof. V. I. Kulakov.
36
Grundlagen
27
Abb. 5 Wiskiauten. Hügelgräberfeld im Winter 2006, im Vordergrund Prof. Dr. Claus von Carnap-Bornheim.
tischen Gruben zu erkennen geben. Von den
einst über 500 Hügeln dürften durch wissenschaftliche und illegale Grabungen mehr als
400 Grabhügel bereits ausgegraben, zerstört
oder gestört sein. Die verbleibenden Hügel bedürfen dringend eines angemessenen Schutzes
und weiterer Ausgrabungen.
A.4.2 Forschungsgeschichte der Siedlungsuntersuchungen
Die Forschungsgeschichte zu den Siedlungsuntersuchungen lässt sich zunächst grob in
drei unterschiedliche Epochen einteilen.
Der erste Abschnitt ist bestimmt durch die Arbeiten deutscher Archäologen vor 1945 und
blieb im Prinzip ergebnislos. Der zweite Abschnitt ist von den Forschungen russischer
Archäologen geprägt. Immerhin stammen aus
dieser späteren Zeit konkrete Hinweise, die es
bei den aktuellen Untersuchungen zu berücksichtigen und zu prüfen galt. Insbesondere V.
I. Kulakov (2005, 62) beansprucht für sich die
Entdeckung der Siedlung aufgrund von Grabungsschnitten, die zwei Hausbefunde enthal-
ten sollen, sowie der Auswertung eines sowjetischen Luftbildes (ders. 1989, 84 Abb. 3; 1994,
82 Abb. 39). Eine neue Epoche wurde durch
Untersuchungen des Archäologischen Landesmuseums in Zusammenarbeit mit dem Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad
und der Baltischen Expedition der russischen
Akademie der Wissenschaften Moskau im Jahr
2005 eingeleitet und dauert bis heute an.
A.4.2.1 Deutsche Forschungen vor 1945
Die Frage nach der zum Gräberfeld gehörenden Siedlung taucht erst am Beginn des 20.
Jahrhunderts auf. Zuvor beschränkte man sich
auf die Erforschung der Grabstätten selbst.
Erst nach dem Jahrhundertwechsel formuliert
Heydeck (1900, 62) die Aussage, die Wiskiautener Gräber ließen vermuten, dass „in dieser
Zeit hier im Samlande größere Ansiedlungen
von Skandinaviern existiert haben“ müssen.
Bald danach wird in einem Aufsatz von H.
G.Voigt (1901, 349) die Frage der Wikingersiedlung von Wiskiauten behandelt. Hollack
(1908, LXXXVII) bringt die Siedlung von Wis-
28
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
kiauten mit der durch Saxo Grammaticus (Gesta Danorum, Buch X, 5; vgl. Holder 1886, 328)
Ende des 12. Jahrhunderts überlieferten Geschichte zusammen, nach der Haquinus, der
Sohn Harald Blauzahns37, im Samland eine dänische Kolonie gegründet habe.
Mitte der 1920er Jahre scheint die Diskussion
um diese Siedlung erneut entfacht zu sein (La
Baume 1926, 93). Diese ersten Lokalisierungsversuche stellen jedoch rein theoretische Abhandlungen aufgrund von Ortsnamensforschungen mit Hilfe literarischer Quellen dar.
Konkret beansprucht M. Ebert (1926, 18) die
Entdeckung der Siedlung für sich, bleibt den
archäologischen Beweis aber schuldig (von
zur Mühlen 1975, 68 Anm. 230). Das Ausbleiben von ausgedehnten Geländeforschungen in
dieser Zeit führt Kleemann (1939a, 4) auf „ungünstige Umstände, die starke denkmalpflegerische Belastung in der ausgedehnten Provinz,
auch wohl die innere Neuordnung des Landesamtes“ zurück.
In den 1930er Jahren wird die Existenz der
Siedlung von Wiskiauten niemals angezweifelt.
Auch ohne konkrete archäologische Hinweise
galt die Anwesenheit des Gräberfeldes als hinreichender Beweis, dass eine solche Siedlung
bestanden haben muss. So schreiben mehrere
Autoren wie selbstverständlich von der Kolonie der Wikinger im Samland (vgl. z.B. Engel
1931a), die in einigen offenbar nationalistisch
gefärbten Texten schnell zur Militärkolonie
avancierte (Ohne Verfasser 1932).
Erst mit Beginn der maßgeblich durch H. Jankuhns Grabungen in Haithabu Anfang der
1930er Jahre geprägten Siedlungsarchäologie
und unter dem Einfluss der großen Grabungen in Birka und Wolin stieg das Interesse, der
Frage der Siedlung auch durch archäologische
Methoden näher zu kommen und im Umfeld
des Gräberfeldes von Wiskiauten entsprechende Strukturen zu lokalisieren, merklich an
(Kleemann 1939a, 4).
Eine konkrete Lagebezeichnung für die Siedlung benennt zu dieser Zeit lediglich Engel
(ALM) in einem Zeitungsbericht38 vermutlich
aus dem Jahr 1932 oder 1933 in der Folge der
schwedisch-deutschen Ausgrabungen. Seiner
Vermutung zufolge muss die Niederlassung in
der Nähe des Bahnhofs Bledau39 gelegen haben, also im Osten des Gräberfeldes.
Die Versuche deutscher Archäologen, die zum
Gräberfeld von Wiskiauten gehörige Siedlung
zu lokalisieren, hat zuletzt Kleemann in zwei
zeitlich kurz aufeinanderfolgenden Aufsätzen
zusammenfassend beschrieben (Kleemann
1939a; 1939b). Insbesondere seine Erwähnungen der durchgeführten Grabungsschnitte
sind sehr hilfreich für die Beurteilung der angewandten Methoden einerseits und ihrer negativen Ergebnisse andererseits. Nach seinen
Schilderungen wurden großflächige Feldbegehungen im Umfeld der Kaup durchgeführt,
blieben aber ergebnislos. Weiterhin beschreibt
er die Anlage von mehreren Suchschnitten. Interessant sind seine Ortsangaben zu den Sondagen. So soll östlich und westlich der Straße
Wiskiauten-Wosegau auf einem Absatz des
heute noch deutlich terrassenartig gestalteten
Geländes je ein Suchgraben angelegt worden
sein, der aber in beiden Fällen ebenso wie ein
von der Kaup nach Osten angelegter Suchschnitt von „erheblicher Länge“ ohne nennenswerte Funde oder Befunde blieb (Kleemann
1939a, 6; 11).
Besondere Bedeutung hat eine Zusammenstellung der archäologischen Fundplätze in
der Umgebung der Kaup, mit der Kleemann
(1939b) die Lokalisierung der Siedlung anhand
der Kartierung dieser Denkmäler bezweckte
bzw. Hinweise auf ihre Lage durch den räumlichen Bezug zu anderen Fundstätten suchte.
Hilfreich ist der dortige Katalog der insgesamt
77 Fundstellen aller Zeitstufen, der dem Bereich allgemein eine lange Besiedlung bei unterschiedlicher Intensität in den verschiedenen
Zeiten bescheinigt. Interessant ist die Erwähnung von Fundstellen des 13. oder 14. Jahrhunderts (ebd. 224f. Fundstellen „Wosegau 3“ und
„Wosegau 4“), die sich in der Nähe der im Jahr
2005 angelegten Fläche 3 befinden. Hier wurde während einer Ausgrabung am 18.10.1938
angeblich eine Kulturschicht von bis zu 0,35
m Mächtigkeit mit Tierknochen, Resten von
Lehmbewurf und Holzkohle dokumentiert.
Abgesehen von prussischen Fundplätzen,
Alternativ wird die Gleichsetzung von „Haquinus“ mit dem norwegischen Jarl Hakon diskutiert
(Baranauskas 2004, 76).
Als „Bahnhof Bledau“ oder „Haltepunkt Bledau“
wurde die letzte Bahnstation auf dem Weg von
Königsberg nach Cranz bezeichnet, die etwa 3 km
südlich des Cranzer Bahnhofs lag.
37
38
Der Name der Zeitung ist nicht überliefert.
39
Grundlagen
29
meist Burgwällen, fehlen wikingerzeitliche
Fundstellen in diesem Bild. Kleemann (1939b,
216) favorisierte anschließend den Bereich um
die Ortschaft Wosegau, schloss aber auch eine
Lage beim Bahnhaltepunkt Bledau am Rand
der Niederungszone im Osten des Hügelgräberfeldes nicht aus.
Den einzigen konkreten Hinweis auf die genaue Lokalisierung der Siedlung liefert eine
Archivalie, die sich heute im Nachlass von
Herbert Jankuhn im Archäologischen Landesmuseum Schleswig befindet. Das Schriftstück
(Abb. 6) könnte aus der ehemaligen PrussiaSammlung stammen. Wahrscheinlicher allerdings ist, dass es sich um ein Original aus einer
privaten Material-Sammlung handelt, zu der
Jankuhn Zugriff hatte. Der Handschrift nach
könnte es sich um ein Dokument von Max
Ebert handeln40.
Die Archivalie gibt den als Rechteck eingezeichneten und somit sehr stark schematisierten Umriss des Wäldchens Kaup, das Vorwerk
Wiskiauten sowie die Bahnlinie von Königsberg nach Cranz wieder. An der Südostecke
des Wäldchen ist ein Halbkreis mit dem handschriftlichen Zusatz „etwa hier die Siedlung“
eingezeichnet. Ob es sich dabei aber um die
wikingerzeitliche Siedlung handelt oder ob
eine andere Datierung zugrunde liegt, lässt
sich dem Dokument allein nicht entnehmen.
Lediglich die Einordnung des Schriftstückes
in den Wiskiauten betreffenden Archivalienteil innerhalb von Jankuhns Nachlass, die Jankuhn vermutlich selbst durchgeführt hat, gibt
einen Hinweis auf die Zugehörigkeit zum hier
zu besprechenden Fundplatz.
Falls es sich tatsächlich um eine Skizze von M.
Ebert handelt, was aufgrund des engen LehrerSchüler-Verhältnisses von Ebert und Jankuhn
und der daraus möglicherweise resultierenden Einsichtnahme Jankuhns in private Aufzeichnungen Eberts durchaus denkbar wäre,
gewinnt die Skizze große Bedeutung für die
Diskussion um die Lage der Siedlung.
Trifft die Vermutung zu, so könnte es sich um
die Bestätigung der Aussage von Ebert (1926,
18) handeln, bei der er die Entdeckung der
Siedlung für sich in Anspruch nimmt, den Beweis jedoch schuldig bleibt (von zur Mühlen
1975, 68 Anm. 230). Ebert (1926, 18) schreibt:
„Im Samlande lag eine schwedische Kolonie bei
Cranz. Das Gräberfeld ist seit langem bekannt
(Wäldchen Kaup bei Wiskiauten), die Siedlung
habe ich durch eine Probegrabung im Sommer
1924 festgestellt.“ Den genauen Ort nennt er
nicht, auch über die Art der Befunde lässt er
den Leser im Unklaren. Äußerst wichtig ist in
diesem Zusammenhang eine wohl mündliche
Aussage von Voigtmann (Kleemann 1939b,
202 Anm. 1), dass „Ebert die Stelle dicht südlich der Kaup gefunden“ habe. Diese Aussage
ohne Anführung von Gründen ließ sich aber
nicht überprüfen, da Unterlagen nicht vorhanden waren. Möglicherweise ist daher das Dokument aus dem Nachlass Jankuhns der erste
und einzige Hinweis auf die Aussage Eberts
und die von ihm identifizierte Siedlung. Leider befindet sich genau an der betreffenden
Stelle ein in sowjetischer Zeit errichteter Gebäudekomplex mit großräumig durch Beton
versiegelten Flächen, die sich dadurch der archäologischen Prüfung entziehen. Zudem ist
die Skizze sehr ungenau. Trotzdem sind auch
diese Bereiche in Überlegungen zur Lage der
Siedlung einzubeziehen.
Eine weitere interessante Randbemerkung
ergibt sich aus einem Aufsatz von J. Martens
(1996, 52 Anm. 1), in der er die Existenz einer
„Waffenschmiede“ aufgrund einer mündlichen
Aussage eines ehemaligen Ausgräbers als Hinweis auf das Vorhandensein einer Siedlung
deutet. Leider bleiben Name des Ausgräbers,
Ausgrabungsjahr und Befundbeschreibung
unerwähnt, so dass der Hinweis kaum zu verwerten ist41.
Für diese mündliche Information bedanke ich
mich bei Herrn M. Malliaris, Prussia-Archiv Berlin.
Für die freundliche, briefliche Konversation und
die Auskünfte danke ich Dr. J. Martens.
40
41
30
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 6 Wiskiauten. Skizze zur Lage einer Siedlung südlich des Wäldchens Kaup (Skizze nicht genordet),
vermutlich von M. Ebert (ALM Schleswig).
A.4.2.2 Russische Forschungen zwischen 1945
und 2005
Wesentlich konkreter sind die Ergebnisse der
sowjetischen und später russischen Forschungen im Umfeld des Gräberfeldes von Wiskiauten, die ab dem Jahr 1979 initiiert wurden.
Schon im Zeitraum zwischen 1956 und 1959
hatte F. D. Gurevič einige Bestattungen im Gräberfeld freigelegt. In diesem Zusammenhang
sind aber keine Siedlungsspuren dokumentiert worden. Eine rechteckige Steinsetzung
von 4,5 x 0,75 m in der Nähe der untersuchten
Hügelgräber wird als Opferstätte interpretiert
(Kulakov 2005, 59), ein Siedlungsbefund liegt
somit nicht vor.
Erst V. I. Kulakov (2005, 62ff.) erfasste in zwei
Grabungen in den Jahren 1979 und 1980 zwei
Steinsetzungen und diese begleitende Befunde,
die er als Hausgrundrisse interpretierte.
Die Auffindung dieser Befunde schreibt Kulakov (1989, 85; 2005, 62) der Auswertung eines
sowjetischen Luftbildes zu, die im Jahre 1989
erstmals publiziert wurde. Die interpretierende Umzeichnung (ders. 1989, 83 Abb. 2; 1994,
82 Abb. 39) zeigt an mehreren Stellen amorphe
oder rundliche Strukturen, deren Größe nur geschätzt werden kann und die im Abgleich mit
dem Originalbild42 kaum deutlich zu erkennen
sind. Sie liegen im Norden, Osten, Süden und
Westen des Gräberfeldes, was zunächst überall
in der Umgebung der Kaup Befunde erwarten
lässt. Etwas deutlicher erkennbar ist der von
Kulakov postulierte Siedlungsbereich südwestlich der Kaup, der im Luftbild als leicht
Für die Erlaubnis zur Begutachtung des Originalbildes bedanke ich mich bei Prof. V. I. Kulakov.
42
Grundlagen
erhellte Fläche hervortritt, die aber allein betrachtet kaum ausreicht, eine Kulturschicht zu
belegen.
Unterstützend führt Kulakov (2005, 62) Streufunde vom „Gebiet der offenen Siedlung“ an,
darunter Keramikfragmente handgemachter
Ware, Schleifsteinbruchstücke und Fragmente
von Horn- und Knochenobjekten sowie ihrer
Halbfabrikate. Zur Überprüfung der vermuteten Kulturschicht legte Kulakov (ebd.) einen
Grabungsschnitt an und fand tatsächlich eine
Schicht von 0,7 m Mächtigkeit, die aus einer
Mischung von Lehm, Holzkohle und handgemachten Keramikfragmenten bestand. Eine
Steinstruktur wurde als Hausgrundriss gedeutet. Die während dieser Sondage und in
einer weiteren am Fuß des Grabhügels K 174
freigelegten Steinkonstruktion aber sind nur
schwer als direkter Nachweis von Hausgrundrissen zu bewerten, da sich aus der Zeichnung
keine regelmäßige Steinsetzung erkennen lässt.
Der ergrabene Abschnitt ist letztlich zu gering.
Auffällig aber bleibt das Fundmaterial, das
auch eine Scherbe mit Rillenverzierung enthalten soll (ebd. 63), die im Gräberfeld Parallelen findet und, unabhängig von der Funktion der Strukturen, zumindest einen zeitlichen
Zusammenhang zwischen den ergrabenen
Befunden und den Bestattungen im Wäldchen
Kaup herzustellen scheint. Allerdings ist ein
entsprechendes Gefäß nur aus dem Grabhügel
163 bekannt (von zur Mühlen 1944, 148 Abb.
10b), der durch seine 14 Bestattungen einen
Sonderfall im Grabbau darstellt und für den
konkrete Datierungsanhalte fehlen. Keramikscherben mit Rillen, die den an slawischen
Gefäßen häufig beobachteten Gurtfurchen
entsprechen dürften, sind bei den modernen
Siedlungsuntersuchungen in den Jahren 2006
und 2007 zahlreich bei Anlage der Grabungsschnitte Fläche 2 im Süden des Gräberfeldes
und Fläche 4 im Norden der Nekropole gefunden worden und gehören hier ins 11. und 12.
Jahrhundert (vgl. Kap. C.5.6.2.2 und C.5.7.2.2).
Auch eine späte Datierung der von Kulakov
freigelegten Befunde wäre damit möglich.
Noch schwieriger liegt der Fall bei einem vermuteten Umfassungswall, der den hellen Bereich im Luftbild umschließen, aber gänzlich
abgepflügt sein soll (Kulakov 2005, 62). Klare
Grenzen für diesen Wall sind nicht zu erkennen. Die Interpretation wurde wohl maßgeb-
31
lich durch Geländebeobachtungen beeinflusst,
da sich an der entsprechenden Stelle im Gelände tatsächlich eine 0,3–0,4 m hohe, max. 2–3 m
breite, wallartige Erhöhung zeigt43.
Im Anschluss an diese Grabungen stand in den
jüngeren russischen Projekten wiederum ganz
die Gräberfeldarchäologie im Vordergrund.
Zweifelsfrei lieferten die Forschungen der russischen Epoche zahlreiche Hinweise auf die
Lage der zu vermutenden Siedlung, die als
Ausgangspunkt für das ab dem Jahr 2005 initiierte russisch-deutsche Grabungsprojekt genutzt werden konnten.
A.4.2.3 Neue Forschungen 2005–2007
Im Jahr 2005 konnte durch ein russisch-deutsches Grabungsprojekt eine neue, internationale Epoche der Forschungen eingeleitet
werden. Erstmals arbeiteten seit diesem Zeitpunkt Archäologen beider Nationen am Fundplatz zusammen. Während sich der russische
Projektteil mit der weiteren Erforschung des
Gräberfeldes durch neue Ausgrabungen beschäftigte, versuchte der deutsche Projektteil
die Suche nach der Siedlung unter Einsatz naturwissenschaftlicher Prospektionsmethoden
in Kombination mit archäologischen Feldmethoden voranzutreiben.
An diesem Projekt beteiligten sich in den Jahren 2005–2007 auf russischer Seite die Baltische Expedition des Instituts für Archäologie
der Russischen Akademie der Wissenschaften
in Moskau unter Leitung von Prof. Dr. V. I.
Kulakov und K. N. Skvorzov vom Kaliningrader Museum für Geschichte und Kunst sowie
diverse Studierende der Immanuel-Kant-Universität Kaliningrad.
Die Siedlungsuntersuchungen wurden in den
Jahren 2005–2007 maßgeblich von der RöSowohl durch die zur Überprüfung der Wallsituation durchgeführten geomagnetischen Messungen als auch durch die Bohrungen konnten tatsächlich Hinweise auf einen derartigen Wall ermittelt
werden (vgl. Kap. C.4.4.1.3). Aufgrund der Bohrergebnisse handelt es sich aber vermutlich nicht um
einen anthropogen errichteten Wall, sondern eher
um eine geologische Formation. Zusätzlich wurde
ca. 50 m nördlich eine grabenartige Struktur dokumentiert, die der südlichen Waldgrenze unmittelbar vorgelagert ist. Ihr Charakter ist bisher unklar,
Testgrabungen sind an dieser Stelle noch nicht erfolgt.
43
32
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
misch-Germanischen Kommission Frankfurt
a. M. des Deutschen Archäologischen Institutes sowie vom Europäischen Sozialfond (ESF)
finanziert und vom Archäologischen Landesmuseum in der Stiftung Schleswig-Holsteinischer Landesmuseen Schloß Gottorf durchgeführt. Weitere Finanzmittel gewährte das
International Center der Christian-AlbrechtsUniversität Kiel. Seit 2007 förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Projekt44.
Die wissenschaftliche Gesamtleitung obliegt
Prof. Dr. C. von Carnap-Bornheim, Prof. Dr. S.
von Schnurbein und Dr. F. Lüth. Die örtliche
Projektleitung und Ausgrabungsdurchführung übernahm Verf. mit Unterstützung von
Studierenden des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität
Kiel45. Für die geomagnetischen Messungen
war das Institut für Geowissenschaften (Abteilung Geophysik) der Christian-Albrechts-Universität Kiel mit verschiedenen Mitarbeitern46
und Studierenden47 unter Leitung von Dr. H.
Stümpel verantwortlich.
Im Sommer 2005 konnten vom 19. Juli bis 4.
September in einer sechswöchigen Kampagne
zunächst 14 ha Boden in der Umgebung des
Hügelgräberfeldes geomagnetisch untersucht
werden. Im Anschluss erfolgten Bohrungen
und drei Probegrabungen. So wurde Fläche
1 an der Stelle einer Ofenanlage angelegt, die
später durch 14C-Datierungen in die vorrömische Eisenzeit eingeordnet werden konnte. In
Fläche 2 gelang die Freilegung eines aus Feldsteinen trocken gemauerten Brunnens, dessen
Freilegung im Sommer 2007 weitergeführt,
jedoch nicht vollendet wurde. Die Datierung
Die Siedlungsforschungen in Wiskiauten sind
ein Teil des von der DFG im Normalverfahren geförderten russisch-deutschen Forschungsprojektes
„Suzdal und Mohovoe/Wiskiauten – Prospektion
und Datenvergleich an frühmittelalterlichen Siedlungskammern im Kaliningrader Gebiet und in
Westrussland“ (Geschäftszeichen CA 146/8-1).
44
Den Studierenden J. Frenzel (seit 2007 Projektmitarbeiter), K. Kamp, S. Knorre, M. Mennenga, H.
Onat, L. Schlisio, F. Schmoll, T. Schroedter und A.
Windler sei an dieser Stelle für Ihren unermüdlichen Einsatz während der Feldforschungen in den
Jahren 2005–2007 gedankt.
45
46
E. Erkul, H. Petersen, Dr. S. Wölz.
K. Dünnbier, V. Glomb, C. Podolski und T. Wunderlich.
47
des Brunnens über 14C-Datierungen und typologische Vergleiche des Fundmaterials, insbesondere der Keramik, erbrachte eine Datierung
ins 11. oder 12. Jahrhundert. Im Nordwesten
des Gräberfeldes in etwa 800 m Entfernung
gelang in Fläche 3 der Nachweis einer frühen
Siedlungsphase mit Kulturschichten aus dem
7.–8. Jahrhundert mit vagen Hinweisen auf
Siedlungsaktivitäten auch aus dem 9. und 10.
Jahrhundert.
Weitere geomagnetische Untersuchungen auf
ca. 45 ha Fläche fanden im März 2006 statt,
an die sich eine sechswöchige Ausgrabung
im Sommer 2006 anschloss, in deren Verlauf
ein vierter Grabungsschnitt (Fläche 4) angelegt wurde. Er erbrachte den Nachweis von
ca. 60 Holzpfosten, deren zeitliche Einordnung durch 14C-Datierungen in den Zeitraum
zwischen dem 7. und 12. Jahrhundert gelegt
werden kann. Vermutlich sind hier mehrere Siedlungsphasen zu fassen, wenngleich
das 11. und 12. Jahrhundert am deutlichsten
in Erscheinung treten. Zeitgleich zu diesen
Siedlungsforschungen legte V. I. Kulakov im
Jahr 2006 mehrere Hügelgräber im Wäldchen
Kaup frei und dokumentierte diverse Befunde im Umfeld dieser Anlagen. Im März 2007
wurden auf insgesamt 2,6 ha im Osten der
Straße Wiskiauten-Wosegau geomagnetische
Messungen durchgeführt und daneben verschiedene Anomalien durch Georadarmessungen untersucht. Gleichzeitig konnte durch
Oberflächenbegehungen eine Siedlung bei der
sog. Palve ganz im Osten im Übergang zum
Niederungsbereich festgestellt werden. Hier
wurde Keramik geborgen, deren Zeitstellung
durch 14C-Datierungen aus dem später hier angelegten Grabungsschnitt Fläche 5 ins 7. und 8.
Jahrhundert festgelegt werden kann. Im Sommer 2007 erfolgte die weitere Freilegung des
Brunnens im Süden der Nekropole. Im Osten
wurde Fläche 5 angelegt. Sie erbrachte die Bestätigung, dass hier mehrere Kulturschichten
vorliegen, die nach neuesten Datierungen in
das 7. und 8. Jahrhundert einzuordnen sind.
Ein weiterer Befund nur 350 m westlich dieser Kulturschichten, die auch in der näheren
Umgebung von Fläche 5 nachgewiesen werden konnten (vgl. Kap. C.5.4.5), wurde durch
Fläche 8 untersucht. Hier trat eine mit Steinen
ausgekleidete Grube von 1,2 x 1,6 m Ausmaßen zutage (vgl. Kap. C.5.5). Die geborgenen
Grundlagen
Holzkohleproben geben Hinweise auf eine
Datierung ins 7.–8. Jahrhundert. Nur etwa 80
m westlich gelang in Fläche 7 der Nachweis
eisenzeitlicher Siedlungsspuren in Form einer
Abfallgrube (vgl. Kap. C.5.2).
Im März 2008 wurde in einer zweiwöchigen
Feldforschungskampagne die bis dato geomagnetisch vermessene Fläche um ca. 30 ha auf
insgesamt 100 ha vergrößert. Insbesondere
die Uferbereiche des vermuteten Binnensees
standen dabei im Mittelpunkt. Auch in diesen
Bildern sind wieder größere und kleinere Konzentrationen von Anomalien erkennbar, die in
bisher sechs Fällen durch einzelne Holzkohleproben aus den Bohrkernen datiert werden
konnten. Sie deuten auf weitere Befunde des
6.–10. Jahrhunderts hin.
Im Sommer 2008 wurden die Ausgrabungen
an ausgewählten Anomalien fortgesetzt. Insgesamt sind zwölf kleinere Grabungsflächen und
16 Sondageschnitte angelegt worden. Die vorläufigen Ergebnisse bestätigen den Verdacht,
dass es in der Nähe der Palve eine größere
Siedlung des 7. und 8. Jahrhunderts gegeben
hat, die durch weitere Datierungen aus einigen
Sondagen bis ins 10. Jahrhundert, fortbestanden haben könnte (vgl. Kap. C.4.4.10). Da die
Grabungen in die Endphase der Fertigstellung
dieser Studie fielen, konnten sie im Rahmen
dieser Arbeit nur ansatzweise berücksichtigt
werden.
A.5 Quellen und Quellenprobleme
Für die Bearbeitung des Fundplatzes Wiskiauten steht eine Vielzahl von Einzelquellen zur
Verfügung, die im Laufe der gut 140jährigen
Forschungsgeschichte angesammelt worden
sind. Es handelt sich um Publikationen, originale Ausgrabungsberichte, Fotos, Pläne,
Luftbilder, historische Karten, Augenzeugenberichte, Zeitungsartikel und andere Archivalien sowie die Publikationen der russischen
Forschungsetappe. Alle Quellengruppen sind
einer unterschiedlichen Quellenkritik unterlegen.
A.5.1 Ausgrabungsmethodik
Für alle Ausgrabungsergebnisse ist immer die
unterschiedliche Ausgrabungsmethodik der
jeweiligen Zeit zu beachten. Für einige der Altgrabungen sind Hinweise auf die Genauigkeit
33
der Dokumentation und der angewandten Untersuchungsmethodik gegeben. So beschreibt
beispielsweise Heydeck (1877, 651), dass er in
einigen Gräbern zwar Metallspuren bemerkte,
diese aber in seinen Augen keine bestimmten
Formen ergaben und daher nicht dokumentiert wurden. Aus den etwa 250 bis 1900 untersuchten Hügeln sollen so nur „weniger als die
Hälfte nennenswerte Funde“ geliefert haben
(ders. 1900, 61). Es ist also besonders bei der
Untersuchung von anscheinend vollständigen
Grabinventaren mit einem Fehlen von besonders korrodierten Metallgegenständen zu rechnen, was zu Verzerrungen im Fundbild führen
kann. Das gleiche gilt insbesondere auch für
- als Kenotaphe interpretierte - Leergräber, die
möglicherweise zwar Funde enthielten, diese
vom Ausgräber aber nicht als nennenswert beachtet wurden.
Auch zwischen den Beschreibungen der
Fundinventare in den Ausgrabungsberichten einerseits und den später bei der
Katalogisierung der noch vorhandenen
Gegenstände durchgeführten Fundauflistung
in von zur Mühlens Katalog (von zur Mühlen
1975) ergeben sich Unterschiede. Offenbar waren bis kurz vor Kriegsbeginn einige Objekte
aus dem Prussia-Museum verschwunden bzw.
sind dort nicht inventarisiert worden.
Probleme ergeben sich bei der Beurteilung, ob
eine Einfach- oder eine Mehrfachbestattung
vorliegt. Nerman (1932, 3) untersuchte die
Hügel durch Anlage eines Suchschnittes vom
Hügelrand in Richtung Zentrum. Bei Auffindung einer Bestattung wurde der Schnitt zu einem Kreis erweitert. Diese Methode sollte die
spätere Rekonstruktion des Hügels erleichtern.
Durchaus war Nerman sich der Gefahr bewusst,
bei Anwendung dieser Grabungsmethodik
Nachbestattungen oder randliche Bestattungen zu übersehen, wertete die Wiederherstellung aber höher (ebd.). Ob es dazu gekommen
ist, ist unbekannt. Die Randbereiche der Hügel
wurden zusätzlich mit Sonden abgetastet, um
feststellen zu könne, ob ein Fußkranz aus Steinen vorhanden gewesen ist. An einigen der
heute noch im Wäldchen Kaup vorhandenen
Hügelgräber ist diese Ausgrabungsmethodik
durch die Form der Grabanlagen noch deutlich erkennbar. In der Mitte meist großräumig
ausgehoben umgibt die Hügelgräber eine Art
Erdwall, der an einer Stelle grabenartig durch-
34
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
schnitten ist. Hierbei handelt es sich vermutlich um einen der von Nerman beschriebenen
Suchgräben, die vom Rand des Hügels in dessen Mitte getrieben und dort erweitert worden
sind.
Demgegenüber sollen die von Heydeck ausgegrabenen Hügel völlig abgetragen worden
sein (Nerman 1932, 2). Paulsen dagegen ließ
die Hügel wieder aufschütten und orientierte
sich dabei größenmäßig, falls vorhanden, am
äußeren Steinring (SMB-PK/PM-A 522/8-234).
Hier ist der heutige Ausgräber also mit der
Gefahr konfrontiert, einen der altgegrabenen
Hügel, der wieder rekonstruiert wurde, durch
moderne Grabungen zu erfassen.
Während die vorangehenden Ausführungen insbesondere die Grabungsmethodik der
deutschen Forschung im Gräberfeld betreffen,
sind für die Suche nach der Siedlung nur wenige und zudem unkonkrete Angaben zu den
angewandten Methoden bekannt. Kleemann
(1939a, 11) erwähnte lange Suchschnitte, die
beiderseits der Straße Wiskiauten-Wosegau
angelegt worden sein sollen. Über Länge und
Breite oder auch Tiefe und die aufgefundenen
Befunde ist nichts weiter bekannt. Lediglich
Kleemanns Bemerkungen geben Auskunft
darüber, dass die Suchschnitte ergebnislos
blieben. Ob sich diese Aussage nur auf die gesuchte Wikingersiedlung bezieht und andere
Siedlungsspuren unberücksichtigt lässt, ist
im Nachhinein nicht mehr zu entscheiden. Es
wären bei den geomagnetischen Messungen
entsprechende lineare Strukturenzu erwarten.
Aber die Bereiche direkt westlich und östlich
der Straße wurden in einem Abstand von etwa
50–100 m aufgrund der dort zu erwartenden
starken Belastung mit rezentem Metallschrott
nicht geomagnetisch vermessen. Anders steht
es mit einem Suchgraben, der nach Kleemann
(1939a, 11) östlich der Straße in Richtung des
ehemaligen Bahnhaltepunktes Bledau angelegt worden sein soll. Er müsste sich in den
geomagnetischen Bildern abzeichnen, da diese
Bereiche zumindest teilweise geomagnetisch
vermessen wurden. Entsprechende Strukturen
sind jedoch in den Bildern nicht erkennbar.
Insbesondere die Betrachtung des archäologischen Umfeldes des Fundplatzes Wiskiauten unterliegt einer eigenen Quellenkritik, die
aus der unterschiedlichen Art und Intensität
der Untersuchungen sowie der Erkennbarkeit
verschiedener Quellengruppen resultiert. So
sind Grabfunde durch herkömmliche Oberflächenbegehungen nicht so gut lokalisierbar
wie beispielweise Fundstreuungen von Siedlungsabfällen. Wenn Bestattungen des 7. und
8. Jahrhunderts, also einer Zeit, die ohnehin
im archäologischen Fundbild der gesamten
Region des ehemaligen Ostpreußen schwer
feststellbar zu sein scheint, fehlen, könnte die
Ursache im Forschungsstand zu suchen sein,
da nur schwach eingetiefte und fundarme
Brandgräber schwer erkennbar sind. Für die
Abwesenheit von Siedlungsfunden dieser Zeit
fehlt allerdings jegliche Erklärung.
A.5.2 Chronologische Probleme der Frühmittelalterforschung
Für die Zeit vom ausklingenden 7. Jahrhundert
an bis zur Eroberung der Gebiete des Samlandes bzw. Gesamtpreußens durch den Deutschen Orden in der Mitte des 13. Jahrhunderts
liegen bisher nur chronologische Einteilungen
aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg mit
den Benennungen „Jüngstes heidnisches Zeitalter“ oder „Spätheidnische Zeit“ für das 9.–13.
Jahrhundert bzw. „Wikingerperiode“ für das
9.– 11. Jahrhundert vor (z.B. Hollack 1908b,
172. - Gaerte 1929, 320).
Tischler (1879; vgl. auch Engel 1935b, 56) teilte die sog. „nachchristliche Eisenzeit“ zunächst
in zwei große Abschnitte ein: die „Zeit der großen Gräberfelder“ und die „spätheidnische
Zeit“. Die „Zeit der großen Gräberfelder“ oder
auch „Periode der großen unterirdischen Gräberfelder“ (Kemke 1914, 2) gliederte er in die
fünf relativchronologischen Unterabschnitte A
bis E (ebd.). Diese Einteilung wird grundsätzlich bis heute angewendet. Kemke (ebd.) überarbeitete diese Stufeneinteilung und nahm
Verbesserungen an der absoluten Datierung
vor. Vor allem verlängerte er die Stufe „E“ im
Gegensatz zu Tischlers Vorschlag, der sie ins
5. und 6. Jahrhundert setzte, bis in die Jahre
um 800 (ebd. 2; Engel 1935b, 57). Dem von
Tischler nicht gelösten Problem der Unterteilung des vier Jahrhunderte umfassenden Abschnittes des „jüngsten heidnischen Zeitalters“
widmete sich erst Bezzenberger (1904). Er
gliederte hauptsächlich aufgrund seiner zahlreichen Ausgrabungen im Memelgebiet den
verbleibenden Gesamtabschnitt in die Stufen F,
G, und H (ebd.), wobei Stufe F dem 7. und 8.
Grundlagen
Jahrhundert, Stufe G dem 10. und 11. Jahrhundert und Stufe H dem 12. und 13. Jahrhundert
entsprechen sollte. Das Hügelgräberfeld von
Wiskiauten war dabei von ausschlaggebender
Bedeutung für die Aussonderung der Stufe G
(ebd.).
In der vorkriegszeitlichen Literatur wurde
verschiedentlich der Versuch unternommen,
Stufe F durch das Fehlen von Fundmaterial
der vorangehenden Stufe E einerseits und der
nachfolgenden Stufe G andererseits zu definieren (Engel 1931c, 325). Diese Definition wurde
durch Beobachtungen zur räumlichen Verteilung von Gräbern auf den Nekropolen gestützt,
nach denen diese meist beigabenlosen Bestattungen zwischen Zonen mit einer Belegung in
den Stufen E oder G gelegen haben sollen (Engel 1935b, 69). Neuere Interpretationsmodelle
gehen von einer zufälligen Wiederbelegung
der alten Nekropolen der Dollkeim-KovrovoKultur durch die frühmittelalterliche Kultur
der Prussen und nicht von einer Kontinuität
aus (Nowakowski 1996, 54; 96; 2000, 15), wenngleich auch hier die ungebrochene Keramiktradition und das Weiterleben der Pferdebestattungssitte betont wird, die eine kontinuierliche kulturelle Weiterentwicklung nahelegen.
Allerdings wurden im 6. und 7. Jahrhundert
auch neue Gräberfelder angelegt, die ebenfalls
eine Anwesenheit der kulturellen Determinanten der Keramik, der Sprossenfibeln und der
Pferdebestattungen aufweisen. Für das Ende
der Stufe E ist bisher noch keine endgültige
Lösung gefunden worden. Kulakov (1994, 69)
definiert für das Samland in Anlehnung an
Bezzenberger (1904) und Engel (1939) eine
auf die Stufe E folgende Stufe F, die dem Zeitraum zwischen 525 und 725 entsprechen soll.
Nowakowski (2000, 18) äußerte jedoch Kritik
an dieser Definition, wenngleich er keine alternative Lösung des Problems anbietet. Seiner Meinung nach vollzieht sich der Wechsel
der kaiser- und völkerwanderungszeitlichen
Dollkeim-Kovrovo-Kultur zur frühmittelalterlichen Kultur der Prussen am Ende der Phase 6
der Dollkeim-Kovrovo-Kultur, die überregional der frühen Phase der Stufe E entsprechen
soll (ders. 1996, 96f.).
Als neue archäologische Einheiten formieren
sich ab dieser Zeit die sogenannte Elblag-Gruppe im Bereich der Elbinger Höhe und die Olsztyn-Gruppe in Masuren (Nowakowski 1996,
35
97). Die Dollkeim-Kovrovo-Kultur scheint in
diesem Zusammenhang in eine Randlage zu
geraten, die die Bewohner des Samlandes zur
Umwandlung der bisherigen Siedlungsstruktur zwingt. Auf diese Umstände führt Nowakowski (ebd.) das Entstehen neuer Gräberfelder im 6. und 7. Jahrhundert zurück, die trotz
eindeutiger kultureller Wurzeln in der Dollkeim-Kovrovo-Kultur, die sich anhand der Keramikgefäße oder der Armbrustsprossenfibeln
und im Grabbau an den Gräbern mit Pferdebeigabe erkennen lassen, eine ganz neue Kultur repräsentieren.
Kemke (1919) versuchte, für die von Bezzenberger nicht mehr beendete Verfeinerung der
Stufen G und H ein neues chronologisches Gerüst für den samländischen Bereich zu erarbeiten, während Engel (1931d) das Memelgebiet
gliederte und an die Stufe H noch eine Stufe
I anschloss, die schon der frühen Ordenszeit
entspricht. Sie umfasst das 12. und 13. Jahrhundert.
Da eine moderne Überarbeitung der chronologischen Verhältnisse dieses Zeitabschnittes
bisher noch aussteht48, werden hier alle Datierungen zu Bestattungen im Gräberfeld und
insbesondere diejenigen Datierungen, die bei
den modernen Siedlungsgrabungen unter Zugrundelegung der 14C-Datierungen ermittelt
worden sind, in absoluten Jahreszahlen bzw.
der Angabe des Jahrhunderts angeführt.
Insbesondere für die Datierungen aus den modernen Siedlungsforschungen ergibt sich ein
weiteres Problem. Die geringe Ausdehnung
der Grabungsflächen und die darin zwar dokumentierten, aber fast ohne jegliche Stratigraphie angetroffenen Kulturschichten lassen
keine feinchronologischen Untersuchungen
zu. Das keramische Material ist so einheitlich
und unprägnant, dass allein aus dem Fundmaterial heraus keine Datierung möglich ist. Den
zeitlichen Einordnungen der in den Grabungsflächen aufgedeckten Befunde, insbesondere
derjenigen aus der zweiten Hälfte des ersten
nachchristlichen Jahrtausends, liegen daher
fast ausnahmslos die 14C-Datierungen zugrunde. Erst für die späte Siedlungsphase im 11.–13.
Jahrhundert können unterstützend auch die archäologischen Datierungen der Metallgegenstände herangezogen werden. Den 14C-Daten
Nur Kulakov (1994) erstellte für die prussische
Kultur einen groben chronologischen Überblick.
48
36
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
kommt daher für die chronologische Gliederung der bislang freigelegten archäologischen
Befunde eine große Bedeutung zu.
A.5.3 Literarische Quellen
Bei der Besprechung der literarischen Quellen,
in denen Hinweise auf die Existenz einer wikingerzeitlichen Siedlung von überregionaler
Bedeutung im Samland bei Wiskiauten zu finden sein könnten, muss generell unterschieden
werden zwischen Quellen, die die geschichtlichen Ereignisse der gesamten Region betreffen
und solchen, die direkt auf die gesuchte Ansiedlung hinweisen könnten. Erstere sind vor
allem historische Ereignisberichte, letztere betreffen vor allem Orts- und Flurnamen in unmittelbarer Umgebung des Fundplatzes.
A.5.3.1 Literarische Erwähnungen des Samlandes
Relativ zahlreich sind die Schriftquellen, die
sich auf die geschichtlichen Ereignisse im
Samland zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert
beziehen.
Sie sind bereits mehrfach49 zusammenfassend
behandelt worden. Die wichtigsten Geschehnisse sollen im Folgenden noch einmal geordnet nach ihrer vermutlichen Handlungszeit
zusammengefasst werden, sofern sie für die
Fragestellung dieser Studie relevant sind.
Obwohl die überwiegend wohl aus Gotland
oder Mittelschweden stammenden skandinavischen Siedler der Region um Grobin im
heutigen Litauen nach dem Aufstand der dort
ansässigen Kurenstämme in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts von mehreren Autoren
(Scheel 1938, 201; von zur Mühlen 1975, 16;
Callmer 1994, 67) mit der Gründung einer
Handelskolonie bei Wiskiauten in Verbindung gebracht werden, wird dieses konkrete
Ereignis in keiner historischen Schriftquelle
erwähnt. Dagegen gibt es mehrere allgemeine
Erwähnungen, die Kontakte zwischen Skandinaviern und Balten behandeln. So finden sich
bei Saxo Grammaticus (Gesta Danorum IX,
9:4:23; vgl. Holder 1886, 308) Hinweise darauf,
dass Ragnar Lodbrok mit dänischen Wikingern um 840 einen Besuch im Lande der KuNerman 1929, 11ff., 46ff.; ders. 1934, 357-380; ders.
1958, 194-198; Kleemann 1939a; 1939b; von zur
Mühlen 1975, 1-8; Mugurēvičs 2000; Baranauskas
2004; Bogucki 2006, 93-95.
49
ren und Samländer50 unternommen hat. Die
gleichen Ereignisse könnten in der aus dem
16. Jahrhundert stammenden Petri-Olai-Chronik geschildert sein, denn hier findet sich die
Erwähnung, dass die Dänen Mitte des 9. Jahrhunderts zum ersten Mal Preußen (totamque
pruciam) und Semigallien (Semigalliam) eroberten (von zur Mühlen 1975, 451). Diese Eroberung fällt zeitlich mit einem von Rimbert
in der Vita Anskarii (Kap. 30; vgl. Trillmich
1961a, 97.) überlieferten Ereignis zusammen,
wonach in der Mitte des 9. Jahrhunderts ein
Angriff von Schweden auf Kurland erfolgte,
wobei dieses Ereignis hier nur im Zusammenhang mit der Zerstörung von Grobin/Seeburg
relevant ist, von einem Angriff auf das Samland wird nichts berichtet.
Nach Saxo Grammaticus (Gesta Danorum,
Buch X, 5; vgl. Holder 1886, 328) hat Hakon,
Sohn von Harald Blauzahn, die Semben angegriffen und tributpflichtig gemacht. So zumindest deutet von zur Mühlen (1975, 1) die Textstelle. Er datiert das Ereignis in die Zeit um
1000. Wenn Hakon nicht der Sohn Haralds war,
sondern eher der norwegische Jarl Hakon, lässt
sich die Zeit dieser Angriffe auf die Jahre um
970 bestimmen (Baranauskas 2004, 76). Auch
die Annales Ryenses aus dem 13. Jahrhundert
(vgl. Pertz 1859, 398) berichten von dänischen
Angriffen auf das Samland (Prussia), worin
Gudavičius (1989, 16) die gleichen Ereignisse
überliefert sieht. In den Annales Ryenses wird
allerdings das Jahr 902 als Zeitpunkt des Geschehens genannt (vgl. Pertz 1859, 398). Die
Textstelle berichtet weiterhin davon, dass die
Eroberer die einheimischen Verteidiger getötet
haben und deren Frauen heirateten, um in der
Folge ihr Leben „zusammen mit den Feinden“
(von zur Mühlen 1975, 1) zu führen. Von zur
Mühlen (ebd. 57) deutet dies als sichersten
Hinweis darauf, dass in Wiskiauten eine dänische Kolonie bestand.
Gegen Ende des 10. Jahrhunderts wird durch
„in Curorum Semborumque regionem accessit“
(Holder 1886, 308).
50
Dort unter Hinweis auf Voigt 1827, 204, Anm.
2; abweichend Gaerte (1929, 321), der eine im 8.
Jahrhundert erfolgte Unterwerfung des Samlandes
durch Dänen, die vom Gebiet der Kuren gekommen sein sollen, anführt. Wahrscheinlich nimmt er
auf die gleiche Quelle Bezug, gibt sie aber zeitlich
falsch wieder.
51
Grundlagen
Ibrahim Ibn Jakub von „Rus“ berichtet, die von
Westen her auf Schiffen die „Prus“ überfallen
(von zur Mühlen 1975, 4). Die Rus setzt von
zur Mühlen (ebd.) mit den Schweden gleich.
Andererseits könnten hier auch die Dänen gemeint sein, wenn die Schiffe tatsächlich aus
Westen kamen. Diese Theorie vertrat zuletzt
Wróblewski (2006c, 113).
Nach Hakons Tod scheinen nun andererseits
die im Samland ansässigen Semben, darunter
Nachfahren der im Samland angesiedelten Dänen, Angriffe auf Dänemark unternommen zu
haben, wie es der dänische Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus (Gesta Danorum, Buch
X, 14:1; vgl. Holder 1886, 343) überliefert.
Um die Jahrtausendwende wird der Missionar
Adalbert bei einem Missionierungsversuch
von den Prussen erschlagen (Thietmar von
Merseburg, Chronik, Buch IV, Kap. 19; vgl.
Trillmich 1957, 209), worauf eine Unterwerfung des Siedlungsgebietes der Slawen östlich
der Oder und auch der Prussen durch gemeinschaftliche Unternehmungen des polnischen
Königs Bolizlaw mit Unterstützung von Kaiser
Otto III. folgte und in Tributzahlungen mündete, wie Helmold von Bosau (Slawenchronik
Buch I, Kap. 15; vgl. Stoob 1963, 81) berichtet.
Um das Jahr 1016 muss König Knut der Große
das Samland unterworfen haben (Saxo Grammaticus: Gesta Danorum, Buch X, 14:1; vgl.
Holder 1886, 343) und nannte sich anschließend unter anderem König von Samland. Die
Richtigkeit dieser Schriftquelle wurde jedoch
mehrfach angezweifelt (Wróblewski 2006c,
113; Labuda 1964, 138-139, Anm. 92). Eine im
Anglo-Saxon-Chronicle erwähnte Begebenheit wird traditionell dahingehend gedeutet,
dass Knut im Jahr 1022 ein Jahr auf der Isle
of Wight verbracht habe (Wróblewski 2006c,
113.). Wróblewski (ebd.) dagegen erwägt die
alternative Deutung des überlieferten Terms
„Withlande“ mit dem im Reisebericht von
Wulfstan (Lund 1984, 23) überlieferten Namen
„Witland“ für die Siedlungsgebiete der Prussen.
Etwas später, um 1035, ist nach von zur Mühlen (1975, 6) durch die „Yngvars saga víðförla“
eine Eroberungsfahrt von Ingvar demWeitgereisten überliefert, der mit 30 Schiffen von
Nowgorod ins Samland gefahren sein soll, um
dem Volk Steuern aufzuerlegen.
Weitere allgemeine Erwähnungen des Samlandes sind bei Adam von Bremen festge-
37
halten und entstammen der zweiten Hälfte
des 11. Jahrhunderts. So berichtet Adam von
Samländern, welche die Handelstadt Birka im
Mälarseegebiet zu Handelszwecken besuchten
(Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, Buch I, Kap. 60; vgl. Trillmich 1961b,
231). Hier findet sich neben der Bemerkung,
dass von Haithabu aus auch Schiffe ins Samland gefahren sind (Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, Buch IV, Kap. 1;
vgl. Trillmich 1961b, 435), auch eine Beschreibung der Insel Samland und im Anschluss seiner Bewohner, in deren Zuge auch samländische Schifffahrt erwähnt wird. Die Textstelle
berichtet von Prussen, die den in Seenot oder
Bedrängnis durch Piraten geratenen Seeleuten
auf ihren Schiffen zur Hilfe eilen (Adam von
Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte,
Buch IV, Kap. 18; vgl. Trillmich 1961b, 455ff.).
Gegen Ende des 11. Jahrhunderts hat nach
Saxo Grammaticus (Gesta Danorum, Buch XI;
vgl. Holder 1886, 365ff.) König Knut der Heilige versucht, das Christentum im Samland
einzuführen. Diese Ereignisse fallen in die Zeit
zwischen 1080 und 1086.
Ohne zeitliche Einordnung ist die Erwähnung
eines Viðgautr (Widgaud) aus dem Samland
in der Knytlingasaga (Kap. 87; vgl. Popp 1828,
322-324), der nach Haithabu und Birka reiste,
um Handel zu treiben. Das Ereignis dürfte im
11. Jahrhundert stattgefunden haben (Bogucki
2007, 105).
Auf Handelsbeziehungen zwischen Samland
und Schweden deutet auch die Kupferdose
zur Aufbewahrung einer Waage aus Sigtuna
(Arne 1912, 64-66; Friesen 1912, 12) hin, deren Runeninschrift auf einen Handelskontakt
zwischen Samländern und Skandinaviern
hinweist und aus der Zeit um 1050 stammen
soll. Besonders die Deutung von „simskum“
als „samländisch“ (Friesen 1912, 6ff.) ist aber
umstritten und von zur Mühlen (1975, 6)
gibt der Lesart von Brate/Wessén (1928-1936,
52ff.), der den Begriff als „semgallisch“ übersetzt, den Vorzug. Ebenfalls von allgemeinen
Handelsaktivitäten der Prussen, diesmal mit
slawischen Stämmen berichtet Helmold von
Bosau in seiner Slawenchronik (Buch 1, Kap. 1;
vgl. Stoob 1963, 37), die dem 12. Jahrhundert
entstammt.
Ein Ereignis, dass zeitlich nicht eingeordnet
werden kann, berichtet im 14. Jahrhundert
38
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Peter von Dusburg (Scriptores Rerum Prussicarum 1, 39; vgl. Hirsch/Töppen/Strehlke
1861, 39), der den sagenhaften Kampf der neun
Brüder Gampti aus Schweden im Samland beschreibt. Dieses Ereignis wurde von Gaerte
(1929, 349) mit der „Wikingerkolonie“ bei Wiskiauten in Verbindung gebracht.
Alle Schriftquellen bezeugen den Balten, darunter auch den Prussen, eine rege Interaktivität mit den Gebieten westlich und nördlich der
Ostsee während der Wikingerzeit (Bogucki
2006, 93). Die teilweise verfremdeten Berichte
arabischer Schriftsteller über die „hundsgesichtigen Balten“ sind vor dem Hintergrund
verständlich, dass sie in den Augen der Verfasser am Rande der ihnen bekannten Welt lebten
(ebd.). Aber die Beschreibung der Balten und
deren Inseln nach Adam von Bremen (Hamburgische Kirchengeschichte, Buch IV, Kap.
19; vgl. Trillmich 1961b, 459) deutet darauf
hin, dass die Aktivitäten baltischer Händler
mehr lokalen Charakter trugen und dass die
Bewohner und deren Land den deutschen
Lesern fremd und nicht geläufig waren. Demgegenüber tauchen die Kuren und Prussen in
skandinavischen und slawischen Ländern eher
als Partner im internationalen Handel auf. Sie
waren Teil der polyethnischen Gesellschaften
der baltischen Handelsplätze und hielten sich
dort zumindest zeitweise auf, was umgekehrt
auch für Skandinavier in baltischen Ländern
gelten muss.
Ab dem Ende des 10. Jahrhunderts erscheinen die Prussen besonders auch in frühen
polnischen Schriftquellen auf, da das sich formierende Polen unter Fürst Mieszko I. in die
Siedlungsgebiete der Prussen expandierte
(Nowakowski 2003, 537). Mieszkos Sohn Boleslaw I. Chrobry entsandte Bischof Adalbert
von Prag ins Samland, um die dortigen heidnischen Prussen zum rechten Glauben zu bekehren, allerdings erfolglos. Adalbert wurde zwar
zunächst freundlich von den Prussen empfangen, dann aber, vermutlich infolge unbefugten
Betretens eines heiligen Waldes im Samland,
bei diesem Missionierungsversuch im Jahr
997 von den Prussen getötet (Voigt 1827, 272).
Die vordergründig religiös motivierten kriegerischen Auseinandersetzungen, die in der
Folgezeit immer wieder im Grenzgebiet der
Polen und Prussen ausbrachen, führten 1225
schließlich dazu, dass Konrad von Masowien
den Deutschen Orden zur Missionierung der
Prussen zu Hilfe rief (Nowakowski 2003, 537;
Biskup/Labuda 2000, 21). Damit wird der Niedergang der prussischen Kultur, der sich nach
Eroberung des Landes durch den Deutschen
Orden ab Mitte des 13. bis ins 16. Jahrhundert
vollzieht und im Aussterben der prussischen
Sprache gipfelt, eingeleitet.
A.5.3.2 Namensproblem Wiskiauten
Obwohl also bereits in frühen Schriftquellen
spätestens ab dem 9. Jahrhundert das Samland
bzw. seine Bewohner genannt werden, ist bisher keine sichere Quelle bekannt, die auf die
zu vermutende Siedlung bei Wiskiauten selbst
hinweist.
Zwei Probleme treten dabei auf: einerseits
fehlt der Name einer Ansiedlung in den historischen Quellen, andererseits können Funde
und Archivalien der vorkriegszeitlichen Ausgrabungen nicht eindeutig mit dem Fundplatz
Wiskiauten identifiziert werden.
A.5.3.2.1 Ortsname
Die eindeutige Bezeichnung des Fundplatzes
Wiskiauten bzw. die eindeutige Zuordnung
von Fundmaterial zum Gräberfeld bereitet
heute einige Probleme, da sich durch die unterschiedlichen Forschungsepochen in der Literatur auch unterschiedliche Benennungen
eingeschlichen haben.
Die erste Erwähnung des Fundplatzes in der
wissenschaftlichen Literatur des 19. Jahrhunderts (Wulff 1865) bezeichnet den Ort als
„Kaup bei Wiskiauten“, wobei Kaup die alte
Flurbezeichnung des Wäldchens darstellt, in
dem das Gräberfeld lokalisiert wurde, „Wiskiauten“ den damals gängigen Namen des Dorfes. Diese beiden Bezeichnungen sind in der
folgenden Literatur bis zum Ende der deutschen Forschungsepoche beibehalten worden,
wobei Funde aus dem Gräberfeld meist mit
beiden Bezeichnungen versehen wurden. Der
Flurname selbst scheint schon damals allgemein bekannt gewesen zu sein, denn die von
Engel (ALM) in den 1930er Jahren zusammengetragenen Sagen zum Fundplatz beziehen
sich eindeutig auf die Kaup.
Bei allen späteren Nennungen treten beide Bezeichnungen in Kombination miteinander auf,
auch die Archivalien tragen meist die Doppel-
Grundlagen
bezeichnung „Kaup bei Wiskiauten“52, beide
Namensteile können aber auch für sich alleine
stehen. In dieser Studie wird der alte deutsche
Name Wiskiauten benutzt, da der Fundplatz
unter diesem Namen Eingang in die Literatur
gefunden hat. Lediglich, wenn Funde mit der
Bezeichnung „Kaup bei Wiskiauten“ benannt
sind, wird diese Bezeichnung übernommen.
In der Folge der Umbenennungen einstiger
deutscher Ortschaften im ehemaligen Ostpreußen nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt
der Ort Wiskiauten den russischen Namen
„MOXOBOE“, in der Transliteration ergibt
sich die Bezeichnung „Mohovoe“53. Nach den
ersten Ausgrabungen nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete die russische Archäologin F.
D. Gurevič (1963) den Fundort als Gräberfeld
bei Vishnevoe54, was dem neuen russischen
Namen für die Ortschaft Wosegau im Norden
des Gräberfeldes entspricht. Damit bricht sie
die Tradition der Verbindung mit Wiskiauten,
obwohl ihr die Bezeichnung „Kaup bei Wiskiauten“ bekannt gewesen sein muss55. Besonders die Funde aus den Grabhügeln K1 (I) und
K2 (II) sowie den Hügeln K1 bis K11 kursieren
daher in der Literatur teilweise unter der Bezeichnung „Vishnevoe“ (vgl. z.B. Duczko 1985,
14; Eilbracht 1999, 185; 187).
Die litauische Literatur führt den Fundplatz
unter der Ortsbezeichnung „Viskiautai“ (vgl.
z.B. Kazakevičius 1999, 182 Abb. 3 Nr. 25).
Kulakov (zuletzt 2005) übertrug den Namen
Kaup bei Wiskiauten auch auf die vermeintlich
aufgefundene Siedlung und begründete dies
mit der Ansicht, dass der Flurname Kaup der
nordgermanischen Sprachgruppe entspringe
und in seiner Bedeutung mit dem altnordischen Wort „kaupangr“ für „Handelsplatz“
gleichzusetzen sei. Alternativ boten schon
Vgl. z.B. die Archivalien aus dem Nachlaß von H.
Jankuhn im ALM.
52
Diese Schreibweise ergibt sich nach dem internationalen System der Transkription des russischen
Alphabetes in lateinische Buchstaben (Barran 1992,
15).
53
In kyrillischen Buchstaben ergibt sich die Schreibweise: Вишнёвое.
55
Dies geht aus den originalen Grabungsberichten,
die sich im Archiv des Museum für Geschichte und
Kunst Kaliningrad befinden, hervor (F.D. Gurevič,
Archiv IA RAN, R-I, 1956, 5).
54
39
Heydeck (1877, 650), Gerullis (1922, 208),
Schlicht (1922, 287) und Engel (1935a, 110)
die Herleitung aus der altpreußischen Sprache an und hielten die Herkunft des Begriffes
vom altpreußischen Wort „kapas“ für Grabhügel oder Grabstätte für wahrscheinlich. Der
altdeutsche Begriff „kapurn“ für „Grabhügel“
stellte noch im 19. Jahrhundert eine gebräuchliche Bezeichnung für die „alten heidnischen
Grabhügel“ dar (Engel 1935a, 110). Alternativ
existierte in der ostpreußischen Mundart der
Begriff Kaup oder „Kaupe“ als Bezeichnung
für „Erdhügel“ oder „Grabhügel“ (Bauer 2005,
23), worauf auch schon Engel (1935b, 76 Anm.
123) hinwies.
Eine alternative Deutung für den Ortsnamen
Kaup bietet Perdohl (1997, 32), der den Begriff
Kaup als Personennamen deutet und auf einen
„belegten, prussischen Stammnamen“ „Cauprioth“ (ebd. 3) zurückführt.
Nach Schlicht (1922, 287) soll in den Schriftquellen der Ortsname „Wiskiauten“ erstmals
bereits für das Jahr 1283 belegt sein, in der
Schreibweise „Wissecauten“ oder auch „Wissecawten“ im Zusammenhang mit der Erwähnung „veld der von Wissecawten“ in den Samländischen Urkundenbüchern. Für das Jahr
1327 soll ein Johann von Wiskiauten überliefert sein, dem eine Hufe Land in der Nähe des
Dorfes verliehen wurde (ebd).
Gerullis (1922, 204) und Blažienė (2000, 178)
führen die erste Erwähnung unter Berufung
auf die Samländischen Urkundenbücher56 auf
das Jahr 1383 zurück. Offenbar besteht bei
Schlicht (1922, 287) ein Übertragungsfehler,
da die Abweichung genau 100 Jahre beträgt57.
An gleicher Stelle ist auch die abweichende
Schreibweise „Weyskawten“ aus dem Jahr
151558 angegeben, die den Namen nur noch
verschliffen wiedergibt und hier nicht weiter
von Belang ist.
Eine weitere interessante Benennung Wiskiautens als „Auctekaym“ führt Schlicht (1922,
287) an. Sie steht im Zusammenhang mit Er56
Samländisches Urkundenbuch XXVIII, 6.
Die Einsicht in die entsprechende Urkunde im
Geheimen Staatsarchiv - Preußischer Kulturbesitz
zu Berlin erbrachte im März 2007 die Klärung dieses Fehlers. Dort ist die Urkunde mit der Jahresangabe 1383 versehen.
57
58
Ordensfoliant 185 A, 26.
40
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
eignissen des Jahres 1354. Der Name „Auctekaym“ lässt sich auf das Altpreußische bzw.
Litauische zurückführen, wobei „Aucte“ von
„áukštas“ kommt und „hoch“ bedeutet, „kaym“
kann als „Dorf“ übersetzt werden. „Auctekaym“ bedeutet demnach soviel wie „hohes
Dorf“, wodurch sich allerdings kein direkter, geographischer Hinweis auf die Lage der
Siedlung ergibt. Einen ähnlichen Ortsnamen
führt Gerullis (1922, 13) nach Angaben in den
Ordensfolianten59 aus dem Geheimen Staatsarchiv „Preußischer Kulturbesitz“ mit „Autekaym“ an, dessen erste Nennung auf das Jahr
1291 zurückgeht und in leichten Variationen
auch 1336 und eben 1354 wiederkehrt. Der Ort
soll im Samland liegen. Dass er mit dem von
Schlicht (1922, 287) wiedergegebenen Namen
übereinstimmt, ist wahrscheinlich. Den gleichen Namen „Autecaym“ gibt Blažienė (2000,
178; 2001, 57) ebenfalls mit der Jahresangabe
1291 an, wobei der Ort als „Autekaym“ bekannt gewesen sei und in verschiedenen Variationen noch bis 1423 so bezeichnet wurde. Sie
betont, dass viele Orte im prussischen Gebiet
zwei Benennungen hatten. Der Name Wiskiauten, in dieser Schreibweise erstmals 1785 belegt, soll auf den Namen „Visa-k’aut“ zurückgehen, zusammen mit dem rekonstruierten
„Auktakaimis“ aufgetreten sein und sich später
als amtliche Namensform durchgesetzt haben.
Blažienė (ebd.) erklärt „Autekaym“ ebenfalls
durch die preußischen Wörter „caymis“ für
„Dorf“ und dem Adjektiv „aucta“ für „hoch“.
Weiterhin betont sie die Ähnlichkeit mit dem
altpreußischen „auctaririkijskan“, das sie mit
„Oberherren“ übersetzt. Hierin einen Hinweis
auf eine die Region beherrschende Siedlung
zu sehen, ist aber nicht legitim. Bei der etwas
abweichenden Übersetzung vom Namensteil
„Aucte“ als das „Erste, Höchste“ (Biskup/Labuda 2000, 80) ließe sich allerdings eine etwas
abgeschwächte Deutung als aus der Zahl der
umliegenden Siedlungen hervorgehobene
Niederlassung vorschlagen. Diese Siedlung
könnte dann als zentrale Siedlung verstanden
werden. Genauso ist jedoch eine „höhere“ geographische Position möglich.
Das Gräberfeld selbst könnte erstmals 1331 bei
der Nennung der Ortschaft Wosegau, selbst
1278 im Zusammenhang mit einem „Jonusch
von Wosegaw“ (Blažienė 2000, 181) erwähnt,
59
Ordensfoliant 103, 86.
als „villa Wosgow“ belegt sein (Gerullis 1922,
208; Blažienė 2000, 181; Schlicht 1922, 287).
Diese „villa Wosgow“ soll beim „Wosegowiskapynis“ gelegen haben, dem Friedhof oder
Gräberfeld bei Wosegau (Schlicht 1922, 287).
Schlicht (ebd.) setzt diese Flurbezeichnung
mit der Kaup gleich. Dieser Meinung folgt
auch Kleemann (1939b, 211). Allerdings ist
die Identifizierung etwas fraglich, denn auch
westlich von Wosegau gibt es ein Feld, dass
im Volksmund als „Totenberg“ bekannt war
(Kleemann 1939a, 6; 1939b, 224) und rein theoretisch ebenfalls zur Lagebezeichnung in Frage
kommt, zumal es schon bei Kleemann (1939b,
224) als Bestattungsplatz des 13. und 14. Jahrhunderts beschrieben wird und damit zur Zeit
der Erwähnung des „Wosegowiskapynis“ bereits bestanden haben muss.
Dennoch erscheint die Gleichsetzung mit dem
damals die Gegend sicherlich dominierenden
Grabhügelfeld am wahrscheinlichsten, da die
Bezeichnung im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Grenzsteines benutzt wird und
dafür einerseits gewiss eine markante Höhe60,
andererseits eine weithin bekannte Landmarke, wie sie insbesondere der große steinzeitliche Grabhügel im Osten des Wäldchens Kaup
darstellt, gewählt worden sein wird. Auch der
alte deutsche Flurname „Schwendmedfeld“
für einen Landstrich direkt im Osten der Nekropole, der bei Kleemann (1939a, 6) wiedergegeben wird und auf die prussischen Wortbestandteile „Schwend“ für „heilig“ und „Med“
für „Wald“ zurückgeführt wird und somit soviel wie „Feld beim heiligen Wald“ bedeutet,
deutet auf die besondere Aufmerksamkeit des
heutigen archäologischen Denkmals auch in
historischer Zeit hin.
Die Identifizierung des Wosegowiskapynis61
als Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten
scheint somit legitim. Ob darüber hinaus in
dieser Bezeichnung eine alte Beziehung zwischen dem Dorf Wosegau und dem Gräberfeld
besteht, kann nicht sicher beurteilt werden. Es
bleibt jedoch auffällig, dass nicht Wiskiauten
zur Lageangabe mit dem Gräberfeld in VerbinDas Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten ist
auf dem höchsten Punkt der Umgebung bei etwa
10m üNN angelegt.
60
Alternative Schreibweisen bei Gerullis (1922,
208): Wosegowiskepynis, Wosegowiskopynis, Wosegowiskapinis, Wosgowcappis.
61
Grundlagen
dung gebracht wird, obwohl dessen Ortsname
schon früher belegt ist als der von Wosegau.
Offenbar wurde bei der Verlegung der Straße,
die früher von Wiskiauten nach Wosegau um
den Wald herumlief und deren neuer Verlauf
den Wald nun in zwei unterschiedliche Teile
trennte, die „kleine Kaup“ im Osten von der
„großen Kaup“ im Westen getrennt. Diese
Begriffe scheinen sich dann im Volksmund
etabliert zu haben. Darauf zumindest deutet
die in den Nachlassfragmenten von C. Engel
(ALM Schleswig) enthaltene Sammlung von
Sagen über die Kaup hin, da hier beide Begriffe erscheinen. Unabhängig von dieser Frage ist
hierbei die Feststellung wichtig, dass die Bezeichnung Kaup eindeutig auf den Wald mit
den Grabhügeln begrenzt ist und nicht etwa
naheliegende Felder mit einbezieht. Nach Meinung des Verf. spricht dies dafür, die Deutung
des Namens als Gräberfeld der von Kulakov
(1987, 221ff.; 1990, 97) vorgeschlagenen Deutung als Handelsplatz vorzuziehen, da bis jetzt
abgesehen von einigen Streufunden und zwei
Steinpackungen (Kulakov 2005, 62-64) keine
eindeutigen Siedlungsspuren in der Kaup angetroffen worden sind. Es muss sich bei allen
Nennungen tatsächlich um das Gräberfeld gehandelt haben, der von Gerullis (1922, 208)
und Schlicht (1922, 287) publizierten Herleitung des Namens vom Altpreußischen bzw.
Litauischen „kãpinės“ ist daher der Vorzug zu
geben.
Der Name Wiskiauten selbst lässt sich nicht
erklären. Für Schlicht (1922, 286) ist er zusammen mit Wosegau, Wikiau, Gauten und
Giedauten auf „Spuren jenes Wikingervolkes“
zurückzuführen, dessen Tote in der Kaup bestattet liegen. Dabei spielt ein in der Knytlingasaga (Kap. 87; vgl. Popp 1828, 322) erwähnter
Mann namens Viðgautr eine Rolle, der von
von zur Mühlen (1975, 2) als „samländischer
Kaufmann nordischer Abstammung“, von
Schlicht (1922, 286) als „im Samland ansässiger Skandinavier“ gedeutet wird. Schlicht
(ebd.) möchte in diesem Personennamen einen
Hinweis auf die Entstehung der oben genannten Ortsnamen sehen. Eine andere Möglichkeit
liegt in den für das prussische Gebiet mehrfach überlieferten prussischen Personen- oder
Eigennamen, die den Begriff „Wisse“ als Bestandteil aufweisen (Gerullis 1922, 204). Nach
Blažienė (2000, 178) sind jedoch die zahlrei-
41
chen ähnlichen Personennamen mit „Wis“
(Wissebiten, Wisegaude) ihrerseits eher auf
Ortsnamen zurückzuführen als umgekehrt.
Der Namensteil „-cawten“ oder „-cauten“ ist
schwer zu erklären. Für den 1258 als „Kyawte,
Kiaute, Kewte, Keuthe, Kente“, 1350 als „Kebethin“ und 1439 als „Keywten“ bezeichneten
Ort Kiauten etwa 6 km südöstlich von Wiskiauten schlägt Gerullis (1922, 62) eine Herleitung
aus dem altpreußischen „keuto“ für „Haut“
oder dem litauischen „kiáutas“ für „Schale,
Hülse“ vor. Zusätzlich erwähnt er einen Fluss
mit dem Namen „Kauthen“). Blažienė (2000,
178) schließt sich dieser Deutung an. Schlicht
(1922, 276) führt den Namen „Kiauten“, vermutlich in Anlehnung an Gerullis (1922, 62),
auf den „alten“ Bach Keuthe zurück, an dem
das Dorf gelegen habe. Den 1258 erwähnten
Namen „campus Kyawte“ deutet er als altpreußischen Begriff für Oberfläche oder Höhe
(Schlicht 1922, 276). Ein Bach mit dem Namen
Kintau dagegen entspringt südlich von Pluttwinnen und wird auch in der „Geologischen
Karte von Preußen und den benachbarten
Bundesstaaten – Blatt Rudau“62 verzeichnet. Er
fließt von Pluttwinnen über Laptau kommend
nach Norden und passiert später, jetzt als Bledauer Beek benannt (ebd. 279), den Fundplatz
Wiskiauten an der halbinselartigen Sandkuppe Palve etwa 1 km östlich des Hügelgräberfeldes, um dann in die Cranzer Beek oder auch
Brast zu münden.
Bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang
der Hinweis von Kleemann (1939a, 6), dass
das Dorf Wiskiauten offenbar einmal verlegt
wurde, nachdem ein Schadensfeuer den Ort
zerstört hat. Es soll Mitte des 19. Jahrhunderts
am Platz des früheren Ortes Wikiaus an der
„heutigen Stelle“ neu errichtet worden sein
und ursprünglich wohl weiter östlich an der
Verbindungsstraße nach Bledau gelegen haben
(Ders. 1939a, 6, 7 Abb. 1). Allerdings scheint
Schroetter (1802) bei Erstellung seiner Karte
von Ostpreußen schon Alt- und Neu-Wikiau
gekannt zu haben. Demnach muss es zuvor
schon zu einer Verlegung gekommen sein oder
das Schadensfeuer hat ein Jahrhundert früher
als angegeben stattgefunden.
Herausgegeben 1914 von der Königlich-Preußischen Geologischen Gesellschaft zu Königsberg.
62
42
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
A.5.3.2.2 Der Name der wikingerzeitlichen
Ansiedlung
Während es also viele Hinweise auf die Entstehung des deutschen Dorfes Wiskiauten bzw.
dessen Namen gibt, bleibt der Name einer
eventuellen älteren Ansiedlung im Dunkeln,
wenn er nicht mit dem alten Wissecawten oder
Autekaym gleichzusetzen ist. Es gibt jedoch einige Versuche, die vermutete skandinavische
Siedlung von Wiskiauten mit einem historischen Namen zu verknüpfen. So deutete Jänichen (1938, 49 Nr. 86) den vom arabischen
Geographen Idrisi erwähnten Ort „Gintiyar“
oder „Gintar“ als leicht verfremdete Form des
litauischen Wortes „Gintaras“ bzw. des preußischen Wortes „Gintars“ für Bernstein. Bei
dem zitierten Ort soll es sich um eine „große
und blühende Stadt auf dem Gipfel eines unerklimmbaren Berges gehandelt haben, wo
sich die Einwohner gegen die Anfälle der russischen Angreifer verschanzen“, (Kleemann
1939a, 5). Die Stadt soll zwischen „Kaniyu“
(Kowno=Kaunas) und „Slesbuls“ (Schleswig)
gelegen haben. Kleemann (1939a, 5) hielt diese Annahme für plausibel. Dennoch erkannte
er als größtes Problem den zeitlichen Abstand
zwischen der Niederlassung des 9.–11. Jahrhunderts und der Entstehung von Idrisis Beschreibung in der Mitte des 12. Jahrhunderts
Für diese Zeit sieht er die skandinavische
Siedlung schon beendet und in der folgenden,
vielleicht noch bestehenden Niederlassung lediglich eine von Prussen besetzte, aber kaum
besonders bedeutungsvolle Ortschaft. Schon
bald allerdings scheinen diese Zweifel ausgelöscht gewesen zu sein, denn Kleemann (1939b,
202) schreibt in einem späteren Artikel des
gleichen Jahres von der „Möglichkeit, in dem
von dem Araber Idrisi erwähnten Ort Gintiyar den Namen der Wiskiautener Ansiedlung
vermuten zu können“. Ekblom (1931, 77ff.) dagegen lehnte die Gleichsetzung ab und schlug
stattdessen Danzig als möglichen Standort der
von Idrisi überlieferten Stadt vor.
Vereinzelt wird auch der Ortsname „Seeburg“
mit der Siedlung von Wiskiauten gleichgesetzt
(Schlicht 1922, 285). Nerman (1958, 198) dagegen versuchte nachzuweisen, dass mit der bei
Rimbert (Vita Anskarii, Kap. 30; vgl. Trillmich
1961a, 97) erwähnten „Seeburg“ die bei Grobin
in Lettland lokalisierte Siedlung gemeint ist.
Allerdings ist auch diese Deutung angezwei-
felt worden (Steuer 1999a, 62). Die mit der
Zerstörung der Seeburg in Zusammenhang
gebrachten Schweden müssen um das Jahr 850
ihren Eroberungszug nach Kurland durchgeführt haben (Nerman 1958, 194), also zu einer
Zeit, als in den Wiskiautener Hügelgräbern gerade erst skandinavischer Einfluss nachzuweisen ist. Wegen der zeitlichen Diskrepanz kann
Wiskiauten nicht mit der Seeburg zu identifizieren sein. Zudem lag die Seeburg nach Rimbert in Kurland.
Es gelingt also nicht, die vermutete Handelsniederlassung von Wiskiauten in einer historischen Schriftquelle zu identifizieren Andererseits sind fast alle anderen größeren Siedlungen an der südlichen Ostseeküste, deren
Gräberfelder skandinavische Funde enthielten,
in historischen Berichten überliefert. Möglicherweise war Wiskiauten also nicht so bedeutungsvoll, wie es die bisherige Forschung aus
der Größe des Hügelgräberfeldes ablesen will.
Zumindest in politischer Hinsicht lag der Ort
sicherlich am Rande weltbewegender Ereignisse. Diese Randlage muss sich nicht zwangsläufig auf die wirtschaftliche Bedeutung ausgewirkt haben, könnte aber verhindert haben,
dass Wiskiauten Eingang in die Geschichtsquellen gefunden hat.
A.5.4 Archivalien
Neben den bereits publizierten Ausgrabungsergebnissen besonders in der vorkriegszeitlichen Literatur stellen die Archivalien aus der
Zeit deutscher Forschung, die überwiegend
aus dem Fundarchiv der ehemaligen PrussiaSammlung, aber auch aus privaten Nachlässen der jeweiligen Ausgräber stammen, die
wichtigste Quellengattung zum Fundplatz
Wiskiauten dar.
Ihre Geschichte und ihre Verteilung auf wissenschaftliche Institutionen verschiedener
Länder stehen überwiegend mit der langjährigen Zwischenlagerung dieser Dokument- und
Fundsammlungen in der Folge des Zweiten
Weltkrieges in Zusammenhang. Durch ihre
Entstehung während der jeweiligen Ausgrabung kann besonders den Grabungsdokumentationen ein authentischer Charakter im
Sinne einer wissenschaftlich auswertbaren
Primärquelle unterstellt werden. Diese Dokumente sind teilweise von erfreulichem Detailreichtum und gestatten für einige der Graban-
Grundlagen
lagen eine recht genaue Rekonstruktion des
Arbeitsablaufes, ihres ehemaligen Aussehens
sowie der in den Gräbern enthaltenen Inventare. Allerdings bestehen, bedingt durch die
unterschiedliche Zeit ihrer Entstehung und
späteren Lagerung, die jeweils angewandte
Methodik und nicht zuletzt auch die Sorgfalt
des jeweiligen Autors qualitative Unterscheide,
die quellenkritisch berücksichtigt werden müssen. Zu den überlieferten Dokumenten zählen
die Ausgrabungsberichte von J. Heydeck und
A. Bezzenberger aus dem 19. Jahrhundert und
die nach der Jahrhundertwende in der Zeit bis
zum Zweiten Weltkrieg entstandenen Dokumentationen von M. Ebert, W. Gaerte, B. Nerman, F. Jaensch, K. Voigtmann, O. Kleemann,
W. La Baume und D. Bohnsack. Die den Fundplatz Wiskiauten betreffenden Archivalien und
Funde sind heute auf verschiedenen Museen
und Institutionen verteilt. Der größte Teil lagert im neu eingerichteten Prussia-Fundarchiv
(Junker/Wieder 2003) in Berlin. Dort befinden
sich in insgesamt 47 Ortsakten63 etwa 700 Dokumente, welche die Ausgrabungen in Wiskiauten zwischen 1879 und 1939 betreffen. Die
Archivalien stammen von verschiedenen Ausgräbern, u.a. von J. Heydeck, M. Ebert, C. Engel, P. Paulsen, K. Voigtmann, W. Gaerte, F. Jaensch, W. La Baume, D. Bohnsack und O. Kleemann. Dabei sind neben Befundzeichnungen
(Abb. 7) und sehr detaillierten Grabungsberichten, die sowohl handschriftlich als auch
auf der Schreibmaschine verfasst wurden, insbesondere zahlreiche Schwarzweißfotos (Abb.
8) überliefert, die während der Ausgrabungen
zwischen 1927 und 1939 aufgenommen wurden.
Die gute Qualität der Fotos ermöglicht ansatzweise auch typologische Beschreibungen
abgelichteter Funde und liefert zahlreiche Informationen zum Grabbau, was besonders bei
einigen unpublizierten Gräbern die Rekonstruktion der ursprünglichen Befunde erlaubt.
Wichtig ist der ebenfalls in Berlin lagernde
Gesamtplan des Gräberfeldes, der in der Vorbereitung der schwedisch-deutschen Untersuchungen im Jahr 1932 von C. Engel erstellt
wurde und noch etwa 215 der ehemals über
500 Hügelgräber mit Koordinaten kartiert. Aus
diesem Plan lässt sich auch das alte Messsystem rekonstruieren. Dieses Dokument bildete
63
SMB-PK/PM-A 522/1 bis 522/47.
43
vermutlich die Grundlage für den bei von zur
Mühlen (1975, 149 Taf. 2) abgedruckten Gesamtplan (hier Abb. 9). In Berlin befinden sich
weiterhin mehrere Originalfunde aus dem ehemaligen Prussia-Museum, die dem Fundplatz
Wiskiauten zugeordnet werden können64. Eine
größere Menge von Originalfunden, deren Gesamtanzahl vorläufig auf ca. 50 Einzelstücke
geschätzt werden kann, befindet sich heute
im Kaliningrader Museum für Geschichte und
Kunst. Sie wurden bei der Wiederentdeckung
von Teilen der Prussia-Sammlung in Fort Nr.
III bei Kaliningrad geborgen65.
Einige wenige Dokumente, die hauptsächlich
die neolithische Grabanlage im Ostteil des
Gräberfeldes von Wiskiauten betreffen und
von Heydeck angefertigt wurden, lagern im
Muzeum Warmii i Mazur in Olzstyn/Polen
und gehören zusammen mit fünf Keramikgefäßen66 zu dem Teil der Prussia-Sammlung, der
1943 nach Carlshof/Rastenburg (heute Carlowo/woj. Kenzcin) ausgelagert wurde (Reich
2005, 346).
Im Archäologischen Landesmuseum Schleswig (Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf) sind mit den Nachlässen von H. Jankuhn, P. Paulsen und R. Grenz
gleich mehrere Dokumentensammlungen
vorhanden, die Wiskiauten betreffende Materialien enthalten. Im Nachlass von H. Jankuhn
finden sich auf 118 DIN A5-Zetteln gesammelte
Informationen zu Funden aus dem Gräberfeld,
darunter qualitativ hochwertige Fotos (Abb.
10) und einige Zeichnungen von teilweise unpublizierten Stücken. Einige Fundskizzen sind
in den in Schleswig lagernden Nachlassfragmenten von P. Paulsen enthalten.
Weitere Dokumente befinden sich im Riksantikvariet Ämbetet Stockholm in Schweden im
Nachlass von B. Nerman. Hierbei handelt es
sich um einen in deutsch verfassten Bericht der
Es handelt sich um vier Schwerter (Prussia-Inventarnummern: V, 7746; III, 261, 2022; III, 261, 2019:
B4; Pr. 2) sowie Keramikfragmente, Holzkohle und
kalzinierte Knochen (Prussia-Inventarnummer: VII,
431, 12802).
64
Zur Wiederentdeckung dieses Sammlungsteiles
vgl. zuletzt Valujev (2005).
65
Es handelt sich um insgesamt fünf Gefäße aus
den Gräbern 43, 170a und 174 sowie aus zwei weiteren, nicht sicher identifizierbaren Bestattungen
(Grab 5/1932 und VI.431.12806).
66
44
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 7 Wiskiauten. Zeichnung der freigelegten Brandbestattung unter Grabhügel 174 (SMB-PK/PM-A 16017).
Ausgrabungen von 1932 mit einer vorläufigen
Auswertung, mehrere Planumszeichnungen
der freigelegten Hügelgräber (Abb. 11), einen
Gesamtplan sowie diverse Fotos, die während
der schwedischen Untersuchungen entstanden
sind. Der Nachlass von R. Grenz enthält neben
der Sammlung bereits publizierter Zeichnungen, Fotos und Aufsätze auch einige Originaldokumente von C. Engel, darunter vor allem
Manuskripte zu Artikeln, einige Fotos und
zahlreiche Zeitungsartikel aus den 1930er Jahren. Die jüngst von Wróblewski (2006a, 225
Abb. 3; hier Abb. 29) publizierte Zeichnung
des sog. „spätheidnischen Aschenplatzes“ von
Wiskiauten, einem vermutlich prussischem
Gräberfeld, das im Ostteil des Hügelgräberfeldes partiell untersucht wurde, entstammt
ebenfalls dem Nachlass von C. Engel und fand
Grundlagen
45
Abb. 8 Wiskiauten. Fotos der freigelegten Körperbestattung unter Grabhügel 192: 1 Schädel (SMB-PK
522/25 -133). – 2 Körper mit Beigaben (SMB-PK/PM-A 24-122).
sich in der Materialsammlung von R. Grenz.
Im gleichen Aufsatz (Wróblewski 2006a) sind
auch einige allerdings kaiserzeitliche Funde
abgedruckt (ebd. Abb. 4), die im „Feliks Jakobson Archive“ im Nationalmuseum von Lettland in Riga aufbewahrt werden.
Insgesamt lässt sich der Archivalienbestand
trotz zahlreicher Verluste als umfangreich
einstufen. Die Zukunft wird weitere Altmaterialien aus anderen Beständen ans Licht bringen67.
Das gilt insbesondere auch für weitere Funde, deren Identifizierung und Zuordnung zu Wiskiauten
in naher Zukunft gelingen wird. So konnte Verf.
bei einer nur flüchtigen Durchsicht der Bestände
im Prussia-Magazin im Keller des Museums für
Vor- und Frühgeschichte in Berlin sofort einen
Schwertknauf aus Wiskiauten identifizieren (Prussia-Inventarnummer II, 87, 437:d). Sicherlich werden nach systematischer Durchsicht weitere Funde
zuzuordnen sein.
67
A.6 Lage und Topographie des Fundplatzes
A.6.1 Großräumige Lage
Das ehemalige deutsche Dorf Wiskiauten
(heute Mohovoe) in der Nähe des frühmittelalterlichen Gräberfeldes im Wäldchen Kaup
liegt im ehemaligen nordöstlichen Ostpreußen
(vgl. Abb. 1). Die Region gehört heute als Kaliningradskaja Oblast (Kaliningrader Gebiet)
zum Staatsgebiet der Russischen Föderation.
Dieses Territorium umfasst nach der auf der
Jaltakonferenz im Februar 1945 und im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 beschlossenen Zweiteilung (von Normann 2002,
18) etwa das nordöstliche Drittel der ehemaligen Provinz Ostpreußen. Am 7. April 1945
wurde dieses Gebiet der Sowjetunion angegliedert, am 4. Juli 1945 erfolgte die Umbenennung in Kaliningradskaja Oblast (ebd.). Die
seit der politischen Wende des Ostens und der
Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten
vom russischen Mutterland getrennte Enklave grenzt im Westen und Süden an Polen, im
Norden und Osten an Litauen. Die Kurische
Nehrung liegt zur Hälfte auf russischem Ter-
46
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 9 Wiskiauten. Gesamtplan des Gräberfeldes von 1932 (von zur Mühlen 1975, 149 Taf. 2).
Abb. 10 Wiskiauten. Foto und Beschreibung einer Schalenfibel aus Grab 72 (Nachlass von H. Jankuhn,
ALM Schleswig).
Grundlagen
47
Abb. 11 Wiskiauten. Zeichnung zu Grabhügel Nr. 143 aus dem Nachlass von B. Nerman, Ausschnitt (Riksantekvariet Ämbetet Stockholm).
ritorium. Der Fundplatz Wiskiauten/Mohovoe
befindet sich am Fuß der Kurischen Nehrung
im Samland, das sich als rechteckige, halbinselartige Landschaft von etwa 90 km West-Ostund 30 km Nord-Süd-Ausdehnung in die Ostsee vorschiebt. Im Süden bildet der Pregel68 die
natürliche Grenze des Samlandes, während es
im Osten von der Deime (russisch: Deima) begrenzt wird (Mortensen 1923, 321). Das Samland lässt sich als hügelige Moränenlandschaft
beschreiben, die durch die Weichseleiszeit
geprägt wurde. Die höchste Erhebung ist mit
etwa 110 m der Galtgarben. An der Ostseeküste bestimmen Steilküsten von bis zu 40 m
68
Russisch: Преголя.
Höhe das Landschaftsbild. Im Westen schließt
sich die Frische Nehrung mit dem Frischen
Haff an. Im Nordosten beginnt die Kurische
Nehrung, die das Kurische Haff als Flachwasserzone von 1584 km2 Größe mit einer durchschnittlichen Tiefe von 4–6 m (Andrée 1932,
12) und einer durchschnittlichen Tiefe von 3,8
m von der Ostsee abgrenzt. Das Kurische Haff
hat mit einem sehr geringen Salzgehalt (max. 8
Promille) eher den Charakter eines Süßwassers.
Die Kurische Nehrung zieht sich von Selenogradsk (ehemals Cranz) in nordöstlicher Richtung als max. 4 km breiter Sandstreifen auf 100
km Länge bis Klaipeda, dem früheren Memel.
Bedeutsam ist die Entwicklung der Kurischen
48
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Nehrung und hierbei besonders die Frage, ob
und an welchen Stellen zu verschiedenen Zeiten Durchbrüche bestanden haben, die das
Haff mit der Ostsee verbanden und einen einfachen Zugang von der Seeseite per Schiff ermöglichten. Obwohl die Frage mehrfach von
wissenschaftlicher Seite untersucht wurde (vgl.
von Wichdorff 1919; Andrée 1932; vgl. auch
Kap. C.4.1), konnten bisher keine eindeutigen
Hinweise herausgearbeitet werden. Die Existenz eines Durchbruches in der Brokist-Bucht
(Cranzer Tief) unweit von Cranz wird heute
jedoch im Allgemeinen vorausgesetzt69. Ebenfalls in der Diskussion war ein Durchbruch
bei Sarkau (Gaerte 1933a, 14). Daneben sind
weitere Durchbrüche diskutiert worden. Voigt
(1901, 352) listete in Anlehnung an Bezzenberger (1889, 169f.) einen Durchbruch „eine Viertelmeile hinter Cranz“70, einen weiteren bei der
„Försterei Grenz“ an einer Stelle mit dem Flurnamen „die faule Brücke“, Durchbrüch vor
und hinter der Ortschaft Sarkau und Tiefs vor
und hinter dem Ort Rossitten auf (zu letzterem
vgl. auch Passarge 1878, 124).
Insbesondere die Nähe zum Kurischen Haff
bzw. der vermutete Zugang zur Ostsee dürfte bei der Standortwahl einer überregionalen
Handelssiedlung von herausragender Bedeutung gewesen sein (Kleemann 1939a, 12). Die
natürlichen Gegebenheiten bieten optimale
Vorraussetzungen für die Anbindung an einen
über die Ostsee abgewickelten Seehandel. Das
Kurische Haff war von einer Siedlung in der
Nähe Wiskiautens per Schiff über den Fluss
Brast (heute Trostjanka), der in einer Entfernung von 2 km nördlich des Gräberfeldes
vorbeifloss, oder das früher als Bledauer Beek
im Osten Wiskiautens fließende Gewässer71
schnell zu erreichen und sicherte somit auch
einen Zugang zur Ostsee. Andererseits bot der
Platz eine Art geschützten Naturhafen, wie er
besonders für wikingerzeitliche Seehandelsplätze entlang der Ostseeküste mit Beteiligung
von Skandinaviern charakteristisch ist (Steuer
Vgl. z.B. Kleemann 1939a, 12; 1939b, 215; Oxenstierna 1959, 30; 1965, 45; Kulakov 1999b, 176.
69
Dieser Durchbruch entspricht dem in der Brokistbucht und ist auch als „Cranzer Tief“ bekannt.
70
Voigt (1901) beschreibt die Bledauer Beek als
„von Bledau kommend“ und dann, verstärkt durch
den von Süden kommenden Kintau-Bach, in die
Beek mündend.
71
1999a, 61; 2004, 64). Von großer wirtschaftlicher
Bedeutung scheinen in allen archäologischen
Perioden die natürlichen Bernsteinvorkommen des Samlandes gewesen sein. Sie dürften
auch bei den hier zu untersuchenden frühmittelalterlichen Siedlungsprozessen rund um das
Gräberfeld von Wiskiauten eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der Bernstein weist
im gesamten ehemaligen Ostpreußen sehr
große Lagerstätten auf, die sich aber im Samland konzentrieren. Entweder als Fundgut am
Strand aufgelesen oder in einfachem Tagebau
abgebaut dürfte der Bernstein als wesentliches Handelsgut gegolten haben. Schon für
die Steinzeit ist dieser Handel nachgewiesen
(Gaerte 1929, 60-61). Davon zeugen mehrere
Bernsteindepots und Funde baltischen Bernsteins in verschiedenen Regionen Europas. In
der Folgezeit spielt er in allen archäologischen
Epochen eine bedeutende Rolle.
A.6.2 Kleinräumige Lage
Das Hügelgräberfeld von Wiskiauten liegt ca.
2,5 km südlich von Selenogradsk (ehemals
Cranz) nur 200-300 m nördlich des heutigen
Dorfes Mohovoe (Abb. 12–13). Auf der mit
ca. 10–15 m über NN höchsten Erhebung des
Geländes ist es in einem 500 x 400 m großen
Waldstück positioniert. Dieser Wald, in dem
sich die ehemals wohl über 500 Hügelgräber
befinden, ist mit der alten Flurbezeichnung
Kaup verknüpft. Er teilt sich in die sog. „Große Kaup“ mit den Grabhügeln im Westen der
Straße Wiskiauten-Cranz und die sog. „Kleine
Kaup“ im Osten dieser Straße. Diese Trennung
ist während der Straßenbauarbeiten in den
1860er Jahren entstanden, als der vorher um
das Wäldchen im Osten herumführende Weg
begradigt worden ist (Wulff 1865, 642). Der
Wald wird noch heute beherrscht von zahlreichen großen Eichen, die sich über die gesamte
Fläche verteilen (Abb. 14). Der dazwischen liegende dichte Bewuchs scheint immer nur phasenweise bestanden zu haben. Ob ein Wald
auch während der Nutzung als Friedhof in der
Wikingerzeit bestanden hat, ist unklar. Das
Alter insbesondere der großen Eichen kann
derzeit nur geschätzt werden, einige dürften
immerhin bis zu 500 Jahre alt sein (Kulakov
2005, 55).
Grundlagen
49
Abb. 12 Wiskiauten und Umgebung, mit den wichtigsten im Text verwendeten Bezeichnungen (Kartengrundlage: J. Frenzel).
Der erste Ausgräber der Nekropole im Wäldchen Kaup, Oberleutnant Wulff (1865, 643)72,
interpretierte die bei seinen Ausgrabungen in
einem Grabhügel gefundenen verbrannten Eicheln dahingehend, dass sich hier bereits zur
Zeit der Bestattungen ein Eichenwald ausdehnte. Diese Beobachtung scheint zunächst durch
die Grabungen von F. Gurevič (1963) bestätigt
zu werden. Während der Untersuchung mehrerer Grabhügel wurden auch von Gurevič
(ebd. 199ff. Abb. 3) verbrannte Eicheln dokumentiert, die unter anderem auch auf dem
gewachsenen Boden unter den Hügelgräbern
gefunden worden sein sollen.
Kulakov (2005, 59) dagegen interpretierte diese Funde als von Tieren rezent in die Hügel
72
Wulffs Vorname ist nicht überliefert.
verschleppte Eicheln, die dann aufgrund natürlicher Prozesse inkohlt sein müssten. Selbst
wenn Wulffs (1865, 643) Beobachtung richtig
ist, sprächen die Eichelfunde lediglich dafür,
dass diese Baumart in der näheren Umgebung
wuchs. Für eine Eichenbewaldung zur Nutzungszeit des Gräberfeldes fehlen weiterhin
klare Hinweise.
Nach Süden und Westen fällt das Gelände
relativ sanft, nach Norden und Osten zu etwas stärker ab. In der Nähe der im deutschen
Messtischblatt Nr. 108873 (Abb. 13) durch die
Die Messtischblätter, herausgegeben von der
Preußischen landesaufnahme 1908, sind 1922 bzw.
1937 nochmals berichtigt worden. Sie stellen heute noch die besten, verfügbaren kartographischen
Grundlagen für die Region dar, da vergleichbar
73
50
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 13 Wiskiauten und Umgebung. Ausschnitt aus dem Messtischblatt 1088 (Cranz) aus dem Jahr 1908.
Punktsignatur angegeben Feuchtgebiete im
Norden und Osten, die besonders auch in der
von der Königlich Preußischen Geologischen
Landesanstalt im Jahr 1907 herausgegeben
„Geologischen Karte von Preußen und seinen
benachbarten Bundesstaaten“ (Abb. 15) klar
hochauflösende russische Karten noch immer der
militärischen Geheimhaltung unterliegen.
hervortreten, erreicht das Gelände eine Höhe
von ca. 0,5 m. Diese Höhenlinie, die sich in etwa
800-1000 m Abstand im Norden und Nordosten um das Gräberfeld zieht, scheint eine
deutliche Grenze für das in Frage kommende
Siedlungsgebiet anzugeben. Schon Kleemann
(1939a Abb. 1; vgl. hier Abb. 54) hatte vermutet, dass diese Isohypse in etwa mit der alten
Grundlagen
51
Abb. 14 Wiskiauten. Zeichnung des Hügelgräberfeldes aus dem Jahr 1932 von W. Gronau (von zur Mühlen 1975, 148 Taf. 1, unten).
Haffküstenlinie zur Wikingerzeit gleichzusetzen sei. Diese Frage ist entscheidend für die
Lokalisierung eines zu vermutenden Hafens
und wurde während der Untersuchungen im
März 2006 durch erste geologische Bohrungen
eingehender untersucht (vgl. Kap. C.4.1.1). An
beiden überprüften Stellen scheint sich diese
Theorie zu bestätigen.
Während das in Frage kommende Siedlungsgebiet durch die siedlungsungünstige, feuchte Niederung im Nordosten und Osten sehr
scharf begrenzt ist, lassen sich im Westen und
Süden nur wenige Anhaltspunkte für eine Limitierung der auf Siedlungsreste zu untersuchenden Flächen anführen. Das Problem ist
dabei die fehlende Datenbasis für Rekonstruktionsversuche der ehemaligen Landschaft.
Heutige Bedingungen können nicht vorbehaltlos auf die Verhältnisse in der Wikingerzeit
übertragen werden. Dennoch dürften einige
Landschaftsmerkmale ihren Charakter im vergangenen Jahrtausend nur wenig verändert
haben. Das gilt insbesondere für den vernässten Bereich des Wojgrabens südwestlich des
Gräberfeldes, der westlich des ehemaligen
Dorfes Wiskiauten beginnt und für etwa einen
Kilometer in nordwestlicher Richtung verläuft.
Auf beiden Seiten eines kleinen Wasserlaufes ist
im Messtischblatt von 1908 (vgl. Abb. 13) eine
etwa 100 m breite, sumpfige Zone eingezeichnet. Am Nordende sammelt sich das Wasser
in einem Tümpel. Nördlich eines nach Nordwesten abfallenden Geländesporns, der beim
Gräberfeld in der Kaup beginnt, scheint der
gleiche Wasserlauf, der Woj, nach einer Unterbrechung von 340m wieder an der Oberfläche
aufzutauchen und dann in nordöstlicher Richtung bis zum Dorf Wosegau zu fließen. Der
Woj mündet schließlich, umgeben von einem
wiederum durch die Signatur im Messtischblatt als feucht und vernässt gekennzeichneten Bereich, in den Fluss Brast/Trostjanka, der
aus westlicher Richtung zum Haff im Osten
fließt. Der Boden im Umfeld des Wojs ist in
der geologischen Karte von 1907 (vgl. Abb. 15)
als Flachmoortorf mit schwer durchlässigem
Lehm- und Mergeluntergrund bei niedrigem
Grundwasser gekennzeichnet.
52
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 15 Ausschnitt aus der „Geologischen Karte von Preußen und seinen benachbarten Bundesstaaten“
(Blatt 1088, Cranz), herausgegeben von der Königlich Preußischen Geologischen Landesanstalt im Jahr
1907.
Grundlagen
Wenngleich die nassen Senken des Woj keine
große Barriere darstellen, kommt der zwischen
beiden Woj-Abschnitten liegende Gelände
sporn eventuell als Einfallstor bzw. Zuwegung
in Richtung Gräberfeld in Frage. Nur hier
könnte ein Weg verlaufen sein, der aus westlicher Richtung kommend auf die Siedlungskammer um das Gräberfeld herum zuläuft.
Bereits Kleemann (1939a) hat versucht, anhand der überlieferten Ortsnamen und Flurbezeichnungen Hinweise auf die Lage der
zum Gräberfeld gehörenden Siedlung herauszuarbeiten. Dabei kommt eine Urkunde
aus dem Preußischen Urkundenbuch (Woelky/Mendthal 1891, 192 Nr. 270) zur Sprache,
die den Grenzverlauf zwischen dem Bischof
von Samland und dem Deutschen Orden regelt und mehrere Ortsnamen überliefert. In
der Kaup soll auf dem Steinzeithügel einer
der Grenzpfähle gestanden haben. Die Grenze
verlief von hier offenbar in südlicher Richtung
bis Rudau, wo der viertnächste Grenzpfahl
identifiziert werden kann (ebd. 6). Von den
dazwischenliegenden Markierungen ist nur
diejenige namentlich bekannt, die auf die Marke in der Kaup folgte. Sie ist mit der Bezeichnung „Irzekapynis“ verknüpft, was übersetzt
soviel wie Schiffs- oder Ruderergrab bedeuten soll und nach Kleemann (ebd.) auf einen
skandinavischen Namen zurückgehen könnte.
Dieser Grenzpfahl aber kann nicht lokalisiert
werden, seine Lage bleibt unklar. Es erscheint
jedoch unwahrscheinlich, dass das von Kulakov (1990) ausgegrabene Gräberfeld bei Klinzovka (ehemals Wikiau) mit dem Irzekapinis
gleichzusetzen ist, da die Grenze sicherlich
in südlicher Richtung und nicht nach Westen
oder gar Nordwesten verlaufen sein dürfte.
Nach Kleemann (1939a, 4) blieben bisher alle
Identifizierungsversuche erfolglos. Er vermutete diese Geländemarke jedoch auf der Seite
von Bledau (Kleemann 1939b, 212).
In einem weiteren Waldstück, dem sog. „Kunterstrauch“ im Nordwesten des Gräberfeldes
von Wiskiauten wurden bereits von Heydeck
(1877) kaiserzeitliche Bestattungen sowie zwei
größere Grabhügel mit Grablegen des 13. und
14. Jahrhunderts ausgegraben.
Im Osten befindet sich in etwa 6 km Entfernung das Kurische Haff. Der in west-östlicher
Richtung etwa 1 km nördlich des Gräberfeldes knapp nördlich von Wosegau in Richtung
53
des Haffs fließende Fluss Brast (heute Trostjanka) mit seinen benachbarten Schilfflächen
und den daran anschließenden Bruchwäldern
(Abb. 16) bildet eine natürliche Trennungslinie des Geländes. Im Norden befindet sich der
heutige Ort Selenogradsk (ehemals Cranz), wo
die Kurische Nehrung beginnt. Gegen Süden
dagegen schließt sich eine keilförmig in die
Landschaft einschneidende Niederungsfläche
an, die noch heute deutlich vernässt ist. Ein
in deutscher Zeit beim Cranzer Hafen (CranzBeek) befindliches Pumpwerk legte dieses Gelände offenbar phasenweise trocken. In jüngster Zeit jedoch vernässte die Niederung durch
den Ausfall des Pumpwerkes wieder. Lediglich hier bei Cranz-Beek ist ein Flussübergang
auf der dort verlaufenden Straße möglich, die
vom nördlicher gelegenen Bledau kommt. Ihr
Bau wurde etwa um das Jahr 1826 begonnen
und um 1850 fertig gestellt, wobei eine größere Geländekuppe abgetragen wurde, die sich
östlich der Straße befand. Diese Geländekuppe verbindet Schlicht (1922, 286; vgl. bereits
Voigt 1901, 387ff. Anm. 42) mit dem Flurnamen Garbick (vgl. auch Abb. 19 Nr. 49) und
vermutet hier eine alte Festungsanlage. Es ist
wahrscheinlich, dass auch der im 19. Jahrhundert entdeckte Silberhort von diesem Platz
stammt (vgl. Kap. A.7.2.4.4). Ob auch in der
Wikingerzeit ein Übergang über den Fluss an
dieser Stelle vorhanden war, ist nicht bekannt.
Lediglich für die Ordenszeit ist eine Überquerungsmöglichkeit durch eine Brücke zu vermuten (Kleemann 1939a, 9).
A.7 Archäologisches Umfeld
Der Fundplatz von Wiskiauten ist durch die
Lage im Samland in eine reiche archäologische
Fundlandschaft verschiedenster Zeiten eingebettet. Dies liegt in den natürlichen Bernsteinressourcen und der verkehrsgeographisch wie
siedlungsstrategisch günstigen Lage dieses
halbinselartigen, durch natürliche Barrieren
wie Pregel und Deime nach Süden bzw. Westen abgegrenzten Siedlungsraumes begründet. Gleichzeitig eröffnen diese Wasserwege
zahlreiche Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten zum Hinterland, und der durch
das Kurische Haff und dessen Verbindung
zur Ostsee gegebene, geschützte Zugang zum
Meer begünstigt maritime Handelsaktivitäten.
54
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 16 Zugefrorener Fluß Brast/Trostjanka im Winter 2006.
Die Interpretation der bei den modernen Forschungen aufgedeckten Siedlungsspuren und
deren mögliche Verbindung zum frühmittelalterlichen Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten sowie alle damit zusammenhängenden
Fragen zur Funktion der vermuteten Siedlung
und der Intensität der frühmittelalterlichen
Handelstätigkeiten können nur vor dem Hintergrund der einheimischen, frühmittelalterlichen Kultur der Prussen diskutiert werden.
Die Einbeziehung des direkten archäologischen Umfeldes der Hügelgräbernekropole
von Wiskiauten dagegen ist insofern von großer Bedeutung, als viele der in geomagnetischen Messbildern erkennbaren Anomalien,
sofern sie nicht auf geologische Phänomene
zurückzuführen sind, von Siedlungstätigkeiten früherer oder späterer Perioden verursacht worden sein könnten. Bestes Beispiel
sind hier die beiden Befunde aus der Vorrömischen Eisenzeit (Fläche 1 und Fläche 7; vgl.
Kap. C.5.1–2) oder die über 14C-Datierungen in
die ausklingende Bronzezeit zu datierenden
Anomalien an_54/07 und an_57/07 (vgl. Kap.
C.4.4.5.1). Sowohl der archäologische Hintergrund des Samlandes und seiner frühmittelalterlichen Kultur als auch die kleinräumige
Betrachtung der Mikroregion um das Gräberfeld herum sollen daher im Folgenden kurz
zusammengefasst werden. Dabei beschränkt
sich die regionsbezogene Betrachtung auf
die Zeitstufen des 7.–13. Jahrhunderts, also
von der ausklingenden Völkerwanderungszeit bzw. dem beginnenden Frühmittelalter
bis zu den grundlegenden kulturellen Änderungsprozessen, die sich nach der Eroberung
der Region durch den Deutschen Orden ab
Mitte des 13. Jahrhunderts bemerkbar machen.
Die kleinräumige Betrachtung dagegen bezieht
wegen der möglichen Relevanz für die hinter
den Graustufenbildern der Geomagnetik zu
vermutenden Befunde und die aufgedeckten
Siedlungsreste einen größeren Zeitraum vom
Neolithikum bis zur Ordenszeit ein. Dabei
Grundlagen
wird ein Raum abgedeckt, dessen Grenzen
sich in jede Richtung etwa 5 km vom Gräberfeld erstrecken.
Bei der Betrachtung der archäologischen Verhältnisse der Region, insbesondere des Samlandes, sowie der Zusammenstellung von
Fundplätzen in der Umgebung des Gräberfeldes kann bereits auf einige einschlägige Vorarbeiten zurückgegriffen werden.
Die Dichte an Fundstellen verschiedenster
Zeitstufen machte als erster Hollack (1908)
mit seinem für die damalige Zeit wegweisenden Werk „Vorgeschichtliche Übersichtskarte
von Ostpreußen“ sichtbar. Nach einer einführenden Darstellung der archäologischen
Epochen Ostpreußens erfasste er Hunderte
von Fundstellen mit zeitlicher Einordnung
und Literaturverweisen. Die kleinräumige Zusammenstellung archäologischer Fundplätze
des Umfeldes von Wiskiauten ist bei Kleemann (1939b) erstmals ausführlich behandelt.
Die bereits 1939 beendete, jedoch erst 1975 in
Bonn zum Druck gelangte Studie zur „Kultur der Wikinger in Ostpreußen“ von B. von
zur Mühlen (1975) erlaubt Einblicke in die
Verbreitungsmuster frühmittelalterlicher Leitfunde im ehemaligen Ostpreußen insgesamt.
Kulakov (1990) erweiterte die große Zahl der
Fundstellen, die von den genannten deutschen
Wissenschaftlern zusammengetragen wurden,
noch durch eigene Forschungen und berücksichtigte, aufbauend auf ersten Kartierungen
von F. D. Gurevič (1960), in seinem Katalog zu
Denkmälern der prussischen Kultur zwischen
dem 6. und 13. Jahrhundert auch die in deutscher Zeit aufgedeckten Fundplätze.
Trotz der Qualität dieser Vorarbeiten sind die
einzelnen Werke jedoch stellenweise quellenkritisch zu hinterfragen. Hollacks (1908)
Fundstellenkatalog berücksichtigt nur die bis
kurz nach der Jahrhundertwende bekannten Plätze. Insbesondere die Forschungen der
1930er Jahre und die Etappe der sowjetischen
Archäologie erweiterten aber die Kenntnis
um archäologische Fundstellen beträchtlich,
so dass das frühe Bild heute lückenhaft wirkt
und lediglich den damaligen Forschungstand
widerspiegelt. Kleemanns (1939b) Zusammenstellung berücksichtigt aufgrund der speziellen Fragestellung nur ein relativ kleines Gebiet
im direkten Umkreis von Wiskiauten. Zwar
erlangt sie damit für diese Studie besondere
55
Bedeutung, allerdings sind hier Einzelfunde,
die nicht selten als Siedlungsanzeiger genutzt
werden, teilweise überbewertet. Die offenbar
hauptsächlich auf den Fundbeständen des Königsberger Prussia-Museums basierenden Studien von zur Mühlens (1975) lassen teilweise
die Berücksichtigung der zeitgenössischen archäologischen Publikationen zum Gebiet vermissen. So listet er in seinem Fundkatalog zum
Gräberfeld von Wiskiauten beispielsweise nur
diejenigen Gräber auf, zu denen in der Studiensammlung oder der Schausammlung74 Originalfunde oder Ausgrabungsberichte vorhanden waren. Die Publikationen der jeweiligen
Ausgräber bleiben nahezu unberücksichtigt.
So erklärt sich seine mit 86 Bestattungen viel
zu niedrig angesetzte Zahl an untersuchten
Gräbern. Tatsächlich sind bis zum Abschluss
der Arbeit etwa 300 Grabhügel untersucht gewesen (vgl. Kap. B.1 und Anm. 2). Die Fundlisten frühmittelalterlicher Fundgegenstände
(von zur Mühlen 1975, 77-120), insbesondere
solche vermeintlich skandinavischer Provenienz, stellen dagegen eine wertvolle Ergänzung
zu vorherigen Publikationen dar. Der Katalog
Kulakovs (1990) schließlich, der auf früheren
Arbeiten von Gurevič (1960) basiert und um eigene Feldforschungsergebnisse ergänzt wurde,
scheint vereinzelt zur Überinterpretation zu
neigen. So werden bereits kleine Mengen scheibengedrehter Keramikfragmente vorschnell zu
konkret umrissenen Siedlungsarealen ausgedeutet und zu ihrer Datierung herangezogen,
ein Verfahren, das in einer Region ohne vorhandene Keramiktypologien in Einzelfällen
fragwürdig erscheint. Von 325 Fundstellen in
Kulakovs (1990) Katalog sind nur zehn Plätze (ders. 1994, 190) durch archäologische Ausgrabungen untersucht worden. Den restlichen
Fundpunkten liegen Literaturrecherchen, die
frühere Ausgrabungsergebnisse berücksichtigen, oder eigene Oberflächenbegehungen zugrunde. Dabei sind besonders die Datierungen
wenig umfangreicher Keramikensembles kritisch zu betrachten. Besonders die exakte absolutchronologische Zuordnung zu einem ein
Jahrhundert umfassenden Zeitraum ist durch
die wenig untersuchten Keramiktypologien
und die geringe Anzahl sowie das möglicherweise aufgrund der ÜberlieferungsbedingunZu den beiden unterschiedlichen Sammlungsteilen vgl. Reich 2003; 2005.
74
56
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
gen verzerrte Fundbild bedenklich. Zusätzlich sind die Originalfunde heute nur schwer
überprüfbar, da sie in den für Außenstehende
schwer zugänglichen Fundmagazinen der russischen Museen gelagert werden. So kann bei
der Beurteilung von frühgeschichtlichen Siedlungsmustern nur auf die bisher publizierten
Ergebnisse zurückgegriffen werden.
Trotz dieser methodischen Einschränkungen
steht mit den genannten Werken, ergänzt
durch zahlreiche Einzelberichte zu den ermittelten Denkmälern in der archäologischen Literatur der Vorkriegszeit, mit den vorgenannten Werken eine gesicherte Quellenbasis zur
Verfügung, auf deren Grundlage sich Tendenzen einer Besiedlungsentwicklung aufzeigen
lassen.
A.7.1 Großräumiges archäologisches Umfeld
im Frühmittelalter
Spätestens ab dem 9. Jahrhundert ist für die
frühmittelalterlichen Bewohner des späteren
Ostpreußen der Begriff „Bruzi“ überliefert
(Udolph 2003, 535). Diese erste Erwähnung findet sich beim sog. Bayrischen Geographen, der
bei der Beschreibung der osteuropäischen Völker den Begriff für eine Region benutzt, die das
Volk der Prissani bewohnt. Um 965 ist beim
arabischen Schriftsteller Ibrahim Ibn Jakub der
Name Pruzzun oder Burus überliefert. Die Vita
S. Adalberti gibt um 997 Pruzzi, Pruteni, Pruscia und Pruzzia (Pertz 1841, 593, 597, 607, 613615, 876) als Namensvarianten an. Adam von
Bremen (Hamburgische Kirchengeschichte,
Buch IV, Kap. 18; vgl. Trillmich 1961b, 455ff.)
nennt die Bewohner des Samlandes Sembi vel
Pruzzi und bezieht sich hier auf den Stamm
der Sambier oder Samländer. Die Pruzzen oder
Prussen75 gehören zusammen mit den Litauern,
Letten und Kuren zur baltischen Sprach- und
Kulturgruppe. Ihr Siedlungsgebiet zwischen
unterer Weichsel und unterer Memel (Nowakowski 2003, 536) lässt sich in zwölf Landschaften76 untergliedern, die jeweils von kleineren
In den baltischen Sprachen wird das „s“ im Gegensatz zum stimmhaften „z“ stimmlos gesprochen.
Da die Schreibweise Pruzzen aus einer Zeit stammt,
als das stimmlose „s“ zur Bezeichnung des stimmhaften „z“ benutzt wurde, ergibt sich für den Begriff „Pruzzen“ ein langes „u“ bei stimmlosem „s“.
75
Abweichend Biskup/Labuda (2000, 66): 11 Gaue.
An anderer Stelle: Zehn Stammesterritorien und
76
Stammeseinheiten bewohnt wurden, die der
Legende nach von König Waidewuths Söhnen
in Besitz genommen worden sind (Tetzner
1902, 9). Von diesen wohnte der Stamm der
Samländer oder Semben im Samland. Ihnen
wird allgemein die bedeutendste wirtschaftliche und später auch politische Rolle unter den
prussischen Stämmen zugeschrieben, die sich
bereits im 9. Jahrhundert abzeichnete (Biskup/
Labuda 2000, 70).
Am Ende der Völkerwanderungszeit formieren sich die Prussen unter starkem slawischen
Einfluss als eigenständige Kulturgruppe (Nowakowski 2003, 537). Kennzeichnend sind verschiedene Keramikformen und die Entstehung
des auf Wallburgen basierenden Siedlungssystems, das ebenfalls auf slawische Modelle
zurückgeführt wird. Die Bestattungssitte der
frühmittelalterlichen Prussen dagegen basiert
auf kaiser- und völkerwanderungszeitlichen
Traditionen und äußert sich in urnenlosen
Brandgräbern, oft in Kombination mit Pferdebestattungen. Allerdings ist gerade die Übergangszeit zwischen dem späten 7. und dem frühen 9. Jahrhundert bisher kaum durch Bestattungen belegbar. Es scheint, dass in dieser Zeit
beigabenarme oder beigabenlose Bestattungen
vorherrschten (Engel 1935b, 69). Möglicherweise handelte es sich überwiegend um die
meist schlecht dokumentierten Knochenhäufchen in loser Erde, wahrscheinlich in einem
textilen oder organischen, heute nicht überlieferten Behältnis, die relativ oberflächennah deponiert wurden und durch die landwirtschaftlichen Arbeiten der vergangenen Jahrhunderte weitgehend zerstört sind, wie Nowakowski
(1996, 62) dies beispielsweise für Bestattungen
der Dollkeim-Kovrovo-Kultur annimmt.
Aus archäologischen Quellen sind die Prussen
neben Burgwallanlagen (Wendt 2009) und
wenigen Siedlungskomplexen hauptsächlich
durch Grabfunde auf ausgedehnten Flachgräberfeldern bekannt. Interessanterweise liegen
die Bestattungsareale des 10. und 11. Jahrhunderts häufig in den Randzonen von Gräberfeldern, deren Belegungsbeginn sich bis in die
Römische Kaiserzeit zurückverfolgen lässt und
die auch in der Völkerwanderungszeit bis ins
7. Jahrhundert hinein genutzt werden (Nowa20 Gaue (ebd. 69). Zehn Gaue nennt auch Gaerte
(1929, 355).
Grundlagen
kowski 1996, 22)77. Die Gräberfelder der ersten
sieben nachchristlichen Jahrhunderte werden
der Dollkeim-Kovrovo-Kultur (Nowakowski
1996, 14) zugeschrieben. Insbesondere die Zeit
des 7.–9. Jahrhunderts aber ist lediglich im Memelraum ansatzweise zu fassen (Engel 1931e;
1935b, 60-62). Grabfunde dieser Zeit sind aus
dem Gebiet der Dollkeim-Kovrovo-Kultur
bisher kaum bekannt. Durch weitreichende
Völkerverschiebungen in der ausklingenden
Völkerwanderungszeit wird das über Jahrhunderte relativ konstante Siedlungsgebiet
der Dollkeim-Kovrovo-Kultur vom Hinterland und damit dem Handelsnetz abgeschnitten. Der folgende Wandel zur frühmittelalterlichen Kultur der Prussen (Nowakowski 1996,
56) wird hauptsächlich mit einer veränderten
Grabsitte in Zusammenhang gebracht, die
wenige oder gar keine Beigaben in Gräbern
kennt. Es soll sich um einfache Bestattungen
in flachen Erdmulden gehandelt haben, in der
kalzinierte Knochen und Verbrennungsrückstände deponiert wurden (Engel 1935a, 117).
Als Auslöser dieser Umwandlung vermutet
Nowakowski (1996, 96) die Abwanderung der
kaiserzeitlichen, germanischen Wielbark-Restbevölkerung im Weichselmündungsgebiet
nach Süden, durch die das Samland wichtige
Handelspartner und Kulturvermittler verlor.
Als neue archäologische Einheiten formieren
sich von dieser Zeit an die sogenannte ElblagGruppe im Bereich der Elbinger Höhe und die
Olsztyn-Gruppe in Masuren. Die DollkeimKovrovo-Kultur gerät in der Folge in eine
Randlage, die die Bewohner des Samlandes
zur Umwandlung der bisherigen Siedlungsstruktur zwingt. Auf diese Umstände führt
Nowakowski (ebd. 97) das Entstehen neuer
Gräberfelder im 6. und 7. Jahrhundert zurück,
die trotz eindeutiger kultureller Wurzeln in
der Dollkeim-Kovrovo-Kultur – erkennbar anhand von Grabbeigaben wie Keramikgefäßen
oder Armbrustsprossenfibeln und an den Gräbern mit Pferdebeigabe – eine ganz neue Kultur repräsentieren. Seit dieser Zeit sind deutliche skandinavische Einflüsse im prussischen
Fundgut erkennbar (ders. 2007, 153).
Die zahlreichen Burgwälle, die schon bei WulfVgl. z.B. die bereits 1928 und 1930 ausgegrabene
und in den Jahren 2003 und 2004 nachuntersuchte Nekropole von Groß Ottenhagen/Berezovka im
Kaliningrader gebiet (Ibsen/Skvorzov 2005).
77
57
stan (Lund 1984, 23) in seiner Beschreibung der
Aisten respektive der Prussen in der Mitte des
10. Jahrhunderts genannt und auch in Cromes
(1937) Karte der vorgeschichtlichen Wallanlagen Ostpreußens sichtbar werden, sollen
jeweils von eigenen, unter einander kriegführenden Königen beherrscht worden sein. Sie
lassen sich durch mangelnde archäologische
Untersuchungen heute im Allgemeinen nur
schwer datieren. Ein Großteil dürfte jedoch
tatsächlich den Prussen zuzuschreiben sein.
Siedlungskomplexe sind in jüngerer Zeit
nur wenige ausgegraben worden (vgl. Kap.
A.7.2.4.1). Sie bleiben in ihrer Datierung meist
unsicher, die Ergebnisse sind nur ansatzweise
publiziert (Gurevič 1960; Kulakov 1990).
Insbesondere für die Zeit ab dem 9. Jahrhundert sind im gesamten Siedlungsgebiet der
westbaltischen Kulturen viele Plätze mit skandinavischem Fundmaterial bekannt geworden.
Neben zahlreichen einzelnen Grabfunden (beispielsweise Mewe bei Elbing) und einigen Einzelfunden ist im Weichselgebiet das vom späten 8. Jahrhundert an auflebende und bis zum
Beginn des 10. Jahrhunderts bestehende Handelszentrum Truso am Drausensee in Polen
eingehender untersucht worden (Jagodziński
2000a-b; 2006). Auch die Küstenzonen Litauens,
Lettlands und in geringerem Maße auch Estlands weisen zahlreiche skandinavisch beeinflusste Fundplätze auf. Besonders gilt dies für
das bereits in den 1920er Jahren untersuchten
Grobin/Grobin in Lettland, das heute überwiegend mit der in Schriftquellen genannten Seeburg gleichgesetzt wird und als ältester „port
of trade“ nicht nur im Baltikum, sondern im
gesamten Ostseeraum angesehen wird (Steuer
1999a, 60-61). Daneben existieren weitere Fundplätze, an denen sich auffallend viele skandinavische Gegenstände eingestellt haben. Hier
sind vor allem Daugmale in Lettland und Palanga in Litauen bzw. Plätze an der Mündung
der Memel (heute Neman) ins Kurische Haff
wie die Gräberfelder von Linkuhnen/Rževskoe (Engel 1931e), Oberhof/Aukśtakiemiai
(Reich 2006) oder Wischwill/Viešvilė (Nerman
1931; Bogucki 2006, 95) anzuführen.
Zwischen den beiden großen Zentren Truso
und Grobin liegt rein geographisch gesehen
der Fundplatz Wiskiauten. Er scheint aber erst
dann zu entstehen, als beide anderen Orte ihre
herausragende zentralörtliche Position, beru-
58
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
hend auf Handelstätigkeiten und entwickeltem Handwerk, bereits verloren haben oder
im Niedergang begriffen sind. Dementsprechend wurde bereits mehrfach die These geäußert, die in Wiskiauten durch die Anwesenheit
der Grabfunde im Hügelgräberfeld zu postulierende skandinavische Handelssiedlung sei
von Personen gegründet worden, die aus einer dieser beiden Metropolen gekommen sein
könnten (von zur Mühlen 1975, 16, 56; Martens 1996, 54; Kulakov 1994, 211). Während
diese Fundplätze aber einerseits jeweils in ein
stark einheimisch geprägtes Siedlungsmuster
eingepasst sind, geht von ihnen andererseits
offenbar in Bezug auf Handelstätigkeit und
Austausch ein starker Impuls auf die Umgebung aus, der vermutlich mit der Anbindung
an Seehandelswege verbunden war. Diese
Handelstätigkeiten werden an der steigenden
Zahl von Importgütern sichtbar. Von zur Mühlen (1975) kartierte die Funde „wikingischen“
Gepräges in Ostpreußen und arbeitete neben
Truso besonders das Gebiet um Wiskiauten
und das Memelmündungsgebiet als Zentren
skandinavischen Einflusses heraus.
Insgesamt lässt sich seit den Verbreitungskarten von zur Mühlens (1975, 161ff; siehe hier
Abb. 17) von Funden „wikingischen Gepräges“ in Ostpreußen, die allerdings schon zur
Erstellungszeit veraltet und nicht vollständig
erscheinen, eine große Streuung skandinavisch geprägter Objekte im Samland erkennen,
die zunächst allgemein auf Handelstätigkeiten
hinweisen. Hier sind in erster Linie Waagen
und Gewichte sowie Silbermünzen anzuführen.
Dagegen können Fibeln als Trachtbestandteile Hinweise auf eine kulturelle Zugehörigkeit
ihrer Trägerinnen liefern. Dementsprechend
dürfte die Beschränkung ovaler Schalenfibeln
im Samland (ebd. Karte 2) auf den Fundplatz
Wiskiauten, abgesehen von einem Exemplar
des Typs JP 37 aus Bieskobnicken (ebd. 77
Fundliste 2 a), deutlich auf die Rolle Wiskiautens als Wohnstätte von skandinavischen Frauen hinweisen. Gleiches gilt für die Verbreitung
der Dosenfibeln (ebd. 79-80 Fundliste 7), Dosenschnallen (ebd. 80 Fundliste 8), gleicharmigen Fibeln (ebd. 82-85 Fundlisten 10–11) und
der meisten Armringtypen (ebd. 86-89 Fundlisten 13–17) sowie Perlen (ebd. 89-90 Fundliste 18), runden Filigrananhängern (ebd. 90
Fundliste 19), Schleifsteinen (ebd. 91 Fundliste
22), Schlüsseln (ebd. 93 Fundliste 26) und besonders von Eimerteilen (ebd. 91 Fundliste 21)
und Schildbuckeln (ebd. 116 Fundliste 43). Alle
diese Funde kommen nach diesen Fundlisten
ausschließlich in Wiskiautener Gräbern vor.
Mittlerweile sind jedoch insbesondere durch
die Ausgrabungen von V. I. Kulakov auch vereinzelte Funde auf Wiskiauten benachbarten
Fundstellen bekannt geworden, wie ein Eimerbügel aus Grab 16 von Klinzovka/Irzekapinis
der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts beweist
(Kulakov 1990, 74 Taf. 44).
Andere Fundgattungen, insbesondere Waffen – wie Lanzenspitzen verschiedener Typen,
Ortbänder und Schwerter – sind wesentlich
variantenreicher und besitzen ein größeres
Verbreitungsgebiet (vgl. von zur Mühlen 1975,
Karten 6–8), das sich vermutlich durch Handel
erklären lässt. Besonders zahlreich kommen
sie neben der Konzentration im Umfeld von
Wiskiauten an den Fundplätzen Linkuhnen/
Rževskoe, Wischwill/Viešvilė und Oberhof/
Aukśtakiemiai im Memelmündungsgebiet vor.
Diese Beobachtungen stützen weiterhin die
Annahme, dass in Wiskiauten ein wichtiger
Warenumschlagsplatz gelegen hat, über den
möglicherweise im Austausch gegen Bernstein,
Felle und Sklaven, möglicherweise auch Pferde (Biskup/Labuda 2000, 91) und andere Naturprodukte skandinavische Waffen und andere
Handelsobjekte ins Hinterland und eventuell
sogar weiter in Richtung Kiev gelangten.
Im Allgemeinen werden diese Handelstätigkeiten auf den Seehandel über die Ostsee zurückgeführt, der von Skandinaviern initiiert
worden sein dürfte. Der Warenverkehr soll
dabei über das Kurische Haff bzw. einen oder
mehrere Durchbrüche durch die Kurische
Nehrung zur Ostsee abgewickelt worden sein.
Allerdings bieten sich auch alternative Handelsrouten an, welche die zahlreichen schiffbaren Flüsse der Region als Verbindung zum
Hinterland nutzten.
In erster Linie kommt hier die Memel in Frage.
Allein in ihrem Mündungsgebiet sind bis 1939
insgesamt 16 Fundplätze mit skandinavischen
Importen in Gräbern einheimischer Personen
entdeckt worden (von zur Mühlen 1975, 17).
Hierfür dürfte die schon mehrfachvermutete
Bedeutung der Memel im Handelsverkehr mit
dem Hinterland in Richtung Kiewer Rus aus-
Grundlagen
59
Abb. 17 Verbreitungskarte skandinavischer Funde in Ostpreußen (von zur Mühlen 1975, 261 Abb. 1).
schlaggebend sein78.
Neben dem Handelsweg, der sich durch die
Memel bzw. ihre Nebenflüsse im Mündungsbereich ergibt, sind aber auch weitere Handelsrouten anzunehmen oder wahrscheinlich zu
machen. So könnte beispielsweise eine Reise
ins Weichselgebiet nach Truso nicht nur über
die Ostsee verlaufen sein. Über die Deime
(heute Deima), die etwa 40 km östlich beim früheren Labiau (heute Polessk) ins Haff mündet,
ist zunächst das Erreichen des Pregel möglich,
der wiederum ins Frische Haff mündet. Von
Jankuhn 1937b, 86f.; Scheel 1938, 201-202; Oxenstierna 1959, 56; 1965, 79; Martens 1996, 56.
78
hier aus ist die Weiterfahrt ins Weichselgebiet
denkbar. Dass dieser Schifffahrtsweg relativ
früh, nämlich seit der künstlichen Verbindung
des Pregel und der Deime ab dem Anfang
des 14. Jahrhunderts (Forstreuter 1931, 7f.),
genutzt wurde, ist durch historische Berichte
überliefert. So soll der Hochmeister des Deutschen Ordens, Karl Beffart von Trier, der das
Ordensgebiet von 1313–1315 gegen Litauen
verteidigte, im Jahr 1313 eine Flotte von zwölf
Schiffen mit Proviant vom Drausensee aus
durch das Frische Haff und den Pregel zunächst
bis Tapiau (heute Gwardiesk) und weiter über
die Deime zur Ordensburg Christmemel bei
60
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Ragnit an der Memel ausgesandt haben (Bonk
1895, 107f.). Ob diese Verbindung, vielleicht in
eingeschränkter Form, auch vorher zur Verfügung stand, ist nicht bekannt. Grunert (1938,
55) erwog diese Möglichkeit. Zumindest eine
dichte Konzentration von wikingerzeitlichen
Waffen und einigen besonders reichen Gräberfeldern bei Labiau an der Mündung der Deime79 und in geringerem Maße auch bei Tapiau
selbst80 legen nahe, dass sich hier strategisch
wichtige Stationen des frühmittelalterlichen
Handelsnetzwerkes befunden haben.
Ab Wehlau (heute Znamensk) am Pregel, wo
sich ebenfalls eine Fundkonzentration in von
zur Mühlens (1975) Karten zeigt, bot sich
alternativ der Fluss Alle zum Erreichen der
südlichen Landesteile an. Fuhr man den Pregel aufwärts, gelangte man in das Gebiet der
Masurischen Seenplatte, flussabwärts dagegen
erreichte man das Frische Haff.
Durch seine Lage am Kurischen Haff und die
damit verbundene Nähe der Ostsee einerseits,
andererseits durch die Anbindung an schiffbare Flüsse zur Erschließung des Hinterlandes
vereint Wiskiauten also wesentliche topographische und geostrategische Merkmale eines
Seehandelsplatzes. Zusätzlich bietet die geschützte Lage in einem Winkel des Kurischen
Haffs gute Voraussetzungen für eine relativ
ungestörte Entwicklung von Handelsaktivitäten. Die Randlage in Küstennähe des Kurischen Haffs und die damit vorhandene Anbindung an das Seehandelsnetzwerk Ostsee
lassen die Orientierung Wiskiautens auf den
überregionalen Handel erkennen, wenngleich
damit noch wenig über die Träger dieses Handels gesagt ist.
A.7.2 Kleinräumiges archäologisches Umfeld
Die Betrachtung der Fundstellen, die durch archäologische Untersuchungen im Umfeld des
Fundplatzes Wiskiauten in den vergangenen
gut 150 Jahren Forschung lokalisiert wurden,
beschränkt sich hier auf einen relativ kleinen
von zur Mühlen 1975, 17; 261 Karte 1: Nr. 37:
Lablacken, Kr. Labiau; Nr. 44: Löbersthof, Kr. Labiau; Nr. 61: Possritten, Kr. Labiau; Nr. 91: Viehof,
Kr. Labiau.
79
von zur Mühlen 1975, 17; 261 Karte 1: Nr. 47:
Magotten, Kreis Wehlau; Nr. 80: Sielacken, Kreis
Wehlau; Nr. 100: Zophen, Kreis Wehlau; Nr. 102:
Damerau, Kreis Wehlau)
80
Raum. Sie orientiert sich an einer bereits im
Jahr 1939 von Kleemann (1939b) vorgelegten
Kartierung von 77 archäologischen Fundstellen in einem Streifen von etwa 10 km Breite
(Abb. 18), der von Weischkitten und Dollkeim
im Westen bis Schmiedehnen im Osten parallel zur Ostseeküste verläuft. Zusätzlich sind
Kartierungen von zur Mühlens (1975) und
besonders von Kulakov (1990) eingearbeitet,
die den älteren Forschungsstand Kleemanns
aktualisieren. Als nördliche Grenze wurde natürlicherweise die Ostsee gewählt, die Grenze
im Osten ergibt sich durch das Kurische Haff.
Im Süden reicht der untersuchte Raum bis ehemals Corben (heute Krasnoflotskoe), im Westen etwa bis Dollkeim (heute Kovrovo) bzw.
Weischkitten (heute Sokolniki). Diese Limitierung ist insofern zulässig, als für die Frage
der zum Gräberfeld in der Kaup gehörenden
Siedlung nur das direkte Umfeld relevant ist.
Für die Lage der Siedlung ist von Fundstellen
außerhalb dieser Region keine direkte Beeinflussung zu erwarten. Selbstverständlich ist
aber bei allen Interpretationsmodellen stets
das allgemeine Siedlungsbild der Region zu
berücksichtigen.
A.7.2.1 Neolithikum
Bereits im Neolithikum scheint besonders in
der Region um Selenogradsk/Cranz ein dichtes Siedlungsgefüge bestanden zu haben. Darauf deuten zahlreiche Streufunde von Steinbeilen und Feuersteinwerkzeugen etc. hin. Die
von Kleemann (1939b) katalogartig dokumentierten Steinzeitfundstellen81 resultieren aber
lediglich aus einzelnen Streufunden und können nicht als gesicherte Siedlungsplätze gelten,
da kein einziger in einer Ausgrabung erfasst
worden ist. Immerhin zeugen aber auch diese
Einzelfunde von einer intensiven Besiedlung.
Besonders ein spätneolithisches Hügelgrab in
Es handelt sich um die Fundstellen Cranz-Forst
„Fundstelle 1“ (Kleemann 1939b, 218), Friedrichswalde „Fundstelle 1“ und „Fundstelle 2“ (ebd. 219),
Grünhoff-Nautzau „Fundstelle 3“ und „Fundstelle 5“ (ebd.), Michelau „Fundstelle 1“ (ebd. 221),
Mülsen „Fundstelle 1“ und „Fundstelle 4“ (ebd.),
Schmiedehnen „Fundstelle 1“ (ebd. 222), Wargenau „Fundstelle 1“ (ebd. 223), Weischkitten „Fundstelle 1“, „Fundstelle 3“ und „Fundstelle 4“ (ebd.
224), Wosegau „Fundstelle 1“, „Fundstelle 6“ und
„Fundstelle 7“ (ebd. 224-225).
81
Grundlagen
61
Abb. 18 Karte archäologischer Fundstellen in der Umgebung von Wiskiauten (Kleemann 1939b Abb. 1).
der Kaup mit insgesamt drei steinzeitlichen
Skelettbestattungen (ebd. 224) ist als indirekter
Ausdruck dieser Siedlungsaktivität zu werten.
Das Grab wird der schnurkeramischen Kultur
zugeordnet und lässt sich somit ins späte Neolithikum einordnen (Heydeck 1877; Kleemann
1939b, 208). Dass die östlich Wiskiautens am
Niederungsrand zur Bledauer Beek gelegene
halbinselartige Erhebung aus sandigem Boden mit dem Flurnamen Palve, wie Kleemann
(1939b, 225 Wosegau „Fundstelle 6“) angibt,
mit einer Steinzeitansiedlung besetzt gewesen
ist, kann nun durch ein neues 14C-Datum82 aus
Fläche 10 ansatzweise wahrscheinlich gemacht
werden. Andererseits aber fanden sich in einer
im Jahr 2007 angelegten Ausgrabungsfläche
(vgl. Kap. C.5.4, Fläche 5) von 2 x 2 m am Fuß
der Palve keinerlei Hinweise auf eine Siedlung
dieser Zeitstellung. Vielmehr sind hier Reste einer Siedlung aus dem 7.–8. Jahrhundert durch
KIA 37090: Radiocarbon Age: BP 4530 +/- 33, OneSigma-Range: cal BC 3356-3117, Two-Sigma-Range:
cal BC 3361-3102.
82
mehrere Kulturschichten und zahlreiche Keramik- und Tierknochenfunde dokumentiert
worden. Alle 14C-Daten sprechen für eine Datierung ans Ende des ersten nachchristlichen
Jahrtausends.
Der Blick auf die Karte (Abb. 18) Karte zeigt
eine klare Konzentration der steinzeitlichen
Fundstellen auf den Bereich westlich, südlich
und östlich der Kaup. Die in den geomagnetischen Messungen erkannten Anomalien könnten daher durchaus auch steinzeitliche Fundstellen wiedergeben, denn in diesem Bereich
sind aufgrund der Fundanhäufung Siedlungsspuren zu erwarten, die zum großen Hügelgrab mit den steinzeitlichen Bestattungen passen83. Wie eng Befunde der verschiedenen archäologischen Epochen in räumlicher Hinsicht
beieinander liegen können, zeigt neben dem
steinzeitlichen Hügelgrab mit wikingerzeitliDiese Vermutung wird durch die im Sommer
2008 angelegte Fläche 10 bestätigt, da eine Holzkohleprobe aus dem untersten Kulturhorizont eine
14
C-Datierung in die Zeit um 3000 v. Chr. lieferte.
83
62
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
chen Bestattungen im direkten Umfeld auch
eine neue 14C-Datierung aus den Ausgrabungen V. I. Kulakovs. Bei der Untersuchung von
Grabhügel K 140a sind neben einer Körperbestattung auch drei Brandgräber zum Vorschein
gekommen. Während die Körperbestattung in
die Zeit zwischen 828 und 101784 datiert und
auch zwei der drei Brandgräber in die Zeit
des späten 8. bis frühen 11. Jahrhunderts85 eingeordnet werden können, lieferte das dritte
Brandgrab 14C-Daten aus der Zeit zwischen
2833-2474 v. Chr.86 Auch wenn es sich um umgelagertes Material handelt, ist durch dieses
Ergebnis bei allen Interpretationen von Befunden ohne weitere Datierungshilfen äußerste
Vorsicht angebracht.
A.7.2.2 Bronzezeit und Vorrömische Eisenzeit
Hinweise auf Bestattungen aus der Bronzezeit und der vorrömischen Eisenzeit liefert
ebenfalls das steinzeitliche Hügelgrab. Bei
mehreren Autoren (Heydeck 1893; Hollack
1908, 198; 201; 202; Engel 1932b) sind bronzezeitliche und eisenzeitliche Nachbestattungen
im großen Grabhügel in der kleinen Kaup erwähnt, der sogar in „fünf Stockwerken übereinander steinzeitliche und bronzezeitliche
Bestattungen, darüber eine Gruppe eisenzeitlicher Urnenbestattungen“ (Engel 1935a, 109)
enthalten haben soll, wobei hier die Römische
Kaiserzeit gemeint ist (Hollack 1908, 185; vgl.
Kap. A.7.2.2.3). Bestattungen aus der vorrömischen Eisenzeit sind somit nicht bekannt.
Mindestens eine weitere Bestattung aus der
Bronzezeit muss im nahegelegenen Wäldchen
„Kunterstrauch“ gelegen haben (Heydeck 1909,
213). Außerdem führt Kulakov (Archiv Kaliningrad) eine Fundstelle an, die auf dem
Gelände des alten Gutshauses in ehemals Bledau (heute Sosnovka) liegt. Im Garten südlich
des Gutshauses befinden sich noch heute die
KIA 35333: Radiocarbon Age: BP 1111 ± 35, OneSigma-Range: cal AD 894-976, Two-Sigma-Range:
cal AD 828-1017.
84
KIA 35330: Radiocarbon Age: BP 1080 ± 24, OneSigma-Range: cal AD 899-1010, Two-Sigma-Range:
cal AD 895-1017; KIA 35331: Radiocarbon Age: BP
1144 ± 28, One-Sigma-Range: cal AD 874-969, TwoSigma-Range: cal AD 781-976.
85
KIA 35332: Radiocarbon Age: BP 4043 ± 32, OneSigma-Range: cal BC 2619-2491, Two-Sigma-Range:
cal BC 2833-2474.
86
Reste eines kleinen Pavillons auf einer leichten Bodenerhebung. Diesen Hügel von 22 m
Durchmesser und 2,5 m Höhe untersuchte
Kulakov im Jahr 1983 und stellte eine Umfassung aus Steinen fest. Es soll sich aufgrund
typologischer Vergleiche um einen Grabhügel
der Bronzezeit handeln. Es könnte sich jedoch
ganz einfach auch um einen als Fundamentierung aufgeschütteten Hügel handeln, auf den
die noch heute sichtbare Familiengrabstätte
von Schloß Bledau gründet.
Während sich bei Hollack (1908, 201) nur der
allgemeine Hinweis auf Einzelfunde der jüngeren Bronzezeit findet, hat Kleemann (1939b)
mehrere bronzezeitliche Einzelfunde mit
Fundstellenangabe katalogisiert87. Alle Funde
sind heute verschollen, Abbildungen in der Literatur existieren nicht.
Als Einzelfund der vorrömischen Eisenzeit ist
lediglich eine Nadel mit geradem Fuß, halbkreisförmigem, mit weißblauen Emailperlen
garniertem Bügel und zugespitztem Endknopf
anzuführen (Kemke 1906, 46; Kleemann 1939b,
224 „Fundstelle 1“). Siedlungsstellen dieser
Zeit waren in der vorkriegszeitlichen archäologischen Forschung hier bisher nicht bekannt.
Zumindest ein Grabfund dagegen scheint als
Nachbestattung im steinzeitlichen Hügel vorgelegen zu haben. Ausdrücklich werden von
Hollack (1908, 184) „zwei La Tène-Gefäße“
erwähnt.
Die deutlichsten Anzeichen auf eine Besiedlung der vorrömischen Metallzeiten liefern die
jüngsten archäologischen Forschungen. Die
Ergebnisse der geomagnetischen Messungen
in Kombination mit den Bohrungen und Ausgrabungen sollen hier nach Zeiten getrennt
vorgestellt werden.
A.7.2.2.1 Bronzezeit
Bisher sind aus zwei Anomalien88 im Nordosten des Gräberfeldes 14C-Datierungen bekannt, die auf die späte Bronzezeit hindeuten.
Es handelt sich um die Fundstellen Corben
„Fundstelle unbekannt“ (Kleemann 1939b, 217),
Mülsen „Fundstelle unbekannt“ und „Fundstelle 5“
(ebd. 221), Wosegau „Fundstelle 1“ und „Fundstelle 10“ (ebd. 224).
87
Auch bei den Untersuchungen des Jahres 2008
sind auf der Palve und in ihrem Umfeld bronzezeitliche Siedlungsspuren aufgedeckt worden (vgl.
Kap. C.4.4.10).
88
Grundlagen
Beide Anomalien liegen in einem Abstand von
nur etwa 90 m in der langgestreckten geomagnetischen Messfläche E östlich der Straße
Wiskiauten-Wosegau. Das kleinere der beiden
Objekte an_54/07 mit einem Durchmesser89 von
1,7 m erwies sich durch die Bohrung als Befund von 0,85 m Tiefe unter der Geländeoberfläche. Deutlich war der Ackerhorizont von
0,35 m Mächtigkeit vom darunterliegenden
Erdmaterial abzugrenzen, das aus stark sandigem Lehm dunkelbrauner Färbung mit Einschlüssen von Holzkohle und kleinen Rotlehmpartikeln bestand. Aus einem Tiefenbereich
zwischen 0,7 und 0,8 m wurde eine Holzkohleprobe zur Datierung entnommen und auf die
Zeit zwischen 792 und 411 v. Chr.90 datiert.
Das größere Objekt an_57/07 mit einer ungefähren Ausdehnung von 2,5 x 3 m mit schwarzem
Kern und leichtem weißen Schatten im Norden lässt sich anhand einer Holzkohleprobe,
die in einer Tiefe von 0,3-0,55 m entnommen
wurde, datieren. Sie lieferte ein Radiokarbonalter von BP 2725 +/- 35 und ein kalibriertes
Alter von 968-806 v. Chr.91. Das Objekt dürfte
daher in die jüngere Bronzezeit einzuordnen
sein. Somit kann der Befund der späten Bronzezeit zugewiesen werden. Unter der holzkohleführenden, gräulichbraunen Schicht aus sandigem Lehm sind durch die Bohrung Steine
nachgewiesen.
Funktion und Ausmaße der beiden Befunde
bleiben ohne weitere Untersuchungen unklar.
Dennoch liegen hier Hinweise auf archäologische Befunde vor, die durch ihre räumliche
Nähe zueinander sowie durch das Vorhandensein von weiteren Objekten in der direkten
Umgebung auf Siedlungsspuren dieser frühen
Zeitstellung hinweisen.
Abgesehen von den zuvor erwähnten Einzelfunden und den bronzezeitlichen Nachbestattungen im großen Steinzeithügel der Kaup
bleiben diese Objekte sowie die im Jahr 2008
in Fläche 10 lokalisierte Siedlungsschicht (vgl.
Der Durchmesser wurde aus den geomagnetischen Messbildern bei einem Wert von +/- 6nT ermittelt.
89
KIA32978: Radiocarbon Age: BP 2496 +/- 69, OneSigma-Range: cal BC 777-531, Two-Sigma-Range:
cal BC 792-411.
90
KIA 32979, Radiocarbon Age: BP 2725 +/- 35, OneSigma-Range: cal BC 897-832, Two-Sigma-Range:
cal BC 968-806.
91
63
Kap. C.4.4.10) die einzigen Anzeichen für eine
bronzezeitliche Besiedlung im direkten Umfeld von Wiskiauten.
A.7.2.2.2 Vorrömische Eisenzeit
Hinweise auf eine Besiedlung des Geländes
sind zunächst wiederum indirekt durch das
steinzeitliche Hügelgrab in der Kaup nachgewiesen, das auch eine eisenzeitliche Nachbestattung enthalten haben soll (Hollack 1908,
184).
Siedlungsreste sind durch die rezenten Ausgrabungen belegt. Zwei geomagnetische Anomalien stellten sich als eisenzeitliche Befunde heraus. Einmal handelt es sich um einen
Ofenbefund in Fläche 1 (vgl. Kap. C.5.1), ein
anderes Mal um eine Wirtschaftsgrube in Grabungsfläche Fläche 7 (vgl. Kap. C.5.2).
Weitere Fundstellen dieser Zeit sind in der
Umgebung des Gräberfeldes von Wiskiauten
nicht bekannt.
A.7.2.3 Römische Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit
Auf dem Gebiet der heutigen Kaliningrader
Region entstand gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts die Dollkeim-Kovrovo-Kultur (Nowakowski 1996, 14), die mit den
bei Tacitus (Tac. Germ. 45, 2-4; vgl. Much 1937,
400ff.) überlieferten Aestii/Aisten gleichgesetzt
wird (Nowakowski 1996, 109). Insgesamt blieb
das Siedlungsgebiet der Dollkeim-Kovrovo-Kultur, das sich mit dem Territorium der
vorangehenden westbaltischen Hügelgräberkultur deckt, in den ersten vier Jahrhunderten
und auch in der nachfolgenden Völkerwanderungszeit bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts stabil. Das könnte als Anzeichen einer außergewöhnlichen Siedlungskontinuität interpretiert
werden. Siedlungen der Dollkeim-KovrovoKultur selbst allerdings sind bisher nicht genügend erforscht, sie haben vermutlich weniger
deutliche Spuren hinterlassen.
Die erste Erwähnung kaiserzeitlicher Funde
in Form römischer Bronzemünzen aus dem
Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten datiert
ins Jahr 1874. Bujack (1874, 81-83) listet als
Geschenke, die der Prussia-Gesellschaft vom
Gutsbesitzer von Batocki übergeben worden
sind, unter anderem fünf Bronzemünzen, die
offenbar stark abgegriffen waren. Sie werden
als römische Münzen spezifiziert. Ihr Fund-
64
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
ort wird mit Kaup angegeben, der genaue
Ort im Wäldchen allerdings ist „nicht zu ermitteln“, ob sie aus Grabzusammenhängen
stammen, bleibt somit unklar. Auch Heydeck
(1900, 61) hat offenbar bei der Freilegung des
steinzeitlichen Hügelgrabes „in der Nähe des
Hügels mehrere Gräber der älteren Eisenzeit“
dokumentieren können, wobei mit älterer Eisenzeit in diesem Fall die Perioden C und D
der ältere Römischen Kaiserzeit gemeint sind.
Das zumindest geht aus einer Erwähnung bei
Hollack (1908, 185) hervor: „In der Nähe des
erwähnten Grabhügels [gemeint ist der Steinzeithügel im Osten der Kaup] Gräber aus der
älteren Eisenzeit. Zeitstellung: C, D. Römische
Münzen. Lit.: BP XIX 61“. Weitere kaiserzeitliche Gräber muss es nach Heydeck (1900, 61)
im Westen der großen Kaup gegeben haben.
Auf dieselben Bestattungen beziehen sich vermutlich auch andere Erwähnungen in der Literatur. So schreibt Bezzenberger (1897, 30)
ebenfalls von kaiserzeitlichen Gräbern.
Die bei Hollack (1908, 185) erwähnten Münzen scheinen zunächst bei Bolin (1926, 220)
sogar näher beschrieben. Demnach sind hier
vermutlich bis zu 23 Gräber freigelegt worden,
da die Aufzählung der Funde bei Bolin mit
dieser Grabnummer endet.
Die Tatsache, dass die Gräber sogar mit Grabnummern und Inventar benannt sind, lässt
auf reguläre Ausgrabungen der Prussia-Gesellschaft schließen, auf die aber in der Literatur keine weiteren Hinweise zu finden sind.
Möglicherweise handelt es sich dabei um die
von J. Heydeck in dem der Kaup benachbarten Gräberfeld von Kunterstrauch92 freigelegten kaiserzeitlichen Bestattungen (Heydeck
1877; 1909; Kleemann 1939b, 224). Die Verlegung dieser Gräber ins Wäldchen Kaup wäre
demnach falsch. Diese Annahme findet ihre
Bestätigung in den Literaturangaben bei Bolin (1926, 220), denn sie beziehen sich auf den
Grabungsbericht von Heydeck (1909) in den 22.
Sitzungsberichten der Altertumsgesellschaft
Prussia für die Jahre 1900-1904. Dort findet
Der sog. Kunterstrauch ist ein etwa 1000 m nordwestlich des Wäldchens Kaup gelegenes Waldstück
(vgl. Abb. 12), das neben kaiserzeitlichen Flachgräbern auch zwei Hügelgräber mit Skelettbestattungen des 13. und 14. Jahrhunderts enthalten haben
soll (Heydeck 1877). Diese beiden Hügelgräber sind
noch heute deutlich im Wald zu erkennen.
92
sich der Bericht von Heydecks Grabungen im
Kunterstrauch. Kleemann (1939b, 224) gibt für
die Ausgrabungen Heydecks im Kunterstrauch
27 untersuchte kaiserzeitliche Gräber an. Diese Zahl an Bestattungen dürfte mit den von
Bolin (1926, 220) erwähnten 23 Bestattungen
korrelieren, auch wenn der Unterschied in der
Nummerierung keine Erklärung findet. Die
römischen Münzen stammen also vermutlich
nicht aus dem Wäldchen Kaup, sondern aus
dem benachbarten Wäldchen Kunterstrauch.
Auf das gleiche Gräberfeld nimmt auch Nowakowski (1996, 45) Bezug und gibt als Entdeckungszeitpunkt des Gräberfeldes das Jahr
1876 an, im Jahr 1899 sollen weitere 18 Gräber
untersucht worden sein. Zeitlich verlegt er die
Nekropole in die überregionalen Stufen B2a
bis C2-C3 (Nowakowski 1996, 45).
Auch Engel (ALM)93 erwähnt kaiserzeitliche
Bestattungen aus der Umgebung der Kaup:
„Im Prussia-Museum liegen ferner eine Anzahl spätkaiserzeitlicher und frühvölkerwanderungszeitlicher Streufunde, die auf das
Vorhandensein eines nachchristlichen preußischen Flachgräberfeldes schließen lassen, dessen Lage jedoch bisher nicht sicher festgestellt
werden konnte.“ Abbildungen dieser Funde
sind vermutlich in den Fundzeichnungen im
Feliks-Jakobson-Archiv in Riga (Wróbleswki
2006a, 225 Abb. 4) überliefert. Es handelt sich
um zwei jüngerkaiserzeitliche Fibeln, einen
jüngerkaiserzeitlichen Armring und eine völkerwanderungszeitliche Sternfußfibel (Åberg
1919, 159 Nr. 33) vom Typ II nach A. BitnerWróblewska (1991), die sich ins 5. Jahrhundert
einordnen lässt.
Ein ähnlicher Eintrag in Engels handschriftlichen Notizen spricht sogar von zahlreichen
Inventarnummern im Prussia-Museum, darunter ein „schwerer massiver eckiger I-Armring“94, der von Engel (ALM) vorsichtig in
die Stufe C datiert wurde, sowie nicht näher
benannte Funde95 aus der Stufe D und aus
Manuskriptfragment zur Vorbereitung von Band
II der „Vorgeschichte der altpreußischen Stämme“
im Nachlass von R. Grenz im Archäologischen
Landesmuseum Schleswig (Stiftung SchleswigHolsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf).
93
Die alte Prussia-Inventarnummer ist angegeben:
P.M. Inv. III.104.941 (Engel, ALM).
94
Alte Prussia-Inventarnummer: P.M.Inv. III.104.941
(Engel, ALM).
95
Grundlagen
den Stufen C und D96. Von „Gräbern der älteren Eisenzeit“ berichtet auch Heydeck (1900,
61), womit vermutlich ebenfalls die Römische
Kaiserzeit gemeint ist. Interessant ist der Hinweis, dass sich „ebensolche Gräber“ auch „am
westlichen Ende“ des Waldes befunden haben
sollen.
Neben diesen Funden, die unmittelbar vom
Territorium des späteren Hügelgräberfeldes
zu stammen scheinen, sind kaiserzeitliche und
völkerwanderungszeitliche Fundstellen auch
aus der näheren Umgebung bekannt. Anzuführen ist hier das schon erwähnte Gräberfeld
im Kunterstrauch, das von Heydeck (1909;
vgl. auch Nowakowski 1996, 45) teilweise
ausgegraben wurde. Weitere zwölf Fundstellen97, insbesondere aus der Römischen Kaiserzeit, listet Kleemann (1939b) auf. Unerwähnt
bleibt das berühmte Gräberfeld von Dollkeim/
Kovrovo, das mit Unterbrechungen seit Beginn der Römischen Kaiserzeit bis ins 12. Jahrhundert belegt ist und namengebend wurde
für die von Nowakowski (1996, 14) definierte
Dollkeim-Kovrovo-Kultur. Neben der Masse
der Gräber aus den ersten fünf nachchristlichen Jahrhunderten und einigen frühmittelalerlichen Bestattungen (vgl. Kap. A.7.2.4.3)
enthielt dieses Gräberfeld anscheinend auch
Grablegen des 7. und 8. Jahrhunderts und somit der frühesten, im Umfeld von Wiskiauten
nachzuweisenden Siedlungsphase. Auch das
Gräberfeld von Grünhoff-Nautzau (ebd., 219
Fundstelle 1) scheint schon in der Kaiserzeit
belegt zu sein und ist offenbar bis um 600 als
Bestattungsplatz genutzt worden. Hier liegt
mit der Siedlung von Klincovka-Kamenka 4
(Abb. 19 Nr. 1; Kulakov 1990, 51 Nr. 34) auch
eine Siedlung aus der Völkerwanderungszeit
vor, die ins 5.–7. Jahrhundert datieren soll. Im
6. Jahrhundert beginnt offenbar die Siedlung
Klincovka-Kamenka 3, die dann bis in das 11.
Jahrhundert bestehen bleibt (Abb. 19 Nr. 2;
65
Kulakov 1990, 51 Nr. 35). Auch das Gräberfeld
von Friedrichshof98 soll völkerwanderungszeitliche Funde enthalten haben und gehört demnach in den hier besprochenen Zeitabschnitt.
Während der jüngsten Feldforschungen des
Archäologischen Landesmuseums Schleswig
in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf und des Archäologischen Instituts der Russischen Akademie
der Wissenschaften Moskau sind seit dem Jahr
2005 an mehreren Stellen Befunde freigelegt
worden, die über 14C-Daten teilweise in das
7. und 8. Jahrhundert datiert werden können.
Nach den bestehenden chronologischen Systemen (vgl. dazu Kap. A.5.2) sind die Befunde daher der Stufe „E“ nach Tischler (1879;
1891) bzw. Kemke (1914), die Engel (1931d)
erst um 800 enden lässt, oder schon der Stufe „F“ nach Bezzenberger (1904) zuzuweisen,
die Kulakov (1994, 69) in die Jahre zwischen
525 und 725 datiert. Bei aller chronologischen
Unsicherheit sind die beiden Befunde aus den
Grabungsschnitten Fläche 5 und Fläche 8 dementsprechend an das Ende der Völkerwanderungszeit zu verlegen, werden aber gesondert
bei der Vorstellung der Ergebnisse der siedlungsarchäologischen Forschungen der Jahre
2005–2007 in Wiskiauten besprochen (vgl. Kap.
C.5.4–5).
A.7.2.4 Frühmittelalter (Wikingerzeit/Spätheidnische Zeit)
Bei seiner Kartierung archäologischer Fundstellen in der Umgebung von Wiskiauten hat
Kleemann (1939b) insgesamt 22 Fundmeldungen zum Frühmittelalter zusammengetragen.
Sie stellen damit in seiner Arbeit die zahlenmäßig größte Gruppe dar und bescheinigen
dem Gebiet in dieser Zeit die dichteste Besiedlung. Allein in sieben Fällen handelt es sich um
Gräberfelder des 11. und 12. Jahrhunderts99
Lediglich ein einzelner Grabfund bei Warge-
Alte Prussia-Inventarnummer: P.M.Inv. II.84.431
(Engel, ALM).
Notiz des Kreispflegers Sommer in der Fundkartei des Kreises Fischhausen (ALM Schleswig).
Es sind dies die Fundstellen Bledau „Fundstelle 2“
und „Fundstelle 3“ (Kleemann 1939b, 216), Corben
„Fundstelle 1“ (ebd. 218), Grünhoff-Nautzau „Fundstelle 1“ (ebd. 219), Kiauten „Fundstelle 1“, Laptau
„Fundstelle 1“, Lobitten „Fundstelle 2“ (ebd. 220),
Michelau „Fundstelle 1“, Nuskern „Fundstelle 1“
(ebd. 221), Transsau „Fundstelle 2“ und „Fundstelle 5“ (ebd. 222), Wosegau „Fundstelle 2“ (ebd. 224).
Es sind die Fundstellen Bledau „Fundstelle 1“
(Kleemann 1939b, 216), Grünhoff-Nautzau „Fundstelle 4“ (ebd. 219), Laptau „Fundstelle 2“ (ebd.
220; La Baume 1941b, 23), Lobitten „Fundstelle 1“
(Kleemann 1939b, 220), Mülsen „Fundstelle 2“ und
„Fundstelle 4“ (ebd. 221), Transsau „Fundstelle 1“
und „Fundstelle 4“, Twergaiten „Fundstelle 1“ (ebd.
222), Wargenau „Fundstelle 3“ (ebd. 223).
96
97
98
99
66
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 19 Karte der im Text besprochenen Fundstellen des 6.–14. Jh. (vgl. Liste E.2.1; Kartengrundlage: J.
Frenzel).
nau (ebd. 223 „Fundstelle 4“) soll aus der Zeit
zwischen 800 und 1000 stammen und somit
zeitlich parallel zum Hügelgräberfeld in der
Kaup bei Wiskiauten sein. Vorsichtig als Siedlungsplatz anzusprechen sind die Fundstellen
6 und 7 von Bledau (Engel 1934, 13; Gaerte
1935a, 40; Kleemann 1939b, 217), sie werden
dem 10.–13. Jahrhundert zugeordnet. Ein unter dem Flurnamen „Galgenpusch“ bekannter
kleiner Rundwall wird als Burgwall interpretiert, die Zeitstellung ist jedoch unklar (ebd.).
Weitere Burgwälle und Wehranlagen der Prussen sind mit Ekritten und mit dem Schweden-
damm bei Cranz („Fundstelle 5“) sowie, als
unsichere Fundstelle dieser Kategorie, mit dem
sog. Garbick (Kleemann 1939b, 217; Bledau
„Fundstelle 4“) kartiert. Von letzterem stammt
auch einer der beiden Hortfunde. Neben dem
Schatzfund vom Garbick wird auch ein 600
g schwerer, silberner Halsring aus Steinitten
(Bledau „Fundstelle unbekannt“) als Hortfund
gedeutet (ebd.; vgl. auch Warnke 1964, Karte
35 Nr. 259). Daneben sind mehrere Einzelfunde
bekannt100. In Kleemanns Auflistung fehlt das
Bledau „Fundstelle 3 (Darienen)“ (Engel/La Baume 1937, 261; Kleemann 1939b, 217), Corben „Fund100
Grundlagen
berühmte Gräberfeld von Dollkeim, das neben
Gräbern der Römischen Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit auch zahlreiche Bestattungen
des 8.–12. Jahrhunderts geliefert hat (Hollack
1908, 28; La Baume 1940; 1941b). Es dürfte eine
besondere Rolle in der Gegend eingenommen
haben, wie sich aufgrund der besonders reich
ausgestatteten Gräber erkennen lässt. Ein unter dem Fundplatznamen „Wikiau“ erfasster
Bestattungsplatz, der aber mit einem Grabfund des 13. Jahrhunderts als schon frühordenszeitlich einzustufen ist (Gaerte 1929, 329
Abb. 261), dürfte mit den beiden Grabhügeln
mit Körperbestattungen des 13. Jahrhunderts
gleichzusetzen sein, die von Heydeck (1877;
1909) im Wäldchen „Kunterstrauch“ nordwestlich von Wiskiauten ausgegraben worden
sind. Kleemann (1939b, 224) führt den Fundplatz als „Fundstelle Wosegau 2“.
Hinzu kommen Fundstellen, die durch die
Forschungen russischer Wissenschaftler lokalisiert werden konnten. Insbesondere Kulakov
(1990) erstellte eine Übersicht über die Fundplätze des 6.–13. Jahrhunderts in der Region.
Hierdurch können dem bereits dichten Bild
weitere Gräberfelder und vor allem Siedlungen und Burgwälle hinzugefügt werden. Besonders die Datierungen der Siedlungen sind
jedoch nicht immer vorbehaltlos zu übernehmen, da als Datierungshinweis in vielen Fällen
offenbar nur Drehscheibenkeramik vorliegt.
Auch die Definition als Siedlung muss für jede
einzelne Fundstelle überprüft werden, da vielfach lediglich Keramikkonzentrationen oder
ein kleiner Ausgrabungsschnitt mit einem Grubenbefund als Hinweis auf eine Niederlassung
gedeutet wird, obwohl keinerlei Hausbefunde
oder Kulturschichten dokumentiert worden
sind. Zumindest finden sich in den meisten
Fällen keine schlüssigen Beweise, dass es sich
tatsächlich um eine Siedlung und nicht etwa
um eine isoliert gelegene Abfallgrube oder
eine Keramikkonzentration handelt, die nicht
direkt auf eine Siedlung an dieser Stelle zurückzuführen ist. Klarer ist die Ansprache einiger Fundstellen als Befestigungsanlage oder
Burgwall, da diese immer durch einen Wall
oder eine fortifikatorische Anlage und eine
erhöhte topographische Lage gekennzeichnet
stelle unbekannt“ (Kleemann 1939b, 218), Dorben
„Fundstelle 2“ (ebd. 218), Gunthenen „Fundstelle 1“
(ebd. 219), Wargenau „Fundstelle 2“ (ebd. 223).
67
sind. Am sichersten ist die Zuordnung von
Fundplätzen zur Kategorie der Gräberfelder,
da sie über archäologisch untersuchte Bestattungen definiert werden.
Insgesamt sind für die Umgebung des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten 20 Fundstellen
mit Anzeichen auf Siedlungstätigkeiten, fünf
als Burgwälle oder Befestigungsanlagen zu
deutende Plätze, 23 Flachgräberfelder, zwei
als Hortfunde interpretierte Fundstellen sowie
sechs Fundstellen von Einzelfunden belegt
(vgl. Abb. 19 und Liste E.2.1101). Der Großteil
gehört dem 10.–14. Jahrhundert an. Nur wenige sind früheren Zeiträumen zuzuordnen. Es
lässt sich im Frühmittelalter also eine Vielzahl
von Fundplätzen feststellen, die auf eine dichte Besiedlung der Region hindeuten und vor
deren Hintergrund auch der Fundplatz Wiskiauten betrachtet werden muss.
A.7.2.4.1 Fundstellen mit Siedlungsspuren
Der Sammlung von Fundstellen, an denen
sich ein Niederschlag menschlicher Siedlungstätigkeit zeigt, sind grundsätzliche quellenkritische Überlegungen vorauszuschicken. In
diese Untersuchung flossen die Ergebnisse
verschiedener Forscher aus unterschiedlichen Forschungsetappen mit uneinheitlicher
Untersuchungsmethodik und vielgestaltiger
Quellenbasis ein. Der Begriff „Siedlung“ umfasst hier alle Fundstellen, an denen sich ein
Niederschlag menschlicher Siedlungstätigkeit
nachweisen lässt, auch wenn über Charakter
oder Dauer der vermuteten Siedlungsstelle
zu wenige Angaben vorliegen, um eine echte Wohnstelle oder Niederlassung vermuten
zu können. Eine Unterscheidung nach den
Begrifflichkeiten „Niederschlag menschlicher
Tätigkeit“, „wahrscheinlich Siedlung“ und
„Siedlung“, wie sie jüngst Wehner (2007, 23)
bei der Analyse der Siedlungstätigkeiten im
Umfeld des frühgeschichtlichen Seehandelsplatzes Wolin vorschlug, kommt hier nicht
zur Anwendung, da die Datenbasis dafür zu
gering erscheint. Das Originalfundmaterial
der deutschen Forschungsetappe ist durch die
Verlagerungsgeschichte der Prussia-Sammlung stark eingeschränkt, und die Informationen der russischen Forschung sind aufgrund
der weitgehenden Unzugänglichkeit der rusIn Liste E.2.1 sind die wichtigsten Literaturangaben und die Datierung der Fundplätze angegeben.
101
68
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
sischen Museen in ihrer Verwendbarkeit ebenfalls beschränkt. Jegliche Einteilung der Fundplätze in die oben genannten Kategorien wäre
mit großer Unsicherheit behaftet. Trotzdem
ist durch die Auswertung der verfügbaren
Quellen eine in Ansätzen zutreffende Rekonstruktion der frühgeschichtlichen Siedlungslandschaft möglich.
Sehr überraschend scheint zunächst das dichte Siedlungsgeflecht in der unmittelbaren Umgebung von Wiskiauten zu sein, das sich besonders aus den Feldforschungen Kulakovs
(1990) ableiten lässt und sich augenscheinlich
auf den Bereich um Wikiau/Klincovka konzentriert. Hier liegt auch die älteste, für den hier
besprochenen Zeitraum relevante Fundstelle
mit Siedlungsspuren von Klincovka-Kamenka
4 (vgl. Abb. 19 Nr. 1), die in das 5. - 7. Jahrhundert datieren soll (Kulakov 1990, 51 Nr. 34). Im
6. Jahrhundert beginnt der Siedlungskomplex
Klincovka-Kamenka 3 (vgl. Abb. 19 Nr. 2; ebd.
51 Nr. 35), der bis ins 11. Jahrhundert genutzt
worden sein soll und somit zeitgleich mit dem
Hügelgräberfeld Kaup Bestand gehabt haben
muss. Für das 9. Jahrhundert nimmt Kulakov
(ebd. 50 Nr. 26; vgl. Abb. 19 Nr. 3) das Entstehen der von ihm als Siedlung Kaup bezeichneten Niederlassung im Südwesten des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten an (zur Diskussion um diese Siedlung vgl. Kap. C.2). Sie soll bis
ins 11. Jahrhundert, also bis zur Endphase der
Belegung des Hügelgräberfeldes bestanden
haben und neben einer Befestigung auf dem
steinzeitlichen Hügel im Osten der Nekropole
im Südwesten auch durch einen Wall geschützt
gewesen sein. Im 10. Jahrhundert entsteht nach
Kulakov (ebd. 50 Nr. 24) eine Siedlung bei
Wosegau/Vishnevoe (vgl. Abb. 19 Nr. 6a), ihr
Ende wird ins 14. Jahrhundert verlegt (ebd.).
Sie muss demnach zur Hauptnutzungsphase
des Hügelgräberfeldes gegründet worden sein.
Hier konnte Kulakov (ebd.) im Jahr 1979 eine
Keramikkonzentration von 120x50 m an der
Oberfläche dokumentieren, in der Drehscheibenkeramik, Ofenkacheln und ein Fragment
einer Bronzeschnalle geborgen wurden. Die
Fundstelle liegt etwa 100 m südlich des Dorfes
Wosegau/Vishnevoe auf einem Acker. Sie lässt
sich mit den in Messfläche D in Anomalienkonzentration AK2 (vgl. Kap. C.4.4.4.2) erfassten Strukturen in Deckung bringen. Während
der Feldforschungen der Jahre 2005–2007 sind
hier zahlreiche Keramikscherben als Streufunde beobachtet worden, zusätzlich auch Schlacken und Tierknochenfragmente. Aus diesem
Bereich liegt aus der durch Bohrungen überprüften Anomalie an_9/06 ein Radiokarbonalter von BP 845 +/- 23 vor. Dementsprechend
gehört dieser Befund in den Zeitraum von
1160–1259 vor102. Die benachbarten Anomalien
an_48/07 und an_49/07 lieferten mit Radiokarbonaltern von BP 915 +/- 20 bzw. BP 905 +/- 50
ähnliche zeitliche Hinweise. Demnach ist an_
48/07 in die Zeit zwischen 1034 und 1187 und
an_49/07 in die Zeit zwischen 1022 und 1222
zu datieren.
Als Einzelfunde sind aus diesem Bereich neben
einigen Bronzeblechfragmenten und anderen
metallenen Kleinfunden (vgl. Kap. C.4.4.4.2)
ein im März 2007 gefundenes Fragment einer
Ringfibel mit kolbenförmig verbreiterten Enden und ein Kleiderverschlusshaken mit Tremolierstichverzierung aus Bronze sowie zwei
ösenartige Aufhängungsbeschläge anzuführen. Insbesondere die Fibel lässt sich als spätes Exemplar baltischer Ringfibeln identifizieren und gibt durch die Einordnung ins 12.–13.
Jahrhundert (Salmo 1956, 84ff.; ThunmarkNylén 2006, 115) Anhaltspunkte für eine Datierung des gesamten Komplexes. Im Jahr 2007
konnten diesem Ensemble weitere Streufunde
an die Seite gestellt werden, die diese Datierung stützen. Es handelt sich um den Knopf
einer bronzenen Fibel mit vasenförmigen oder
mohnkopfförmigen Endknöpfen, der einen
im Baltikum allgemein verbreiteten Fibeltyp
darstellt und überwiegend aus Fundkomplexen des 12. oder anfänglichen 13. Jahrhunderts
stammt (Salmo 1956, 54; Thunmark-Nylén
2006, 97; 109), aber auch schon im 11. Jahrhundert auftreten soll (Salmo 1956, 54). An weiteren Funden sind eine einfache Bronzeschnalle
und ein bandförmiger Fingerring anzuführen,
die dieser Datierung nicht widersprechen.
Der etwas früher aufgegebene, aber ebenfalls
im 10. Jahrhundert entstandene Siedlungskomplex Bledau/Sosnovka (Kulakov 1990, 50
Nr. 22; vgl. Abb. 19 Nr. 5) ist bereits von deutDieser Befund wurde im Sommer 2008 durch
Fläche 19 angegraben. Es dürfte sich um einen
Brunnen oder einen Keller handeln. Bei den Ausgrabungen wurden ein Knochenkammfutteral des
12. Jahrhunderts sowie viele Fragmente von Drehscheibenkeramik geborgen.
102
Grundlagen
schen Archäologen lokalisiert worden. Diese
Siedlung wurde teilweise durch Grabungen
erfasst. Nach der Untersuchung mehrerer
obertägig erkennbarer Brandstellen wurden
dabei zehn mit Steinen ausgekleidete Gruben
mit Holzkohle und vor allem Eisenschlacken dokumentiert und als Werkstattbereich
oder Verhüttungsplatz einer nahegelegenen
Niederlassung interpretiert (Engel 1934, 13;
Kleemann 1939b, 217), die über eine Silbermünze eines „Deutschen Kaisers“ aus dem
10. Jahrhundert vorläufig datiert wurde. Die
Entfernung zum Gräberfeld von Wiskiauten
ist mit ca. 2,5 km relativ gering, aber doch zu
groß und zusätzlich durch die breite Niederung räumlich getrennt, als dass hier die zur
Hügelgräbernekropole gehörende Siedlung
vermutet werden könnte. Kleemann (1939b,
212) stellte einen Bezug zu dem von ihm postulierten Marktort der Prussen her, der in der
Nähe von Bledau gelegen haben soll. Durchaus ist bei einer tatsächlichen Gleichzeitigkeit
mit dem Gräberfeld eine Verbindung mit der
vermuteten Niederlassung von Wiskiauten zu
unterstellen, die als funktional ausgegliederter
Siedlungsbereich oder als Versorgersiedlung
interpretiert werden könnte. Für eine sichere
Entscheidung ist die Datenbasis zu jedoch gering.
Etwas weiter entfernt liegt nordwestlich des
Fundplatzes Wiskiauten die bereits im 10. Jahrhundert entstandene Siedlung von Wargenau/
Malinowka 2 (vgl. Abb. 19 Nr. 7). Sie wird im
14. Jahrhundert aufgegeben (Kulakov 1990, 50
Nr. 28). Ebenfalls im 10. Jahrhundert soll eine
Siedlung in Lobitten/Lugovskoe (vgl. Abb. 19
Nr. 4) gegründet worden sein, die bis ins 13.
Jahrhundert belegt ist (ebd. 49 Nr. 15).
Eine Vielzahl von Fundstellen mit Siedlungsspuren entsteht offenbar im 11. Jahrhundert.
Sie konzentrieren sich auf die Gegend um
Wikiau/Klincovka: Siedlungen Klincovka 1, 6
und 7 (Kulakov 1990, 50 Nr. 29–31; vgl. Abb.
19 Nr. 8–10) sowie Siedlung Klincovka 3 (ebd.
Nr. 27; vgl. Abb. 19 Nr. 16). Ihre Entdeckung
geht ausschließlich auf russische Forschungen
zurück. Die Datierung bis ins 13. Jahrhundert
für die Siedlungen Klincovka 1, 6 und 7 bzw.
ins 14. Jahrhundert für die Siedlung Klincovka 3 erfolgte über handgemachte bzw. drehscheibengefertigte Keramik, teilweise wurden
Kulturschichten bis zu einer Mächtigkeit von
69
0,6 m dokumentiert (ebd.). Eine weitere Konzentration von als Siedlungen interpretierten
Fundstellen liegt bei Michelau/Kamenka. Die
vier Siedlungen Kamenka 1, 3, 4 und Klincovka-Kamenka 1 sollen vom 11.–13. Jahrhundert
Bestand gehabt haben (Kulakov 1990, 51 Nr.
33, 36–38; vgl. Abb. 19 Nr. 12–15). Datierungshinweise wurden ebenfalls ausschließlich über
Keramikstreufunde gewonnen und sind aufgrund der fehlenden typologischen Untersuchungen zur Keramik in der Region mit einer
gewissen Unsicherheit behaftet. Gleiches gilt
für die bei Mülsen/Holmy (vgl. Abb. 19 Nr.
11) angenommene Siedlung, die als einzige
Fundstelle mit Siedlungsspuren dieser Zeit im
Süden Wiskiautens liegt. Sie wird ins 11.–13.
Jahrhundert datiert (ebd. 51 Nr. 32). Bereits ins
12. Jahrhundert fällt die Entstehung der Siedlungsstelle Eisseln/Beregovoe (ebd. Nr. 39; vgl.
Abb. 19 Nr. 17), die offenbar im 13. Jahrhundert
wieder aufgegeben wird. Eine ebenfalls im 12.
Jahrhundert gegründete und bis ins 15. Jahrhundert belegte Niederlassung soll bei Wiskiauten/Mohovoe (ebd. Nr. 25; vgl. Abb. 19 Nr.
18) gelegen haben. Abgesehen von der Größe,
die mit 30 x 20 m angegeben wird, und dem
Hinweis auf Fragmente von Drehscheibenkeramik (ebd.) sind keine weiteren Informationen bekannt. Wo die Siedlung liegen soll, bleibt
unklar und ist aus der Karte (ebd. 48 Abb. 24)
nicht eindeutig abzulesen. Als Siedlungen des
13. und 14. Jahrhunderts gelten die Fundstellen bei Wosegau/Vishnevoe (Kleemann 1939b,
224 „Fundstelle 4“) und bei Dorben/Gusevo
(ebd. 218 „Fundstelle 2“).
Trotz der manchmal zweifelhaften Deutung einiger Fundstellen als Siedlung sind insbesondere die Bereiche nordwestlich und westlich
von Wiskiauten demnach als besonders bevorzugte Siedlungsgebiete zu erkennen. Nach
einer nur durch zwei Siedlungen belegten
Phase des 5.–9. Jahrhunderts und dem Beginn
der von Kulakov (1990, 51 Nr. 26) postulierten Niederlassung Kaup, die mit dem Hügelgräberfeld in Verbindung stehen soll, beginnt
im 10. Jahrhundert offenbar eine Phase mit
erhöhter Siedlungsaktivität (vgl. Abb. 21).
Gleich vier Siedlungen scheinen in dieser Zeit
aufzukommen, drei davon mit einer Entfernung von maximal 4 km in räumlicher Nähe
zum Fundplatz Wiskiauten. Im 11. Jahrhundert steigt die Zahl der Siedlungsgründungen
70
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
insgesamt neun Fundstellen von sechs auf 15
an. Fast alle Niederlassungen bleiben dabei
bis ins 13. Jahrhundert bestehen, während
andere sogar bis ins 14. oder 15. Jahrhundert
nachweisbar sind. Aus diesen Beobachtungen
lässt sich vorsichtig ein Bevölkerungszuwachs
konstatieren, der mit einer verbesserten wirtschaftlichen Situation einhergehen könnte. Ob
dieser Aufschwung durch die im 9. Jahrhundert initiierten oder intensivierten Handelsbeziehungen nach Skandinavien beeinflusst oder
gar gestartet wurde, lässt sich nicht beweisen,
ist aber als einer von vielen Faktoren denkbar
und sogar wahrscheinlich. Für das 12. und 13.
Jahrhundert wird ein Bevölkerungsanstieg der
gesamten Region angenommen, der sich im
14. Jahrhundert fortsetzt (Biskup/Labuda 2000,
89). Die große der Zahl der Siedlungsneugründungen, die sich nach den Feldforschungen
Kulakovs (1990) ergeben, sprächen bei gesicherter Deutung und Datierung dafür, dass
dieser Bevölkerungsanstieg bereits im 11. Jahrhundert einsetzte. Die nur sehr gering durch
Fundstellen belegte Siedlungsphase nach dem
Ausklang der völkerwanderungszeitlichen
Dollkeim-Kovrovo-Kultur und vor dem sich
abzeichnenden Siedlungsaufschwung ab dem
9. Jahrhundert deckt sich mit der allgemeinen
Fundstellenarmut dieser Zeit im Samland und
in den angrenzenden Landschaften.
A.7.2.4.2 Burgwälle
Für die Umgebung von Wiskiauten liegen insgesamt fünf Hinweise auf Burgwälle oder Befestigungsanlagen vor. Die vermutlich auf das
12. Jahrhundert zurückgehenden Wallanlage
„Försterdamm“ oder „Schwedendamm“ liegt
nordöstlich des Fundplatzes Wiskiauten und
zieht sich vom ehemaligen Cranzer Hafen in
Richtung Norden bis Cranz/Selenogradsk (vgl.
Abb. 19 Nr. 21). Die Anlage ist wahrscheinlich
zur Ordenszeit errichtet worden (Kleemann
1939a, 8), obgleich auch ein früheres Entstehen
möglich scheint (ebd.). Der heute nicht mehr
erhaltene Wall gehört zusammen mit dem
sog. Garbick103 (vgl. Abb. 19 Nr. 25) zu einer
vielfach diskutierten Fundstelle. Der Garbick
selbst, dem Namen nach eine kleine Anhöhe
am Fluss Beek, befand sich knapp südlich des
Zu den alternativen Bezeichnungen Gorbeck,
Gorbik, Garbeek, Garbicksberg vgl. Kleemann
(1939a, 9).
103
späteren Hafens von Cranzbeek an einer Stelle, wo der Fluss Brast/Trostjanka sehr schmal
und ein Übergang deshalb leicht zu bewerkstelligen ist. Aus diesem Grund nimmt die
zwischen 1826 und 1850 gebaute Straße von
Bledau nach Cranz noch heute diesen Verlauf.
Die kleine Anhöhe wird von Kleemann (1939a,
9) als Kiesinsel angesprochen, was durch die
geologische Karte zumindest ansatzweise bestätigt wird, da sich an dieser Stelle eine Lehminsel im sonst sumpfigen Niederungsgebiet
am Flusslauf der Brast/Trostjanka befindet. Auf
dieser Anhöhe soll nach Schlicht (1922, 286)
„einst eine Preußenburg“ gestanden haben. Für
das frühe 13. Jahrhundert wird ein Zusammenhang mit dem Bischof Christian für möglich
gehalten, der von den Samländern im Zuge
der Auseinandersetzungen mit dem deutschen
Orden hier gefangen gehalten worden sein soll
(ebd.; Kleemann 1939a, 10). Erst für das Jahr
1352 liegt jedoch eine gesicherte Erwähnung
des Platzes vor (Beckherrn 1898, 159ff.). Für die
Zeit der Hauptbelegungsphase des Hügelgräberfeldes sind keine archäologischen Hinweise auf Siedlungstätigkeiten auf dem Garbick
vorhanden. Lediglich der von seinen Fundumständen nicht eindeutig geklärte Hortfund (vgl.
Abb. 19 Nr. 49), der Ende des 19. Jahrhunderts
in Berlin aufgetaucht (vgl. Kap. A.7.2.4.4) ist,
gibt mit seiner Datierung in die Zeit um 1000
(Kleemann 1939b, 217) einen Anhaltspunkt,
dass diese Fundstelle in das Siedlungsgeschehen dieser Zeit einbezogen war.
Ein als Burgwall interpretierter Fundplatz etwa
3 km südöstlich von Wiskiauten ist in der Literatur unter dem Namen „Galgenpusch“ bekannt (Kleemann 1939a, 6; vgl. Abb. 19 Nr. 24).
Die von einem niedrigen Wall umgebene Anlage mit einer Größe von 50 x 55 m104 scheint
eine prussische Anlage zu sein, die Kleemann
(ebd.) als „Sperrfeste“ oder „Vorposten“ der
Prussen gegen die Skandinavier interpretierte.
Die Zeitstellung der Anlage ist unklar. Durch
die räumliche Nähe zu einem knapp südlich
davon liegenden Gräberfeld der Römischen
Kaiserzeit ist auch eine frühere Datierung
denkbar (Hollack 1908, 106; Kleemann 1939a,
6; 1939b, 221 „Nuskern, Fundstelle 1“), wenngleich auch das nur wenig östlich gelegene
Gräberfeld von Volnoe/Schulstein (vgl. Abb.
Abweichende Angaben zur Größe bei Kulakov
(1990, 50 Nr. 23): Größe 20 x 25 m, Wallhöhe 2 m.
104
Grundlagen
19 Nr. 34) mit dem Galgenpusch in Verbindung
gebracht wird (Kleemann 1939a, 6). Dieses
Gräberfeld soll Bestattungen des 9. bis 14. Jahrhunderts enthalten haben (Hollack 1908, 147;
Kleemann 1939b, 216).
Ein wichtiger, als Burgwall zu interpretierende Fundplatz ist der sog. Hünenberg bei Ekritten/Vetrovo (vgl. Abb. 19 Nr. 22). Er liegt außerhalb des hier betrachteten Arbeitsgebietes,
soll aber trotzdem nicht unerwähnt bleiben.
Dieser Burgwall ist schon mehrfach in der Literatur behandelt worden105. Er scheint als
prussische Wehranlage angelegt worden zu
sein. In Schriftquellen aus dem Jahr 1274106 ist
der Name Nogympte überliefert (Crome 1935,
102). Die Burganlage spielte wahrscheinlich im
Zusammenhang mit der Eroberung Preußens
durch Ottokar von Böhmen und den Deutschen Orden im Jahr 1254 eine wichtige Rolle
(ebd. 101).
Die Burgwallanlage von Ekritten gehört mit
drei weiteren Fundplätzen zu einer Reihe von
Anlagen, die sich auf einen Bereich etwa 7-8
km südlich von Wiskiauten konzentrieren. Es
handelt sich um die Burgwälle vom Schanzenberg bei Jouglauken im Forst Grünhoff (Salemke 2005, 7/30), Mogahnen im Forst Grünhoff
(ebd. 7/34) und den Amtsberg bei Rudau am
Mühlenteich (ebd. 7/36). Zusammen mit den
zahlreichen Gräberfeldern von Ekritten ergibt
sich eine dichte Besiedlung, die auf ein lokales Zentrum hindeuten dürfte. Auch im Westen von Wiskiauten liegen in etwa 10 km Entfernung mehrere Burgwallanlagen in dichter
Konzentration. Hierzu gehören die Fundplätze
Pilgar bei Diewenz (ebd. 7/25), der Schlossberg
westlich von Barthenen (ebd. 7/28) und die sog.
Schanze bei Kringitten (ebd. 7/29). Abgesehen
von dem oben erwähnten kleinen Rundwall
„Galgenpusch“ und der unsicheren Burgwallanlage des „Garbick“ weist die direkte Umgebung von Wiskiauten keine fortifikatorischen
Anlagen auf. Auch die Siedlung, die Kulakov
im Südwesten des Gräberfeldes in der Kaup
lokalisiert haben will und die er mit dem Namen Kaup belegt, hat nach neueren Untersuchungen keine Befestigungssysteme aufzuweiVoigt 1828; Hollack 1908, 32; Crome 1935; 1939,
306; Kulakov 1990, 49 Nr. 16.
105
Preußisches Urkundenbuch Bd. I, 218 (Ordensfoliant 107, 212: Der Freyen uff Samlandt Handfesten).
106
71
sen. Weder der von Kulakov mittels Luftbild
lokalisierte Wall 100 m südlich des Waldes
noch die in 50 m Entfernung von der südlichen
Waldkante liegenden Spuren einer angeblichen
Befestigung, die Kulakov (2006b) im Jahr 2005
ausgegraben hat, sind sicher nachweisbar oder
datierbar.
A.7.2.4.3 Gräberfelder
Die größte Zahl an Fundstellen in der Umgebung von Wiskiauten machen Gräberfelder
aus. Die Interpretation als Gräberfeld ist insofern zuverlässig, als in allen Fällen Grabfunde
zugrunde liegen. Insgesamt sind aus archäologischen Forschungen Hinweise auf 23 Bestattungsplätze im Untersuchungsgebiet bekannt,
die fast ausnahmslos Brandbestattungen aufweisen, lediglich die Nekropolen von Volnoe/
Schulstein und Vishnevoe/Wosegau (Kunterstrauch) sind mit Körpergräbern belegt. Einige dieser Nekropolen sind offenbar nach der
Nutzung durch die kaiserzeitliche und völkerwanderungszeitliche Dollkeim-KovrovoKultur im Frühmittelalter wiederbelegt worden. Dazu zählt insbesondere das berühmte
Gräberfeld von Dollkeim/Kovrovo (Hollack
1908, 27-28; vgl. Abb. 19 Nr. 26), das etwa 6
km westlich von Wiskiauten liegt und auch
frühmittelalterliche Waffen wie Schwerter,
Lanzenspitzen und Steigbügel mit skandinavischer Prägung geliefert hat (Engel 1935b, 71).
Die Bestattungsform in Brandgräbern in Kombination mit Pferdebestattungen ist jedoch
rein prussisch, so dass die Funde entweder
als Importe angesehen werden müssen oder
von skandinavischen Personen stammen, die
einheimische Bestattungssitten übernommen
haben. Gegenstände skandinavischer Frauentracht fehlen hier. Eine zugehörige Siedlung
konnte bisher nicht lokalisiert werden.
Im Nordwesten des Hügelgräberfeldes von
Wiskiauten zeigt sich bei den Kartierungen
eine dichte Konzentration von Bestattungsplätzen. Problematisch ist dabei die genaue
Lokalisierung insbesondere der durch russische Forschungen dokumentierten Fundstellen, die weder den publizierten Katalogen
(Kulakov 1990) noch den zugehörigen Originalberichten (vgl. Verweise bei Kulakov 1990)
eindeutig zu entnehmen ist. Trotz ungenauer
Verortung bei den entsprechenden, namengebenden Ortschaften offenbart sich dennoch
72
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
eine Verdichtung im Bereich der Orte Malinovka, Klincovka und Kamenka. Hierzu gehören die Gräberfelder von Klincovka 2 (vgl.
Abb. 19 Nr. 28) und Malinovka (vgl. Abb. 19
Nr. 29), die beide ins 5. - 8. Jahrhundert bzw.
6.–8. Jahrhundert gehören sollen (Kulakov
1990, 81). Diese Datierungen lassen sich nicht
überprüfen, da die Funde unpubliziert geblieben sind. Ebenfalls aus dieser Zeit, nämlich aus
dem 7. und 8. Jahrhundert, soll das Gräberfeld
1 von Vetrovo/Ekritten (ebd. Nr. 68) stammen.
Diese Einordnung wird durch Hollack (1914,
283) bestätigt, wobei dieser auch kaiserzeitliche Funde aufführt.
Etwa 2 km entfernt liegt das zweite Ekrittener
Gräberfeld, dass zuerst von Heydeck (1890)
untersucht worden ist. Kulakov (1990, 81) datiert die ausgedehnte Nekropole mit ihren insgesamt mindestens 44107 Bestattungen ins 7.–13.
Jahrhundert, während Bezzenberger (1897, 36)
lediglich Funde der jüngeren Römischen Kaiserzeit sowie der Wikingerzeit und spätheidnischen Zeit aufführt. Das 7. und 8. Jahrhundert
fehlen hier also. Hollack (1908, 32) kannte beide Gräberfelder von Ekritten und gibt für das
zuerst von Heydeck entdeckte Gräberfeld108
als Belegungszeit die Perioden C, G und H an,
für das zweite Gräberfeld109 dagegen, das Hollack (1914, 281) bereits 1905 ausgegraben hatte, die Perioden B, E und H. Ungeachtet dieser
mitunter abweichenden Datierungen sind für
den Fundplatz Ekritten Bestattungen aus der
Kaiserzeit, Völkerwanderungszeit und Wikingerzeit sowie spätheidnischen Zeit und damit
des 2.–7. sowie des 9.–13. Jahrhunderts anzunehmen. Ein drittes Gräberfeld bei Ekritten soll
aus dem 11. Jahrhundert stammen (Kulakov
1990, 81 Nr. 70 mit weiterführender Literatur;
vgl. Abb. 19 Nr. 39).
Von besonderer Bedeutung ist das Gräberfeld
von „Klincovka 1“ etwa 1,5 km westlich von
Wiskiauten, das Kulakov (1990, 73 Nr. 61) mit
dem Namen „Irzekapinis“ belegt hat. Diese
Benennung erfolgte offenbar aufgrund der in
Heydeck (1890) listet 44 Bestattungen und diverse Einzelfunde, die vermutlich aus zerstörten Gräbern stammen. Die Gesamtzahl an Bestattungen
dürfte höher sein.
107
Der Fundplatz entspricht der Katalognummer
69 bei Kulakov (1990, 81 Nr. 69).
108
Der Fundplatz entspricht der Katalognummer
68 bei Kulakov (1990, 81 Nr. 68).
109
historischen Quellen überlieferten Grenzmarke mit dem Flurnamen „Irzekapynis“, den
Kleemann (1939a, 6) der prussischen Sprache
zuordnete und mit „Ruder- oder Schiffsgrab“
übersetzte. Er wird in dieser Form im Zuge
der Grenzfestlegung zwischen Deutschem
Orden und dem Bischof von Samland im Jahr
1331 (Woelky/Mendthal 1891, 192 Nr. 270)
erwähnt. Schon Kleemann (1939a, 6) hatte
vergeblich versucht, die Lage dieser Grenzmarke zu identifizieren, die er in der „Gegend
von Bledau“ vermutete (ders. 1939b, 212). Die
Gleichsetzung mit dem Gräberfeld von Klincovka 1 ist aus mehreren Gründen unwahrscheinlich. Zum einen sind bei der Grenzfestlegung immer auffällige Geländemerkmale
wie beispielsweise das große steinzeitliche
Hügelgrab in der Kaup bei Wiskiauten gewählt worden. Die Wahl eines obertägig nicht
sichtbaren Flachgräberfeldes als Grenzmarke
scheint daher unlogisch. Zum anderen deutet
abgesehen von einigen Funden von Nieten mit
je zwei viereckigen Nietplatten aus den Gräbern 1 (Kulakov 1990, Taf. 33), 7 (ebd. Taf. 65,
1), 16 (ebd. Taf. 44), 36 (ebd. Taf. 52), 62 (ebd.
Taf. 62, 3), 83 (ebd. Taf. 67, 2) und 91 (ebd. Taf.
70, 1), die vorsichtig als Schiffsniete interpretiert werden könnten, kein Befund oder Fund
auf Bestattungen in Schiffen im Gräberfeld
Klincovka 1 hin. Zusätzlich macht die Lage des
Punktes keinen Sinn im Grenzverlauf, denn
vom Endpunkt der Grenze in der Nähe des
Kurischen Haffs verlief die Grenze über einen
Grenzpfahl auf dem Steinzeithügel der Kaup
in gerader Linie bis zum gesuchten Punkt „Irzekapynis“ (Kleemann 1939a, 6). Die beiden
folgenden Pfähle in der Gegend von Nuskern
sind nicht überliefert, erst vom viertnächsten
Punkt ist die Lage bei Rudau bekannt. Die Lage
nordwestlich des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten bei Klincovka ist abwegig, da sich die
Grenze in diesem Fall von einer Stelle „an der
Beek in der Nähe des Kurischen Haffs“ (ebd.)
in der Nähe der späteren Ordensburg „Neuhaus“ zunächst nach Westen, ab dem Steinzeithügel in der Kaup aber offenbar Richtung
Süden wandte. Die Gleichsetzung mit einem
Punkt nordwestlich der Kaup wäre demnach
ein extrem bogenförmiger Grenzverlauf.
Ungeachtet der Diskussion um die Gleichsetzung des Gräberfeldes Klincovka 1 mit dem
„Irzekapynis“ muss dieser Bestattungsplatz als
Grundlagen
einer der reichsten und mit 121 untersuchten
Brandgräbern vor allem als eine der am besten dokumentierten Nekropolen im Umfeld
von Wiskiauten gelten. Nach Kulakov (1990,
71) war das Gräberfeld vom 8.–12. Jahrhundert in Nutzung. Abgesehen von den beiden
Gräbern 116 (ebd. Taf. 72, 4) und 104 (ebd. Taf.
62, 2) liegen jedoch keine Hinweise auf Bestattungen des 8. Jahrhunderts vor. Aus Grab 116
ist eine achtförmige Schnalle, eine zweiteilige
gebrochene Ringtrense sowie eine Riemenzunge überliefert, die keine klare Einordnung
in das 8. Jahrhundert erlauben. In Grab 104
wird ein Paar trapezförmiger Steigbügel mit
gerundeter Trittplatte zur Datierung herangezogen. Steigbügel dieser Form, die von mehreren samländischen Gräberfeldern bekannt
sind110, sind mit dem von Świętosławski (1990,
41) definierten Typ VIII vergleichbar, der in
Polen in das 12. und 13. Jahrhundert datiert
wird. Im natangischen Gräberfeld von Groß
Ottenhagen/Berezovka gehören Steigbügel
dieser Form wie die anderen samländischen
Exemplare ins 10. oder 11. Jahrhundert (Ibsen/
Skvorzov 2004, 430). Auch aus dem Gräberfeld
von Klincovka 1 (Irzekapinis) sind aus Grab 14
(Kulakov 1990, Taf. 42, 1) ähnliche Steigbügel
bekannt, die an dieser Stelle ins 10. Jahrhundert eingeordnet werden (ebd. 74). Für einen
Belegungsbeginn des Gräberfeldes Klincovka
1 (Irzekapinis) bereits im 8. Jahrhundert liegen daher keine konkreten Anhaltspunkte vor.
Auch mit den Funden aus den Gräbern 89 (ebd.
Taf. 69, 3), 94 (ebd. Taf. 71, 1) und 98 (ebd. Taf.
70, 3) sind Gegenstände überliefert, die keinen
eindeutigen Belegungsbeginn im 9. Jahrhundert markieren.
Die Masse der Gräber wird ins 10. Jahrhundert
(40 Stück) oder 11. Jahrhundert (76 Stück) datiert (Kulakov 1990, 73ff.). Nur wenige Gräber111 gehören dem 12. Jahrhundert an. Kulakov (1999b, 177112) sieht ein plötzliches Ansteigen von reichen Waffenausstattungen im 10.
Vgl. die Exemplare von Nastrehnen, Kr. Fischhausen (Gaerte 1929, 345 Abb. 278a), Kösnicken,
Kr. Fischhausen (Engel 1935a, 119 Abb. 61b) oder
Bludau, Kr. Fischhausen Grab 71 (Bezzenberger /
Peiser 1914, 245 Abb. 91).
110
Gräber 56 (Kulakov 1990, 77), 62 (ebd.) und 72
(ebd. 78).
111
Baranauskas (2004, 77) gibt eine Zusammenfassung in englischer Sprache.
112
73
Jahrhundert im Zusammenhang mit einer von
Dänen gegründeten Siedlung von Wargenau/
Malinowka und betont, dass ab dieser Zeit
auch Brandgräber in Schiffen auf dem Gräberfeld von Klincovka 1 (Irzekapinis) vorkommen. Befunde, die solche Schiffsbestattungen
eindeutig belegen könnten, sind abgesehen
von den erwähnten Nieten jedoch nicht publiziert worden. Gegenstände der skandinavischen Frauentracht wie Schalenfibeln sind in
Klincovka 1 gleichfalls nicht beobachtet worden. Dieser Umstand spricht dafür, in diesem
Gräberfeld einen rein prussischen Bestattungsplatz zu sehen. Das Vorkommen von wenigen
skandinavischen Steigbügeln und Schwertern
sowie Lanzenspitzen dürfte auf Handelstätigkeiten zurückzuführen sein.
Abgesehen vom Gräberfeld Klincovka 1 liegt
in der näheren Umgebung von Wiskiauten nur
aus Malinowka/Wargenau ein einzelner Grabfund aus dem 9.–10. Jahrhundert vor (Kleemann 1939b, 223), der zeitlich mit der Hauptbelegungsphase des Hügelgräberfeldes Kaup
zusammenfällt. Auch die beiden Gräberfelder
von Sosnovka/Bledau (Kulakov 1990, 86 Nr.
99; vgl. Abb. 19 Nr. 36) und das stark zerstörte,
aber ehemals sehr reiche Gräberfeld von Volnoe/Schulstein (Kleemann 1939b, 216; vgl. Abb.
19 Nr. 34), die beide im 10. Jahrhundert belegt
gewesen sein sollen, liegen mit max. 3 km Entfernung noch in Sichtweite von Wiskiauten,
befinden sich aber auf der östlichen Seite der
Niederungsfläche und kommen deshalb nicht
als Gräberfelder einer gemeinsamen Siedlung
in Frage. Die ersten Bestattungen von Schulstein könnten schon ins 9. Jahrhundert zurückgehen (Hollack 1908, 147; Kleemann 1939b,
216). Die Masse der Funde aber gehört ins 10.
oder 11. Jahrhundert, auch Funde des 13. oder
14. Jahrhunderts sollen geborgen worden sein
(ebd.). In diese Spätphase dürften die in Schulstein vereinzelt vorkommenden Körpergräber
einzuordnen sein. Brandgräber, oft kombiniert
mit Pferdebestattungen, überwiegen jedoch
deutlich (Hollack 1908, 147).
Alle anderen Nekropolen mit Hinweisen auf
Bestattungen des 10. Jahrhunderts, die alle bis
mindestens ins 11. Jahrhundert belegt gewesen sein sollen, finden sich in weiterer räumlicher Entfernung. Hierzu zählen die Nekropolen von Oserovo/Transsau (Kleemann 1939b,
222; Kulakov 1990, 86 Nr. 99; vgl. Abb. 19 Nr.
74
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
35) und Murumskoe/Laptau (Kleemann 1939b,
220; Kulakov 1990, 72-73 Nr. 59; vgl. Abb. 19
Nr. 37).
Im 11. Jahrhundert entsteht ein weiteres Gräberfeld bei Klincovka 3 (Kulakov 1990, 81 Nr.
63; vgl. Abb. 19 Nr. 40), dass wie die Gräberfelder Sokolniki/Weischkitten (Hollack 1908, 176;
Kulakov 1990, 81 Nr. 65; vgl. Abb. 19 Nr. 41),
Krasnoflotskoe/Corben (Gaerte 1928, 295; vgl.
Abb. 19 Nr. 43) und Lugovskoe/Lobitten (Kleemann 1939b, 220; Kulakov 1990, 81 Nr. 66; vgl.
Abb. 19 Nr. 44) bis ins 12. Jahrhundert genutzt
worden sein soll. Während diese Nekropolen
mehrere Kilometer entfernt liegen, stellt das
Gräberfeld von Holmy/Mülsen (Friedrichshof)
(Kleemann 1939b, 221; vgl. Abb. 19 Nr. 42) aufgrund seiner geringen Distanz von nur etwa
2 km zum Hügelgräberfeld in der Kaup und
zu den in den Jahren 2005–2007 aufgedeckten
Siedlungsspuren einen Fundkomplex dar, der
direkt mit dem Siedlungsgeschehen rund um
Wiskiauten in Verbindung stehen könnte.
Ein schwer zu beurteilendes Gräberfeld liegt
mit dem Fundplatz „Friedrichshof“ nur etwa 1
km südlich der Kaup (vgl. Abb. 19 Nr. 27). Es
soll sich um ein Flachgräberfeld aus „spätheidnischer Zeit“ (Hollack 1908, 101) gehandelt
haben, das in den Perioden G, H und I113 nach
Bezzenberger (1904) genutzt worden sein soll.
Wichtigste Quelle für diese Einordnung bildet
die Fundkartei des Kreispflegers Sommer, die
sich heute im Archiv des Archäologischen Landesmuseums Schleswig (Stiftung SchleswigHolsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf)
befindet und die in den Nachlass von R. Grenz
eingearbeitet ist. Dort findet sich unter Friedrichshof der Eintrag zu einem spätheidnischen
Gräberfeld mit Pferdebestattungen aus Stufe
H. An gleicher Stelle wird auch von Grabungen berichtet114. In der Fundstellenkarte des
Kreispflegers Sommer ist neben den betreffenden Großbuchstaben, welche die Belegungszeit in den jeweiligen Stufen und somit auch
Den Hinweis auf Bestattungen der Perioden H
und I liefert eine Archivalie aus dem Nachlass von
Rudolf Grenz im Archiv des Archäologischen Landesmuseums Schleswig, Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf, der ein
Originaldokument von C. Engel zugrunde liegt.
113
Es findet sich der Eintrag: „21/25.9. und 1./4.10.34
durch Kirchner; Archiv. E.B. 291/34; Best.Verz. VIII
314/34.“
114
die Lage der offenbar räumlich leicht separierten Gräberfeldzonen angeben, auch ein großes
„E“ eingezeichnet, das ebenfalls als Angabe der
Zeitstufe zu verstehen ist und an dieser Stelle
auf Bestattungen der Völkerwanderungszeit
aus Stufe E hinweisen dürfte. Absolutchronologisch entsprach diese Bezeichnung noch bis
mind. 1935 dem Zeitraum zwischen 600 und
800 (Engel 1935b, 60; vgl. auch Kap. A.5.2).
Die Funde selbst sind nicht erhalten, aber der
erste Ausgräber Leutnant Wulff, der kurz zuvor auch die ersten Gräber in der Kaup bei
Wiskiauten erschlossen hatte, gibt in seinem
Grabungsbericht eine knappe Beschreibung
der gefundenen Gegenstände (Wulff 1866),
die ansatzweise als Datierungshinweise heranzuziehen ist. Ein einzelnes Gewicht ist bei La
Baume/Wilczek (1940, 39 Abb. 4.1) abgebildet.
Interessant ist dabei auch der Hinweis, dass
die einzelnen Grabanlagen, von einem einfachen Steinkreis im Umfang der Gräber umgeben, in Bezug auf Konstruktion und Inhalt
denen aus dem Gräberfeld in der Kaup bei
Wiskiauten auffallend ähnlich gewesen sein
sollen (Wulff 1866). Allerdings handelt es
sich offenbar überwiegend um Urnengräber,
die in der Kaup nicht oft vorkommen (ebd.).
Dennoch vergleicht Wulff (ebd.) die Scherben
der zerdrückten Gefäße mit solchen aus der
Kaup. Weiterhin sollen die Fibeln, beschrieben
als „eigentümliche kreisförmige Gewandhalter“ (ebd.), die Waffen, einige eiserne Glocken
sowie kleine Glocken aus Bronze ebenfalls mit
den Wiskiautener Funden vergleichbar gewesen sein. Wenn man in Betracht zieht, das
Wulff (1865) vermutlich bei seiner Grabung
in der Kaup ein Jahr zuvor besonders den Bereich der später als „spätheidnischer Aschenplatz“ bezeichneten Nekropole mit vornehmlich einheimischen, prussischen Bestattungen
untersucht hat, lässt sich dieser Vergleich
eventuell dahingehend ausdeuten, dass auch
bei Friedrichshof einheimische, prussische
Gräber angeschnitten wurden. Die Datierung
der Bestattungen von Friedrichshof wäre dann
ebenso fraglich wie die der Gräber vom „spätheidnischen Aschenplatz“ von Wiskiauten.
Die Beschreibungen der Funde von Friedrichshof sind dürftig, weisen aber durch das
Vorhandensein von Steigbügeln und Schwertfragmenten sowie eines Ortbandes und kleiner
Bronzeglocken eher auf die „spätheidnische
Grundlagen
Zeit“ als auf die Völkerwanderungszeit hin.
Für die Bestattungen der Völkerwanderungszeit liegen also abgesehen von der Erwähnung
in der Fundkartei des Kreispflegers Sommer
nach wie vor keine konkreten Beweise vor,
das Vorhandensein von Gräbern der Stufen G,
H und I dagegen ist ansatzweise nachweisbar.
Von regulären Grabungen in den Jahren 1933
und 1934 berichtet Kleemann (1939b, 221). Dabei sollen insgesamt 14 Gräber untersucht und
zahlreiche Einzelfunde geborgen worden sein.
Das Gräberfeld soll nach Kleemann (ebd.) ins
11. und 12. Jahrhundert gehören. Ob es mit
mehreren Einzelfunden von Steigbügeln und
Trensen bei Mülsen („Fundstelle 4“) (ebd.; vgl.
Abb. 19 Nr. 48) zusammenhängt, ist unklar.
Dagegen spricht die deutliche räumliche Entfernung von mehr als 200 m, auch Datierungshinweise für dieses zweite Gräberfeld bei Mülsen fehlen bisher115.
Zusammen mit dem sog. „spätheidnischen
Aschenplatz“ im Ostteil des Wäldchens Kaup
(vgl. hierzu Kap. B.3.2.3) könnte das Gräberfeld von Friedrichshof als Bestattungsplatz
der prussischen Bevölkerungsteile fungiert
haben, die in der möglicherweise polyethnischen Siedlung von Wiskiauten gelebt haben.
Falls sich die schwachen Hinweise auf Bestattungen der Stufe E in der Zukunft bestätigen
sollten, könnte die Nekropole mit der in den
Jahren 2005–2007 lokalisierten Siedlung des
6.–8. Jahrhunderts im Osten des Gräberfeldes
von Wiskiauten in Zusammenhang stehen.
Bereits ins 12. Jahrhundert gehören die beiden
Gräberfelder von Nadeschdino/Twergaiten
(Kleemann 1939b, 222; Kulakov 1990, 82 Nr.
73; vgl. Abb. 19 Nr. 46) und das vom 12.–14.
Jahrhundert in Nutzung stehende Gräberfeld
von ehemals Stangenwalde auf der Kurischen
Nehrung (Kulakov 1990, 86 Nr. 100).
Ein sehr unklarer Fundplatz ist von Kulakov
(Archiv Kaliningrad Nr. 572/1328) im Ausgrabungsbericht für das Jahr 1979 vermerkt. Etwa
100 m südlich des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten soll ein Flachgräberfeld gelegen haben,
In einem persönlichen Gespräch mit Verf. teilte
Herr B. Nitsch, Bremervörde, der in Friedrichshof
aufgewachsen ist, mit, dass früher bei der Feldarbeit sehr viele „Pferdeausrüstungsgegenstände“
gefunden worden seien, die durchaus mit dieser
Fundstelle zusammenhängen könnten.
115
75
zu dem aber weitere Angaben fehlen116. An
gleicher Stelle taucht in der Luftbildumzeichnung Kulakovs (1989, 83 Abb. 2e; 1994, ) aus
dem Jahr 1989 das Symbol für Flachgräber auf.
Auch im Norden und im Osten des Wäldchens
findet sich diese Signatur, die jedoch im Text
nicht weiter erläutert wird. Ohne weitere Angaben bleibt die Existenz dieser Gräberfelder
fraglich.
Besonderes Interesse verdient der Bestattungsplatz von Vishnevoe/Wosegau („Fundstelle 2
[Kunterstrauch]“, Kleemann 1939b, 224; vgl.
Abb. 19 Nr. 47). Es handelt sich hierbei um zwei
große Grabhügel in einem Wäldchen mit dem
Flurnamen „Kunterstrauch“, das etwa 1 km
nordwestlich vom Wiskiautener Hügelgräberfeld liegt. Heydeck (1877) hat es in einer Ausgrabungskampagne bereits in den Jahren 1876
und 1899 (Kleemann 1939b, 224) eingehender
untersucht und fünf Körperbestattungen freilegen können (Abb. 20). Die Beigaben deuten
auf Datierungen ins 13. hin. Auffällig an diesen Grablegen ist der für prussische Bestattungen dieser Zeit unübliche Hügelgrabbau. Es
ist daher denkbar, dass es sich um skandinavisch beeinflusste Bestattungen handelt, worauf schon Gaerte (1929, 325) hinwies. Andererseits könnten die hier bestatteten Personen
lokale Herrscher sein, die durch den Grabbau
auf alte überseeische Traditionen als Ausdruck
der Macht der Vorfahren anspielten, um ihre
eigene Positionen hervorzuheben. Heydeck
(1877, 657) vermutete einen gewaltsamen Tod
der hier bestatteten Personen im Zuge der Aufstände der Preußen gegen den Deutschen Orden in den 1250er Jahren.
Insgesamt sind nur wenige Bestattungsplätze
im Umfeld Wiskiautens bekannt, die zeitlich
kurz vor Beginn der Hügelgräbernekropole zu
liegen scheinen. Sie sind zudem nicht eindeutig datierbar, weil entweder das Fundmaterial
nicht publiziert ist (z.B. Klincovka 2; hier Abb.
19 Nr. 28) oder ein Nachweis von Grabfunden
aus dem 5. und 9. Jahrhundert als fortlaufend
belegtes Gräberfeld geführt wird (vgl. z.B. Mohovoe/Wiskiauten, Kulakov 1990, 73 Nr. 60,
hier Abb. 19 Nr. 27), obwohl Funde des 6.–8.
Nach freundlicher mündlicher Auskunft von V. I.
Kulakov führten einige Keramikscherben und kalzinierte Knochen in diesem Bereich, die bei einer
Oberflächenbegehung gefunden wurden, zu dieser
Interpretation.
116
76
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 20 Körperbestattung mit Inventar von der Fundstelle Kunterstrauch (Nachlass Grenz, ALM Schleswig).
Jahrhunderts fehlen. Für die frühen Siedlungsphasen des 7. und 8. Jahrhunderts (vgl. Kap.
C.5.4–5) von Wiskiauten sind damit weiterhin
keine eindeutigen Hinweise auf zeitgleiche Bestattungen zu erbringen. Lediglich das Gräberfeld von Friedrichshof könnte Grablegen dieser frühen Siedlungsphase enthalten haben.
Mit Sicherheit im 9. Jahrhundert belegt ist nur
das Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten/
Mohovoe (vgl. Abb. 19 Nr. 27). Klincovka 1 (vgl.
Abb. 19 Nr. 32) hat möglicherweise seinen Belegungsbeginn im 9. Jahrhundert, dürfte aber
hauptsächlich im 10. oder sogar 11. Jahrhundert und bis ins 12. Jahrhundert hinein genutzt
worden sein. Unsicher in seiner Datierung
ist auch der von Kleemann (1939b, 223) ins
9.–10. Jahrhundert eingestufte Grabfund von
Malinowka/Wargenau (vgl. Abb. 19 Nr. 33).
Im 10. Jahrhundert ist ein starker Anstieg an
neu angelegten Gräberfeldern zu verzeichnen,
wenn die Datierungen der einzelnen Fundplätze zuverlässig sind. Für die Existenz einer
auf Handel ausgerichteten Siedlung im Umfeld des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten ist
aber eine entwickelte Siedlungstätigkeit in deren Umgebung vorauszusetzen, da die Skandinavier bei der Wahl ihrer Niederlassungen
bzw. Handelsregionen im allgemeinen schon
bestehende infrastrukturelle Systeme der dort
siedelnden einheimischen Stämme ausnutzten.
Der sich im 10. Jahrhundert abzeichnende Aufschwung im Wirtschafts- und Bevölkerungs-
Grundlagen
wachstum sowie die Verdichtung des Siedlungsgeflechtes setzen sich im 11. Jahrhundert
offenbar fort und bleibt bis ins 12. Jahrhundert
stabil. Für das 13. Jahrhundert ist die Situation unklarer, da das archäologisch überlieferte
Bild nun durch die Änderung des Bestattungsritus im Zuge der Christianisierung lückenhaft
erscheint, was ursächlich mit der Verlegung
der Bestattungsplätze in die Nähe der Kirchen
(Kleemann 1939b, 211-212) und somit in heute
noch bestehende Dörfer und daher nicht archäologisch erfassbare Plätze zusammenhängen dürfte. Zwar werden vereinzelt noch die
alte Bestattungsform und auch die Beigabensitte angewendet, beides kommt jedoch im 14.
Jahrhundert nur noch vereinzelt vor.
A.7.2.4.4 Hortfunde
Ein in diesem Zusammenhang höchst interessanter Fundkomplex ist ein heute verschollener Hortfund (vgl. Abb. 19 Nr. 49), von dem
nur noch Aufnahmen der insgesamt neun Silberbarren überliefert sind mit der Angabe „bei
Cranz, Krs. Samland, St.M.f.V. Ia, 1563 f, m, i,
y117, h, k, n, l, e.“ (von zur Mühlen 1975, Taf. 6,
3). Die Barren gehören offenbar zu einem größeren Silberhortfund, auf den sich auch eine
Archivalie vom 10. Mai 1935 bezieht. Sie ist mit
dem Namen „Wilczek“ unterzeichnet und befindet sich heute im Nachlassteil von C. Engel
im Nachlass von R. Grenz (ALM Schleswig).
Unter der Inventarnummer „I.a 1563 a-p“ sind
offenbar im Katalog des Berliner Museums118
für Vor -und Frühgeschichte Schloß Charlottenburg insgesamt 15 silberne Gegenstände
aufgelistet, die zu einem in der Nähe von Cranz
gefundenen Hacksilberfund gehören sollen.
Der Unterzeichnende „Wilczek“ beschreibt
die Fundumstände wie folgt: „Hacksilberfund
zusammen beim Chausseebau zwischen Königsberg und Cranz gefunden unweit Cranz.
Der größte Teil des Fundes verschleudert. Erhalten sind: 1 ganze Silberfibel (a), Bruchstück
117
Hier ist wahrscheinlich „j“ gemeint.
Die Richtigkeit dieser Angaben hat sich mittlerweile durch Einsicht in das alte Inventarbuch des
Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte
bestätigt. Für die Erlaubnis zur Einsichtnahme und
Auskünfte dankt Verf. Christiane Klähne (Museum
für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen
Preußischer Kulturbesitz zu Berlin) sowie J. Prassolov für die Vermittlung des Kontaktes.
118
77
einer solchen (b), zwei silberne Armringe (d-e),
9 Silberbarren (f-n), 2 Filigran-Ohrbommeln
(o-p) von Mauntz, Charlottenburg Ankauf.
Durch Zufall im Katalog entdeckt. Fund hier
unbekannt. Daselbst nur Silberbarren gesehen,
nach den weiteren Funden konnte aus Zeitmangel im Silbertresor nicht gesucht werden.“
Der Fundkomplex wird an gleicher Stelle in
die „Periode G“ und damit in die Wikingerzeit
datiert. Kleemann (1939a, 10) nennt noch eine
kufische Münze als zum Schatz gehörig. Außerdem gibt er in einer Anm. (ebd. 11 Anm. 43)
Vergleichstücke zu den Fibeln an: „Als rasch
herangezogene Vergleichstücke she. 2 gotländische Fibeln in Germanenerbe III, S. 14 (van
Scheltema; im übrigen B. Nermann in PB 29
(1931), S. 161.)“. Heute sind nur Fotos der neun
Silberbarren erhalten (vgl. von zur Mühlen
1975 Taf. 6 unten). Immerhin wird die Fibel in
der Archivalie näher beschrieben. Es soll sich
um eine „silberne, hochgewölbte Scheibenfibel mit Filigranverzierung“ gehandelt haben,
die auf eine „moderne Unterlage reduziert zu
sein“ schien. Auch „Nadel und Fassung“ waren offenbar „modern“. Das zweite Stück war
ähnlich, aber stark fragmentiert.
Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich
um Überreste eines Depotfundes, der schon
im 19. Jahrhundert auf dem sog. Garbick im
Osten in der Nähe des Cranzer Hafens aufgefunden worden ist (Kleemann 1939a, 10f.) und
1898 in Berlin auftauchte. Dieser Hortfund ist
durch heute unbekannte Umstände nach Berlin gekommen. Es wird sich um den gleichen
Hort handeln, da auch der Schatzfund vom
Garbick beim Chauseebau für die neue Landverbindung zwischen Königsberg und Cranz
entdeckt worden ist. Der Fund soll nach Kleemann (1939b, 217) in die Zeit um 1000 gehören.
Diese Datierung wird durch den von Kleemann (1939a, 10) angeführten Vergleichsfund
einer Fibel aus Gotland119 bestätigt (vgl. auch
Salin 1939, Abb. 212; van Scheltema 1939, 14
Abb. 4). Es handelt sich um eine silberne Scheibenfibel mit Rankenornament in Filigrantechnik, die ins 11. Jahrhundert datiert wird (von
Scheltema 1939, 14)120.
Schon van Scheltema (1939, 14) wies auf die
unsichere Herkunft dieser Fibel hin, wonach als
Fundort nicht mehr Gotland, sondern Uppland
(Ksp. Skaa) in Frage kommt.
119
120
Nach einem bisher unbestätigten, mündlichen
78
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Dieser Hortfund fügt sich von seiner Zusammensetzung gut in das Bild der Schatzfunde
ein, das bereits Engel/La Baume (1937, 211212) gezeichnet haben. Demnach sind die auf
ehemals ostpreußischem Boden gefundenen
Schätze niemals reine Münzhorte, sondern
enthalten meist brotlaibförmige Silberbarren
und Schmuckstücke wie Arm- und Halsringe
sowie Fibeln. Sie entsprechen damit der von
Jakimowicz (1930) definierten Gruppe II. Den
ostpreußischen Silberschatzfunden wird im
Gegensatz zu den slawischen Gebieten, wo sie
im 11. Jahrhundert nicht mehr auftreten, ein
Vorkommen bis ins 13. Jahrhundert hinein zugesprochen (ebd.).
Neben diesem Hortfund vom Garbick kommt
in der Umgebung von Wiskiauten nur ein
Fund von Steinitten/Novoe (vgl. Abb. 19 Nr.
50) als möglicher Hortfund in Frage. Es handelt sich um einen 600 g schweren Silberhalsring, der als Einzelfund geborgen wurde. Ein
Hortcharakter ist also nicht mit Sicherheit anzunehmen, auch wenn der Fund in der Literatur vereinzelt als einer von sechs121 Schatzfunden im Samland kartiert wird (Warnke 1964,
Karte 35 Nr. 259).
Im Allgemeinen scheinen die Schatzfunde in
Ostpreußen analog zu offenbar eingehandelten Gütern wie Schwertern oder Lanzen stark
an Küstengebiete und Flussläufe gebunden zu
sein (Engel/La Baume 1937, 206). Sie zeigen
damit Einflussgebiete der Skandinavier bzw.
Regionen an, die am Warenaustausch teilnahmen oder zumindest in das Handelsnetzwerk
eingebunden waren.
A.7.2.4.5 Einzelfunde
Von den insgesamt sieben Fundstellen von
Einzelfunden in der Umgebung von Wiskiauten liegen vier in der näheren Umgebung (vgl.
Abb. 19 Nr. 54–57), die anderen Fundstellen
sind weiter entfernt (vgl. Abb. 19 Nr. 51–53).
Der auf den ersten Blick älteste Einzelfund liegt
Hinweis soll sich ein Teil der Funde im Puschkinmuseum in Moskau befinden. Es handelt sich um
die Funde mit den Inventarnummern 1563 a (Fibel),
1563 c (Armring) und 1563 d (Armring).
Vgl. Warnke (1964, Karte 35): Nr. 250 (Rantau,
Kr. Samland), 253 (Samland allgemein), 259 (Steinitten, Kr. Königsberg) , 240 (Kuggen, Kr. Samland),
249 (Postnicken, Kr. Königsberg), 232 (Groß Pöppeln, Kr. Labiau).
121
bei Selenogradsk/Cranz (vgl. Abb. 19 Nr. 57)
zusammen mit einem undatierten und in seinem Charakter ungeklärten „Wikingeranker“
in Form einer Kufischen Münze vor. Ohne nähere Beschreibung oder Abbildung kann das
Stück nur allgemein der Zeit nach dem 8. Jahrhundert zugeschrieben werden. Eine genaue
Datierung ist unmöglich.
Insgesamt drei Einzelfunde stammen von
zwei Fundorten aus dem Bereich von Malinowka/Wargenau (vgl. Abb. 19 Nr. 54; 56). Es
handelt sich um eine Axt aus dem 11. oder 12.
Jahrhundert (Kleemann 1939b, 223), eine nicht
näher beschriebene Lanzenspitze und einen
Radsporn, der ins 13. Jahrhundert datiert wird
(ebd.). Die Gegenstände könnten zur Fundstelle Malinowka „Siedlung 2“ gehören (vgl. Abb.
19 Nr. 7). Die anderen Einzelfunde aus Krasnoflotskoe/Corben (vgl. Abb. 19 Nr. 51), Gusevo/Dorben (vgl. Abb. 19 Nr. 52) und Privolnoe/Gunthenen (vgl. Abb. 19 Nr. 53) sollen ins
11. oder 12. Jahrhundert gehören (ders. 1939a,
218-219; 223).
A.7.3 Zusammenfassung
Prähistorische Siedlungshinweise liegen mehrfach aus der Umgebung Wiskiautens vor. Sie
sie sind zwar für die Interpretation der Prospektionsergebnisse von Wichtigkeit, spielen
aber für die Fragestellung dieser Studie eine
nur untergeordnete Rolle.
Besonders die Rekonstruktion der frühmittelalterlichen Siedlungslandschaft aber ist von
zentraler Bedeutung. Durch die Auswertung
mehrerer Kataloge und Fundstellenregister
lässt sich in der Umgebung des Fundplatzes Wiskiauten eine erstaunlich dichte Konzentration von archäologischen Fundplätzen
erkennen, die sich auf die Quellengruppen
Siedlungsstellen, Befestigungsanlagen, Gräberfelder, Hortfunde und Einzelfunde aufteilen. Getrennt nach unterschiedlichen Zeitstufen ergibt sich eine immer dichter werdende
Siedlungstätigkeit ab dem 5. Jahrhundert bis
in die Zeit der Eroberung der Region durch
den Deutschen Orden im 13. Jahrhundert und
der damit verbundenen Umstrukturierung
des alten Siedlungssystems sowie der systematischen Neuansiedlung von ortsfremden
Personen und der Gründung neuer Ortschaften (Abb. 21–22).
Die frühe Besiedlungsphase ab dem 5.–6., aber
Grundlagen
79
Abb. 21 Zeitliche Verteilung der aus der Literatur ermittelbaren Siedlungen des 5.–14. Jahrhundert im Umfeld von Wiskiauten unter Einbeziehung unsicher datierter Fundplätze (vgl. hierzu auch Liste E.2.1).
Abb. 22 Zeitliche Verteilung der aus der Literatur ermittelbaren Gräberfelder des 5.–14. Jahrhundert im
Umfeld von Wiskiauten unter Einbeziehung unsicher datierter Fundplätze (vgl. hierzu auch Liste E.2.1).
auch im 7. und 8. Jahrhundert ist nur unzureichend dokumentiert und deckt sich mit der
allgemeinen Fundstellenarmut aus dieser Zeit
in der Region. Durch die Ausgrabungen der
Jahre 2005–2007 kann dieses Bild nun für den
Fundplatz Wiskiauten korrigiert werden, da
sich gleich mehrere Hinweise auf einen ausgedehnten Siedlungskomplex dieser Zeit in der
unmittelbaren Umgebung von Wiskiauten ergeben (vgl. Kap. C.5.4–5). Diese Siedlungsphase dürfte jedoch der einheimischen prussischen
Kultur zuzuordnen sein und nicht, wie beispielsweise in Grobin in Lettland, auf die Anwesenheit von Skandinaviern zurückzuführen
sein. Frühe Grabfunde nämlich fehlen in dem
im 9. Jahrhundert einsetzenden Hügelgräberfeld von Wiskiauten und zusätzlich in räumlicher Nähe der aufgedeckten Siedlungsspuren
bislang völlig. Lediglich das Gräberfeld von
Friedrichshof könnte Bestattungen der Stufe E
und somit der späten Völkerwanderungszeit
enthalten haben. Konkrete Belege und datierende Funde jedoch fehlen bisher. Wenn sich
die frühe Zeitstellung dieses Gräberfeldes aber
in der Zukunft durch neue Forschungen bestätigen sollte, dann liegt mit diesem Fundplatz
ein Denkmal vor, das mit der frühen Siedlungsphase von Wiskiauten unbedingt in Beziehung zu setzen ist.
Im 9. Jahrhundert setzt die Belegung im Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten ein, die im
10. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht. Es
bleibt nach wie vor das dominierende Denkmal und der einzige echte Beleg für die Anwesenheit von Skandinaviern. Zeitgleiche Siedlungsspuren in Bledau/Sosnovka, Wosegau/
80
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Vishnevoe, Wikiau/Klincovka und Wargenau/
Malinowka entziehen sich der Überprüfung,
da das Fundmaterial aus den Siedlungsbefunden unpubliziert geblieben ist. Das gleichzeitige Bestehen von Siedlungen in der näheren
Umgebung ist durchaus denkbar, ein direkter
Zusammenhang mit dem Gräberfeld von Wiskiauten aber nicht anzunehmen, da einerseits
die räumliche Entfernung zu groß erscheint,
andererseits jeweils eigene Bestattungsplätze
vorhanden gewesen zu sein scheinen.
In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts endet
die Bestattung in Hügelgräbern in der Kaup
bei Wiskiauten. Auf dem Garbick wird ein
größerer Hort angelegt, der vielleicht mit den
bei Saxo Grammaticus (Gesta Danorum, Buch
X, 5; vgl. Holder 1886, 328; von zur Mühlen
1975, 1) dänischen Einfällen ins Samland in
Verbindung steht. Gleichzeitig entstehen in
unmittelbarer Nähe prussische Gräberfelder,
darunter die Nekropolen von Friedrichshof
und der „spätheidische Aschenplatz“ im Ostteil des Gräberfeldes von Wiskiauten, die als
Nachfolgegräberfelder interpretiert werden
können. Eine Konzentration von Gräberfeldern dieser Zeit liegt auch bei Wikiau/Klincovka und Michelau/Kamenka, denen Siedlungsspuren in der Umgebung zugeordnet werden
konnten. Mindestens bis ins 12. Jahrhundert
bleiben diese Siedlungsstellen und Gräberfelder in Nutzung.
Auffällig ist das Fehlen der sonst in der Region
so zahlreichen Burgwälle im direkten Umfeld
von Wiskiauten. Zwar zeigen sich in wenigen
Kilometern Entfernung im Süden und Westen
Konzentrationen solcher Anlagen, aber in der
näheren Umgebung sind sie, abgesehen von
den unsicheren Fundstellen Galgenpusch und
Garbick, nicht nachzuweisen. Möglicherweise liegt hier das gleiche Phänomen zugrunde,
das Herrmann (1985, 61) allgemein für Seehandelsplätze annimmt, die immer in gewissem Abstand zu den Burgen bzw. den politischen Mittelpunkten und Machtzentren in der
Region bzw. ihres Stammesgebiets lagen. Wo
sie belegt sind, waren es vermutlich keine politisch-militärischen Zentren, sondern bestenfalls Fluchtburgen. Unter der Annahme, dass
Wiskiauten in gewissem Umfang Funktionen
eines Seehandelsplatzes innehatte, ist eine Burganlage in direkter Nähe also nicht zwingend
zu erwarten.
Das Gräberfeld
B Das Gräberfeld
B.1 Allgemeine Beschreibung des Gräberfeldes
Das Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten
liegt ca. 2,5 km südlich des an der Ostseeküste
gelegenen ehemaligen Badeortes Cranz, heute
Selenogradsk (vgl. Abb. 12–13). Im Osten befindet sich in 6 km Entfernung das Kurische
Haff. Auf der höchsten Erhebung ist das mit
dem Flurnamen Kaup verbundene Wäldchen
mit den Hügelgräbern positioniert, die nach
Ausweis der Grabbeigaben überwiegend aus
dem 9.–11. Jahrhundert stammen. Daneben
sind auch Bestattungen aus dem Neolithikum,
der Bronze- und Eisenzeit sowie aus der römischen Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit
sowie des 11.–13. Jahrhunderts bekannt (vgl.
Kap. A.7.2). Das Wäldchen Kaup bedeckt heute mit etwa 96 870 qm eine Fläche von knapp
10 Hektar. In den 1930er Jahren schwanken
die Angaben zwischen 25 Morgen (Ohne Verfasser 1936, 13) und 30 Morgen (Gaerte 1937,
72), was in etwa der gleichen Fläche entspricht.
Die Belegung mit Hügelgräbern ist unterschiedlich dicht und bildet an einigen Stellen
Konzentrationen, während andere Bereiche
befundleer scheinen. Problematisch ist dabei,
dass es keinerlei Kartierung des Hügelgräberfeldes aus der Zeit der ersten Ausgrabungen
gibt, so dass das originale Verteilungsmuster
heute unbekannt ist. Die späteren Kartierungen entstanden erst in den 1930er Jahren, als
schon eine große Zahl von Hügeln ausgegraben worden war. Zusätzlich gibt es Hinweise,
dass zwischen den Hügelgräbern auch eine
unbekannte Anzahl von Flachgräbern verborgen liegt. Als separierte Nekropole ist im
Osten der Kaup eine geringe Anzahl prussischer Flachgräber lokalisiert worden, die unter dem Begriff „Spätheidnischer Aschenplatz“
bekannt geworden sind (vgl. Kap. B.3.2.3).
Die Nekropole ist als birituelles Gräberfeld
zu bezeichnen, da Körper- und Brandbestattungen gemeinsam vorkommen. Brandgräber
sind jedoch deutlich in der Überzahl. Die genaue Anzahl der Bestattungen ist heute unbekannt (vgl. Anm. 2). Nach Angaben von Nerman (1942, 92) belief sich die Gesamtzahl der
Grabhügel auf „ca. 500“. Bereits für das Jahr
1880 ist in den Jahresberichten der Prussia-Ge-
81
sellschaft von „120 bei Wiskiauten geöffnete[n]
Gräber[n]“(Ohne Verfasser 1881, 6) die Rede.
Allein bis 1900 sind bereits „wohl an 250 Gräber“ (Heydeck 1900, 60) untersucht worden.
Engel (ALM Schleswig) spricht im Rahmen
einer 1932 erfolgten Kartierung in der Vorbereitung der schwedisch-deutschen Ausgrabungen des gleichen Jahres von „rund 260 Hügeln“,
die noch festgestellt werden konnten. Unklar
bleibt, warum im Gesamtplan aus diesem Jahr
nur 231 Grabnummern122 vergeben sind. Eine
zweite Variante des Planes123 wurde von Nermans Assistenten Angerborg und Attermann
angefertigt (Nerman 1932, 1). Zwar beträgt
die Gesamtzahl der eingezeichneten Hügel
nur 217, allerdings sind die sieben Hügel 15-21
nicht markiert, aber in einer Randnotiz als Hügelgräber notiert. Darüber hinaus finden sich
kleine lateinische Buchstaben als Zusätze zur
Unterscheidung weiterer Hügel bzw. Bestattungen (z.B. 144 a und 144 b). Ein weiterer Plan
ist bei von zur Mühlen (1975, 149 Taf. 2; vgl.
hier Abb. 9) abgedruckt. Auch hier sind die
Grabnummern kaum lesbar, insgesamt sind
187 Grabhügel und ein Flachgrab kartiert. Trotz
dieser kleinen Unstimmigkeiten wird deutlich,
dass die von Heydeck untersuchten und nach
der Untersuchung abgetragenen124 250 Hügel
zusammen mit den von Engel erwähnten 260
Gräbern sogar über die vermutete Anzahl von
500 Gräbern hinausgehen. Diese Annahme
äußerte auch Kleemann (1939b, 201), der die
Grenzen des Gräberfeldes durch die Waldgrenze in den 1930er Jahren als „unbedingt zu
eng umschrieben“ bezeichnete. Er vermutete
auch auf den angrenzenden Fluren, insbesondere im Westen und Südwesten, weitere BeDie höchste Grabnummer in diesem Plan lautet
zwar 218, weitere Hügel sind aber mit Unternummer versehen (170a, 170b, 170c, 170d, 160a, 177a,
144a, 144b, 135a, 138a, 139a, 147a, 140a), so dass
sich eine Gesamtzahl von 231 ergibt.
122
Der Originalplan findet sich nach freundlicher
Auskunft von M. Neiß (Stockholm) im Reichsantikvariet Ämbetet in Stockholm. Eine Version, allerdings mit schlecht lesbaren Nummerierungen, ist
bei Nerman (1942, 95 Abb. 86) abgedruckt.
123
Es ist bekannt, dass Heydeck die von ihm untersuchten Hügelgräber nach Abtrag der Hügelkuppe
nicht wieder rekonstruiert hat (Nerman 1932, 2),
weshalb diese Hügel in der von Engel vorgenommenen Bestandsaufnahme fehlen dürften.
124
82
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
stattungen. Hinzu kommen die Flachgräber
des sog. „spätheidnischen Aschenplatzes“ im
Osten der Kaup, deren Anzahl derzeit auf 16
untersuchte menschliche Bestattungen und 17
Pferdebegräbnisse geschätzt wird (Wróblewski 2006a, 224; vgl. Abb. 29). Hinzu kommen
weitere, in der vorkriegszeitlichen Literatur erwähnte Bestattungen (vgl. z.B. Agde 1936, 9).
Die Zahl der bis heute untersuchten Hügelgräber in deutscher und russischer Zeit lässt sich
auf etwa 325125 Gräber festlegen. Die von Kulakov (2005, 56) für die deutsche Forschungsperiode angegebene Zahl von 86 untersuchten
Hügeln, bei der er sich auf von zur Mühlens
(1975) Katalog der Grabhügel von Wiskiauten bezieht, ist viel zu niedrig angegeben und
beruht vermutlich auf dem Umstand, dass
von zur Mühlen (ebd. 122-140) nur diejenigen Hügel katalogisiert hat, zu denen sich im
Prussia-Archiv Funde oder Unterlagen befunden haben. Er gibt die Zahl mit 90 ergrabenen
Hügelgräbern viel zu gering an. Besonders die
Menge der zwischen den Hügeln liegenden
Flachgräber lässt sich nicht beurteilen. Eine
Grabung von V. I. Kulakov im Jahr 2005126 erbrachte auf einer Fläche von ca. 203 m2 im Umfeld nur eines Hügelgrabes mehrere Flachgräber. Die Anzahl dieser Bestattungsart könnte
also fast ebenso hoch einzuschätzen sein wie
die der Hügelgräber, die Gesamtzahl der Bestattungen dürfte deshalb zwischen 500 und
1000 oder mehr liegen. Das Verhältnis aller bisher ermittelten Männer- und Frauenbestattungen beträgt etwa 2:1127 (Abb. 23), während ein
Drittel geschlechtsspezifisch nicht eingeordnet
werden kann.
Das Fundmaterial umfasst vor allem Waffen,
Reit- und Pferdezubehör und persönliche
Ausrüstungsgegenstände in Männergräbern,
Trachtzubehör, Reitzubehör, Schmuck und
Werkzeuge in Frauengräbern. Insbesondere
Waffen und Schmuckgegenstände bzw. Trachtzubehör legen für die Mehrzahl der Gräber
In diese Zahl flossen auch die von V. I. Kulakov
in den Jahren 2005–2007 freigelegten Bestattungen
ein; der Verf. dankt V. I. Kulakov für die Erlaubnis
zur Einsichtnahme in die Grabungsdokumenation.
125
Für die freundliche mündliche Information sei V.
I. Kulakov gedankt.
126
Für diese Angaben stand Verf. ein reiches Archivmaterial zur Verfügung, aus dem sich insgesamt
132 Grabanlagen rekonstruieren lassen.
127
50
40
30
m ännlich
we iblich
20
unb ekannt
10
0
Abb. 23 Gräberfeld von Wiskiauten. Verhältnis
von Frauen- und Männerbestattungen sowie unbestimmbarer Grablegen (n=132).
eine skandinavische Herkunft der Bestatteten
nahe. Allerdings finden sich auch Gegenstände lokaler oder allgemein baltischer Herkunft.
Das Gräberfeld von Wiskiauten ist als herausragendes Denkmal des Frühmittelalters anzusehen. Seine Bedeutung für das immer noch
fehlende chronologische Grundgerüst wird
sich durch die Auswertung der Archivalien
und den dadurch zu erwartende Kenntniszuwachs in der Zukunft noch wesentlich erhöhen.
Gleichzeitig aber verliert die Nekropole durch
die rezenten Siedlungsforschungen an Dominanz. Sie muss zukünftig eher als Teil eines
hoch diffizilen Siedlungsgeflechtes verstanden
werden, dessen Anfänge vor dem Belegungsbeginn der Hügelgräbernekropole liegen und
das auch nach dessen Nutzungsende ab Mitte
des 11. Jahrhunderts weiterzuleben scheint.
B.2 Forschungsstand
Seit Beginn der Ausgrabungen im Jahr 1865
(Wulff 1865) wurde das Gräberfeld von Wiskiauten unterschiedlich interpretiert, wobei
die anfänglichen Theorien, es handele sich um
Überreste einer großen Schlacht zwischen Litauern und Prussen (ebd. 645) schnell durch
die heute noch in ihren Grundsätzen aktuelle
Interpretation als Gräberfeld von Skandinaviern bzw. als Nekropole einer Siedlung mit
starker Beteiligung skandinavischer Bevölkerungselemente ersetzt wurde128. Insbesondere
der Königsberger Maler und zunächst Bibliothekar, später Vorsitzender der PhysikalischÖkonomischen Gesellschaft zu Königsberg,
Tischler 1882, 21; Heydeck 1893, 57; Voigt 1901,
349; Schlicht 1922, 285.
128
Das Gräberfeld
83
Abb. 24 Gräberfeld von Wiskiauten. Inventar zweier Frauen- (links) und einer Männerbestattung (rechts)
(Heydeck 1900, Taf. 7; 9).
Johannes Heydeck, hat sich in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr intensiv um
die Erforschung des Wiskiautener Gräberfeldes bemüht.
Heydeck (1877; 1879; 1893; 1900; 1909) publizierte seine Ausgrabungsergebnisse aber leider
eher unregelmäßig in den Sitzungsberichten
der Physikalisch-Ökonomischen Gesellschaft
und in den Sitzungsberichten der Altertumsgesellschaft „Prussia“ (Abb. 24). Er lieferte darin
Beschreibungen seiner Methodik, Beobachtungen zum Grabbau, Listen der aufgefundenen Gegenstände samt Beschreibungen sowie
Interpretationsansätze. Diese Ausgrabungsberichte sind heute die wertvollste Quelle für
die frühen Ausgrabungsaktivitäten. Die Zahl
der in der Literatur behandelten Gräber war
jedoch nicht sehr groß. Kossinna (1929, 102)
resümierte in den 1930er Jahren, dass seit Be-
ginn der Ausgrabungen „bestenfalls 35 Gräber
aus Wiskiauten in der Literatur“ abgehandelt
worden waren. Bei einer Gesamtzahl von bis
dato etwa 250 (Heydeck 1900, 60) untersuchten
Grabhügeln ist diese Zahl verschwindend gering und die Originalberichte erlangen große
Bedeutung. In den Archiven hat jedoch kaum
ein Dokument aus dieser ersten Forschungsetappe, die bis zur Jahrhundertwende anhielt,
die Zeiten überdauert129.
Nach der Jahrhundertwende war die allgeEinzige Ausnahmen bilden zwei Skizzen bzw.
Befundzeichnungen und einige handschriftliche
Manuskripte für später publizierte Aufsätze, die
sich im Fundus des Berliner Teiles der PrussiaSammlung befinden. Aus dem Muzeum Warmii
i Mazur in Olsztyn sind Ausgrabungsskizzen zur
Freilegung des steinzeitlichen Hügelgrabes bekannt.
129
84
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
meingültige Interpretation als Gräberfeld einer Handelskolonie der Wikinger weitgehend
anerkannt. Die Herkunft der in Wiskiauten
Bestatteten nahm man allgemein nördlich der
Ostsee an. Ihr Einfluss auf die Entwicklung
der gesamten Region wurde dabei mehrfach
herausgestellt (Gaerte 1929, 320; Engel 1931a,
30), wenngleich auch slawische Einflüsse für
die Kultur des gesamten Samlandes und die
Anwesenheit bestimmter Fundgruppen, z.B.
der arabischen Münzen, geltend gemacht worden sind (Hollack 1908, LXXXVIII).
Auch in Bezug auf die chronologische Zuordnung der Grabfunde herrschte im allgemeinen Übereinstimmung. Ausgehend von einer
anfänglichen Datierung ins 5.–10. Jahrhundert (Heydeck 1877, 651) wurde die zeitliche
Einordnung später auf das 8.–10. Jahrhundert
(Bujack 1881, 94) präzisiert, wobei einige Gräber auch in das 11. Jahrhundert datiert wurden (Bujack 1876a, 280). Zusätzlich erkannte
man, dass ein Teil der Gräber offenbar auch einer späteren Periode des 10.–12. Jahrhunderts
zuzuordnen war (Heydeck 1893, 57), die man
aber nicht mehr direkt mit den Skandinaviern
in Verbindung brachte.
Ab der Jahrhundertwende setzte sich neben
den absolutchronologischen Daten die Einteilung in relativchronologische Perioden auch
für den Zeitraum des 7.–13. Jahrhunderts
durch. Nach dieser Einteilung wurde das Wiskiautener Gräberfeld in die Stufen F, G und H
gestellt (Hollack 1908, 185). Problematisch ist
dabei, dass Hollack dieser Stufenzuweisung
offenbar schon damals umstrittene absolute
Datierungen zugrunde legte. Bei einer Belegung schon in Stufe F wäre das Gräberfeld von
Wiskiauten nach den damals geltenden chronologischen Einteilungen bereits im 7. oder 8.
Jahrhundert in Nutzung gewesen, ein Ansatz,
für den sich heute keinerlei Anzeichen finden
lassen.
Während nach der Jahrhundertwende an der
groben zeitlichen Einordnung der Bestattungen in der Kaup kein Zweifel mehr aufkam,
wandte man sich nach der allgemeinen Forschungspause in der Zeit des Ersten Weltkriegs
und den 1920er Jahren erst mit Beginn der
1930er Jahre wieder verstärkt der Diskussion
des Fundplatzes Wiskiauten zu. Nun stand die
Frage der Herkunft der in den Hügelgräbern
beerdigten Personen im Vordergrund.
Gaerte (1933b, 73) interpretierte den seit dem
9. Jahrhundert genutzten Friedhof als Hinterlassenschaft schwedischer Wikinger. Zum
gleichen Ergebnis kam Engel (1935a, 112), der
der Masse der Funde eine Herkunft aus Mittelschweden bescheinigte und sie in Zusammenhang mit der Handelsstadt Birka am Mälarsee
brachte. Gleichzeitig aber erwähnte er arabische und südrussische Einflüsse und solche
aus Norwegen, Irland, Gotland und Kurland.
Besonders Kurland schien ihm zahlreiche
Vergleichsstücke zu bieten, die er aber nicht
genauer spezifizierte. Neben Mittelschweden
wurde in geringerem Maß auch Gotland als
Herkunftsregion der in Wiskiauten bestatteten Personen betrachtet, wofür sich besonders
Nerman (1934, 372) aussprach. Er betonte auch
die strategische Lage Wiskiautens am früheren,
südlichen Ausfluss der Memel und die damit
verbundene Kontrolle des Handelsverkehrs
mit dem Hinterland bzw. dem Weg Richtung
Kiewer Rus´, die wenig später auch Jankuhn
(1937b, 87) besonders herausstellte.
Von zur Mühlen (1975) war der erste, der den
Fundplatz Wiskiauten in größerem Rahmen
mitbehandelte, als er 1939 seine Dissertationsschrift mit dem Titel „Die Kultur der Wikinger
in Ostpreußen“ in Dorpat einreichte (Kleemann 1975, II). Neben wikingerzeitlichen
Funden aus ganz Ostpreußen stellte er alles
damals im Prussia-Museum zur Verfügung
stehende Material in fotografischen Aufnahmen in einem Katalog zusammen. Gleichzeitig listete er die Inventare von 86 Bestattungen
der Kaup auf, die er, falls diese bekannt war,
unter Angabe der alten Grabnummer und
der Prussia-Inventarnummer mit einer neuen
Bezeichnung versah, indem er sie von 1–86
durchnummerierte. Der Katalog ist jedoch
infolge einer kriegsbedingten Teilzerstörung
umgearbeitet worden, Inventare sind auseinandergerissen abgebildet und die Tafelerläuterungen beziehen sich auf die zugehörige
Prussia-Inventarnummer und nicht auf die
neue Nummerierung im Katalog. Erst 1975
kam diese Arbeit schließlich durch den Einsatz
von O. Kleemann in Bonn zum Druck. Sie stellt
trotz der Mängel im Katalogteil bis heute fast
die einzige Grundlage für jegliche Einordnung
der Funde von Wiskiauten dar. So diente von
zur Mühlens Buch vielen späteren Bearbeitern
als einziger Zugang zu den Grabfunden Wis-
Das Gräberfeld
kiautens. Die in diesem Buch vergebenen Katalognummern dienen teilweise als Grabnummern in der späteren Literatur.
Seither ist der Fundplatz oft in verschiedenen
Publikation mitbehandelt worden und sogar
als frühstädtische Siedlung, Handelsplatz oder
Handelsniederlassung (Jankuhn 1937b; Callmer 1994, 67; Müller-Wille 1997b, 779; 2002, 4
Abb. 1) oder port of trade (Bogucki 2006, 95) oder
emporium (ders. 2006b, 80 Abb. 1) mit kartiert
worden, obwohl Siedlungsspuren bis in die
1980er Jahre hinein fehlten und auch die von
Kulakov (1989; 2005) vorgelegten Hinweise
nur dürftige Informationen hierzu liefern.
Wróblewski (2006a; 2006b) äußerte jüngst
Zweifel an den traditionellen Interpretationen
des Fundplatzes. So vermutet er einen viel stärkeren einheimischen Einschlag im Fundgut aus
den Hügelgräbern und lehnt eine rein skandinavische Herkunft zumindest für einen Großteil
der Bestatteten ab. Kulakov (2005, 77) schließlich schreibt einer Gruppe von Gotländern die
Gründung von Wiskiauten zu, da sie Funde in
den ältesten Hügeln der Kaup hinterließen.
Durch die komplizierte Quellensituation zur
Archäologie Ostpreußens vor 1945 im Zuge der
Geschichte der Prussia-Sammlung standen der
Forschung lange Zeit lediglich die bereits publizierten Zeichnungen und Fotos zu Grabfunden
aus dem Hügelgräberfeld von Wiskiauten zur
Verfügung. Mehrfach sind in späteren Publikationen bei der Abhandlung bestimmter Material- und Sachgruppen daher besonders die vorhandenen Abbildungen zu den Wiskiautener
Funden aus von zur Mühlens Katalog herangezogen worden. So berücksichtigen beispielsweise H. Eilbracht (1999) den Filigranschmuck,
S. Kleingärtner (2004) zwei Terslev-Fibeln, C.
Hedenstierna-Jonson (2002) eine Gruppe von
Schwertortbändern, M. Müller-Wille (1970),
I. Martens (2004) und V. Kazakevičius (1996;
1999; 2002) die Schwerter und Lanzenspitzen.
Eine monographische Bearbeitung des Gräberfeldes von Wiskiauten ist bis heute nicht erfolgt.
B.3 Bestattungssitten und Grabbau
Am wenigsten Informationen sind bisher zum
Grabbau der Hügelgräber von Wiskiauten sowie zu den Bestattungssitten und - formen publiziert. Dennoch gibt es einige Beschreibungen
85
vornehmlich von Heydeck (1877; 1900), die es
ermöglichen, die Vielfalt im Grabbau der Wiskiautener Gräber zu verdeutlichen und zumindest tendenzielle Aussagen zu den vertretenen
Bestattungsformen zu treffen. Zusätzlich sind
die von Gurevič (1963) sowie Kulakov (2005)
publizierten Pläne und Beschreibungen heranzuziehen. Auch das Archivmaterial kann vereinzelt nützlich sein.
B.3.1 Bestattungsarten
Als Bestattungsarten kommen in Wiskiauten
sowohl Körper- als auch Brandbestattungen
vor, wobei letztere offenbar deutlich in der
Überzahl sind. Eine Auswertung aller bei von
zur Mühlen (1975) im Katalog aufgelisteten
Gräber vermittelt ein Verhältnis von etwa 1:3
zugunsten der Brandbestattung, wobei allerdings in mehr als 50% aller Fälle keine Angaben zur Bestattungsart zu finden sind130. Dennoch dürfte die Brandbestattung die vorherrschende Bestattungsart gewesen sein, wie es
auch mehrfach von verschiedenen Ausgräbern
und Bearbeitern131 erwähnt wird. Andererseits
finden sich auch gegenteilige Behauptungen.
So war das Verhältnis von Brand- zu Körperbestattungen nach Meinung von Engel (ALM)
offensichtlich noch in den 1930er Jahren „völlig ungeklärt“. Nerman (1932, 3) dagegen gibt
sehr präzise an, dass von 18 Gräbern mit nachgewiesener Bestattung 16 Gräber eine Brandbestattung enthielten. Zusätzliche Schwierigkeiten bereitet hierbei die große Anzahl von
Gräbern, die von den jeweiligen Bearbeitern als
Leergrab oder Kenotaph interpretiert worden
ist (vgl. z.B. Grabhügel 183, 204, 207; von zur
Mühlen 1975, 139 Nr. 81; 140 Nr. 85 und Nr.
86, oder Grabhügel K 182/182; Kulakov 2005,
Dieses Zahlenverhältnis wird zugunsten der
Brandbestattungen verstärkt, wenn man weitere
Literatur und Archivalien einbezieht. Nach einer
vorläufigen Zusammenstellung mit Informationen
zu insgesamt 139 Bestattungen sind Brandgräber
in 54 Grablegen zu vermuten, hinzu kommen acht
unsichere Brandbestattungen. Hinweise auf Körpergräber dagegen liegen nur aus neun Grablegen
vor. Bei beiden Bestattungsarten ist hier die Anzahl
der Bestattungen pro Grablege unberücksichtigt.
Vorläufig ist demnach von einem Verhältnis von
sogar 1:6 auszugehen
130
Heydeck 1877, 651; Hollack 1908, 185; Gaerte
1932b, 5; von zur Mühlen 1975, 29.
131
86
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
69). Vielleicht waren die Knochen eines unverbrannten Skeletts in diesen Gräbern schon so
stark vergangen, dass keinerlei Knochenreste
mehr erkennbar waren. Das Fehlen von Beigaben jedenfalls reicht nicht aus, die Gräber
als Leergräber oder Kenotaphe anzusprechen,
wenngleich es solche auch tatsächlich gegeben
haben kann.
B.3.1.1 Brandbestattungen
Brandbestattungen sind die dominierende
Bestattungsart im Gräberfeld in der Kaup bei
Wiskiauten. Insgesamt liegen auf der Grundlage des Kataloges von zur Mühlens (1975)
54 sichere und acht unsichere Hinweise auf
Brandgräber vor. Es scheint dabei mindestens
zwei häufiger vertretene Arten gegeben zu haben. Im ersten Fall (vgl. z. B. Abb. 7) wurden
die Brandreste des Scheiterhaufens zusammen mit kalzinierten Knochen in einer kleinen
Grube von knapp 1 m Durchmesser deponiert
(Gaerte 1929, 347; Engel, ALM). Heydeck
(1877, 651) vermutete darin einen Hinweis auf
die Verbrennung der Toten in sitzender oder
stehender Position. Verziegelungen von bis 0,1
m Dicke wiesen dabei auf die Verbrennung an
Ort und Stelle hin (ebd.). Im angeblich häufigeren zweiten Fall wurden Brandschüttungen
über eine Fläche von 2 m Länge und mehr über
den Hügelboden bzw. auf den ursprünglichen
Boden ausgebreitet, meist nord-südlich orientiert (Nerman 1932, 3) und in einigen Fällen offenbar zusätzlich mit einem Steinkranz eingerahmt (Abb. 25). Diese Brandschüttungen können eine Länge von bis zu 3,75 m gehabt haben
(ebd. 4), in der Regel waren sie bis zu 2 m groß.
Ihre Form lässt sich als überwiegend rundlich
oder oval beschreiben. Die offenbar auf den
natürlich gewachsenen Boden aufgeschütteten
Brandreste erreichten maximale Mächtigkeiten von 0,35 m (ebd.), konnte jedoch auch nur
wenige Zentimeter betragen (Kulakov 2005,
76). Dabei dünnte die Aschekonzentration zu
den Rändern hin deutlich aus, die Brandreste
könnten also zur Mitte hin „zusammengefegt“
worden sein (Nerman 1932, 4). Engel (ALM)
interpretierte die in diesen Brandschüttungen
aufgefundenen großen Holzkohlestücke und
sogar angekohlte Holzscheite als Reste der an
Ort und Stelle des späteren Bestattungsplatzes erfolgten Verbrennung (vgl. auch von zur
Mühlen 1975, 15). Auch Heydeck (1877, 651)
hat Verziegelungen bis 0,1 m Mächtigkeit beobachtet und daraus die Verbrennung an der
Stelle der späteren Brandschüttung gefolgert.
Kulakov (2005, 65) dokumentierte in den Grabhügeln K 172, K 174 und K167/167 eine Art
Plattform, auf der die Verbrennung stattgefunden haben soll, wie die zahlreichen Brandreste
nahe legen. Dabei ist in Einzelfällen aufgrund
der Lage von Schädelteilen im Südwesten, beispielsweise in Grabhügel K167/167 (Kulakov
2005, 71), und im Südosten, so in Grabhügel
K128/146 (ebd. 76), eine entsprechende Ausrichtung des auf dem Scheiterhaufen verbrannten Leichnams vermutet worden.
In der Regel fand sich in einem Hügel je eine
Brandbestattung (vgl. Abb. 7), allerdings kommen auch Mehrfachbestattungen in Brandgräbern vor, so z.B. in den Grabhügeln K 174 und
K 175 (Kulakov 2005, 65-69) oder in dem von
Nerman untersuchten Grab 144.
Mit einer Ausnahme fanden sich die nachgewiesenen Brandbestattungen unter Grabhügeln. Nur das 1930 beim Stubbenroden entdeckte Grab, das bei von zur Mühlen (1975,
137 Nr. 69) wohl fälschlicherweise als Hügelgrab geführt wird, ist eindeutig als Flachgrab
anzusprechen132. Interessanterweise enthielt
dieses Grab neben einem Schwert vom Typ JP
K, zwei zerbrochenen Lanzenspitzen, einem
eisernen Messer und einer Hufeisenfibel eine
„riesige flache, kurländische Armbrustfibel mit
schmalem Tierkopffuss“ (Engel 1931b, 10). In
diesem Grab, das unter den bis dahin freigelegten Bestattungen offenbar eine Ausnahme
bildete, mischen sich Elemente der einheimischen und der skandinavischen Kultur (vgl.
auch Wróblewski 2006b, 141).
In einem Fall ist auch eine Urnenbestattung
nachgewiesen. So enthielt eine von vier Gruben, die 1935 unter einem Grabhügel neben einer dreifachen Körperbestattung in der Nähe
des Steinzeitgrabes gefunden wurden, einen
„tonnenförmigen Topf mit etwas Leichenbrand“ (Kleemann 1937a, 73). Weitere Urnengräber erwähnt Heydeck (1877, 651).
B.3.1.2 Körperbestattungen
Aus von zur Mühlens katalogartiger Zusammenstellung der Bestattungen von Wiskiauten
sind fünf Körpergräber bekannt, vier weitere
Dies geht aus einer Archivalie von C. Engel im
Nachlass Grenz (ALM Schleswig) hervor.
132
Das Gräberfeld
87
Abb. 25 Gräberfeld von Wiskiauten. Brandbestattung mit Steinschutz aus einem Hügelgrab (SMB-PK PMA 522/33-229).
aus der Literatur133. Hinzu kommt ein Körpergrab, das V. I. Kulakov im Jahr 2007 bei der
Untersuchung von Grabhügel K 140a dokumentieren konnte134. Sie wurden bislang nur
in Kombination mit Hügelgräbern beobachtet.
Hügelgräber mit Körperbestattungen haben
offenbar eine reichere Steinarchitektur besessen (Engel, ALM). Die diese Hügelgräber
umgebenden Steinkreise waren „häufig doppelreihig“ (Nerman 1932, 5), auch im Inneren
der Hügel fand sich ein über den mehrmals
angetroffenen Holzsärgen angeordneter Steinschutz. Dieser war in anderen Fällen allerdings
auch sehr unregelmäßig und lückenhaft gestaltet (Heydeck 1879, 24).
In dem von Nerman (1932, 6) untersuchten
Grabhügel 143 (von zur Mühlen 1975, 136 Nr.
64) wurde unter der menschlichen KörperbeKleemann 1937a; Bujack 1876c, 279; Ohne Verfasser 1935; Agde 1936.
133
Für den mündlichen Hinweis dankt Verf. dem
Ausgräber.
134
stattung eine dreieckige Steinsetzung aufgedeckt, unter der ein Pferd beigesetzt war. Die
Bestattung in diesem Grab war nord-südlich
orientiert, im direkt benachbarten Frauengrab
konnte eine Ausrichtung in Ost-West-Richtung (Engel, ALM) dokumentiert werden. Die
gleiche Ausrichtung wurde auch bei einer von
Bezzenberger (von zur Mühlen 1975, 128-129
Nr. 30) untersuchten männlichen Körperbestattung festgestellt, die jedoch undatiert geblieben ist (Engel, ALM). Auch eine von Paulsen ausgegrabene Körperbestattung (von zur
Mühlen 1975, 139 Nr. 79) am Nordrand des
Wäldchens zeigte ein Skelett mit dem Kopf
nach Westen und dem Gesicht nach Osten in
einem Holzsarg, der mit Eisennägeln zusammengehalten wurde und mit einer Hufeisenfibel als Beigabe ausgestattet war (Engel, ALM).
Körpergräber kamen offenbar verhältnismäßig
oft in Kombinationen mit Sargresten vor. In
mindestens einem Fall wurde der männliche
88
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Verstorbene unter Hügel 143135 in einem Baumsarg bestattet (Nerman 1932, 5). In anderen Fällen, so in Grabhügel 163136 (Engel 1935a, 111)
und in einem Grabhügel ohne Nummer (Ohne
Verfasser 1935; Agde 1936), scheint es sich
um einfache, kistenförmige Särge gehandelt
zu haben, die mit Nägeln zusammengehalten
wurden. Für Gotland stellte Thunmark-Nylén
(2006, 577-578) jedoch heraus, dass Nägel auch
für hölzerne Konstruktionen verwendet werden konnten, die im Gegensatz zu Särgen in
der Grabgrube aufgebaut wurden. Einmal findet sich für ein Grab aus Wiskiauten nur die
Angabe „Bohlensarg“ (Ohne Verfasser 1935).
Körperbestattungen sind nach Nerman (1932,
6), wohl aufgrund der von ihm ausgegrabenen
Bestattung mit Kopf im Westen, und Engel
(1935a, 110) auf christlichen Einfluss zurückzuführen. Diese Interpretation wurde von von
zur Mühlen (1975, 15) abgelehnt, da auch in
Skandinavien vor dem christlichen Einfluss
Körperbestattungen vorkommen. Eine Bestattung mit reichen Beigaben, die in einem „Bohlensarg“ aufgefunden wurde, spricht ebenfalls
gegen eine christliche Grablege (Ohne Verfasser 1935).
Als einzigartig gilt Grabhügel 163137 von 10 m
Durchmesser und 1 m Höhe mit einem älteren
und einem jüngeren Brandgrab in der Mitte,
beide nur spärliche Perlenbeigaben enthaltend
(Engel 1935a, 111). In den Randbezirken dagegen wurden zahlreiche Skelettbestattungen,
darunter auch eine Frau und mehrere Kinder
sowie drei Pferdebestattungen dokumentiert.
Insgesamt sollen 14 Skelette138 freigelegt worden sein (Kleemann 1939b, 201). Die randlichen Bestattungen waren in zwei konzentrischen Kreisen um den Hügelfuß herum angeordnet und offenbar auf die zentralen Grablegen bezogen. Die Lage der Toten variierte. So
kamen Hocker-, Bauch- und Rückenbestattungen vor, die teilweise offenbar „achtlos“ (Engel 1935a, 111) in die Grube geworfen worden waren. Andere Skelette schienen Spuren
Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog
der Grabnummer 64.
135
Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog
der Grabnummer 70.
136
137
Entspricht von zur Mühlen (1975, 137 Nr. 70).
Abweichend Engel (1935a, 111), der nur 13 Skelette anführt.
138
von Gewalteinwirkung aufzuweisen, die aber
nicht präzisiert werden. Die Toten des inneren
Ringes blickten nach außen, die des äußeren
Kranzes nach innen zum Zentrum des Hügels.
Engel (ebd.) interpretierte dieses besondere Grab als Bestattung eines Häuptlings oder
Kriegers, dem Gefolgsleute und Sklaven in
den Tod folgten. Andererseits zog er auch die
Möglichkeit in Betracht, dass es sich um spätere Nachbestattungen handelt. Dafür spricht
vor allem die unterschiedliche Lage und Tiefe
der Skelette und die Tatsache, dass einige Verstorbene offenbar in genagelten Holzsärgen
bestattet worden sind.
Neben dieser Massenbestattung findet sich nur
eine weitere Grabanlage mit mehreren Körperbestattungen. Es handelt sich um Hügel 51c139,
in dem unter einem runden Steinpflaster drei
Körperbestattungen in gestreckter Rückenlage
zum Vorschein kamen (Kleemann 1937a, 73
Abb. 14a). Eine Bestattung auf der rechten Körperseite mit leicht angezogenen Knien dokumentierte Kleemann (ebd.) in einem benachbarten Grab.
B.3.1.3 Kenotaphe oder Leergräber
Eine auffallend hohe Anzahl von Gräbern, in
denen manchmal nur eine Steinpackung, aber
keine Bestattung festgestellt werden konnte, wurde von den Ausgräbern als Kenotaph
interpretiert (vgl. z. B. Heydeck 1900, 62; von
zur Mühlen 1975, 139-140 Nr. 81, 85–86). Es
ist denkbar, dass hier Körper ohne Sarg beigabenlos beerdigt wurden und dementsprechend vollständig vergangen sind. Andererseits könnten diese Gräber auch tatsächlich
Kenotaphe darstellen.
Fraglich ist die Interpretation als Leergrab
besonders bei den im 19. Jahrhundert untersuchten Bestattungen. Einerseits war die Grabungstechnik noch nicht so weit entwickelt.
Andererseits sind auch Gräber, die nur einige
unidentifizierbare Eisenfragmente enthielten,
als Leergräber angesprochen worden, obwohl
es sich um Überreste von Beigaben handeln
muss, die der Deutung als Leergrab zu widersprechen scheinen.
Ebenso ist mit der Möglichkeit zu rechnen,
dass bei der Untersuchung der Hügelgräber in
dieser Zeit lediglich der Mittelteil des Grabes
Bei von zur Mühlen (1975) nicht im Katalog aufgeführt.
139
Das Gräberfeld
untersucht wurde, die Randbezirke dagegen
unberücksichtigt blieben.
Dies blieb nicht auf die Periode vor 1900 beschränkt blieb, wie Nermans (1932, 2) Beschreibung der angewandten Grabungsmethodik zeigt, vom Rand her einen „Tranchée“ in
die Hügelmitte anzulegen und bei Auffindung
der Mittelbestattung die Grabungsfläche zu
erweitern. Dass dabei eventuell Randbestattungen übersehen wurden, liegt auf der Hand
und wurde von den Ausgräbern auch in Kauf
genommen (ebd.). Weitere Hinweise finden
sich durch eine Beschreibung der Ausgrabungen des Jahres 1937. In diesem Jahr sind zwei
Hügelgräber untersucht worden. „Beide entbehrten der Mittelbestattung. Der eine Hügel
zeigte das schon früher beobachtete, bezeichnende Bild von Skelettbestattungen am Rande“ (Gaerte 1938, 116). Auch in diesem Fall
jedoch ist die Interpretation als Kenotaph in
Erwägung zu ziehen, da es sich durchaus um
Nachbestattungen in einem vorher angelegten
Leergrab handeln könnte, andererseits um Bestattungen von Sklaven oder Angehörigen, die
dem in der Ferne gestorbenen Toten bei dessen
symbolischer Beerdigung in den Tod folgten.
Die Befundgruppe der Kenotaphe zeigt die
große Variabilität im Grabbau, der sich bei
der Analyse aller verfügbaren Informationen
wesentlich komplexer und vielschichtiger darstellt als bislang angenommen.
B.3.1.4 Tierbestattungen/Tierbeigaben
Tiere sind offenbar nur selten beigegeben
worden. Immerhin lassen sich für fünf Gräber140, die in der deutschen Forschungsetappe
untersucht wurden, eine bzw. in einem Fall
zwei Pferdebestattungen ermitteln, zweimal
deuten auch Knochen im Grab auf die Beigabe
von Hunden hin. So fanden sich in einem von
Heydeck (1900, 62-63; vgl. auch Ohne Verfasser 1900, 294) ausgegrabenen Grabhügel Pferdeknochen in der Verfüllung der Grabgrube.
In einem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 133 Nr. 50) sind Pferdezähne dokumentiert worden. Eine komplette Pferdebestattung fand sich in Grab 143 (ebd. 15; 136). Für
Grab 163 sind sogar zwei Pferde dokumentiert
(Agde 1936, 9; Gaerte 1938, 116). Allerdings
Heydeck 1877, 652-653; Ohne Verfasser 1879a,
9; Heydeck 1900, 62 Nr. 3; Agde 1936, 9; von zur
Mühlen 1975, 133 Nr. 50; 136 Nr. 64.
140
89
handelt es sich in diesem Fall um eine Mehrfachbestattung, bei der bis zu 14 Skelette in
dichter Nachbarschaft, fast ausschließlich auf
dem Rücken liegend, aufgefunden wurden141.
Sogar ein Hund soll im Randbereich des Hügels bestattet gewesen sein (Gaerte 1938, 116).
Eine weitere Hundebestattung kann für ein
Grab, das nicht bei von zur Mühlen katalogisiert ist, ermittelt werden (Heydeck 1877, 652653). Ein unverbrannter Hundeknochen wurde auch von Gurevič (Kulakov 2005, 59) in
Grabhügel KIII gefunden. Aus Grabhügel K 4
stammen Tierknochen, die nicht näher spezifiziert sind (ebd. 58). Kulakov (ebd. 65) konnte
bei seinen Ausgrabungen an Grabhügel K 172
das Skelett eines einjährigen Kalbes dokumentieren. In Hügel K 167/167 sind Rinderzähne
nachgewiesen worden (ebd. 75).
Ein bereits im Jahr 1879 von Heydeck ausgegrabene Pferdebestattung, zu der in den Archivalien in Berlin142 eine gute Zeichnung erhalten ist, soll zwischen Wosegau und Wiskiauten am Wege gelegen haben (Ohne Verfasser
1879a, 9). Aufgrund dieser Lage in der Nähe
des spätheidnischen Aschenplatzes ist die Zugehörigkeit zu dieser separierten Nekropole
anzunehmen. Ein weiteres interessantes Grab
mit Pferdebestattung liegt mit Grabhügel 143
(von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 64; Nerman
1942, 99 Abb. 89b) vor. Auf einer Plattform an
der rechten Seite der südwestlich-nordöstlich
ausgerichteten Körperbestattung in einem Sarg
liegt ein unverbranntes Pferd auf seiner linken
Körperseite mit Kopf im Nordosten. Pferdeplattformen deuten in Birka auf Kammergräber hin (Gräslund 1980, 7; 12), sind in den 20
Kammergräbern dort allerdings regelhaft am
Fußende positioniert (ebd. 40), aber niemals,
wie beispielsweise in Kiev und Wiskiauten,
an der Seite des Verstorbenen, was als nomadische Tradition gilt (Duczko 2004, 220). Vereinzelt aber ist die Bestattung eines Pferdes an
der Seite des Verstorbenen in Schweden nachgewiesen (Gräslund 1980, 42), und auch auf
Gotland fanden sich Pferde neben dem Reiter
beerdigt (Thunmark-Nylén 2006, 320), hier allerdings nie auf einem Absatz (ebd. 323). Gegen ein Kammergrab spricht im Fall von Grab
von zur Mühlen 1975, 137 Nr. 70 Taf. 44, 3; Engel 1935a, 111; Agde 1936, 9; Gaerte 1938.
141
142
SMB-PK/PM-A522/050, 051.
90
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 26 Gräberfeld von Wiskiauten. Durchmesser der Grabhügel.
143 von Wiskiauten die kleine Grabgrube und
die geringe Größe des Sarges sowie die Lage
der Beigaben wie Schwert und Eimer, die offenbar auf einem Sargdeckel und nicht in einer
Kammer deponiert worden sind.
Gräslund (1980, 60) hält für unverbrannte
Tierknochen in der Hügelfüllung auch eine
natürliche Verlagerung aus einer nahen Siedlung, beispielsweise durch Hunde, für möglich. Nicht immer liegt eine Beigabe von Teilen
von Haustieren im Sinne einer Speisebeigabe
vor, wenngleich auch diese Möglichkeit nicht
ausgeschlossen wird. Sie wird jedoch vor allem für unverbrannte Tierknochen in der Bestattung selbst oder in unmittelbarer räumlicher Nähe, oft auf den Brandbestattungen deponiert, bevorzugt.
B.3.2 Grabbau
B.3.2.1 Hügelgräber
In Wiskiauten ist das Hügelgrab die häufigste
Grabform. Angaben zu den Maßen der Hügel
schwanken beträchtlich. Während Heydeck
(1900, 61) Durchmesser von 3–5 m angibt und
ihre Höhe mit 0,5–0,8 m beschreibt, sind bei
Engel (1935a, 109; ALM Schleswig) die Hügel
bis zu 12 m oder sogar 15 m im Durchmesser
und bis 1,5 m hoch. Andererseits nennt er flache, kaum wahrnehmbare Gräber von nur 0,3
m Höhe. Von zur Mühlen (1975, 15) gibt sogar
Höhen bis 2 m an. Tatsächlich scheinen sowohl
kleine als auch extrem große Hügel vorgekommen zu sein (Abb. 26).
Einer Auflistung von 187 Grabanlagen143 am
Rande des Gesamtplanes144, der in Vorbereitung einer deutsch-schwedischen Gemeinschaftsausgrabung vom 17.–24. Mai 1932
angefertigt wurde, ist zu entnehmen, dass
offensichtlich die Mehrzahl der Hügelgräber
von unauffälliger, flacher Gestalt mit einem
Durchmesser von 5–6 m war, während große,
halbkugelartige Hügel bis 12 m Durchmesser
seltener vorkamen (Abb. 26)145.
Ähnliche Werte ermittelten auch Gurevič
(1963) und Kulakov (2005) für die in der russischen Forschungsetappe untersuchten Grabanlagen. Demnach wies die Masse der nach
dem Zweiten Weltkrieg untersuchten Hügel
einen Durchmesser zwischen 5 und 7,2 m auf.
Ein Durchmesser bis 9 m konnte nur einmal
für Hügel K 167/167 (Kulakov 2005, 70), ein
solcher bis 12 m ebenfalls nur einmal im Fall
von Grabhügel K III (ebd. 58) nachgewiesen
143
Für 14 Hügel fehlen jegliche Angaben.
144 SMB-PK/PM-A522/94–522/100.
Den hier geäußerten Beobachtungen liegt eine
Liste von 187 Hügelgräbern zugrunde, die auf dem
im Berliner Archivalien-Teil überlieferten Gesamtplan (SMB-PK/PM-A522/94 bis 522/100) zum Gräberfeld von Wiskiauten aus den 1930er Jahren, erstellt von C. Engel, zu finden ist.
145
Das Gräberfeld
91
Abb. 27 Gräberfeld von Wiskiauten. Höhe der Grabhügel.
werden. Die Höhe der Hügel, die nur in drei
Fällen unbekannt ist, lag schwerpunktmäßig
zwischen 0,2 und 0,6 m. Hierzu sind 100 Hügel zu zählen. Nur acht Hügel waren kleiner,
größer dagegen waren immerhin 37 Hügel mit
Höhen zwischen 0,7 und 1,6 m (Abb. 27).
Für die von Gurevič (1963) und Kulakov
(2005) untersuchten Bestattungen lassen sich
in elf Fällen Höhen zwischen 0,4 und 0,6 m
ermitteln. Weitere acht Hügelgräber wiesen
Höhen zwischen 0,65 und 1,25 m auf. Besonders Kulakov (ebd.) beobachtete bei allen in
den Jahren 1980, 2000 und 2004 ausgegrabenen Hügelgräbern eine ovale Form. Auf den
ersten Blick wirken die Hügel im Gelände jedoch rundlich, so dass in deutscher Zeit wahrscheinlich ebenfalls sehr viele Hügel eher oval
als exakt rund gewesen sein dürften, wenn
nicht ein runder Steinkranz am Fuße des Hügels tatsächlich auf runde Form hinweist. Es
ist wahrscheinlich, dass das heutige Erscheinungsbild der Hügel durch Erosionsprozesse
verändert worden ist. Die ursprüngliche Form
lässt sich heute nicht mehr genau rekonstruieren. Die Hügelaufschüttungen bestanden aus
Sand, Kies oder Lehm (Wulff 1865, 643; Kulakov 2005, 65), wobei der Standort auf dem
durch unterschiedliche Bodenarten gekennzeichneten Gräberfeld mit dem dort zur Verfügung stehenden Bodenmaterial anscheinend
ausschlaggebend war. „Weitaus die Mehrzahl“
aller Hügel soll nach Angaben von Heydeck
(1877, 651) außer einem oder mehreren auf dem
höchsten Punkt angeordneten Merksteinen
keine Steinarchitektur besessen haben. Gaerte
(1933b, 73) spricht von ein bis drei Merksteinen, die Größen bis über 1 m Länge und 0,6 m
Breite aufweisen konnten (Heydeck 1877, 651).
Sie scheinen direkt auf der Bestattung aufgestellt und erst durch die Hügelanschüttung
mit Erde bedeckt worden zu sein, da sie nach
Heydeck (ebd.) oft nur mit der Spitze aus dem
Hügel hervorragten und seltener bis zur Hälfte zu sehen waren. Das gleiche Phänomen ist
von Grabhügeln in Birka bekannt (Gräslund
1980, 65).
Der Aussage Heydecks (1877, 651), die Mehrzahl der Hügel besitze keine weitere Steinarchitektur, wird von anderen Ausgräbern
offenbar nicht gefolgt, vermutlich, weil unterschiedliche Areale des Gräberfeldes untersucht
wurden. So finden sich beispielsweise bei Engel (ALM Schleswig) andere Beschreibungen.
Über der auf der Oberfläche ausgebreiteten,
zuweilen auch schwach eingetieften Brandschicht oder Brandgrube ist offenbar einfach
der Hügel aufgeschüttet worden; in anderen
Fällen war die Brandschicht von einem engen
Steinkranz von etwa 1 m Durchmesser umsetzt. Auch neben der Brandschicht kamen
ovale oder rundliche Steinpackungen vor. Andere Formen der Steinsetzung wurden offenbar von Paulsen am Nordrand des Gräberfeldes bei der Untersuchung einer „Gruppe von
92
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
meist recht beigabenarmen Hügeln aus dem
Ende des 10. Jahrhunderts“ beobachtet (ebd.).
Hier sollen rechteckige oder quadratische
Steinsetzungen die Gräber umfasst haben, in
deren Mitte in einigen Fällen ein Beigefäß angetroffen wurde (ebd.). Nerman (1932, 3) gibt
für die von ihm 1932 untersuchten Gräber146
an, dass er trotz Überprüfung des Hügelfußes
mit einer Sondierstange keinerlei Fußring aus
Steinen feststellen konnte. Eine Zeichnung im
Archiv in Stockholm aus dem Nachlass von
Birger Nerman zu Grabhügel 141147 zeigt dagegen einen Steinkranz (Abb. 28).
Genauso besaß der von Kulakov (2005, Abb.
13–14; 17) 1980 ausgegrabene Hügel K 172 einen kompletten, Hügel K 182 immerhin noch
Reste eines Steinkranzes am Hügelfuß. Die
von Gurevič (1963) untersuchten Grabanlagen
dagegen lassen diesen Steinkranz wiederum
vermissen. Die dokumentierten Steinumfassungen liegen meist innerhalb der durch die
Aufschüttungen gebildeten Hügel und nicht
genau am heutigen Hügelfuß. Möglicherweise
geben die Steinkränze die tatsächliche, frühere Grenze der Hügel an. Diese könnten also
zur Zeit ihrer Errichtung etwas höher und im
Umfang geringer gewesen sein, so dass sich
generell eher eine halbkugelige Form ergibt.
Erst im Laufe der Jahrhunderte dürfte Erdmaterial erodiert sein und dadurch die Fußkränze
überdeckt haben. Auch Hügel ohne Fußkränze
hatten ursprünglich wahrscheinlich eine etwas
andere Form. Offenbar wurde der Steinkranz
vereinzelt auch von einem Graben begleitet,
worauf der Befund an Grabhügel K 172 (Kulakov 2005, 65) hindeutet.
Hier scheint also ein Unterschied in der Architektur der verschiedenen Grabhügel zu bestehen, der, wie erwähnt, auf die unterschiedliche
Lage der Hügel im Bestattungsfeld zurückzuführen sein könnte. Möglicherweise sind hier
unterschiedlich bestattende Personengruppen
zu erkennen. Endgültige Aussagen sind erst
nach der vollständigen Auswertung der noch
vorhandenen Grabpläne aus den Beständen
des ehemaligen Prussia-Museums in Berlin sowie der vorhandenen Zeichnungen im
Alte Grabnummern 43–44, 55, 64, 72–74, 133, 138,
139–139a, 140–141, 143–144, 144a–144b, 185, 189,
204, 207.
146
Entspricht im Katalog bei von zur Mühlen (1975,
135) der Grabnummer 63.
147
Nachlass von Birger Nerman in Stockholm zu
erwarten.
Bootgräber sind für Wiskiauten bisher nicht
schlüssig nachzuweisen. Zwar fanden sich
vereinzelt Niete mit viereckigen oder rautenförmigen Nietplatten an beiden Enden, die
als Schiffsniete interpretiert werden könnten,
so zum Beispiel in Hügelgrab 144b (von zur
Mühlen 1975, 136 Nr. 67) oder Grabhügel 145
(ebd. 137 Nr. 68). Aufgrund der geringen Anzahl scheidet die Ansprache als Bootsgrab jedoch aus.
In Birka (Gräslund 1980, 57) muss die Anzahl
mehr als 100 Stück betragen, bevor eine Ansprache als Schiffsgrab erfolgt. Eine so große
Anzahl ist für keines der Wiskiautener Gräber überliefert, hätte jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit soviel Aufsehen erregt, dass eine
Erwähnung zu erwarten gewesen wäre. Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch die
von Engel (1935a, 110) geäußerte Interpretation, dass die Personen aus Gräbern, in denen
Schiffsniete gefunden wurden, als besonders
„Bevorzugte“ anzusehen seien. Die gefundene
Anzahl der Niete nennt er leider ebenso wenig
wie die Gräber, in denen Schiffsniete gefunden
worden sind, so dass die Aussage nicht überprüft werden kann.
Einige Grabhügel mit besonders kompliziertem Aufbau möchte Engel (1935a, 110) sogar
als Fürstengrab ansprechen. Er beschreibt dabei mächtige Steinpackungen, in denen Reiter
und Pferd unverbrannt gemeinsam bestattet
lagen. Der als Krieger interpretierte Tote lag
dabei in einem Baumsarg, auf dem ein hölzerner Eimer stand (ebd.)148.
Offenbar sind die Grabhügel vereinzelt auch zu
Nachbestattungen benutzt worden (Heydeck
1900, 62). Darauf deutet auch die Bestattung
von 13 Skeletten in Hügel 163 hin, die entweder als geopferte Sklaven oder als nachträgliche Bestattungen interpretiert werden (Engel/
La Baume 1937, 207). Auch Gaerte (1938, 116)
erwähnt solche randlichen Bestattungen.
Schwierig ist der unterirdische Grabbau der
Hügelgräber zu beurteilen, da er in der Literatur nur wenig Beachtung gefunden hat und
Grabpläne weitgehend unpubliziert blieben.
Hier wäre eine vollständige Auswertung der
Vermutlich ist damit der von Nerman (1942, 99
Abb. 89b; von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 64) ausgegrabene Hügel 143 gemeint.
148
Das Gräberfeld
93
Abb. 28: Gräberfeld von Wiskiauten. Grabhügel 141 mit Steinkranz und zentraler, die Bestattung überdeckender Steinpackung (nach einer Zeichnung im Nachlass von B. Nerman, Riksantekvariet Ämbetet
Stockholm).
Archivalien besonders hilfreich. Nur in wenigen Fällen hat es offenbar tatsächlich in den
Boden eingetiefte Grabgruben gegeben, die
dann nahezu regelhaft mit Körperbestattungen kombiniert sind. Selten sind dabei auch
eine oder mehrere Gruben dokumentiert worden, die Teile der Brandreste enthielten und
die offenbar durch die Plattform hindurch
nach der Verbrennung des Leichnams in den
anstehenden Boden eingegraben worden sind
(Kulakov 2005, 67). In einigen Hügeln sind
Plattformen gefunden worden, auf denen die
Verbrennung stattgefunden hat.
In einem Fall könnte eine extrem große Grabgrube auf ein Kammergrab hindeuten. Unter
einem Grabhügel149 von 6 m Durchmesser und
0,6 m Höhe, der 1873 freigelegt und in einem
umfassenden Bericht von Heydeck (1879) vorgelegt wurde, fand sich ein Sarg aus Eichenholz in einer Grabgrube von 2,7 m Länge, 1,11
m Breite und 0,71 m Tiefe. Der unverbrannte,
aber stark vergangene Leichnam lag auf dem
Dieses Hügelgrab ist in von zur Mühlens (1975)
Katalog nicht aufgeführt, aber mehrfach in der
Literatur erwähnt (Bujack 1876c, 279-280; 1881;
Heydeck 1879).
149
94
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Rücken, der Kopf fand sich im Nordwesten.
Im Vergleich mit Birka entsprechen die Maße
dieses Sarges den unteren Kriterien für Kammergräber, die durchschnittlich mehr als 1,2 m
breit und 2–2,9 m lang sind, die Tiefe betrug
meist zwischen 0,6 m und 2,5 m (Gräslund
1980, 12; 27; 30). Der Schwerpunkt liegt jedoch
bei Tiefen von 1,2–2,0 m (ebd. 30). Demgegenüber sind normale Sarggräber durch Tiefen
von 0,6–1,4 m definiert. Einer Deutung des
hier zu besprechenden Befundes als normales
Sarggrab ist damit nicht widersprochen. Dagegen ist der Wiskiautener Befund mit seiner
Weite von 1,11 m deutlich breiter als die höchstens 0,8 m breiten, einfachen Sarggräber aus
Birka (ebd. 12).
Auf ein weiteres mögliches Kammergrab könnte Grabhügel 143150 (Nerman 1942, 99 Abb.
89b; vgl. hier Abb. 10) hinweisen, in dem auf
einer Plattform an der rechten Körperseite des
Verstorbenen ein unverbranntes Pferd auf seiner linken Körperseite mit Kopf im Nordosten
bestattet war. Da Pferdeplattformen in Birka
regelhaft mit Kammergräbern verknüpft sind
(Gräslund 1980, 7; 12), kann zunächst auch
in Grabhügel 143 ein Kammergrab vermutet
werden. Die Befundsituation lässt jedoch keine
Kammerkonstruktion erkennen (Nerman 1942,
99 Abb. 89b). Vielmehr muss diese Interpretation aufgrund der kleinen Grabgrube und der
geringen Größe des Sarges ausscheiden.
B.3.2.2 Flachgräber
Zwischen den die Nekropole dominierenden
Hügelgräbern sind vereinzelt auch Flachgräber aufgedeckt worden. Das bekannteste Beispiel ist eine 1930 beim Stubbenroden zufällig
freigelegte Bestattung151, die neben zwei spitzbogenverzierten Lanzenspitzen und einem
Schwert mit Inschrift152 auch mit einer sehr
großen Armbrustfibel mit Tierkopffuß ausgeEntspricht in von zur Mühlens (1975, 136) Katalog der Grabnummer 64.
150
Von zur Mühlen (1975, 137) vergab in seinem
Katalog für diese Bestattung die Grabnummer 69.
151
Engel (1931a, 29; 1931b; Abb. des Grabinventars bei von zur Mühlen 1975 Taf. 9, 1, Taf. 36)
beschreibt die Inschrift als Runeninschrift. Die Inschrift ist im Nachlass von P. Paulsen in Schleswig
(ALM Schleswig) in einer Skizze erhalten. Es handelt sich um eine Ulfberth-Inschrift auf einem
Schwert vom Typ K nach Petersen (1919).
152
stattet war. Hielt Engel (ALM) dieses Grab für
die Bestattung eines Skandinaviers, so wurde
es von Wróblewski (2006a, 141) aufgrund der
darin gefundenen Armbrustfibel mit Tierkopffuß als einheimisches Grab gedeutet. Im Jahr
1935 sollen ebenfalls „zwei wikingische FlachBrandgräber“ freigelegt worden sein (Ohne
Verfasser 1935, 170). Auf Flachgräber weist
auch der im Osten des Gräberfeldes liegende
separierte Bestattungsplatz hin, der unter dem
Begriff „spätheidnischer Aschenplatz“ Eingang
in die Literatur gefunden hat (Engel 1932a).
Für diesen Bereich beschrieb der erste Ausgräber Wulff (1865, 643) „dicht unter der Oberfläche noch unberührt liegende(n) Kranzsteine“,
in denen zahlreiche Waffen als Beigaben eingeschlossen waren. Er dachte jedoch, dass hier
die Hügel einfach „verschwunden“ (ebd.) bzw.
natürlich aberodiert waren. Eine Interpretation
als Flachgräber, die zum spätheidnischen Gräberfeld gehören könnten, ist aber wahrscheinlicher, da diese Gräber den gleichen Grabbau
aufwiesen und ebenfalls von einem Steinkranz
eingeschlossen waren. Gleichzeitig beschreibt
Wulff zahlreiche Urnen unter den Steinpackungen, deren Scherben mit konzentrischen
Ringen verziert gewesen sein sollen. Die „vereinzelte Nachbestattung in Flachgräbern“, die
Hollack (1908, 185) anführt, könnte auf den ersten Blick auf die bronze- und eisenzeitlichen
Bestattungen im steinzeitlichen Hügelgrab im
Osten des Wäldchens Kaup bezogen sein. Sie
wird aber bei der Beschreibung der Grabhügel
angeführt. Eindeutig dagegen scheint eine Aussage von Kleemann (1933, 248) zu sein, der ein
Flachgrab einer weiblichen Person aus dem 9.
Jahrhundert erwähnt, das mit Bronzeschmuck
ausgestattet war und daher klar datierbar gewesen sein dürfte. Es soll in der Nähe des großen Steinzeithügels, also im Ostteil des Wäldchens Kaup gelegen haben und stützt dadurch
die Vermutung, dass in diesem Waldabschnitt
Flachgräber gelegen haben.
Die vorangehend zusammengefassten Beobachtungen ziehen die Frage nach sich, ob nicht
der auffallende Grabbau der Hügelgräber die
Untersuchung der dazwischen liegenden Bereiche und somit die Auffindung von weiteren
Flachgräbern verhinderte und ob nicht viele
Flachgräber möglicherweise noch unberührt
im Boden liegen. Hinweise darauf finden sich
neben einem weiteren Eintrag auf dem Ge-
Das Gräberfeld
samtplan bei von zur Mühlen (1975, Abb. 1)
auch durch neuere Forschungen von V. I. Kulakov. Im Jahr 2005 hat dieser einen Grabhügel untersucht und dabei auch das Umfeld in
die Ausgrabungen miteinbezogen153. Es gelang der Nachweis von mehreren Gruben mit
kalzinierten Knochen, die vom Ausgräber als
Flachgräber interpretiert werden. Drei weitere
Flachgräber wurden im Jahr 2007 im Umfeld
von Grabhügel K 140 A entdeckt. Nach den
anhand von Holzkohleproben gewonnenen
14
C-Daten gehören zwei der drei Gräber in das
späte 9. oder 10. Jahrhundert154, eine weitere
Holzkohleprobe aus dem dritten Grab lieferte
ein erstaunlich frühes Datum aus dem 3. vorchristlichen Jahrtausend155. Vermutlich ist die
Zahl der zwischen den Grabhügeln liegenden Flachgräber also ebenfalls sehr hoch einzuschätzen, wodurch sich die Gesamtanzahl
der Bestattungen beträchtlich erhöhen würde
und dem Grabbau eine größere Variabilität bescheinigt werden müsste. Zusätzlich hätte die
steigende Anzahl an Gräbern auch Folgen für
die Größe der zu vermutenden Siedlung und
für deren Gesamtinterpretation als möglicherweise polyethnische Niederlassung.
Die spärlichen, aber dennoch eindeutigen
Hinweise auf Flachgräber veranlassten Nerman (1934, 373), in Wiskiauten eine separierte Kolonie von Gotländern anzunehmen, die
neben einer schwedischen Kolonie existiert
haben könnte. „Der zugehörige Friedhof, vermutlich aus Flachgräbern bestehend, könnte
in der Umgebung des „schwedischen“ Hügelgräberfeldes liegen“, so Nerman (ebd.). Von
einem zusammenhängenden Flachgräberfeld,
das dem Hügelgräberfeld benachbart wäre,
ist beim derzeitigen Forschungsstand jedoch
nichts bekannt.
Für die mündliche Information dankt Verf. dem
Ausgräber V. I. Kulakov.
153
KIA 35330: Radiocarbon Age: BP 1080 +/- 24, OneSigma-Range: cal AD 899-1010, Two-Sigma-Range:
cal AD 895-1017; KIA 35331: Radiocarbon Age: BP
1144 +/- 28, One-Sigma-Range: cal AD 874-969, TwoSigma-Range: cal AD 781-976. Für die Erlaubnis
zur Verwendung dieser Daten dankt Verf. dem
Ausgräber V. I. Kulakov.
154
KIA 35332: Radiocarbon Age: BP 4043 +/- 32, OneSigma-Range: cal BC 2619-2491, Two-Sigma-Range:
cal BC 2833-2474.
155
95
B.3.2.3 „Spätheidnischer Aschenplatz“ von
Wiskiauten
Von zentraler Bedeutung für das Verständnis
des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten in seinem regionalen Bezug zu anderen, zeitgleichen
Fundstellen ist eine Nekropole im Ostteil des
Wäldchens Kaup, in der sog. „kleinen Kaup“,
in unmittelbarer Umgebung des steinzeitlichen Hügelgrabes. Bei der Anlage einer Lehmgrube wurden 1932 mehrere Brandgruben
angeschnitten (Abb. 29), aus denen auffällig
viele Pferdeknochen geborgen werden konnten (Engel 1932a). Die sofort eingeleitete Untersuchung erbrachte mehrere, sog. „spätheidnische Reitergräber“, die nur mit wenigen Beigaben wie Messern, Lanzenspitzen und Tongefäßen ausgestattet gewesen sein sollen (ebd.
140). Unter den menschlichen Brandgräbern
fanden sich unverbrannte Pferdebestattungen.
Die an den Skelettresten der Tiere gefundenen
Schnallen, Trensen und Steigbügel lassen vermuten, dass den Pferden bei der Niederlegung
die Reitausrüstung angelegt war.
Dieses auch als „Spätheidnischer Aschenplatz“
(Engel 1935a, 112; von zur Mühlen 1975 Taf.
2; vgl. hier Abb. 29) bezeichnete Gräberfeld ist
vermutlich schon früher angeschnitten worden. Erstmals scheint Wulff (1865) darauf gestoßen zu sein. Auch J. Heydeck hat etwas später vermutlich Bestattungen dieses separierten
Friedhofs untersucht. Das zumindest lässt sich
aus einer Archivalie156 erschließen, die aus
dem Jahr 1879 stammt und die Zeichnung eines Pferdes mit angelegter Trense wiedergibt.
Die Bestattung des Pferdes soll zusammen mit
zwei weiteren „zwischen Wiskiauten und Wosegau am Wege“ gelegen haben (ebd.), was der
Lage des als „kleine Kaup“ bekannten, östlichen Waldteiles mit dem „spätheidnischen
Aschenplatz“ entspricht. Insbesondere das
Profil der damaligen Grabung (SMB-PK/PM-A
522/051) gibt deren Lage an einer Lehmgrube
wieder und bestätigt darüber hinaus die Einbettung der Gräber in eine Aschenschicht, die
in ihrer Zusammensetzung der in den 1930er
Jahren ausgegrabenen Ascheschicht des „spätheidnischen Aschenplatzes“ entspricht. Diese
Schicht veranlasste Wróblewski (2006a), zusammen mit den weiteren Gräberfeldern in
der Umgebung Wiskiautens – wie beispielsweise Schulstein/Volnoe, Laptau/Murumskoe,
156
SMB-PK PM-A 522/050.
96
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 29 Gräberfeld von Wiskiauten, „Spätheidnischer Aschenplatz“. Zeichnung des Ausgräbers C. Engel
aus dem Jahr 1932 (ALM Schleswig).
Dollkeim/Kovrovo oder Wikiau/Klincovka
(Irzekapinis) – in den Aschenplätzen eine eigene prussische Bestattungssitte zu vermuten,
wie dies bereits ansatzweise von Tischler und
Kemke (1902) geäußert worden war.
Die Gräber, die unter einer etwa 0,3 m dicken Ascheschicht lagen, lassen sich zunächst
in zwei unterschiedliche Kategorien einteilen:
menschliche Bestattungen und meist darunter liegende Pferdegräber. Die Pferdegrabgruben müssen zuvor in den Boden eingetieft
und nach der Bestattung des Pferdes verfüllt
worden sein, da die Brandgruben in diese eingebettet sind. Die Pferde liegen meist auf der
Das Gräberfeld
Seite, eine einheitliche Ausrichtung der Pferdekörper ist nicht auszumachen. Die Beisetzung der menschlichen Bestattungen erfolgte
im Anschluss in rundlichen bis ovalen Gruben
mit Maßen bis 1,5 m Länge und 0,8 m Breite.
In diesen Gruben waren kalzinierte Knochen
und Brandreste vermischt deponiert. Die Beigaben sind entweder in die Gruben eingebettet gefunden worden oder lagen zwischen den
Grabgruben verstreut.
Lassen sich für den Grabbau also einigermaßen verlässliche Informationen finden, so fällt
die Datierung der Gräber schwerer, da die
Originalfunde im Zuge der Verlagerungsgeschichte der Prussia-Sammlung verloren gingen. Für die zeitliche Einordnung können lediglich einige Archivalien – wie der erwähnte,
umgezeichnete Gesamtplan und die zugrundeliegende Originalzeichnung der Ausgrabungen in den 1930er Jahren – herangezogen
werden. Da die Form der Steigbügel aus den
freigelegten Bestattungen dieser Nekropole
„so überraschende Ähnlichkeit“ (Engel 1932a,
140) mit den Funden aus den Hügelgräbern
der großen Kaup aufwies, datierte man sie ins
12. und 13. Jahrhundert und kam zu dem an
sich unlogischen Schluss, die „Wikingerkolonie“ von Wiskiauten müsse auch nach der
Hauptnutzungszeit der Nekropole weiter existiert haben. Die skandinavische Bevölkerung
soll bei Übernahme der Bestattungsbräuche
allmählich in der samländischen Urbevölkerung aufgegangen sein.
Die Bestattungen in den jüngeren Hügelgräbern der Kaup wollte von zur Mühlen (1975,
16) nicht mehr als „reine Wikinger“ verstehen,
sondern als „Altpreußen wikingischer Herkunft“, die an der traditionellen Bestattungsweise ihrer Vorfahren festhielten. Auch Nerman (1934, 373) war der Meinung, dass einige
der Funde aus dem spätheidnischen Aschenplatz auf Objekte aus der Wikingerzeit zurückzuführen seien. Die Gräber selbst ordnete
auch er der prussischen Kultur der „folgenden
Jahrhunderte“ zu.
Folgte noch von zur Mühlen (1975, 16) der
späten Datierung dieser Gräber in der kleinen Kaup, die er vom 11. über das 12. Jahrhundert sogar bis ins 13. Jahrhundert laufen
lässt, war diese zeitliche Einordnung schon in
deutscher Zeit nicht unumstritten. So datierte Gaerte (1933b, 74) den Komplex in das 11.
97
und 12. Jahrhundert. Dabei betonte er die auffällige Beeinflussung der Grabbeigaben durch
die „Wikingerkultur” und zog eine temporäre
Gleichzeitigkeit der beiden Nekropolen zumindest für das 11. Jahrhundert in Betracht.
Auch heute ist die späte Datierung des prussischen Bestattungsplatzes eher umstritten.
Durch die zahlreichen Analogien der Steigbügelformen mit solchen aus den Hügelgräbern
drängt sich geradezu eine zeitliche Parallelität
auf. Auch die wachsende Zahl ausgegrabener
Befunde prussischer Bestattungsplätze (vgl.
z.B. Kulakov 1990; Ibsen/Skvorzov 2005; Pronin/Smirnova/ Mishina/Novikov 2006) zeigt
ähnliche Bestattungsformen und Funde, die
heute ins 10. und frühe 11. Jahrhundert gesetzt
werden und somit zeitgleich mit den Hügelgräbern von Wiskiauten angelegt worden sind.
So werden insbesondere die Steigbügelfunde
aus den Gräbern 7 (Kulakov 1990, 74 Taf. 65,
1), 23 (ebd. 75 Taf. 45, 2), 86 (ebd. 79 Taf. 68, 2),
91 (ebd. Taf. 70, 1), 97 (ebd. Taf. 71, 2) und 118
(ebd. 80 Taf. 73, 1) aus dem Gräberfeld von Wikiau/Klincovka (Irzekapinis) alle ins 10. Jahrhundert datiert. Weitere Exemplare aus Gräbern des im Jahr 2005 ausgegrabenen Gräberfeldes von Povarovka im westlichen Samland
(Pronin/Smirnova/Mishina/Novikov 2006)
gehören allgemein ins 10.–13. Jahrhundert.
Demnach ist die späte Datierung der „spätheidnischen Reitergräber“ nicht mehr ohne
weiteres zu halten, wofür sich zuletzt auch
Wróblewski (2006a, 224f.) aussprach. Vielmehr
scheint sich hier die polyethnische Komponente der Siedlung um Wiskiauten anzudeuten,
d. h. mehrere Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Stammeszugehörigkeit oder Herkunft nutzten vermutlich einen gemeinsamen
Bestattungsplatz und hatten möglicherweise
ihre Wohnstätten in nächster Nähe zueinander
errichtet. Eine endgültige Klärung könnte die
Wiederauffindung der Originalfunde aus dem
spätheidnischen Aschenplatz bewirken157. Erst
dann stünde eine gesicherte Basis für eine älBisher liegt lediglich ein konkreter Hinweis auf
Funde aus dem spätheidnischen Aschenplatz vor.
Es handelt sich um Leichenbrand, Holzkohle und
Keramikfragmente aus dem am 18.5.1932 untersuchten Grab 4a (Prussia-Inventarnummer: VII,
431, 12802) im neu eingerichteten Prussia-Fundarchiv im Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz.
157
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
98
tere Datierung zur Verfügung. Die Skizze der
1932 dokumentierten Brandgräber mitsamt ihren Funden ist so ungenau, dass kaum echte
Typenbestimmungen möglich sind. Auch der
originale Gesamtplan aus dem Jahr 1932158 bietet nur skizzenhafte Abbildungen der Funde
und insbesondere der für eine Datierung so
wichtigen Steigbügel, die in den erhaltenen
Umzeichnungen (Nachlaß R. Grenz, ALM
Schleswig; vgl. Wróblewski 2006a, 225 Abb. 3;
2006b, 144 Abb. 22; hier Abb. 29) etwas idealisiert erscheinen. Denn die dortigen Steigbügel
erinnern stark an die spitzbogigen Exemplare
des sogenannten nordischen Typs (Forsåker
1986, 125), die nach Świętosławski (1990 Abb.
19, Taf. 1) als Typ III/C bezeichnet werden
(Wróblewski 2006a, 224), was aus der Originalzeichnung in Berlin nicht unmittelbar zu
entnehmen ist. Dennoch dürfte die Form annähernd realistisch abgebildet sein, denn immerhin hat Engel, von dem die Umzeichnung
stammt, die Masse der Gräber selbst ausgegraben. Dagegen spricht jedoch, dass C. Engel
in seinem Grabungsbericht des Jahres 1932159
nur einmal ausdrücklich das Vorhandensein
eines Steigbügels mit dem Zusatz „Wikinger“
vermerkt hat. Wenig später bescheinigte er
den im „spätheidnischen Aschenplatz“ gefundenen Beigaben „deutliche, wenn auch abgeschwächte Wikingereinflüsse“ (Engel 1935a,
113). Letztlich ist die Frage der Datierung dieser Bestattungen ohne Vorhandensein des originalen Fundmaterials oder neue Ausgrabungen nicht zu beantworten. So bleibt auch eine
späte Datierung weiterhin möglich.
Wichtig ist auch die Größe dieses Bestattungsplatzes, dessen Grenzen durch Suchschnitte
ermittelt wurden. Eine schematische Einzeichnung hat bereits von zur Mühlen (1975, Taf. 2;
hier Abb. 9) publiziert. In dem dort abgedruckten Plan des Hügelgräberfeldes erscheint im
Osten eine schwarze Fläche, die als „Flachgräberfeld (spätheidnischer Aschenplatz)“ erläutert wird. Demnach erstreckte sich das prussische Gräberfeld auch auf die Bereiche westlich
der Straße Wosegau-Wiskiauten und somit
auf die große Kaup. Dieser Plan kann heute
durch die wiederentdeckten Archivalien im
Prussia-Archiv Berlin160 und durch einige Aufzeichnungen von C. Engel im Nachlass von
R. Grenz (ALM Schleswig) bestätigt werden,
auf denen die Suchschnitte metergenau eingezeichnet sind. Sie bestätigen die schematische
Markierung von zur Mühlens. Demnach war
das Gräberfeld auf einen Raum von etwa 30 x
15 m begrenzt.
Die Gesamtanzahl der Bestattungen ist unbekannt. In der Skizze des Grabungsschnittes
von 1932 (Wróblewski 2006a, 224f. Abb. 3;
2006b, 144 Abb. 22) sind insgesamt 16 Brandgruben mit menschlichen Bestattungsresten
und 17 Pferdebegräbnisse erkennbar. C. Engel
erwähnt im zugehörigen Grabungsbericht161
drei bereits vorher zerstörte Gräber. Zwei weitere Bestattungen sind 1935 freigelegt worden
(Agde 1936, 9). Wenn auch Wulff (1865, 644)
und später Heydeck, wie aufgrund einer Archivalie in Berlin162 vermutet werden kann,
dieses Gräberfeld angeschnitten haben, dann
ist dafür eine wesentlich höhere Anzahl an
Gräbern zu vermuten.
Möglicherweise war der „spätheidnische
Aschenplatz“ auch nicht in allen Bereichen
gleichartig gestaltet. Es gibt Hinweise, dass
die Nekropole auch in sich nochmals untergliedert war. So gab Wulff (1865, 644) an, er
habe links vom Weg im Waldboden die ersten Grabungen durchgeführt. Bis zu 2 Fuß
tief (ebd. 645), also etwa bis 0,6 m, musste er
graben, um die dortigen Gräber auszunehmen.
Unter den Bestattungen mit den Beigaben fand
er anstehenden, kiesigen Boden. Von Pferdebestattungen aber, die östlich des Weges zahlreich vorhanden gewesen sind, ist in Wulffs
Bericht nichts zu lesen. Eine Datierung wird
nicht angegeben, so dass über die chronologische Stellung der verschiedenen Grabanlagen keine Aussagen zu treffen sind. Immerhin
deutet sich an, dass generell mit einer großen
Variabilität der Gräber bzw. des Grabbaus zu
rechnen ist, womit auch zeitliche Unterschiede
verbunden sein könnten. Für eine chronologische Zweiteilung, mit Bestattungen der Römischen Kaiserzeit, die von einem Aschenplatz
des Frühmittelalters überlagert werden, wie
jüngst Wróblewski (2006a, 225) zur Diskussi160
SMB-PK/PM-A 522/12.
SMB-PK/PM-A 522/3-117.
SMB-PK PM-A 522/1-050.
158
SMB-PK/PM-A 522/12.
161
159
SMB-PK/PM-A 522/3, 117-119.
162
Das Gräberfeld
on stellte, ist jedoch nicht auszugehen, da die
Ausgräber bei ihrer großen Materialkenntnis
kaiserzeitliche Funde mit Sicherheit besonders
hervorgehoben hätten.
Durch Wulffs Bericht liegen zusätzlich Hinweise vor, dass auch aus dem spätheidnischen
Aschenplatz – falls es sich nicht um einen zerstörten Grabhügel handelte – Schwerter geborgen worden sind. Diese Beobachtung ist
bisher nicht beachtet worden. Es ist aber auch
denkbar, dass dort Flachgräber gelegen haben,
die zu dem von Nerman (1934, 373) vermuteten gotländischen Flachgräberfriedhof gehört
haben könnten. Darauf lässt ansatzweise die
Beschreibung der Gräber von Wulff schließen. Sie sollen regelhaft von einem Steinkreis
von etwa 1 m Durchmesser163 umgeben gewesen sein, was dem Aussehen der von Nerman
(1958, 174) in Grobin freigelegten gotländischen Grabanlagen entspricht. Aus einer der
Bestattungen stammt das Schwert mit bronzenem Ortband (Wulff 1865, 644), eine Fundgattung, die für den Aschenplatz bisher nicht
belegt war. Von den für den spätheidnischen
Aschenplatz so charakteristischen Pferdeknochen wird bei der Beschreibung dieser Grabanlage allerdings nichts erwähnt. Dagegen sollen regelmäßig Urnen in den Gräbern vorgekommen sein (ebd. 645). Letztlich bleiben die
genauen Verhältnisse in diesem Waldabschnitt
ohne erneute Grabungen sehr unklar. Durchaus könnten hier weitere Bestattungen liegen,
die auf bisher nicht bekannte bzw. nicht beachtete Grabbauweisen hindeuten.
B.3.2.4 Weitere Befunde im Gräberfeld
Bei der Untersuchung von Grabhügel K 174 gelang Kulakov (2005, 63ff. Abb. 13) im Jahr 1980
die Freilegung einer runden Steinpackung aus
mehreren Steinringen, in deren Zentrum von
Südosten nach Nordwesten eine lückenhafte,
doppelte Steinreihe verlief. Diese Steinreihe
trennt den Innenraum der Steinringe in zwei
gleichgroße Teile. In den verbleibenden Zwischenräumen wurden im Westen eine quadratische Steinsetzung aus größeren Steinen, im
Osten eine ringförmige, als Pfostenverkeilung
interpretierte Steinsetzung aus sehr kleinen
Steinen dokumentiert. Im Umfeld wurden
neun weitere, sehr flache Gruben gefunden.
Wulff (1865, 645) gibt als Durchmesser „3-4 Fuß“
an.
163
99
Aufgrund von „Schnittspuren“ an den Steinen und Tierknochen, die eventuell von einem
Hammel stammen sollen, wurde die gesamte
Anlage als Opferstätte mit kultischer Funktion
interpretiert. Gleichzeitig betonte Kulakov die
Ähnlichkeit dieser Konstruktion mit Steinsetzungen in den Hügelgräbern im benachbarten
Wäldchen Kunterstrauch. Auch hier diente die
Reihe in der Mitte eines Steinringes der Trennung zweier Grabstätten (Gaerte 1929, 325
Abb. 261a). Der Vergleich ist jedoch unzulässig,
da in der Steinkonstruktion östlich von Hügelgrab K 174, abgesehen von einem Eisennagel
und einem Tierwirbel, keinerlei Funde getätigt wurden, die auf beigabenführende Bestattungen hinweisen könnten. Immerhin bleibt
es denkbar, die Anlage als Kenotaph oder als
doppelte Körperbestattung mit vollständig
vergangenen Skeletten anzusprechen.
Drei Steinpackungen, die während der Ausgrabung nicht auf Bestattungen bezogen wurden,
legte auch Gurevič (1963, 202; Kulakov 2005,
59-61) frei. „Steinpackung I“ am Rand von Hügelgrab K I war bei einer Länge von 4,5 m und
einer Breite von 0,75 m langrechteckig. Als
Funde traten Holzkohlestücke, Tierknochenfragmente und Scherben handgeformter Keramikgefäße zutage. Kulakov (ebd. 59) interpretierte die Steinkonstruktion mangels besserer
Erklärung als Opferstätte. Hinweise auf ähnliche Steinpackungen liegen schon aus früheren Ausgrabungen vor. So beschreibt Heydeck
(1900, 61) einige Grabhügel mit rechteckigen,
regelmäßigen Steinpackungen, die keinerlei
Funde enthielten. Als Interpretationsansatz
schienen ihm Kenotaphe oder Steinsetzungen,
„die beim Bestattungskultus gebraucht wurden“, wahrscheinlich.
Von runder Form waren „Steinsetzung 1“ und
„Steinsetzung 2“, die östlich der Grabhügel „K
V“ und „K VII“ gelegen haben sollen (Kulakov 2005, 62 Abb. 10)164. Die Grabungen von
Gurevič lagen im Ostteil des Gräberfeldes
(Gurevič 1963, 198). Beide Konstruktionen
sind direkt benachbart. Die mit 2 m Durchmesser recht große „Steinsetzung 1“ enthielt
Fragmente kalzinierter Knochen, Fragmente
einer Glasperle und eine Glasscherbe sowie
einen „Gegenstand“ aus Feuerstein. Kulakov
Diese beiden Hügelgräber sind in Kulakovs
(2005) Auflistung der zwischen 1956 und 2004 untersuchten Befunde in Wiskiauten nicht erwähnt.
164
100
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
(2005, 61) interpretierte die Anlage als besondere Form einer weiblichen Bestattung. Die
kleinere „Steinsetzung 2“ mit einem Durchmesser von nur 1 m war fundleer. Mangels
anderer Erklärung wurde kultische Funktion
unterstellt. Ähnliche Befunde sind offenbar
auch schon früher beobachtet worden. Bei
einer Nachuntersuchung des steinzeitlichen
Hügelgrabes durch O. Kleemann (1933, 248)
hat dieser westlich des Steinzeithügels einen
Komplex mit Steinpackungen freigelegt. Von
einem Wikingerhügel des 11. Jahrhunderts
überlagert fanden sich vier teils ovale, teils
rundliche Steinpackungen. Zeitstellung und
Funktion dieser Befunde konnten nicht geklärt
werden.
B.4 Regionaler und überregionaler Vergleich des Grabbaus
Im direkten regionalen Umfeld kennt das Hügelgräberfeld von Wiskiauten keine Parallelen.
Lediglich die insgesamt fünf Körperbestattungen im Wäldchen Kunterstrauch (Kleemann
1939b, 211) etwa 1000 m nordwestlich der
Kaup (vgl. Abb. 19 Nr. 47) sind ebenfalls von
Hügeln bedeckt. Sie gehören aber nach Ausweis der Funde ins 13. Jahrhundert (Heydeck
1877, 657; Hollack 1908, 173; Kleemann 1939b,
224). Auch wenn Gaerte (1929, 324) ihnen eine
späte Beeinflussung seitens der „Wikinger“
beimessen will, lassen sich diese Gräber nicht
als Vergleiche für die älteren Grabstätten in der
Kaup bei Wiskiauten heranziehen. In Bezug
auf den Hügelgrabbau steht die Nekropole im
gesamten ehemaligen Ostpreußen weiterhin
einzigartig da.
Der „spätheidnische Aschenplatz“ im Osten
des Hügelgräberfeldes dagegen ist ein typisch
prussisches Gräberfeld, wenngleich der Charakter als Aschenplatz nicht so deutlich erkennbar ist wie Wróblewski (2006a) es herausstellen wollte. Zahlreiche prussische Bestattungsplätze weisen einen ähnlichen Grabbau auf
wie das separierte Flachgräberfeld in der Kaup.
Brandgrubengräber, insbesondere mit darunterliegenden Pferdebestattungen, sind aus den
naheliegenden Fundorten Wikiau/Klincovka
(Irzekapinis) (vgl. Abb. 19 Nr. 32), Kovrovo/
Dollkeim (vgl. Abb. 19 Nr. 26) oder Volnoe/
Schulstein (vgl. Abb. 19 Nr. 34) bekannt. Der
Grabbau kann als geradezu prussisch gelten.
Die durchgehende Aschenschicht, in welche
die Gräber offenbar teilweise eingetieft waren,
kommt ebenfalls auf den genannten Vergleichsfundplätzen vor. Die Größe des Aschenplatzes
von Wiskiauten aber entspricht nicht der Regel.
Andere Aschenplätze des Samlandes und des
Memelgebiets vorkommen, sind von geringerer Ausdehnung. Engel (1935a, 121) beschreibt
sie als 4–12 m große, schwarze und rundliche
oder ovale „Branderdeflecken“, die eine Dicke
von bis zu 1 m erreichen können. Sie bestehen
aus Brandrückständen in Form von Holzkohleteilchen und den darin enthaltenen kalzinierten Knochen, die entweder verstreut oder
in nesterartigen Konzentrationen vorkommen.
In der gleichen Ascheschicht finden sich die
durchweg verbrannten Beigaben, die den gleichen Verteilungsmustern wie die Knochenreste folgen. Der „spätheidnische Aschenplatz“
von Wiskiauten dagegen ist mit mindestens 30
x 15 m größer und gleichzeitig mit 0,3 m dicker
Ascheschicht weniger mächtig.
Im Allgemeinen kommen prussische Bestattungen mit und ohne Steinpflaster vor (Engel
1935a, 118). Beide Varianten sind in Wiskiauten nachzuweisen. Die einzelnen Brandgräber
liegen meist in dichter Nachbarschaft, was
auch hier unbedingt zutrifft. Pferdebestattungen, meist zwei bis drei, maximal aber bis acht
Tiere, sind geradezu charakteristisch für die
Gräberfelder prussischer Kultur, die allgemein
der „spätheidnischen Zeit“ (ebd. 121) oder der
Stufe H nach Bezzenberger (1904) und somit
dem 11.–13. Jahrhundert angehören.
Im überregionalen Vergleich findet das Gräberfeld von Wiskiauten mit seinen zahlreichen
Hügelgräbern an der südlichen Ostseeküste
einige zwar nicht identische, aber in Ansätzen
vergleichbare Parallelen. Es handelt sich vor
allem um Gräberfelder an Fundplätzen, die als
küstennahe polyethnische Handelsorte interpretiert werden und meist mehr oder weniger
deutliche Hinweise auf eine Beteiligung von
skandinavischen Bevölkerungsgruppen aufweisen. Dies äußert sich neben schriftlichen
Überlieferungen und Funden im Siedlungsmaterial vor allem durch Beigaben in den zugehörigen Gräbern. Gleichzeitig spielen aber die
dokumentierten Bestattungssitten eine große
Rolle. Zu diesen Plätzen zählen Ralswiek auf
Rügen, Menzlin an der Peene und Groß Strömkendorf/Reric an der Wismarer Bucht sowie
Das Gräberfeld
Wolin im Odermündungsgebiet und Swielubie an der Parçeta-Mündung, die alle südwestlich von Wiskiauten im südwestlichen Ostseeküstenbereich liegen. Weiter nördlich lassen
sich vor allem die verschiedenen Gräberfelder
bei Grobin in Lettland anführen.
Die in Grobin untersuchten Gräberfelder sollen vom 7. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte
des 9. Jahrhunderts in Nutzung gestanden haben (Nerman 1929, 178-180). Dabei sind mehrere separate Nekropolen zu unterscheiden.
Während das Flachgräberfeld „Rudzukalni/
Smukuni“ mit seinen gut 1000 Brandbestattungen auf Gotländer zurückgehen soll (ebd. 91;
Steuer 1999a, 60), wird für die im großen Hügelgräberfeld „Priediens/Pastorat“ bestatteten
Personen in den etwa 430 erhaltenen von ehemals 2000 Hügeln eine Herkunft vom schwedischem Festland nördlich von Schonen oder
von Bornholm angenommen (Nerman 1929,
91; Steuer 1999a, 60). Das Flachgräberfeld besteht aus flachen Brandgruben mit einer Verfüllung aus kalzinierten Knochen und Funden.
Teilweise fanden Steine Verwendung beim
Grabbau, die ringsherum oder über das Grab
gesetzt waren (Nerman 1929, 5). Davon unterscheidet sich der Grabbau der Hügelgräber
mit Durchmessern zwischen 3 und 15 m und
einer Höhe von 1,4 m (Steuer 1999a, 61) deutlich. Hier liegen zwar ebenfalls ausschließlich
Brandgräber vor, die Verbrennungsrückstände
der an einer anderen Stelle eingeäscherten Personen war jedoch in tieferen kleinen Gruben
beigesetzt und stets überhügelt (Nerman 1929,
8). Nermans (ebd. 91) Vergleich mit schwedischen Bestattungen hält Gräslund (1980, 59)
jedoch für zweifelhaft, da aus dieser Zeit in
Schweden keine Gräber mit Deponierung der
Scheiterhaufenreste in Gruben bekannt seien.
Für einen direkten Vergleich mit den Befunden aus dem Gräberfeld von Wiskiauten können die Gräber nicht herangezogen werden, da
insbesondere die vermeintlich schwedischen
Hügelgräber bereits um das Jahr 800 in Grobin abbrechen. Die gotländischen Gräber aus
Grobin dagegen werden erst ab der Mitte des
9. Jahrhunderts nicht mehr belegt, gleichzeitig
entsteht das Gräberfeld von Wiskiauten. Zugleich sind die späten Flachgräber von Grobin
offenbar nicht mehr rein gotländisch, ihr Beigabenspektrum erscheint dagegen gemischt
mit vor allem ostbaltischen Typen (Nerman
101
1929, 178), darunter Kämmen und Spiralarmringen einheimischer Herkunft (Steuer 1999a,
61). Wenn also, wie Kulakov (2005, 77) annimmt, die ältesten Gräber in Wiskiauten von
Gotländern angelegt worden sind, müssten sie
unter den Flachgräbern gesucht werden. Durch
die Vermischung mit ostbaltischen Elementen
aber könnten sie vielleicht im Fundmaterial
nicht so deutlich auszumachen sein. Vielleicht
sind für die Zukunft, wie Nerman (1934, 373)
vermutete, „gotländische“ Flachgräber in der
Nähe des Hügelgräberfeldes zu erwarten. Für
eine Klärung dieser Fragen reicht die bisherige Datenbasis jedoch noch nicht aus, da bisher
nur wenige und meist undatierte Flachgräber
bekannt sind.
Die in Menzlin (Schoknecht 1977; Jöns 2006)
vorkommenden schiffsförmigen Steinsetzungen, welche zusammen mit dem einschlägigen Fundmaterial besonders deutlich auf die
Anwesenheit von Skandinaviern hinweisen,
gehören zu einem Flachgräberfeld des 9. Jahrhunderts mit Brandbestattungen in Gruben
und Urnen sowie Steinpflastern als deren Abdeckung (Schoknecht 1977, 38 ff.). Hügelgräber sind hier nicht, ähnliche Steinsetzungen
dort nicht bekannt. Ein Vergleich zum Grabbau in Wiskiauten entfällt damit.
In Wolin sind auf zwei Gräberfeldern auf dem
Galgenberg aus dem 8.–11. Jahrhundert mit
Hügelgräbern und auf dem Mühlenberg aus
dem 8.–12. Jahrhundert mit Brand- und Körperbestattungen (Filipowiak 2000, 152) nur geringe Hinweise auf skandinavische Beeinflussungen im Fundmaterial zu finden (Stubenrauch 1898; Wojtasik 1968). Der Hügelgrabbau an sich und die überwiegend in flachen
Gruben niedergelegten Brandbestattungen
werden hier nicht allein als Hinweis auf skandinavische Bestattungen ausgedeutet.
In Świelubie (Łosiński 1979, 513; 516) dagegen
sind eindeutige Hinweise für skandinavische
Bestattungen und weitergehend auch für die
Beeinflussung einheimischer Grablegen durch
skandinavische Grabsitten vorhanden. In
Ralswiek wurden ebenfalls Bestattungen von
Skandinaviern oder skandinavisch beeinflusste Grabanlagen in Verbindung mit aus Skandinavien stammendem Beigabengut geborgen. Der zur Handelsniederlassung gehörige
Bestattungsplatz mit 400 Hügelgräbern, von
denen 300 – hauptsächlich Brandbestattun-
102
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
gen – untersucht sind (Herrmann 2000, 400),
nimmt eine Sonderstellung unter Bestattungsplätzen von Rügen ein (Warnke 1985, 231ff.).
Fast alle Hügelgräber gehören zeitlich in das
10. und 11. Jahrhundert, nur wenige sind davor oder danach angelegt worden. Damit aber
fehlen Bestattungen aus der Blütezeit des Handelsplatzes im 9. Jahrhundert Insgesamt 60
Suchschnitte zwischen den Hügeln erbrachten ebenfalls nur Körperbestattungen aus den
späteren Phasen. Der Bestattungsplatz ist in
größere Gruppen gegliedert, innerhalb derer
sich große Unterschiede im Bestattungsritual
abzeichnen. Dabei sind offenbar an bestimmten Stellen Häufungen von aus Skandinavien
stammenden Beigaben und skandinavischer
Beeinflussung des Grabbrauches erkennbar.
Frauengräber fehlen weitgehend. Auch einheimische slawische Bestattungen sind nur
schwer nachzuweisen. Die Besonderheiten
des Grabrituals lassen keine Aussagen über
die kulturelle Herkunft der in den Gräbern bestatteten zu.
Das Gräberfeld von Groß Strömkendorf ist
noch nicht abschließend publiziert. Es handelt
sich um eine birituelle Nekropolemit Urnen-,
Brandschüttungs- und Brandgrubengräbern
sowie einer größeren Anzahl von Körperbestattungen (Steuer 1999c, 97). Der vielseitige
Gabbau betont die polyethnische Komponente des Fundplatzes. Besonders die sechs Bootsgräber weisen – neben anderen Bestattungen
– nach Skandinavien (Pöche 2005, 13). Oberirdisch sind die Gräber zuweilen durch Hügel
gekennzeichnet, die in Resten erhalten sind
(Steuer 1999c, 97).
Unter den polyethnischen Handelsplätzen an
der südlichen und östlichen Ostseeküste sind
demnach keine mit Wiskiauten identischen
Gräberfelder bekannt, wenngleich in Einzelfällen Parallelen erkennbar sind. Gleichzeitig
zeigen sich aber Abweichungen, die wohl die
unterschiedliche Funktion und ethnische Zusammensetzung der zugehörigen Siedlungen
widerspiegeln. Kaum eines der Gräberfelder
hat dabei eine ähnlich einheitliche Bestattungsform unter Hügelgräbern in Verbindung
mit einem so deutlichen Anteil an skandinavischen Beigaben wie Wiskiauten aufzuweisen.
Der Ursprung der hiesigen Grabsitten muss
wohl nördlich der Ostsee gesucht werden.
Schon relativ früh wurde den in Wiskiauten
bestatteten Personen eine Herkunft aus den
Gebieten nördlich der Ostsee unterstellt, wobei vor allem Einflüsse aus Schweden, Dänemark, Norwegen, aber auch Russland vermutet wurden (Engel 1935a, 11).
Ein kurzer Überblick über die in den skandinavischen Ländern bislang bekannt gewordenen
Bestattungssitten zeigt, dass es viele regionale
Unterschiede gibt, für deren Einzelelemente es
immer wieder gute Vergleiche mit den Grabanlagen in Wiskiauten gibt, die aber in ihrer
Gesamtheit zu inhomogen sind, um eine Herkunft aus einem bestimmten Gebiet eindeutig zu belegen oder auszuschließen. Dennoch
deuten sich Tendenzen an.
So dominieren in der Wikingerzeit in Dänemark Körpergräber, die meist in Flachgräbern, oder seltener, in Hügeln bestattet sind
(Brøndsted 1936, 215; Randsborg 1980, 122;
Eisenschmidt 2004, 90f.). Bei Bestattungen in
Hügelgräbern handelt es sich zudem meist
um Nachbestattungen in Bronzezeitgrabhügeln, selten liegt eine Primärbestattung in
einem eigens errichteten Hügel vor (Brøndsted 1936, 215). Lediglich auf Bornholm ist
die Bestattung in Grabhügeln sehr zahlreich,
allerdings kommen hier fast ausschließlich
nord-südlich ausgerichtete Körpergräber vor,
ab dem 10. Jahrhundert dagegen kommen unter christlichem Einfluss ost-west-orientierte
Sarggräber auf (Jørgensen 1987, 18-19). Oft
finden Steinsetzungen zur Kennzeichnung von
Flachgräbern Verwendung, eine Eigenheit, die
ebenfalls besonders häufig auf Bornholm vorkommen soll (Randsborg 1980, 122). Auf dem
dänischen Festland überwiegt die Sargbestattung, es kommen aber auch einfache Erdgräber vor. Körperbestattungen in Booten sind in
Dänemark eine übliche Erscheinung (Birkedahl/Johansen 1995), fehlen aber in Wiskiauten. Nur als Ausnahmeerscheinung lässt sich
die Brandbestattung charakterisieren, die vor
allem in Jylland des 10. Jahrhunderts belegt ist
(Randsborg 1980, 121). In diesen Fällen handelt es sich um leicht überhügelte Ansammlungen von Knochen und Kohle, oft mit einem
Steinkranz am Hügelfuß versehen. Vor allem
für Süd-West-Jylland sind auch Urnengräber
nachzuweisen. Bei allen Brandbestattungen
sind die Scheiterhaufenrückstände auf viele
verschiedene Arten beigesetzt, wobei kleine
Steinpackungen, Steinumfassungen oder klei-
Das Gräberfeld
ne Steinhaufen (Ramskou 1950) vorkommen.
Insgesamt sind die Brandbestattungen sehr
beigabenarm. Vereinzelt wurden Hunde in
Gräbern niedergelegt, darüber hinaus auch
Knochen von anderen Haustieren, die als Speisebeigabe interpretiert werden (Brøndsted
1936, 220; 224).
In Norwegen dominiert die Brandbestattung,
daneben fand auch die Körperbestattung
Anwendung (Price 2000, 39). Generell sind
Brandbestattungen bei Hügeln oder Steinhaufen üblich. Dabei sind die verbrannten Knochen zusammen mit Holzkohlerückständen
an der Stelle niedergelegt worden, an der sie
auch auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden (Shetelig 1910, 196ff.). Brandbestattungen
scheinen öfter mit Pferdebeigaben verknüpft
zu sein als Körpergräber. Letztere kommen
entweder im Steinsarg oder in einem Boot vor,
oder sie finden sich ohne weitere Vorkehrungen im Erdreich beigesetzt.
Häufig wurde für die in den Hügelgräbern von
Wiskiauten bestatteten Personen, begründet
aus dem Fundmaterial und vor allem aufgrund
der Bestattungssitten bzw. des Grabbaus, eine
Herkunft aus schwedischen Gebieten, namentlich von Gotland oder aus der Mälarsee-Region um Birka vermutet. So führten besonders
Nerman (1934, 372) und Engel (1935a, 112)
den Grabbau auf Zentral- und Nordschweden
zurück. Kulakov (2005, 77) dagegen hielt vor
allem für die älteren Gräber auch eine Provenienz von Gotland für wahrscheinlich.
Beide Regionen bieten tatsächlich in Bezug auf
die Bestattungsarten und den Grabbau viele
analoge Züge, die im folgenden, sofern sie mit
den wenigen bekannten Informationen zu den
Verhältnissen in Wiskiauten vergleichbar sind,
kurz skizziert werden sollen. Zu beiden Regionen sind außerdem umfangreiche Beschreibungen des Grabbaus und der Bestattungssitten
publiziert worden (für Birka: Gräslund 1980;
für Gotland: Thunmark-Nylén 2006).
Für Birka165 ist von einer Gesamtanzahl von
2300 Gräbern auszugehen, etwa 1110 davon
wurden archäologisch untersucht. Brandbestattungen mit 566 Exemplaren und KörperDer Einfachheit halber wird im Folgenden keine
Rücksicht auf die in den insgesamt sieben Gräberfeldern auf Björkö erkennbaren Einzeltendenzen
bei den Bestattungssitten genommen. Es wird generell nur von „Birka“ gesprochen.
165
103
bestattungen mit 544 Vertretern sind etwa zu
gleichen Teilen vorhanden. Auch auf Gotland
stehen „weit über tausend Gräber“ (ThunmarkNylén 2006, 536) als Quellenbasis zur Verfügung. Die archäologisch untersuchten Grabkomplexe verteilen sich auf etwa 250 Brandbestattungen und mehr als 1000 Körpergräber.
Auf Gotland kommen hauptsächlich zwei Arten der Brandbestattung vor: einerseits die in
Wiskiauten so oft beobachteten ovalen oder
runden Brandschüttungen mit kalzinierten
Knochen, andererseits die auf Gotland häufigere Deponierung in einer flachen Grube, die in
Wiskiauten bislang nur selten nachgewiesen ist.
Die gotländischen Schüttungen messen durchschnittlich zwischen 1 m und 2,5 m undsind
zwischen 0,05 m und 0,1 m dick, selten jedoch
mächtiger als 0,15 m (Thunmark-Nylén 2006,
538) auf. Gleichartige Brandschüttungen sind
auch aus Birka bekannt, wo sie die dominierende Bestattungsart darstellen. Zumeist handelt es sich hier um runde Ansammlungen der
Brandreste, die selten einen Durchmesser über
1,8 m erreichen (Gräslund 1981, 51). Größer als
1,8 m dagegen waren die weniger zahlreichen
ovalen bis rechteckigen, selten quadratischen
Schüttungen (ebd. 51). Sie sind aber im Gegensatz zu den Bestattungen auf Gotland oder in
Wiskiauten verhältnismäßig oft mit einer oder
mehreren Urnen ausgestattet (ebd. 53).
Daneben ist für Gotland auch die Deponierung der Scheiterhaufenrückstände in Gruben
belegt. Die Verbrennung an der Stelle der späteren Bestattung konnte nur in Ausnahmefällen nachgewiesen werden (Thunmark-Nylén
2006, 538). Diese Gruben waren schalenförmig
gestaltet, meist flach und von rundlicher oder
ovaler Form mit Maßen zwischen 0,5 m und 2
m. In seltenen Fällen schien die Grube für die
Scheiterhaufenreste zu klein bemessen, so dass
Brandreste auch über deren Ränder hinaus
verstreut waren. Das Vorkommen von Gruben
zur Aufnahme der Scheiterhaufenreste wird
von Gräslund (1980, 58) für Birka dagegen als
Phänomen der Völkerwanderungszeit betrachtet, deren insgesamt nur sieben Belege für die
Wikingerzeit daher auf fremde Einflüsse zurückzuführen seien.
Beide Formen der Brandbestattungen können
auf Gotland mit einem Steinschutz von variablen Aussehen (Thunmark-Nylén 2006, 539)
umgeben sein.
104
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Alle beschriebenen Arten der Brandbestattungen lassen sich auch für Wiskiauten zahlreich nachweisen. Pfostenlöcher, ebenfalls mit
Brandresten verfüllt, sollen bei einem Grab von
Möln auf eine Scheiterhaufenkonstruktion hindeuten, die am Ort der späteren Bestattung errichtet worden sein könnte (Thunmark-Nylén
2006, 539). Diese Befunde könnten mit den von
Kulakov unter den Hügelschüttungen der Gräber K 182/182 (Kulakov 2005, 69 Abb. 17) und
K 172 (ebd. 65 Abb. 14) dokumentierten Strukturen gleichzusetzen sein.
Urnengräber bilden in Birka mit 311 Exemplaren eine verhältnismäßig häufige Erscheinung,
wo sie in Kombination mit Brandschüttungen
vorkommen (Gräslund 1980, 53). In Gotland
sind nur vier Urnengräber nachgewiesen, die
dementsprechend als Ausnahmeerscheinung
angesehen werden (Thunmark-Nylén 2006,
540). Auch in Wiskiauten sind sie bisher nur
selten nachgewiesen (siehe Kap. B.3.1.1).
Körperbestattungen sind sowohl aus Birka als
auch von Gotland in großen Mengen belegt.
In gotländischen Gräberfeldern wurde überwiegend die gestreckte Rückenlage beobachtet
(Thunmark-Nylén 2006, 540), die auch in Birka dominiert (Gräslund 1980, 26). Nur selten
liegt Hockerlage in Gotland (Thunmark-Nylén
2006, 541) oder Birka (Gräslund 1980, 26) vor.
Sehr ungewöhnlich ist in beiden Regionen die
Bauchlage, die, abgesehen von zwei Ausnahmen, nur im Gräberfeld von Kopparsvik auf
Gotland belegt ist (Thunmark-Nylén 2006,
541) und die in Birka nur einmal nachgewiesen ist (Gräslund 1980, 26). Für Wiskiauten
kann nur in der Massenbestattung von mehr
als zehn Skeletten166 im Umfeld des Grabhügels 163 die Bauchlage nachgewiesen werden,
die hier jedoch zusammen mit Rückenlage und
Hockerbestattungen in unbekanntem Mengenverhältnis ohne erkennbare Regelhaftigkeit
vorkommt und auf eine hastig oder, vielleicht
bewusst unsorgfältig durchgeführte Niederlegung der Leichname hindeutet (Engel 1935a,
111). Vergleichbare Befunde sind weder in Birka noch auf Gotland bekannt.
Auf den gotländischen Nekropolen findet sich
in älteren Gräbern eine Ausrichtung der Toten
Engel (1935a, 111) berichtet von insgesamt 13
Skeletten, wobei zwei Bestattungen im Hügelzentrum, alle anderen in dessen Peripherie begraben
lagen.
166
mit dem Kopf im Norden oder einer angrenzenden Himmelsrichtung, wären sie in jüngeren Gräbern genau umgekehrt niedergelegt
wurden (Thunmark-Nylén 2006, 542). Selten
kommt, im Gegensatz zu Birka, eine Ausrichtung der Toten mit Kopf im Westen oder Osten,
vor. In Birka überwiegt generell die Ausrichtung mit Kopf im Westen (Gräslund 1980, 26).
Die in Birka so häufigen Kammergräber sind
auf Gotland mit einer Ausnahme unbekannt
(Thumark-Nylén 2006, 578). Für Wiskiauten
kann kein Kammergrab schlüssig nachgewiesen werden.
Die gotländischen Körpergräber bestanden in
der Regel aus rechteckigen, in den anstehenden Boden eingetieften Grabgruben, die unter
Verwendung von Steinen, seltener Holz, stabilisiert wurden und nach Aufnahme des Leichnams wieder mit dem Grubenmaterial verfüllt
wurden (Thunmark-Nylén 2006, 543-544). Ihre
Größe wird nicht präzise angegeben.
Die Form der Grabgruben in Birka variiert.
Abgesehen von den über die Größe der Grabgruben definierten 119 Kammergräbern (Gräslund 1980, 27) mit Längen von 2–2,9 m, Breiten meist über 1,2 m und maximal 2,9 m und
Tiefen bis 2,5 m, muss in Bestattungen mit Sarg
und ohne Sarg unterschieden werden (ebd. 12;
30), die sich mit 218 bzw. 186 Exemplaren in
etwa die Waage halten. Sarglose Bestattungen
wiesen meist unregelmäßig rechteckig geformte Gruben auf, die trapezoid sein können.
Die Grabgruben waren gewöhnlich zwischen
1,53 m und 2,55 m lang, zwischen 0,47 und 1,27
m breit sowie 0,6–1,4 m tief (ebd. 13). Gräber
mit Särgen, nachgewiesen anhand von Nägeln
oder auf Särge hindeutenden Holzresten, waren in 82% aller Fälle zwischen 1,8 und 2,15 m
lang (ebd. 15). Eine Breite zwischen 0,4 und
0,65 m wiesen 92% aller Sarggräber auf (ebd.
16). Die aufgrund der schlechten Holzerhaltung spärlich dokumentierten Höhen der Särge sind mit max. 0,47 m anzugeben.
Bootgräber kommen außer wenigen Exemplaren in Paviken auf Gotland nicht vor (Thunmark-Nylén 2006, 579). In Birka dagegen sind
sie mehrfach, aber ausschließlich in Form verbrannter Boote belegt (Gräslund 1980, 56).
Während sich in Bezug auf die Bestattungsarten in beiden Regionen durchaus viele verwandte Züge zeigen, ist besonders in der äußeren Grabform die charakteristische Über-
Das Gräberfeld
105
hügelung in der Mälarseeregion zahlreich vor
und ist geradezu kennzeichnend, während sie
auf Gotland seltener beobachtet wird.
Aber auch auf Gotland sind als Elemente des
oberirdischen Grabbaus bzw. der Grabkennzeichnung Steinhügel oder Steinkonstruktionen belegt (Thunmark-Nylén 2006, 580f.).
Steinhügel bestehen aus Steinen, die mit Kies
oder Erde gemischt und meist sehr niedrig
oder nur von mäßiger Höhe sind. Hügel ohne
Steine, die nur aus Sand oder Kies bestehen,
sind dagegen ungewöhnlich. Fast regelhaft
sind Brandgräber auf Gotland von rundlichen
Steinkonstruktionen bedeckt, die durchschnittliche Größen zwischen 2,5 und 4 m aufweisen,
aber auch kleinere und größere Steinbedeckungen kommen nicht selten vor. Anlagen
mit Größen von 7–8 m sind jedoch sehr selten.
Auch Körpergräber sind mit Steinkonstruktion
kombiniert, die in der Regel mit 3,5–5 m größer sind als diejenigen der Brandgräber. Vor
allem regelmäßig oder auch unsorgfältig gelegte steinerne Umfassungsringe sind häufig,
die in seltenen Fällen auch von Gräben begleitet werden.
In der gesamten Mälarseeregion sind Brandschüttungen unter Hügeln und Steinsetzungen die am häufigsten angetroffene Grabform
(Gräslund 1980, 72). In Birka sind Flachgräber
mit vier Ausnahmen nur bei Körpergräbern
beobachtet worden, wohingegen die 565 ausgegrabenen Hügelgräber überwiegend Brandbestattungen enthielten (ebd. 63ff.). Aber auch
Körpergräber mit und ohne Sarg sowie Kammergräber kommen in Birka in Kombination
mit Hügeln vor. Die Hügel sind üblicherweise
rundlich, seltener auch oval oder rechteckig
geformt. Ihr Durchmesser wird generell mit
Werten zwischen 1,8 und 16,8 m angegeben,
wobei die Hügel in der Regel zwischen 3 und 8
m groß waren. Dabei zeichnet sich ein Schwerpunkt zwischen 3 und 6 m ab. Ihre Höhe variiert zwischen 0,15 und 1,95 m, wobei die Masse zwischen 0,3 und 0,9 m, nur äußerst selten
jedoch über 1,2 m hoch war.
Eine größere Anzahl167 der Hügelgräber mit
Brandbestattungen war von regelmäßigen
oder unregelmäßigen Fußringen aus Steinen
umgeben (Gräslund 1980, 65ff.). Für Körper-
gräber unter Hügeln dagegen liegen nur einige
wenige Hinweise auf möglicherweise zerstörte
Steinringe am Fuß der Hügel vor. Reine Steinsetzungen runder, recheckiger oder dreieckiger Form in Verbindung mit Körpergräbern
und mit Brandgräbern sind in Birka selten und
weisen keine Überhügelung auf. Steinsetzungen sind allgemein sehr fundarm, mehrfach
sind sie auch völlig bestattungslos.
Merksteine als oberirdische Grabmarkierung
kommen auf Gotland vor (Thunmark-Nylén
2006, 582), wenngleich mit 30 Exemplaren168
nicht besonders häufig. Sie könnten in der
Wikingerzeit zahlreicher gewesen und nachträglich entfernt, umgefallen oder verlagert
worden sein. Letzteres lässt sich an Befunden
aus Wiskiauten ansatzweise beobachten, da
hier die Steine mehrfach (vgl. Grabhügel K
128/146, Kulakov 2005, 76) vom Zentrum entfernt gefunden wurden. Die auf Gotland häufigen Grabkugeln, die mit weiblichen Bestattungen in Zusammenhang gebracht werden,
während aufrechte, längliche Merksteine eher
der männlichen Sphäre zugeordnet werden
(Thunmark-Nylén 2006, 582; Petré 1993, 150),
sind in Wiskiauten nicht nachweisbar. Auch
für 70 Hügelgräber in Birka ist bei Brandbestattungen das Vorhandensein eines Merksteines nachgewiesen, der in diesen Fällen oft
direkt auf der Bestattung selbst positioniert
war und nur mit der Spitze über den Hügel
hinausschaute (Gräslund 1980, 65). Unter der
Annahme, dass die Hügelgräber früher wesentlich höher gewesen sein dürften und ihr
heutiges Erscheinungsbild durch vielfältige
Faktoren verändert sein kann169, ist zu vermuten, dass die Steine zur Zeit der Bestattung gar
nicht sichtbar gewesen sind.
Insbesondere im heutigen Russland sind seit
Beginn der archäologischen Forschungen zahlreiche Nekropolen untersucht worden, die zu
einem großen Teil aus Hügelgräbern bestehen und skandinavischen Bevölkerungsteilen
zugerechnet werden. Beispielsweise umfasst
das Gräberfeld von Plakun am Ostufer des
Volchov gegenüber von Staraja Ladoga 18 Hügelgräber in einer kleinen Grabgruppe, die ursprünglich größer gewesen sein soll und sich
Gräslund (1980, 65) listet 79 Brandgräber auf,
weist aber darauf hin, dass ihre ursprüngliche Anzahl höher gewesen sein dürfte.
Zur Diskussion um die ehemalige Höhe der Hügel und mögliche Ursachen für ihre heute kleinere
oder niedrigere Form siehe Gräslund (1980, 65).
167
168
169
Vgl. die Liste bei Thunmark-Nylén (2006, 583).
106
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
noch weitere 300 m Richtung Süden erstreckte
(Duczko 2004, 91f.). Die frühesten Gräber gehören der Mitte des 9. Jahrhunderts an, aber
unter zerstörten Anlagen könnten auch frühere Bestattungen gewesen sein. Das Gräberfeld
war etwa 100 Jahre in Gebrauch. Mit einer Ausnahme handelt es sich um Brandgräber, die
von Hügeln unterschiedlicher Größe bedeckt
waren und sowohl Männer- als auch Frauenbestattungen enthielten. Die verbrannten Knochen sind entweder in einer Urne oder in einer
Grube beigesetzt gefunden worden, weitere
Reste der Feuerbestattungen fanden sich über
die Brandstelle verteilt, die manchmal mit Steinen bedeckt war.
Auch die in den insgesamt acht Nekropolen
um das frühmittelalterliche Gnëzdovo herum
untersuchten Gräber mit ihrer geschätzten Gesamtzahl von bis zu 6000 Bestattungen bestanden mehrheitlich aus Brandgräbern unter Hügeln, wobei die Verstorbenen hier entweder an
Ort und Stelle der späteren Bestattung oder
an bisher nicht identifizierten Verbrennungsplätzen eingäschert worden sind (Duczko 2004,
158ff.). Viele der Hügel sollen als Kenotaphe
angelegt worden sein, da sie keinerlei erkennbare Bestattungen enthielten. In einigen Gräberfeldern kommen Konzentrationen großer
Hügel über Brandgräbern und Kammergräbern mit Körperbestattungen vor, es können
also zwei Bestattungsarten mit Elite-Gruppen
der Rus verknüpft werden. Fast alle Gräber in
Gnëzdovo datieren in die Mitte des 10. Jahrhunderts und somit in eine Zeit, in der auch
die Siedlungen ihr größtes Wachstum entwickelten.
Im Großen und Ganzen ähnlichen Grabbau
zeigen auch die Nekropolen von Timerëwo
(Duczko 2004, 190-193; Hedenstierna-Jonson
2006, 4) mit geschätzten 1000 Hügeln, Petrovskoe mit ebenfalls bis zu 1000 ehemals vorhandenen Hügeln (Duczko 2004, 197f.) oder
Michajlovskoe, wo sich ursprünglich 400 Hügelgräber mit überwiegend Brandbestattungen,
aber auch Körperbestattungen befunden haben
(ebd. 198) , die aufgrund der Bestattungssitten
und des Grabbaus als Hinterlassenschaften
schwedischer Skandinavier interpretiert werden. Alle drei Plätze wurden vom Ende des
9. Jahrhunderts bis zur ersten Hälfte des 11.
Jahrhunderts genutzt (Hedenstierna-Jonson
2006, 4), wobei sehr deutlich erkennbar sein
soll, dass ein Teil der Siedler skandinavischer
Herkunft und auch an der Gründung beteiligt
gewesen sein muss. Diese Siedlungen werden
als Zentren für Handel und Handwerk gedeutet, aber auch als Militärbasen, auch wenn bislang keine Spuren von Befestigungen bekannt
geworden sind (zu weiteren Deutungen siehe
Jansson 1997, 44ff.)
Slawische Bestattungen sind besonders für
das nordwestslawisches Gebiet immer noch
schwer nachzuweisen, aber in den letzten Jahren wächst die Quellenbasis. Im Raum westlich der unteren Oder sind ebenerdige Brandschichten- oder Brandgrubengräber bekannt,
die hier offenbar dominieren (Schmidt 1981,
331) und sich auch im gesamten südlichen
Küstenbereich nachweisen lassen. Es handelt
sich um fast hausgrubengroße Eintiefungen
mit wenig Scheiterhaufenresten und Leichenbrand, die nur selten mit zerscherbter Keramik
und wenigen weiteren Beigabenfragmenten
aufgefunden wurden (Warnke 1985, 229ff.).
Urnengräber und insbesondere Hügelgräber
bleiben ein seltenes Phänomen. Körpergräber
treten hier nicht vor der Mitte des 10. Jahrhunderts auf. In jungslawischer Zeit werden
ebenerdige Körperbestattungen häufig, wenngleich die Brandbestattung in vielfältiger Form
weiter praktiziert wird, aber ab der Mitte des
11. Jahrhunderts stark rückläufig ist. Häufiger
dagegen kommen nun Grabhügel mit Brandbestattungen auf, deren Zahl in zusammenliegenden Bestattungsplätzen nie 50 Exemplare
übersteigt. Ab dem 12. Jahrhundert kommt
fast ausschließlich – mit regionalen Ausnahmen wie Rügen – ebenerdige Körperbestattung vor. Von diesem allgemeinen Bild, das
regional leicht variieren kann, grenzen sich
einige Gräberfelder ab, die in der Nähe von
Handelsniederlassungen oder Herrenburgen
gefunden wurden. Dzu zählen die Gräberfelder von Oldenburg, Ralswiek, Menzlin und
Groß Strömkendorf/Reric sowie Wolin im
Odermündungsgebiet und Swielubie an der
Parçeta. Auch innerhalb dieser Gruppe sind
die Bestattungssitten jedoch sehr unterschiedlich. Das gilt auch für Gräber, die aufgrund der
Beigaben als skandinavisch interpretiert werden.
Das Gräberfeld
B.4.1 Zusammenfassung
Im überregionalen Vergleich ist zusammenfassend, wie schon mehrfach in früheren Publikationen geäußert (z.B. Gaerte 1933b, 73;
Engel 1935a, 112), unter Vernachlässigung des
Fundmaterials besonders die Mälarseeregion
um die Gräberfelder von Birka herum mit den
Bestattungssitten und dem Grabbau in Wiskiauten vergleichbar. Vor allem die oberirdische Kennzeichnung der Gräber durch Hügel
kommt hier regelhaft vor und ist in den meisten Fällen mit Brandschüttungen von großer
Ausdehnung kombiniert, eine Bestattungsform,
die auch in Wiskiauten überwiegt. Die hier so
häufigen Merksteine sind auch in Birka mehrfach nachgewiesen. Körperbestattungen sind
in Wiskiauten aber deutlich unterrepräsentiert.
In Birka kommen sie hauptsächlich in den Gräberfeldern „Grindsbacka“ (Gräslund 1980, 5f.)
und „Kärbacka“ vor, die als separierte Nekropolen gelten und entweder sehr spät sind oder
mit zum Christentum konvertierten Personen
in Verbindung gebracht werden können. Die
größte der Nekropolen von Birka, „Hemlanden“, und das Gräberfeld „Südlich von Borg“
stimmen in Bezug auf den Hügelgrabbau und
die dominierende Brandbestattung mit ausgedehnten Brandschüttungen aber mit den
meisten in Wiskiauten beobachteten Befunden
überein.
Schwieriger ist der Vergleich mit den gotländischen Bestattungen. Während Brandbestattungen hier eher unterrepräsentiert sind, fallen
gleichzeitig die abweichende Hügelkonstruktion und die sehr häufige Beisetzung unter
Steinsetzungen auf, die in Wiskiauten entweder gar nicht oder nur sehr selten beobachtet
wurden.
Der überregionale Vergleich lässt tendenziell
das gleiche Ergebnis erkennen. In Dänemark
sind die Grablegen derart abweichend, dass
die Masse der Hügelgräber aus Wiskiauten
nicht von Personen dieses Raumes angelegt
worden sein dürfte. Norwegen kommt prinzipiell in Frage. Die in Russland existierenden
Gräberfelder mit Hügelgräbern der Wikingerzeit stimmen ebenfalls im Großen und Ganzen
mit der Wiskiautener Nekropole überein, weshalb auch hier ein Einfluss seitens der Svear
aus dem Mälarseegebiet vermutet wird.
Insbesondere die dürftige Quellenbasis zu den
Bestattungen in der Kaup bei Wiskiauten ver-
107
hindert derzeit die eindeutige Zuweisung von
charakteristischen Bestattungssitten zu einer
Herkunftsregion. Es muss eine umfassende
Analyse und Auswertung des überlieferten
Archivmaterials abgewartet werden, um die
bislang nur tendenziell aussagekräftigen Vergleiche auf eine gesicherte Basis zu stellen.
Gleichzeitig können Grabbau und Bestattungsformen allein nicht ausreichen, um eine
kulturelle Zugehörigkeit der Verstorbenen zu
ermitteln. Zusätzlich muss der ohnehin sehr
variable Bestattungsritus im frühmittelalterlichen Ostseeraum vor dem Hintergrund des
Beigabenspektrums betrachtet werden.
108
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
B.5 Kurzer Überblick über das Fundmaterial
B.5.1 Einleitung
Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über
die in den Bestattungen der Kaup vorkommenden Beigaben, geordnet nach Fundgruppen, gegeben werden. Wenn Typenbestimmungen aus der Literatur vorlagen, wurden
sie übernommen. Es werden die Aussagemöglichkeiten zur Aanzahl und Position der Beigaben in den Gräbern diskutiert. Dabei geht es in
erster Linie darum, das Beigabenspektrum zu
verdeutlichen. Der Schwerpunkt liegt auf den
chronologisch relevanten Sachgruppen. Erst
im folgenden Kapitel wird versucht, in die
Bestattungen der Kaup anhand ausgewählter
Fundgruppen und Grabinventare eine chronologische Ordnung zu bringen und daraus
Hinweise auf die Nutzungsintensität in den
verschiedenen Zeiträumen zu gewinnen.
B.5.2 Quellensituation
Von den vermuteten 300 Hügelgräbern, die
in Wiskiauten vor Beginn des Zweiten Weltkrieges untersucht wurden, sind in von zur
Mühlens (1975) Katalog lediglich 83 Gräber
mit Beigaben aufgeführt, drei weitere (von zur
Mühlen 1975, 139-140 Nr. 81, 85–86) werden
als „Leergrab“ bezeichnet. Dies führte in der
Literatur mehrfach zu dem falschen Schluss,
in Wiskiauten sei in deutscher Zeit lediglich
eine Anzahl von etwa 90 Bestattungen untersucht worden (Kulakov 2005, 78; Wróblewski
2006b, 141). Die tatsächlich untersuchte Anzahl
dürfte jedoch wesentlich höher gewesen sein
und kann auf über 300 Gräber geschätzt werden. Aber durch den Umstand, dass offenbar
die meisten Gräber keine oder nur wenige unscheinbare oder auch stark vergangene Beigaben enthalten haben, sind diese Bestattungen
in von zur Mühlens Katalog nicht berücksichtigt worden. Für die Existenz von Beigaben in
einigen Bestattungen, die aber nicht geborgen
wurden, sprechen die ersten Fundberichte
Heydecks (1877, 651), der erwähnt, dass von
den 13 Gräbern, die in der beschriebenen
Kampagne untersucht wurden, nur sieben Bestattungen „bedeutendere“ Funde enthalten
haben, ein Bild, das schon früher gemachten
Beobachtungen entsprechen soll. „In manchen
anderen Gräbern waren wohl Metallspuren
vorhanden, aber nicht so, dass bestimmte Formen daraus zu ersehen waren“ (ebd.). Diese
Gräber werden in der Folge nicht weiter erwähnt, so dass sie auch im Katalog von zur
Mühlens nicht aufgelistet sind. Lediglich die
spärlichen Hinweise aus der Literatur lassen
in manchen Fällen noch das Vorhandensein
eines offenbar arm ausgestatteten Grabes erkennen. Ihre Anzahl ist jedoch im Nachhinein
nicht mehr ermittelbar. Zumindest die bis um
das Jahr 1900 gültige Annahme, dass mehr als
die Hälfte der bis dahin etwa 250 untersuchten
Gräber in der Kaup beigabenlos gewesen ist
(Heydeck 1900, 61), muss demnach stark angezweifelt werden.
Trotzdem fällt das Fehlen von Funden aus diesem Zeitabschnitt auf. Kossinna (1929, 102)
gab 30 Jahre später die Zahl der in der Literatur behandelten Gräber mit 35 an. In von
zur Mühlens Katalog sind für die Jahre von
1873–1899 (von zur Mühlen 122-132 Nr. 1–48)
insgesamt 48 beigabenführende Gräber erfasst.
Von den übrigen 200 angeblich untersuchten
Grabhügeln fehlt jede Aufzeichnung und jeder
Hinweis auf Funde, wobei eine gewisse Anzahl
tatsächlich beigabenlos gewesen sein kann.
Die Ausgrabungstätigkeiten deutscher Archäologen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Ergebnisse der russischen
Forschung zusammengenommen dürfte die
Zahl der beigabenführenden Gräber bei etwa
140 liegen. Zusätzlich sind zahlreiche Einzelfunde zu vermerken, die im Zusammenhang
mit Abhandlungen zu bestimmten Fundgruppen Erwähnung finden. Dies betrifft fast ausschließlich Publikationen der Vorkriegszeit,
die insofern von besonderer Bedeutung sind,
als den damaligen Bearbeitern zumeist die
Originalfunde aus dem Prussia-Museum in
Königsberg zur Verfügung gestanden haben.
Während einige dieser Objekte durch die in
den Publikationen genannten Grabnummern
in einen Grabzusammenhang gebracht werden können, bleiben andere als Ankäufe der
Prussia-Gesellschaft oder als Geschenke an
das Prussia-Museum reine Streufunde. Dennoch ist die Fundortangabe Kaup bei den meisten Objekten gesichert.
Heute ist die große Mehrzahl der Originalfunde verschollen oder blieb bislang unter
den Tausenden wiederentdeckten Objekten
aus Berlin und Kaliningrad (vgl. Reich 2003;
Das Gräberfeld
2005; Valujev 2005) unidentifiziert. Lediglich
eine kleine Anzahl von Originalfunden, etwa
50 Stück, befinden sich im neu eingerichteten
Prussia-Museum im Kaliningrader Museum
für Geschichte und Kunst sowie im Berliner
Museum für Vor- und Frühgeschichte, wo bislang fünf Schwerter und ein Schwertknauf aus
Wiskiauten identifiziert werden konnten.
B.5.3 Beigabensitte
Die Zahl der Beigaben in den Gräbern schwankt
beträchtlich. Engel (ALM) beschrieb sehr viele
Gräber als beigabenlos oder mit nur wenigen
Beigaben versehen, wies aber andererseits auf
vereinzelte, sehr reich ausgestattete Gräber
hin. Es stellt sich das altbekannte Problem, wie
die Anzahl der Beigaben aus Gräbern gezählt
werden kann, welche Gegenstände als eigenständige Beigabe und welche als Zubehörteile
der Tracht nicht im Sinne einer Beigabe verstanden werden dürfen. Funktional zusammenhängende Gegenstände wie Schwertortband und Schwert sind beispielsweise jeweils
unter einer eigenen Fundnummer geführt,
wenngleich ihre Zusammengehörigkeit klar
erkennbar ist. Sie sollten deswegen als nur
eine, wenn auch besonders wertvolle Beigabe
verstanden werden. Ähnlich problematisch ist
die Ansprache einer Perlenkette mit Anhängern als eine Beigabe, wenn beispielsweise das
ehemals verbindende Material sich aufgelöst
hat und die Bestandteile der Kette verstreut
sind. Unklar bleibt in vielen Fällen aber auch
der Grad der Beraubung, der entscheidenden
Einfluss auf die Grabausstattung haben kann.
Dennoch sind einige allgemeine Tendenzen
zur Beigabenausstattung feststellbar, so dass
zumindest einige sehr reich ausgestattete Gräber von sehr beigabenarmen Bestattungen unterschieden werden können.
Über die Position der Beigaben in den Gräbern sind aus den publizierten Berichten der
Vorkriegszeit nur wenige Angaben zu gewinnen, die überdies nur beschreibenden Charakter haben. Die Beigaben sollen teilweise in
Brandschichten eingebettet und deshalb oft
angeschmolzen gewesen sein (Engel, ALM
Schleswig). Teilweise waren die Beigaben gesondert am Außenrande der Brandschicht zusammengehäuft (Heydeck 1877, 651). Bei anderen Gräbern waren „Schwerter und Lanzen
nebst anderen Eisengeräten mit Bronzeresten
109
in der Mitte der Brandstätte“ deponiert. Urnen mit gebrannten Knochen und sonstigem
Inhalt fanden sich dagegen immer nur seitlich
der Brandstätte (ebd.). Pläne von Grabanlagen
wurden nur in Ausnahmefällen publiziert (vgl.
z.B. Bezzenberger 1900, Taf. XIII, 15; XX; Nerman 1942, 96 Abb. 87; 98f. Abb. 89a.b).
Lediglich das Körpergrab unter Hügel 143
(Nerman 1942, 99 Abb. 89b) lässt weitergehende Aussagen zu170 (vgl. Abb. 10). Es handelt
sich um eine Sargbestattung mit unverbrannter Pferdebeisetzung auf einer Plattform an der
rechter Körperseite des Verstorbenen. Im Sarg
lag der durch die Waffenbeigaben als männlich gekennzeichnete Tote auf dem Rücken in
südwestlich-nordöstlicher Richtung mit dem
Kopf im Südosten. Ein mit Zink- oder Silberperlen bestücktes Stirnband trug er am Kopf,
die Hufeisenfibel hielt offenbar ein Gewand
auf der Brust zusammen. In der Mitte des
Sargdeckels war ein hölzerner Eimer mit eiserner Gürtung deponiert. Das Schwert steckte
in der mit einem Ortband versehenen Scheide
und lag, die Spitze in Richtung der Füße, auf
dem rechten Sargrand. Mit der Spitze in südwestliche Richtung zeigend, war die Lanzenspitze auf der Plattform neben dem Sarg niedergelegt. Das ebenfalls dort liegende Pferd
mit dem zurückgebogenen Kopf lag auf seiner linken Körperseite, die Füße zeigten von
der menschlichen Bestattung weg in Richtung
Osten, der Kopf lag im Nordwesten. Ein Steigbügel an der Körperflanke und die im Maul
befindliche Trense gehörten ebenso zur Pferdeausstattung wie drei Glöckchen, deren Lage
der Zeichnung jedoch nicht zu entnehmen ist.
An diesem Beispiel wird deutlich, wie viele Informationen der Forschung durch den weitgehenden Verlust der Originalberichte der Ausgräber verloren gegangen ist, denn es gelingt
hier bis ins Detail, eine Bestattung aus dem
Gräberfeld von Wiskiauten zu rekonstruieren.
Dieser Fall bleibt bislang jedoch eine Ausnahme. Durch die vollständige Auswertung des
Archivmaterials wird es in Zukunft aber möglich sein, weitere in deutscher Zeit aufgedeckZusätzlich wurde eine Archivalie aus dem Nachlass von B. Nerman aus dem Riksantikvariet Ämbetet benutzt. Für die Erlaubnis zur Einsichtnahme
sei Dr. S. Reisborg (Stockholm) gedankt, für die
Vermittlung des Kontaktes dagegen Dr. M. Neiß
(Stockholm).
170
110
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
te Gräber mit großem Detailreichtum zu beschreiben. Für einen Teil der in der russischen
Forschungsetappe untersuchten Gräber liegen
dagegen ansatzweise verwendbare Zeichnungen vor, die durch Beschreibungen zur Lage
der Beigaben ergänzt werden (vgl. Kulakov
2005). Bei den Brandbestattungen scheinen Gegenstände überwiegend in die Scheiterhaufenrückstände eingebettet gewesen zu sein. Ihren
Brandspuren nach dürften sie mitverbrannt
worden sein.
B.5.4 Die Beigaben
Das Beigabenspektrum der Wiskiautener Gräber umfasst Waffen, Reitzubehör, Trachtgegenstände, Schmuck, persönliche Ausrüstung,
Keramik und weitere Gegenstände.
B.5.4.1 Waffen
Waffen sind eine der zahlreichsten Fundgruppen im Gräberfeld von Wiskiauten. Hierzu
zählen in der Reihenfolge ihres mengenmäßigen Vorkommens Schwerter, Lanzen, Schildbuckel und Äxte. Das Reitzubehör, darunter
auch Steigbügel und Sporen, wird gesondert
behandelt.
B.5.4.1.1 Schwerter
Es gibt Hinweise auf insgesamt 33 Schwerter,
von denen bei von zur Mühlen (1975) immerhin 21 Exemplare171 aufgelistet sind. Drei
Schwerter172, darunter ein einschneidiges
Exemplar (Heydeck 1877, 652; 658 („Vierter
Fund“)), sind aus der deutschen Literatur und
zwei173 weitere aus den russischen Forschungen bekannt.
Hinzu kommen sieben Schwertfragmente sowie zwei komplett erhaltene Schwerter, die
vom ersten Ausgräber Wulff (1865; 1866) geborgen wurden. Ihre Herkunft aus der Kaup
ist gesichert. Mindestens eines der Schwerter
stammt aus einem Grabhügel in der Kaup
(ders. 1865, 645). Ein zweites ist offenbar in dem
Bereich ausgegraben worden, an dem in den
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 1, 9–10, 13, 20,
23, 25–29, 41–42, 45, 48, 51–52, 64, 69, 78.
172
Es handelt sich um die Exemplare aus Hügelgrab
192 (Agde 1936), Hügelgrab 170e (ALM) und einem
Hügelgrab ohne Nummer (Heydeck 1877, 652; 658
[„Vierter Fund“]).
171
Hügelgrab K2 (Kulakov 2005, 59 Abb. 6–7) und
Hügel K167/167 (ebd. 70-75 Abb. 19-22).
173
1930er Jahren der sog. spätheidnische Aschenplatz entdeckt wurde. Wulff (ebd. 644) gibt
an, seine ersten Grabungen „links vom Wege“
angelegt zu haben. Vermutlich hat er, von seinem Manöverlager aus Mülsen kommend, somit den östlichsten Teil des Wäldchens Kaup,
also die sog. „kleine Kaup“ untersucht. Diese
Annahme wird an anderer Stelle im gleichen
Bericht eindeutig bestätigt, wenn Wulff angibt,
die Kuppe, durch die der neue Weg getrieben
wurde, erstrecke sich „rechts vom Weg“ noch
„60 Schritte“ und falle dann zur Ebene hin ab.
Diese Beschreibung macht nur bei einer Betrachtung in östlicher Richtung Sinn.
Jedenfalls liegen durch Wulffs Bericht Hinweise vor, dass auch aus dem sog. spätheidnischen Aschenplatz Schwerter geborgen worden sind – wenn sie nicht aus einen zerstörten
Grabhügel stammen. Diese Beobachtung ist
bisher nicht beachtet worden. Es ist aber auch
denkbar, dass in diesem Bereich Flachgräber
gelegen haben, die zu dem von Nerman vermuteten gotländischen Flachgräberfriedhof
gehört haben könnten. Darauf lässt ansatzweise die Beschreibung der Gräber von Wulff
schließen. Sie sollen regelhaft von einem Steinkreis von etwa 1 m Durchmesser174 umgeben
gewesen sein. Aus einer der Bestattungen
stammt das Schwert mit bronzenem Ortband
(Wulff 1865, 644), eine Fundgattung, die für
den spätheidnischen Aschenplatz bisher nicht
belegt war. Auch von den für den spätheidnischen Aschenplatz so charakteristischen Pferdeknochen wird bei der Beschreibung dieser
Grabanlage nichts erwähnt. Dagegen sollen in
den Gräbern regelmäßig Urnen vorgekommen
sein (ebd. 645). Letztlich bleiben die Verhältnisse in diesem Waldabschnitt ohne erneute
Grabungen sehr unklar. Durchaus könnten
hier neben dem spätheidnischen Aschenplatz
weitere Bestattungen liegen, die auf bisher
nicht bekannte bzw. nicht beachtete Grabbauweisen hindeuten.
Das Typenspektrum der Schwerter umfasst die
Formen K, M, E, Y, V, X und H nach Petersen
(1928) und deckt damit chronologisch einen
breiten Zeitraum vom Beginn des 9. bis zum
Ende des 11. Jahrhunderts ab. Die Typen H, X
und V sind am häufigsten vertreten. Für vier
Wulff (1865, 645) gibt als Durchmesser „3-4 Fuß“
an.
174
Das Gräberfeld
Schwerter175 ist eine Ulfbehrt-Inschrift überliefert. Einen Sonderfall unter den Schwertern
bildet ein von Heydeck (1877, 652) ausgegrabenes „einschneidiges Schwert Scramasaxus,
zusammengebogen und in drei Stücke gebrochen“ mit offenbar damaszierter Klinge, für
das aber keine konkrete Typenzuordnung
erfolgen kann. Ein weiteres einschneidiges
Schwert wurde von Nerman aus Grabhügel
43176 geborgen (von zur Mühlen 1975, 134 Nr.
52 Taf. 43, 16) und in die Zeit „etwa um 800
oder die erste Hälfte des 9. Jahrh.“ (Nerman
1932, 14) datiert.
Die in Wiskiauten vorkommenden Schwerttypen sind im Baltikum allgemein weit verbreitet.
So bilden Schwerter vom Typ E im 9. Jahrhundert im Baltikum eine allgemeine Erscheinung
und gelten als Importe (Kazakevičius 1996,
130ff.). Gleiches gilt für Schwerter vom Typ H,
deren Hauptkonzentration an der südöstlichen
Ostseeküste in Wiskiauten liegt. In den baltischen Ländern sind sie allgemein im 9. und 10.
Jahrhundert als Importe und als einheimische
Nachahmungen anzutreffen. Schwerter vom
Typ K sind im Baltikum nur in drei Exemplaren aus dem prussischen Gebiet bekannt,
darunter das Exemplar aus dem Flachgrab
151a von Wiskiauten, das zusammen mit den
beiden anderen Stücken von Viehhof im Samland (heute Tiulenino) aus Skandinavien oder
Westeuropa stammt und in die Jahre um 900–
950 datiert werden kann. Häufiger kommen
Schwerter vom Typ M im baltischen Gebiet
vor, wo sie in einschneidiger Form hergestellt
worden sind, während sie in ganz West- und
Nordeuropa hauptsächlich als zweischneidige Exemplare bekannt sind. Für die Schwerter vom Typ V bildet wiederum Wiskiauten
mit drei Exemplaren unter den insgesamt 14
im Baltikum bekannten Stücken den Verbreitungsschwerpunkt. Ihr zeitlicher Schwerpunkt
im baltischen Kontext liegt zwischen der zweiten Hälfte des 10. und der ersten Hälfte des 11.
Jahrhunderts. Der Typ ist über ganz Europa
verbreitet, als Ursprungsgebiet der baltischen
Exemplare vermutet Kazakevičius (ebd.) westHügelgrab ohne Nummer (von zur Mühlen
1975, 132 Nr. 45); Hügelgrab ohne Nummer (ebd.
133 Nr. 51 Taf. 43, 15); Grab 151a (ebd. 137 Nr. 69);
Grabhügel K2 (Kulakov 2005, 59 Abb. 6, 7).
175
Entspricht in von zur Mühlens (1975, 134) Katalog Grabnummer 52
176
111
europäische Werkstätten. Auch Schwerter vom
Typ X sind zahlreich im Baltikum ausgegraben
worden, wobei ein Verbreitungsschwerpunkt
neben litauischen Fundplätzen wiederum
in Wiskiauten liegt. Die allgemein in Europa
nicht sehr häufigen Vertreter dieser Schwertform können ins 10. und 11. Jahrhundert datiert werden, ins Baltikum gelangten sie vermutlich von Westeuropa aus (ebd.).
Auffällig bleibt, dass für die drei Schwertformen der Typen H, V und Y jeweils ein Verbreitungsschwerpunkt im Gräberfeld von
Wiskiauten liegt, was erneut die besondere
Stellung dieses Fundplatzes betont. Meistens
sind Schwerter und Lanzenspitzen, oft zwei
Exemplare, zusammen im Grab aufgefunden
worden.
B.5.4.1.2 Schwertortbänder
Nur sechs Schwertortbänder sind aus gesicherten Grabzusammenhängen177 in Wiskiauten geborgen worden, drei weitere liegen als
Einzelfunde vor. Zwei dieser Einzelfunde sind
bei von zur Mühlen (1975 Taf. 14, 5; 15, 3) abgebildet, lassen sich aber keinem der im Katalog aufgelisteten Gräber zuordnen (Abb. 30, 23). Ein weiteres Ortband wurde von Heydeck
ausgegraben (Bujack 1876a, 661). Fünf der
sechs Gräber178 enthalten auch ein Schwert.
Abgesehen von einem Einzelfund (von zur
Mühlen 1975, Taf. 15, 3; hier Abb. 30, 3), der
mit einer Kreuzdarstellung und einem Rankenornament versehen ist (Bujack 1877, 661662) und im ehemaligen Ostpreußen zahlreich
vorkommt (vgl. von zur Mühlen 1975, 106
Fundliste 34) sowie einem Ortbandfragment
(ebd. Taf. 44, 5; vgl. hier Abb. 30, 4; 31, 1), das
am ehesten zur Gruppe mit anthropomorphen
Darstellungen im Borrestil gehören dürfte,
lassen sich alle anderen fünf Exemplare dem
Typ der Ortbänder mit Vogeldarstellung oder
Falkenmotiv zuordnen (vgl. Abb. 30, 1-2). Die
Ortbänder sind mit einem ausgesparten Vogel
verziert, der frontal mit ausgebreiteten Flügeln
und zur Seite gedrehtem Kopf dargestellt ist.
Sie gehören zu der von Paulsen (1953, 96) definierten „schwedisch-warägischen“ Gruppe,
die als Typ I:c benannt ist, und kommen in der
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 29, 45, 64,
75, 78, Taf. 14, 7; 32; Kulakov 2005, 72 Abb. 22,
7.13.17.43.
177
178
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 29, 45, 64, 78.
112
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 30 Gräberfeld von Wiskiauten, Schwertortbänder. 1 Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 173
Taf. 14, 7). – 2 Grabfund ? (ebd. Taf. 14, 5). – 3 Grabfund (ebd. 175 Taf. 15, 3). – 4 Grab 170c (ebd. 233 Taf.
44, 5).
Region nur in fünf Exemplaren in Wiskiauten
vor (vgl. von zur Mühlen 1975, 106 Fundliste
31).
Von zur Mühlen (1975, 37) suchte das Ursprungsgebiet der Ortbänder mit ausgespartem Vogelkörper in Mittelrussland im Gebiet
zwischen Kiew und dem Oberlauf der Wolga,
verwies aber, wie vor ihm schon Nerman (1929,
96 Abb. 88), auf die Gussform in Birka. Dieselbe Form veranlasste Paulsen (1953, 33) zur
Annahme, der Ortbandtyp, darunter auch die
Exemplare aus Wiskiauten, seien in Birka hergestellt worden. Als Datierungsansatz schlug
er die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts vor.
Mit dieser Gruppe von Ortbändern beschäftigte sich zuletzt Hedenstierna-Jonson (2006).
Sie stellte heraus, dass sich Ortbänder des besprochenen Typs auf die östlichen Handelswege um die Ostsee und die östlichen Flüsse
Russlands konzentrieren (ebd. 15). Obwohl
sich die Zahl der Ortbänder des skandinavischwarägischen Typs seit Paulsens Publikation
verdoppelt hat, ist das Verbreitungsbild im
Wesentlichen gleich geblieben. Lediglich das
Gebiet der südlichen Ostsee in Lettland und
Litauen hat seitdem merklich neue Funde erbracht (Kazakevičius 1990; 1992). Auffälligerweise deckt sich die Verbreitung in Russland
mit den Plätzen, denen Hedenstierna-Jonson
(2006, 15) eine Schlüsselrolle in der politischen
und generellen ökonomischen Entwicklung
zuerkennt. Sie betont, dass einige Gebiete ein
erhöhtes Fundaufkommen aufweisen, darunter Birka und Paragaudis (Litauen) mit je
drei Exemplaren und Šestovica (Ukraine) mit
vier Exemplaren (ebd. 16f.). Für Wiskiauten
gibt sie eine Anzahl von drei Ortbändern an,
die nun auf fünf Exemplare anwächst. Das
Vorkommen besonders auf Gräberfeldern
könnte nach Hedenstierna-Jonson (ebd. 16)
Plätze anzeigen, an denen Krieger mehr oder
weniger dauerhaft in einer ständigen Basis
siedelten, wie in den für Birka und Šestovica
erschlossenen Garnisonen. Aufgrund der vielen Waffen in der Umgebung von Wiskiauten
nimmt sie auch für diesen Platz eine Garnison
an. Zwar bedeute dabei die Existenz einer Garnison nicht zwangsläufig die Anwesenheit von
Truppen bzw. Kriegern, die mit einem Ortband mit Falkenmotiv ausgestattet gewesen
seien, sie kommen aber offenbar in fast allen
befestigten Plätzen des russischen Gebietes
des 9. und 10. Jahrhunderts vor und scheinen
demnach in kriegerischem Kontext zu stehen.
Dafür spricht auch, dass Schwertortbänder
dieses Typs besonders häufig in Waffengräbern zusammen mit Schwertern, Lanzen und
Schilden gefunden worden sind, häufig – so
auch in Wiskiauten – ist zusätzlich ein Pferd
und Pferdeausrüstung dokumentiert. Die
Das Gräberfeld
113
Abb. 31 Ortbänder mit anthropomorpher Darstellung: 1 Wiskiauten, Grab 170c (Zeichnung P. Paulsen,
ALM Schleswig). – 2 Lundur (Island), Typ II:3 Untergruppe A1 (Hedenstierna-Jonson (2002, 106 Abb. 3,
3). – 3 Irsekapinis (Russland), Typ II:3 Untergruppe D (ebd. 107, Abb. 5). – 4 Zasinas (Litauen), Grab 62,
Typ II:3 Untergruppe D (ebd. 107, Abb. 5). – 5 Zasinas (Litauen), Grab 94, Typ II:3 Untergruppe D (ebd.
107, Abb. 5).
Einheitlichkeit der Schwertortbänder und der
Waffenausstattung deutet Hedenstierna-Jonson (ebd.) als Hinweis darauf, dass die Träger
der Ortbänder möglicherweise einer speziellen,
mit militärischer Macht ausgestatteten Personengruppe angehörten und die Produktion
und Benutzung eventuell sozialer oder gesetzlicher Kontrolle unterlegen haben könnte.
Während Paulsen (1953, 33) und Strömberg
(1951, 238) Ortbänder mit ausgespartem Vogelkörper in die 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts datierten, setzte Kulakov (1985, 54) die
osteuropäischen Funde ans Ende des 9. Jahrhunderts und die baltischen Exemplare in das
beginnende 11. Jahrhundert. HedenstiernaJonson (2006, 18) kommt mit den Grabfunden
aus Birka zu einer Datierung in den Zeitraum
vom Ende des 9. Jahrhunderts bis zum Anfang
des 11. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt
im 10. Jahrhundert.
Ein Schwertortband (Abb. 30, 4; 31, 1) aus
Grabhügel 170c179, das von Paulsen (1953, 20
179 Dieses Ortband ist bei von zur Mühlen (1975,
145) dem Grabhügel 174 (Pr.-M. VII, 431, 12802) zugeordnet. Eine Archivalie von P. Paulsen, die sich
heute im Archiv des Archäologischen Landesmuseums Schleswig befindet, enthält eine Zeichnung
des Ortbandes mit der abweichenden Zuordnung
zu Grabhügel 170c bei gleicher Prussia-Inventarnummer. Die gleiche Zuweisung findet sich auch
in Paulsens (1953, 20 Abb. 10) Publikation zu den
Schwertortbändern der Wikingerzeit. Im Nachlass
von C. Engel (ALM Schleswig) findet sich auch eine
zeichnerische Zusammenstellung des Grabinventars von Hügel 174, aus der hervorgeht, dass auch
in diesem Grab ein Ortband vorhanden gewesen
Nr. 15) dem Typ I zugesprochen wurde, gehört
nach Meinung des Verf. eher dem Typ der anthropomorph verzierten Exemplare vom Typ
II:3 nach Paulsen (ebd.) an, den Hedenstierna-Jonson (2002) in vier Untergruppen A–D
gliederte. Das hier besprochene Stück ist zwar
stark fragmentiert und ihm fehlt die menschliche Figur, es findet jedoch Analogien im – nur
in slawischen Gebieten auftretenden – Untertyp B, da es zusätzlich zum Bildmotiv den für
diese Gruppe charakteristischen Endknopf
aufweist (ebd. 104). Wie auch die Exemplare
mit Vogelmotiv vom Typ I:c nach Paulsen
(1953) treten Ortbänder mit anthropomorpher
Darstellung ebenfalls hauptsächlich entlang
der östlichen Handelswege an Orten mit zentraler Funktion auf (Hedenstierna-Jonson
2002, 109), sind hier allerdings höchstens mit
einem Exemplar pro Fundort belegt und mit
19 Exemplaren180 noch seltener als der vorgenannte Typ. Hinzu kommt der Fund aus
Wiskiauten. Ortbänder vom Typ II:3 werden
in das 10. Jahrhundert datiert (Paulsen 1953,
48ff.). Hedenstierna-Jonson (2002, 110) grenzt
diese Datierung auf die zweite Hälfte des 10.
ist. Das gleiche Stück ist unter Angabe der Grabnummer „174“ auch bei Paulsen (ebd. 32 Nr. 30)
aufgeführt. Dabei handelt es sich um ein stark fragmentiertes Ortband mit frontaler Vogeldarstellung
vom Typ I:d nach Paulsen (ebd.). Die Zuordnung
des Ortbandes mit anthropomorpher Verzierung
vom Typ II:3 nach Paulsen (ebd.) zu Hügel 174
dürfte daher falsch sein.
Das Stück aus Wiskiauten ist von HedenstiernaJonson (2002, 105 Tab. 2) nicht berücksichtigt.
180
114
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Jahrhunderts ein. Kulakov und Iov (Kulakov/
Iov 2001) hielten das Motiv für eine Darstellung des mythischen Kampfes zwischen Odin
und Fenrir, jedes Eintauchen des Schwertes in
die Scheide – und dadurch auch in das Ortband – wiederhole das in der Darstellung rezipierte Töten rituell. Hedenstierna-Jonson
(2002, 111) dagegen vermutete, dass Ortbänder mit anthropomorpher Darstellung mit dänischer Herrschaft verknüpft sein könnten, da
die Symbolik sehr stark vom Jellingestein und
seiner Christusdarstellung beeinflusst sein
dürfte.
Für Ortbänder mit „Kreuz- und Rankenverzierung“ nahm von zur Mühlen (1975, 40) kurländische Herkunft an und datierte sie ins 11. und
12. Jahrhundert. In Paulsens (1953) Typologie
gehört das Stück am ehesten zur Gruppe V:2:b,
die sich – abgesehen vom Kreuz zwischen den
beiden nach oben weisenden Armen – durch
die Kreuzdarstellung zwischen den Palmetten
auf der ornamenttragenden Fläche kennzeichnen lässt. Die Verbreitung beschränkt sich,
abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen,
deutlich auf das Samland und die nördlich
anschließenden Küstengebiete im Baltikum
bis zur Insel Saaremaa/Ösel (von zur Mühlen
1944, Abb. 5; Paulsen 1953, 191 Taf. XII).
B.5.4.1.3 Lanzen
Insgesamt sind 52 Lanzenspitzen aus 32 Gräbern bekannt, von denen von zur Mühlen
(1975) 35 Exemplare aus 22 Gräbern181 auflistet.
Die übrigen Lanzen sind der Literatur182 und
dem Archivmaterial183 zu entnehmen. Hinzu
kommen mindestens 21 als Einzelfunde ohne
überlieferten Grabkontext von Wulff (1865,
644) aus dem Bereich des spätheidnischen
Aschenplatzes geborgene Exemplare, zwei
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 7, 9, 20, 23,
25–29, 41–42, 45, 48, 51–52, 58, 62, 64, 67, 69, 78, 84.
181
Vgl. die Lanzen aus Hügelgrab ohne Nummer
(Heydeck 1877, 652; 658 [„Vierter Fund“]), Grabhügel K2 (Kulakov 2005, 59 Abb. 6), Grabhügel K 6
(ebd. 59), Grabhügel K 7 (ebd. 59 Abb. 9), Grabhügel
K 167/167 (ebd. 75 Abb. 21).
182
Es handelt sich um die Exemplare aus Grab 5/33,
Hügelgrab ohne Nummer, „Fläche I/35 Gr. 2/35“,
Hügel 170e, die alle nach Archivalien aus den
Nachlässen von H. Jankuhn und R. Grenz (ALM
Schleswig) ermittelt wurden.
183
weitere Lanzen sind in einem Grabungsplan
von C. Engel184 zum spätheidnischen Aschenplatz erkennbar (vgl. Abb. 29). Maximal waren
zwei Lanzenspitzen in den Gräbern der Kaup
enthalten. Für die Bestattungen des spätheidnischen Aschenplatzes sind diesbezüglich keine Aussagen zu treffen. Die Masse der Lanzen
gehört zum Typ E nach Petersen (1919), die
häufig Spitzbogenornamentik vom Ornamenttyp G tragen (Kazakevičius 1999, 186-187;
196). Seltener finden sich Silberverzierungen
in Form von geometrischen Treppenmustern
auf der Tülle, die dem Ornamenttyp I nach
Kazakevičius (ebd.; 2002) entsprechen. Interessanterweise sind die von Kazakevičius (2002)
unter der Ornamentgruppe III zusammengefassten, typisch prussischen Verzierungsmotive, die im benachbarten Gräberfeld von Klincovka/Wikiau (Irzekapinis) so häufig vorkommen und auf das 11. Jahrhundert beschränkt
bleiben (ebd. 121), in den Grabfunden von
Wiskiauten nicht vertreten. Die Lanzenspitzen vom Typ E, deren Hauptvorkommen im
Baltikum für Wiskiauten bezeugt ist, repräsentieren einen Zeitraum zwischen 800 und 1050
(ders. 1999, 196). Zusätzlich kommen in Wiskiauten Lanzenspitzen in Weidenblattform (von
zur Mühlen 1975, 115-116 Fundliste 42) und
eine Flügellanzenspitze (ebd. 111 Fundliste 39)
vor.
B.5.4.1.4 Schildbuckel
Schildbuckel kommen in insgesamt zehn Exemplaren in Wiskiauten vor, wobei sieben
Stücke aus sechs Gräbern stammen (von zur
Mühlen Nr. 20, 22, 41, 62, 67 und 113), ein weiteres Exemplar ist als Streufund einzustufen
(Bujack 1874, 82). Möglicherweise um einen
Schildbuckel handelt es sich bei einem von
Leutnant Wulff ans Prussia-Museum übergebenem kleinen „Eisengefäß“ (Wulff 1866 Nr.
7), während die von Wulff (1865, 645) als Reste
von Schildbuckeln interpretierten Bronzefragmente zu Bronzeschüsseln gehören. Für die
Existenz eines von Martens (1996, 44) genannten silbernen Schildbuckels liegen abgesehen
von dieser einen Erwähnung keine weiteren
Hinweise vor. Zwar sind durch die Schildbuckel keine datierenden Hinweise zu gewinnen,
ihre Anwesenheit in den Gräbern Wiskiautens
Enthalten im Nachlass von R. Grenz (ALM
Schleswig).
184
Das Gräberfeld
115
Abb. 32 Gräberfeld von Wiskiauten, Sporen aus Gräbern. 1 Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975,
132 Nr. 45 Taf. 32). – 2 Grab ohne Nummer (ebd. Taf. 30).
stellt jedoch eine Besonderheit im Beigabengut
der Region dar, da sie in prussischen Gräbern
nie auftreten (Gaerte 1929, 340).
B.5.4.1.5 Äxte
Äxte sind in Form einer Bartaxt aus Grabhügel
174 (von zur Mühlen 1975, 138 Nr. 78) und einer Hammeraxt aus Grabhügel K 7 (Kulakov
2005, 59) überliefert, die aufgrund der fehlenden Profilabbildung nur allgemein den Hammeräxten (nach Paulsen 1939, 34 ff.) zuzuweisen ist. Hammeräxte können als Ausdruck
naher Verbindungen Skandinaviens mit Russland verstanden werden (Jansson 1988, 617).
Der erstgenannte Fund gehört offenbar zum
Typ der Äxte mit Schaftlochlappen und herabgezogener Schneide, da der Fundplatz Wiskiauten bei einer Kartierung dieser Äxte bei von
zur Mühlen (1944, 145 Abb. 7) berücksichtigt
ist. Eine Abbildung zu diesem Fund ist nicht
vorhanden.
B.5.4.2 Reit- und Pferdezubehör
Die Gruppe der zum Reit- und Pferdezubehör
zählenden Gegenstände kann in Sporen, Steigbügel, Trensen, Schnallen, Glocken bzw. Schellen und sonstige, hier nicht weiter besprochene Gegenstände eingeteilt werden.
B.5.4.2.1 Sporen
Aus elf Gräbern liegt je ein Sporn vor185, aus
zwei Gräbern sind Sporenpaare überliefert186,
einmal fanden sich sogar drei Exemplare in
einem Grab187 (vgl. von zur Mühlen 1975,
119-120 Fundliste 50). Es ergibt sich eine Gesamtzahl von 18 Sporen. Als Streufunde, vermutlich vom spätheidnischen Aschenplatz,
kommen mindestens zwei weitere durch Leutnant Wulff (1866 Nr. 4) ausgegrabene Stücke
hinzu. Letztere werden als „Rittersporn“ und
„Stachelsporn“ beschrieben. Ebenfalls auf dieser separierten Nekropole wurden offenbar in
den 1930er Jahren zwei Sporen dokumentiert,
die auf dem entsprechenden Grabungsplan
abgebildet sind (vgl. Abb. 29).
Bei den meisten anderen Exemplaren, zu denen nur in zwölf Fällen Abbildungen vorliegen, handelt es sich um Sporen mit hohem
Bügel und langem Dorn (Abb. 32, 2), die nach
Gabriel (1984, 126ff.) ins 10. Jahrhundert gehören und in der Typologie von Kirpičnikov
(1973, 61 Abb. 37) den Sporen vom Typ 1 nahevon zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 3–4, 13, 25,
27–29, 45, 51, 75, 78.
185
186
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 7, 48.
187
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 41.
116
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 33 Gräberfeld von Wiskiauten, Steigbügel. 1 Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 209 Taf. 32).
– 2 Grab ohne Nummer (ebd. 219 Taf. 37, 4). – 3 Grab ohne Nummer (ebd. 203 Taf. 29).
stehen. Sie gehören überwiegend ins 9. und 10.
Jahrhundert, wenngleich sie sporadisch auch
in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts noch
auftreten (ebd. 64).
Das auffälligste Stück ist ein bronzeplattierter Eisensporn mit profiliertem Dorn aus einem Grab ohne Nummer (Abb. 32, 1), der von
Kind (2002, 292) dem Typ Menzlin zugeordnet
wurde. Unter dieser Bezeichnung wird eine
Gruppe von Prachtsporen zusammengefasst,
die aufgrund der Verbreitungsschwerpunkte
an Nord- und Ostseeküste als westskandinavische Form angesprochen wird. Sie gehören
ins 10. und 11. Jahrhundert (Gossler 1998, 522)
und sind, abgesehen von Funden aus England
und Deutschland, auffällig oft in Polen und im
ehemaligen, nordöstlichen Ostpreußen verbreitet (Kind 2002, 291 Abb. 6). Ein Exemplar
aus Birka (Arbman 1940, Taf. 38) steht dem
Wiskiautener Fund in allen technischen Details sehr nahe.
B.5.4.2.2 Steigbügel
Steigbügel sind mit 34 Exemplaren aus 22
Hügelgräbern vertreten. Elf Steigbügel lagen
einzeln im Grab188, in zehn Gräbern189 waren
Steigbügelpaare enthalten. Ein Einzelstück
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 2–3, 13, 23, 27,
29, 33, 39, 42, 64, 78.
188
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 4, 7, 15, 25–26,
28, 41, 45, 48, 51.
189
wurde 1877 beim Kiesfahren in Wiskiauten
gefunden (Bujack 1877, 661), drei weitere Exemplare stammen aus den Ausgrabungen von
Wulff (1866 Nr. 5). Hinzu kommen die Steigbügel aus dem spätheidnischen Aschenplatz,
die durch den Teilplan dieses Gräberfeldes
aus dem Nachlass von Engel (Wróblewski
2006a, 225 Abb. 3; 2006b, 144 Abb. 22) bekannt
geworden sind. Sechs der insgesamt 22 Exemplare können als nordischer Typ (nach Forsåker 1986, 125) bezeichnet werden (vgl. Abb. 33,
3). Die Masse der verbleibenden Funde ist als
trapezförmig oder halbrund mit leicht gebogener Trittplatte zu beschreiben, die selten mit einer Öse zur Aufhängung ausgestattet scheinen.
Eine detailliertere Ansprache ist aufgrund der
kleinmaßstäblichen Abbildung nicht möglich.
Lediglich ein Steigbügelfund ist noch genauer
zu beschreiben. Es handelt sich um einen halbrunden Bügel mit flachen, breiten Armen und
gerade abschließender Trittplatte mit einer in
den halbrunden Bügel integrierten Aufhängeöse. Das Stück ähnelt den stark verzierten
Steigbügeln, die beispielsweise aus Schulstein/
Volnoe im Samland (vgl. Karte 19 Nr. 34) bekannt sind und ins 9.–14. Jahrhundert datiert
werden (vgl. Gaerte 1929 Abb. 278e; Hollack
1908, 147). Innerhalb dieser Zeitspanne gehören die Steigbügel ins 11.–13. Jahrhundert.
Analog zur großen Variabilität der Steigbügelformen im Gräberfeld sind auch die Exemplare aus den Hügelgräbern sehr unterschiedlich.
Das Gräberfeld
117
Abb. 34 Gräberfeld von Wiskiauten, Fragmente von Steigbügeln mit Durchbruchsmuster aus einem Grab
ohne Nummer, verschiedene Maßstäbe (von zur Mühlen 1975, 221 Taf. 38, 3 a-c.e).
Es überwiegen spitzbogige Steigbügel vom
nordischen Typ (nach Forsåker 1986, 125), deren Bügel häufig mit Silberauflagen verziert
sind (vgl. von zur Mühlen 1975, 128 Nr. 28 Taf.
29). Sie bilden den häufigsten Steigbügeltyp in
Skandinavien und sind oft auch im Baltikum
zu finden. Die Datierung fällt überwiegend ins
10. und 11. Jahrhundert.
Daneben finden sich im Wiskiautener Fundgut
auch zwei Steigbügel (von zur Mühlen 1975,
122 Nr. 4; vgl. Abb. 33, 1), die mit ungarischen
Steigbügeln der Landnahmezeit des 9. und 10.
Jahrhunderts verglichen werden können. Steigbügel dieser Form sind vermutlich in Ungarn
entstanden (Kovács 1986, 223). Für ein weiteres
Steigbügelpaar (von zur Mühlen 1975, 132 Nr.
45; vgl. Abb. 33, 2) gelingt die grobe Zuordnung
zum sog. magyarischen Typ, der in der Typologie von Kirpičnikov (1973, 45) dem Typ I, in
der Typologie von Świętosławski (1990, 43-46)
dagegen dem Typ III A entspricht. Steigbügel
dieser Form lassen sich in einen Zeitraum zwischen dem 10. und dem frühen 11. Jahrhundert datieren und sind in einem geographisch
breiten Raum in Ungarn, Polen, der Slowakei,
im ehemaligen Ostpreußen, Litauen und in
Russland vertreten (Forsåker 1986, 126; Jansson 1988, 620-621.). Da auf Gotland Steigbügel
dagegen mit nur fünf Exemplaren allgemein
sehr selten sind (Thunmark-Nylén 2006, 332),
kommt in dieser Fundgruppe ein gravierender
Unterschied zum Gräberfeld von Wiskiauten
zum Ausdruck.
Zwei abweichende Exemplare (Abb. 34), die
nur in Fragmenten erhalten sind, tragen Verzierungen in Form von Durchbrüchen am
Übergang vom Bügel zur breiten Trittplatte.
Im gleichen Grab wurden Bruchstücke einer
„Hansaschüssel“ gefunden, deren Datierung
ohne nähere Beschreibung und Abbildungen
nur allgemein auf das 11.–13. Jahrhundert gelegt werden kann (Poklewski 1961, 9). Ein sehr
ähnlicher Steigbügelfund ist bei von zur Mühlen (1975, Taf. 19) aus ehemals Kössnicken abgebildet, weitere Fundplätze in der Umgebung
werden nicht namentlich genannt, sollen aber
vorhanden gewesen sein (ebd. 48). Von zur
Mühlen (ebd.) vermutete eine skandinavische
Herkunft dieser Steigbügel, zieht aber auch
einen Ursprung im südrussischen Gebiet oder
gar eine Herstellung im Samland in Betracht.
B.5.4.2.3 Trensen
Trensen bilden die häufigste Sachgruppe des
Pferdezubehörs. Sie sind mit insgesamt 40 Exemplaren aus 27 Gräbern bekannt190, wobei aus
Bei von zur Mühlen (1975) finden sich Hinweise
auf 21 Exemplare (ebd. 122-140 Nr. 2–7, 12, 14, 20,
27–28, 31, 37–39, 41, 45–46, 48, 51, 64, 75, 78), wobei
zweimal je zwei Trensen im Grab lagen. Eine weitere Trense ist aus der Literatur aus einem Grabfund
bekannt (Ohne Verfasser 1879a, 9). Durch russi190
118
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 35 Gräberfeld von Wiskiauten, Trensen. 1 Ringtrense mit zweiteiligem Gebiß aus einem Grab ohne
Nummer (von zur Mühlen 1975, 209 Taf. 32). – 2 Ringtrense mit dreiteiligem Gebiß aus einem Grab ohne
Nummer (ebd. 207 Taf. 31). – 3 Trense mit Seitenstangen aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 193 Taf. 24).
zwei Gräbern je zwei Exemplare stammen191.
Weitere zwölf Trensen kommen als Einzelfunde hinzu (Bujack 1877, 661; Kulakov 2005, 70
Abb. 18a.), von denen sechs Exemplare durch
Wulff (1866 Nr. 6.) vermutlich aus dem spätheidnischen Aschenplatz geborgen wurden.
An gleicher Stelle sind bei den Grabungen in
den 1930er Jahren gemäß dem überlieferten
Plan (vgl. Abb. 29) weitere 14 Trensen geborgen worden.
Trensen lassen sich in zwei Hauptgattungen
trennen (Abb. 35). Zur ersten Gruppe gehören
Ringtrensen mit zwei- oder dreiteiligem Mittelstück, dessen Einzelelemente tordiert oder
einfach stabförmig gehalten sein können192
und deren Enden sich in der Mitte ösenartig
umschließen. Insbesondere die dreiteiligen
Trensen gelten als ausgesprochen baltisch
(Wróblewski 2006b, 142).
Die zweite Art weist Seitenstangen auf und
hat meist kugelförmige Abschlüsse auf den
schlichten eisernen Stangen193. Die Verbindung
zu den Zügeln wurde in diesem Fall durch
kleine Ringe oder durch rechteckige Platten
mit rechteckigem Riemendurchlass bewirkt.
Die Gebisse bestehen aus vierkantigen, in der
Mitte umgebogenen und schlaufenartig ineinandergreifenden Eisenstangen, auf welche an
den Außenseiten die Seitenstangen aufgesteckt
sche Forschungen sind Trensen für die Gräber K 2
und K 7 dokumentiert (Kulakov 2005, 59 Abb. 6.9).
191
von zur Mühlen 1975, 122 Nr. 3; 133 Nr. 48.
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 5, 14, 27, 41,
45–46, 48.
192
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 4, 6; Kulakov
2005, 70 Abb. 18.
193
sind. Den Abschluss bildet ein kleiner Ring
oder eine Öse. Trensen wurden überwiegend
aus Männergräbern geborgen, nur einmal ist
ein Exemplar einem Frauengrab zuzuordnen
(von zur Mühlen 1975, 123 Nr. 5), wenngleich
Engel (1935a, 112) betont, dass Steigbügel und
Trensen auch in Frauengräbern gefunden wurden. Ob weitere Trensenfunde aus Frauenbestattungen vorliegen, ist jedoch nicht bekannt.
B.5.4.2.4 Schnallen vom Pferdegeschirr
Ebenfalls zum Pferdezubehör ist eine Vielzahl
von eisernen Schnallen zu zählen. Von zur
Mühlen (1975, 120 Fundliste 51) rechnete 19
Schnallen zum Pferdegeschirr. Bis zu vier Exemplare haben sich in einem Grab befunden
(ebd.). Überwiegend sind die Schnallenrahmen rechteckig mit eingezogenen Seiten (Abb.
36), die dann fast regelhaft mit einem Paar
spitzbogiger Steigbügel vergesellschaftet sind.
Sie dürften zur Befestigung der Steigbügel gedient haben.
Für diese Schnallenform finden sich zahlreiche Entsprechungen in prussischen Gräbern
des Samlandes194. Kulakov (1994, 52) fasst sie
in seinem Typ 3K zusammen und datiert sie,
offenbar in Anlehnung an die Datierung des
Grabfundes von Kipitten, Kr. Bartenstein (Von
zur Mühlen 1975 Taf. 22 unten), durch GaerVgl. z.B. die Schnallen aus Nastrehnen, Kr. Fischhausen, Grab ohne Nummer (Gaerte 1929, 332 Abb.
267.d), Groß Ottenhagen, Kr. Wehlau, Grab 101B
(Ibsen/Skvorzov 2004, 434 Abb. 31, 3), Klincovka/
Wikiau (Irzekapinis), raj. Selenogradsk, Grab 67
(Kulakov 1994, Abb. 20), Kipitten, Kr. Bartenstein
(Von zur Mühlen 1975 Taf. 22 unten).
194
Das Gräberfeld
Abb. 36 Gräberfeld von Wiskiauten. Schnallen vom
Pferdegeschirr. 1 Grab ohne Nummer (von zur
Mühlen 1975, 197 Taf. 26). – 2 Grab ohne Nummer
(ebd. 227 Taf. 41, 9).
te (1929, 342) und Kleemann (1956, 117)195, ins
7. und 8. Jahrhundert. Gegen diese Beschränkung auf die späte Völkerwanderungszeit und
das beginnende Frühmittelalter sprechen weitere Funde. In Grab 101B von Groß Ottenhagen/Berezovka konnte die Zugehörigkeit zum
Pferdegeschirr einer rechteckigen Schnalle mit
eingezogenen Seiten durch die Fundlage eindeutig nachgewiesen werden (Ibsen/Skvorzov 2004, 433). Hier gehört das Stück zu einer
Bestattung des 10. oder 11. Jahrhunderts. Die
gleiche Schnallenform gehört auch in Birka
zum Pferdegeschirr und wird hier als „stundenglasförmig“ bezeichnet (Forsåker 1986,
132.). Sie kommt in einem breiten chronologischen Rahmen zwischen dem 7. und 11. Jahrhundert vor und lässt sich zeitlich nicht näher
eingrenzen.
Daneben kommen Schnallen mit halbrundem
Rahmen und rechteckiger Riemenkappe vor
(von zur Mühlen 1975, Taf. 34, 7; 43, 6.7), die
bei von zur Mühlen (ebd. 120 Fundliste 51)
ebenfalls dem Pferdegeschirr zugerechnet werden. Die Zuordnung anderer Schnallen zum
Pferdezubehör ist nicht eindeutig möglich, es
kann sich auch um Teile von Gürtelgarnituren
gehandelt haben.
B.5.4.2.5 Glocken und Schellen
Ebenfalls zum Pferdezubehör sind eiserne
Glocken zu rechnen, die für vier Gräber196
dokumentiert sind. Schwieriger fällt die Entscheidung, ob auch bronzene Glöckchen oder
Schellen zum Pferdegeschirr zu zählen sind,
Abweichend offenbar die Datierung von Heym
(1938) in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts (Von
zur Mühlen 1975, 47 Anm. 218).
195
196
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 3–4, 48, 74.
119
die mit 30 Exemplaren in 14 Bestattungen197
gefunden wurden. Lediglich zweimal (von
zur Mühlen 1975, 122 Nr. 2; 5) handelt es sich
um Frauengräber, in denen sonst keine Anzeichen auf Reitzubehör oder Pferdegeschirr
beobachtet wurden. Überwiegend sind sie aus
Männerbestattungen bekannt geworden, die
im Fall von Grabhügel 143 (ebd. 136 Nr. 64)
mit einer Pferdebestattung kombiniert war.
Die Funktion solcher Schellen ist offenbar regional stark unterschiedlich. Für Birka liegen
elf Nachweise aus ausschließlich Körpergräbern vor, die in der Hälfte der Fälle Kinderbestattungen bargen (Gräslund 1986, 120ff.).
Dort wurden sie vermutlich als Anhänger in
der Halsgegend getragen oder waren am Gewand festgenäht. Auf Gotland scheinen sie
vor allem in Frauengräbern als Anhänger an
Ketten getragen worden zu sein, die mit Fibeln
in Verbindung stehen könnten (ThunmarkNylén 2006, 220, 234). Östlich der Ostsee sind
sie als Anhänger in der Hals- und Brustgarnitur dokumentiert worden;198 dies gilt jedoch
als ausschließlich östliche Erscheinung, zu der
in Skandinavien keine Parallelen bekannt sind
(Gräslund 1986, 122). In einem Grab in Saltovo in der Ukraine sind sie am Gürtel befestigt
gewesen (Šramko 1962, Abb. 109:1). Im Samland wurde mehrfach die Zugehörigkeit zum
Pferdegeschirr nachgewiesen. So enthielten
die Gräber 15 (Kulakov 1994, 16 Abb. 4) und
45 von Klincovka/Wikiau (Irzekapinis) ein
vollständiges Kopfgeschirr eines Pferdes, bei
dem die Schellen laut Rekonstruktionszeichnung (vgl. ebd. 107 Abb. 55) am rechten und
linken Backenriemen gesessen haben bzw. im
Bereich der Mähne angebracht waren, in letzterem Falle übrigens mit einer eisernen Glocke
am Hals kombiniert.
Eisenschmidt (2004, 129f.) hält Schellenanhänger für ein Phänomen des 8.–10. Jahrhunderts. In Birka dagegen werden die Schellen
in die jüngere Birkastufe gesetzt (Gräslund
1986, 122). Die Gräber mit Schellenfunden von
Klincovka/Wikiau (Irzekapinis) gehören ins 11.
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 2–3, 5, 13, 16,
23, 33, 39, 48, 64, Taf. 56, 3; Kulakov 2005, 65 Abb.
14 (Grabhügel K 172); 71 Abb. 22, 16 (Grabhügel K
167/167).
197
Kivikovski 1973, Nr. 810; Tõnisson 1974, 124,
128; Gräslund 1986, 122; Thunmark-Nylén 2006,
220.
198
120
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Jahrhundert (vgl. z.B. Grab 4: Kulakov 1990, 73
Taf. 35, Grab 5a: ebd. Taf. 36). Gräber mit Schellenfunden in Wiskiauten lassen sich mit Ausnahme von einem Grabhügel ohne Nummer
(von zur Mühlen 1975, 125 Nr. 13), der in die
zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts eingeordnet
wird, allgemein ins 10. Jahrhundert datieren
(ebd. 122-140 Nr. 2, 5, 23, 33, 45, 48; Kulakov
2005, 75 [Grabhügel K 167/167]), wenngleich
Grabhügel K 172 nach Kulakov (ebd. 65) aufgrund der Schellenform in die erste Hälfte des
11. Jahrhunderts gehören soll.
B.5.4.3 Trachtgegenstände
Als Trachtgegenstände werden hier insbesondere die Fibeln angeführt, da sie chronologische Aussagen ermöglichen. Daneben fanden
sich auch Teile von Gürtelgarnituren, die jedoch nur in Form von Schnallen und wenigen
Riemenzungen überliefert sind.
B.5.4.3.1 Fibeln
Fibeln finden sich in Frauen- und Männerbestattungen. Im ersten Fall handelt es sich um
Schalenfibeln, Dosenfibeln, gleicharmige Fibeln, Rechteckfibeln, Gerätefibeln, eine Kleeblattfibel sowie eine zungenförmige Fibel, zu
Männerbestattungen sind Hufeisenfibeln zu
zählen.
B.5.4.3.1.1 Schalenfibeln
Das Typenspektrum der in weiblichen Bestattungen aufgefundenen Fibeln umfasst vor allem ovale Schalenfibeln. Es liegen Hinweise
auf 44 Exemplare vor. Sie sind in vier Bestattungen199 als Einzelstücke zutage getreten, in
19 Gräbern200 kommen sie paarweise vor, wobei es sich immer um zwei typenidentische
Stücke handelt. Zwei weitere Fibeln mit Typenangabe JP 37:3 und JP 42 nach Petersen
(1928), die im Formenschatz Wiskiautens ansonsten unbekannt sind, werden von Martens
(1996, 45) genannt. Es ist unklar, ob es sich um
eine eigene und daher eventuell abweichende
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 15, 19, 23 und
44.
199
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 2, 5–6, 11–12,
14, 21, 24, 27, 37, 38, 43, 46–47, 55, 80, 82; Kulakov
2005, 59 (Grabhügel K1); ein weiteres Schalenfibelpaar ist aus einer Archivalie von C. Engel aus
dem Nachlass von R. Grenz (ALM Schleswig) zu
erschließen.
200
Typeneinordnung des Autors handelt oder ob
bislang unbekannte Fibeln vorlagen. Fibeln der
Form JP 37 sind aus den Grabfunden bekannt,
so dass die Zuordnung zum Untertyp JP 37:3
nachträglich erfolgt sein und die entsprechende Fibel somit doppelt auftauchen könnte. Eine
Fibel der Form JP 42 allerdings gibt es sonst
nicht. Auch hier kann nur vermutet werden,
dass im Nachhinein die abweichende Ansprache einer Fibel vom Typ JP 43 erfolgte, die in
Wiskiauten belegt ist. Die beiden von Martens
genannten Fibeln werden aufgrund der großen Unsicherheit nicht berücksichtigt.
Es verbleiben also 42 Schalenfibeln, von denen 19 Exemplare201 dem Typ JP 51 (vgl. Abb.
37, 1; 38, 2.4) angehören. Siebenmal liegen sie
als Paar vor. 17 Exemplare202 entfallen auf den
Typ JP 52 (vgl. Abb. 37, 1; 38, 3), der achtmal
als Fibelpaar vertreten ist. Dieser Typ macht
also zusammen über 85 % der Schalenfibeln
aus Wiskiauten aus.
Die restlichen Fibelpaare der Formen JP 37203,
JP 43204, JP 48205 und JP 55206 verteilen sich auf
vier weitere Gräber. Zu den frühesten Formen
gehören die Fibeln JP 37, die von zur Mühlen
(1975, 22) dem Untertyp JP 37:4 bzw. JP 37:4-5
zuordnete und in den Zeitraum zwischen 850
und 950 datierte. Skibsted Klæsoe (1997, 112;
139) datiert das erste Auftauchen von Fibeln
dieser Form sogar in die erste Hälfte des 9.
Jahrhunderts.
Fibeln der Form JP 43 ordnete von zur Mühlen (1975, 22-23) ebenso wie Fibeln der Form
JP 48 und JP 51 der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts zu, während zuletzt Skibsted Klæsoe
(1997, 139) deren Auftreten bereits kurz vor der
Mitte des 9. Jahrhunderts betonte. Fibeln der
Form JP 52 sollen nach von zur Mühlen (1975,
23) dagegen schon der zweiten Hälfte des 10.
Jahrhunderts angehören, während sie neuerdings (Skibsted Klæsoe 1997, 139) zusammen
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 6, 12, 14–15,
19, 21, 24, 27, 44; ein weiteres Schalenfibelpaar erschließt sich aus einer Archivalie von C. Engel im
Nachlass von R. Grenz (ALM Schleswig).
201
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 11, 23, 37, 43,
46–47, 55, 80, 82.
202
203
von zur Mühlen 1975, 122 Nr. 2.
204
von zur Mühlen 1975, 123 Nr. 5.
205
von zur Mühlen 1975, 130 Nr. 38.
206
Kulakov 2005, 59.
Das Gräberfeld
121
Abb. 37 Gräberfeld von Wiskiauten, Schalenfibeln. 1 Fibel vom Typ JP 51 aus Grab 72 (von zur Mühlen
1975, 215 Taf. 35). – 2 Fibel vom Typ 52 aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 205, Taf. 30).
Abb. 38 Gräberfeld von Wiskiauten. Schalenfibeln. 1 Fibel vom Typ 48A (Heydeck 1900, Taf. 7). – 2 Fibel
vom Typ JP 51 aus einem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 193 Taf. 24). – 3 Fibel vom Typ JP
52 aus Grab 184 (ebd. 215 Taf. 35). – 4 Schalenfibel vom Typ JP 51 aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 201
Taf. 28).
mit Fibeln vom Typ JP 55 eher auf einen kurzen Zeitraum um die Jahrhundertmitte eingegrenzt werden. Demnach fallen über 95 % aller
Schalenfibeln ins 10. Jahrhundert, was gleichzeitig der Hauptbelegungsphase des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten entspricht (vgl.
Kap. B.6).
Da Schalenfibeln im Gegensatz zu Dosenfibeln,
die als rein gotländische Fibelart betrachtet
werden (Thunmark-Nylén 2006, 19), auf Gotland selten sind, dürfte die Masse der Frauen,
die im 10. Jahrhundert in Wiskiauten bestattet
wurden, aus festlandskandinavischen Gebieten stammen. Dabei gelingt es jedoch nicht,
nähere räumliche Eingrenzungen vorzunehmen. Schalenfibeln sind allgemein im ganzen
skandinavischen Raum vertreten und treten
südlich der Ostsee immer nur an den größeren,
mit Seehandel verbundenen Fundorten auf
(vgl. Abb. 39), wo sie als Anzeichen auf die Präsenz skandinavischer Frauen gewertet werden
(Kaland 1992, 192f.). Lediglich Gotland kann
aufgrund der seltenen Ausnahmen von Schalenfibeln in Bestattungen, mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit für die Trägerinnen dieser
Tracht ausgeschlossen werden. Allerdings finden sich in Wiskiauten auch Schalenfibeln in
Kombination mit typisch gotländischen Dosenfibeln.
122
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 39 Verbreitung wikingerzeitlicher Schalenfibeln in Noreuropa (nach Kaland 1992, 192 Abb. 1).
B.5.4.3.1.2 Dosenfibeln
Dosenfibeln liegen nur aus zwei Bestattungen
in Wiskiauten vor. Es handelt sich um ein Exemplar207 vom Typ 1 (Thunmark-Nylén 2006,
30) und ein zweites vom Typ 2a208 (ebd.). Beide Fibeltypen haben im späten Teil der Stufe
VIII:1 und in Stufe VIII:2 ihren Verbreitungsschwerpunkt (ebd. 85), was absolutchronologisch ungefähr mit dem 9. Jahrhundert für
Stufe VIII:1 und dem 10. Jahrhundert für Stufe
VIII:2 gleichzusetzen ist (ebd. 692). In Wiskiauten sind beide Dosenfibeln mit Schalenfibeln
der Formen JP 37 bzw. JP 43 vergesellschaftet. Ihre Datierung dürfte somit auf die zweite
Hälfte des 9. und die 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts einzugrenzen sein.
Durch die Kombination mit Gerätefibeln vom
Typ 1 nach Thunmark-Nylén (ebd. 238), der
auf Gotland in die Stufen VIII:2 und VIII:3-4
(ebd. 237) und somit absolutchronologisch
etwa in das 10. und 11. Jahrhundert (ebd. 692)
gehört und im 9. Jahrhundert nicht vorkommt,
dürften die Dosenfibeln von Wiskiauten in die
207
von zur Mühlen 1975, 122 Nr. 2; Taf. 3, 2.
208
von zur Mühlen 1975, 123 Nr. 5; Taf. 3, 1.
erste Hälfte des 10. Jahrhunderts gehören. Dosenfibeln sind, wie oben bereits erwähnt, eine
exklusiv gotländische Fibelform, die nur sehr
selten außerhalb Gotlands angetroffen wurde.
Die Trägerinnen der Dosenfibeln von Wiskiauten könnten daher Gotländerinnen gewesen
sein. Dagegen spricht vielleicht die Kombination mit Schalenfibeln, die eher auf festlandskandinavische Herkunft hinweisen209.
B.5.4.3.1.3 Gleicharmige Fibeln
Gleicharmige Fibeln sind aus zwei Bestattungen bekannt. Einmal liegt aus Grabhügel 181210
zusammen mit zwei Schalenfibeln vom Typ
JP 52 eine fragmentierte gleicharmige Fibel
mit nach innen gewandten Masken im Borrestil vor, die in einer guten Fotografie aus dem
Nachlass von H. Jankuhn (ALM Schleswig)
Zur Diskussion um die Kombination verschiedener Fibelntypen in Gräbern von Wiskiauten als
Ausdruck eines neuen Trachtmodells und die daraus abgeleitete Theorie eines Bezuges zu Grobin in
Lettland vgl. Kap. A.15; B.8.
209
210
von zur Mühlen 1975, 139 Nr. 80.
Das Gräberfeld
123
Abb. 40 Gräberfeld von Wiskiauten, Fibeln. 1 Gleicharmige Fibel aus Grab 44. – 2 Terslevfibel aus einem
Grab ohne Nummer. – 3 Gleicharmige Fibel aus Grab 181. 1-3 Fotos aus dem Nachlass von H. Jankuhn
(ALM Schleswig).
überliefert ist (vgl. hier Abb. 40, 3)211.
Das qualitätvolle Stück ist einem Fund von
Gotland aus Tofta212 sehr ähnlich (vgl. Thunmark-Nylén 1998, Taf. 75, 4). Es lässt sich dem
Typ P 72 nach Petersen (1928) bzw. dem Typ
SK 2 nach Skibsted Klæsoe (1997) zuweisen
und fällt damit in den Zeitraum von der Mitte
des 9. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts.
Ein Paar gleicharmiger Fibeln vom sog. „Ljønestyp“ nach Petersen (1928, 76ff. Fig. 58)
fand sich in Kombination mit einer Hufeisenfibel in Grab 44 (von zur Mühlen 1975, 257
Taf. 56, 4; hier Abb. 40, 1). Von zur Mühlen
(1975, 134 Nr. 53) vermutete hier, wohl aufgrund von Informationen Nermans (1932, 4),
ein „Frauengrab und Knabengrab“. Demnach stammt die Hufeisenfibel aus „SteinsetEin Fragment dieser Fibel befindet sich heute im
Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad. Es
wurde im Jahr 2000 von den russischen Archäologen A. Valujev und K. Skvorzov in „Fort Nr. III“ bei
Kaliningrad unter 30 000 Funden aus der ehemaligen Prussia-Sammlung entdeckt. Ein zweites Fragment wurde nach mündlicher Information von K.
Skvorzov (Kaliningrad) im Jahr 2008 auf dem Moskauer Schwarzmarkt identifiziert.
211
212
SHM 23180.
zung III“, einer gesonderten Bestattung. Die
beiden gleicharmigen Fibeln sind zusammen
mit einer als „Dosenschnalle“ (von zur Mühlen 1975, 138 Nr. 53) bezeichneten Gerätefibel
mit Kettengehänge, zahlreichen Perlen, einer
Schere und zwei Armringen in der zentralen
Bestattung „Steinsetzung A“ (ebd. 145 Taf.
56) aufgefunden worden. Es dürfte sich daher um ein Frauengrab handeln. Die beiden
gleicharmigen Fibeln wurden bereits von Kivikoski (1937, 236 Anm. 31), später durch von
zur Mühlen (1975, 82 Fundliste 10 a) dem von
Petersen (1928, 76ff. Fig. 58) benannten „Ljønestyp“ zugeordnet und in die erste Hälfte
des 9. Jahrhunderts datiert. Auch in Nermans
Grabungsbericht (Nerman 1932, 14) findet
sich diese zeitliche Einordnung des gesamten
Grabinventars. In der Typologie von Skibsted
Klæsoe (1997) findet das Stück aufgrund der
fehlenden Erhaltung des Ornamentes keine direkte Entsprechung. Lediglich die Form deutet
auf eine Zugehörigkeit zum Typ SK 1, der im
südlichen und östlichen Schweden sogar bereits ab dem Ende des 8. Jahrhunderts auftritt
und nur bis zum Beginn des 9. Jahrhunderts
läuft (ebd. 138). Mit der Gerätefibel, deren Datierungsschwerpunkt allerdings im 10. und
124
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
11. Jahrhundert liegt (Thunmark-Nylén (2006,
238), und den Armringen enthielt dieses Grab
nachweislich gotländische Elemente und kann
dementsprechend als Bestattung einer Gotländerin betrachtet werden, auch wenn das Verbreitungsbild der gleicharmigen Fibeln alleine
auf mittelschwedische Herkunft hindeutet (Kivikoski 1937, 236 Abb. 7; vgl. auch Riebau 1999,
36ff. Karte 1). Der Verbreitungsschwerpunkt
liegt in finnischem Gebiet und im östlichen
Schweden. Von zur Mühlen (1975, 25) sah in
den gleicharmigen Fibeln aus Wiskiauten daher eine erneute Bestätigung für die enge Verbindung zu Birka. Auch auf Gotland kommen
sie jedoch vor (Thunmark-Nylén 2006, 91). Gerätefibeln dagegen sind als exklusiv gotländische Trachtelemente anzusehen, da sie in der
Wikingerzeit bei einer überschaubaren Anzahl
von Ausnahmen auf diese Insel begrenzt bleiben (ebd. 234, 238).
B.5.4.3.1.4 Gerätefibeln
Aus Wiskiauten sind vier Exemplare von Gerätefibeln bekannt. Sie stammen aus vier Hügelgräbern213 und werden in von zur Mühlens
(1975, 122-140) Katalog der Gräber von Wiskiauten unter dem Begriff „Dosenschnallen“ geführt. Alle vier Exemplare gehören zum Typ 1
nach Thunmark-Nylén (2006, 238), der durch
einen hohen Rahmen und eine trapezförmige
Platte gekennzeichnet wird (ebd. 235). Sie lassen sich auf Gotland in die Stufen VIII:2 und
VIII:3-4 (ebd. 237) und somit absolutchronologisch etwa in das 10. und 11. Jahrhundert
(ebd. 692) einordnen. Gerätefibeln sind in
Wiskiauten dreimal mit Resten von Kettengehängen kombiniert, ebenfalls dreimal sind Dosenfibeln im gleichen Grab gefunden worden.
Zweimal214 kommt zusätzlich zur Gerätefibel
und zur Dosenfibel auch ein Paar ovaler Schalenfibeln vor.
B.5.4.3.1.5 Terslev-Fibel
Aus einem von Heydeck ausgegrabenen Hügelgrab ohne Nummer liegt eine silberne
Terslev-Fibel vor (von zur Mühlen 1975, 124
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 2, 5, 53 und
ein Exemplar, das zwar in von zur Mühlens (ebd.)
Katalog nicht unter der entsprechenden Nummer
aufgelistet ist, im Tafelteil aber dem Grab 51 zugeordnet wird (ebd. Taf. 3, 9).
213
214
von zur Mühlen 1975, 122 Nr. 2; 5.
Nr. 11 Taf. 25; vgl. auch Kleingärtner 2004,
338 Kat.-Nr. 55 mit Lit.; hier Abb. 40, 2). Eine
weitere soll im Jahr 2000 aus dem westlichen
Teil des Gräberfeldes geborgen worden sein
(Kleingärtner 2004, 337-338 Kat.-Nr. 52 mit
Verweis auf mündliche Information durch V.
I. Kulakov), die Fundumstände sind jedoch
unklar, das Stück ist nicht publiziert. Eine Imitation soll ebenfalls aus Wiskiauten stammen
(ebd. 345 Kat.-Nr. I-45). Es soll sich um einen
Grabfund handeln, zu dem jedoch keine weiteren Informationen bekannt sind. Somit lässt
sich nur das erste Exemplar dem Typ 4 nach
Kleingärtner (ebd. 277-278) zuordnen. Die
Fibel kann aufgrund der Beifunde eines Schalenfibelpaares der Form JP 52 in die Mitte des
10. Jahrhunderts oder in dessen zweite Hälfte
datiert werden. Sie dürfte Bezüge zu Birka zeigen, das unter anderem als Herstellungszentrum von Terslevschmuck angenommen wird
(ebd. 286).
B.5.4.3.1.6 Zungenfibel
Mit einem Paar Schalenfibeln vom Typ JP 52
vergesellschaftet fand sich eine Zungenfibel
mit Flechtbandornamentik (Abb. 41) in einem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen
1975, 130 Nr. 37 Taf. 4, 14). Das Stück wurde
von Wamers (1984) ausführlich behandelt215.
Ein fast identisches Exemplar, allerdings aus
Silber, stammt aus Salby, Dänemark. Wamers
(ebd. 95) nimmt trotz geringer Unterschiede an,
dass beide Fibeln mit dem gleichen Model gegossen wurden. Die Datierung der insgesamt
fünf Exemplare seiner Fundliste zu den „Fibeln mit Bandgeflecht (Typ Salby und andere)“
erfolgt über die Ritzung auf der Rückseite des
Fundes von Salby (ebd. 121-122 Kat. Nr. 23–27),
die auch das Wiskiautener Exemplar besitzt,
und die Kombination des letztgenannten Exemplars mit den Schalenfibeln vom Typ JP 52
in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts.
Die Fibeln sind in ihrer Verbreitung neben
Haithabu und Wiskiauten auf Dänemark und
die südlichen Bereiche von Norwegen und
Schweden begrenzt (Abb. 42). Schon von zur
Mühlen (1975, 24, 55) wollte darin einen deutlichen Hinweis auf die Anwesenheit dänischer
Wamers (1984, 122 Kat. Nr. 25) führt das Stück
unter der Grabnummer 7, da es das siebte, von
Heydeck (1900, 63 Nr. 7) im Jahr 1897 untersuchte
Grab war.
215
Das Gräberfeld
125
Abb. 41 Gräberfeld von Wiskiauten. Zungenfibel aus einem Grab ohne Nummer (Foto aus dem Nachlass
von H. Jankuhn (ALM Schleswig)).
Wikinger in Wiskiauten sehen, datierte das
Stück aber in die Jahre zwischen 1000 und
1050 (ders. 1944, 151).
B.5.4.3.1.7 Kleeblattfibeln
Nur zwei Kleeblattfibeln sind bisher aus Bestattungen in Wiskiauten geborgen worden.
Ein Exemplar entstammt dem Grabhügel K
128/146. Kulakov (2005, 76f. Abb. 25, 2) ordnete das Stück mit dem karolingischen Pflanzenornament den Fibeln der Gruppe 1 (Typ
JP 90-92) nach Hårdh (1984) zu und datierte
es aufgrund der Vergesellschaftung mit einem
„gotländischen“ Kamm mit bronzenen Griffleisten in den Zeitraum des 9. bis frühen 10. Jahrhunderts. In der Typologie von Maixner (2005)
entspricht der Fund am ehesten den Fibeln
vom Dekortyp P 4.5 (ebd. 32). Die zweite Kleeblattfibel, die als Zufallsfund, wahrscheinlich
aus Raubgrabungen stammend, zusammen
mit anderen Gegenständen dem Kaliningrader
Museum übergeben wurden und von Kulakov
(1996, 209–210 Abb. 2.2) ans Ende des 9. Jahrhunderts datiert wird, entspricht in Maixners
(2005) Typologie dem Dekortyp P 2.4, der nur
durch ein Exemplar aus Dänemark repräsentiert wird (ebd. 242 Kat.Nr. 27). Kleeblattfibeln
sind im Baltikum allgemein äußerst selten, im
ehemaligen Ostpreußen ist Wiskiauten dafür
bisher der einzige Fundplatz.
B.5.4.3.1.8 Hufeisenfibeln
Hufeisenfibeln zählen traditionell eher zur
Männertracht, wenngleich sie vereinzelt auch
in Frauengräbern gefunden wurden (Thunmark-Nylén 2006, 96). Aus 18 Gräbern216 sind
insgesamt 20 Exemplare zutage getreten. Für
zwei Gräber liegt der Hinweis auf zwei Exemplare vor (von zur Mühlen 1975, 85 Fundliste
12a, Inv.Nr. III, 257, 1196 und V, 171, 7971:3).
Meist findet sich in von zur Mühlens (ebd.)
Katalog nur der allgemeine Hinweis „Hufeisenfibel“, manchmal mit der Materialangabe
Bronze. Auch die anderen Exemplare sind vermutlich in allen Fällen als Bronzefibeln einzustufen, Hinweise auf andere Materialien liegen
nicht vor. Silber- oder Goldplattierung scheint
jedoch vorgekommen zu sein, was sich der Erwähnung von „6 größere[n] Fibelfragmente[n],
wovon 2 mit Silber, 1 mit Gold plattiert scheint“
(Bujack 1874, 82) unter anderen vom PrussiaMuseum erworbenen Einzelfunden entnehmen lässt.
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 8, 17–18, 26,
30, 42, 44–45, 48, 62, 64, 67–69, 79 sowie zwei bei
von zur Mühlen nicht katalogisierte Gräber (ebd.
85 Fundliste 12a, Inv.Nr. Pr.-M. III, 257, 1196; 2003.)
und ein Fund, der in der Inventarliste für ein Grab
ohne Nummer (ebd. 122 Nr. 4) nicht aufgeführt ist,
aber offenbar dorthin gehört (ebd. 85 Fundliste 12a,
Inv.Nr.Pr.-M. III, 87, 437:n).
216
126
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 42 Verbreitung wikingerzeitlicher Zungenfibeln in Nordeuropa (Wamers 1984, 73 Abb. 7).
Nur sechs Hufeisenfibeln217 sind im Tafelteil
bei von zur Mühlen (1975) abgebildet und
können deshalb typologisch eingeordnet werden. Zwei Fibeln218 gehören zur Gruppe der
Ringfibeln mit Tierköpfen. Einmal handelt es
sich um eine Fibel mit zurückblickenden Tierköpfen aus einem Grab ohne Nummer (Gaerte 1929, Abb. 283f.; von zur Mühlen 1975, 123
Nr. 8 Taf. 25 oben), die schon mehrfach in der
Literatur berücksichtigt wurde (Salmo 1956,
43; Müller-Wille 1988a; Thunmark-Nylén
von zur Mühlen 1975, Taf. 27; 40, 6.9; 41, 12; 42,
9; 34, 2.
217
von zur Mühlen 1975, 123 Nr. 8 Taf. 25 oben; 145
Taf. 56, 2.
218
2006,115). Sie gehört in der Typologie von
Thunmark-Nylén (ebd. 98) zum Typ 8a, den
Fibeln mit realistischen Tierköpfen, während
Carlsson (1988, 35) sie unter dem Typ DJU/
LE zusammenfasst. Diese Fibelform ist auf
Gotland relativ häufig (Müller-Wille 1988a,
742ff.; Thunmark-Nylén 2006, 105). Zusammenfassend kann der Fund als Vertreter einer
Fibelart beschrieben werden, die mit aufwendigen Männerbestattungen in Zusammenhang steht (Müller-Wille 1988a, 751). Sie ist
Bestandteil der aufgrund ihrer Verbreitung
gotländisch-uppländische Gruppe genannten
Fibeln (ebd.). Auf Gotland dürften zumindest
die gotländischen Exemplare hergestellt wor-
Das Gräberfeld
127
Abb. 43 Gräberfeld von Wiskiauten, Grab 51. Hufeisenfibel mit rückblickenden Tierköpfen. 1 Abbildung
bei von zur Mühlen (1975, 257 Taf. 56, 2). – 2–3 Zeichnungen der Fibel von H. Jankuhn (ALM Schleswig).
den sein (ebd.), dort könnten jedoch auch die
skandinavischen, finnischen und baltischen
sowie russischen Funde produziert worden
sein (Stenberger 1958, 73). Die Datierungsvorschläge weisen übereinstimmend in das
10. Jahrhundert (Müller-Wille 1988a, 742.;
Salmo 1956, 45, 82).
Die zweite Fibel mit Tierkopfenden aus Grab
51 (von zur Mühlen 1975, 145 Taf. 56, 2; hier
Abb. 43) repräsentiert die Form der Hufeisenfibeln mit stilisierten Tierköpfen, die dem Typ
8b nach Thunmark-Nylén (2006, 98) bzw. dem
Typ 9 bei Salmo (1956, 43ff.) entspricht. In
Carlssons (1988) Typologie gehört das Stück
zum Typ DJU/BA (ebd. 31). Das Material ist
unbekannt, es dürfte sich um Bronze gehandelt haben.
Diese Fibeln sind auf Gotland und im finnischbaltischen Gebiet außerordentlich häufig
(Müller-Wille 1988a, 751; Thunmark-Nylén
2006, 115), vor allem aus Litauen ist eine große
Anzahl bekannt (Thunmark-Nylén 2006, 116
mit Lit.). Während Nerman (1931, 171) die Fibeln von den Exemplaren mit löwenkopfförmigen Enden –Typ 8b nach Thunmark-Nylén
(2006, 98) – herleiten wollte und sie als gotländisch betrachtete, führten Salmo (1956, 82-83)
und Kivikoski (1973, 131) sie auf ostbaltische
Länder zurück und sahen in ihnen Erzeugnisse des ausklingenden 11. und 12. Jahrhunderts,
wenngleich in Litauen auch Exemplare aus
dem 13. Jahrhundert bekannt sind (Kivikovski
1964, 275; Müller-Wille 1988a, 752). Kulakov
(1994, 191) setzt das Aufkommen dieser Fibel-
form ins 12. Jahrhundert, wenngleich er sie in
seiner Chronologie-Tabelle (ebd. 33.2) für das
10. Jahrhundert abbildet. Den Fund aus Wiskiauten datiert er in die Zeit um 1000 (ders. 1989,
91 Abb. 4.5). Zu einer späteren Datierung passt
jedoch die Vergesellschaftung der Fibel aus
Grab 51 mit einer aus doppelten Ringgliedern
gefertigten Gerätekette, die auf Gotland erst in
Stufe VIII:4 und somit zwischen 1090 und 1200
aufkommt (Thunmark-Nylén 2006, 241; 692).
Das Vergesellschaftung mit einer Gerätefibel
vom Typ 1 nach Thunmark-Nylén (ebd. 235),
der in den Stufen VIII:2 bis VIII:4 (ebd. 237)
vorkommt, widerspricht der späten Datierung
nicht. Somit repräsentiert Grab 51 einen der
spätesten Grabfunde Wiskiautens und zeugt
von einer Nutzung der Hügelgräbernekropole
über das bislang vermutete Belegungsende in
der Mitte des 11. Jahrhunderts hinaus. Ketten
mit doppelten Ringliedern sind übrigens in
Birka nicht vertreten (ebd. 242), was vorsichtig
als Hinweis auf gotländische Herkunft der in
Grab 51 bestatteten Frau zu werten ist.
Die anderen fünf Hufeisenfibeln aus Wiskiauten gliedern sich in zwei Typen: zum einen
kommen Fibeln mit facettierten Endknöpfen
vor, die von zur Mühlen (1975, 29) „Fibeln mit
Stollenenden“ nennt219 (Abb. 44, 1-4). In einem
Diese Benennung lässt sich der Besprechung eines Schwertes vom Typ K (von zur Mühlen 1975,
29) entnehmen, wonach eine „Hufeisenfibel mit
Stollenenden“ im gleichen Grab gefunden worden
sein soll. Der Komplex ist im Abbildungsteil überliefert (ebd. Taf. 36). Dort ist deutlich eine Hufeisen219
128
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 44 Gräberfeld von Wiskiauten, Hufeisenfibeln. 1 Grab ohne Nummer. – 2 Grab ohne Nummer. – 3
Grab ohne Nummer. 4 Grab ohne Nummer. 5 Grab ohne Nummer (1, 3-5: Fotos aus dem Nachlass von H.
Jankuhn (ALM Schleswig); 2: von zur Mühlen 1975, 227 Taf. 41, 12). Kein einheitlicher Maßstab.
Fall (ebd. 137 Nr. 68, 9) lässt sich das Stück
über die Beschreibung „Stollenende“ dem
Typ 7 nach Salmo (1956, 30ff.), dem Typ RVFE
nach Žulkus (1997, 167ff.), dem Typ FAC:S
nach Carlsson (1988, 19) bzw. dem Typ 2 nach
Thunmark-Nylén (2006, 97) zuweisen. Weitere zwei Hufeisenfibeln können als Einzelfunde angeführt werden (Bujack 1877, 661-662).
Die Beschreibung der einen Hufeisenfibel und
besonders ihrer „Endstücke mit würfelförmigen Aufsätzen, deren Ecken abgestumpft sind“
(ebd. 661) erlaubt ebenfalls die Zuordnung
zum Typ 2 nach Thunmark-Nylén (2006, 97).
Das zweite Stück soll aus „vier Bronzedrähten geflochten“ gewesen sein (Bujack 1877,
661). Diese für Fibeln ziemlich ungewöhnliche
Konstruktion deutet eher auf einen Arm- oder
Halsring hin.
Zur zweiten in Wiskiauten vorkommenden Fibelform zählen Hufeisenfibeln, die mit je zwei
quadratischen Platten mit geraden Rändern auf
trichterförmigen Bügelabschlüssen ausgestattet sind. Sie entsprechen den Fibeln mit trichterförmigen Enden vom Typ 10 nach Salmo
(1956, 46ff.), dem Typ RVTE nach Žulkus (1997,
174), der Gruppe TRA nach Carlsson (1988, 23)
bzw. dem Typ 3a nach Thunmark-Nylén (2006,
97). Eine weitere, bei von zur Mühlen nicht abgebildete, jedoch erwähnte Fibel aus Grab 143
(von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 64) soll nach
Thunmark-Nylén (2006, 112 Anm. 295) zum
Typ 3b gehören. Kulakov (1989, 87 Abb. 4, 3;
hier Abb. 45) bildet das Stück zusammen mit
den anderen Gegenständen dieses Grabes ab.
Ein ähnliches Exemplar ist im Nachlaß von H.
Jankuhn (ALM Schleswig) bei den Funden aus
fibel mit facettierten Enden zu erkennen.
Wiskiauten abgedruckt220 (Abb. 44, 5). Die Zuordnung zu Wiskiauten ist nicht gesichert.
Die Verbreitung der Fibeln vom Typ 2 ist östlich geprägt. In Schweden weist nur Birka eine
größere Anzahl auf (Thunmark-Nylén 2006,
111 Anm. 260). Besonders in Finnland und auf
russischem Gebiet in der Gegend von Ladoga
sowie im Ostbaltikum ist der Typ zahlreich
vertreten (Salmo 1956, 33ff.; Žulkus 1997, 168;
Thunmark-Nylén 2006, 111). Die beiden Exemplare aus Wiskiauten und eines aus Linkuhnen
stellen im ehemaligen Ostpreußen die einzigen
Belege dar. Auf Gotland ist der Typ ungemein
häufig, so dass von Ģinters (1984, 29f.; vgl.
auch Müller-Wille 1988a, 760) eine Produktion dieser Fibeln nach östlichen Vorbildern
angenommen wird. Auf Gotland finden sich
sowohl Fibeln vom Typ 2 als auch vom Typ 3
vornehmlich in Gräbern der Stufen VIII:2 und
dem älteren Teil der Stufe VIII:3 (ThunmarkNylén 2006, 108), was absolutchronologisch
dem Zeitraum zwischen der zweiten Hälfte des
10. und der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts
entspricht (ebd. 92). Salmo (1956, 35) führt die
ältesten Vertreter ins frühe 9. Jahrhundert zurück, im 9. und 10. Jahrhundert sei diese Fibelform allgemein verbreitet221. Die Wiskiautener
Gräber mit den Hufeisenfibeln vom Typ 2 sollen alle dem 10. Jahrhundert angehören (von
zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 17–18, 69). Hufeisenfibeln vom Typ 3 sind ähnlich wie Fibeln
vom Typ 2 ebenfalls hauptsächlich in östlichen
Der Fund ist hier mit der Prussia-Inventarnummer III, 104, 941 zitiert. In von zur Mühlens (1975)
Katalog ist ein Grab mit dieser Bezeichnung nicht
vorhanden.
220
vgl. auch Ģinters 1984, 27ff; Müller-Wille
1988a, 759; Žulkus 1997, 169.
221
Das Gräberfeld
Abb. 45 Gräberfeld von Wiskiauten, Grab 143, Hufeisenfibel (Kulakov 1989, 87 Abb. 4, 3).
Gebieten verbreitet, in skandinavischen Regionen bleiben sie abgesehen von Funden aus Birka und von Gotland selten (Thunmark-Nylén
2006, 100; 112). Die zeitliche Einordnung entspricht denen der Fibeln vom Typ 2. In Wiskiauten stammen sie aus Gräbern, die ins 10.
Jahrhundert datiert werden (von zur Mühlen
1975, 131 Nr. 42; 133 Nr. 48).
B.5.4.3.1.9 Weitere Fibeln
Eine rautenförmige Fibel mit Durchbruchsmuster (Abb. 46, 2) aus der Gruppe der Rechteckfibeln soll aus Hügelgrab 44 (von zur Mühlen
1975, 80 Fundliste 9, Taf. 4, 2) geborgen worden
sein, ist aber in von zur Mühlens (ebd. 134 Nr.
53) Gräberkatalog unter dieser Grabnummer
nicht verzeichnet. Das Stück ist insofern besonders interessant, als es einen offenbar lokalen Charakter trägt. Fibeln dieser Form sind
vor allem aus den Gräberfeldern im Memelgebiet bekannt, weitere Analogien stammen aus
Elbing-Neustädterfeld (ebd. 80-81 Fundliste 9).
Auch aus Litauen und Lettland sind einzelne
Exemplare bekannt.
Sehr schwierig zu beurteilen ist eine „vierseitige Fibel“ aus einem Grab ohne Nummer (von
zur Mühlen 1975, 131 Nr. 43, 5), die bislang
nur durch ein schlechtes Foto überliefert war
(ebd. Taf. 42, 7). Eine bessere Abbildung hat
im Nachlass von H. Jankuhn (ALM Schleswig)
überdauert (Abb. 46, 1). Demnach handelt es
sich um ein filigran- und granulationsverziertes Objekt, zu dem sich keine Analogien auf-
129
zeigen lassen. In der Abbildung bei von zur
Mühlen (ebd. Taf. 42, 7) ist unter der vermeintlichen Fibel ein Ring zu sehen, auf den die Fibel aufgesetzt scheint. Er fehlt auf dem Foto
aus dem Nachlass Jankuhn oder ist dort aufgrund der Perspektive nicht zu sehen. Dieser
Ring könnte auf eine Deutung als Ringnadelfragment oder auf ein Ohrgehänge hinweisen.
Jedenfalls scheint die Ansprache als Fibel sehr
unsicher. Eine grobe Datierung ins 10. Jahrhundert ergibt sich über die Beifunde der filigranverzierten Anhänger und Perlen, die sich
im gleichen Grab gefunden haben, sowie aus
der Filigranverzierung des Fundes selbst.
Aus einem Männergrab mit der Nummer 151a
(von zur Mühlen 1975, 137 Nr. 69) stammt
eine Armbrustfibel (Abb. 46, 3), die mit einer
Hufeisenfibel mit facettierten Enden vom Typ
2 nach Thunmark-Nylén (2006, 97), einem
Schwert vom Typ K nach Petersen (1928),
zwei Lanzenspitzen vom Typ E nach Petersen (ebd.) und einem Messer vergesellschaftet
war (vgl. von zur Mühlen 1975, 217 Taf. 36).
Nach von zur Mühlen (ebd. 137 Nr. 69) soll es
sich um ein Hügelgrab gehandelt haben, eine
Angabe, die bei näherer Prüfung als falsch eingestuft werden muss. Der Grabfund soll beim
Stubbenroden im Herbst 1930 gemacht worden sein und ist nach mehreren überlieferten
Zeitungsberichten (ALM Schleswig) als Flachgrab einzustufen. Das Stück findet Entsprechungen in einer Gruppe von litauischen und
finnischen Fibeln, die Åberg (1919, 145) als
Weiterentwicklung der germanischen Prachtfibeln mit schmalem Tierkopffuß betrachtet.
Insbesondere das Exemplar aus Oberhof/
Aukštkiemiai im heutigen Litauen (ebd. 144
Abb. 200) ist mit dem Wiskiautener Stück nahezu identisch. Wróblewski (2006a, 141) stuft
den Fund als baltische Produktion ein. Fibeln
dieser Form sind bis in die Wikingerzeit hinein
belegt (Kemke 1914, 56; Åberg 1919, 145).
B.5.4.3.2 Gürtelzubehör
Das Gürtelzubehör ist in Schnallen und Riemenzungen zu untergliedern.
B.5.4.3.2.1 Schnallen
Hinweise auf Gürtelbestandteile liegen durch
die allgemeine Angabe „Bronzeschnalle“ in
insgesamt acht Gräbern222 von Wiskiauten vor,
222
von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 16, 37 (vgl.
130
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 46 Gräberfeld von Wiskiauten, verschiedene Fibeln. 1 Silberne Fibel (?) aus einem Grab ohne Nummer (Foto aus dem Nachlaß von H. Jankuhn (ALM Schleswig). – 2 Rautenförmige Fibel aus Grab 44 (von
zur Mühlen 1975, 153 Taf. 4, 2). – 3 Armbrustfibel aus Grab 151a (ebd. 217, Taf. 36).
dreimal ist lediglich eine „Eisenschnalle“223,
einmal ist nur eine „Schnalle“ ohne Angaben
des Materials überliefert (Kulakov 2005, 59,
Hügel K5), einmal eine „Rundschnalle“ (von
zur Mühlen 1975, 132 Nr. 46). Zwei „Ringschnallen mit rautenförmigem Querschnitt“
stammen aus einem Grab ohne Nummer (ebd.
124 Nr. 11) und zwei „Bronzeschnallen“ aus
Hügelgrab 145 (ebd. 132 Nr. 45). Aus zwei weiteren Gräbern (ebd. 133 Nr. 48; 138 Nr. 78) liegen Hinweise auf je drei Bronzeschnallen vor.
Eine Abbildung findet sich nur zu einer kleinen Schnalle mit rechteckigem Rahmen aus
Grabhügel K 167/167 (Kulakov 2005, Abb. 21,
53), sowie zu zwei ringförmigen Schnallen mit
rautenförmigem Querschnitt (von zur Mühlen 1975, Taf. 39, 10.11). Darüber hinaus lassen
sich aus 25 Gräbern weitere Funde anführen,
die nur allgemein als „Schnallen“ bezeichnet
sind und zu einfachen Gürtelgarnituren zu gehören scheinen, hier aber nicht weiter besprochen werden sollen.
B.5.4.3.2.2 Riemenzungen
Aussagekräftiger sind Riemenzungen, besonders die beiden Exemplare aus einem Grab
ohne Nummer (von zur Mühlen 133 Nr. 49
Taf. 43, 14) und aus Grabhügel 174 (ebd. 138
Nr. 78 Taf. 44, 4). Sie lassen sich dem Typ 2
Abb. bei Heydeck 1900, Taf. VIII, 5), 49–50, 56, 64,
68; Kulakov 2005, 59 (Hügel K1).
von zur Mühlen 1975, 125 Nr. 16; Kulakov 2005,
71 Abb. 21, 53 (Hgl. K167/167); 66 (Hügel K 174).
223
nach Thunmark-Nylén (2006, 135) zuordnen,
der auf Gotland in die Übergangszeit von Stufe VIII:2 zu VIII:3 datiert wird (ebd. 145) und
dementsprechend in die erste Hälfte des 10.
Jahrhundert eingeordnet werden kann (vgl.
ebd. 692). Neben den beiden Riemenzungen
aus Wiskiauten und einem norwegischen
Stück scheint das Vorkommen von Funden
dieser Form auf Gotland begrenzt zu bleiben
(ebd. 149). Das Exemplar aus dem Grab ohne
Nummer (von zur Mühlen 1975, 133 Nr. 49
Taf. 43, 14) wird von Thunmark-Nylén (2006,
147) zusammen mit vier weiteren Riemenzungen, die nicht näher beschrieben sind, und vor
allem 33 spiralförmigen Bronzeröhrchen als
Gürtel mit Prunkquaste gedeutet. Solche Gürtel sind auch aus Lettland, Litauen, Estland,
Finnland und Ostpreußen bekannt, fehlen dagegen in Birka. Aufgrund der limitierten Verbreitung dieses Typs 2 dürfte das Exemplar in
Wiskiauten aus Gotland stammen.
Eine Riemenzunge vom Typ 1 nach Thunmark-Nylén (2006, 135) liegt aus einem weiteren Grab ohne Nummer von Wiskiauten vor
(von zur Mühlen 1975, 125 Nr. 17 Taf. 40, 7).
Vertreter dieser Form sind außerhalb Gotlands
– abgesehen von Finnland (Kivikoski 1973, 119)
und Lettland, wenigen Exemplaren aus Birka
sowie einzelnen Vertretern aus Estland, Litauen und Ostpreußen – äußerst selten (Thunmark-Nylén 2006, 149). Auf Gotland werden
sie meist in Kombination mit Schnallen vom
Typ 1 angetroffen, deren Vorkommen in die
Das Gräberfeld
131
Abb. 47 Gräberfeld von Wiskauten, Keramikgefäße. 1 Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 187 Taf.
21, 4). – 2 Grab ohne Nummer (ebd. Taf. 21, 7). – 3 Grab 163 (ebd. 185, Taf. 20, 2).
Stufen VIII:2 und VIII: 3 (ebd. 145) und somit
ins 9.–11. Jahrhundert (ebd. 692) gesetzt werden kann. Dabei sollen die Exemplare, deren
Enden wie beim Stück aus Wiskiauten nach
unten hin deutlich schmaler werden, die typologisch jüngere Variante sein (ebd. 136).
Weitere Riemenzungen sind aus mehreren
Wiskiautener Gräbern bekannt, lassen sich
aber aufgrund schlechter oder fehlender
Abbildungen nicht näher beschreiben. Ein
„Riemensenkel“(Agde 1936) wurde in einem
Grab ohne Nummer gefunden. Ein einfaches
eisernes Exemplar stammt aus Grabhügel K
128/146 (Kulakov 2005, 76 Abb. 25.8). In Grabhügel K 174 legte Kulakov (ebd. 65-67 Abb.
15b, 1.2.5) zwei bronzene Riemenzungen und
drei Gürtelbeschläge frei.
Eine besonders qualitätvolle Riemenzunge
stammt aus einem unbekannten Grab von
Wiskiauten. Das silberne, vergoldete Exemplar, das sich unter den wiederentdeckten
Funden aus Fort Nr. III bei Kaliningrad befand und heute im Museum für Geschichte
und Kunst Kaliningrad ausgestellt ist, konnte
durch K. Skvorzov durch eine Archivalie von
K. Voigtmann im Berliner Prussia-Archiv224
eindeutig dem Gräberfeld von Wiskiauten
zugewiesen werden. Es handelt sich um eine
im Borrestil verzierte, offenbar umgearbeitete
oder reparierte Riemenzunge mit verschliffenem Tierkopfabschluss, die acht nachträglich
angebrachte Löcher aufweist. Besonders inter224
SMB-PK/PM-A IXc1.
essant ist die Rückseite mit einer eingeritzten
Maske, die analog zu einer Darstellung auf
der Rückseite der Zungenfibel aus einem Grab
ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 130 Nr.
37 Taf. 4, 14; zur Abb. auf der Rückseite vgl.
Heydeck 1900 Taf. 8, 3) und vergleichbaren
Fibeln aus Dänemark (Wamers 1984, 95) als
Besitzermarke oder apotropäische Darstellung
gedeutet werden kann. Die Ritzung scheint
durch das Abschneiden der ursprünglich wohl
längeren Riemenzunge nur zum Teil erhalten
zu sein. Die Riemenzunge ist vermutlich im 9.
oder 10. Jahrhundert hergestellt, dürfte aber
aufgrund der Umarbeitung und somit sekundären Nutzung nicht vor dem 10. Jahrhundert
in die zugehörige Bestattung gelangt sein.
B.5.4.4 Keramik
Für sechs Gräber stellt von zur Mühlens (1975)
Katalog ein Keramikgefäß vor (ebd. 122-140 Nr.
33, 39, 43225, 45226, 52, 70227, 73, 84). Weitere Gefäße sind im Tafelteil abgebildet (ebd. Taf. 20,
3; 21, 2.5; 46, 1-3), fehlen jedoch im Gräberkatalog. Sie sind daher nicht sicher als Grabfunde
anzusprechen, wenngleich die Wahrscheinlichkeit groß ist, da komplette Gefäße kaum
225
vgl. von zur Mühlen 1975, Taf. 21, 4 oder 21, 7.
226
vgl. von zur Mühlen 1975, Taf. 21, 4 oder 21, 7.
Das Gefäß aus diesem Grab ist nicht in der Inventarliste erwähnt, in der Beschreibung von Tafel
20, 2 (von zur Mühlen 1975, 143) wird das dortige
Gefäß aber dem Hügel 163 zugewiesen.
227
132
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
als Einzelfunde auftreten. Von zur Mühlen
(ebd. 50) selbst spricht nur von insgesamt acht
Keramikgefäßen, die abgesehen von „einer geringen Anzahl unverzierter Scherben“ bis 1939
aus den Hügelgräbern Wiskiautens geborgen
worden sein sollen. Ein Gefäß aus Grab 170a228
wurde offenbar als Urne genutzt, wie die darin
aufgefundenen verbrannten Knochen belegen.
Für die anderen Gefäßbeigaben kann diese
Verwendung nur vermutet werden. Aber auch
Interpretationen als Behälter für Speisebeigaben oder aber als Trinkgeschirr sind denkbar, wenn man von zur Mühlens (ebd. 49)
Beschreibung als „kleine, unverzierte Gefäße
einfacher Becherform“ in dieser Richtung deuten will.
Abgesehen vom Gefäß aus Grab 163 (Abb. 47,
3) handelt es sich um handgemachte Keramik
(vgl. Abb. 47, 1-2) bauchiger Form mit senkrechtem oder leicht ausladendem Profil. Als
Verzierung kommen lediglich Fingereindrücke auf dem Rand vor (vgl. Abb. 47, 1).
Einzelne Scherben hingegen sind wesentlich
häufiger belegt. Immerhin zehn229 bis 1945
und sieben230 nach1945 freigelegte Bestattungen enthielten Bruchstücke von Keramik, die
sich aber auch hier nicht zu kompletten Gefäßen zusammenfügen ließen. Vielmehr scheint
es sich tatsächlich um einzelne Scherben, offenbar auch von verschiedenen Gefäßen (Kulakov 2005, 71), gehandelt zu haben, die als
Bruchstücke ins Grab gelangten. Sie werden
als Opferreste gedeutet (ebd. 75). Dabei ist
unklar, woher die Scherben stammen: von
auf den Scheiterhaufen mitverbrannten Gefäßen, von unverbrannten Gefäßen, die während
des Bestattungszeremoniells geopfert wurden
oder in sonstiger Weise Teil des Bestattungsrituals waren, oder von Keramikgefäßen, die in
Zusammenhang mit der eigentlichen Grablege
mit Füllerde des Grabes an ihren späteren Auffindungssort gelangten.
In den meisten Fällen scheint es sich um handgemachte Gefäße mit geraden Standböden bei
krukenartiger oder doppelkonischer Form mit
Entspricht in von zur Mühlens (1975, 137) Katalog der Grabnummer 73.
228
Von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 1, 33, 37, 52,
64, 68, 74–76, 78.
229
Kulakov 2005, Gräber K I, III, 3, 172, 174, 167/167,
128/146.
230
schwach ausladenden Rändern gehandelt zu
haben (vgl. von zur Mühlen 1975, Taf. 21, 4-7;
46, 1), seltener um kleine, kumpfartige Gefäße (vgl. ebd. Taf. 46, 2.3)231. Sie sind unverziert,
lediglich der Rand scheint in einigen Fällen
durch einfache Einkerbungen verziert zu sein
(vgl. ebd. Taf. 20, 3; 21, 4.6; 46, 1). Wegen dieser Einfachheit beschrieben Engel (1935a, 112)
und von zur Mühlen (1975, 49) die in der
Kaup gefundenen Gefäße als Keramik, die sich
wenig von der unansehnlichen einheimischen
Tonware unterscheide.
Ein Gefäß (von zur Mühlen 1975, Taf. 20, 3)
weist bei doppelkonischer Form eine Reihe
von kleinen dreieckigen Einstichen auf dem
Gefäßumbruch auf, die vermutlich unsorgfältig mit einem Töpferkamm angebracht sind.
Am Rand sind, wie bei mehreren anderen Gefäßen, kleine Einkerbungen angebracht. Von
zur Mühlens (ebd. 50) Versuch, durch die Verzierung auf dem Bauch des Gefäßes aufgrund
eines ähnlich verzierten Keramikgefäßes aus
Seeland Beziehungen nach Dänemark herzustellen, scheint aufgrund der geringen Anzahl
von nur zwei Gefäßen etwas weit gegriffen.
Die Übertragung dieser These auf zwei ähnliche Tongefäße aus Ekritten (ebd. Taf. 20, 5.6)
kann auch umgekehrt zu deuten sein, da im
Samland mit drei Gefäßen gegenüber einem
einzelnen Fund aus Seeland ein deutliches
Übergewicht zugunsten der ostpreußischen
Gräberfelder zu erkennen ist.
Ein sehr interessantes Keramikgefäß liegt aus
Hügelgrab 163 vor (vgl. ebd. 49 Taf. 20, 2). Es
handelt sich um ein großes, bauchiges Gefäß
mit geradem Boden und kurzem Hals sowie
weit ausladendem, stark profiliertem Rand,
das größtenteils mit umlaufenden Rillen versehen ist. Nur im Halsbereich ist das Rillenornament durch ein Wellenband ersetzt. Das
untere Gefäßdrittel bleibt verzierungsfrei. Von
zur Mühlen (ebd. 49) erwähnte zahlreiche
Vergleiche aus Ostpreußen. Die Keramik erinnert stark an slawische Gurtfurchenware und
dürfte frühestens ins 11. Jahrhundert zu datieren sein, eventuell sogar erst dem 12. oder
Die beiden letztgenannten Gefäße befinden sich
mit einem weiteren im Muzeum Warmii i Mazur in
Olsztyn, Polen. Für die Genehmigung zur Einsichtnahme ins Museumsarchiv und die Zusendung der
Zeichnungen danke ich Dr. M. Hoffmann und Dr. J.
Sobieraj (Olsztyn).
231
Das Gräberfeld
133
Abb. 48 Gräberfeld von Wiskiauten, Kette mit Silberfiligrananhängern, kufischen Münzen und silbernen
Perlen aus einem Grab ohne Nummer (Foto aus dem Nachlass von H. Jankuhn (ALM Schleswig).
13. Jahrhundert angehören. Das Gefäß stammt
aus dem ohnehin außergewöhnlichen Hügelgrab 163 mit der Massenbestattung von mehreren Personen im Randbereich des Hügels.
Sollte das Gefäß tatsächlich als Grabbeigabe
aufzufassen sein, so würde es eine späte Belegung des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten
belegen, die vermutlich über die Mitte des 11.
Jahrhunderts hinausgeht.
B.5.4.5 Sonstige Beigaben
Aus den Hügelgräbern von Wiskiauten ist eine
große Anzahl weiterer Funde geborgen worden. So sind Perlen aus Silber, Glas, Bergkristall
und Karneol (Engel 1935a, 111), Silbermünzen, meist als Anhänger umgearbeitet (Abb.
48), scheibenförmige filigranverzierte Anhänger aus Silber, Lunula-Anhänger, Schlüssel,
Gewichte, Waagenfragmente, Wetzsteine, Arbeitsgeräte wie Scheren oder Pfrieme und etliche weitere Kleinfunde bekannt, die jedoch
kaum mehr chronologischen Aussagewert haben als die bereits besprochenen Gegenstände
der Bewaffnung, des Reitzubehörs oder der
Tracht. Selbst die arabischen Münzen sind zu
lange im Umlauf gewesen und sogar sekundär als Schmuck verwendet worden, als dass
sie für die Datierung der Wiskiautener Gräber
bessere Anhaltspunkte liefern könnten als die
bereits besprochenen Artefakte. Sie werden an
dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt, ohne jeden einzelnen Fund detailliert
zu erläutern. Dennoch soll auf einige herausragende Funde hingewiesen werden, da ihnen
für die Fragestellung relevante Informationen
zu entnehmen sind. Dazu sind die sogenannten Hansaschüsseln, Kämme und ein Anhänger mit einer stilisierten Reiterfigur zu zählen.
Offenbar durch christliche Einflüsse geprägt
enthalten viele skandinavische Gräbern bronzene Schüsseln auf, auch als „Hansaschüsseln“
bezeichnet, die als Taufbecken oder Waschschüsseln oder einfach als Bestandteile des
Trinkgeschirrs interpretiert werden (Müller
1998, 324ff.). Aus Wiskiauten liegen Hinweise
auf fünf Schalen vor. Von zur Mühlen (1975)
kannte offenbar nur drei Exemplare (ebd. 123
Nr. 7; 132 Nr. 47; 133 Nr. 48). Zwei weitere Funde werden bei Bujack (1876a, 279-280; 1876b,
687) erwähnt. Auch in anderen Gräberfeldern
des Samlandes kommen die Schalen relativ
zahlreich vor (Müller 1998, 318), teilweise
wurde sogar eine Herstellung im Samland diskutiert (Poklewski 1961, 55ff.). Poklewski (ebd.
89-90 Kat.Nr. 57-59) kennt aus Wiskiauten nur
drei Exemplare aus den bei von zur Mühlen
(1975, 123 Nr. 7; 132 Nr. 47) angeführten Gräbern ohne Nummer sowie einem weiteren
Fund, bei dem keine Zuordnung zu einem
bestimmten Grabkomplex gelingt. Während
zwei Bronzeschalen dem Typ VI nach Poklewski (1961) angehören und in den Zeitraum
des 11.–13. Jahrhunderts datiert werden (ebd.
1961, 89-90 Kat.Nr. 58.59; Müller 1998, 313),
134
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 49 Wiskiauten. Grab 144b. Kamm mit bronzenen Griffschalen. Zeichnung von H. Jankuhn (ALM
Schleswig).
gehört das dritte Exemplar vom Typ III nach
Poklewski (1961) offenbar in die erste Hälfte
des 13. Jahrhunderts (ebd. 89 Kat.Nr. 57). Hierbei könnte es sich um das bereits von Bujack
(1876b, 687) erwähnte Stück handeln, das jedoch aus Ankäufen der Prussia-Gesellschaft
stammt und somit nicht sicher den Hügelgräbern in der Kaup zuzuordnen ist. Es ist auch
denkbar, dass es von einem prussischen Bestattungsplatz in der Umgebung der Kaup geborgen wurde, so etwa dem spätheidnischen
Aschenplatz oder dem Gräberfeld von Friedrichshof. Als Hinweis auf späte Bestattungen
in der Kaup kann dieser Fund nicht gewertet
werden. Insgesamt betrachtet weisen die Funde von Bronzeschalen aus Wiskiauten jedoch
darauf hin, dass einige der in den Hügelgräbern bestatteten Personen Christen gewesen
sein könnten.
Kämme aus Horn oder Knochen sind für acht
Gräber mit zehn Exemplaren belegt232. Besonders erwähnenswert sind zwei weitere Kämme,
die mit bronzenen Griffleisten versehen gewesen sind. Es handelt sich um ein gut erhaltenes
Stück mit Flechtbandmuster aus dem von V. I.
Kulakov ausgegrabenen Grabhügel K 128/146
(Kulakov 2005, 76 Abb. 25, 3) sowie ein gleichartiges Exemplar aus dem vor 1945 gegrabenen Hügel 144b (von zur Mühlen 1975, 136
Nr. 67). Auch die Griffschalen diesen zweiten
Kammes sind mit einem Flechtbandornament
versehen gewesen, wie eine überlieferte ZeichGrab 43 (von zur Mühlen 1975, 134 Nr. 52),
Grab 72 (ebd. 134 Nr. 55), Grab 174 (ebd. 138 Nr.
78), Grab K2 (Kulakov 2005, 59 Abb. 6), Grab K 175
(2 Exempl.; ebd. 68), Grab K 167/167 (ebd. 71), Grab
192 (Ohne Verfasser 1935; Agde 1936) sowie ein
Grab ohne Nummer (Heydeck 1879, 26).
232
nung aus dem Nachlass von Herbert Jankuhn
(Abb. 49) zeigt.
Das Hauptvorkommen dieser Kämme (vgl.
Abb. 50), die, abgesehen von den Wiskiautener Funden, mit 25 Exemplaren an 13 Fundorten233 (Meier 1994, 155-156) belegt sind, liegt in
Haithabu und auf Gotland. In Haithabu sind
neben elf Bronzekämmen bzw. Fragmenten
davon vor allem auch mehrere Gussformen
für die bronzenen Griffschalen nachgewiesen,
welche die Herstellung an diesem Ort belegen
(Müller-Wille 1988b, 278; Meier 1994, 155).
Von sechs auf Gotland gefundenen Exemplaren weisen fünf das auch bei den Wiskiautener
Kämmen auftretende Flechtbandornament auf
(Thunmark-Nylén 2006, 256), das allgemein
für Kämme mit Bronzegriffschalen typisch ist
(ebd. 261). Auf Gotland gehören solche Kämme in den späten Teil der Stufe VIII:2 (ebd.
259), der absolutchronologisch etwa dem gesamten 10. Jahrhundert entspricht (ebd. 692).
Für alle anderen Funde fasst auch Meier (1994,
155) die Ergebnisse vorheriger Bearbeiter zusammen und betont die ungewöhnliche Dichte von Datierungen ins 10. Jahrhundert.
Abgesehen von den Funden aus Haithabu und
von Gotland finden sich Kämme mit Bronzegriffleisten in Flechtbandornamentik auch im
niederländischen Raum, in Schleswig-Holstein,
in Birka und vor allem im russischen Gebiet, wo
die Fundorte Staraja Ladoga, Gnёsdovo und
Bolsoe Timerovo solche Kämme beinhalten
(Meier 1994, 155-156; Thunmark-Nylén 2006,
261). Durch das Vorkommen zweier Kämme
in Wiskiauten deutet sich für die in den entsprechenden Gräbern beigesetzten Personen
und dadurch bedingt auch für den gesamten
Ein bei Thunmark-Nylén (2006, 261) für Gnëzdovo angegebenes Exemplar kommt hinzu.
233
Das Gräberfeld
135
Abb. 50 Verbreitung von wikingerzeitlichen Bronzekämmen (nach Müller-Wille 1988b, 276 Abb. 5).
Fundplatz erneut eine klare Verbindung zu
den wikingerzeitlichen Handelsnetzwerke an.
Ein sehr interessanter Fund liegt mit einem Anhänger mit stilisierten Reiterfiguren vor (Kulakov 1996, 145 Abb. 9). Leider ist unbekannt,
aus welchem Grab das Stück stammt. Kulakov
(ebd. 145) gibt als Fundort jedoch Wiskiauten
an. Solche Anhänger, die ihren Ursprung in
der finnisch-ugrischen Mythologie besitzen
sollen und als Symbol für einen Reitergott interpretiert werden (Herrmann 2005, 127 Abb.
141 (mit Lit.)), sind im westlichen Ostseegebiet kaum anzutreffen, in Osteuropa dagegen
häufiger (ebd. 127 Abb. 141). Sie sollen als Anhänger unter Nadeln oder unter Schalenfibeln
gedient haben, wobei am unteren Rand des
stilisierten Reiters Ketten des Brustschmuckes
befestigt gewesen sind.
B.6 Datierung des Gräberfeldes
Der erste publizierte Hinweis auf einen Datierungsversuch stammt von Bujack (1876a,
280), der eine 1873 von Heydeck freigelegte
Bestattung aufgrund einer bronzenen Schale
ins 10. oder 11. Jahrhundert setzt, sicherlich in
Anlehnung an den Ausgräber. Heydeck (1877,
651) selbst datierte die Wiskiautener Gräber
zunächst allgemein in das „jüngere Eisenalter“
und gibt als Zeitraum das 5.–10. Jahrhundert
an. 1879 wurde das Alter dreier Bestattungen
aus Wiskiautener Hügelgräbern auf das 9. Jahrhundert festgelegt (ohne Verfasser 1879b, 71).
Später verlegte Heydeck (1893, 57) die Gräber
aus der Kaup anhand arabischer Münzen in
den Zeitraum zwischen der zweiten Hälfte des
8. Jahrhunderts und der zweiten Hälfte des 9.
Jahrhunderts, betonte jedoch, dass es auch eine
spätere Phase gibt, die er ins 10.–12. Jahrhundert setzte und damit die Gesamtdauer zeitlich
teilte. So fände sich „neben den Wikingergräbern und solchen, die nicht denselben Charakter aufweisen, aber doch der selben Zeit angehören, noch eine große Anzahl von Gräbern,
die dem 10.–12. Jh. zugerechnet werden müssen.“ Hierher gehören die „Gräber mit den
Bronzeschalen und eisernen Eimerreifen samt
dem sonstigen Zubehör dieser Zeit“ (Heydeck
1893, 57). Hier wird deutlich, dass Heydeck
offenbar eine Trennung zwischen Gräbern der
136
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Wikinger und gleichzeitigen, jedoch anders
gearteten Bestattungen vornahm. Vielleicht
spielt er hier auf Flachgräber an, deren Existenz jedoch aus den publizierten Informationen nicht sicher belegt werden kann. Denkbar
ist auch, dass er Inventare mit offensichtlich
skandinavischen Beigaben von solchen trennt,
die mit allgemein in der Region verbreiteten
Gegenständen ausgestattet waren, ohne eine
eindeutige Provenienzanalyse vornehmen zu
können. Hier könnten auch die schon damals
bekannten prussischen Flachgräber in der kleinen Kaup eine Rolle gespielt haben.
Hollack (1908, 185) nennt um 1908 allgemein
die Stufen „F, G und H“ als Belegungszeitraum
und gibt damit den einzigen Hinweis auf frühe Gräber in der Kaup. Für Stufe F gibt er in
Anlehnung an Bezzenberger den Zeitraum des
6.–8. Jahrhunderts an (ebd. LXIV).
Engel (1935a, 110) datierte die Gräber in der
Kaup insgesamt ins 9. und 10. Jahrhundert,
wobei die Hauptmasse der Funde aber aus
dem 10. Jahrhundert stammen soll; ob einige
Gräber auch bis ins 11. Jahrhundert hineinreichen, wollte er in einem Zeitungsbericht (ALM
Schleswig) damals nicht „sicher entscheiden“.
Ohne Angabe von Gründen lässt er die Belegung des Gräberfeldes „um etwa 1000“ enden.
Nach Angaben von Engel (ALM) kam schon B.
Nerman zu dem Ergebnis, dass nur „verhältnismäßig wenige“ Gräber ins 9. Jahrhundert
gehörten, „dass also die Wikingerkolonie zu
dieser Zeit noch ziemlich klein gewesen sein
muss“. Die Entwicklung zu einer „volkreichen
Niederlassung“ sah er erst im 10. Jahrhundert
(ebd.). Nerman (1931, 170 Anm. 4; 1932, 15;
1934, 372; 1936, 79) vermutete nach den Grabungen 1932, dass das Gräberfeld in den Jahren um 800 oder dem Anfang des 9. Jahrhunderts begonnen habe und bis um das Jahr 1000
belegt war. Gaerte (1933b, 13), lässt aufgrund
des Gräberfeldes die „Wikingerkolonie“ bereits kurz nach 800 beginnen und sieht sie bis
ins 11. Jahrhundert hinein besiedelt. Das spätheidnische Gräberfeld datiert er ins 11. und 12.
Jahrhundert (ebd.). Von zur Mühlen (1975, 15)
gibt als Belegungszeit den Zeitraum von 850–
1075 an, wobei der größte Teil der Gräber dem
10. Jahrhundert angehören soll. An anderer
Stelle spricht er davon, dass die „rein wikingischen Hügel nicht über den Beginn des 11. Jh.
hinausgehen“ (ebd. 16).
Auch Kleemann (1939a, 4) sieht den Beginn
der „wikingische[n] Belegung“ um 800 und ihr
Ende in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts.
Im Ostteil des Gräberfeldes dagegen dauert
sie noch bis ins 12. Jahrhundert fort, allerdings
nun mit rein prussischen Bestattungen. In dieser Zeit soll das Gräberfeld von der Bevölkerung der ältesten Besiedlungsphase Wosegaus
genutzt worden sein, die Kleemann (1939b,
214) mit den beiden Fundstellen „Wosegau 3“
und „Wosegau 4“ aus dem 13. und 14. Jahrhundert belegt sieht (ebd. 224). Analog zu den
von Nerman (1929) in Grobin erzielten Resultaten wird die durch das Gräberfeld angezeigte Siedlung von Engel (1935a, 112) eher als
Garnison angesehen, weil die Zahl der Frauengräber gegenüber den Kriegerbestattungen
„überaus gering“ gewesen sei. Das allerdings
lässt sich für die bisher bekannten und publizierten Bestattungen nicht so ohne weiteres
behaupten. Nach einer Auszählung der durch
von zur Mühlen (1975) vorgenommenen Geschlechtszuweisung234 beträgt das Verhältnis
von Frauen- zu Männergräbern 24 zu 46 und
somit etwas weniger als 1:2. 17 Bestattungen
lassen sich keinem Geschlecht zuweisen.
Zuletzt setzte Kulakov (1989) sich intensiv mit
den chronologischen Verhältnissen der Grabhügel in der Kaup auseinander, indem er eine
einfache Kombinationsanalyse durchführte
(ebd. 91 Tab. I). Einbezogen wurden 51 Grablegen, die sowohl in deutscher als auch in russischer Zeit untersucht worden sind und typologisch und chronologisch auswertbare Beigaben enthielten. Demnach sind vier Gräber der
Zeit zwischen 800 und 850 zuzurechnen. Acht
Bestattungen sollen der Zeit zwischen 850 und
900 angehören. Insgesamt 25 Grabhügel sollen
in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts angelegt worden sein, während die zweite Hälfte
des 10. Jahrhunderts mit zehn Bestattungen
wieder deutlich unterrepräsentiert ist. Der
Schlussphase am Anfang des 11. Jahrhunderts
rechnet Kulakov (ebd.) lediglich vier Gräber
zu, wobei er das Gräberfeld im Jahr 1016 enden lässt, da er aufgrund der Erwähnung von
kriegerischen Einfällen der Dänen ins Samland
Auch die mit einem Fragezeichen versehenen
Geschlechtszuweisungen sind hier eingerechnet.
Zusätzlich wurde das Vorhandensein einer Hufeisenfibel als Hinweis auf eine Männerbestattung
gewertet.
234
Das Gräberfeld
unter Führung von Knut dem Großen bei Saxo
Grammaticus annimmt, dass die zugehörige
Siedlung in diesem Jahr zerstört wurde (ebd.
98). Für die frühe Datierung einiger Gräber in
die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts zieht Kulakov (ebd. 94 Nr. 18) offenbar die gotländischen
Gerätefibeln heran, die nach neuerem Kenntnisstand jedoch nicht vor der ersten Hälfte des
10. Jahrhunderts auf Gotland auftreten (Thunmark-Nylén 2006, 237).
Zusammenfassend lassen alle bisherigen Datierungsversuche die Kernzeit des Gräberfeldes von der Mitte des 9. bis zum Beginn des
11. Jahrhunderts erkennen. Lediglich Hügelgrab 44235 mit einem Paar gleicharmiger Fibeln
vom Ljønestyp“ nach Petersen (1928) könnte
in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts gehören,
wenngleich die im gleichen Grab gefundene
Gerätefibel eher für eine spätere Datierung
spricht. Hügelgrab 43236 lieferte ein einschneidiges Schwert, das von Nerman (1932, 14) aufgrund der Griffform ins frühe 9. Jahrhundert
datiert wurde. Auch das Grab ohne Nummer
mit einem Schwert vom Typ E (von zur Mühlen 1975, 125 Nr. 13) gehört vielleicht noch zu
den frühen Grabfunden des 9. Jahrhunderts.
Alle anderen Hinweise auf Bestattungen aus
der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts halten
einer genauen Prüfung nicht stand. Für die
Gründungszeit des Gräberfeldes ist dabei zu
bedenken, dass die Gräberzahl zumindest am
Anfang eventuell kleiner gewesen ist und erst
im Laufe der Zeit, wenn die Bewohner der zugehörigen Siedlung älter werden, auch mehr
Gräber entstehen. Gleichzeitig kann zwischen
der Ankunft der Skandinavier und den ersten
Bestattungen ein gewisser Zeitunterschied
liegen, der damit die tatsächliche Anwesenheit der zugezogenen Personen zeitlich nicht
widerspiegelt, sondern verspätet erscheinen
lässt. Durchaus kann also die vermutete Siedlung vor der Mitte des 9. Jahrhunderts gegründet worden sein, während erst etwas später
die ersten Hügelgräber in Wiskiauten errichtet
wurden.
Dagegen gibt es einschlägige Hinweise auf
eine Nutzung auch nach der Mitte des 11. Jahrhunderts. So stammt aus dem ohnehin durch
Entspricht in von zur Mühlens (1975, 134) Katalog Grabnummer 53.
235
Entspricht in von zur Mühlens (1975, 134) Katalog Grabnummer 52.
236
137
die mehr als 10 Randbestattungen vom üblichen Grabbau abweichenden Hügel 163 ein
scheibengedrehtes Gefäß mit umlaufenden
Gurtfurchen, das aufgrund dieser Verzierungsart frühestens in die zweite Hälfte des 11.
Jahrhunderts gehören dürfte.
Einen weiteren Hinweis auf späte Bestattungen liefern mehrere sog. „Hansaschüsseln“,
die allgemein ins 11.–13. Jahrhundert datiert
werden (Poklewski 1961, 9; Müller 1998, 313).
Schon Heydeck (1893, 57) hatte betont: “es finden sich neben den Wikingergräbern und solchen, die nicht den gleichen Charakter aufweisen aber doch derselben Zeit angehören, noch
eine grosse Zahl von Gräbern, die dem 10.–12.
Jh. zugerechnet werden müssen. Es sind dies
die Gräber mit den Bronzeschalen und eisernen Eimerreifen samt dem ganzen Zubehör
dieser Zeit.“ Auch Wulff (1865, 645) erwähnte Fragmente von Hansaschüsseln, die aber
in diesem Fall vermutlich aus dem spätheidnischen Aschenplatz stammen und eine späte
Datierung dieses separierten Bestattungsplatzes nahelegen.
Die von allen Forschern ermittelte Kernbelegungszeit des Gräberfeldes von Wiskiauten
zwischen der Mitte des 9. und der Mitte des 11.
Jahrhunderts lässt sich also anhand des Fundmaterials (vgl. Kap. B.5.4) bestätigen. Während
die Masse der Gräber sich anhand der Funde
ins 10. Jahrhundert datieren lässt, fallen einige frühe sowie späte Grabkomplexe auf, die
gleichzeitig Anfangs- und Endpunkt der Nutzung des Hügelgräberfeldes repräsentieren.
B.7 Struktur und Belegungsabfolge des
Gräberfeldes
Bisher am wenigsten Informationen liegen
über die Belegungsabfolge und die innere
Struktur des Gräberfeldes von Wiskiauten vor.
Einige spärliche Informationen, die meist in
Randbemerkungen aus alten Publikationen
oder Grabungsberichten enthalten sind, lassen
nur tendenzielle Bemerkungen zu.
Zunächst sind einige Aussagen zur diachronen
Belegungsabfolge zu treffen. So befand sich im
Osten der Kaup das große steinzeitliche Hügelgrab, das Nachbestattungen aus der älteren
Bronzezeit enthielt. In der Nähe des Hügels
befanden sich offenbar auch mehrere Gräber
der „älteren Eisenzeit“ (Heydeck 1900, 61), die
138
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
nach einer Beschreibung von Hollack (1908,
185) der Römischen Kaiserzeit zuzuweisen
sind237. Ebensolche Gräber hat es offenbar im
Westen der Kaup gegeben (Heydeck 1900, 61),
während „die größere Mitte und teilweise das
Westende dagegen fast nur mit Wikingergräbern belegt ist.“ (ebd.).
Insgesamt scheinen sich die Gräber gruppenförmig aneinandergereiht zu haben (Engel,
ALM Schleswig). Auch die Lage der Gräber
im Gesamtplan lässt auf zusammengehörige
Gruppen schließen (vgl. Abb. 9). Mehrfach liegen die Grabhügel reihenartig an den späteren,
neuzeitlichen Wegen aufgereiht. Auch wenn
diese neuzeitlichen Wege sich sicherlich an
den Hügelgräbern orientiert haben, könnte es
andererseits auch sein, dass sie schon auf die
Entstehungszeit des Gräberfeldes zurückgehen und sich ihrerseits an den Hügelgräbern
orientierten.
Dass weitgehende Fehlen von Nachbestattungen in den Wiskiautener Hügeln lässt sich vielleicht durch den ausgiebig vorhandenen Platz
erklären, so dass keine Nachbestattungen nötig waren.
Nach Engel (ALM) wurde von Paulsen 1932
am Nordrand des Gräberfeldes eine Gruppe
meist recht beigabenarmer Gräber aus dem
Ende des 10. Jahrhunderts untersucht. Diese
Gräber waren überwiegend von einer quadratischen oder rechteckigen Steinsetzung umgeben, in deren Mitte jeweils ein Beigefäss stand.
Aufgrund dieser Gleichförmigkeit könnte es
sich um ein von den restlichen Gräbern separiertes Bestattungsareal handeln.
Kulakov (1989) war der erste, der sich an einer
Belegungsabfolge des Gräberfeldes versuchte. Zwar umfasst seine Kombinationsanalyse
insgesamt 51 datierbare Gräber, im Plan selbst
sind jedoch nur 23 Gräber mit Datierung angegeben. Die Schwierigkeit liegt darin, die Hügelgräber eindeutig im Plan zu verorten, da
nur von wenigen Bestattungen auch die alte
Grabnummer bekannt ist. So ergeben sich im
Wesentlichen zwei räumlich getrennte Gruppen von datierbaren Gräbern im Osten und
Westen, während die Bestattungen im Mittelteil undatiert bleiben. Nach Kulakov (ebd.
Abb. 3) befinden sich im westlichen Teil der
Möglicherweise liegt hier eine Verwechslung mit
den im Kunterstrauch bei Wiskiauten aufgedeckten
kaiserzeitlichen Gräbern vor (vgl. Kap. A.7.2.3).
237
Nekropole Gräber der Zeit zwischen 850 und
900, denen nördlich und westlich Gräber der
Zeit zwischen 900 und 950 benachbart liegen.
Gleiches gilt für eine Gruppe von Grabanlagen
im Osten. Hier wird ein Grab der Zeit von 850–
900 von fünf Bestattungen der Zeit von 900–950
umrandet. In diesem Bereich sind auch Gräber
des Zeitraums 950–1000 zu verorten, nur eine
Bestattung dieser Zeit dagegen befindet sich
in der westlichen Gruppe. Für die erste Hälfte
des 11. Jahrhunderts gab Kulakov (ebd.) nur
eine Grablege im Ostteil an.
Als späteste Phase des Gräberfeldes von Wiskiauten muss nach wie vor der sog. „Spätheidnische Aschenplatz“ in der kleinen Kaup im
Osten des Denkmals gelten. Trotz aller Datierungsunsicherheiten dürfte dieser separierte,
prussische Bestattungsplatz entweder mit der
Spätphase des Hügelgräberfeldes parallel sein
oder im Anschluss ab Mitte des 11. Jahrhunderts entstanden sein und bis mindestens ins
12. Jahrhundert, vermutlich sogar bis ins 13.
Jahrhundert in Nutzung gestanden haben (vgl.
hierzu Kap. B.3.2.3).
B.8 Zur Herkunft der in Wiskiauten bestatteten Personen
Richtete sich eine der wichtigsten Fragen der
Forschungen zum Gräberfeld in der Kaup
– und letztlich auch der modernen Siedlungsforschungen – seit Beginn der Grabungen auf
die Herkunft der in Wiskiauten bestatteten
Personen, entsprach dagegen das Fundmaterial nicht dem einheimischen Kontext. Nach
anfänglichen Fehlinterpretationen, wie beispielsweise der Annahme, bei den begrabenen
Personen handele es sich um Litauer (Wulff
1865, 645), die in der Schlacht bei Rudau im 14.
Jahrhundert gefallen wären, manifestierte sich
relativ schnell die größtenteils noch heute gültige Forschungsmeinung, nach der skandinavische Personen für die Anlage des Hügelgräberfeldes verantwortlich zu machen sind.
Besonders in den 1930er Jahren erhob sich dann
die Frage, in welchem Teil Skandinaviens ihre
Herkunft zu suchen sei. Zusätzlich wurde diskutiert, zu welchen Regionen sich besonders
intensive Kontakte erkennen ließen. Insbesondere durch die Grabungen Birger Nermans in
Grobin angeregt, kam wenig später zusätzlich
die Theorie auf, dass möglicherweise die in der
Das Gräberfeld
Folge kurischer Aufstände aus Grobin vertriebenen Personen Wiskiauten gegründet hätten.
Auch diese Interpretation wird heute noch von
einigen Autoren aufgegriffen. Als Beleg für
diese oder jene Theorie sind in der Vergangenheit hauptsächlich die Grabfunde sowie der
Grabbau, seltener auch Hinweise aus historischen Quellen herangezogen worden.
Auf Grundlage der Analyse dieser Kriterien
und der daraus abgeleiteten Herkunftsmodelle wurden diese Interpretationen wiederholt
auch auf die vermutete, aber nie eindeutig
gefundene Siedlung von Wiskiauten übertragen. So sprach man von einer Garnison, einem
Handelstützpunkt oder einer Kolonie der Wikinger. Nur selten wurde die vermeintliche
Siedlung auch in einen einheimischen Kontext eingepasst und eine eher polyethnische
Niederlassung angenommen. Im Folgenden
sollen die wichtigsten Interpretationsansätze
kurz zusammenfassend vorgestellt werden.
Mehrere Forscher betonten die auffällige Ähnlichkeit der Grabfunde aus Wiskiauten mit
Funden aus Schweden, besonders aus.Birka.
Schon Gaerte (1929, 349) sah die Gräber des
10.–11. Jahrhunderts „weniger [von] Dänemark als [von] Schweden“ beeinflusst, wobei
er – unter Berufung auf unveröffentlichte Forschungen von H. Kemke (ebd. Anm. 1) – als
Herkunftsgebiet besonders Upland favorisierte.
Nerman (1932, 15) interpretierte die von ihm
untersuchten Gräber dahingehend, dass „die
schwedische Wikingerkolonie etwa um das
Jahr 800 oder Anfang des 9. Jahrh. sich in Wiskiauten niedergelassen und dort bis gegen
das Jahr 1000 gelebt hat. Merkwürdig ist, dass
die Kolonie während der gesamten Zeit ihren
schwedischen Charakter behalten hat – noch
die von uns untersuchten Gräber der Zeit um
950 und der 2. Hälfte des 10. Jahrh. zeigen keine
prussischen Einflüsse.“ Er sieht also während
der ganzen Belegungszeit einen rein schwedischen Einfluss ohne jegliche einheimische Elemente, zumindest in dem Bereich, der in der
schwedisch-deutschen Gemeinschaftsgrabung
in den 1930er Jahren untersucht worden ist.
Bereits 1934 scheint Nerman (1934, 372) diese
Meinung jedoch leicht modifiziert zu haben,
denn er schreibt von vereinzelten prussischen
Gegenständen in den Hügelgräbern der Kaup.
Auch Engel (1935a, 111; 1935b, 40) und Kiviko-
139
ski (1937, 238) machten Personen schwedischer
Herkunft für die Hügelgräber in der Kaup
verantwortlich. Insbesondere Engel (1935a
112) sah einerseits künstlerische und stilistische Einflüsse aus vielen Regionen. Während
er beispielsweise den „Silberschmuck aus
Arabien und Südrussland“ herleitete, betonte er ausdrücklich auch „Kunstformen aus
Norwegen, Irland, Gotland und Kurland, aus
welch letzterem mehrere ausgeprägt kurische
Einfuhrstücke vorliegen“. Andererseits stellte er jedoch klar, dass er die Hauptmasse der
Funde und auch der Bestattungsbräuche und
Grabformen „unzweifelhaft“ für mittelschwedisch hielt, wobei er besonders das große Hügelgräberfeld von Birka im Mälarseegebiet als
Vergleich heranzog. Er folgerte daraus mittelschwedischen Ursprung der skandinavischen
Kolonie bei Wiskiauten, in der einzelne gotländische Kaufleute gelebt haben sollen.
Auch andere Bearbeiter suchten den Ursprung
einiger Skandinavier aus Wiskiauten auf Gotland. So war auch von zur Mühlen (1975, 56)
der Ansicht, dass die Funde aus den Wiskiautener Gräbern in der Mehrzahl zwar generell
schwedischer Herkunft seien, vereinzelt aber
eher auf Gotland als nach Mittelschweden
weisen. Ausschlaggebend dafür waren vor
allem Dosenfibeln, Dosenschnallen bzw. Gerätefibeln, verschiedene Armringformen und
Lanzenspitzen mit Treppenmuster auf der
Tülle. Andererseits seien auch Bezüge zum dänischen Fundmaterial vorhanden, die deutlich
auf eine Herkunft aus Dänemark hinwiesen.
Hierzu wurden die Zungenfibel mit Flechtbandornamentik, durchbrochene Steigbügel und
Schwerter vom Typ V nach Petersen (1919)
gezählt (von zur Mühlen 1975, 55f.). Weitere
dänische Einflüsse könnten nach eingehender
Analyse auch an Gebrauchsfunden, Pferdegeschirr sowie der Keramik abgelesen werden.
Die restlichen Beigaben hielt von zur Mühlen (ebd.) für allgemein skandinavisch, ohne
dass sich daraus Provenienzhinweise ableiten
ließen. Dänischen Einfluss hielt auch Hollack (1908, LXXXVII) unter Berufung auf Saxo
Grammaticus (Gesta Danorum, Buch X, 5; vgl.
Holder 1886, 328; von zur Mühlen 1975, 1) für
wahrscheinlich und interpretierte das Gräberfeld als Reste einer „dänischen Kolonie, vom
Sohne Harald Blauzahns, Haquinus, im Samland gegründet“.
140
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Spätere Forscher griffen diese Thesen auf und
sahen die frühe Phase in Wiskiauten von Gotländern dominiert, im folgenden Jahrhundert
sollen Dänen für das Siedlungsgeschehen
verantwortlich gewesen sein, die ihre eigene
Expansion Richtung Osten starteten (Duczko
1997, 205).
Abweichend sah dagegen Warnke (1964, 48)
Wiskiauten als gemeinsame Siedlung von Gotländern und Prussen. Die dänische Komponente erwähnte sie nicht.
Auch in der Sicht Wróblewskis (2006c, 113)
überwogen hielt – in Anlehnung an von zur
Mühlen (1975) – für eine frühe Phase Wiskiautens gotländische und schwedische Funde,
während sich ab dem 10. Jahrhundert ein deutlicher dänischer Einfluss bemerkbar mache.
Gleichzeitig wollte Wróblewski (2006b, 141;
2006c, 110) eine signifikante Anzahl prussischer Objekte bzw. interregionaler, baltischer
Objekte erkennen. Schon Kleemann (1939b,
215) hatte betont: „Es ersteht dafür ein Handelsplatz und gleichzeitig Vorort der ganzen
Gegend zunächst in wikingischer Hand unter
preußischer Beteiligung, später nur von den
Preußen bestimmt und von Wikingern besucht.“
Es war wohl vor allem die Mischung von panskandinavischen und gotländischen Fibelformen in den frühen Wiskiautener Gräbern
(Abb. 51), die für eine Gründung des Ortes
durch Personen aus Grobin zu sprechen schien
(Callmer 1994, 67). Für Grobin kam schon
Nerman (1929, 181f.; 199ff.) zu dem Schluss,
dass hier eine schwedische von einer gotländischen Bevölkerungskomponente unterschieden werden könne. Dementsprechend konnte
nach Callmer (1994, 67) in Grobin fernab der
Mutterländer ein solcher Mix am ehesten entstehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgte
dabei auch eine Beeinflussung durch einheimische kurische oder allgemein baltische Elemente; die Anwesenheit solcher Gegenstände
wie beispielsweise der Armbrustfibel mit Tierkopffuß aus einem Flachgrab (Engel, ALM;
von zur Mühlen 1975, Taf. 36; Wróblewski
2006a, 141; vgl. hier Abb. 46, 3) in den ansonsten mit skandinavisch anmutenden Funden
ausgestatteten Gräbern wird dadurch in ein
neues Licht gerückt. Besonders die Mischung
von mittelschwedischen und gotländischen
Elementen lässt sich auch an den Funden aus
Wiskiauten ablesen, wenn beispielsweise gotländische Gerätefibeln mit festlandskandinavischen Schalenfibeln vergesellschaftet sind.
Nicht unbedingt muss dabei eine der beiden
Gegenden als Ursprungsgebiet in Frage kommen. So deutete auch Thunmark-Nylén (2006,
651) Gräber mit der Kombination aus Schalenfibelpaar und Dosenfibel als Bestattungen von
ortsanssässigen Frauen, die sich schon etwas
von der traditionellen Trachtsitte entfernt hätten und Wurzeln in festlandskandinavischen
Gebieten als auch auf Gotland Wurzeln aufwiesen.
Auch Kulakov (2005, 77) griff diese Thesen auf
und wollte die ältesten Gräber Wiskiautens
von Gotländern angelegt verstehen, zog aber
andererseits (ders. 1989, 95; 1994, 211) auch
eine Gründung der Siedlung von Personen
aus Truso in Erwägung.
Die genaue Analyse der Grabfunde von Wiskiauten steht bislang aus. Eine vorläufige Übersicht (vgl. Kap. B.5.4) bestätigt jedoch tendenziell die bisher in der Literatur am häufigsten
vertretene Meinung, dass die Mehrheit der
Funde mit der Mälarseeregion um Birka zu
verbinden ist. So ist die Masse der Schalenfibeln, die auf Gotland äußerst selten sind, als
festlandskandinavisch anzusprechen. Dies
lässt sich deutlich als Anwesenheit festlandskandinavischer Frauen interpretieren oder
spricht zumindest dafür, dass die Trägerinnen
ihre Trachtgegenstände aus Mittelschweden
bezogen, womit sich gleichzeitig eine starke
Identifikation mit dieser Gegend vermuten
lässt.
Nur wenige Dosenfibeln und Gerätefibeln
weisen ausdrücklich auf Gotland hin, da sie
als exklusiv gotländische Trachtelemente verstanden werden, die nur äußerst selten außerhalb Gotlands angetroffen wurden (ThunmarkNylén 2006, 234, 238).
Auch andere Funde sind auf Gotland sehr häufig, wobei nicht klar wird, ob vielleicht nur
Handelsaktivitäten dafür verantwortlich zu
machen sind. So ist der Kamm mit den bronzenen Griffschalen aus Grab 144b (von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 67; vgl. Abb. 49) zwar vermutlich in Haithabu hergestellt, könnte aber
auch einer bisher nicht lokalisierten Werkstatt
auf Gotland entstammen (Meier 1994, 155).
Zumindest ist hier eine auffällige Häufung zu
Das Gräberfeld
141
Abb. 51 Gräberfeld von Wiskiauten. Inventar eines Frauengrabes mit Kombination von Schalenfibeln und
Dosenfibel (links: von zur Mühlen 1975, 191 Taf. 23). – rechts: Foto aus dem Nachlass von H. Jankuhn,
ALM Schleswig).
verzeichnen, so dass die Insel vermutlich eine
übergeordnete Rolle beim Handel mit diesen
Kämmen spielte (ebd.). Auch mit dem Fundensemble aus dem in die Mitte des 9. Jahrhunderts datierten Hügelgrab 44 „Steinsetzung
A“ (von zur Mühlen 1975, 134 Nr. 53) sind
Hinweise vorhanden, dass Gotländer zumindest anfangs an der Nutzung des Hügelgräberfriedhofes beteiligt gewesen sein könnten.
Insgesamt 33 kleine Bronzespiralen aus einem
Grab ohne Nummer (ebd. 133 Nr. 49 Taf. 43,
14) deuten als Bestandteil eines Prunkgürtels
ebenfalls auf Verbindungen zu Gotland hin,
zumal im gleichen Grab unter anderen auch
eine typisch gotländische Riemenzunge (Typ
2 nach Thunmark-Nylén 2006) belegt ist.
Auf dänische Personengruppen weist neben
der Zungenfibel (von zur Mühlen 1975, 130
Nr. 37), die prinzipiell auch eingehandelt sein
kann, auch ein Schwertortband mit anthropomorpher Verzierung hin. So sieht Hedenstierna-Jonson (2002) solche Ortbänder von den
Darstellungen des Jellingesteines beeinflusst
und interpretiert ihr Vorkommen dement-
sprechend als Anwesenheit dänischer Personen oder zumindest von Vertretern dänischer
Herrschaft an diesen Orten. Gleiches müsste
dann für das Exemplar aus Grabhügel 170c
(von zur Mühlen 1975, 138 Nr. 75) von Wiskiauten gelten. Allerdings fällt dieser Fund hier
aus dem Rahmen, da er innerhalb dieser Fundgruppe einen der wenigen Grabfunde darstellt
und gerade die Auffindung in Siedlungen, also
in gewissem Sinne im öffentlichen Raum, Hedenstierna-Jonsons (2002) Theorie stützt.
Insbesondere der Grabbau (vgl. hierzu auch
Kap. B.3.2) hat verschiedene Forscher (Nerman 1934, 372; Engel 1935a, 112) veranlasst,
die Herkunft der in den Hügelgräbern von
Wiskiauten bestatteten Personen nördlich der
Ostsee und besonders in Mittelschweden zu
suchen. Tatsächlich bilden Grabhügel auf Gotland eine Ausnahmeerscheinung (Nerman
1932, 10; Thunmark-Nylén 2006, 580), während sie in Birka und in der Mälarseeregion
ausgesprochen häufig sind (Nerman 1932, 10;
Gräslund 1980, 72). Die verschiedenen Formen der Brandbestattungen, die sich in Wiski-
142
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
auten nachweisen lassen, kommen dagegen in
beiden Regionen vor.
In der Zusammenschau spricht einerseits das
Überwiegen von festlandskandinavischen
Schalenfibeln und anderen Funden in Kombination mit dem Hügelgrabbau für eine starke Beeinflussung durch die Region um Birka.
Vermutlich bestanden zu diesem Handelsplatz
die engsten Beziehungen. Einige Bestattungen
dagegen können durchaus mit Personen aus
Gotland in Verbindung stehen, wie insbesondere die Gerätefibeln in Kombination mit Dosenfibeln aus drei Gräbern nahelegen. Sie bleiben aber deutlich in der Unterzahl.
B.9 Aussagemöglichkeiten zur Größe der
zu vermutenden Siedlung aufgrund
der Grabfunde
Bereits mehrfach sind Versuche gemacht
worden, die Bevölkerungszahl verschiedener
wikingerzeitlicher Siedlungen und Handelsplätze anhand der Anzahl der auf den zugehörigen Gräberfeldern bestatteten Personen zu
berechnen.
Für Haithabu kommt Randsborg (1980, 80) auf
Grundlage der mindestens 5000 Gräber auf
eine Einwohnerzahl von 1000 Personen bei einer besiedelten Fläche von 24 ha238. Gräslund
(1980, 83) gibt unter mehreren Berechnungen
für Birka unter Zugrundelegung einer Anzahl
von 3000 Bestattungen und einer Nutzungsdauer der Gräberfelder von etwa 175 Jahren
eine Gesamteinwohnerzahl von 500-600 Personen den Vorzug. Für beide Plätze ergibt sich ein
ungefähres Verhältnis von 1:5 bis 1:6 zwischen
Einwohnern und Bestattungen. Die Siedlungsfläche von Birka ist mit 12 ha halb so groß wie
Haithabu. Für die Berechnung der Einwohnerzahl verwendete Gräslund (ebd.) eine Formel,
die auch für das Gräberfeld in der Kaup bei
Wiskiauten genutzt werden kann. Dabei wird
die Anzahl der Gräber mit der vermuteten Lebenserwartung der Individuen multipliziert
und das Ergebnis durch die Nutzungszeit der
Siedlung dividiert.
Die Zahl der Gräber in Wiskiauten lässt sich
auf etwa 500 Hügelgräber schätzen (Nerman
1942, 92; vgl. auch Anm. 2), die NutzungsdauHaithabus tatsächliche Siedlungsfläche innerhalb des Halbkreiswalles liegt nach neueren Angaben bei 27 ha (Hilberg 2007, 187).
238
er des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten dagegen kann auf etwa 150–200 Jahre limitiert
werden. Es gibt keinen Grund, für die in Wiskiauten bestatteten Personen andere Lebenserwartungen anzusetzen als für Birka oder Haithabu, weshalb auch hier eine durchschnittliche
Lebenserwartung von 30–40 Jahren zugrunde
gelegt werden soll. Daraus ergeben sich analog
zu den Berechnungen von Gräslund (1980, 83)
in Birka für Wiskiauten bei unterschiedlichen
Einschätzungen der Lebenserwartung und der
Nutzungsdauer des Gräberfeldes für eine zugehörige Siedlung, die ausschließlich das Hügelgräberfeld als Bestattungsplatz nutzte, eine
Gesamtzahl zwischen 75 und 133 Einwohnern
(Tab. 1). Diese Zahl bezieht sich auf die durchschnittliche gleichzeitige Einwohnerzahl. Im
Vergleich mit Birka mit einer Größe von 12 ha
bei doppelt so großer Einwohnerzahl kann für
Wiskiauten bei einer Nutzungsdauer von 150
Jahren und einer Lebenserwartung von 40 Jahren eine Größe von 5–6 ha angenommen werden. Bei einer Nutzungsdauer von 200 Jahren
und einer geringen Lebenserwartung von 30
Jahren schrumpft die Siedlungsgröße dagegen
auf etwa 2–3 ha. Dies gilt allerdings nur für die
skandinavische Bevölkerungsgruppe. Unter
der Annahme, dass es sich um eine von Skandinaviern und Prussen gleichzeitig genutzte
Niederlassung handelt, dürfte die Gesamtfläche wesentlich größer gewesen sein.
Als Problem ergibt sich dabei, dass die Anzahl
der Flachgräber von Wiskiauten aufgrund der
einseitig auf die Grabhügel fokussierten Ausgrabungsaktivitäten früherer Archäologen
bisher kaum eingeschätzt werden kann. Neue
Untersuchungen von V. I. Kulakov, die auch
die Bereiche zwischen den Grabhügeln einbeziehen, zeigen bereits jetzt, dass die Zahl der
Flachgräber mindestens so groß gewesen sein
dürfte wie die Zahl der Hügelgräber239. Die
Gesamtzahl der Bestattungen in der Kaup ist
daher mit bis zu 1000 Bestattungen sicherlich
nicht zu hoch angegeben. Wenn diese Vermutung stimmt, wachsen die Größe der Bevölkerung und dementsprechend auch die Größe
der Siedlung mindestens auf das Doppelte.
Bei der Untersuchung eines Grabhügels im Jahr
2007 deckte Kulakov in dessen Umfeld drei Flachgräber auf, von denen zwei nach C14-Datierungen
in das 10. Jahrhundert gehören. Für die freundliche
mündliche Mitteilung dankt Verf. dem Ausgräber.
239
Das Gräberfeld
143
Tab. 1: Wiskiauten. Berechnung der Bevölkerungszahlen der Siedlung bei 500 Bestattungen, bezogen auf
die Nutzungsdauer des Gräberfeldes in Jahren und unter Berücksichtigung verschiedener Lebenserwartungen.
Tab. 2: Wiskiauten. Berechnung der Bevölkerungszahlen der Siedlung bei 1000 Bestattungen, bezogen auf
die Nutzungsdauer des Gräberfeldes in Jahren und unter Berücksichtigung verschiedener Lebenserwartungen.
Die Zahl der Einwohner lässt sich unter diesen
Vorraussetzungen auf etwa 150–267 Personen
schätzen (Tab. 2). Die Größe der Siedlung betrüge dementsprechend etwa 10–12 ha, wenn
man von einer kurzen Nutzungsdauer und einer hohen Lebenserwartung ausgeht. Bei einer
Nutzungsdauer von 200 Jahren und einer Lebenserwartung von 30 Jahren allerdings ergibt
sich für die Siedlung wieder eine geschätzte
Größe von etwa 5–6 ha.
Im regionalen Umfeld dürfte aber schon eine
Siedlung von 5–6 ha mit einer ständigen Einwohnerzahl von 150 Personen noch relativ
groß gewesen sein. Biskup/Labuda (2000, 89)
schätzen die Gesamtzahl der Bewohner des
Samlandes am Anfang des 14. Jahrhunderts auf
insgesamt 22000 Personen bei einer Gesamtbevölkerungszahl der Gebiete Altpreußens von
etwa 170000 Menschen. Das entspricht einer
Einwohnerdichte von 4-5 Personen pro Quadratkilometer. Die Zahl der kampftüchtigen
Krieger bei Ankunft des Deutschen Ordens
wird auf 2200 festgelegt (ebd. 182). Kulakov
(1994, 199) dagegen will nur etwa 300 samländische Krieger sehen, die mit insgesamt nicht
mehr als 1000 prussischen Bewaffneten, die
leicht bewaffneten Gefolgsmänner eingerechnet, zur Verteidigung gegen den Orden zur
Verfügung gestanden haben.
Schwieriger ist die Größe der Siedlungen zu
schätzen, weil komplett ausgegrabene Siedlungen nicht existieren. Das prussische Siedlungssystem war zunächst in verschiedene territoriale Einheiten, die sog. „pulka“ (Biskup/Labuda
2000, 86) oder auch „polca“ (Kleemann 1939a,
5), gegliedert, deren Mittelpunkt eine Siedlung
bildete. Zu einer „polca“ gehörten weiterhin
auch alle stehenden und fließenden Gewässer,
Haine und Weideflächen sowie Wälder und
Wüstungen in der Umgebung (Biskup/Labuda
2000, 87ff.). Die nächst größere Territorialeinheit, die in der schriftlichen Überlieferung mit
144
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
dem lateinischen Namen „territorium“ oder
„terrula“ erscheint, wurde aus mehreren solcher „polcae“ gebildet. Eine prussische Siedlungseinheit bestand aus einem Dorf („kaymis“) und den umliegenden Äckern („lauks“).
Beide Begriffe finden sich in zahlreichen Ortsnamen wieder. Die Bezeichnung „lauks“ soll
dabei eine erweiterte Bedeutung gehabt und
die Gesamtheit der Gebiete, die von den Einwohnern der Siedlung wirtschaftlich genutzt
wurde, umfasst haben. Die „polcae“ variierten
in ihrer Zusammensetzung beträchtlich und
wurden entweder von Einzelhofsiedlungen,
deren Mittelpunkt der Sitz einer Großfamilie
oder einer Sippe war, und Anhäufungen von
mehreren Dörfern und Weilern gebildet, die
entweder aus einer einzelnen Siedlung entstanden waren oder aus einer Dorfgemeinschaft, die sich im Zuge günstiger Wirtschaftsbedingungen allmählich auflöste und sozial
stratifizierte. Die Größe der durch die polcae
gebildeten Gebiete war vermutlich durch deren wirtschaftliche Leistungskraft bestimmt.
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts soll
eine „polca“ durchschnittlich zwei große Hufen umfasst haben; das entspricht einer Fläche
von 15 - 16 ha.
Eine Niederlassung mit einer durchgehend besiedelten Fläche von 5–6 ha dürfte vor diesem
Hintergrund zumindest im einheimischen,
prussischen Milieu extrem groß gewesen sein.
Auch der überregionale Vergleich zeigt, dass
Wiskiauten nicht unbedingt als klein bezeichnet werden muss. Andere wikingerzeitliche
Niederlassungen, denen der Status eines Handelsplatzes oder einer frühstädtischen Anlage
zugesprochen wird, liegen allgemein in einem
ähnlichen Größenbereich. Einige Beispiele
sollen dies belegen. So umfasste der Halbkreiswall von Haithabu ein Areal von 27 ha
(Hilberg 2007, 187), das jedoch nicht komplett
bebaut gewesen ist und zusätzlich ein großes
Gräberfeld mit bis zu 5000 Gräbern enthielt.
Das Siedlungsgebiet von Menzlin umfasste bei
400 nachgewiesenen und etwa 500–700 vermuteten Bestattungen etwa 12 ha (Jöns 2006, 92),
dasjenige von Truso 10–15 ha (Jagodziński
2000b, 170), wobei ein zugehöriges Gräberfeld
noch nicht entdeckt wurde. Für Groß Strömkendorf gibt Tummuscheit (2007, 145) sogar
eine Größe von 20 ha an.
Schwierig ist es, die exakte Nutzungsdauer
des Gräberfeldes von Wiskiauten zu limitieren.
Besonders die Gräberanzahl des 9. Jahrhunderts und auch des 11. Jahrhunderts ist schwer
abzuschätzen. Anfangs- und Endpunkt der
Belegung sind bislang nicht klar ermittelt. Die
Masse der Gräber aber scheint im 10. Jahrhundert angelegt zu sein. Dementsprechend ist
für das 10. Jahrhundert eine größere Siedlung
anzunehmen als für die vorangehenden oder
nachfolgenden Jahrhunderte. Unter dieser
Vorraussetzung ist auch für Wiskiauten zumindest für das 10. Jahrhundert eine Siedlung
von wesentlich größeren Ausmaßen anzunehmen, als dies allein aufgrund einer gleichmäßig auf die Jahrhunderte verteilten, jährlich
anfallenden Zahl an Bestattungen zu vermuten wäre. Weitere Beobachtungen stützen
diese Annahme. So steht in Wiskiauten einer
größeren Anzahl von Schalenfibeln an einigen
bedeutenden wikingerzeitlichen Fundplätzen,
die jüngst Duczko (2004, 159) zusammenfasste
– und dabei etwa für Haithabu oder Kaupang
je 50 Exemplare, für Gnёzdovo 53 Exemplare,
für Birka 316 Exemplare ermittelte – mit 44
Schalenfibeln (vgl. Kap. B.5.4.3.1) kaum eine
geringere Anzahl gegenüber. Erneut kommt
hier der im Vergleich erstaunlich hohe Anteil
vermutlich skandinavischer Frauen oder skandinavisch beeinflusster Frauentrachten in den
Hügelgräbern Wiskiautens zum Ausdruck, der,
zumindest für das 10. Jahrhundert, vorsichtig
als Hinweis auf eine ähnlich große Siedlung
wie an den genannten Plätzen gedeutet werden kann.
Die Siedlungsforschungen
C Die Siedlungsforschungen der Jahre
2005–2007
C.1 Einleitung
Während das Gräberfeld von Wiskiauten trotz
seiner fragmentarischen Überlieferung als relativ gut erforscht gelten kann, fehlten für die
Frage der zugehörigen Siedlung lange Zeit jegliche Hinweise. Die Existenz einer Niederlassung wurde dagegen nie angezweifelt. Auch
aufgrund der naturräumlichen Vorraussetzungen und der Analyse der Grabfunde und
des Grabbaus ist es sehr wahrscheinlich, dass
Skandinavier, vermutlich hauptsächlich aus
der Mälarseeregion um Birka, zwischen dem
9. und 11. Jahrhundert in das Siedlungsgeschehen um die Hügelgräbernekropole von Wiskiauten integriert gewesen sind.
Vermutungen zur Lage der Ansiedlung finden sich mehrfach in der Literatur der Vorkriegszeit (vgl. Kleemann 1939a; 1939b). Erst
dem russischen Archäologen V. I. Kulakov gelang es aber im Jahr 1979, die Überlegungen
deutscher Archäologen durch eigene Feldforschungen mit neuem Material zu konfrontieren und ein abweichendes, für die russische
Forschungsetappe gültiges Siedlungsmodell
zu etablieren (vgl. Kap. C2). Die von Kulakov
(2005 mit Lit.) vorgelegten Ergebnisse reichten
aber bei weitem nicht aus, Fragen zur genauen
Datierung, zur Ausdehnung oder gar zur inneren Struktur der vermuteten Niederlassung
zu beantworten.
Im Rahmen der seit dem Jahr 2005 neu initiierten Siedlungsforschungen zum Fundplatz
Wiskiauten galt es, Kulakovs Ergebnisse zusammen mit den Hinweisen aus der deutschen Forschungsetappe in interdisziplinäre
Forschungsstrategie einzubeziehen und zu
überprüfen. Darüber hinaus wurde die großräumige Umgebung Wiskiautens mit einer
Fläche von annähernd 3km2 während der
Untersuchungen berücksichtigt. Angesichts
der weitläufigen potentiellen Siedlungsfläche
versprach nur die Kombination verschiedener
Forschungsmethoden zum Erfolg zu führen.
Durch die Kombination naturwissenschaftlicher und archäologischer Disziplinen gelang
es, die hier vorgelegten Ergebnisse zu einem
vorläufigen Siedlungsmodell weiterzuentwickeln. Es ist als Zusammenfassung aller bishe-
145
rigen Informationen zu verstehen und erhebt
keinen Anspruch auf historische Realität. Bei
zukünftigen Ausgrabungen werden neue Erkenntnisse das Bild mit Sicherheit erweitern
und korrigieren.
Im Folgenden werden Methoden und Ergebnisse der bislang dreijährigen Siedlungsforschungen, die im Jahr 2005 vom Archäologischen Landesmuseum in der Stiftung Schleswig-Holsteinischer Landesmuseen Schloß
Gottorf in Schleswig initiiert wurden und in
enger Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Institut der Russischen Akademie der
Wissenschaften Moskau durchgeführt werden,
vorgelegt und ausgewertet.
C.2 Bisherige Theorien zur Lage der Siedlung
Von entscheidender Bedeutung für die Wahl
der Untersuchungsflächen hat sich neben
geologischen, topographischen und kartographischen Studien vor allem auch die Analyse
bisher in der Forschung geäußerter Lagetheorien mit ihren erfolgreichen oder erfolglosen
Lokalisierungsversuchen erwiesen. Sie sind
bereits ausführlich bei der Besprechung der
Forschungsgeschichte (Kap. A.4.2) abgehandelt worden, sollen aber an dieser Stelle nochmals kurz zusammengefasst werden, da sie
entscheidend waren für die Wahl der neuen
Untersuchungsflächen.
Die Frage nach einer wikingerzeitlichen Ansiedlung bei Wiskiauten berücksichtigte bereits Voigt (1901) bei seinen Forschungen
zur Lokalisierung des Ortes, an dem im Jahr
997 der Missionar Adalbert von den Prussen
erschlagen worden sein soll. Er diskutiert in
seiner zweiten Lagetheorie einen prussischen
Handelsplatz in der Einfahrt der Cranzer Beek
beim sog. Garbick, einem als Befestigungsanlage der Prussen gedeuteten Hügel in den
Bruchwäldern etwa 2 km westlich der heutigen Haffküste (vgl. hierzu auch Kap. A.7.2.4.2).
Voigt (ebd.) postulierte einen großen prussischen Marktplatz, den Adalbert am Vortag seines Todes besucht haben soll.
Heydeck (1893, 47) kam zu der Erkenntnis, dass
die Masse der Funde aus dem Hügelgräberfeld
von Wiskiauten skandinavischer Herkunft sei,
woraus sich indirekt auch seine Vorstellung
einer Ansiedlung skandinavischer Personen in
146
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
dessen Umgebung ergibt, wenngleich er keine
genaue Lagetheorie äußerte.
Eine erste konkrete Vermutung zur Lage einer Niederlassung lieferte Ebert (1926, 18;
vgl. auch Kleemann 1939b, 202 Anm. 1), der
durch eine Probegrabung im Jahr 1924 die
Siedlung „dicht südlich der Kaup“ lokalisiert
haben wollte. Unterlagen fehlen, abgesehen
von einer vermutlich von Ebert selbst angefertigten Lageskizze im Nachlass von H. Jankuhn
(ALM Schleswig; vgl. Kap. A.4.2.1), so dass die
Angaben nicht verifiziert werden können. Das
entsprechende Areal ist heute ein mit Beton
versiegelter Autoparkplatz und für archäologische Grabungen nicht mehr zugänglich. Dem
Hinweis kann dementsprechend nicht nachgegangen werden240.
Engel (1931a, 30) vermutete, dass die „Wikingerkolonie“ nicht am Meer gelegen, sondern
die viel breitere Beek241 als Einfahrt benutzt
habe. Dabei spielte die bis heute nicht bewiesene Theorie, dass sich das Haff in der Wikingerzeit bis in die Nähe des „[Bahn-242] Haltepunktes Bledau“ erstreckt haben könnte, eine
entscheidende Rolle243.
In einem Zeitungsartikel in der Königsberger
Hartungschen Zeitung vom 26.5.1932 dagegen
vermutet Engel (ALM) die gesuchte „Faktorei“
„in der Gegend des Gutes Bledau an der Beekmündung“, also auf der dem Wäldchen Kaup
gegenüberliegenden Ostuferseite der breiten,
ehemals wasserführenden Niederung. 1935
präzisiert er die Angaben und vermutet einen
Hafen entweder in der Gegend „des heutigen“
Mehrere Bohrungen nördlich der großräumig
durch Betonplatten versiegelten Flächen ergaben
keine Hinweise auf archäologische Befunde.
240
Mit „Beek“ ist bei Engel der breite Fluss gemeint,
der etwa 6 km östlich des Gräberfeldes von Wiskiauten ins Kurische Haff entwässert. Er wird von
mehreren kleineren Einzelflüssen (Wosegauer Beek
oder Brast, Bledauer Beek, Dariener Beek; vgl. Kleemann 1939a, Abb. 4) gespeist und wird etwa ab der
sog. Beekinsel, wo sich heute der Selenogradsker
Hafen befindet und wo die Brast und die Bledauer
Beek zusammenfließen, als Beek bezeichnet. Diese
Benennungen tauchen schon in den historischen
Karten von Henneberger (1863) und Schroetter
(1802) auf.
241
242
Einfügung von Verf.
Zu den neuen geologischen Untersuchungen
und deren Ergebnissen vgl. Kap. C.4.1.2.
243
Bledau oder bei Wosegau und nennt als Grund
für den Verlust der „Welthandelsbedeutung“
die fortschreitende Vermoorung eines Binnenhafens (Engel 1935a, 114).
Von zur Mühlen (1975, 52) zog ebenfalls die
Ortschaft Bledau in Betracht, schloss aber auch
den Ort Wosegau nicht aus, den besonders
Kleemann (1939b, 216) favorisierte. Allerdings
erwog auch er eine Lage in der Nähe der halbinselartig in die Niederung vorgeschobenen
Sandlinse mit dem Flurnamen Palve bzw. bei
der nur wenig entfernt liegenden Bahnstation
Bledau am westlichen Rand der Niederungszone. Äußerst interessant sind Kleemanns
(1939a, 6, 11) Bemerkungen zu ausgedehnten
Suchschnitten, die aber ergebnislos geblieben
sind. Demnach führten weder großflächige
Feldbegehungen im Umfeld der Hügelgräbernekropole noch die Anlage von mehreren
Suchschnitten östlich und westlich der Straße
von Wiskiauten nach Wosegau auf einer Stufe
des terrassenartig zur Niederung abfallenden
Geländes zur Auffindung von Siedlungsspuren. Auch ein langer, nach Osten gerichteter
Suchgraben lieferte keine Hinweise.
Kleemann (1939a, 11) resümierte, dass zukünftige Forschungen, zu denen es aber infolge des
Zweiten Weltkrieges nicht mehr kommen sollte, sich „auf den Hochuferrand bis zum Gut
Bledau, besonders an der auffällig in die Niederung vorspringenden Halbinsel [Palve244] in
der Mitte dieser Strecke“ konzentrieren müssten. Auch Suchschnitte „bei den Dorfstellen
altes Wiskiauten, neues Wiskiauten und Wosegau und schließlich dicht südlich und westlich der Kaup“ hielt er für sinnvoll.
Sehr eigene Vorstellungen entwickelte Kulakov (1989; 2005) zur Lage und darüber hinaus
auch zur Struktur der Siedlung, die er analog
zum alten Flurnamen des Gräberfeldes als
„Siedlung Kaup“ bezeichnete. Dabei leitete er
– anders als die deutsche Forschung (vgl. z. B.
Heydeck 1877, 650; Engel 1935a, 110) – den Begriff nicht von den Bestattungen, sondern aus
dem altnordischen Wort kaupangr für Handelsplatz her (Kulakov 2005, 55).
Nach der Auswertung eines Luftbildes aus
den 1960er Jahren wollte Kulakov (1989; 2005,
62) zahlreiche Siedlungsspuren im Umfeld des
Gräberfeldes erkannt haben und versuchte, sie
durch Suchschnitte und Oberflächenbegehun244
Anmerkung von Verf.
Die Siedlungsforschungen
147
Abb. 52 Wiskiauten. Auswertende Umzeichnung eines Luftbildes mit Markierung archäologischer Befunde (Kulakov 1989, 83 Abb. 2). 1 Ausbreitung der Kulturschicht. – 2 Reste obertägiger Bauwerke. – 3 Grenze
der Flussaue und Halbkreiswall um die Siedlung. – 4 Fluss. – 5 Zerpflügte Hügelgräber. – 6 Flachgräber.
– 7 Grenze des Wäldchens.
gen zu verifizieren. Die Umzeichnung des Luftbildes (Kulakov 1989, 83 Abb. 2; 1994, 82 Abb.
39; hier Abb. 52) gibt mehrere siedlungsrelevante Strukturen wieder. So soll die Siedlung
in ihrem Hauptteil im südwestlichen Bereich
der Hügelgräbernekropole gelegen haben und
in ihrem südwestlichen Rand von einem Halb-
kreiswall geschützt worden sein245.
Dieser Wall soll, zusammen mit einem begleitenden Graben, eine ausgedehnte Siedlungsfläche geschützt haben, die sich nördlich bis
Zu den Ergebnissen der Bohrungen, die zur
Überprüfung an der wallartigen Struktur durchgeführt worden sind, vgl. Kap. C.4.4.1.3.
245
148
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
in das Hügelgräberfeld erstreckt und dieses
teilweise überlagert (ders. 2005, 62). Die Größe des außerhalb des Waldstückes liegenden
Teils der Siedlung wird mit 250 x 200 m angegeben, während die Gesamtgröße 500 x 250 m
– etwa 12,5 ha – betragen haben soll. Im Osten
der Nekropole vermutete Kulakov (ebd.) eine
kleine Befestigung, als „Borg“ bezeichnet, die
auf dem von J. Heydeck ausgegrabenen Steinzeithügel errichtet worden sein soll. Heydeck
(1873) bemerkte jedoch bei der Ausgrabung
keine Besonderheiten, die auf eine wikingerzeitliche Befestigungsanlage hindeuten könnten. Die wallartige Umfassung des steinzeitlichen Hügels, die Kulakov zur Interpretation
als Burganlage geführt haben mag, resultiert
aus der Ausgrabung Heydecks, da die Erde aus
dem Hügelinneren während der Ausgrabung
an den Seiten angehäuft worden ist. Westlich
dieser „Borg“ begann nach Kulakovs (2005,
62) Vorstellungen die Belegung mit Hügelgräbern, die sich allmählich weiter nach Westen
ausgebreitet und damit auch die Ausdehnung
der „offenen“ Siedlung verändert haben sollen. Einerseits bleibt dabei unklar, warum eine
durch einen Wall befestigte Siedlung als offene und nicht als befestigte Siedlung bezeichnet
wird. Andererseits fällt die durch das Gräberfeld von der Siedlung separierte isolierte Lage
der „Borg“ auf, die bei einer tatsächlichen Existenz doch eher in das Gebiet der Siedlung integriert gewesen sein dürfte.
Seine Vermutungen versuchte Kulakov (Archiv Kaliningrad) im Jahr 1979 durch Oberflächenbegehungen und kleine Ausgrabungsschnitte zu untermauern. Einerseits wurden
dabei auf dem damals noch unter ackerbaulicher Nutzung stehenden Gelände Scherben
handgeformter Keramik, Schleifsteinbruchstücke und Fragmente der Horn- und Knochenbearbeitung gefunden, die auf eine Siedlungsschicht hinzudeuten schienen (Kulakov
2005, 62). Ein Grabungsschnitt von 4 x 2 m
Größe soll eine Kulturschicht bis 0,7 m Dicke
aufgedeckt haben. Dabei fand sich unter Trümmern von kleinen Steinen 0,25 m in den Boden
eingetieft ein Teil eines Hauses (Abb. 53).
Vermutlich bezieht sich diese Tiefenangabe auf
den anstehenden Boden, da die Struktur im
Pflughorizont bei der intensiven jahrundertelangen ackerbaulichen Nutzung in dieser Tiefe wohl nicht erhalten geblieben wäre. Die bei
Abb. 53 Wiskiauten. Zeichnung des „Hausbefundes“ auf dem Acker im Süden des Gräberfeldes
(Kulakov 2005, 63 Abb. 11).
Kulakov (2005, 62) angegebene Mächtigkeit
der Kulturschicht von bis zu 0,7 m Dicke ist der
veröffentlichten Profilzeichnung (ebd. Abb. 11)
jedoch nicht klar zu entnehmen. Wenngleich
die Interpretation als Hausreste aufgrund der
unklaren Struktur und nur eines dokumentierten Pfostenlochs sowie drei undefinierbarer Gruben sehr fraglich bleibt, scheinen die
geborgenen Hüttenlehmfragmente auf Bebauungsstrukturen zumindest in der näheren
Umgebung hinzuweisen. Die zeitliche Einordnung in die Wikingerzeit aufgrund der wenigen, nicht im Kontext gefundenen Streufunde
ist jedoch schwer nachzuvollziehen.
Als zweiten Baubefund führte Kulakov (2005,
63) einen Grabungsschnitt am Fuß des Grabhügels K 174 an. Die dabei aufgedeckte rechteckige Steinstruktur von 1 x 1 m Ausdehnung,
als Herdstelle interpretiert, die offenbar aus
kleinen Steinen, vermischt mit Tierknochen
und Holzkohle, bestanden hat und sechs Pfo-
Die Siedlungsforschungen
stenstandspuren enthalten haben soll, ist ebenfalls nur mit großer Unsicherheit als Rest eines frühmittelalterlichen Hauses auszudeuten.
Analog zu den Befunden im Umfeld der Grabhügel K 174 (ebd. 66 Abb. 10) und K128/146
(ebd. 77 Abb. 24) könnte es sich entweder um
Reste von Bestattungen oder von Befunden
im Zusammenhang mit einem unbekannten
Bestattungsritual bzw. einem Opferritual im
Anschluss an die Beisetzung gehandelt haben. Die Beschreibung des Fundmaterials als
„Scherben handgefertigter Keramik“ sowie der
Vergleich mit Befunden aus Århus in Dänemark reicht zumindest nicht aus, dem Befund
eine klare Datierung in die Wikingerzeit zu
bescheinigen. Insofern ist zwar grundsätzlich
auch ein von einem Grabhügel überlagertes
Siedlungsobjekt denkbar; dieses dürfte dann
aber vermutlich nicht mit der Nutzungsphase
des Gräberfeldes in zeitlichem Zusammenhang
stehen, sondern früher angelegt worden sein.
Hierzu passt dementsprechend Kulakovs (ebd.
62) Interpretation, dass ein Teil der Siedlung
von späteren Grabhügeln überlagert worden
sei. Angesichts der ausgedehnten Freiflächen
um das Gräberfeld herum, die genügend Platz
für die Anlage von Bestattungen bieten, kann
diese Erklärung jedoch nicht zufrieden stellen.
Einen überzeugenden Hinweis auf die gesuchte, zeitlich zum Gräberfeld gehörige Siedlung
liefern die angeführten Befunde nicht.
Im Frühjahr 2006 legte Kulakov (2006, 126f.
Abb. 5) einen Grabungsschnitt im südlichen
Waldbereich an246. Er liegt in der Nähe des in
Fläche 1 freigelegten Ofenbefundes der Vorrömischen Eisenzeit (vgl. Kap. C.5.1). In einem 7 x
4 m großen Suchschnitt konnte eine nord-südlich orientierte maximal 0,12 m dicke und etwa
1 m breite Verziegelungsschicht dokumentiert
werden, die sich über die gesamte Schnittbreite
von 4 m nachweisen ließ. Zur Datierung wurden drei Keramikscherben aus dem darüberliegenden Ackerhorizont herangezogen, die dem
10. Jahrhundert angehören sollen. Kulakov
(ebd.) deutete die Verziegelung als Hinweis auf
eine Befestigungsanlage, die im Zusammenhang mit der „Siedlung Kaup“ stehen soll. Dieser Erklärung kann aufgrund des kleinen GraDer Grabungsschnitt „3a“ diente zur Vorbereitung der Errichtung einer Palisade, die für ein touristisches Wikingerfestival auf dem Gelände der
vermuteten Siedlung aufgebaut wurde.
246
149
bungsauschnittes, der nicht geklärten Ursache
der Verziegelung und der fehlenden Datierung,
die nicht über Streufunde aus unstratifizierten,
ackerbaulich gestörten Schichten über dem Befund ermittelt werden darf, nicht gefolgt werden.
Die Theorien deutscher Forscher griff zuletzt
auch Bogucki (2006a, 102 Abb. 12) auf, indem er
die beiden bevorzugten Bereiche in der bereits
von Kleemann (1939b Abb. 1; vgl. hier Abb. 54)
publizierten Karte markierte. Diese aufgrund
von topographischen Merkmalen gewonnenen
Lagetheorien sind plausibel, aber bislang nicht
bewiesen. Zusammenfassend lassen sich weder aus der bisher publizierten Literatur noch
aus den Archivalien sichere Hinweise auf die
Lage der vermuteten Siedlung gewinnen.
C.3 Fragestellungen
Nachdem durch Analyse des Fundmaterials
aus den Hügelgräbern der Kaup bei Wiskiauten und der Auswertung der Schriftquellen
unbedingt mit einer dauerhaften Anwesenheit
von skandinavischen Personengruppen in der
Umgebung des Gräberfeldes zu rechnen ist,
konzentrierten sich die gegenwärtigen Forschungen im Rahmen des Wiskiauten-Projektes am Anfang naturgemäß auf die Auffindung
entsprechender Siedlungsbefunde des 9.–11.
Jahrhunderts. Durch die Aufdeckung von
Siedlungsspuren der Zeit direkt vor und nach
der Belegungsphase des Gräberfeldes hat sich
der zeitliche Schwerpunkt der Forschungen
jedoch mittlerweile deutlich erweitert. Nicht
länger steht nur die lange Zeit die Forschung
dominierende Hügelgräbernekropole im Vordergrund. Insbesondere die frühe Besiedlung
durch die einheimische Bevölkerung, die einer
Niederlassung der Wikingerzeit vorangegangen sein muss, wird mittlerweile systematisch
in die Forschungen einbezogen. Hier gilt es, die
infrastrukturellen Rahmenbedingungen abzustecken, vor deren Hintergrund die zum Gräberfeld gehörende Siedlungsgemeinschaft sich
niedergelassen hat oder in deren Millieu sie an
einer bestehenden Siedlung beteiligt worden
ist. Es erscheint nicht denkbar, dass ohne eine
bereits etablierte, einheimische Vorgängersiedlung eine Teilnahme skandinavischer Personen
am Siedlungsgeschehen erfolgen konnte, oder
dass eine neu gegründete Siedlung in einer
150
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
völlig unbesiedelten Region angelegt wurde,
da der vermutete Hauptzweck des Handels infrastrukturelle Voraussetzungen erfordert und
eine bestehende Siedlungsstruktur sehr wahrscheinlich auszunutzen versucht haben wird.
Die Dominanz des Hügelgräberfeldes, das
jahrzehntelang Mittelpunkt jeglicher Forschungen war, und die daran geknüpfte Suche nach
zeitgleichen Siedlungsspuren weicht demnach
einer erweiterten Fragestellung, welche die gesamte Siedlungskammer über einen größeren
Zeitraum zu untersuchen hat.
Zunächst galt es, eine Forschungsstrategie zu
entwickeln, die ein sehr großes Gebiet, in diesem Fall etwa 3 km2, schnell großflächig voruntersuchen kann, um die Ansatzpunkte archäologischer Grabungen zu definieren. Zwar bietet der Fundplatz einerseits durch die fehlende
moderne Überbauung und die Zugänglichkeit
infolge der weitgehend brachliegenden Felder
und Wiesen gute Bedingungen für großräumige Untersuchungen, andererseits aber fällt
durch die russischen Denkmalschutzgesetze,
die die Untersuchung von nicht ackerbaulich
genutzten Flächen mit dem Metalldetektor
verbieten, die an anderen wikingerzeitlichen
Fundplätzen so erfolgreich praktizierte Methode der Begehung mit Metallsuchgeräten
(vgl. z.B. für Haithabu: Hilberg 2007) weitgehend aus. Da auch herkömmliche Oberflächenbegehungen aufgrund der dichten Vegetationsdecke nur ansatzweise möglich sind,
versprach der Einsatz von geophysikalischen
Messgeräten zum Erfolg zu führen. Der Einsatzort wurde gleichzeitig durch geologische
Bohrungen eingegrenzt. Sie sollten die Frage
der ehemaligen Wasserverhältnisse und des
vermuteten ehemaligen Küstenverlaufes des
Kurischen Haffes klären, um die noch heute
teilweise stark vernässten, siedlungsungünstigen Gebiete von vornherein von der Suche
ausschließen und die Untersuchungsfläche
dementsprechend begrenzen zu können.
Zur Auswahl der durch geophysikalische
Prospektionsmethoden zu untersuchenden
Areale dienten anfangs die Hinweise auf Siedlungsspuren in der direkten Nachbarschaft
der Nekropole, die V. I. Kulakov (zuletzt zusammenfassend 2005) bei seinen Forschungen
gewinnen konnte. Ausgehend vom Gräberfeld
wurde daher in alle Himmelsrichtungen nach
Siedlungsspuren gesucht.
In der ersten Projektphase247 beschränkten sich
die Fragestellungen auf relativ grundlegende
Probleme. So ging es zunächst darum, ob der
Einsatz geophysikalischer Methoden unter
den gegebenen Bodenverhältnissen überhaupt
möglich sein würde und ob sich Auffälligkeiten im Boden als geomagnetische Anomalien
zeigen würden. Diese Vermutung hat sich
vollständig bestätigt. Die Messungen lieferten
sehr viele Ansatzpunkte für weiterführende
Untersuchungen. Um die große Zahl der Anomalien in den Messbildern zunächst vorläufig
als verdächtig oder unverdächtig einstufen zu
können, erschien der Einsatz eines Bohrgerätes
zur Vorsondierung sinnvoll. Während dieser
Arbeiten entwickelte sich aufgrund der guten
Bohrergebnisse und der überwiegend hervorragenden Befunderhaltung die Idee, besonders
auffällige Strukturen durch Entnahme von organischem Probenmaterial naturwissenschaftlich zu datieren und so zu einer zeitlichen Aufschlüsselung der Anomalien und besonders
ihrer dichten Konzentrationen, den potentiellen Siedlungsverdichtungen, zu gelangen. Aus
der Kombination der Messergebnisse und der
14
C-Analysen des Probenmaterials konnte im
nächsten Schritt eine sinnvolle Auswahl der
archäologischen Ausgrabungsflächen erfolgen.
Im Anschluss haben kleinräumige Ausgrabungen stattgefunden. Hierbei musste zunächst
geklärt werden, inwieweit die Bodenverhältnisse eine Befunderhaltung überhaupt erlauben und ob als Ursache für die Anomalien in
den Messbildern tatsächlich archäologische
Objekte verantwortlich gemacht werden können. Auch in dieser Frage war das Ergebnis
überwiegend positiv.
Diese Forschungsstrategie hat sehr schnell zu
einem ersten Gesamtüberblick über die archäologischen Verhältnisse im definierten Arbeitsgebiet geführt. Mittlerweile umfasst die
geomagnetisch vermessene Fläche knapp 100
Hektar (vgl. Abb. 66). Die Messflächen sind
dabei so in der Landschaft verteilt, dass zu nahezu allen Bereichen des insgesamt 3km2 großen Territoriums, das potentiell für menschliche Siedlungsaktivitäten in Frage kommt,
nunmehr Informationen vorliegen, ob Grabungen Erfolg versprechen oder nicht. Selbstverständlich sind die Ergebnisse der GeomaDie erste Projektphase umfasst den Zeitraum
der Jahre 2005 bis 2007.
247
Die Siedlungsforschungen
gnetik ständig kritisch zu prüfen, da mit Sicherheit nur bestimmte Befundgruppen wie
relativ tief in den Boden eingegrabene Gruben
oder Hausstrukturen erkannt werden können.
Für kleine Befunde wie Pfostengruben scheint
die Methode unter den gegebenen Vorraussetzungen nicht tauglich. Zusätzlich wurde
zugunsten einer hohen Geschwindigkeit auf
eine sehr feine Auflösung der Messbilder verzichtet. Bestimmte Befundgruppen bleiben daher wahrscheinlich unsichtbar. In der Zukunft
gilt es, unbedingt auch die Bereiche zwischen
den auffälligen Anomalien in die Wahl der
Grabungsflächen einzubeziehen. Ein weiteres
Problem ergibt sich dadurch, dass vorangehende Grabungen und somit archäologische
Siedlungsbefunde fehlen, vor deren Hintergrund – wie etwa in Haithabu (Hilberg 2007,
193) – die erzielten Ergebnisse der geophysikalischen Untersuchungen überhaupt erst oder
jedenfalls besser interpretierbar wären.
In archäologischer Hinsicht sind besonders
Fragen zum Ablauf des Siedlungsgeschehens
interessant. Sie können jedoch zur Zeit nur ansatzweise beantwortet werden, da die zeitliche
Aufschlüsselung der erkannten Siedlungskonzentrationen noch nicht soweit abgesichert ist,
dass sich die vermuteten Entwicklungstendenzen in vollem Umfang bestätigen lassen. Überhaupt können bislang noch keine sicheren
Grenzen der lokalisierten Siedlungsaktivitäten definiert werden. Lediglich eine grobe Einschätzung ist auf der Basis des vorhandenen
Datenmaterials möglich. Weiterführende Fragen wie die Anzahl der Siedlungskerne, ob es
eine große oder mehrere kleine Siedlungen gegeben hat, ob sich Siedlungsbereiche im Laufe
der Zeit verschoben haben, ob sich funktionale Bereiche innerhalb der Siedlungskerne ausgliedern lassen, ob sich verschiedene kulturelle
Komponenten im Siedlungsmaterial erkennen
lassen, ob es sich überhaupt um eine polyethnische oder etwa doch um mehrere, ethnisch
separierte Siedlergemeinschaften gehandelt
hat, sind bislang nur rudimentär und hypothetisch zu beantworten. Erschwerend ist hier der
Umstand, dass bisher keine eindeutigen Siedlungsspuren aus dem 9.–11. Jahrhundert, also
aus der Kernbelegungszeit des Hügelgräberfeldes, lokalisiert werden konnten. Skandinavische Funde schließlich sind im Siedlungsmaterial nur so spärlich vertreten, dass Aussagen,
151
wo skandinavische Bevölkerungsteile in das
Siedlungsgeschehen integriert gewesen sind,
nicht abgesichert werden können.
Erst nach der Durchführung größerer Ausgrabungen können Fragen zum Fortbestehen von
Siedlungsarealen nach Ende des Hügelgräberfeldes gestellt werden. Siedlungsspuren aus
dieser Zeit, namentlich aus dem 11. und 12.
und sogar 13. Jahrhundert, sind zahlreich dokumentiert worden. Das ausschließlich einheimische Fundmaterial und die fehlende Belegung der Nekropole durch zeitgleiche Gräber
mit skandinavischem Fundmaterial nach der
Mitte des 11. Jahrhunderts lassen aber darauf
schließen, dass in dieser Zeit keine skandinavischen Personen mehr am Siedlungsgeschehen beteiligt gewesen sind.
Diskussionen schließlich, ob Wiskiauten als
Zentralort, als Seehandelsplatz oder als kleine Handelsniederlassung verstanden werden
kann und in welchem Ausmaß die vermutete
Siedlung in das Handelsnetzwerk der Wikingerzeit eingebettet gewesen sein mag, sind
bislang weiterhin nur auf theoretischer Basis
möglich. Archäologisch abgesicherte Erkenntnisse hierzu stehen noch weitgehend aus. Sie
sind mit großer Wahrscheinlichkeit für die
nahe Zukunft zu erwarten. Aber bislang bleibt
die wesentliche Fragestellung des Projektes,
Siedlungsspuren zu identifizieren, sie zeitlich
und räumlich einzugrenzen und schließlich
Funde zu bergen, die auf die Anwesenheit von
Skandinaviern hindeuten könnten.
C.4 Eingrenzung des potentiellen Siedlungsgeländes durch verschiedene
Prospektionsmethoden
Zur räumlichen Eingrenzung des in Frage
kommenden Siedlungsgeländes standen den
modernen Untersuchungen im Wesentlichen
zwei Methoden zur Verfügung. Einerseits
dienten geologische Bohrungen und die Auswertung geologischer Karten zur Überprüfung
eines bereits in den 1930er Jahren entwickelten
Landschaftsmodells, das unter Annahme eines
zur Wikingerzeit erhöhten Wasserstandes eine
im Gegensatz zur heutigen Situation wesentlich weiter im Landesinneren liegende Küstenlinie vermutete. Insgesamt sind während einer
zehntägigen, geologischen Bohrprospektion
59 Bohrungen abgetieft worden. Die Wahl der
152
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Standorte erfolgte aufgrund topographischer
Gegebenheiten. Bohrungen wurden besonders
dort abgeteuft, wo auf Grundlage der „Geologischen Karte von Preußen und seinen benachbarten Bundesstaaten“ (Blatt 1088, Cranz;
hier Abb. 15), herausgegeben von der Königlich Preußischen Geologischen Landesanstalt
im Jahr 1907, ein Übergangsbereich von festen, lehmigen Böden und vernässten, torfigen
Landschaftsteilen vermutet werden musste
(zu den Ergebnissen vgl. Kap. C.4.1.1).
Als zweites Instrument dienten geophysikalische Prospektionsmethoden. Aus den resultierenden Messbildern lassen sich in Verbindung
mit den zur Überprüfung abgeteuften Bohrungen in einzelnen Anomalien Informationen darüber ableiten, wo eine Anhäufung von
verdächtigen Objekten auf Areale hoher Siedlungsaktivität hinweisen könnte. Seit dem Jahr
2005 haben vier geophysikalische Messfahrten
stattgefunden, die ein Areal von knapp 100
Hektar Größe untersucht haben (zu den Ergebnissen vgl. Kap. C.4.4).
Als zusätzliche Hilfsmittel standen deutsche
und sowjetische, zu militärischen Zwecken
produzierte Luftbilder sowie moderne, semiprofessionell fotografierte Luftbilder zur
Verfügung, die jedoch keine nennenswerten
Strukturen erkennen lassen und somit keine
Hinweise auf Siedlungsareale liefern.
Zur zeitlichen Eingrenzung der durch geomagnetische Messungen erkannten und durch
Bohrungen überprüften Anomalien schließlich sind die aus den Bohrkernen entnommenen, 14C-datierten Holzkohle- oder Tierknochenproben heranzuziehen. Sie zeigen, dass
Befunde verschiedener Zeitstufen relativ dicht
beieinander liegen können und betonen dadurch die beschränkte Aussagekraft der geomagnetischen Messbilder. Zwar wurden an
ausgewählten Befunden auch Georadarmessungen durchgeführt, aber auch diese Methode kann nur innere Gliederungen der Befunde
und bestenfalls vorläufige Tiefeneinschätzungen liefern. Das Problem der diachronen Nutzung der Siedlungskammer kann weiterhin
nur durch die Datierung von Probenmaterial
aus den Bohrkernen und durch archäologische Ausgrabungen aufgeschlüsselt werden.
Dabei kann die Gefahr der Verschleppung von
Probenmaterial durch Bioturbationen oder
anthropogene Einflüsse nur bei entsprechend
großer Anzahl statistisch abgesichert werden.
Im Folgenden werden die Ergebnisse der einzelnen Eingrenzungskriterien vor ihrem methodischen Hintergrund dargestellt.
C.4.1 Geologische und naturräumliche Untersuchungen
C.4.1.1 Geologische Bohrungen
Schon Heydeck (1893, 47) nahm an, dass sich
die Ufer des Kurischen Haffes im Neolithikum
wesentlich weiter im Landesinneren befunden
haben müssen als in der Neuzeit. Nicht weit
von Cranz soll dabei ein Durchbruch oder Tief
bestanden haben. Diesen Gedanken griffen
spätere Forscher auf. Von Wichdorff (1919,
159) nahm an, dass das Cranzer Tief „eine
ziemlich große Breite und eine nicht unbedeutende Tiefe“ besessen habe und dementsprechend in voller Breite schiffbar gewesen
sei und dass die feuchte Niederung zwischen
Bledau und Cranz mehrere Meter248 unter dem
Wasserspiegel gelegen habe (ebd. 158 Abb. 33).
Weiterhin vermutete er, dass die Memel und
alle zum Haff hin entwässernden Flüsse hier
ihren Ausfluss in die Ostsee hatten (ebd. 167).
Er stellt allerdings in Frage, ob das Cranzer
Tief zur Zeit der steinzeitlichen Bevölkerung
überhaupt noch Bestand hatte und verlegt die
rekonstruierten Wasserverhältnisse damit in
eine Zeit lange vor der frühmittelalterlichen
Besiedlung. Die von ihm erstellte Karte der
ehemaligen Wasserverhältnisse und der Ausdehnung des Cranzer Tiefes bildet die Grundlage späterer Forschungen.
Engel (1935a, 115 Abb. 59) übernahm von
Wichdorffs Daten und lässt das Cranzer Tief
auf breiter Strecke von Cranz bis Klein Thüringen über eine Distanz von geschätzten 6
km als Verbindung zwischen Haff und Ostsee
erscheinen. Das Haff soll sich in seiner Karte,
der von Wichdorffs Karte zugrunde liegt, als
breiter Zugang bis kurz vor Wosegau und bis
knapp südlich von Bledau ausgedehnt haben.
Andere Bearbeiter dagegen haben sich entFür die Bereiche östlich von Wosegau und Bledau kurz westlich des Cranzer Hafens (Cranzbeek)
gibt von Wichdorff (1919, 158 Abb. 33) eine Tiefe
von -12 m an, die sich jedoch ausdrücklich auf „den
Seespiegel, nicht auch die heutige Landoberfläche“
bezieht.
248
Die Siedlungsforschungen
schieden gegen das Vorhandensein eines
Tiefs bei Cranz geäußert. So schließt Andrée
(1932, 38f.) aufgrund des Fehlens von Ostseemuscheln aus den das Meer unterlagernden
„Ostseesanden und Kiesen mit Kiesgeröllen“
in allen Bohrungen, die auch als ausgewaschene Dilluvialablagerungen interpretierbar sind,
ein Tief bei Cranz völlig aus. Er sieht das sog.
Schwendlunder Moor, das sich südlich des
vermuteten Cranzer Tiefs befindet, sogar als
Reste eines ruhigen Ausläufers des Kurischen
Haffs an, dessen Verlandung in die LittorinaZeit zurückgehen könnte und somit lange vor
dem hier zu untersuchenden Zeitraum stattgefunden haben dürfte.
Eine erweiterte Karte legte Kleemann (1939a,
7 Abb. 1; hier Abb. 54) vor. Sowohl die von
von Wichdorff (1919, 158 Abb. 33) errechnete
Ausdehnung von mehr als 2 km Breite als auch
die Tiefenangaben zwischen 2 und 12 m bzw.
die durchschnittlichen Tiefen zwischen 6 und
8 m hält Kleemann (1939a, 12) für das vermutete Cranzer Tief für überzogen. Nach seiner
Meinung hat sich das Haff als etwa 1 km breite,
offene Wasserfläche bis in etwa 1 km Entfernung vom Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten erstreckt. Nach Westen und nach Süden
sollen dabei zwei keilartig in die Landschaft
einschneidende, breite Wasserläufe vorhanden gewesen sein, die von zwei aus dem Landesinneren kommenden Flussläufen gespeist
wurden. Es ergibt sich ein alter Küstenverlauf,
der in etwa 1 km Entfernung zur Nekropole im
Norden über Nordosten nach Osten verläuft.
Zu dieser Situation passen die geologischen
Verhältnisse, die der „Geologischen Karte von
Preußen und seinen benachbarten Bundesstaaten (Blatt Cranz)“ von 1907 zu entnehmen sind.
Zwar spiegelt diese Karte in topographischer
Hinsicht nur die Verhältnisse zur Zeit ihrer Erstellung wider, die geologischen Informationen lassen jedoch eingeschränkt Rückschlüsse
auf allgemeine Tendenzen in der Landschaftsentwicklung zu. In der betreffenden Karte
lässt sich durch die Signatur in den von Kleemann (Abb. 54) als Wasserfläche angegebenen
Bereichen eine vernässte Niederung erkennen,
die vermutlich als Grundlage für Kleemanns
Rekonstruktionsversuch diente. Die großen
Niederungsflächen sind in der geologischen
Karte als „Flachmoortorf mit faulschlammartigem Sanduntergrund bei niedrigem Grund-
153
wasser“ präzisiert. Kleemann verzeichnete an
zwei Stellen in die Wasserfläche vorgeschobene Halbinseln. Auf der nördlichen liegt heute
das Dorf Wosegau, auf der östlichen mit dem
Flurnamen Palve vermutete Kleemann (1939b,
225) in der „Fundstelle Wosegau 6“ eine steinzeitliche Siedlung249.
Zur Überprüfung der von Kleemann (vgl.
Abb. 54) rekonstruierten Wassersituation wurden im März 2006 in den Niederungsflächen
und den vermuteten Uferbereichen insgesamt
59 geologische Bohrungen abgeteuft (Abb.
55–56). Es zeigte sich insbesondere für den
nördlichen Teil um Wosegau ein völlig anderes Bild als in Kleemanns Karte dargestellt250.
Bei nahezu der Hälfte aller Bohrungen in diesem Bereich wurden reine Torfabfolgen (Schilfund Bruchwaldtorf) über glazialen Sedimenten erbohrt (Jakobsen/Pahl 2006, 9; hier Abb.
57). Hier können also während des gesamten
Holozäns und somit auch während der Wikingerzeit keine zusammenhängenden größeren
Wasserflächen existiert haben. Die erbohrten
Sedimentabfolgen lassen vielmehr auf Schilfflächen und Bruchwälder schließen, die auch
in heutiger Zeit das Landschaftsbild dominieren. Diese Bruchwälder und Schilfgebiete sind
jedoch von größeren Wasserläufen durchzogen gewesen. Ein über 600 m Länge angelegtes Bohrprofil, das von einem Punkt südöstlich
von Wosegau in nördlicher Richtung über die
gesamte Breite der dort vermuteten Niederung angelegt wurde, erbrachte das Ergebnis,
dass es hier offenbar niemals eine ausgedehnte Wasserfläche gegeben hat. Dafür wurden
aber drei rinnenartige Flussläufe nachgewiesen, die vermutlich glaziofluvialen Ursprungs
sind. Die südliche und die mittlere Rinne stellen dabei nur kleine Wasserläufe von bis zu 1
Hinweise auf steinzeitliche Siedlungsspuren
sind in den Grabungsflächen des Jahres 2008 auf
der Palve zutage gekommen. Ihre endgültige Datierung mittels Radio-Karbon-Analyse lag kurz vor
Abschluss dieser Studie vor. Die freigelegten Kulturschichten datieren demnach tatsächlich in das
Neolithikum.
249
Die an dieser Stelle wiedergegebenen Erläuterungen basieren im Wesentlichen auf geologischen
Bohrungen, die von O. Jakobsen und S. Pahl (Naturerlebniszentrum Maaholm) im März 2006 parallel zur geomagnetischen Prospektion stattgefunden
haben.
250
154
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 54 Rekonstruktion der Wasserverhältnisse um Wiskiauten (Kleemann 1939, 7 Abb. 1).
m Tiefgang dar. Die breitere, nördlichere Rinne dagegen, die eventuell mit dem heute stark
drainierten Fluss Brast (heute Trostjanka)
gleichgesetzt werden kann, muss als größerer
Fluss von 50-100 m Breite und mindestens 5 m
Tiefe schiffbar gewesen sein.
Im Osten des Gräberfeldes von Wiskiauten dagegen konnten in der Niederung in mehreren
Bohrungen mit mineralischen und organischen
Mudden Sedimente erbohrt werden, die auf
eine Ablagerung unter Stillwasserbedeckung
schließen lassen (Jakobsen/Pahl 2006, 9f.). Für
die Rekonstruktion der Wasserverhältnisse
bedeutet dies, dass es im Bereich der Palve
tatsächlich offene Wasserflächen gegeben haben könnte, da hier in mehreren Bohrkernen
die für gut durchlüftete, offene Gewässer ty-
pischen mineralischen Mudden angetroffen
wurden. Für konkrete Aussagen zur Ausdehnung dieser Wasserfläche und den Verlauf ihrer Küste ist die Anzahl der Bohrungen jedoch
zu gering. Immerhin sprechen die bisherigen
Ergebnisse in diesem Untersuchungsbereich
nicht gegen das von Kleemann (vgl. Abb. 54)
entwickelte Modell der Wasserverhältnisse.
Im Norden aber muss Kleemanns Rekonstruktion abgelehnt werden. Insbesondere der Anschluss der ermittelten Flussläufe im Norden
an die im Osten nachgewiesene Wasserfläche
ist aufgrund der punktuellen Bohrungen unklar.
Ebenso unsicher ist, ob es auch einen in südlicher Richtung verlaufenden Fluss gegeben
hat, der die vermutete offene Wasserfläche
Die Siedlungsforschungen
155
Abb. 55 Lage der Geologischen Bohrungen im Umfeld von Wiskiauten.
als schiffbare Rinne durchzog. Für die Beurteilung der dortigen Verhältnisse können alte
Landkarten herangezogen werden, deren Verhältnisse aber aus einer Zeit stammen, als das
Gräberfeld von Wiskiauten schon über 500
Jahre nicht mehr in Nutzung stand. Eine Übertragung der Wassersituation auf die Wikingerzeit ist also nicht möglich. Dennoch liefert
besonders eine Karte von Caspar Henneberger,
deren erste Version um 1576 erschienen (Ohne
Verfasser 1871, 16) und die 1595 sowie 1863
(Henneberger 1863) neu aufgelegt worden ist,
einige bedeutungsvolle Hinweise. In Hennebergers Landkarte ist vom Haff in Richtung
Westen einschneidend ein größerer Wasser-
lauf eingezeichnet, der die Beekinsel umfließt.
Hier mündet der aus Westen kommende Fluss
„Beck“. Ein weiterer Fluss, hier mit „Bledauwisch Beck“ bezeichnet, kommt aus südwestlicher Richtung. Er entspringt laut Karte etwas
südlich von Rudau und vereint sich östlich
von Labiau mit einem namentlich nicht benannten kleineren Fließgewässer. Demnach
wäre der gesamte Fluss ab Rudau bis zu seiner Mündung in der Nähe Wiskiautens durchgehend wasserführend und möglicherweise
auch schiffbar gewesen. Hennebergers Karte
ist aber erst um 1576 entstanden. Für die frühmittelalterlichen Verhältnisse ist diese Quelle
also nicht direkt verwendbar. Aber sie gibt ei-
156
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 56 Lage der geologischen Bohrpunkte. Links: nördlicher Bereich von Wiskiauten (vgl. Abb. 55, Ausschnitt 1). - Rechts: östlicher Bereich von Wiskiauten (vgl. Abb. 55, Ausschnitt 2).
nen Hinweis, dass mit der Schiffbarkeit eines
größeren Gewässers auch in südlicher Richtung zu rechnen ist.
Das größte Problem stellt die Datierung der
durch die geologischen Untersuchungen ermittelten bzw. rekonstruierbaren Wassersituation dar. Aus mehreren Bohrkernen wurden
organische Proben gewonnen, die über RadioKarbon-Datierungen auf ihr Alter bestimmt
wurden. Dabei stellte sich heraus, dass die
rekonstruierten Wasserverhältnisse zumeist
jungsteinzeitlich oder jünger sein müssen.
Insgesamt sind vier Bohrproben durch 14CAnalysen datiert worden. Es handelt sich um
drei Proben aus Bohrungen, die in der Umgebung von Wosegau angelegt wurden, sowie
um eine Probe aus dem Bereich der Palve.
Die Bohrung BWI 8 (vgl. Abb. 56, 1; 58) wurde in der nördlichen Niederung nordwestlich
vom Dorf Wosegau abgeteuft (vgl. Abb. 12).
Hier besteht, durch den kleinen Bachlauf Woj
gespeist, eine Art Becken, das sich westlich
der halbinselartigen Geländeformation befindet, auf der das Dorf Wosegau liegt. Es reicht
heutzutage knapp bis an den drainierten Fluss
Brast/Trostjanka heran und könnte früher mit
ihm verbunden gewesen sein.In Bohrung BWI
8 steht in einer Tiefe von 0,39–1,14 m unter NN
organische Mudde über Torf an. Mudde lagert
sich unter Stillwasserbedingungen ab. In diesem Bereich hat es demzufolge einen schmalen
Wasserlauf oder eine offene Wasserfläche ge-
geben. Das datierte organische Material wurde aus dem Übergang vom Torf zur Mudde
entnommen. Der Datierung zufolge war dieses offene Gewässer im Bereich der Bohrung
bereits um 2576-2469 v. Chr.251 tief genug, so
dass es zur Ablagerung von Mudde kommen
konnte. Bei einer angenommenen Sedimentationsrate von 1 mm/Jahr, wie sie z. B. für den
Oldenburger Graben in Ostholstein angenommen wird (Jakobsen 2004), könnte die Wasserfläche für ca. 750 Jahre, also bis 1816-1719 v.
Chr. bestanden haben, bevor die Verlandungsprozesse mit der Ablagerung des hangenden
Torfes einsetzten. Demzufolge gab es hier zur
Wikingerzeit keine offene Wasserfläche. Diese
Aussage setzt allerdings eine kontinuierliche
Ablagerung der Mudde voraus.
Die Bohrung BWI 15 wurde auf einem Grundstück im Dorf Wosegau abgeteuft. Die Niederung setzt sich hier in Form eines Nebenarmes
bis zum Bohrpunkt fort (zur Lage vgl. Abb. 56,
1). In Teufen zwischen 0,74 und 2,94 m unter
NN steht an dieser Stelle mineralische Mudde
mit makroskopisch erkennbaren Resten von
Muscheln oder Schnecken an (Abb. 59, links).
Die mineralische Mudde wird nach oben durch
ein 0,06 m mächtiges Lehm-Holz-Gemisch
abgeschlossen. Die 14C-Datierung des Holzes
KIA 35334: Radiocarbon Age: BP 4001 +/- 30, OneSigma-Range: cal BC 2566-2477, Two-Sigma-Range:
cal BC 2576-2469.
251
Die Siedlungsforschungen
157
Abb. 57 Bohrpositionen mit organischen bzw. mineralischen Mudden im Vergleich mit den von Kleemann
(1939a, 7 Abb. 1) vermuteten offenen Wasserflächen (Jakobsen/Pahl 2006, 10 Abb. 5).
ergab ein Alter von 1388-1116 v. Chr.252 und
steht somit nicht im Zusammenhang mit der
wikingerzeitlichen Besiedlung. Oberhalb des
Lehm-Holz-Gemisches zeugt eine Torfschicht
von nachfolgenden Verlandungsprozessen.
Das Lehm-Holz-Gemisch könnte daher auch
durch Erosion infolge eines Wasser- oder Meeresspiegelrückganges an diese Stelle gelangt
sein. Nach diesem Rückgang muss der Wasserspiegel wieder angestiegen sein, denn es
kam erneut zur Ablagerung von Mudde. Diese
kann sich durchaus während der Wikingerzeit
abgelagert haben, was für eine zeitgleiche offene Wasserfläche und somit eine paläogeographisch günstige Position für einen Hafen oder
Anlandeplatz sprechen würde. Um diese Aussage zu verifizieren, sind weitere Datierungen
nötig.
Die Bohrung BWI 34a wurde in der nördlichsten der drei Rinnen im geologischen Übersichtsprofil (Abb. 60; zur Lage vgl. Abb. 56, 1)
abgeteuft. An dieser Stelle hat sich im Holozän
2,6 m Torf abgelagert (Abb. 59, Mitte). Hier hat
es zu keiner Zeit eine offene Wasserfläche gegeben, es handelte sich stets um einen verlandenden oder bereits verlandeten Uferbereich.
Diese Entwicklung begann nach der Datierung
der ältesten Sedimente in der Bohrung aus einer Teufe von 3,14–3,15 m unter NN schon um
4615 – 4406 v. Chr.253
Die Bohrung BWI 54 wurde östlich der Palve
abgeteuft (zur Lage vgl. Abb. 56, 2). In einer
Teufe von 3,33 m unter NN wurde ein Übergang von Torf zu Mudde erbohrt (Abb. 59,
rechts). Der Datierung zufolge war das Umfeld der Bohrung bereits ab 7524-7198 v. Chr.254
eine offene und schiffbare Wasserfläche. Ob
diese auch zur Wikingerzeit noch Bestand
hatte, müsste vor einer endgültigen Aussage
durch weitere Datierungen geklärt werden.
Bislang zeichnet sich ab, dass die Kleemannsche Karte nur im nördlichen Bereich abgewandelt werden muss, da hier keine offene
Wasserfläche existiert haben kann. Im Osten
dagegen lässt sich eine solche annehmen,
kann aber nicht abschließend datiert werden.
Ob sie im Frühmittelalter vorhanden war, ist
unklar. Kleemann (1939a, 11) vermutete, dass
die Bledauer und die Wosegauer Beek (Brast)
KIA 35335: Radiocarbon Age: BP 2996 +/- 41, OneSigma-Range: cal BC 1311-1132, Two-Sigma-Range:
cal BC 1388-1116.
KIA 35337: Radiocarbon Age: BP 8335 +/- 45, OneSigma-Range: cal BC 7479-7354, Two-Sigma-Range:
cal BC 7524-7198.
252
KIA 35336: Radiocarbon Age: BP 5682 +/- 35, OneSigma-Range: cal BC 4543-4463, Two-Sigma-Range:
cal BC 4615-4406.
253
254
158
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
ein offenes Gewässer die Anfahrt möglicherweise erleichtert, wenngleich der Beleg, dass
dieses Gewässer zur Wikingerzeit bestanden
hat, nicht eindeutig erbracht werden kann. Erneut wird jedoch klar, dass die große feuchte
Niederung von der Suche nach der Siedlung
ausgeschlossen werden kann.
C.4.1.2 Süßwasservorkommen in der Umgebung von Wiskiauten
Abb. 58 Sedimentabfolge der Bohrung BWI 8 (Jakobsen/Pahl 2005, 30).
getrennt in das Haff mündeten. Diese auf Hennebergers Landtafel255 fußende Annahme lässt
sich nicht mehr überprüfen. Sie spielt auch für
die Frage der Siedlung eher eine untergeordnete Rolle. Denn beide Flüsse dürften schiffbar
gewesen sein. Und unter der Annahme, dass
die gesuchte Siedlung von Wiskiauten mit
dem Schiff vom Haff kommend erreichbar war,
lassen sich nach wie vor beide halbinselartigen
Geländeformationen an der Palve und bei Wosegau als besonders günstig für eine Anlandemöglichkeit beschreiben. Beide Stellen sind
vermutlich durch dicht vorbeifließende, größere Flussarme mit dem Haff verbunden gewesen. Insbesondere im Bereich der Palve hat
255
Vgl. Henneberger 1863.
Für mögliches Siedlungsgelände sind neben
der Ausdehnung der mit dem Haff zusammenhängen Wasserflächen, die bei der Suche nach
einer Niederlassung – abgesehen von möglichen Hafenanlagen – ausgeklammert werden
können, besonders Süßwasservorkommen relevant. Mehrfach sind kleinere Bachläufe oder
zur Zeit der Kartenerstellung offensichtlich
trocken gefallene Bäche auszumachen, die sich
in letzterem Fall immer noch als rinnenartige
Vertiefung im Gelände zu erkennen geben und
auf ehemals fließende Süßwasser hindeuten.
Ein noch heute wasserführender Bachlauf
befindet sich nordwestlich des Gräberfeldes.
Die alte Flurbezeichnung für dieses Areal lautet „Kunterfeld“ (vgl. Abb. 12), nimmt damit
also eindeutigen Bezug auf das naheliegende
Wäldchen „Kunterstrauch“ (Kleemann 1939a,
6). Das Wort „Kunter“ soll auf eine altdeutsche Bezeichnung für kleines Pferd zurückgehen (ebd.)256. Dieses heute verwilderte Feld
wird durch den Bach Woj im Osten begrenzt.
Etwa 400 m nordwestlich der Nordwestecke
des Wäldchens Kaup entspringt der Bachlauf
des Woj in einer sumpfigen, nassen Senke.
Von hier aus fließt er in nördlicher Richtung,
aufgrund seiner Geradlinigkeit offenbar reguliert, nach Norden auf das Dorf Wosegau zu.
Auf beiden Seiten umgibt den Bachlauf eine
vernässte Zone, die auch in den geomagnetischen Bildern durch großflächige Anomalien
zum Ausdruck zu kommen scheint (vgl. auch
Kap. C.4.4.3). Durch Bohrungen konnte nachgewiesen werden, dass diese Strukturen mit
humosem Material verfüllt sind und stellenweise auch Tierknochen und Keramikreste
Eine alternative Deutungsmöglichkeit bietet V. I.
Kulakov an. So soll nach einer mündlichen Aussage das Wort „Kunter“ auf ein altisländisches Wort
zurückzuführen sein, das mit „Birkenkiste“ übersetzt werden kann und auf Brandbestattungen in
organischen Behältnissen hindeuten soll.
256
Die Siedlungsforschungen
159
Abb. 59 Sedimentabfolgen in den geologischen Bohrungen. Links: Bohrung BWI 15 (Jakobsen/Pahl 2005,
37). – Mitte: Bohrung BWI 34a (ebd. 60). – Rechts: Bohrung BWI 54 (ebd. 81).
enthalten. Es könnte sich also um anthropogen verfüllte Gräben handeln, aber auch eine
Verfüllung von Teilen eines alten Bachbettes
durch natürliche Erosionsprozesse sowohl mit
natürlichem als auch teilweise mit siedlungsanzeigendem Material ist denkbar, das von
einer in der Umgebung liegenden Siedlung
stammen könnte und durch Wasserbewegungen des Baches ungelagert wurde.
Der heute namenlose Bach, in deutscher Zeit
als „Woj“ bezeichnet (Kleemann 1939a, 7 Abb.
1), mündet in die Brast (heute Trostjanka). In
seinem Mündungsgebiet konnten durch geologische Bohrungen (vgl. Kap. C.4.4.1) größere
offene Wasserflächen festgestellt werden, die
jedoch nach der Steinzeit trocken gefallen sein
müssen.
Eine in ihren Ursprüngen wohl prussische Namensnennung „Wosegowiske“ von 1331 (Gerullis 1922, 209) bedeutet in etwa „Bach bei
Wosegau“. Ob damit der Bach Woj oder die
von Westen nach Osten nördlich von Wosegau
in Richtung Haff fließende Brast gemeint ist,
bleibt offen.
Eine weitere rinnenartige Situation, die auf einen ehemaligen Bachlauf schließen lässt, ist in
der geologischen Karte von 1907 (vgl. Abb. 15)
im Nordosten der Kaup eingetragen, fehlt aber
in dem entsprechenden Messtischblatt (Nr.
1088 Cranz; vgl. Abb. 13). Interessant ist das
Vorhandensein einer geradlinigen, schwach
erkennbaren Struktur in den Geomagnetikbildern in Messfläche E (vgl. Kap. C.4.4.5.2),
die in ihrem Verlauf ungefähr der Rinne entspricht. Möglicherweise hat hier ein Bachlauf
bestanden, denkbar ist allerdings auch ein
künstlicher Drainagegraben oder sogar einer
der von deutschen Archäologen angelegten
Suchschnitte, die Kleemann (1939a, 11) erwähnt. Der vermutete Wassergraben endet zu-
160
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 60 Geologisches Übersichtsprofil im Norden des Fundplatzes im Bereich des Flusses Brast/Trostjanka
(Jakobsen/Pahl 2005, 11 Abb. 3; zur Lage vgl. Abb. 56, 1).
nächst westlich der Bahnlinie in einem kleinen
Teich, um dann östlich der Bahnlinie etwas
nach Süden versetzt dem Niederungsbereich
im Osten zuzufließen, randlich von einigen
größeren Bäumen begleitet257.
Eine dritte Grabenstruktur, die im Zusammenhang mit der Siedlungssuche von Bedeutung
sein könnte, liegt im Osten des Gräberfeldes.
Sie beginnt unweit einer kleineren sumpfigen
Fläche ab der 5m-Höhenlinie und verläuft von
hier in östlicher Richtung auf die Nordseite der
Palve (zur Lage vgl. Abb. 12) zu. Noch heute ist
hier im Gelände ein zeitweise wasserführender, deutlich begradigter Graben sichtbar, der
früher durchaus ein kleiner Bach gewesen sein
könnte. Die Höhenlinien weisen in diesem Fall
am deutlichsten auf einen Geländeeinschnitt
hin. Am Ostende dieser Rinne wurde eine 14C
-Datierung aus der Zeit zwischen 781–962258
ermittelt, die aus einer bei den geologischen
Bohrungen gewonnenen Probe stammt.
Weitere 14C-Daten aus der Zeit zwischen dem
6. und 12. Jahrhundert liegen aus drei AnomaIn diesem Bereich wurde im Jahr 2008 Fläche 18
angelegt, die jedoch keinerlei archäologische Befunde erbracht hat.
257
KIA 30154: Radiocarbon Age: BP1160 +/- 20, OneSigma-Range: cal AD 783–956, Two-Sigma-Range:
cal AD 781-962.
258
lien259 in der Umgebung vor260. Hinzu kommen
weitere Daten, die während der Ausgrabungskampagne im Sommer 2007 in Fläche 5 (vgl.
Kap. C.5.4) gewonnen wurden. Insbesondere
die Nähe zu den Sandflächen im Süden und zur
halbinselartigen Palve mit ihrer exponierten
Anomalien an_62/06 (KIA 32980: Radiocarbon
Age: BP 1230 +/- 30, One-Sigma-Range: cal AD 720865, Two-Sigma-Range: cal AD 690-887), an_136/07
(KIA 36103: Radiocarbon Age: BP 1021 +/- 35, OneSigma-Range: cal AD 985-1031, Two-Sigma-Range:
cal AD 899-1151) und an_138/07 (2 Proben: A: KIA
36104: Radiocarbon Age: BP 1426 +/- 116, One-Sigma-Range: cal AD 437-765, Two-Sigma-Range: cal
AD 394-878; B: KIA 36105: Radiocarbon Age: BP
1298 +/- 47, One-Sigma-Range: cal AD 665-770, TwoSigma-Range: cal AD 787-861).
259
Im Jahr 2008 sind beide Anomalien sowie weitere, bis dahin undatierte Befunde durch Ausgrabungsschnitte überprüft worden. Während die
über Anomalie an_136/07 angelegte Fläche 11 keinerlei archäologische Befunde enthielt, wurde in
Fläche 13 als Grund für Anomalie an_138/07 eine
etwa 0,3 m tiefe Grabenstruktur dokumentiert, die
von Südwesten nach Nordosten verlief und im Zentrum des Grabungsschnittes rundlich erweitert war.
Mittlerweile liegt eine 14C-Datierung ins 7. und 8.
Jahrhundert vor (KIA 37092: Radiocarbon Age: BP
1310 +/- 30, One-Sigma-Range: cal AD 662-765, TwoSigma-Range: cal AD 657-771).
260
Die Siedlungsforschungen
Lage am Rande der sumpfigen und feuchten
Niederung charakterisiert den ganzen Bereich
als potentielles Siedlungsgelände261.Problematisch ist die zeitliche Einordnung der relevanten Wasserläufe. Hinweise zur Datierung ergeben sich aus den Karten nicht. Aufzeichnungen
über Trockenlegungsmaßnahmen oder Drainagearbeiten etwa aus der Ordenszeit fehlen. So
kann nur allgemein vermutet werden, dass die
in der Topographie deutlich sichtbaren Rinnen
nach der Anlagerung des Bodenmaterials in
der Weichseleiszeit durch Gletscherbewegungen als Abflussrinnen für Schmelzwasser dienten, denen auch spätere Wasserläufe in ihrem
Verlauf folgten. Das Vorhandensein eines Baches im Zeitraum der hier zu untersuchenden
Siedlungsspuren kann weder ausgeschlossen
noch eindeutig bestätigt werden. Es ist jedoch
unter geologischen und topographischen Gesichtspunkten zu vermuten.
C.4.1.3 Bodenarten in der Umgebung von
Wiskiauten
Um siedlungsgünstige von siedlungsungünstigen Gebieten unterscheiden zu können, ist
auch die Verteilung der Bodenarten relevant.
Für die Beurteilung stehen einerseits geologische Karten, andererseits die während der
Feldforschungen 2005–2007 durchgeführten
Bohrungen zur Verfügung. Da zur Überprüfung der in den geomagnetischen Messbildern
erkennbaren Anomalien neben einer Bohrung
im Anomalienmittelpunkt meist auch eine
oder mehrere Kontrastbohrungen außerhalb
des vermuteten Objektmittelpunktes angelegt
worden sind, stehen für die Beurteilung des
Bodenaufbaus auch diese Ergebnisse zur Verfügung.
Das Gelände im Umkreis des Gräberfeldes
stellt sich in der „Geologischen Karte von Preußen und seinen benachbarten Bundesländern“
von 1907 im Maßstab 1:25 000 als pleistozänes
Moränengebiet dar, das durch überwiegend
lehmige Böden geprägt ist. Sie erstrecken sich
vom Hügelgräberfeld im Wäldchen Kaup ausgehend bis zur etwa 1 km entfernten vermutlichen Küstenlinie im Norden, Nordosten und
Osten.
Im Wäldchen Kaup ist zumindest im Ostteil
während der Ausgrabungen deutscher ArchäoDie Existenz dieser Siedlung ist durch neue Ausgrabungen im Sommer 2008 bestätigt worden.
261
161
logen gleichfalls lehmiger Boden angetroffen
worden (Heydeck 1877, 651). Besonders im
Westteil aber muss auch mit Sand- oder Kiesuntergrund gerechnet werden. So zeigt sich
in der geologischen Karte (vgl. Abb. 15) im
Westen des Wäldchens eine rundliche Zone
schwach lehmigen bis sandigen Kieses oder
Kies mit kiesigem Untergrund, ein Material,
das offenbar der Grund für die Anlage zweier
dort verzeichneter Kiesgruben ist. Großräumig scheint hier der Boden schon anthropogen
umgelagert zu sein. Diese Umlagerung dürfte
unmittelbar mit dem Kiesabbau zusammenhängen. Unwahrscheinlicher ist, dass bei der
geologischen Kartierung hier archäologisch relevante Bereiche bzw. vor- und frühgeschichtliche Bodeneingriffe kartiert wurden. Grundsätzlich legen die Unterlagen zum Gräberfeld
nahe, dass statt mit Sand- oder Kies- auch mit
Lehmentnahmegruben zu rechnen ist, wie sie
in den Originalplänen262 der Ausgrabungen
im östlichen Bereich in der Nähe der kleinen
Kaup sowie im Südwesten des Wäldchens erwähnt werden.
Im Osten schließen sich ausgedehnte Wildwiesen bzw. brachgefallene ehemalige Ackerflächen an, die sich südlich und nördlich der
Straße Wosegau - Bledau sowie nördlich und
westlich des Gräberfeldes erstrecken. Unmittelbar östlich der kleinen Kaup263 scheint das
Gelände tiefer zu liegen, hier herrscht sandiger Boden vor. Ob hier in früherer Zeit bereits
Lehmentnahme oder Sandabbau stattgefunden hat und die heutigen morphologischen
Verhältnisse das Resultat dieses Abbaus sind,
kann nicht sicher beurteilt werden.
Lediglich etwa 800 m südöstlich des Wäldchens Kaup sind größere, zusammenhängende Sandflächen verzeichnet, deren Ostrand an
die sandige, halbinselartige Palve heranreicht.
Diese sandige Erhebung inmitten der durch
überwiegend torfige Böden gekennzeichneten Niederung der ehemaligen Bledauer Beek,
welche sich als keilförmige Fläche von Norden
nach Süden in die Landschaft einschiebt, findet etwas weiter nördlich parallel zur 0,5 m
Höhenlinie ihre Fortsetzung in einem ebenfalls
aus sandigen Böden bestehenden Streifen. Die
262
SMB-PK PM-A 522/17, 029 bis 034.
Der Begriff „Kleine Kaup“ bezieht sich auf den
Teil des Wäldchens, der östlich der Strasse Wiskiauten-Wosegau liegt.
263
162
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Signatur in der Geologischen Karte (vgl. Abb.
15) spezifiziert den Sand als „schwach humosen Sand bis Sand mit Sand-Untergrund bei
meist nicht tiefem Grundwasser“.
Bohrungen im Jahr 2005 haben hier jedoch keinerlei Kulturschichten zutage gefördert, welche den starken Humusgehalt auf Siedlungsaktivitäten zurückführen könnten. Auch in der
im Jahr 2008 untersuchten geomagnetischen
Messfläche K3 sind keine auffälligen Strukturen erkennbar (vgl. Kap. C.4.4.11).
Etwa 200 m südwestlich der Nekropole befindet
sich eine Niederung, die sich, von Süden kommend, in einer scharfen S-Kurve in die Landschaft eingeschnitten hat. Diese Niederung ist
sowohl auf dem Messtischblatt als auch auf
den Luftbildern zu erkennen. Sie mündet in
einem kleinen Tümpel ca. 300 m westlich der
Kaup. Dieser vermutlich neuzeitliche Tümpel
ist heute von dichtem Strauch- und Baumbewuchs umgeben. Die Niederung selbst scheint
zumindest in ihrem südlichen Abschnitt nicht
von Sträuchern oder kleinen Bäumen eingegrenzt zu sein. Im Umfeld dieser Niederung
wurden anmoorige Böden nachgewiesen. Der
Grundwasserspiegel lag bei 0,5–0,8 m Tiefe.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die
Beobachtung, dass nach starken Regenfällen
der gesamte Bereich der Niederung bis zu 0,5
m unter Wasser steht. Diese beckenartige vernässte Zone interpretiert V. I. Kulakov264 als den
zur „Siedlung Kaup“ gehörigen Hafen, eine
Annahme, die jedoch in Anbetracht der Höhe
von 8 m über Meeresspiegelniveau unwahrscheinlich ist. Ob ein Zusammenhang zum
weiter nördlich fließenden Bach Woj besteht,
ist unklar, aber aufgrund des Gewässerverlaufes anzunehmen. Beide Wasserläufe sind
durch einen etwa 100 m breiten Geländerücken voneinander getrennt. Ein auf beiden Seiten die Niederung begleitender Streifen dichten Wiesenbewuchses von ca. 20 m Breite zeigt
zusätzlich an, dass hier mit feuchtem Boden zu
rechnen ist, der aufgrund dieser Feuchte nicht
unter ackerbaulicher Nutzung steht.
C.4.1.4 Aussagen zu potentiellen Siedlungsflächen aufgrund der Topographie
Berücksichtigt man siedlungsgünstige und siedlungsungünstige Faktoren, kommen bestimmte
Freundliche mündliche Mitteilung von V. I. Kulakov.
264
Flächen mehr und andere weniger als potentielle Siedlungsareale in Frage.
Als siedlungsgünstige Faktoren können die
Nähe zu einem fließenden Süßwasser, die Bodenart, die Nähe zum schiffbaren Gewässer,
Hangneigung und die Anbindung an Verkehrsund Handelswege angeführt werden.
Der für die Anlage einer Siedlung zur Verfügung stehende Raum im Umfeld des Gräberfeldes von Wiskiauten wird im Norden und Osten
zunächst durch die beiden Flüsse Wosegauer
Beek/Brast (heute Trostjanka) und Bledauer
Beek begrenzt. Zusätzlich muss das vernässte
Gebiet der Niederung ausgeklammert werden,
da sich der nasse Untergrund, der vermutlich
seit der Jungsteinzeit in einem ähnlich wasserreichen Zustand verblieben ist, nicht zur Besiedlung eignet. Als Grenze dieser Niederung kann
vorläufig der Rand der Jungmoränenkuppe
angenommen werden, der in der geologischen
Karte klar hervortritt und in etwa durch die dort
verlaufende Bahnlinie gekennzeichnet wird.
Die genaue Ausdehnung des vermuteten Binnensees im Osten bzw. die Frage, ob es sich um
eine weitmündige oder räumlich eng begrenzte
Anbindung an das Kurische Haff gehandelt hat
(vgl. hierzu auch Kap. C.4.1.1.), ist bislang nicht
geklärt, aber hier nicht weiter von Belang.
Vom westlichen Randbereich der Niederung
steigt das Gelände bis zu einem Höhenrücken
an, dessen Anfang das Gräberfeld in der Kaup
bei Wiskiauten bildet. Der Geländerücken verläuft von hier in ähnlichen Höhenbereichen
um 10–12 m in Richtung Süden. Auf ihm befindet sich das Dorf Wiskiauten. Eine nord-südliche Verbindung zwischen den Dörfern Mülsen
und Wosegau, die das Wäldchen Kaup und
den Fundplatz Wiskiauten passiert, lässt sich
zumindest bis ins Mittelalter zurück nachweisen. Sie bildete offenbar einen Teil der alten
Poststraße, die schon um 1700 erwähnt wird
(Schlicht 1922, 249). Auch vorher ist ein auf
diesem Geländerücken verlaufender Weg nicht
auszuschließen. Er würde in diesem Fall den
nord-südlich gerichteten Verkehr kanalisieren.
Eine ost-westlich verlaufende Verkehrsachse
ist ebenfalls anzunehmen. Als Einfallstor in die
durch die geologischen Verhältnisse und die
Gewässersituation relativ scharf abgegrenzte
Siedlungskammer von Wiskiauten ist am ehesten ein schmaler Geländesporn denkbar, der
sich vom Wäldchen Kunterstrauch kommend,
Die Siedlungsforschungen
zwischen den beiden Teilen des Woj hindurch
in Richtung Kaup erstreckt.
Die ansatzweise erkennbare Reihung der Hügel im Gräberfeld könnte diese These zusätzlich stützen, wenn man davon ausgeht, dass
die Hügel entlang der Verkehrsachsen angelegt waren. So könnte sich die auffällige westöstliche Aneinanderreihung der Grabdenkmäler bzw. die west-östliche Ausrichtung des
Gräberfeldes insgesamt erklären. Allerdings
ist hier zu berücksichtigen, dass der überlieferte Gesamtplan lediglich etwas mehr als 200
Gräber kartiert, der überwiegende Teil dagegen nicht abgebildet ist, da die meisten der ursprünglich über 500 Gräber zur Entstehungszeit des Dokumentes schon ausgegraben und
abgetragen waren. Die sichtbare Reihung der
Hügelgräber könnte also lediglich auf den archäologischen Eingriffen beruhen und muss
nicht zwangsläufig deren originale Anordnung widerspiegeln.
In der Verlängerung könnte der Weg in Richtung Osten zunächst zur Palve geführt haben,
um von hier über die schmalste Stelle der Niederung zum gegenüberliegenden, ebenfalls
halbinselartigen Geländesporn südlich von
Bledau überzusetzen.
Da bei Anlage einer Siedlung sehr wahrscheinlich süßwasserführende kleinere Fließgewässer einbezogen worden sind, kommen für die
Anlage der wikingerzeitlichen Siedlung insbesondere zwei größere Areale in Frage.
Einerseits handelt es sich um das Gebiet um
das ehemals deutsche Dorf Wosegau (heute
Vishnevoe). Hier bietet die halbinselartige Situation zusammen mit dem Fluss Woj ein nur
von der Südseite her zugängliches Gelände,
das im Norden eine Anbindung an das zum
Haff ableitende Flusssystem der Wosegauer
Beek oder Brast (heute Trostjanka) bietet. Die
Flächen beiderseits des Woj sind in dieses mögliche Siedlungsgebiet einzubeziehen. Auch ein
Übergang zu der nördlich um Cranz (heute Selenogradsk) gelegenen Region und damit der
Zugang zur Kurischen Nehrung ist an dieser
Stelle relativ einfach möglich, da sich die halbinselartige Geländeformation beim Dorf Wosegau weit nach Norden vorschiebt. Zusätzlich soll der Begriff „Brast“ in der prussischen
Sprache gleichbedeutend mit „Flussübergang“
oder „Furt“ sein265: ein weiterer Hinweis auf
265
Mündliche Aussage von W. Wrobléwski, War-
163
eine hier verlaufende Verkehrsachse.
Die zweite hervorragende Situation bietet sich
im Bereich der Palve an. Hier liegen zusätzlich
auch die wenigen Stellen mit sandigem Untergrund vor, die wegen ihrer dränierenden
Eigenschaften vielleicht bevorzugt für die Anlage von Gebäuden genutzt worden sein könnten. Gleichzeitig ermöglicht die Geländesituation in verkehrstechnischer Hinsicht durch die
beiden gegenüberliegenden halbinselartigen
Landzungen eine einfache Querung der breiten Niederung. Fließendes Süßwasser in Form
von kleinen Bachläufen, die von Westen kommend in die Niederung entwässern, ist an dieser Stelle ebenfalls mehrfach belegt.
Diese beiden Örtlichkeiten sind schon von der
deutschen Forschung mehrfach als prädestinierte Siedlungsareale angenommen worden
(Engel 1931a, 30; Kleemann 1939a, 11; 1939b,
216). Prinzipiell sind jedoch alle Bereiche zwischen Gräberfeld und ehemaliger Uferkante
des offenen Binnengewässers in die Untersuchungen einzubeziehen.
C.4.2 Geophysikalische Untersuchungen
Nach der Auswertung der topographischen
Verhältnisse, der geologischen Karten und
Bohrungen sowie der siedlungsgünstigen
Voraussetzungen wie der Verfügbarkeit von
fließendem Süßwasser und der Bodenarten
kristallisiert sich relativ scharf ein Kernraum
möglicher Siedlungsaktivitäten heraus. Besonders die Bereiche im direkten Umfeld des Gräberfeldes, weiterhin die gesamte Fläche in einem Radius von 1 km um das Hügelgräberfeld
herum in nördlicher, nordöstlicher und östlicher Richtung bis zur ehemaligen Uferkante
sind demnach für die Anlage einer Siedlung
besonders geeignet. Dabei sind drei Stellen
aufgrund des fließenden Süßwassers und der
Nähe zum ehemaligen Binnensee bzw. dessen Ufern interessant. Einerseits kommt das
Umfeld des früheren Ortes Wosegau (heute
Vishnevoe) in Frage, da sich hier eine halbinselartige Landzunge in die ehemalige Wosegauer
Beek oder Brast (heute Trostjanka) hinein vorschiebt und durch den Bach „Woj“ mit Süßwasser versorgt wird. Eine zweite Stelle liegt etwa
1000 m nordöstlich des Hügelgräberfeldes an
der Mündung einer heute nur noch teilweise
wasserführenden Rinne, die auf die vermutete
schau, dem Verf. für diesen Hinweis dankt.
164
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Uferkante zufließt und in die Niederungsfläche entwässert. Für das dritte Gebiet um die
Palve herum schließlich könnte besonders der
dort vorhandene Sandboden sprechen, der
insgesamt als siedlungsgünstig einzustufen ist,
da der Boden gut drainierende Eigenschaften
besitzt. Diese Bereiche standen daher im Mittelpunkt der geophysikalischen Prospektionen,
wobei aber auch das südliche, westliche und
nördliche Umfeld des Gräberfeldes berücksichtigt wurde, da hier Siedlungshinweise aus
der russischen Forschungsperiode vorlagen
(vgl. Kap. C.2). Darüber hinaus wurden auch
weniger verdächtige Flächen in die Untersuchungen einbezogen. Einerseits geschah dies,
um systematisch den gesamten in Frage kommenden Bereich abzudecken, andererseits
lassen sich Konzentrationen von Anomalien
nur erkennen, wenn entsprechende Kontrastflächen mit weniger auffälligen Strukturen als
Vergleichsbasis zur Verfügung stehen.
C.4.2.1 Messfahrten und Arbeitsgebiete
Insgesamt sind in den Jahren 2005–2008 vier
Feldforschungskampagnen mit geophysikalischen Messungen durchgeführt worden. Im
Sommer 2005 wurden zunächst die Bereiche
südlich des Gräberfeldes von Wiskiauten untersucht, da hier aufgrund der Überlegungen
von V. I. Kulakov Siedlungsspuren zu erwarten
waren (vgl. Abb. 66 Messfläche A). Diese galt es
durch die Messungen zu verifizieren. Im Anschluss wurde der Bereich westlich der Kaup
vermessen (vgl. Abb. 66 Messfläche B). Auch
die Bereiche an der Quelle des Baches Woj sowie ein Teil des Feldes westlich davon, das sog.
Kunterfeld, sind bei den Untersuchungen im
Jahr 2005 berücksichtigt worden (vgl. Abb. 66
Messfläche C). Die größte zusammenhängende
Messfläche von etwa 1100 m Länge und 350 m
Breite (vgl. Abb. 66 Messfläche D) im Norden
des Gräberfeldes zwischen der Kaup und dem
Dorf Wosegau entstand während der zweiten
Messfahrt, die im März 2006 stattgefunden hat.
Der Termin wurde bewusst in diese Zeit verlegt, da der Boden aufgrund des Frostes sehr
hart war und der Traktor sich auf dem gefrorenen Wiesenboden gut bewegen konnte. Zwar
ermöglicht ein Laptop an Bord des Traktors
auch ein Navigieren nach GPS-übermittelten
Daten, zusätzlich half die leichte Schneedecke aber bei der Orientierung des Messfahrers,
da die Reifenspuren des Traktors unter diesen
Bedingungen gut zu erkennen sind. Dadurch
wurde die visuelle Navigation erleichtert und
die Messgeschwindigkeit dementsprechend
erhöht. Während dieser Kampagne ist auch
ein etwa 1200 m langer und 80 m breiter Streifen östlich der Straße zwischen Wiskiauten
und Wosegau vermessen worden (vgl. Abb. 66
Messfläche E). Eine weitere große Messfläche
von etwa 470 x 180 m (vgl. Abb. 66 Messfläche
G) entstand im Osten der Hügelgräbernekropole, in die auch der Bereich direkt südlich der
kleinen Kaup einbezogen wurde (vgl. Abb. 66
Messfläche F).
Im März 2007 sind gut drei Hektar Boden (510
x 60 m) im Nordosten der Nekropole geomagnetisch vermessen worden (vgl. Abb. 66
Messfläche H1). Gleichzeitig haben umfangreiche Georadarmessungen an ausgewählten
Anomalien stattgefunden (Radarflächen 1–8).
Eine letzte hier berücksichtigte Messkampagne hat im März 2008 eine Gesamtfläche von
etwa 35 Hektar geomagnetisch vermessen. Der
Schwerpunkt lag dabei auf der großen Ackerfläche nordöstlich des Hügelgräberfeldes von
Wiskiauten, wo zusammen mit der Messfläche
H1 vom März 2007 eine große zusammenhängende Geomagnetikfläche entstand (vgl. Abb.
66 Messfläche H2), sowie in den Uferbereichen der ehemaligen Wasserfläche nordöstlich davon. Dabei wurde insbesondere der
vermutete Uferbereich der Niederungsfläche
im Nordosten des Gräberfeldes von Wiskiauten durch eine maximal 1000 m lange und 120
m breite Messfläche prospektiert, die sich in
zwei Teilflächen untergliedern lässt (vgl. Abb.
66 Messfläche I1 und I2). Weitere Messflächen
liegen nördlich von Fläche 5 in der Nähe der
Palve (vgl. Abb. 66 Messfläche J1) sowie auf
der Palve selbst (vgl. Abb. 66 Messfläche J2).
Insgesamt drei kleinere Messflächen liegen im
Bereich westlich Palve zwischen der Bahnlinie
und dem Hügelgräberfeld in der Nähe des
dort fließenden, namenlosen Baches (vgl. Abb.
66 Messfläche K1 bis K3)266.
Mit gewissen Lücken ist so eine Gesamtfläche
von fast zwei Quadratkilometern berücksichtigt worden, so dass zu fast allen möglichen
Die in sehr unwegsamem Gelände gelegenen
Messflächen J1, J2, K1, K2 und K3 wurden im Gegensatz zu allen anderen Flächen mit einem tragbaren bzw. fahrbaren „Handgerät“ vermessen.
266
Die Siedlungsforschungen
165
Abb. 61 Messapparatur des Kieler Instituts für Geophysik, bestehend aus einem Traktor mit Anhänger, auf
dem die 8 Fluxgate-Sonden und das Differential GPS befestigt sind.
Siedlungsarealen erste Informationen vorliegen.
C.4.2.2 Technische Vorraussetzungen
Die Messapparatur des Instituts für Geowissenschaften (Abteilung Geophysik) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel267 besteht
aus einem kleinen Traktor (Abb. 61), an dessen metallfreiem Anhänger aus Hartplastik
ein Magnetometer-Array mit 6 oder 8 Fluxgate Sonden268 der Firma Dr. Förster befestigt ist
(Stümpel 2005, 2). Auf dem Messwagen (Abb.
62) sind die einzelnen Sonden im Abstand
von 0,5 m montiert, so dass bei den Feldmessungen mit parallelen Profilen eine Breite von
3,5 m abgedeckt wird. In Profilrichtung werFür die großflächigen geomagnetischen Messungen in Wiskiauten in den Jahren 2005 bis 2008
dankt Verf. Dr. H. Stümpel, Dr. S. Wölz, E. Erkul,
H. Petersen, F. Oestmann, M. Proksch, V. Glomb, T.
Wunderlich, Chr. Klein, C. Podolski, K. Dünnbier
und Chr. Cajar vom Institut für Geowissenschaften
(Abteilung Geophysik) der Christian-AlbrechtsUniversität Kiel.
267
268
Sondentyp Ferrex DLG 4.032.82.
den 10 Messwerte pro Sekunde aufgezeichnet. Der Messwagen wird etwa mit 0,6–1,2
m/s im Gelände bewegt. Jede Sekunde wird
vom Differential-Global-Positioning-System
(DGPS) dabei ein Event erzeugt und im Datensatz registriert. Es dient der späteren Zuordnung von flächenhaften Koordinaten. Die
einzelnen Fluxgate-Magnetometer messen die
Vertikalkomponente des Erdmagnetfeldes. In
jedem Sondenstab sind zwei dieser Magnetometer im Abstand von 0,6 m übereinander
angebracht. Als Messgröße wird die Differenz
beider Signale mit einer Auflösung von 0,0238
nT digital in einem 8-Kanal Datenlogger aufgezeichnet. Die Auflösung der Magnetometersonden beträgt etwa 0,5 nT. Die Differenzbildung bewirkt, dass unerwünschte Störsignale,
wie z.B. tiefer liegende geologische Anomalien,
abgeschwächt bzw. ausgelöscht werden.
Die effektive Eindringtiefe hängt von der Größe der gesuchten Objekte ab. Größere Anomalien können auch noch in größerer Tiefe
erkannt werden. Später werden extern die
Messdaten mit den Koordinaten zusammen
gefügt. Es können Messlücken auftreten, wenn
166
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 62 Traktor des Kieler Instituts für Geophysik mit Anhänger und 8-sondiger Messapparatur beim
Einsatz im Umfeld von Wiskiauten.
der vom DGPS berechnete Positionierungsfehler zu groß wird. Als mögliche Fehlergrenze
wird hier maximal 0,2 m angesetzt. Dies entspricht der Pixelgröße der montierten Magnetikdaten. Solche Datenverluste treten häufig
auf, wenn Satelliten fehlen oder durch Bäume
abgeschirmt sind. Während der hier durchgeführten Messungen traten tagsüber nur sehr
selten kleinere Zeitfenster mit weniger als 5
Satelliten auf, die für die gewünschte hohe Genauigkeit nötig sind. Für die geomagnetische
Kartierung wurde das lokale archäologische
Koordinatensystem übernommen, dessen fiktiver Nullpunkt etwa 120 m westlich der Südwestecke des Gräberfeldes von Wiskiauten
liegt. Die kontinuierliche Ortsbestimmung
während des geophysikalischen Messvorgangs erfolgt mit einem Differential-GPS der
Firma Leica. Dazu wird zunächst auf dem
mobilen DGPS-Empfänger eine Stationierung
im lokalen Koordinatensystem vorgenommen.
Bei einer ausreichenden Anzahl von Satelliten
kann so eine Auflösung von 0,02 m erreicht
werden. Im nördlichen Messgebiet werden
größere Abweichungen auftreten, da hier die
Position extrapoliert werden musste. Während
des Messvorgangs werden die lokalen Koordinaten der GPS-Antenne auf dem Sondenträger
in Echtzeit mit fünf Werten pro Sekunde an
einen Laptop geliefert, dort gespeichert und
mit den Datenloggern synchronisiert. Auf dem
Bildschirm wird die Fahrspur in Echtzeit grafisch dargestellt.
Das gesamte System wird während des Messbetriebs nur von einer Person gehandhabt. Die
wenigen Messlücken in den Magnetikflächen
wurden durch besondere Geländegegebenheiten wie Heuballen, große Steine oder schwer
befahrbare, vernässte Bodenvertiefungen verursacht. Neben den horizontalen Koordinaten
liefert das DGPS auch einen Höhenwert. Diese
Werte wurden wieder gesondert erfasst und
können in einer eigenen Abbildung dargestellt
werden. In Profilrichtung liegt eine laterale
Auflösung von etwa 0,10 m vor. Der Profilabstand kann zwischen 3,0 m und 4,5 m liegen.
Die geomagnetischen Messbilder sind in verschiedenen Nano-Tesla-Bereichen bzw. Graustufenbereichen darstellbar, die alle koordinatengetreu ins übergeordnete geographische Informationssystem (GIS)269 importiert wurden
269
Für die Digitalisierung aller Daten wurde das
Die Siedlungsforschungen
167
und dort als Ebenen übereinander geblendet
werden können. So ist nach der Ermittlung der
Koordinaten im GIS im Feld später die exakte
Position der erkennbaren Anomalien zu ermitteln.
C.4.3 Bohrungen zu ausgewählten Anomalien
In den geomagnetischen Messbildern sind
mehr als eintausend Anomalien erkennbar,
die einen vom natürlichen Magnetisierungsgrad des Bodens abweichenden Wert zu erkennen geben. Dabei wurden nur Objekte mit
einer Mindestgröße von ca. 0,5 m bei einem
Wert von +/- 3 nT berücksichtigt. Diese Größe stellt bei einer Auflösung der geomagnetischen Messbilder von 0,2 m pro Pixel nahezu
die Obergrenze der Erkennbarkeit archäologischer Objekte dar. Zählt man auch kleinere Objekte unter 0,5 m hinzu, ist die Zahl
der Anomalien fast unüberschaubar. Bedingt
durch die große Anzahl von Anomalien und
ihre weiträumige Verteilung über 100 Hektar Gesamtfläche war die Entwicklung einer
speziellen Untersuchungsstrategie vonnöten.
Archäologische Ausgrabungen schienen erst
dann sinnvoll, wenn bereits eine Voreinschätzung und bestenfalls sogar Datierung der Anomalien vorlag.
Die Anomalien werden daher zunächst mit ein
Pürckhauerbohrstab überprüft (Abb. 63). Der
Bohrstab mit einem Durchmesser von 36 mm
wurde wahlweise bis 1 m oder bis 2 m Tiefe
abgeteuft. Zwar bedeutet das Anbohren der
archäologischen Befunde bereits einen Eingriff
in die archäologische Substanz und stellt ein
gewisses Zerstörungsrisiko dar, bei der Größe der angebohrten Objekte von mindestens
0,5–1 m Durchmesser ist die kleinräumige
Zerstörung jedoch zugunsten einer schnellen
vorläufigen Interpretation zu vernachlässigen.
Zusätzlich ermöglicht die Bohrung durch das
Bergen von Probenmaterial die naturwissenschaftliche Datierung der Objekte. So konnte
für die Anlage von Grabungsschnitten eine
sinnvolle Vorauswahl getroffen werden. Die
Anwendung eines Bohrstabes erbrachte eine
große Anzahl von Hinweisen auf archäologische Befunde. Insgesamt wurden bislang etwa
200 Anomalien durch Bohrungen überprüft
(Abb. 64).
In den geomagnetischen Bildern des etwa 100
Programm ArcGIS der Firma ESRI benutzt.
Abb. 63 Anbohren der Anomalien im Feld mit einem Pürckhauerbohrstab.
ha umfassenden Messgebietes sind zahlreiche Anomalien erkennbar, die durch Bohrungen auf ihre Bodenschichtung hin untersucht
wurden, um festzustellen, ob eine natürliche
Schichtung vorliegt oder ob eine anthropogene Beeinflussung unterstellt werden kann.
Nach dem Datum ihres Erkennens sind die
Anomalien durchnumeriert worden. Die Anomalien an_201/05 bis an_218/05 stellen die
chronologisch zuerst erkannten Strukturen in
der Fläche südlich des Wäldchens Kaup dar
(Messfläche A). Ihre Benennung mit Ziffern
über 200 resultiert aus einer internen Nummerierung im GPS-Gerät der Kieler Geophysiker,
mit dem sie erstmalig anvisiert wurden.
Alle später erkannten Anomalien wurden je
nach Überprüfungszeitpunkt mit an_1/05 bis
an_63/05 bzw. an_1/06 bis an_68/06 etc. benannt. Dabei steht das Kürzel an für „Anomalie“, die durch die Zahl hinter dem Unterstrich mit einer Nummer versehen ist. Hinter
dem Schrägstrich schließlich steht das Jahr der
Identifizierung als Kürzel 05 für das Jahr 2005
etc. Diese Zusatzbenennung ist nötig, da in den
Jahren 2005 und 2006 mit der Nummerierung
der Anomalien jeweils bei Nummer 1 angefangen wurde. Ab 2007 sind die Anomalien zwar
numerisch fortlaufend von der letzten Anomalie des Jahres 2006 an benannt, aber auch
in diesen Fällen steht hinter dem Schrägstrich
das Erkennungsjahr, um Verwechslungen zu
vermeiden.
Nach der Bestimmung der Mittelpunktskoordinaten durch die Integration der Messbilder
in das übergeordnete GIS-Projekt erfolgte zu-
168
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 64 Wiskiauten. Übersicht über die zur Überprüfung mit dem Pürckhauerbohrstab angebohrten Anomalien.
nächst, meist bei einer Darstellung mit +/- 3 nT,
die Anvisierung der betreffenden Anomalie
mit dem Tachymeter oder mit dem Differential-GPS. Teilweise sind bei der Einmessung
der Objekte offenbar kleine Messfehler aufgetreten, die das später negative Bohrergebnis
erklären. Für andere Anomalien bleibt das
Fehlen eindeutiger anthropogener Einflüsse
bzw. geologischer Phänomene jedoch unklar.
Der vermutete Mittelpunkt des Objektes wurde nach seiner Einmessung durch einen Holzpflock im Feld visuelle gekennzeichnet und
anschließend mit einem Pürckhauerbohrstab
ein Bohrkern von meist 1 m Länge gewonnen.
Die speziell zur Bohrkerndokumentation entwickelten, standardisierten Bohrprotokolle270
Auf die komplette Vorlage der Bohrprotokolle
im Katalogteil wurde in dieser Studie verzichtet.
Dafür sind die Bohrergebnisse zu den wichtigsten
270
(Abb. 65) ermöglichten dabei eine effektive
Vorgehensweise. Dabei sind auf einer schematisierten Bodensäule Schichtgrenzen eingetragen, rechts daneben befindet sich die entsprechende Bodenansprache. In dieses Schema
ist die Farbangabe des Bodenmaterials durch
farbige Flächen integriert. Zur Verdeutlichung
der Bodenfarbe ist auf den Orignalprotokollen
im Feld zusätzlich ein „Abdruck“ des Bodens
an der entsprechenden Stelle im Bohrprotokoll
angefertigt worden, der einen realistischen
Eindruck der Farbe vermitteln soll. Nach der
Angabe des Bodenhorizontes finden sich die
Sedimentansprache und anschließend weitere
Anomalien im Text beschrieben. Alle Bohrprotokolle sind als Bestandteil des übergeordneten geographischen Informationssystems (GIS) dort abrufbar
und ermöglichen so eine effektive Arbeit mit den
geomagnetischen Messbildern.
Die Siedlungsforschungen
169
Abstand, meist 2 m vom Mittelpunkt entfernt,
Kontrastbohrungen abgeteuft worden. Sie
sind zur Kontrolle, dass es sich tatsächlich um
eine begrenzte Anomalie und nicht etwa um
flächige Schichtungen handelt, für die angewandte Methode unbedingt notwendig. Denn
erst wenn die Kontrastbohrungen keine oder
nur abgeschwächte anthropogene Einflüsse zu
erkennen geben, kann eine Anomalie mit großer Wahrscheinlichkeit als archäologisch relevanter Befund eingestuft werden.
C.4.4 Ergebnisse der Prospektionen
271
An dieser Stelle erfolgt zunächst eine allgemeine Beschreibung der einzelnen Messflächen,
die aus den geophysikalischen Untersuchungen resultieren. Dabei gilt es besonders, Befundkonzentrationen ausfindig zu machen,
die auf Siedlungskerne hinweisen könnten.
Zusätzlich sind die Ergebnisse der Bohrungen
zur Überprüfung auffälliger Anomalien eingearbeitet. Es wäre wenig sinnvoll, dabei auf
jede einzelne Anomalie hinzuweisen, da einerseits nur ausgewählte Anomalien überprüft
worden sind und andererseits nicht alle Bohrungen positive Ergebnisse erbracht haben. So
werden nach der allgemeinen Beschreibung
der einzelnen Messflächen die Bohrergebnisse
ausgewählter Anomalien angeführt und mit
den vorhandenen 14C-Daten verknüpft. Gleichzeitig werden die von einigen Teilbereichen
stammenden Oberflächenfunde besprochen.
Ihnen kommt teilweise eine datierende Funktion zu, auf deren Grundlage Verdichtungen
als potenzielle Siedlungsstellen interpretiert
und zumindest ansatzweise zeitlich eingeordnet werden können. Die Ergebnisse der Ausgrabungen, die erst in Kap. C.5 im Anschluss
ausführlich dargelegt werden, sind an dieser
Stelle trotzdem teilweise einbezogen, da nur
vor dem Hintergrund der Grabungsergebnisse eine Interpretation der Anomalien und ihrer Konzentrationen sinnvoll erscheint. Wo es
nötig schien, sind daher die Kernaussagen der
Ausgrabungen angeführt, um die aus den Prospektionsergebnissen gewonnen Erkenntnisse
zu prüfen, zu unterstützten oder zu relativieren.
Die Erkenntnis, wie wichtig Kontrastbohrungen
für die sichere Ansprache von Anomalien sind, ent-
wickelte ich erst im Laufe der Arbeiten des Jahres
2006. Für viele Anomalien, die im Jahr 2005 angebohrt wurden, fehlt diese wichtige Zusatzinformation.
Abb. 65 Wiskiauten. Bohrprotokoll zu Anomalie
an_26 mit Beschreibung der Bodenhorizonte, Geomagnetikbildern und sonstigen Angaben.
Auffälligkeiten wie enthaltenes Fundmaterial,
möglicher Grundwassereinfluss und Bewuchs.
Aus einigen Bohrkernen sind naturwissenschaftlich datierbare Proben gewonnen worden, wobei nur deutlich von einer natürlichen
Bodenschichtung abweichende Horizonte
beprobt wurden. Eine Auswahl besonders interessanter Objekte ist im Anschluss bei geeignetem Probenmaterial wie Holzkohle oder
Knochen in der Verfüllung durch Radiokarbon-Analysen271 datiert worden, um zu einer
vorläufigen zeitlichen Einschätzung der Anomalie zu gelangen. Die Ergebnisse flossen in
die Wahl der Ausgrabungsflächen ein. Zusätzlich zur Bohrung im Anomalienmittelpunkt
sind in fast allen Fällen272 in genügendem
Alle Proben wurden im Leibniz-Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung der ChristianAlbrechtsuniversität zu Kiel untersucht.
272
170
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 66 Wiskiauten. Benennung der Geomagnetik-Messflächen der Jahre 2005–2008 im Umkreis des Gräberfeldes (Karte genordet, Maßstab etwa 1:125).
Nach der Vorlage der Ausgrabungsergebnisse
in Kap. C.5 werden in Kap. D nochmals gesondert alle Einzelergebnisse zusammengeführt,
um die Kernräume der bislang erkannten
Siedlungsstrukturen herauszuarbeiten und
ein vorläufiges Besiedlungsmodell des Fundplatzes zu entwerfen.
C.4.4.1 Messfläche A
Messfläche A (Taf. 86; Abb. 67; zur Lage vgl.
Abb. 66) liegt südlich des Hügelgräberfeldes
von Wiskiauten. Sie umfasst in ihrer größten
Ausdehnung ein Areal von 320 m in nord-südlicher und 240 m in ost-westlicher Ausrichtung, dabei erreicht im Süden ein 35 m breiter,
west-östlich ausgerichteter Streifen eine Länge
von 340 m erreicht. An der Nordwestecke der
Hauptmessfläche ist ebenfalls ein etwa 40 m
breiter und 340 m langer Streifen in Richtung
Westen angefügt. Fehlstellen in den Bildern
liegen in Heuballen begründet, die während
der Messarbeiten auf dem Feld lagen und das
Manövrieren mit dem Traktor behinderten.
Im Messbild fällt zunächst die starke Verunreinigung mit offenbar modernem Metallschrott
auf, die sich durch zahlreiche kontrastreiche,
schwarz-weiße Dipole äußert. Sie streuen nahezu über die gesamte Fläche und bilden stellenweise, so etwa im Osten der Messfläche
in der Nähe einer dort befindlichen Zufahrt
zum Feld, starke Konzentrationen. Sie können
durch Metallentsorgung oder Verlust von klei-
Die Siedlungsforschungen
171
Abb. 67 Wiskiauten. Lage der durch Bohrungen überprüften Anomalien in Messfläche A.
nen Metallteilen von Maschinen während der
Feldarbeit erklärt werden.
Insgesamt sind im Messbild zwei auffällige
lineare Strukturen und etwa 25 große, punktuelle Anomalien sichtbar. Daneben existieren
viele kleine, durchweg rundliche Anomalien
schwarzer Färbung, deren Größe meist unter
0,5 m liegt. In den Bildern mit einem Messwertbereich von +/- 3 nT sind auch einige leicht
graue Schatten zu sehen, die offenbar weniger
stark magnetisch sind, aber dennoch potentiell
als Befunde eingestuft werden müssen.
Die Anomalien liegen scheinbar regellos verteilt. Allerdings sind sie im südlichen Messbildbereich häufiger. Das gilt besonders für die
größeren Anomalien über 2 m Durchmesser.
Im gesamten Messbild sind west-östlich ausgerichtete Streifen sichtbar, die aus einem helleren Bereich, meist im Norden, und einem
dunkleren Bereich im Süden bestehen und die
bei einer Darstellung mit +/- 3 nT eine Breite
bis zu 1 m erreichen. Sie sind aufgrund ihrer
Regelmäßigkeit vorläufig als Pflugspuren zu
interpretieren, die vom Tiefpflügen herrühren
könnten. Die große Breite resultiert dabei aus
der Überstrahlung der Anomalien, die auch
an zahlreichen anderen Objekten auffällt und
durch die Ausgrabungsergebnisse verifiziert
werden konnte, denn in den Grabungsschnitten zeigten sich die Objekte meist nur halb so
groß wie im Messbild bei +/- 3 nT.
In Messfläche A liegen die beiden Grabungsschnitte Fläche 1, in der ein eisenzeitlicher
Ofen zutage kam (vgl. Kap. C.5.1), und Fläche
2 mit dem aus Steinen gemauerten Brunnen
des 11. oder 12. Jahrhundert (vgl. Kap. C.5.6).
Beide Befunde sind vor der Ausgrabung mit
dem Georadar untersucht worden.
In Messfläche A wurden mit den punktuellen
Anomalien an_40/05 bis an_47/05 sowie an_
172
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
201/05273, an_202/05, an_ 207/05274, an_212/05
bis an_218/05 insgesamt 18 Objekte durch
Bohrungen überprüft, wobei die Anomalien
an_213/05 bis an_218/05 in der nordwestlichen
Erweiterung liegen, alle anderen finden sich in
der Hauptmessfläche.
Sonderfälle stellen einerseits die lineare Anomalie an_212/05 knapp südlich der Waldgrenze, andererseits eine im geomagnetischen
Messbild nicht sichtbare lineare Bodenerhöhung dar, die von Kulakov (2005, 62) als Wall
interpretiert wurde. Beide Strukturen wurden durch Bohrungen überprüft (vgl. Kap.
C.4.4.1.3).
C.4.4.1.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien
Anomalie an_201/05
Einen der auffälligsten Befunde in Messfläche
A stellt Anomalie an_201/05 dar (Abb. 68). Sie
zeigt sich in der Geomagnetik als schwarzes
Oval von 3 m Länge und 2,5 m Breite mit einem weißen, nach Norden gelagerten Hof.
Bohrungen im Anomalienmittelpunkt ergaben
unnatürliche Verziegelungsschichten bis in
eine Tiefe von 1,4 m unter der Geländeoberfläche. Analog zu der in Fläche 1 (vgl. Kap. C.5.1)
ausgegrabenen Anomalie an_202/05 dürfte es
sich um einen Ofenbefund handeln. Durch die
räumliche Nähe zum Befund in Fläche 1, der
nach Ausweis der 14C-Daten in die letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderte und somit in
die Vorrömische Eisenzeit gehört, lässt sich für
Anomalie an_201/05 vorsichtig eine ähnliche
Zeitstellung vermuten. Somit liegen hier zwei
gleichartige Befunde dicht beieinander und
lifern dadurch Hinweise auf eine nach funktionalen Gesichtspunkten gegliederte Siedlungsstruktur in dieser Zeit.
Anomalie an_41/05
Einige Objekte mit zunächst negativem Bohrergebnis lassen sich durch große Metallstücke erklären. So handelte es sich bei Anomalie
an_41/05 (Abb. 69) um eine große Metallplatte von ca. 0,2 m Größe, die erst während des
Bohrvorganges an der Geländeoberfläche
Diese Anomalie ist im Jahr 2005 durch Fläche 1
erfasst worden (vgl. Kap. C.5.1).
273
Diese Anomalie ist im Jahr 2005 durch Fläche 2
erfasst worden (vgl. Kap. C.5.6).
274
Abb. 68 Wiskiauten. Anomalie an_201/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12
m).
aufgefunden wurde. In diesem Fall bildet ein
kleiner schwarzer Kern den Mittelpunkt eines
4 m großen, weißen Hofes, der sich gleichmäßig um den Anomalienmittelpunkt herum
ausbreitet. Wegen der fehlenden Erfahrung
mit der Interpretation der Bilder am Anfang
der geophysikalischen Messungen wurde diese Anomalie zunächst als verdächtiges Objekt
eingestuft.
Anomalie an_40/05
Von ähnlicher Form und Größe in den geomagnetischen Messbildern ist Anomalie an_40/05
(Abb. 69) nur 17,5 m nordwestlich von Anomalie an_41/05. In allen drei zur Überprüfung angelegten Bohrungen innerhalb ihrer visuellen
Grenzen im Messbild wurden anthropogen beeinflusste Horizonte bis in eine Tiefe von etwa
0,7–0,8 m identifiziert. Am deutlichsten war die
menschliche Einwirkung, erkennbar durch Keramikfragmente und Holzkohlepartikel, in einer Bohrung 1 m östlich des Mittelpunktes. Erst
2 m östlich des Mittelpunktes war unter dem
Ackerhorizont von 0,4 m Dicke der natürliche
gewachsene Lehmboden nachzuweisen. Hier
zeigt sich, wie wichtig Kontrastbohrungen sind,
um archäologische Befunde zu erkennen und
zu begrenzen.
Anomalien an_43/05 und an_44/05
Bei Anomalie an_43/05 (Abb. 70, links) blockierte ein Stein ab 0,4 m Tiefe das weitere Eindringen
des Bohrers. Die Kontrastbohrung 1 m nördlich
ergab keine Auffälligkeiten. Unter dem Ackerhorizont von 0,4 m Dicke konnte lediglich der
natürliche Boden nachgewiesen werden. In einer Tiefe von 0,7 m bzw. 0,6 m wurden in zwei
Bohrungen im Mittelpunkt auch in Anomalie
an_44/05 (Abb. 70, rechts) Steine nachgewiesen,
Die Siedlungsforschungen
die aber in diesem Fall von einem Mischhorizont mit Rotlehm- und Holzkohleresten zwischen 0,4 und 0,6 m Tiefe überlagert wurden. In
beiden Fällen dürfte es sich um archäologisch
relevante Objekte handeln, deren Zeitstellung
aber aufgrund fehlender Datierungen im Dunkeln liegt.
Anomalien an_45/05 und an_46/05
Anomalie an_45/05 (Abb. 71), im südwestlichen
Mittelbereich der Messfläche gelegen, kann als
Grubenbefund interpretiert werden, worauf die
humose Verfüllung bis mindestens 0,75 m Tiefe zwischen Ackerhorizont und anstehendem
Boden hinweist. Die 15 m weiter südöstlich
liegende Anomalie an_46/05 (Abb. 71) dagegen
besitzt nach Ausweis der Bohrung nur einen
undeutlich ausgeprägten Siedlungshorizont
mit Knochenfragmenten im Übergangsbereich
zwischen Ackerhorizont und anstehendem
Geschiebemergel zwischen 0,4 und 0,55 m. Sie
lässt sich nicht sicher als archäologisch relevant
einstufen. Eine Kontrastbohrung wurde in diesem Fall nicht durchgeführt.
Anomalien an_213/05 bis an_218/05
Interessant ist eine Gruppe von Befunden in
der nordwestlichen Erweiterung der Messfläche. Hier liegen die Anomalien an_213/05 bis
an_218/05. Die Anomalie an_215/05 (Abb. 72,
rechts) wurde offenbar durch einen großen oder
viele kleine Steine verursacht, da in mehreren
Bohrungen im Umkreis von 0,5 m des Anomalienmittelpunktes aufgrund eines mechanischen
Widerstandes ab 0,3 m Tiefe kein weiteres Eindringen des Bohrers möglich war.
Auch für die beiden Anomalien an_217/05 und
an_218/05 (Abb. 73) etwa 30 m südöstlich, die im
geomagnetischen Messbild lediglich als leichte
graue Schatten erkennbar sind, wurden Steine
in Tiefen von 0,3 m bzw. 0,6 m nachgewiesen.
Dabei wurde im letzteren Fall bei Anomalie an_
218/05 zusätzlich ein stark humoser Horizont
zwischen 0,3 und 0, 6 m Tiefe erbohrt, der möglicherweise auf anthropogenen Einfluss zurückgeht. Dagegen war in der direkt benachbarten
Anomalie an_216/05 keinerlei Abweichung vom
natürlichen Bodenaufbau erkennbar.
Höchst interessante Befunde stellen die beiden Anomalien an_213/05 und an_214/05 dar
(Abb. 72, links). In beiden Fällen sind mächtige Verziegelungshorizonte und in Anomalie
173
an_214/05 auch große Mengen an sehr leichter,
grauer Schlacke festgestellt worden. Möglicherweise handelt es sich um Keramikschlacke. In
Anomalie an_213/05 reicht die Verziegelung im
Mittelpunkt mindestens 1 m hinab, während
sie 1 m nördlich nur noch eine Mächtigkeit von
0,18 m unter dem 0,3 m dicken Ackerhorizont
aufweist. Dies deutet auf eine wannenartige
Befundsohle hin. Für Anomalie an_214/05 fehlt
eine zweite Bohrung, so dass hier keine Aussagen zum Verlauf der Befundsohle zu treffen
sind. Eine Datierung liegt für keinen der beiden
Befunde vor. Die doch deutliche Entfernung
zu den beiden Ofenbefunden an_201/05 und
an_202/05 verbietet eine Übertragung der Datierung in die Vorrömische Eisenzeit. Die Zeitstellung bleibt unklar.
C.4.4.1.2 Anomalienkonzentrationen
Neben den beschriebenen Konzentrationen
von Anomalien in Messfläche A, die vor allem
die als Ofenanlagen oder Feuerstellen interpretierten Befunde an_213/05 und an_214/05
sowie die ebenfalls sehr dicht beieinander liegenden Befunde an_201/05 und an_202/05 betreffen, soll hier eine Zone aufgezeigt werden
(Abb. 74, 1–2), die sich durch eine besondere
Dichte an Anomalien auszeichnet. Zusätzlich
enthält sie den Abschnitt einer linearen Struktur (vgl. hierzu auch Kap. C.4.4.1.3).
Drei besonders große Anomalien, darunter
die durch Bohrungen überprüfte Anomalie
an_45/05, befinden sich am rechten Bildrand
(Abb. 75) des Messbildausschnittes bzw. etwas
nordwestlich des Zentrums. Sie weisen Durchmesser von 2–3 m auf und besitzen eine ovale
Form. Gemäß der Bohrung in an_45/05 könnte
es sich um humos verfüllte Grubenbefunde
handeln, da hier bis 0,85 m Tiefe eine deutlich
humose Bodenschichtung, in den oberen Horizonten mit Einschlüssen von Holzkohle, erkennbar war.
Eine weitere Grube, die sich auch bei Werten
von +/- 12 nT (vgl. Abb. 75c) noch sehr deutlich im Messbild abzeichnet, liegt etwas weiter
südwestlich. Hier ist mit einer Grube mit Steinverfüllung zu rechnen. Möglicherweise um einen Befund mit Verziegelung handelt es sich
bei dem kleineren Objekt am Nordrand des
Messbildausschnittes, da sich hier ein weißlicher, nach Norden gerichteter Hof zeigt, der in
dieser Form auch bei den als Öfen oder Feu-
174
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 69 Wiskiauten. Anomalien an_40/05 (links) und an_41/05 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Abb. 70 Wiskiauten. Anomalien an_43/05 (links) und an_44/05 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Abb. 71 Wiskiauten. Anomalien an_45/05 (links) und an_46/05 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Abb. 72 Wiskiauten. Anomalien an_213/05 und an_214/05 (links) und an_215/05 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Abb. 73 Wiskiauten. Anomalien an_216/05 bis an_218/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen
Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Die Siedlungsforschungen
Abb. 74 Wiskiauten. Messfläche A. Lage einer Konzentration von Anomalien (2: kleiner roter Kasten),
der linearen Struktur (1: großer roter Kasten) sowie
der Grabenstruktur an_212/05 (blauer Kasten).
erstellen interpretierten Anomalien an_201/05,
an_202/05, an_213/05 und an_214/05 auftritt.
Zwischen diese besonders auffälligen Anomalien sind weitere, kleinere Objekte eingebettet.
Auffällig ist auch eine lineare Struktur, die hier
nur in einem kleinen Ausschnitt erfasst ist und
eigentlich zu einer längeren Anomalie gehört,
die sich in nordsüdlicher Richtung über eine
Länge von insgesamt ca. 90 m durch die gesamte Fläche zieht.Wenngleich zunächst weder eine konkrete Aussage zu den Anomalien
selbst noch zu ihrem möglichen funktionalen
oder zeitlichen Zusammenhang getroffen werden kann und die Interpretationen sehr unsicher sind, bleiben solche Bereiche erhöhter
Dichte auffällig und könnten mit Siedlungskonzentrationen in Zusammenhang stehen.
C.4.4.1.3 Lineare Strukturen
An mehreren Stellen können in den Messbildern lineare Strukturen erkannt werden. Als
herausragendes Beispiel soll hier eine längliche Struktur in Messfläche A angeführt werden, die sich in nordsüdlicher Richtung auf
einer Gesamtlänge von mindestens 90 m zu
erkennen gibt (Abb. 76). Sie besteht aus zahlreichen, schwach grau gefärbten Einzelanomalien, die sich zu einer auffälligen Reihung
zusammenschließen. Es könnte sich um einen
Weg oder um eine palisadenartige Bezäunung
handeln, andererseits ist auch ein rein geologischer Ursprung denkbar. Eine abschließende
Beurteilung ist derzeit nicht möglich.
175
C.4.4.1.3.1 Graben südlich der Kaup
Eine Besonderheit bildet eine großräumige,
westöstlich orientierte Struktur in Messfläche
A, die sich in den geomagnetischen Messbildern (Abb. 77) auf einer Länge von etwa 120 m
südlich der Waldgrenze der Kaup als gräuliche,
durchschnittlich 12 m breite Verfärbung entlang zieht. Diese Struktur wurde als an_212/05
bezeichnet und durch mehrere Verfahren untersucht. So wurde senkrecht zu ihrem Verlauf
eine Reihe von Bohrungen abgetieft, die eine
zusammenhängende Boden-Catena bilden. In
den Bohrkernen tritt deutlich ein Graben in
Erscheinung, der überwiegend einheitlich humos verfüllt ist. Im Anschluss sind geophysikalische Messungen mit dem Georadar erfolgt,
die ebenfalls das Ergebnis erbracht haben, dass
es sich bei dieser Struktur um einen Graben
handeln dürfte. Die Bohr-Catena besteht aus
insgesamt 21 Bohrungen auf einer Länge von
20 m, da die Bohrungen in Abständen von 1 m
angelegt wurden. Deutlich zeigt sich eine anthropogen beeinflusste Bodenschichtung, die
in der Mitte bei Bohrung 12 bis in eine Tiefe
von 1,1 m unter der Geländeoberkante nachweisbar ist.
Bei Aneinanderreihung der Bohrprofile ohne
Berücksichtigung ihres Abstandes zueinander wirkt der Graben an der Sohle gerundet
(Abb. 78). Wird der Abstand der Bohrungen
zueinander einberechnet, so zeigt sich ein nun
deutlich flacherer Verlauf, der von Nord nach
Süd zunächst flach abfällt, im Bereich zwischen Bohrung 2 und Bohrung 3 nach unten
abtaucht und zwischen den Bohrungen 8 und
17 auf einer Breite von ca. 9 m in der relativ
gleichbleibenden Tiefe von 0,8–1,1 m verläuft
(Abb. 79). Von hier steigt er Richtung Süden
bis zum letzten Bohrpunkt 20 wieder an. Das
Ende des Grabens ist durch die Bohrungen
nicht komplett erfasst worden.In dem durchweg sehr stark humosen Horizonten der Grabenverfüllung fanden sich in den Bohrungen
7 sowie 15–18 vereinzelt Holzkohlefragmente,
in Bohrung 8 wurde in 1,0 m Tiefe ein Stein
angetroffen. In Bohrung 17 fanden sich sogar
Keramikreste. Grundwasser konnte in 1,55
m Tiefe unter der Geländeoberfläche nachgewiesen werden. Während die Bohrungen nur
einen punktuellen Einblick in die Grabenstruktur geben, können für eine Betrachtung
des Profils die Georadar-Bilder angeführt
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
176
a
b
c
d
Abb. 75 Wiskiauten. Messfläche A. Deutliche Konzentration mehrerer Anomalien (Kantenlänge der genordeten Bilder jeweils 30 m) in verschiedenen Darstellungsarten: a: +/- 3 nT. – b: +/- 6 nT. – c: +/-12 nT. – d: +/- 3
nT mit farblicher Markierung der Anomalien.
a
b
c
d
Abb. 76 Wiskiauten. Messfläche A. Aneinanderreihung verschiedener schwacher Anomalien, die eine deutlich lineare Struktur bilden (Höhe der genordeten Bilder jeweils ca. 100 m, Breite ca. 40 m) in verschiedenen
Darstellungsarten: a: +/- 3 nT; b: +/- 6 nT; c: +/- 12 nT; d: +/- 3 nT mit Markierung der linearen Struktur.
werden, die auf einer Fläche von 25 x 10 m im
mittleren Grabenabschnitt durchgeführt wurden. Die Messungen erfolgten mit zwei unterschiedlichen Auflösungen in 200 MHz und
400 MHz und wurden in Nordsüdrichtung
durchgeführt. Sie beginnen auf der gleichen
Messlinie wie die Bohrcatena und setzen sich
von hier in östliche Richtung fort. Nur die mit
200 MHz gemessenen Georadar-Bilder zeigen
eine deutliche Struktur, die in ihrem Verlauf
in etwa mit dem durch die Bohrungen nachgewiesenen Graben vergleichbar ist. In einem
Radarprofil (Abb. 80A) sinkt der Graben von
Nord nach Süd zunächst ab. Die Grabensohle
scheint an der tiefsten Stelle gerundet zu sein,
erweckt aber insgesamt den Eindruck eines
Spitzgrabens. Von hier steigt der Graben in
Richtung Norden wieder gleichmäßig an. Im
zweiten Radarprofil (Abb. 80B) ist der Graben
in seinem Verlauf etwas flacher. Ohne weitere Bodeneingriffe sind weder Funktion noch
Zeitstellung des Grabens näher zu bestimmen.
Auch hier ist grundsätzlich ein geologisches
Phänomen nicht auszuschließen, wenngleich
die Einschlüsse von Keramik und Holzkohle
zumindest für eine Verfüllung mit anthropo-
Die Siedlungsforschungen
177
Abb. 77 Wiskiauten. Messfläche A. Grabenartige Struktur, Darstellung mit +/- 3 nT, Bild genordet, Breite ca.
140 m, Höhe ca. 60 m; die Lage der Bohrcatena ist durch die gelbe Linie angegeben.
< Norden
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Süden >
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
70
75
80
85
90
95
100
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
70
75
80
85
90
95
200
Abb. 78 Wiskiauten. Boden-Catena durch die längliche Grabenstruktur südlich des Wäldchens Kaup. Die
schwarze Linie gibt die Unterkanten der anthropogen beeinflußten Bodenhorizonte an. In der X-Achse ist
die Nummer des Bohrpunktes, in der Y-Achse die Tiefe der Bohrung in cm angegeben.
178
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 79 Wiskiauten. Schematisiertes Profil durch den Graben südlich des Wäldchens Kaup, umgerechnet
auf die Länge der tatsächlichen Bohrstrecke. Auf der X-Achse ist die Nummer der Bohrung angegeben.
gen beeinflusstem Bodenmaterial sprechen.
C.4.4.1.3.2 Vermuteter Wall
Nach der Auswertung eines Luftbildes interpretierte Kulakov (2005, 62) eine etwa 100 m
südlich der Kaup liegende, lineare Bodener-
hebung im Gelände als Reste eines verschliffenen Walles, der sich von West nach Ost
halbkreisförmig um den West- und Südrand
des Wäldchens herumziehen soll. Durch insgesamt 20 Bohrungen wurde der vermutete
Wall überprüft. Durch die vorbereitende Hö-
Abb. 80 Wiskiauten. Grabenartige Struktur in zwei Georadar-Messbildern, Messstrecke 25 m.
Die Siedlungsforschungen
heneinmessung der einzelnen Bohrpunkte
lässt sich diese Erhöhung tatsächlich nachweisen. So liegt der Anfangspunkt der Bohrungen
bei 10,10 m üNN275, das Gelände steigt dann
bis zur Mitte des vermuteten Walls um 0,33 m
auf einen Wert von 10,43 m üNN an. Auf etwa
4–5 m Breite bleiben diese Werte konstant, um
anschließend auf eine Höhe von 10,10–10,05 m
üNN abzufallen. Somit ist tatsächlich eine 6 m
breite und 0,33 m hohe Geländeerhebung zu
dokumentieren, die das Gelände südlich des
Wäldchens in westöstlicher Richtung quert.
Zur Überprüfung eines möglichen anthropogenen Einflusses wurde im rechten Winkel zum
vermuteten Verlauf des Walles eine Bohrcatena angelegt. Insgesamt sind auf einer Strecke
von 19 m im Abstand von je 1 m 20 Bohrungen
abgetieft worden (Abb. 81–82).
Die Bohrprotokolle bestätigen durch die dabei
ermittelten Höhenwerte einerseits tatsächlich
das Vorhandensein einer leichten Geländeerhöhung, andererseits deuten sie besonders
in den Bodenbereichen unter der wallartigen
Erhöhung eine gestörte Schichtung an. Dieses
Ergebnis ist aber relativ schwer auszudeuten,
da im gleichen Bereich auch der geologische
Untergrund anzusteigen scheint. Auffällig
bleiben die im Norden der Bohrstrecke sehr
mächtigen Bodenhorizonte, bei denen eine
anthropogene Beeinflussung belegt werden
konnte. In Bohrung 11 wurden sogar Keramikund Bernsteinfragmente nachgewiesen, die
diesen Einfluss in einer Tiefe von 0,7 m bestätigen. Vielleicht handelt es sich bei den nördlich des Walles belegten, anthropogen beeinflussten Bodenschichten um die von Kulakov
(2005, 62) postulierte Kulturschicht, die eine
Mächtigkeit von 0,7 m besitzen soll. In Bohrung 1 nämlich reichen die Tiefenwerte der
gestörten Horizonte bis in 0,9 m unter GOK
herab. Abzüglich eines Ackerhorizontes von
275 Dieser Wert stellt einen Arbeitswert dar und
stimmt nicht mit der tatsächlichen Höhe über NN
überein. Er bezieht sich auf den Messpunkt MP
1, der vor Grabungsbeginn auf 10,00 m definiert
wurde. Leider stehen im Arbeitsgebiet keine trigonometrischen Messpunkte zur Verfügung, welche
die genaue Einmessung ermöglichen würden. Der
angenommene Höhenwert ist daher auf Grundlage
des betreffenden deutschen Messtischblattes 1088
(Cranz; vgl. Abb. 13) ermittelt. Dagegen stimmt die
relative Höhe der Bohrpunkte zueinander.
179
0,2 m ergäbe sich als Dicke der Kulturschicht
ein Wert von 0,7 m.
C.4.4.1.4 Oberflächenfunde
Neben dem später im Zusammenhang mit
den Funden aus Fläche 2 (vgl. Kap. C.5.6.2.3)
ausführlicher besprochenen Fibelendknopf
(Fu.Nr. D190; Taf. 68, 7) liegen aus Messfläche
A keine nennenswerten Streufunde vor, vermutlich auch deshalb, weil das Gelände dicht
bewachsen ist und daher weniger intensiv begangen wurde.
C.4.4.1.5 Interpretation
Für viele Anomalien in Messfläche A wurde
durch Bohrungen ein anthropogener Hintergrund wahrscheinlich gemacht. Die Ausgrabung von Objekt an_201/05 in Fläche 1, die
einen Ofen der vorrömischen Eisenzeit zutage
förderte (vgl. Kap. C.5.1) sowie von Anomalie
an_207/05 in Fläche 2, die durch einen aus Steinen trocken gemauerten Brunnen des späten
11. oder beginnenden 12. Jahrhundert verursacht wurde (vgl. Kap. C.5.6), zeigen deutlich,
dass dieser Bereich südlich des Hügelgräberfeldes in der Kaup in verschiedenen Zeiten
als Siedlungsfläche genutzt wurde. Weitere
Datierungen liegen aus diesem Bereich nicht
vor, so dass eine weitere zeitliche Aufschlüsselung nicht möglich ist. Andererseits ermöglichen die Bohrergebnisse aber eine Zuweisung
zu bestimmten Befundkategorien, etwa zum
Befundtyp der Ofen- oder Feuerungsanlagen.
Wenn zwei Befunde räumlich sehr dicht beieinander liegen, wie beispielsweise die beiden
Anomalien an_201/05 und an_202/05 und eines
dieser Objekte durch die Ausgrabungen und
die Analyse von 14C-Proben datiert ist, dann
liegt die Vermutung nahe, dass auch der zweite Befund der gleichen Zeit angehört. Es könnte sich um funktional ausgesonderte Bereiche
innerhalb einer Siedlungsstruktur handeln.
Ähnliches lässt sich für die beiden als Feuerungsanlagen oder Öfen interpretierbaren
Objekte an_213/05 und an_214/05 in der nordwestlichen Erweiterung der Messfläche unterstellen, zu denen Hinweise auf eine Datierung
bislang fehlen.
Durch den Ofenbefund an_201/05 liegen deutliche Anzeichen auf eine Siedlung der vorrömischen Eisenzeit vor, mit der auch die von Kulakov (2006) im Jahr 2006 in Grabungsschnitt
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
180
Abb. 81 Wiskiauten. Vermutete Wallstruktur südlich des Wäldchens Kaup. Bohrcatena. Die untere schwarze Linie gibt die Unterkanten der anthropogen beeinflussten Bodenhorizonte an, die obere Linie die Höhenwerte des Geländes. In der Y-Achse ist die Höhe über NN angeben.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11 12 13 14
15
16 17 18 19 20
Abb. 82 Wiskiauten. Vermutete Wallstruktur südlich des Wäldchens Kaup. Schematisiertes Profil, umgerechnet auf die Länge der tatsächlichen Bohrstrecke.
„3a“ ausgegrabene verziegelte Struktur etwa
20 m östlich von Fläche 1 zusammenhängen
könnte. Kulakov (ebd.) datierte den als Reste
einer Befestigung interpretierten Streifen von
leicht verziegeltem Lehm aufgrund einiger
Streufunde im Ackerhorizont in die Wikingerzeit. Diese Datierung ist genauso problematisch wie die Übertragung der Datierung
von Fläche 1 auf diesen Befund. Die räumliche
Nähe spricht eher für eine zeitliche Gleichsetzung von Kulakovs Grabungsschnitt „3a“ und
dem Ofen aus Fläche 1.
Dass hinter einigen Anomalien in Messfläche
A Befunde des 11. und 12. Jahrhunderts zu
vermuten sind, zeigen die Ausgrabungsergebnisse an Anomalie an_207/05 in Fläche 2. Der
hier freigelegte, massive Brunnen, dessen Bau
einen enormen organisatorischen und technischen Aufwand bedeutete, und die Verfüllung
des Brunnenschachtes mit typischen Siedlungsfunden sind nur vor dem Hintergrund
einer Niederlassung dieser Zeit zu verstehen.
Inwieweit das 14C-Datum einer Holzkohleprobe aus der Verfüllung, die in die Zeit zwischen
902 und 1023276 datiert wurde, auf SiedlungsKIA 32001: Radiocarbon Age: BP 1050 +/- 25, OneSigma-Range: cal AD 983-1017, Two-Sigma-Range:
cal AD 902-1023.
276
Die Siedlungsforschungen
181
Abb. 83 Wiskiauten. Messfläche B. Lage der durch Bohrungen überprüften Anomalien.
spuren des 10. und frühen 11. Jahrhunderts in
der Umgebung hindeutet und damit Hinweise auf eine zum Gräberfeld zeitlich parallele
Siedlung liefert, wird später diskutiert (Kap.
C.5.6.4).
C.4.4.2 Messfläche B
Messfläche B (Taf. 87; Abb. 83; zur Lage vgl.
Abb. 66) besteht aus einem 100 m breiten und
300 m langen Feld parallel zur westlichen
Waldkante der Kaup, an den im Norden und
Süden in westlicher Richtung zwei ähnliche
große Felder in westlicher Richtung anschließen. Insgesamt ist auch hier eine lose Bedeckung mit größeren und kleineren Anomalien
erkennbar, wenngleich die Gesamtzahl niedriger einzuschätzen ist als beispielsweise in den
Messflächen A, C oder gar D. Lineare Strukturen sind nur selten auszumachen. Eine etwa 5
m breite Struktur schwach gräulicher Färbung
bei einem Wert von +/- 3 nT zieht sich von der
nah am westlichen Waldrand liegenden Anomalie an_8/05 mit weißem Hof, bei der es sich
um eine Ofenanlage handeln dürfte, in nordwestlicher Richtung (Abb. 83). Sie ist bislang
noch nicht untersucht worden, so dass keine Interpretationsansätze vorliegen. Auch in
Messfläche B sind die bereits in Messfläche A
beobachteten linearen Strukturen zu erkennen, die sich in regelmäßigen Abständen bei
west-östlicher Ausrichtung über das gesamte
Messfeld ziehen. Es dürfte sich um Pflugspuren handeln. In Messfläche B sind mit den
Anomalien an_1/05 bis an_11/05, an_25/05 bis
182
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
an_32/05 sowie an_39/05 insgesamt 20 Objekte
durch Bohrungen überprüft worden. Etwa die
Hälfte lieferte Hinweise auf archäologische Befunde.
C.4.4.2.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien
Anomalie an_7/05
Die bei einem Messwert von +/- 3 nT als 1,6 m
großer, rundlicher schwarzer Fleck im Messbild (Abb. 84) erkennbare Anomalie an_7/05
reduziert sich bei einem Messwert von +/- 24
nT zu einer rundlichen grauen Fläche von 1,0
m Durchmesser. Eine im Anomalienmittelpunkt durchgeführte Bohrung ließ unter dem
Ackerhorizont von 0,35 m lediglich eine 0,3 m
mächtige graubraune Schicht inhomogenen
Erdmaterials erkennen, bevor ab 0,65 m der
anstehende Lehmboden auftrat. Es könnte sich
um einen archäologischen Befund handeln, da
eine unnatürliche Schichtung bis 0,65 m auftrat. Siedlungsanzeigende Einschlüsse wie
Holzkohle oder Rotlehm oder gar Keramikreste sind allerdings nicht beobachtet worden.
Anomalie an_8/05
Bei einem Messwert von +/- 3 nT (Abb. 84)
zeigte ein schwarzes Oval von 2,8 x 2,2 m Größe Anomalie an_8/05 an. Sie weist einen deutlich ausgeprägten, nach Norden orientierten
weißen Hof auf. Selbst bei einem Wert von
+/- 24 nT ist der schwarze Kern der Anomalie noch 2,3 m lang, der weiße Hof allerdings
nur noch als schwacher Grauschatten sichtbar. Die Bohrung lieferte deutliche Hinweise
auf ein archäologisches Objekt. Unter einem
Ackerhorizont von 0,35 m Dicke bestand der
Bohrkern bis zum Ende der Bohrung bei 1,0
m aus rötlich verziegeltem Lehm. Mit großer
Wahrscheinlichkeit liegt hier ein Befund vor,
bei dem große Hitzeeinwirkung eine Verziegelung ausgelöst hat oder der sekundär mit
verziegeltem Material verfüllt worden ist. Eine
Datierung fehlt.
Anomalie an_11/05
Anomalie an_11/05 zeigt sich im Messbild bei
+/- 3 nT (Abb. 85) als etwa 7,2 m lange und 2
m breite, südwest-nordöstlich ausgerichtete, längliche Anomalie schwarzer Farbe, der
im Nordwesten auf der gesamten Länge ein
weißer Hof vorgelagert ist. Mit zunehmenden
nT-Werten aber verringert sich die längliche
Anomalie zu einem punktuellen, rundlichen
Kern mit einem Durchmesser von 1,6 m bei einem Wert von +/- 12 nT. Die Form der zuvor so
deutlich sichtbaren länglichen Struktur wird
nur noch durch einen leichten Grauschatten
angedeutet. Bei einem Messwert von +/- 24 nT
ist nurmehr ein unregelmäßig schwarzer Fleck
von 1,0 m Durchmesser zu erkennen. Die zur
Überprüfung durchgeführte Bohrung hat offenbar den ovalen Kern der Anomalie um etwa
0,8 m verfehlt und gibt demnach den Schichtenaufbau in der länglichen Struktur wieder.
Mit 0,2 m Dicke ist hier der Ackerhorizont
nur sehr schwach ausgeprägt. Darunter folgte
zunächst bis 0,5 m eine gräulichbraune, humose Erdschicht, die sehr inhomogen wirkte.
Zwischen 0,5 und 0,75 m zeigte sich das gleiche Erdmaterial, das aber in diesem Bereich
wesentlich stärker verdichtet war. Ab 0,75 m
Tiefe traf der Bohrer auf einen Stein. Weitere
Untersuchungen fehlen, so dass die Anomalie
nur unsicher als archäologisch relevanter Befund eingestuft werden kann. Auffällig bleiben
die deutlich durchmischten Erdschichten zwischen Ackerhorizont und Stein, die nicht dem
natürlichen Bodenaufbau in diesem Bereich
entsprechen.
Anomalie an_25/05
Die rundliche schwarze Anomalie an_25/05
weist bei einem Messwert von +/- 3 nT einen
Durchmesser von 1,6 m auf, ist aber bei einem Wert von +/- 24 nT nur noch als leichter
Grauschatten vorhanden (Abb. 85). Unter dem
0,3 m mächtigen, humosen Oberboden zeigte
sich im Bohrkern bis in eine Tiefe von 0,87 m
eine dunkelbraune, sehr stark humose Schicht
mit Knochenresten und Holzkohleeinschlüssen. Eine Datierung liegt bislang nicht vor. Entweder handelt es sich bei diesem Objekt um
einen archäologischen Befund oder um eine
natürliche Bodensenke, in die aufgrund unbekannter Prozesse von einer in der Umgebung
liegenden Siedlung Bodenmaterial eingelagert
worden ist.
Anomalie an_26/05
Als Anomalie an_25/05 wird eine längliche
Struktur von 10,2 m und einer Breite von 2,4
m bezeichnet, die bei einem Messwert von +/-
Die Siedlungsforschungen
3 nT erkennbar ist (Abb. 86). Schon bei einem
Wert von +/- 6 nT löst sich die Struktur in vier
kleinere, ovale Objekte mit Längen bis max.
1,5 m und Breiten bis 0,6 m auf, die in eine nun
grau erscheinende Zone eingebettet liegen. Bei
einem noch höheren Messwert von +/- 12 nT
wirkt die gesamte ehemals schwarze Anomalie
nun durchgehend grau. Die Bohrung erfolgte
etwa in der Mitte der bei einem Wert von +/- 3
nT zu wahrzunehmenden Struktur. Unter dem
0,35 m dicken Ackerboden folgte zunächst für
0,1 m ein Übergangshorizont, der ab 0,45 m
von einer dunkelgrauen, manchmal schwarzen, fast torfartig wirkenden Erdschicht mit
sehr hohem Humusanteil abgelöst wurde. Sie
enthielt relativ viele kleine Holzkohlestückchen und Rotlehmpartikel und reichte bis zum
anstehenden Lehmboden in 0,6 m Tiefe.
Anomalie an_29/05
Als rundlicher Befund von 1,6 m Durchmesser
tritt Anomalie an_29/05 bei einem Messwert
von +/- 3 nT in Erscheinung (Abb. 86). Bei einer Darstellung mit +/- 24 nT ist sie kaum noch
im Messbild wahrzunehmen. Die Bohrung im
Mittelpunkt zeigte unter dem 0,4 m dicken Ackerhorizont eine bis in eine Tiefe von 0,97 m
dunkelgrau gefärbte, aus sehr stark tonigem
Material bestehende Erdschicht. Sie enthielt an
mehreren Stellen Holzkohleflitter.
Anomalie an_30/05
Die im Messbild bei einem Wert von +/- 3
nT rundliche Anomalie an_30/05 mit einem
Durchmesser von 1,6 m ist bei einem Wert von
+/- 24 nT nur noch als grauer Schatten von 1,2
m Durchmesser zu erkennen (Abb. 87). Im
Bohrkern fand sich unter dem Ackerhorizont
lediglich eine gräuliche Schicht aus sehr stark
tonigem Material mit Holzkohleflittern zwischen 0,3 und 0,4 m Tiefe.
Anomalie an_31/05
Mit einer Länge von 3,8 m und einer Breite von
0,7 m bei westöstlicher Ausrichtung ist Anomalie an_31/05 im Messbild bei einem Wert von +/3 nT sichtbar (Abb. 87). Auch bei +/- 24 nT ändert sich bei gleichbleibender Größe lediglich
die Farbgebung. Die Anomalie ist nur noch als
Grauschatten wahrzunehmen. Durch die Bohrungen konnten jedoch keine Auffälligkeiten
festgestellt werden, unter dem Ackerhorizont
183
von 0,3 m Dicke fand sich, abgesehen von einer nur undeutlich erkennbaren Übergangsschicht gräulicher Farbe aus tonigem Material,
lediglich der anstehende Lehmboden.
Anomalie an_32/05
Interessant ist das Bohrergebnis zu Anomalie
an_32/05, die durch die Bohrungen offenbar
aufgrund eines Messfehlers nicht richtig erfasst worden ist. Sie liegt etwa 1,3 m nordöstlich einer kleinen, punktuellen Anomalie mit
einem Durchmesser von nur 0,7 m bei einem
Messwert von +/- 3 nT (Abb. 88). Interessanterweise zeigte sich auch hier im Bohrbild eine
Schicht zwischen 0,3 und 0,55 m Tiefe, die genau die gleiche graue Farbe und die Zusammensetzung aus tonigem Material aufwies wie
die tatsächlich durch die Bohrungen erfassten
Anomalien.
C.4.4.2.2 Anomalienkonzentrationen
Besonders interessant sind die Bohrungen
zu den Anomalien an_25/05 bis an_32/05, die
alle in einer Anomalienkonzentration in der
kleinen dreieckigen Erweiterung in der Nordwestecke der nördlichen Verlängerung von
Messfläche B im östlichen Randbereich des
Flüsschens Woj gelegen sind (vgl. Abb. 83).
Hier fallen lineare Strukturen auf, die sich mäanderartig auf der Fläche verteilen. Es könnte
sich um Reste des mehrfach verlagerten Bachlaufes handeln, die sich mit stark humosem
Material verfüllt haben.
Erstaunlicherweise sind in die Bohrkerne auch
Bruchstücke handgemachter Keramik und
Tierknochen eingebettet gewesen. Während
die Bohrungen zu einigen Anomalien durch
die fast überall angetroffene graue Schicht
zwischen Ackerhorizont und anstehendem
Boden, die fast in allen Bohrungen Holzkohleteilchen aufwies, zunächst auf archäologische
Befunde schließen lassen, erstaunt das Ergebnis der Bohrungen an Anomalie an_32/05. Offenbar aufgrund eines Messfehlers liegt die
Bohrung außerhalb der eigentlich anvisierten
Struktur im geomagnetischen Messbild. Trotzdem konnte auch hier die gräuliche Tonschicht
nachgewiesen werden.
Möglicherweise handelt es sich in allen Anomalien um Siedlungsreste, die durch Einschwemmungen oder sonstige unbekannte
Umlagerungsprozesse in das ehemalige Bach-
184
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 84 Wiskiauten. Anomalien an_07/05 und an_8/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen
Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Abb. 85 Wiskiauten. Anomalien an_11/05 und an_25/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen
Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 m x 12 m).
Abb. 86 Wiskiauten. Anomalien an_26/05 und an_29/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen
Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Abb. 87 Wiskiauten. Anomalien an_30/05 und an_31/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen
Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Abb. 88 Wiskiauten. Anomalie an_32/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Die Siedlungsforschungen
a
b
185
es sich bei den vier Anomalien im Nordwesten
handeln, die in einer Reihe mit Abständen von
ca. 3 m liegen. Viele kleinere Befunde mit ungeklärtem Charakter verteilen sich über die
gesamte Fläche.
Ob es sich bei eine nur schwach erkennbaren
linearen Struktur, die von der Bildmitte in
Richtung Südosten verläuft, tatsächlich um einen archäologischen Befund handelt, lässt sich
ohne Ausgrabungen nicht klären.
C.4.4.2.3 Interpretation
c
d
Abb. 89 Wiskiauten. Messfläche B. Konzentration
von Anomalien (Kantenlänge der genordeten Bilder jeweils 26 m) in verschiedenen Darstellungsarten: a: +/- 3 nT; b: +/- 6 nT; c: +/- 12 nT; d: +/- 3 nT mit
farblicher Markierung der Anomalien (zur Lage
vgl. Abb. 83, roter Kasten).
bett oder dessen Randbereiche gelangt sind.
Diese Siedlung bislang unbekannter Zeitstellung müsste dann in unmittelbarer Umgebung
der Anomaliengruppe gelegen haben.
Eine weitere Konzentration von mehreren, bisher noch nicht untersuchten Einzelbefunden
liegt in der west-östlich gerichteten, schmalen Erweiterung im Süden von Messfläche B
(Abb. 89; zur Lage vgl. Abb. 83, roter Kasten).
Zu keiner der zahlreichen kleineren und größeren Anomalien in diesem Ausschnitt liegen
Bohrungen vor. Dennoch können einige Befunde im Vergleich mit dem Erscheinungsbild
bereits untersuchter Anomalien im Messbild
interpretiert werden. So dürfte die Anomalie
in der Nordostecke des Bildausschnittes (Abb.
89) eine Feuerungsanlage anzeigen, da sie einen ovalen schwarzen Kern und einen hauptsächlich nach Norden bzw. Nordosten gerichteten weißen Hof besitzt, der dem Bild anderer
Anomalien mit erbohrter Verziegelungsschicht
entspricht. Um humos verfüllte Gruben oder
solche mit einer Verfüllung aus Steinen dürfte
Aufgrund der geringen Datenbasis, vor der die
Messbilder aus Messfläche B beurteilt werden
könnten, sind zuverlässige Interpretationen
der Anomalien in diesem Bereich nicht möglich. Interessant ist mit Anomalie an_8/05 ein
vermutlicher Ofenbefund. Außerdem fallen
die offenbar teilweise mit Siedlungsmaterial verfüllten Anomalien an_1/05 und an_2/05
sowie an_25/05 bis an_32/05 in der nordwestlichen Erweiterung im Randbereich des Flüsschens Woj auf, bei denen es sich vermutlich
um ehemalige Seitenarme oder Bachbetten des
Woj handelt könnte. Sie müssen als Hinweise
auf allgemeine Siedlungsaktivitäten – allerdings bislang unbekannter Zeitstellung – verstanden werden, die im unmittelbaren Umfeld
stattgefunden haben dürften. Möglicherweise
stehen die Anomalien mit den in Messfläche C
zu vermutenden Siedlungsspuren in Zusammenhang, da die räumliche Entfernung relativ
gering ist.
C.4.4.3 Messfläche C
Die 360 m lange und 110 m breite Messfläche C
verläuft auf der Westseite des kleinen Baches
Woj parallel zu dessen Ufer (Taf. 88; zur Lage
vgl. Abb. 66). Sie wurde angelegt, weil sich in
vorherigen Bohrungen, besonders im Randbereich, unter dem Ackerhorizont von 0,4 m
Mächtigkeit eine Schicht dunkler, stark humoser Erde zeigte. Diese Schicht war zwischen
0,2 und 0,3 m dick und enthielt Keramik- und
Tierknochenreste.
Insgesamt zeigt sich auch in Messfläche C eine
starke Verunreinigung mit Metallschrott, die
durch zahlreiche sog. Dipole, magnetische
Pole gleicher Größe mit unterschiedlichen Vorzeichen, erkennbar ist. Im westlichen Mittelbereich liegt eine große Anomalie von maximal
186
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
tel aller Bohrungen wurden auffällige Schichten dokumentiert. Zusätzlich liegen hier die
beiden Grabungsflächen Fläche 3 aus dem Jahr
2005 und Fläche 20 aus dem Jahr 2008.
C.4.4.3.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien
Anomalie an_18/05
Bei einem Wert von +/- 3 nT ist an dieser Stelle im Messbild eine rundliche Anomalie von
1,8 m Durchmesser sichtbar, die sich bei einem
Wert von +/- 12 nT zunächst auf 1 m Durchmesser reduziert und bei +/- 24 nT nur noch als
schwach grauer Schatten bemerkbar ist. Die
Bohrungen zeigten unter der 0,3 m mächtigen
Ackerschicht einen anthropogen beeinflussten
Horizont mit Holzkohle- und Rotlehmpartikeln, der bis in eine Tiefe von 0,8 m reichte. Es
dürfte sich um einen archäologisch relevanten
Befund handeln, der jedoch undatiert ist.
Anomalie an_20/05
Abb. 90 Wiskiauten. Messfläche C. Lage der durch
Bohrungen überprüften Anomalien
25 m Durchmesser, die durch einen Strommast
verursacht wird.
Die Anomalienbedeckung ist ähnlich dicht wie
in den beiden zuvor besprochenen Messflächen A und B. Am unteren westlichen Rand
fällt eine lineare Struktur auf, die diagonal
von Nordwesten nach Südosten verläuft. Zur
Überprüfung abgeteufte Bohrungen erbrachten kein eindeutiges Ergebnis.
Im Mittelbereich der Messfläche liegen einige
größere Anomalien konzentriert beieinander,
auch im Nordwesten zeigt sich eine Anhäufung auffälliger Objekte, ansonsten sind die
Anomalien ohne erkennbares System über die
gesamte Fläche verteilt. Ihre Gesamtzahl ist
nicht sehr hoch einzuschätzen.
Insgesamt 34 Anomalien sind durch Bohrungen überprüft worden (Abb. 90). In zwei Drit-
Zusammen mit den Anomalien an_19/05,
an_22/05 und an_35/05 bis an_37/05 liegt Anomalie an_20/05 im westlichen Uferbereich des
drainierten Baches Woj. Sie stellt sich bei einem Wert von +/- 3 nT als max. 3,3 m große,
amorphe schwarze Fläche dar, die bei einem
Wert von +/- 24 nT kaum noch wahrnehmbar
ist (Abb. 91). Die Magnetisierung ist also nicht
besonders stark. Die Bohrungen erbrachten
hier eine zwischen 0,42 und 0,6 m Tiefe liegende Schicht dunkelbraunen Erdmaterials mit
Einschlüssen von Tierknochen und Holzkohle.
Darunter folgte zwischen 0,6 und 0,75 m ein
stark humoser, schwarzbrauner Bodenhorizont, der ebenfalls Holzkohlepartikel enthielt.
Es dürfte sich um eine Kulturschicht handeln,
mit großer Wahrscheinlichkeit liegt anthropogener Einfluss vor.
Anomalie an_22/05
Etwas schwächer ausgeprägt ist die vermutliche Kulturschicht bei Anomalie an_22/05. Hier
zeigt sich im Messbild bei einem Wert von +/3 nT eine etwa 2,2 m lange und 1,0 m breite
schwarze Struktur, die bei einem Wert von
+/- 24 nT nur noch als kleiner schwarzer Kern
von etwa 0,4 m erkennbar ist (Abb. 91). Auch
hier liegt die zur Überprüfung durchgeführte Bohrung bei geringen Messwerten inner-
Die Siedlungsforschungen
187
Abb. 91 Wiskiauten. Anomalien an_20/05 und an_22/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen
Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
halb, bei höheren Werten aber außerhalb der
vermeintlichen Anomalie. Im Bohrkern war
dementsprechend eine 0,15 m dicke schwarze
Schicht aus dunkelbraunem bis gräulichem,
humosem Sand-Lehm-Gemisch zu dokumentieren, die wenig Holzkohle enthielt. Sie liegt
zwischen dem Ackerhorizont und dem anstehenden Lehmboden in einer Tiefe von 0,5–0,65
m. Es dürfte sich um Reste einer Kulturschicht
handeln.
Anomalie an_23/05
Mit einem Durchmesser von 2,5 m zeigt sich
Anomalie an_23/05 bei einem Wert von +/- 3
nT im geomagnetischen Messbild. Die Form
ist annähernd rund. Dagegen erscheint sie bei
einem Wert von +/- 12 nT nunmehr oval. Die
Anomalie hat in diesem Zustand Maße von 2,0
x 1,7 m und ist ost-westlich ausgerichtet. Sie
zeichnet sich nun als grauer Schatten ab, der
bei leicht verringerter Größe auch bei +/- 24 nT
noch deutlich sichtbar bleibt. Unter dem Ackerhorizont, der in einer Tiefe von 0,33 m unter der Geländeoberfläche endete, folgte in der
Bohrung zunächst bis 0,5 m Tiefe ein anthropogen beeinflusster Mischhorizont mit Holzkohleanteilen, dem bis 0,9 m Tiefe ein zweiter
Mischhorizont, ebenfalls mit relativ viel Holzkohle, folgte. Dies sind klare Indokatoren auf
einen archäologischen Befund, der allerdings
bislang nicht datiert werden kann.
Anomalie an_36/05
Diese Anomalie lässt sich bei einem Wert von
+/- 3 nT als rundlicher schwarzer Fleck von 1,4
m Durchmesser beschreiben (Abb. 92). Bei einem Messwert von +/- 24 nT hat sich die Anomalie auf einen kleinen schwarzen Kern im
Südosten mit einem Durchmesser von 0,35 m
verkleinert, während an Stelle der vorherigen
schwarzen Anomalie nun nur noch ein leichter
grauer Schatten zu erkennen ist. Die Bohrung
sitzt von diesem kleinen schwarzen Kern etwa
0,6 m in nordwestlicher Richtung entfernt. Im
Bohrkern war jedoch eine deutlich anthropogen beeinflusste Schichtenabfolge zu beobachten. So folgte unter dem Ackerhorizont mit
einer dunkelbraunen Erdschicht zwischen 0,3
und 0,5 m zunächst eine Art Übergangshorizont zur darunterliegenden Schicht. Diese
nächste Schicht zwischen 0,5 und 0,65 m enthielt bei graubrauner Farbe relativ viele kleine
Holzkohlestückchen.
Abgelöst wurde sie von einem Horizont aus
dunkelgrauem, stark tonigem Erdmaterial, in
das neben Holzkohle in einer Tiefe von 0,85 m
auch ein Stück Keramik eingebettet war, bevor
ab 1,28 m der anstehende, grundwasserbeeinflusste graue Lehmboden mit rötlichen Eisenausfällungen auftrat. Vermutlich handelt es
sich um einen archäologischen Befund.
Anomalie an_21/05
Bei Anomalie an_21/05, die den Anomalien
an_52/05 und an_38/05 direkt benachbart liegt,
dürfte es sich um einen Befund mit Feuereinwirkung handeln, der auf eine Feuerungsanlage oder einen Ofen hinweisen könnte277. Darauf
deutet neben dem Erscheinungsbild bei einem
Wert von +/- 3nT, das die Anomalie als ovales
Objekt von 2,5 x 1,8 m mit einem im Norden
vorgelagerten weißen Hof zeigt (Abb. 92), auch
die durch die Bohrungen dokumentierte VerDiese Anomalie wurde im Sommer 2008 durch
Fläche 20 untersucht, wobei eine Herdstelle oder
Feuergrube freigelegt wurde. Zwei Holzkohleproben aus dem Befund lieferten eine Datierung ins
4.–7. Jahrhundert (KIA 37240: Radiocarbon Age: BP
1475 +/- 27, One-Sigma-range: cal AD 563-616, TwoSigma-Range: cal AD 547-640; KIA 37241: Radiocarbon Age: BP 1641 +/- 29, One-Sigma-range: cal
AD 352-503, Two-Sigma-Range: cal AD 337-533).
277
188
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 92 Wiskiauten. Anomalien an_21/05 und an_36/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen
Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
ziegelungsschicht in 0,35–0,55 m Tiefe hin. Sowohl 2 m westlich als auch 2 m östlich ließ sich
eine holzkohlehaltige dunkle Bodenschicht bis
0,75 m Tiefe nachweisen, die eine Einbettung
des Befundes in ein ebenfalls anthropogen beeinflusstes Umfeld wahrscheinlich macht.
Anomalie an_52/05
Anomalie an_52/05, ca. 7 m weiter westlich gelegen, kann als Befund mit starker Konzentration von Holzkohle und Rotlehm in der Verfüllung charakterisiert werden und ist bis in eine
Tiefe von 0,75 m unter der Geländeoberfläche
erhalten. Im Messbild bei +/- 3 nT hat sie mit einer Breite von 2 m in Nord-süd-Richtung eine
Länge von etwa 3 m bei ovaler Form (Abb. 93).
Auch bei höheren nT-Werten bleibt der Befund,
wenn auch abgeschwächt, deutlich sichtbar.
Eine zweite Bohrung 2,5 m nördlich des Mittelpunktes enthielt ab einer Tiefe von 0,3 m eine
Schicht von 0,15 m Mächtigkeit und deutet dadurch ebenfalls auf eine Einbettung des Befundes in eine Siedlungsschicht hin.
Nur 1 m weiter nördlich war diese Schicht in
der dritten Bohrung allerdings nicht mehr
nachweisbar. Entweder liegt hier somit eine
kurzfristige Unterbrechung vor oder die
Schicht ist tatsächlich auf das Umfeld der Befunde begrenzt. Vermutlich handelt es sich bei
Anomalie an_52/05 um eine Siedlungsgrube.
Anomalie an_38/05
Der 14 m weiter südlich gelegene Befund an_
38/05 besitzt im Messbild bei verschiedenen
Messwertbereichen einen weißen Kern von
max. 1,3 m Durchmesser bei rundlicher Form,
um den ringsum ein schwarzer Hof von max.
3,8 m Durchmesser angelagert ist (Abb. 93).
Erstaunlicherweise konnte durch die Bohrung
im Zentrum lediglich eine Siedlungsschicht
von 0,15 m Mächtigkeit in einer Tiefe zwischen
0,35 m und 0,5 m dokumentiert werden, die als
Siedlungsanzeiger Holzkohle und Knochenpartikel enthielt.
Anomalie an_56/05
Bei einem Wert von +/-3 nT zeigt ein schwarzer,
rundlicher Fleck mit einem Durchmesser von 2
m und einem sehr deutlich ausgebildeten weißen Hof, der die gesamte Anomalie umrahmt.
Dieser Hof ist auch bei +/- 12 nT noch schwach
sichtbar ist. Die Anomalie dagegen hat sich
zwar auf 1,8 m Durchmesser verkleinert, erscheint aber unverändert schwarz. Auch bei +/24 nT ist sie sehr deutlich sichtbar. Der Durchmesser beträgt nun 1,5 m.
Zwischen 0,3–0,53 m Tiefe zeigte sich in der
Bohrung eine Verziegelungsschicht, die darauf
schließen lässt, dass es sich um einen Befund
mit Feuereinwirkung handelt. Eine Datierung
liegt für den Befund noch nicht vor.
Abb. 93 Wiskiauten. Anomalien an_52/05 und an_38/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen
Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Die Siedlungsforschungen
C.4.4.3.2 Anomalienkonzentrationen
In Messfläche C sind an mehreren Stellen Häufungen verdächtiger Anomalien festzustellen.
Exemplarisch soll hier ein Ausschnitt von 26 x
26 m aufgezeigt werden, der im Nordwesten
der Fläche liegt. Dieser Bereich (zur Lage vgl.
Abb. 90, roter Kasten) enthält die drei Anomalien an_21/05, an_38/05 und an_52/05, die durch
Bohrungen überprüft wurden. In allen Fällen
ist ein anthropogener Einfluss wahrscheinlich.
Als Auslöser für Anomalie an_21/05 ist durch
Fläche 20 eine Feuerstelle nachgewiesen worden, die nach Ausweis der 14C-Daten278 in das
4.–7. Jahrhundert gehört.
Insgesamt deutet sich hier das Vorhandensein
einer flächigen Siedlungsschicht an, die zumindest an das nähere Umfeld der in den Messbildern erkannten Befunde gebunden scheint.
Zusätzlich zeigt das Messbild in der unmittelbaren Umgebung der drei Befunde zahlreiche
weitere Anomalien (Abb. 94d, grün markiert)
auf, die bisher noch nicht untersucht worden
sind. Bei längerer Betrachtung der Messbilder
scheint sich sogar ein relativ unruhiger Bereich
um diese Befunde herum von einer ruhigeren,
ungestörter wirkenden Umgebung abzugrenzen. Die Form des unruhigen Bereiches ist annähernd quadratisch (Vgl. Abb. 94, a-d).
Als vorsichtige Interpretation ist hier an ein
Siedlungsgefüge zu denken, das aus funktional differenzierten Befunden bestehen und gegen die Umgebung durch Zäune abgegrenzt
sein könnte. Immerhin deutet sich hier das
Potential an, bei entsprechend höherer Datenmenge Interpretationsmodelle im Sinne einer
Arbeitshypothese zu entwickeln, die auf eine
Vergleichbarkeit ähnlicher Befundgruppierungen abzielt.
C.4.4.3.3 Oberflächenfunde
Besonders der Bereich westlich des Woj-Flusses erbrachte bei unregelmäßigen Oberflächenbegehungen einige Streufunde, die teilweise
mit dem Metalldetektor lokalisiert wurden279.
Neben zahlreichen neuzeitlichen Metallobjekten fanden sich mehrere Bronzeobjekte und ein
Gegenstand aus Blei, die hier näher beschrieVgl. 14C-Datierung KIA 37240 und 37241 (vgl.
Kap. E.2.2–3).
278
Keiner der Funde ist mit genauen Koordinaten
eingemessen. Sie lassen sich nur grob dem nördlichen Teil des Messbildes zuordnen.
279
189
a
c
b
d
Abb. 94 Wiskiauten. Messfläche C. Deutliche Konzentration mehrerer Anomalien (Kantenlänge der
genordeten Bilder jeweils 26 m) in verschiedenen
Darstellungsarten: a: +/- 12 nT; b: +/ - 6 nT; c: +/- 3
nT; d: +/- 3 nT mit Markierung verdächtiger Anomalien.
ben werden sollen.
Ein kleiner, tropfenförmiger Gegenstand aus
Bronze (Abb. 95; Taf. 85, 9) mit einer Gesamtlänge von 21 mm weist eine flache Rückseite
mit einer Rille in Längsrichtung auf, an der
möglicherweise eine Vorrichtung zur Befestigung angebracht gewesen ist. Die Vorderseite
ist stark abgegriffen oder verschliffen, es ist
keine Verzierung erkennbar. Den Abschluss
bildet an einer Seite ein knopfartiger Fortsatz,
der durch eine flache Einkerbung vom Rest
abgesetzt ist und an eine Maske mit zwei Augen erinnert. Auch auf dem Abschluss auf der
gegenüberliegenden Seite sind zwei kleine,
muldenartige Vertiefungen auszumachen, die
Augen darstellen könnten. Die Funktion des
Objektes bleibt unklar, möglicherweise handelt
es sich um Kleidungsbesatz. Auch die Zeitstellung ist bisher ungeklärt, da Analogien fehlen.
Ein weiteres, flaches Objekt aus Bronze (Abb.
95; Taf. 85, 10) ist von länglich-rechteckiger
Gestalt und etwa in der Mitte gebrochen, die
zweite Hälfte fehlt. Es weist eine erhaltene
Länge von 41 mm und eine Breite von max.
190
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 95 Wiskiauten. Messfläche C. Detektorfunde. Links: Tropfenförmiges Objekt aus Bronze (Fu.Nr. D3).
– Rechts: rechteckiges, fragmentiertes Objekt aus Bronze (Fu.Nr. D2).
Abb. 96 Wiskiauten. Detektorfunde aus dem Bereich des Woj. Links: Kugelförmiges Eisengewicht mit Messingummantelung. - Mitte: Flaches Bronzegewicht mit Kreuzmarkierung. - Rechts: Bronzene Schelle.
16 mm auf. Der erhaltene Abschluss ist leicht
gerundet, die geraden Kanten laufen zur fragmentierten Mitte hin leicht aufeinander zu.
Auf der Oberseite trägt der Gegenstand je zwei
parallele, gekrümmte Linien, deren Exaktheit
darauf hindeutet, dass sie mit einem zirkelartigen Instrument ausgeführt worden sind.
Das Blech weist an der leicht gerundeten Ecke
an der erhaltenen Seite ein Loch von 2 mm
Durchmesser auf, eine weitere, etwas größere
Durchlochung an der Bruchstelle ist nur zur
Hälfte erhalten. Auch bei diesem Fund sind
Zeitstellung und Funktion unklar.
Ein zylinderförmiger, etwa 70 mm langer
Gegenstand aus Blei (Fu.Nr. D8) mit einem
Durchmesser von 30 mm könnte als Netzsenker angesprochen werden, da sich an einer
Schmalseite eine rillenartige Vertiefung zur
Aufnahme einer Schnur befindet. Das Stück
weist auf ganzer Länge eine unregelmäßige
Durchlochung von 3-4 mm Durchmesser auf.
Besonders interessant ist eine Gruppe von De-
tektorfunden, die im Heimatmuseum Selenogradsk (ehemals Cranz) aufbewahrt werden
und im Jahr 2005 von illegalen Detektorgängern getätigt worden sein sollen. Es handelt
sich um insgesamt zwölf Funde280, die in zwei
verschiedenen Arealen in der Nähe der geomagnetischen Messflächen entdeckt worden
sein sollen.
Sieben Objekte stammen aus dem Bereich des
Woj und somit wahrscheinlich aus Messfläche
C oder D, darunter zwei Gewichte, zwei Silbermünzen, zwei Schnallen und eine Schelle.
Die beiden Gewichte gehören unterschiedliDiese Funde sind bisher unpubliziert, eine genaue Untersuchung konnte während der Grabungsarbeiten nicht vorgenommen werden, da
ihr Vorhandensein erst in den letzten Tagen der
Kampagne im Sommer 2005 bekannt wurde. Eine
Nummerierung der Funde gibt es bisher nicht,
auch Zeichnungen oder Maße stehen nicht zur Verfügung. Lediglich Digitalfotos können hier für eine
Beschreibung herangezogen werden.
280
Die Siedlungsforschungen
chen Typen an. Das erste Stück (Abb. 96, Mitte) ist aus Bronze gegossen und besitzt einen
flachen, fast scheibenförmigen Körper mit nur
leicht gewölbter Wandung. Der Durchmesser
beträgt ca. 25 mm. Die abgeflachten Seiten tragen auf beiden Seiten als Markierung ein einfaches Kreuz. Das zweite Stück (Abb. 96, links)
gehört zum Typ der Kugelzonengewichte, die
einen messingummantelten Eisenkern besitzen,
der in diesem Fall deutlich an der Korrosion
der abgeflachten Ober- und Unterseite erkennbar ist. Möglicherweise aufgrund dieser Korrosion sind Markierungen nicht zu erkennen.
Das Gewicht hat eine kugelige Grundform mit
einem Durchmesser von ca. 40 mm, die Wandung ist bei einer Höhe von 30 mm deutlich
gewölbt281. Die Enden sind abgeflacht. Durch
die kleinen Polflächen lässt sich das Gewicht
dem Typ B2 nach Steuer (1984, 283; 1997, 47)
zuweisen, der allgemein im 10. und 11. Jahrhundert aufzukommen scheint (ders. 1973, 20;
1997, 48). Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich
anfangs auf die Gebiete südlich der Ostsee
(ders. 1973, 13; 1997, 48), später auch auf Nordund Nordosteuropa bzw. den gesamten Raum
rund um die Ostsee. Auch im 12. und 13. Jahrhundert sind sie zahlreich belegt (ebd.).
Bei der kleineren der beiden Silbermünzen
(Abb. 97, rechts) mit einem Durchmesser von
knapp 20 mm handelt es sich um eine deutsche Münze, die in Worms unter Kaiser Otto
II. oder wahrscheinlicher Otto III. im Zeitraum
zwischen 983 und 1002 geprägt wurde282. Dafür lässt sich neben der schlecht lesbaren Umschrift „Mogetium“ vor allem das Dach der
auf der Rückseite zu erkennenden kleinen
Holzkirche anführen, deren Giebel aus zwei
Linien besteht, die sich an ihren Fußpunkten
berühren. Dieses Merkmal spricht eindeutig
für Worms als Prägeort (Hatz 1961, 148).
Die zweite Silbermünze (Abb. 97, links) ist auf
den Bildseiten stark abgegriffen, so dass bisher nur eine vorläufige Bestimmung erfolgt
ist. Es handelt sich um eine arabische Münze,
geprägt in der Regierungszeit von Harun alDas Gewicht war nicht ermittelbar, da der Fund
nur kurze Zeit zur Dokumentation zur Verfügung
stand.
281
Für die Bestimmung der Münze dankt Verf. H.
Mäkeler (Kiel).
282
191
Raschid, Kalif der Abbassiden, um 803–810283.
Die ursprünglich etwa 35 mm große Münze
ist durch zwei gerade Schnittkanten auf die
jetzige Größe reduziert. Diese Abtrennungen
stellen ein übliches Phänomen bei wikingerzeitlichen Münzen dar und sprechen für eine
lange Umlaufzeit der überwiegend im 8. und
9. Jahrhundert geprägten Exemplare. Sie wurden in Form von Hacksilber als Gewichtsgeld
benutzt. Die ab dem 10. Jahrhundert aufkommenden Zerteilungen (Steuer 2004, 69) dienten
der Gewinnung kleinerer Gewichtseinheiten.
Demnach dürfte auch die hier besprochene
Münze nicht vor dem 10. Jahrhundert in den
Boden gelangt sein.
Die kleine Bronzeschelle (Abb. 96, rechts) mit
einem Durchmesser von max. 25 mm stammt
vermutlich vom Pferdegeschirr oder von einem
Brustgehänge der weiblichen Tracht. Ähnliche
Schellen stammen aus Männergräbern von
Wiskiauten mit Reitzubehör (vgl. z.B. Grab 48;
von zur Mühlen 1975, 133 Taf. 34, 10), in denen sie als Pferdeschellen interpretiert werden,
sowie aus Frauengräbern mit Trachtausstattung, wo sie vermutlich am Kettengehänge getragen wurden. Als Vergleichsfund lässt sich
hier das Grab SHM 27739:1d von Barshalder,
Ksp. Grötlingsbo, von der Insel Gotland anführen (Thunmark-Nylén 1995, Abb. 45b), bei
dem die Schelle am Ende eines Kettenstranges
hing. Alle Schellenfunde im ehemaligen Ostpreußen, die vor dem Zweiten Weltkrieg geborgen wurden, stammen offenbar aus dem
Gräberfeld von Wiskiauten (von zur Mühlen
1975, 119 Fundliste 48; vgl. auch Kap. B.5.4.2.5).
In neuerer Zeit sind jedoch viele Schellen aus
prussischen Gräbern bekannt geworden, so
beispielsweise aus dem Gräberfeld von Klincovka (Irzekapines; vgl. Kulakov 1990).
Das Fragment einer Ringfibel mit Stegornamentik (Abb. 98, Mitte) lässt sich dem sog. kurischen Typ nach Kulakov (1990, 19) zuweisen,
der hauptsächlich im 11.–13. Jahrhundert in
baltischen Fundzusammenhängen vorkommt.
Ein komplett erhaltenes Exemplar wurde in
Fläche 4 (vgl. Kap. C.5.7.2.3) gefunden, ein
weiteres Fragment liegt als Streufund in der
Umgebung dieser Grabungsfläche vor (vgl.
Kap. C.4.4.4.1).
Weitere Detektorfunde sind durch eine schlichFreundliche Information von Dr. A. Fomin (Kaliningrad), vermittelt durch V. I. Kulakov.
283
192
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 97 Wiskiauten. Detektorfunde aus dem Bereich des Woj. Links: arabische Silbermünze mit Hackspuren, 9. Jahrhundert. – Rechts: Deutsche Silbermünze, 10. Jahrhundert.
Abb. 98 Wiskiauten. Detektorfunde aus dem Bereich des Woj: links: Bronzeperle. – Mitte: Fragment einer
Ringfibel mit Stegornamentik. – Rechts: Bronzeschnalle.
te, rundliche Bronzeperle (Abb. 98, links) und
eine Schnalle aus Bronze repräsentiert (Abb.
98, rechts).
C.4.4.3.4 Interpretation
Messfläche C enthält eine Reihe interessanter
Anomalien, die zunächst auf anthropogenen
Einfluss hinweisen, ohne allerdings näher datiert zu sein. Mit Datierungen versehen sind
dagegen die beiden Anomalien an_19/05 und
an_21/05. Sie wurden in den Grabungsschnitten Fläche 3 und Fläche 20 erfasst. Bereits im
Jahr 2005 gelang in Fläche 3 im Randbereich
des Baches Woj, die Anomalie an_19/05 untersuchte, der Nachweis einer bis zu 0,4 m
mächtigen Kulturschicht mit zahlreichen Keramik- und Tierknochenfragmenten, die als Anzeichen einer Siedlung gewertet werden kann.
In der Nordostecke wurde als einziger Befund
eine kleine Grube angeschnitten, deren Funktion jedoch unklar blieb. Die insgesamt zwei
14
C-Datierungen verlegen die in Fläche 3 erkannten Siedlungsreste ins 7.–10. Jahrhundert,
wobei aufgrund der Schnittmenge der beiden
Datierungsergebnisse das 8. Jahrhundert als
Entstehungszeit am wahrscheinlichsten ist. Die
bislang nur vorläufig ausgewertete, zur Überprüfung von Anomalie an_21/05 angelegte Fläche 20 mit einer länglichen Feuerstelle deutet
aufgrund der 14C-Datierung auf die Zeit des
4.–7. Jahrhunderts und somit auf frühere oder
zeitgleiche Siedlungsspuren hin.
Neben den zahlreichen Keramikfunden aus
beiden Grabungsschnitten liegt als einziger
Sonderfund das Fragment einer blauen, scheibenförmigen Glasperle vor, die jedoch keine
feinchronologische Einordnung erlaubt. Die
Detektorfunde, insbesondere die illegalen,
deuten an, dass im gesamten Bereich auch mit
Siedlungsspuren des 9.–11. Jahrhunderts zu
rechnen ist. Allerdings ist die genaue Herkunft
der Funde ungeklärt, diese Vermutung also mit
einer gewissen Unsicherheit belastet.
Die Anomalien in Messfläche C bilden kein
erkennbares System. Für tiefergehende Interpretationsmodelle fehlen weitere Datierungen.
Die Siedlungsforschungen
Mit großer Wahrscheinlichkeit aber dürfte eine
größere Anzahl der Anomalien in den Messbildern ebenfalls der zweiten Hälfte des ersten
nachchristlichen Jahrtausends angehören. Somit ist dieser Bereich insbesondere für die Frage nach Siedlungsspuren, die zeitgleich zum
Hügelgräberfeld sein könnten, von großem
Interesse. Zusätzlich bietet die Topographie
mit dem süßwasserführenden Bachlauf und
der Nähe zur halbinselartigen Geländeformation unter dem deutschen Dorf Wosegau und
damit der Nähe zum vermutlich mit dem Kurischen Haff verbundenen Fluss-System einige
wichtige Siedlungsvoraussetzungen.
Spuren der von Kleemann (1939b, 214) in diesem Bereich vermuteten Fundstelle des 13. und
14. Jahrhunderts sind bei den Untersuchungen
nicht dokumentiert worden, wenn man nicht
die wenigen Metalldetektorfunde, insbesondere das mit einer Zirkelornamentik versehene
längliche Blech (Abb. 86; Taf. 85,10; vgl. Kap.
C.4.4.3.3) diesem Zeitraum zuordnen will, eine
Annahme, die aufgrund von fehlenden Analogien aber bislang nicht bestätigt werden kann.
193
werden kann. Sechs davon (an_29/06, an_31/06,
an_32/06, an_33/06, an_34/06, an_35/06) sind
durch Pürckhauer-Bohrungen auf anthropogenen Einfluss hin untersucht worden (zur Lage
Abb. 101).
Die Konzentration besteht aus einem Bereich
mit vielen größeren Anomalien von ca. 2-3 m
Durchmesser, die zwei Schwerpunkte bilden.
Eine erhöhte Dichte ist dabei östlich der nordsüdlich verlaufenden, linearen Struktur „AK1/
L2“ zu verzeichnen. Die Anomalien scheinen
in regelmäßigen Fluchten angeordnet zu sein,
wenngleich bisher kein wirkliches System erkennbar ist. Nur wenige größere Objekte liegen noch weiter ostwärts dieses ca. 100 x 40 m
großen Bereiches. Den zweiten Schwerpunkt
bilden die westlich zwischen den beiden größten linearen Strukturen eingebetteten Anomalien auf einer Fläche ca. 100 x 80 m, die sich aber
auch noch auf den Bereich südlich der südwestnordöstlich verlaufenden, linearen Anomalie
„AK1/L1“ erstrecken. Hier nimmt die Dichte
allerdings ab.
C.4.4.4 Messfläche D
C.4.4.4.1.1 Durch Bohrungen überprüfte
Einzelanomalien
Zwischen der Straße von Wiskiauten nach Wosegau und dem kleinen Fluss Woj nordwestlich
des Gräberfeldes wurde mit Messfläche D (Taf.
89; zur Lage Abb. 66) auf einer brachliegenden
Wiese ein Areal von max. 1060 m Länge und
max. 350 m Breite vermessen. Sie enthält im
Wesentlichen die beiden größeren AnomalienKonzentrationen AK1 und AK2 mit diversen
kleineren Anhäufungen verdächtiger Objekte. Die Anomalienkonzentration AK1 scheint
sich auch in der geomagnetischen Messfläche
E östlich der Straße Wiskiauten-Wosegau fortzusetzen. Zumindest finden sich hier auf etwa
gleicher Höhe in dem nur 80 m breiten Messausschnitt ebenfalls mehrere Anomalien, zwischen denen sich auch kleine lineare Strukturen erkennen lassen (vgl. Kap. C.4.4.5).
Anomalie an_29/06
In der am nördlichsten gelegenen Anomalie
an_29/06, die im geomagnetischen Messbild
als rundlicher, schwarzer Fleck mit knapp 2,5
m Durchmesser284 erscheint (Abb. 102), konnte
durch die insgesamt drei Bohrungen eine vermutlich anthropogen beeinflusste Schichtung
bis in eine Tiefe von 0,55 m unter dem 0,15–0,4
m mächtigen Ackerhorizont festgestellt werden. Das graubraune Erdmaterial aus diesem
Horizont war überwiegend sandig mit schwachen Lehmanteilen und enthielt Anteile von
Rotlehm und Holzkohle. Unter dem anthropogen beeinflussten Horizont steht rötlich-brauner, stark toniger Lehm an. Vermutlich handelt es sich um einen archäologischen Befund,
dessen Datierung jedoch aussteht.
C.4.4.4.1 Anomalienkonzentration AK1
Anomalie an_33/06
Die Konzentration AK1 erstreckt sich auf einer
Fläche von ca. 250 x 200 m nördlich des Gräberfeldes in einer Entfernung von ca. 150–200
m von der rezenten Waldkante (vgl. Abb. 99).
Sie besteht aus zahlreichen größeren verdächtigen Objekten über 1 m Durchmesser (vgl.
Abb. 100), deren Anzahl auf etwa 100 geschätzt
Als amorphe Struktur von max. 2,3 m Durchmesser erscheint Anomalie an_33/06 (Abb.
102) im Messbild. Die Bohrungen belegen eine
anthropogene Beeinflussung. Die Bohrung im
Bei allen Maßangaben zur Größe der Anomalien wurden die Messbilder mit +/- 3 nT zugrunde
gelegt.
284
194
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 99 Wiskiauten. Lage der Anomalienkonzentrationen AK1 und AK2 in Messfläche D.
Mittelpunkt der Anomalie zeigte unter dem
Pflughorizont von 0,3 m Stärke eine Schicht
durchmischten Erdmaterials von dunkelbrauner, leicht gräulicher Färbung bis 0,6 cm unter
der Geländeoberfläche. In dieser Tiefe wurde
ein mechanischer Widerstand, vermutlich in
Form von Steinen, festgestellt. Die zweite Bohrung etwa 1 m südlich weist mit mindestens
zwei unterschiedlichen Mischhorizonten bis
in eine erbohrte Tiefe von 0,85 m unnatürliche
Bodenverhältnisse auf. Siedlungsanzeigende
Einschlüsse wie Keramik oder Holzkohle wurden nicht festgestellt. Eine anthropogene Entstehung ist wahrscheinlich, eine archäologische Relevanz ohne klare Datierung dagegen
nur zu vermuten.
Ansatzweise ist der Befund mit der im Jahr
2005 in Fläche 2 teilweise freigelegten Anomalie an_207/05 zu vergleichen, da auch hier
Steine in den Bohrungen auftraten. Sie waren
dort allerdings flächendeckend nachgewiesen
worden.
Anomalie an_35/06
Die leicht ovale Anomalie an_35/06 liegt im
westlichen Bereich der Konzentration AK1.
Sie besteht aus einem schwarzen Kern von
2,3 x 2 m Ausmaßen mit einem leicht weißlichen Randbereich im Nordosten (Abb. 103).
Der Kern bleibt im Gegensatz zu den bisher
besprochenen Anomalien auch bei höheren
nT-Werten konstant schwarz. Die insgesamt
vier Bohrungen zeigen eine flächendeckende
Steinlage in einer Tiefe von 0,45–0,5 m unter
GOK. Darüber befindet sich ein nicht sicher
vom oberen Ackerboden zu trennender Bereich mit möglicherweise zwei unterschiedlichen Schichten, die beide auf anthropogenen
Einfluss zurückzuführen sein dürften. Dafür
spricht das Vorhandensein von zahlreichen
Rotlehmpartikeln und Holzkohle, die im Ackerhorizont fehlen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um einen archäologischen Befund,
der mit der in Fläche 2 ausgegrabenen Anomalie an_207/05 vergleichbar sein dürfte. Auch
hier wurde eine flächendeckende Steinschicht
in ähnlicher Tiefe bei gleicher Form der Anomalie nachgewiesen. Auffallend ist allerdings,
dass die Anomalie an_35/06 auch bei höheren
nT-Werten bis +/- 24nT noch sehr deutlich her-
Die Siedlungsforschungen
195
Abb. 100 Wiskiauten. Messfläche D. Anomalien-Konzentration AK1 nördlich der Kaup (Bildausschnitt:
Länge in Nord-Südrichtung ca. 280 m).
vortritt, während sie in an_207/05 bei gleichen
Werten nur noch als schwach grauer Bereich
erkennbar war.
Anomalie an_31/06
Anomalie an_31/06 ist im Messbild (Abb. 103)
als ovale, nordwestlich-südöstlich ausgerichtete Struktur von 2,8 x 1,7 m Ausdehnung zu
erkennen. Bei +/- 3 nT noch deutlich sichtbar
ist bei Werten von +/- 12 nT nur noch schwach
eine Anomalie auszumachen, bei +/- 24 nT ist
die Anomalie fast verschwunden.
Die Bohrergebnisse belegen einen Mischhorizont bis 0,6 m unter der Geländeoberfläche,
der aber sehr undeutlich ist und bei der Ansprache im Feld große Schwierigkeiten bereitete. Die zweite Bohrung nur 0,5 m südlich erbrachte keine deutliche Schichtung, es konnte
nur ab 0,35 m Tiefe stark lehmiger, vermutlich
schon anstehender Boden dokumentiert werden. Archäologische Relevanz ist hier nur mit
Vorsicht zu unterstellen.
Anomalie an_32/06
Eine starke Magnetisierung weist Anomalie
an_32/06 auf (Abb. 104). Um einen schwarzen,
rundlichen Kern von 2,5 m Durchmesser lagert sich ein weißlicher Hof, der sich mit zu-
196
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 101 Wiskiauten. Messfläche D. Lage der angebohrten Anomalien in Konzentration AK1 (Kantenlänge
des Bildausschnitts ca. 280 m).
nehmenden nT-Werten in der Darstellung rapide reduziert, aber dennoch erkennbar bleibt.
Selbst bei Werten von +/- 24 nT ist der schwarze Befundkern noch von fast gleicher Ausdehnung und Intensität. Mit nur 0,2 m Mächtigkeit
ist der Ackerboden in allen vier Bohrungen
nur schwach ausgeprägt. Darunter folgt in allen Bohrungen dunkelbrauner bis leicht gräulicher Feinsand bis 0,5 m bzw. 0,6 m unter der
Geländeoberfläche, er besitzt daher eine Mächtigkeit zwischen 0,3 m und 0,4 m. Der Horizont enthält Holzkohle und Rotlehmpartikel
als Anzeichen anthropogener Beeinflussung.
In den beiden Bohrungen im Befundzentrum
wurden ab 0,5 m unter der Geländeoberfläche Steine festgestellt. In einer Bohrung 1,5 m
westlich des Mittelpunktes und damit schon
außerhalb der eigentlichen Anomalie fehlt der
Nachweis von Steinen, der Mischhorizont mit
Holzkohle und Rotlehm ist analog zu den vorherigen Bohrungen aber deutlich ausgeprägt.
Eine weitere Bohrung wurde zur Kontrolle bewusst 3 m nordwestlich und somit eindeutig
außerhalb der Anomalie angelegt. Sie zeigte
erstaunlicherweise den gleichen Schichtaufbau bei fehlenden Steinen, also auch hier einen
anthropogen beeinflussten Horizont von 0,4 m
Mächtigkeit bis in eine Tiefe von 0,6 m unter
der Geländeoberfläche. Damit dürfte hier eine
flächige Kulturschicht in der Umgebung des
eigentlichen Befundes anzunehmen sein. Die
Anomalie wird vermutlich von der Ansammlung von Steinen hervorgerufen.
Durch die aus den Bohrkernen entnommenen
Holzkohleproben liegt für den Befund eine
vorläufige Datierung vor. Die aus einer Tiefe von 0,5 m entnommene Probe lieferte ein
Datum in die Zeit zwischen 1642 und 1955285
Allerdings könnte die Datierung durch die relativ oberflächennahe Lage der Probe bzw. der
Nähe zum darüberliegenden Ackerhorizont,
aus der die Probe beispielsweise durch Bioturbation oder Pflugtätigkeit in die Entnahmetiefe verlagert worden sein kann, verfälscht sein
und muss nicht dem tatsächlichen Alter des
Befundes entsprechen.
Anomalie an_34/06
Die Anomalie an_34/06 stellt mit einer erbohrten Tiefe von 3,5 m das interessanteste Objekt
in Konzentration AK1 im Messfläche D dar.
KIA 30151: Radiocarbon Age: BP 170 +/- 70, OneSigma-Range: cal AD 1658-1955, Two-Sigma-Range:
cal AD 1642-1955.
285
Die Siedlungsforschungen
197
an_29/06
+/-
3 nT
+/-
12 nT
an_33/06
+/-
24 nT
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
Abb. 102 Wiskiauten. Anomalien an_29/06 (links) und an_33/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x12 m).
an_35/06
+/-
3 nT
+/-
12 nT
an_31/06
+/-
24 nT
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
Abb. 103 Wiskiauten. Anomalien an_35/06 (links) und an_31/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x12 m).
an_32/06
+/-
3 nT
+/-
12 nT
an_34/06
+/-
24 nT
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
Abb. 104 Wiskiauten. Anomalien an_32/06 (links) und an_34/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Im Messbild ist ein annähernd rechteckig anmutender Anomalienkern von 3,5 m x 3,1 m
Ausdehnung sichtbar (Abb. 104), der sich bei
Werten von +/- 24 nT in drei einzelne, in eine
nurmehr gräulich wirkende Fläche eingebettete Objekte aufgliedern lässt.
Die Bohrung im Anomalienmittelpunkt ergab
eine Verfüllung aus dunkelbraunem bis gräulichem, leicht schluffigem Feinsand mit Holzkohle und Rotlehmanteilen, die besonders
im unteren Befundbereich häufiger auftraten.
Erst ab einer Tiefe von ca. 3 m änderte sich die
Schichtenabfolge. Jetzt herrschte nasser Mittelsand vor, der aus der Bohrsonde „herausgeflossen“ war.
Offensichtlich tritt hier sandiges Substrat mit
Grundwassereinfluss auf. Erst bei 3,5 m Tiefe
unter der Geländeoberkante musste die Bohrung aufgrund eines mechanischen Widerstan-
des, vermutlich verursacht durch Steine, abgebrochen werden. Zusätzlich zu den Bohrungen
wurde Anomalie an_34/06 im März 2007 durch
Georadarmessungen mit der 400 Mhz-Antenne untersucht (Abb. 105). Dazu wurde ein
10 x 25 m großes Messfeld, benannt als „Radarfläche 3“, um den Anomalienmittelpunkt
herum erfasst, das sich in nordwestlich-südöstlicher Ausrichtung an die südliche Grenze
von Fläche 4 des Jahres 2006 (vgl. Kap. C.5.7)
anschloss. Mit der Anlage der Georadarfläche
sollte einerseits überprüft werden, ob sich die
in Fläche 4 entdeckten Pfostenstandspuren im
Süden der Grabungsfläche möglicherweise
fortsetzen, andererseits sollte Befund an_34/06
untersucht werden. Während die Radargramme für die Frage der Pfostenstandspuren keine Ergebnisse liefern, zeigen sich bei Anomalie
an_34/06 mehrere interessante Strukturen.
198
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 105 Wiskiauten. Messfläche D. Anomalienkonzentration AK1. Grabungsfläche 4 und Radarfläche 3.
So ist ab einer Tiefe von 0,4 m unter der Oberfläche eine dunkle, den Befund ringförmig umschließende dunkle Zone im Messbild sichtbar,
die sich sowohl von der helleren Umgebung
als auch von der helleren Innenfläche der Anomalie abgrenzt. Mit zunehmender Tiefe wird
diese Umrandung massiver, um ab einer Tiefe
von etwa 0,75 m (vgl. Abb. 106 e) als flächige
dunkle Verfärbung die gesamte Innenfläche
der Anomalie auszufüllen. Gleichzeitig erscheint nun das Umfeld deutlich gegliedert.
So wird der Befund jetzt im Süden von einer
dunkelgrauen, rechteckigen Struktur begleitet, bei der es sich um einen Abschnitt einer
linearen Anomalie handeln dürfte, die knapp
südlich von Anomalie an_34/06 von West
nach Ost vorbeizieht. Sie hat eine Breite von
durchschnittlich 6 m und ist auf einer Länge
von mindestens 130 m nachweisbar. Etwa 70
m östlich von Radarfläche 3 wurde die Struktur auch in Radarfläche 2 erfasst, wo sie ein
ähnliches Erscheinungsbild aufweist. In Radarfläche 3 schließt sich im Süden eine auffällig weißliche, ihrerseits im Süden durch eine
scharfe schwarze Linie abgegrenzte längliche
Struktur an, welche die dunkle Fläche seitenparallel begleitet. In einer Tiefe von etwa 0,6
m (vgl. Abb. 106, d) ist nördlich von Anomalie
an_34/06 auch eine rechteckige weiße Fläche
zu sehen, die deutlich gegenüber der gräulichen Umgebung abgegrenzt ist. Der Grund
bleibt ohne weitere Untersuchungen unklar.
Es könnte sich um ein Gebäude handeln.
Die in Radarfläche 3 erfassten Strukturen sind
ohne weitere Untersuchungen nur sehr schwer
auszudeuten. Vorläufig bietet sich für Anomalie an_34/06 nach Ausweis der Bohrergebnisse
eine Interpretation als Brunnen an, der durch
den anstehenden Lehmboden hindurch in
eine grundwasserführende Sandschicht eingegraben wurde. Nach der Nutzung könnte
der Brunnen intentionell verfüllt worden sein,
wofür die Homogenität der Verfüllung spricht.
Aus den Bohrkernen wurden neben einem
kleinen Bruchstück handgemachter Keramik
auch Holzkohleproben entnommen, die eine
14
C-Datierung ermöglichen. Demnach lässt
sich die Verfüllung des vermuteten Brunnens
in die Zeit zwischen 1029 und 1159286 einordnen. Aufgrund der zahlreichen Funde aus FläKIA 30152: Radiocarbon Age: BP 935 +/- 20, OneSigma-Range: cal AD 1036-1156, Two-Sigma-Range:
cal AD 1029-1059.
286
Die Siedlungsforschungen
199
Abb. 106 Wiskiauten. Radarfläche 3 (Größe 10 x 25 m) im Umfeld von Anomalie an_34/06 in verschiedenen
Tiefenbereichen: a – 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45
m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte).
Abb. 107 Wiskiauten. Ausschnitt aus den geomagnetischen Messbildern mit der Anomalienkonzentration
AK1 und den darin befindlichen linearen Anomalien „AK1/L1“ und „AK1/L2“. Als grüne Punktlinien
sind die Bohrstrecken „Catena 3“ und Catena 4“ eingetragen, die Radarflächen 1–3 werden durch die grünen Quadrate angezeigt. Mit einem roten Quadrat markiert ist Grabungsfläche 4, rote Dreiecke markieren
durch Bohrungen überprüfte Anomalien.
200
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 108 Wiskiauten. Radarfläche 1 (Größe 10 x 10 m). Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a
– 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte).
Abb. 109 Wiskiauten. Radarfläche 2 (Größe 15 x 15 m). Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a
– 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte).
che 4 und deren Umgebung, die hauptsächlich
ins 11. und 12. Jahrhundert gehören, ist es unwahrscheinlich, dass der Brunnen selbst sehr
früh innerhalb dieses Zeitraums errichtet worden ist. Auch er dürfte daher eher ans Ende
des 11. Jahrhunderts oder ins beginnende 12.
Jahrhundert datieren.
C.4.4.4.1.2 Lineare Strukturen
Besonders interessant sind verschiedene lineare Strukturen (Abb. 107), die zwischen
den Anomaliengruppen verlaufen und mit
130–180 m teilweise erstaunliche Längen aufweisen. Zwei größere Strukturen fallen im
Messbild ins Auge. Eine gräuliche Linie, hier
als „AK1/L1“ benannt, zieht sich von Südosten
nach Nordwesten und ist leicht gekrümmt. Sie
verläuft in Richtung der nördlicher gelegenen
Anomalienkonzentration AK2, endet aber weit
davor. Dennoch scheint sie sich als schwache
Anhäufung von mehreren Dipolen bis zur
Konzentration AK2 fortzusetzen, was auf eine
direkte Verbindung beider Konzentrationen
hinweisen könnte.
Am Südostende dieser linearen Struktur setzt
die zweite größere lineare Anomalie „AK1/L2“
an. Sie verläuft von hier in westlicher Richtung
und ist wesentlich breiter und nicht so scharf
abgegrenzt.
Die Deutung dieser linearen Strukturen ist
unsicher, es könnte sich durchaus um Wege
oder Gräben handeln. Dafür spricht ihr Ver-
lauf durch die Zentren der Anomalienkonzentration. Da sie sehr regelmäßig wirken, ist ein
anthropogener Einfluss sehr wahrscheinlich.
Beide linearen Strukturen sind im März 2007
durch Georadarmessungen und Bohrungen
näher untersucht worden.
Lineare Anomalie „AK1/L1“
Die nord-südlich verlaufende Anomalie „AK1/
L1“ zeigt sich in den Radarbildern (Abb. 108)
als dunkelgraue, relativ klar hervortretende
Anomalie mit randlicher Begrenzung und erstreckt sich bei einer durchschnittlichen Breite
von 2 m über eine Länge von 180 m nach Nordwesten in Richtung der Anomalienkonzentration AK2. In insgesamt zwei Georadarmessungen ist die lineare Struktur erfasst worden. So
liegt „Radarfläche 1“ von 10 x 10 m Größe etwa
10 m nördlich der Stelle, wo die lineare Anomalie „AK1/L1“ die lineare Anomalie „AK1/L2“
schneidet (vgl. Abb. 107). Die 15 x 15 m große
„Radarfläche 2“ dagegen erfasst genau diesen
Überschneidungsbereich der beiden Anomalien (vgl. Abb. 107 und 109).
In beiden Messbilderreihen ist Anomalie „AK1/
L1“ als klar begrenzte, in mehrere einzelne Linien zu untergliedernde Struktur erkennbar
(vgl. Abb. 108–109). Besonders der Randbereich
erscheint in fast allen Bildern besonders dunkel.
In den Radarprofilen (Abb. 110) ist eine kompakte Störung sichtbar, die in der Mitte blockartig
wirkt, an den Rändern dagegen im 45°-Winkel
Die Siedlungsforschungen
201
Abb. 110 Wiskiauten. Radarfläche 1 in Geomagnetik-Messfläche D mit linearer Anomalie „AK1/L1“: 1
Time-slice-Bild (Aufsicht, Größe 10 m x 10 m) mit Markierung der Lage der Radargramme/Querschnitte.
– 2 Radargramm/Querschnitt a-b. – 3 Radargramm/Querschnitt c-d.
ansteigt. Auf einer Strecke von 10 m wurde in
südwestlich-nordöstlicher Richtung eine Catena senkrecht zum Verlauf der linearen Anomalie „“AK1/L1“ angelegt. Sie umfasst insgesamt
11 Bohrungen im Abstand von je 1 m, zwischen
die Bohrungen 8 und 9 ist eine zusätzliche Bohrung 12, zwischen die Bohrungen 5 und 6 die
zusätzliche Bohrung 13 eingeschoben, um das
Bohrergebnis an diesen Stellen zu verfeinern.
Senkrecht zu diesen Bohrungen wurden ent-
sprechend dem Verlauf der Anomalie die Bohrungen 14–19 abgetieft, um die Struktur auch in
ihrer Längsausdehnung zu untersuchen.
Die Bohrergebnisse sind überaus interessant.
So konnten in den Bohrungen 5, 13287, 6, 7 und 8,
also auf einer Länge von insgesamt 3,5 m in allen Bohrungen Steine in einer Tiefe von durchschnittlich 0,35 m festgestellt werden. Auch in
Bohrung 13 wurde zwischen den Bohrungen 5
und 6 abgetieft.
287
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
202
1
2
3
Abb. 111. 1 Wiskiauten. Lineare Anomalie „AK1/L1“ in Radarfläche 2 mit scharf begrenzten Seiten (Bildgröße: 15 x 15 m, Tiefe ca. 0,6 m). – 2-3 Rekonstruktionen von Wegen vom Typ Tibirke (2) und Broskov (3)
aus Dänemark (Schou Jørgensen 1988, Abb. 2).
den längs zum Verlauf der Anomalie in südöstlicher Richtung angelegten Bohrungen 14–17
wurden Steine in gleicher Tiefe dokumentiert.
Bohrung 17 lag dabei 6 m südöstlich der rechtwinklig zur Anomalie angelegten Catena. Erst
in der 9 m südöstlich durchgeführten Bohrung
18 konnten keine Steine mehr festgestellt werden. Etwa 1 m in nordwestlicher Richtung von
der Mittelachse der Catena wurde in Bohrung
19 ebenfalls ein Stein nachgewiesen. Eine weitere Bohrung etwa 5 m nordwestlich erbrachte
dagegen keinen Hinweis auf Steine. Da durch
die Bohrungen ein offensichtlich relativ flächendeckendes Steinpflaster nachgewiesen ist und
hinter den dunklen, scharf begrenzten Rändern
in den Radarbildern gleichzeitig eine stärker
befestigte randliche Begrenzung vermutet werden kann, könnte es sich um einen gepflasterten
Weg vom Typ Tibirke oder Typ Broskov (Schou
Jørgensen 1988, Abb. 2; hier Abb. 111) handeln,
vergleichbar etwa mit den in Menzlin (vgl. Jöns
2006, 96ff.) dokumentierten Strukturen. Die
randliche Begrenzung entspräche dann den
erhöhten Randsteinen. Ein geologisches Phänomen ist mit Sicherheit auszuschließen.
Unklarheit besteht über die Zeitstellung, da
bisher keine Datierungshinweise vorliegen.
Lediglich die Nähe zu den bisher in diesem
Areal dokumentierten Befunden des späten
11. oder anfänglichen 12. Jahrhunderts machen eine gleiche Zeitstellung auch für die
Anomalie „AK1/L1“ wahrscheinlich. Offenbar
wird die lineare Anomalie „AK1/L1“ im Überschneidungsbereich mit Anomalie „AK1/L2“
von dieser gestört. Zumindest scheint Anomalie „AK1/L1“ im Kreuzungsbereich unterbrochen. Da es sich bei Anomalie „AK1/L2“ vermutlich um einen Graben handelt (s.u.), dürfte
der hinter Anomalie „AK1/L1“ vermutete Weg
den Graben ehemals überquert haben, vielleicht auf einer hölzernen, später vergangenen
Brücke, die dementsprechend im Georadarbild eine Lücke an dieser Stelle hinterlassen
würde.
Lineare Anomalie „AK1/L2“
Eine zweite lineare Anomalie in Anomalienkonzentration AK1 in Messfläche D wurde
bereits im Zusammenhang mit der linearen
Struktur „AK1/L2“ und dem vermuteten Brunnenbefund an_34/06 angesprochen, soll hier
jedoch nochmals gesondert vorgestellt werden. Sie wird als Anomalie „AK1/L2“ benannt
und liegt südlich der Anomalienkonzentration
AK1. Es handelt sich um eine mindestens 130
m lange, südwestlich-nordöstlich orientierte
lineare Struktur, die in den Messbildern bei
Messwertbereichen von +/- 3 nT deutlich als
gräulicher Streifen von durchschnittlich 6–7 m
Breite in Erscheinung tritt (vgl. Abb. 107).
Die Anomalie wurde in den beiden Georadarflächen 2 (Abb. 109) und 3 (Abb. 106; vgl. auch
Abb. 107) erfasst und zusätzlich durch eine Reihe von Bohrungen untersucht, die als „Catena
3“ bezeichnet wird und auf einer Länge von 14
m aus 15 Bohrungen im Abstand von jeweils 1
m besteht. Sie beginnt etwa 4 m nördlich der
linearen Anomalie, die letzte Bohrung erfolgte ca. 4 m südlich der Struktur. Anfangs- und
Endpunkt der Catena wurden bewusst so weit
außerhalb der Anomalie gewählt, um einen
Kontrast zum umgebenden Boden erkennen
zu können.
Während in den ersten vier Bohrungen unter
dem mit 0,4 m durchschnittlich ausgeprägten
Ackerhorizont ein sandiger Lehm von gelblich-
Die Siedlungsforschungen
brauner Farbe anstand, änderte sich das Bild
ab Bohrung 4. Hier trat zwischen dem Ackerhorizont und dem anstehenden Lehmboden
eine stark sandige Schicht auf. Ab Bohrung 5
herrschte dieser schwach lehmige Feinsand
vor, der in allen folgenden Bohrungen bis mindestens bis in eine Tiefe von 0,6 m nachgewiesen wurde. Die Unterkante dieser Sandschicht
wurde nicht erbohrt288, es fehlen daher Angaben über die Tiefe. Der in den Bohrungen 6–13
erbohrte Sand wirkte ungestört, siedlungsanzeigende Einschlüsse wie Keramik, Holzkohle
oder Knochenfragmente wurden nicht beobachtet. Lediglich in Bohrung 12 war der Bereich zwischen 0,5 und 0,6 m stark humos.
In den beiden Bohrungen 14 und 15 war die
Sandschicht nur noch bis max. 0,55 m Tiefe
nachzuweisen, darunter folgte ein lehmiger
Boden, von rötlichbrauner bis gelblichbrauner
Farbe, der den anstehenden Lehmboden repräsentieren dürfte. Der Verlauf des Grabens
lässt sich vorläufig folgendermaßen charakterisieren: zwischen Bohrung 3 und 4 beginnend
fällt er relativ schnell auf eine Tiefe über 0,6 m
ab, die absolute Tiefe ist unbekannt. Die durch
die Bohrungen nachgewiesene Breite von mindestens 10 m zwischen den Bohrungen 4 und
15 deckt sich nicht mit dem geomagnetischen
Messbild, in dem der Graben nur zwischen
den Bohrungen 5 und 12 auf einer Breite von
7 m als gräuliche Verfärbung in Erscheinung
tritt.
Ob der Graben auf einem natürlichen Phänomen beruht, kann ohne weitere Bohrungen
noch nicht sicher beurteilt werden, scheint
aber derzeit wahrscheinlicher als eine anthropogene Entstehung. Die Anomalie in Radarfläche 3 wirkt in verschiedenen Tiefenbereichen
aber sehr scharf begrenzt, so dass hier möglicherweise an eine Befestigung des vermuteten
Grabens zu denken ist. Da an der Überschneidungsstelle mit Anomalie „AK1/L1“ in Radarfläche 2 eine deutliche Lücke in der senkrecht
zum Graben verlaufenden Anomalie „AK1/L1“
zu erkennen ist, kann vermutet werden, dass
alle anderen Strukturen deutlich auf den Grabenbefund Bezug nehmen und er somit zur
Zeit der Entstehung der umliegenden Befunde schon bestanden hat. Selbst wenn es sich
um einen natürlichen Graben handelt, scheint
Zur Zeit der Bohruntersuchungen stand nur ein
60 cm langer Bohrer zur Verfügung.
288
203
er zumindest anthropogen verändert worden
sein. Auch eine ausschließlich künstliche Anlage ist durchaus denkbar.
C.4.4.4.1.3 Weitere auffällige Strukturen
Im Bereich von Konzentration AK1 liegt nördlich des Befundes an_34/06 eine auffällige
Struktur von 13 x 6 m Größe. Sie besteht aus
einem nordwestlich-südöstlich ausgerichteten Rechteck mit abgerundeten Seiten, das
im geomagnetischen Messbild nur schwach
erkennbar ist (vgl. Abb. 251). Innerhalb dieser
Umrandungslinie sind vereinzelt Strukturen
sichtbar, die an eine innere bauliche Gliederung denken lassen. Diese Struktur ist im Jahr
2006 durch die 10 x 10 m große Fläche 4 untersucht worden, wobei tatsächlich mehr als 60
Holzpfosten nachgewiesen werden konnten,
die allerdings nicht exakt mit der Anordnung
der vermuteten Pfosten im geomagnetischen
Messbild korrelieren (vgl. Kap. C.5.7). Dennoch ist durch den Grabungsschnitt eindeutig
die Existenz von Bauten in Pfostenbauweise
belegt. Die Masse der Funde deutet auf eine
Datierung ins 11. oder 12. Jahrhundert hin.
Durch 14C-Datierungen ins 7. und 8. Jahrhundert bzw. ins 9. und 10. Jahrhundert (vgl. Kap.
C.5.7.4) allerdings liegen auch Hinweise vor,
dass an gleicher Stelle mit älteren Siedlungsspuren zu rechnen ist. Weitere hausähnlich
anmutende Befunde in der Umgebung sind in
den Messbildern nicht erkennbar.
C.4.4.4.1.4 Oberflächenfunde
Im Umfeld von Fläche 4 und innerhalb der
Anomalienkonzentration AK1 sind zur Überprüfung der Koordinatentreue der geomagnetischen Messbilder gezielt einige Dipole
mit dem Metalldetektor auf ihre Lage hin
überprüft worden. In der Mehrzahl der Fälle
saß das im Feld lokalisierte Metallobjekt, ausnahmslos eiserne Gegenstände, genau in der
Schnittfläche der weißen und schwarzen Dipole. Durch diese Methode konnte zweifelsfrei
nachgewiesen werden, dass die Messbilder
mit dem Messsystem übereinstimmten. Unter
den insgesamt 53 Metallfunden (zur Lage Abb.
112) befinden sich auch einige Buntmetallobjekte von archäologischer Relevanz, denen für
die Datierung der in Anomalienkonzentration
AK1 liegenden Befunde zusammen mit den Ergebnissen aus Fläche 4 teilweise große Bedeu-
204
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 112 Wiskiauten. Übersicht über die Lage der Streufunde in der Umgebung von Fläche 4 (bei der Nummerierung fehlt der Zusatz „D“).
tung zukommt. Nur ein Fund (Taf. 81, 28) aus
Eisen ist in diesem Zusammenhang von Interesse. Es handelt sich um ein stark korrodiertes,
eisernes Messer oder ein handwerkliches Gerät. Der Fund ist bisher unrestauriert und daher vorläufig typologisch nicht ansprechbar.
Wesentlich mehr aussagekräftige Funde liegen
aus Bronze vor. Alle sind mit einer tiefgrünen
Patina versehen. Erwähnenswert sind ein Gürtelhaken (Abb. 113, links), ein Kugelzonengewicht (Abb. 115, Mitte), ein Ring mit imitiertem Flechtband (Abb. 115, links), ein kleiner
Beschlag (Taf. 81, 12), ein Schmelzrest (Taf. 81,
16), das Fragment eines bandförmigen Gegen-
standes (Taf. 81, 13), eine Gussform (Abb. 116,
links), ein Endknopf einer Fibel mit stollenförmigen Enden (Abb. 115, rechts), ein Fragment
einer Ringfibel mit Stegornamentik (Abb. 116,
rechts) sowie das Fragment eines Bronzebarrens (Abb. 113, rechts).
Der Gürtelhaken oder Kleidungsverschlusshaken (Abb. 113, links; Taf. 81, 6) ist nur zur
Hälfte erhalten. Es handelt sich um ein flaches
Bronzeblech von max. 1,5 mm Stärke bei einer Breite von ca. 15 mm, das sich zum Ende
hin stark verjüngt und in einem nach hinten
umgebogenen Haken endet. Die Gesamtlänge
beträgt 34 mm. Die Vorderseite ist mit einem
Die Siedlungsforschungen
205
Abb. 113 Wiskiauten. Umgebung von Fläche 4. Links: bronzener Gürtelhaken oder Kleidungsverschluss
(Fu.Nr. D52). – Rechts: Fragment eines Bronzebarrens (Fu.Nr. D41).
Muster verziert, das aus einer randbegleitenden Reihe sehr kleiner Quadrate gebildet wird.
Ihr folgt nach innen eine Reihe großer Quadrate, von denen an einer Seite fünf, an der gegenüberliegenden Seite sechs Stück erhalten sind.
Den inneren Abschluss bildet eine unregelmäßig verlaufende Linie, die an ihrer zum spitz
zulaufenden Ende des Hakens hin zeigenden
Seite von mehreren quer verlaufenden Linien
geschnitten wird. Auch diese Linien bestehen
zu einem Teil aus sehr kleinen Quadraten. Insgesamt wirkt das eingestempelte oder gepunzte Muster etwas nachlässig ausgeführt. Die
Rückseite weist nur einige Schleiflinien oder
Abnutzungsspuren auf, Verzierungen sind
hier nicht zu erkennen.
Gürtelhaken dieser Form, die an der südlichen
Ostseeküste mehrfach belegt sind (Knorr
1970 Karte 1; Gabriel 1988, 207f.bb. 41; Schenk
1998, 69 Abb. 2), kommen in unverzierten und
verzierten Exemplaren aus Eisen und Bronze vor. Sie dürften als Verschluss an Gürteln
aus Kordeln oder Brettchenbändern gedient
haben. Dafür spricht die Auffindung in Gräbern in Hüfthöhe. Ihre Verbreitung erstreckt
sich „von Wagrien bis zur Oder und von der
Ostseeküste bis zur Havel“ Gabriel 1988, 209),
einige Exemplare sind an der unteren Weichsel belegt. Ein einzelner Fund stammt von der
Kurischen Nehrung und ist aus Silber gefertigt
(ebd.). Knorr (1970, 96ff.) vermutete als Entstehungsgebiet den Raum östlich der Oder, da
hier bereits im 10. Jahrhundert silberne Ketten-
schließen sehr ähnlicher Form auftreten, aber
um die Mitte des 11. Jahrhunderts wieder aus
dem Formengut verschwinden. Unter Voraussetzung eines Stilbezuges sieht er die ab der 1.
Hälfte des 11. Jahrhunderts aufkommenden
Gürtelhaken deutlich von diesen Vorgängern
geprägt (ebd. 99; 101). Von diesem Gebiet
könnten sie „über das verbindende Meer“(ebd.
101) in andere Regionen an der südlichen Ostseeküste gelangt sein. Darauf scheinen auch
die zahlreichen Nachweise in den Küstengebieten und die Konzentration auf Orte mit einer gewissen lokalen Bedeutung hinzuweisen,
wenngleich die Vorraussetzungen für eine eigene Produktion beispielsweise im mecklenburgischen Küstengebiet durchaus gegeben
waren. Als alternative Nutzungsdeutung bietet sich auch eine Funktion als Fischköderhaken an. Diese Interpretation scheint jedoch aus
mehreren Gründen fraglich. Einerseits sind
es technische Bedenken, denn Angelhaken
oder Fischköderhaken (vgl. z.B. die Haken
aus Ralswiek: Herrmann 2005, 150 Abb. 166a.
g.o.k) sind zumeist mit einem Widerhaken
ausgestattet, um das Lösen des Fisches vom
Haken nach dem Biss zu verhindern und den
Fang zu sichern. Es gibt allerdings, wie in Ralswiek (Herrmann 2005, 150 Abb. 166c.d.e.i.n),
auch Exemplare ohne diese Vorrichtung, und
Heindel (1982, 187) hat insbesondere für die
tordierten, eisernen Haken aus dem slawischen Gebiet überzeugend eine Verwendung
als Angelhaken nachgewiesen, auch wenn
206
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 114 Gürtelhaken. 1 Wiskiauten. Streufund aus dem Wäldchen Kaup bei Wiskiauten. - 2 Wiskiauten.
Streufund bei „Fläche 4“. - 3 Altfund aus Stangenwalde/Kurische Nehrung (Foto C. Engel im Nachlass
Grenz, ALM Schleswig). – 1–2: Bronze. – 3 Silber.
sie keine Widerhaken aufweisen. Aber auch
das für einige der „Gürtelhaken“ verwendete
Material Silber (vgl. z.B. den Fund aus Stangenwalde (Engel 1930, 114 Abb. k; hier Abb.
114, 3) leuchtet bei einer Verwendung für den
Fischfang nicht ein. Silber scheint einerseits zu
weich für einen solch funktional orientierten
Gegenstand, andererseits zu teuer, zumal es
mit bronzenen oder eisernen Haken Alternativen von gleicher Wirkung gibt. Aus Kützerhof
in Mecklenburg-Vorpommern allerdings liegt
ein bronzenes Exemplar vor, das lediglich versilbert ist (Schenk 1998, 70 Abb. 3a). Letztlich
erhärtet aber ein Neufund aus gesicherten
Grabzusammenhängen aus Povarovka (vgl.
Pronin/Smirnova/Mishina/ Novikov 2006
Abb. 191, 1 Nr. 3) im Samland aufgrund der
Fundlage im Hüftbereich die Ansprache als
Kleidungsverschluss oder Gürtelhaken. Auch
die etwas neutralere Deutung als Schließhaken
einer kleinen Tasche, die am Gürtel getragen
wurde, könnte die Lage im Hüftbereich erklären; darauf dürfte insbesondere die Fundlage
solcher Schließhaken im Hüftbereich der beiden Frauengräber von Gamehl und Damm
in Mecklenburg-Vorpommern hinweisen
(Schmidt 1989, 33).
Während Knorr (1970, 93) auf der Grundlage von Körpergräbern aus Mecklenburg als
Zeitansatz das 11. und 12. Jahrhundert nannte,
legte Herrmann (2005, 91) mehrere einfache
Exemplare aus Ralswiek (ebd. Abb. 124, m-p)
vor dem Hintergrund zahlreicher Vorkommen aus slawischen Zusammenhängen schon
in das 9. Jahrhundert. Gegen eine ausschließlich slawische Herkunft äußerte Gabriel (1988,
207) Bedenken. In diesem Zusammenhang
sind einige Neufunde aus dem Kaliningrader Gebiet interessant. An erster Stelle ist hier
neben den mittlerweile zwei Neufunden aus
den Siedlungsgrabungen in Wiskiauten (Fu.
Nr. D88: Abb. 133; Fu.Nr. D52: Abb. 114; Taf.
81, 6) ein Streufund aus dem Wäldchen Kaup
aus dem Jahr 2005 (Abb. 119, 1) zu nennen, der
den 2006 und 2007289 gefundenen Exemplaren
sehr ähnlich ist. Auch dieser Haken ist aus
Bronze gefertigt und weist auf der Oberseite
eine Verzierung auf, die aus zwei aus kleinen
Einzelpunkten gebildeten randbegleitenden
Linien besteht, die innen von je einer Reihe
Kreisaugen begleitet werden. Auch die in der
Mitte der Platte verlaufende Linie setzt sich aus
vielen kleinen Punkten zusammen. Während
ein Ende abgebrochen ist, ursprünglich aber in
einen Haken ausgelaufen sein wird, zeigt das
erhaltene, auf der Oberseite aufgerollte Ende,
Ein weiteres Exemplar fand V. I. Kulakov bei
seinen Ausgrabungen in Wiskiauten im Jahr 2008.
Für die freundliche Mitteilung sei dem Ausgräber
herzlich gedankt.
289
Die Siedlungsforschungen
207
Abb. 115 Wiskiauten. Umgebung von „Fläche 4“ bzw. Anomalienkonzentration AK1. Links: Fingerring
(Fu.Nr. D13). – Mitte: Kugelzonengewicht (Fu.Nr. D44). – Rechts: Endknopf einer Hufeisenfibel mit aufgestellten Endknöpfen (Fu.Nr. D27).
was dem Siedlungsfund von Wiskiauten (Abb.
113, links; 114, 2) fehlt: die typische Schlaufe, die an anderen Exemplaren regelhaft vorkommt. Diese Schlaufe fehlt auch dem zweiten
Wiskiautener Exemplar aus den Siedlungsgrabungen (Fu.Nr. D88; vgl. Abb. 133, rechts), das
mit einem in Tremolierstichtechnik ausgeführten Muster aus kleinen Dreiecken verziert ist,
welches zu einer randbegleitenden Doppellinie arrangiert wurde. Dabei zeigen die äußeren
Dreiecke mit der Spitze nach außen, die inneren jedoch mit der Spitze zur Mitte des Objektes hin. Im Zentrum befindet sich ein Viereck
mit einem diagonal ausgerichteten Kreuz, das
rechts und links von zwei senkrecht stehenden
Doppellinien begleitet wird. Bereits bei den ersten semiwissenschaftlichen Grabungen durch
Leutnant Wulff (1865, 645) im sog. Spätheidnischen Aschenplatz von Wiskiauten im Jahr
1865 wurde ein „Bronzegewandhaken“ gefunden, bei dem es sich um einen der hier besprochenen Gürtelhaken handeln dürfte.
In großer Anzahl hat das erst im Jahr 2005 im
westlichen Samland ausgegrabene Gräberfeld
von Povarovka (Pronin/Smirnova/Mishina/
Novikov 2006) Funde der hier besprochenen
Form geliefert. Aus den Gräbern XXXV (ebd.
Abb. 145, 3), TPS LIII (ebd. Abb. 170, 8), TPP 4
(ebd. Abb. 191, 3) und TPP 16/Grab XIII (ebd.
Abb. 221, 2) stammt je ein Exemplar, darüber
hinaus sind zwei Einzelfunde (ebd. Abb. 246,
12; 254, 1) geborgen worden. Damit sind aus
diesem Gräberfeld nunmehr insgesamt sechs
Funde bekannt, die zusammen mit den Wiskiautener Funden und dem silbernen Altfund
von Stangenwalde/Kurische Nehrung (Engel
1930, 114 Abb. 16k) einen neuen Schwerpunkt
in der Verbreitungskarte bilden. Der Zeitansatz
der Gürtelhaken aus Povarovka zwischen dem
10. Jahrhundert (Grab TPP 4 (Pronin/Smirnova/Mishina/Novikov 2006, 80) und dem 11./12.
Jahrhundert (Grab XXXV, ebd. 65) passt zum
Datierungsansatz des Fundspektrums von
Wiskiauten sowohl in Fläche 4 (vgl. Kap. C.5.7)
als auch im Umfeld von Anomalienkonzentration AK1, das in der Summe ans Ende des 11.
und in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts
gehören dürfte. Eine ähnliche Datierung gilt
für den Hakenfund (vgl. Abb. 133, rechts) aus
der Anomalienkonzentration AK2 südlich von
Wosegau, die aufgrund der großen Zahl der in
den geomagnetischen Messbildern erkannten
Anomalien und weitere Streufunde aus Buntmetall und Keramik auf einen Siedlungskomplex des 11.–13. Jahrhunderts hinweisen (vgl.
Kap. C.4.4.4.2); dabei dürfte das Stück dann
eher dem 11. oder 12. Jahrhundert angehören.
In geringer Entfernung zum Fund des Gürtelhakens ist aus dem Ackerhorizont eine kleine
Gussform (Abb. 116, links; Taf. 81, 8) geborgen
worden. Sie besteht aus einer rechteckigen kleinen Platte mit Maßen von etwa 22 mm Länge
und 12 mm Breite, die auf einer Seite Vertiefungen für das Gussobjekt aufweist und auf
der Rückseite entsprechende Ausbeulungen
besitzt. Sichtbar sind ein Gusskanal, der trichterförmig vom Rand zur Mitte hin verläuft,
sowie im Anschluss daran eine ringförmige
Vertiefung, die mit einer halbkugelförmigen
Mulde durch einen kleinen Durchbruch ver-
208
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 116 Wiskiauten. Umgebung von Fläche 4. Links: Gussform, aus Bronze, evtl. zur Herstellung kleiner kugelförmiger Knöpfe (Fu.Nr. D26). – Rechts: Fragment einer Ringfibel mit Steg-Ornamentik, auf der
Rückseite Reste des Nadelhalters (Fu.Nr. D35).
bunden ist. Das in dieser offensichtlich nur zur
Hälfte erhaltenen Form gegossene Objekt lässt
sich als kleiner kugelförmiger Gegenstand
beschreiben, an dem ein kleiner Ring zur Befestigung ansitzt. Es ist denkbar, dass es sich
um eine Gussform für einfache, kugelförmige Knöpfe handelt, die entweder aus Bronze
oder Zinn gegossen wurden und möglicherweise zum Verschließen von Kleidung gedient
haben. Eine Reihe von kleinen Knöpfen mit
Ring aus Grab 1074 von Birka (Arbman 1943
Taf. 93, 3-9.19) vermittelt eine Vorstellung, wie
die Knöpfe ausgesehen haben mögen, wenngleich die Exemplare aus Birka mit 12–14 mm
(ebd. 446) etwas größer sind als die nur 8 mm
großen Exemplare, die in der Gussform von
Wiskiauten hergestellt worden sind. Ein Datierungshinweis ergibt sich lediglich durch die
räumliche Nähe zum einen zu den Funden aus
Fläche 4 und deren näherer Umgebung, die
alle in das späte 11. oder beginnende 12. Jahrhundert gehören, und zum anderen zu den 14Cdatierten Anomalien in Anomalienkonzentration AK1 aus dem gleichen Zeitraum.
Als einziger Schmuckgegenstand wurde als
Streufund in der gleichen Region wie der Gürtelhaken, die Gussform und der Fibelendknopf
auch ein Ring (Abb. 115, links; Taf. 81, 7) geborgen. Der Fingerring mit einer lichten Weite von 18 mm ist mit einer flechtbandartigen,
sehr plastischen Verzierung auf der Schauseite versehen. Diese Verzierung besteht aus
drei dicken, ineinander verzwirbelten Bronzedrähten. Offenbar ist das Stück in einem Guss
hergestellt, die Verzwirbelung ist also nur imitiert. Es handelt sich bei diesem Stück um eine
Ringform, die bisher nicht zusammenfassend
betrachtet wurde, aber ganz offensichtlich im
prussischen Milieu heimisch ist oder zumindest oft hier vorkommt.
Als Vergleichsbeispiele können mehrere Ringe aus dem Gräberfeld Povarovka angeführt
werden, so z.B. die Ringe aus Grab VII (Pronin/Smirnova/Mishina/Novikov 2006, Abb.
56, 3.5) oder Grab TPS XLIX (ebd. Abb. 164,
7) aus der zweiten Hälfte des 11. bzw. ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts (ebd. 41; 72). Ein
anderes Beispiel bietet der Fundplatz Stangenwalde/Kurische Nehrung, Grab 4 (Schiefferdecker 1871, Taf. IV, 19; Engel 1930, 114
Abb. 16; ders. 1935b Taf. 90 unten) aus Stufe I
(Engel 1930, 114), d.h. der Zeit zwischen 1250
und 1500 (ders. 1935b, 60). Eine genauere Datierung lässt sich aus diesen meist nur grob
datierten Fundplätzen nicht ableiten. Immerhin kann ihr Auftreten im Zeitraum des 10.–13.
Jahrhunderts durch die erwähnten Fundplätze
belegt werden.
Insgesamt zwei Fragmente von Fibeln sind
in der Umgebung von Fläche 4 als Streufunde aufgetreten. Einmal handelt es sich um ein
kleines Bruchstück (Abb. 116, rechts; Taf. 81,
14) einer ringförmigen Fibel ähnlich wie die
komplett erhaltene Fibel aus Fläche 4 (Taf. 79,
Die Siedlungsforschungen
1) mit Stegornamentik. Deutlich sind auf der
Vorderseite die Reste der Stege zu sehen. Auf
der Rückseite weist das Fibelbruchstück Reste
eines Nadelhalters auf. Als Zeitansatz gilt wie
beim komplett erhaltenen Exemplar das 11.
oder 12. Jahrhundert (vgl. Kap. C.5.7.2.3).
Ein weiterer Streufund kann nur unsicher als
Fibelfragment angesprochen werden. Es handelt sich um einen trapezförmig anmutenden
Knopf (Abb. 115, rechts; Taf. 81, 10), der auf
einer Seite flach und viereckig ist und sich zur
gegenüberliegenden Seite hin stark verjüngt.
Dabei sind die Seitenflächen gegeneinander
abgegrenzt. Denkbar ist eine Interpretation als
Endknopf einer Hufeisenfibel mit nach oben
gebogenen Endknöpfen. Hufeisenfibeln dieser Form fasst Salmo (1956, 41) in seinem Typ
10 zusammen, der bei Carlsson (1988, 23-29)
dem Typ TRA, auf Gotland dagegen dem Typ
3 nach Thunmark-Nylén (2006, 97) entspricht.
Der Wiskiautener Fund gehört in dieser Einteilung zum Untertyp 3a, der sich durch seine
geraden Oberseitenränder kennzeichnet und
der auf Gotland im Allgemeinen in der Stufe VIII:2 und dem älteren Teil der Stufe VIII:3
vorkommt (ebd. 108). Dies entspricht einer absoluten Datierung ins 10. und die erste Hälfte
des 11. Jahrhunderts (ebd. 692). Damit läge für
das Wiskiautener Exemplar eine sehr frühe
Datierung für einen Fund aus Anomalienkonzentration AK1 vor, die jedoch zum frühen
Zeitansatz einer 14C-Datierung aus Fläche 4 mit
einer Datierung in die Zeit zwischen 886 und
988 zu passen scheint (vgl. Kap. C.5.7.4).
Hufeisenfibeln mit stollenförmigen Enden dominieren in Finnland bzw. im östlichen Ostseegebiet (Salmo 1956, 48; Fechner 1963, 79 Abb.
46, 21-23.). Drei Fibeln dieser Form stammen
aus dem Wiskiautener Hügelgräberfeld aus
drei Hügelgräbern ohne Nummer (von zur
Mühlen 1975, 133 Nr. 48.2 Taf. 34, 2; 126 Nr. 18
Taf. 40, 9; 131 Nr. 42 Taf. 41, 12). Eine Besonderheit des Fragmentes aus Anomalienkonzentration AK1 stellt die eiserne Achse dar, auf die
der Endknopf offenbar im Überfangguss aufgesetzt wurde. Zumindest auf Gotland sind
innerhalb des Formenspektrums jedoch auch
Stücke bekannt, welche dieses Merkmal mit
dem hier besprochenen Fund gemeinsam haben (Thunmark-Nylén 2006, 100f.). In diesen
Fällen ist der Fibelbügel aus einem Eisenstab
209
hergestellt gewesen, der mit einem dünnen
Bronzegeflecht überzogen war. Die sonst bei
Fibeln dieser Form häufige Verzierung auf der
Knaufoberseite fehlt dem Wiskiautener Fund.
Überhaupt wirkt das Stück sehr roh gearbeitet,
so dass die Interpretation als Fibelendknopf
letztlich fraglich bleibt. Durch die eiserne Achse kann es sich auch um den Rest einer eisernen Nadel handeln, auf die der bronzene Abschluss aufgegossen gewesen ist.
Ein Hinweis auf bronzeverarbeitendes Gewerbe ergibt sich durch das kleine Fragment eines
Bronzebarrens (Abb. 113, rechts; Taf. 81, 9) mit
flacher Unter- und schwach gewölbter Oberseite, dessen scharfe Kante auf eine absichtliche Abteilung von einem größeren Stück zu
werten ist. Das andere Ende ist rundlich und
entspricht offenbar der ursprünglichen Form.
Datierungshinweise ergeben sich nicht.
Ein Gewicht (Abb. 115, Mitte; Taf. 81, 11)
stammt aus dem Bereich nordwestlich von
Fläche 4. Es handelt sich um ein Kugelzonengewicht, dessen eiserner Kern mit Bronze ummantelt ist. Um beide Polflächen ist eine ringförmige Verzierung aus kleinen Quadraten angebracht, auf der Innenfläche sind Reste einer
Kennzeichnung aus Kreisaugen zu erkennen.
Diese in einem breiten geographischen Raum
in Nord- und Nordosteuropa und an der südlichen Ostseeküste vorkommenden Gewichte
(Steuer 1973, 13) sind ab dem ausgehenden 9.
Jahrhundert in Gebrauch und treten auch im 10.
Jahrhundert zahlreich auf (ebd. 20). Sie lassen
sich allgemein bis ins 11. und 12. Jahrhundert
hinein nachweisen (Steuer 1997, 49f.), wobei
besonders im südlichen Ostseegebiet Gewichte aus einer jüngeren Phase auftreten, die im
11. Jahrhundert beginnt (ders. 2007, 581). Das
hier besprochene Stück dürfte aufgrund der
kleinen Polflächen dem Typ B2 nach Steuer
(1997, 47, 305) zuzuordnen sein, der im späten
10. Jahrhundert oder frühen 11. Jahrhundert
aufkommt und bis ins 12. und 13. Jahrhundert
vorkommt. Immerhin liegt durch diesen Fund
nun auch für die nördlich des Gräberfeldes
gelegenen Flächen ein Hinweis auf Handelstätigkeit vor. Allgemein bleibt die Benutzung
genormter Sätze mit Kugelzonengewichten
eher auf den skandinavischen und slawischen
Raum begrenzt (Steuer 2007, 572). Doch auch
210
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 117 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK1 mit Lage der durch Bohrungen überprüften Anomalien. Die Anomalien an_14/06 bis an_16/06, an_29/06 und an_31/06 bis an_36/06 liegen alle im Übergangsbereich zwischen 7,5 m und 5 m ü NN und entsprechen damit der Gesamtverteilung von Anomalien in
diesem Bereich.
im prussischen Siedlungsgebiet sind sie weit
verbreitet (von zur Mühlen 1975, 93-98 Fundliste 27, 265 Karte 5; Bezzenberger 1900b).
Neben diesen gut bestimmbaren Funden liegt
eine Reihe von kleineren Fragmenten aus Kupferblech oder Bronze und auch von Eisenobjekten vor, die keine Aussagen auf ursprüngliche
Form oder Funktion zulassen. In einigen Fällen handelt es sich wahrscheinlich um neuzeitlichen Schrott, andere Objekte könnten durchaus in den gleichen Zeithorizont gehören und
mit den vermuteten Siedlungsaktivitäten in
Zusammenhang stehen.
Auch wenige Fragmente von Drehscheibenkeramik wurde im Bereich der Konzentration
AK1 geborgen. Sie entsprechen in Farbe, Magerung und Oberflächenbeschaffenheit der in
der Konzentration AK2 aufgefundenen Keramik und dürfte ähnlich wie diese ins 11. und
12. Jahrhundert zu datieren sein. Dafür sprechen besonders auch der hohe Fundanfall an
metallischen Kleinfunden in der Umgebung
von Fläche 4 sowie die aus diesem Schnitt geborgenen Fundmaterialien, die alle ausnahmslos in das späte 11. oder 12. Jahrhundert einzu-
ordnen sind (vgl. dazu Kap. C.5.7).
C.4.4.4.1.5 Interpretation
Die Komplexität der in Anomalienkonzentration AK1 in Messfläche D identifizierten
Strukturen lässt, auch vor dem Hintergrund
der Ausgrabungsergebnisse aus Fläche 4 (vgl.
Kap. C.5.7), an eine Siedlung mit aufwändigen
baulichen Maßnahmen wie Häusern, Brunnen, Straßen und Gräben denken. Mit großer
Wahrscheinlichkeit handelt es sich daher bei
Anomalien-Konzentration AK1 um eine Anhäufung von Siedlungsbefunden, eine Vermutung, die auch durch den erhöhten Fundanfall
von siedlungsanzeigenden Kleinfunden im
Umfeld der hier besprochenen Anomalien bestätigt wird. Die Mehrzahl der durch Bohrungen überprüften Anomalien weist zudem eine
unnatürliche Bodenschichtung auf, in drei Befunden wurden Holzkohle und Rotlehmreste
dokumentiert. Sicherlich liegt menschlicher
Einfluss vor. Die linearen Strukturen durchschneiden die Konzentration und scheinen
mit ihr in funktionaler Verbindung zu stehen,
wenngleich ein geologischer Ursprung zumin-
Die Siedlungsforschungen
211
Abb. 118 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Geomagnetisches Messbild (Gesamtlänge des Bildausschnittes in Nord-Südrichtung: 425 m; Bild genordet).
dest für die lineare Anomalie „AK1/L1“ nicht
auszuschließen ist. Auffällig bleibt, dass sich
der gesamte Bereich durch eine erhöhte Dichte
von Anomalien und damit eine anzunehmende Siedlungsaktivität auszeichnet, die in den
umliegenden Flächen nicht beobachtet werden
kann. Zusätzlich scheinen sich die Anomalien
auf einen bestimmten Höhenbereich zwischen
etwa 7,5 und 5 m ü NN zu beschränken. Sie
liegen fast ausnahmslos auf einem Gelände,
das nach Norden durch eine deutliche Verflachung begrenzt ist (Abb. 117). Es ist denkbar,
dass sich hier mindestens zwei größere Gehöfte abzeichnen, die jeweils von einer größeren
Anzahl von archäologischen Befunden repräsentiert werden.
C.4.4.4.2 Anomalienkonzentration AK2
Als Konzentration AK2 wird hier eine größere
Ansammlung von Anomalien südlich von Wosegau bezeichnet (Abb. 118; zur Lage vgl. Abb.
99). Sie liegt etwa 600–800 m nördlich der rezenten Waldkante der Kaup mit dem darin befindlichen Gräberfeld. Diese Anomalien-Kon-
212
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
zentration besteht aus mehreren Bereichen mit
einer erhöhten Anomalienanzahl im Messbild
der Geomagnetik.
Die Gesamtausdehnung lässt sich mit ca. 300
x 200 m angeben, wobei nicht alle Bereiche
gleich dicht belegt sind. Vielmehr scheint hier
eine bisher noch nicht auszudeutende innere
Gliederung vorzuliegen. Die Verteilung der
Anomalien ist sehr unterschiedlich. Ganz im
Norden liegen nur wenige größere Anomalien
in größeren Abständen zueinander, in deren
Umgebung sich sehr viele kleine Dipole befinden, die auf Metallobjekte hindeuten. Ob diese
Dipole durch rezentes oder archäologisch relevantes Metall verursacht werden, ist nicht zu
entscheiden.
In dieser nördlichen Zone fällt eine lineare
Struktur (Abb. 119, A) auf, die sich über etwa 70
m Länge von Süd-Südwest nach Nord-Nordost zieht und die abschnittsweise aus mehreren einzelnen Objekten zu bestehen scheint.
Eine Überprüfung hat bisher nicht stattgefunden. In einem Abstand von 35 m in Richtung
Nordwesten befindet sich eine größere, breite
Anomalie (Abb. 119, B), die zunächst für etwa
23 m ein Stück parallel zur vorher beschriebenen linearen Struktur verläuft, dann aber
für weitere 23 m nach Westen abbiegt. Eine
Deutung ist bisher nicht sicher möglich. Die
Anomalie, die nur in einem Abschnitt erfasst
ist, kann vorläufig als Rand einer Senke interpretiert werden, da sich in unmittelbarer Nähe
eine größere Kuhle befindet, die teilweise unter Wasser steht. Ähnliche Messbilder ergaben
sich bei der Erstellung der geomagnetischen
Messfläche E, in der sich nachweislich eine
größere Kuhle durch dunkle Ränder zu erkennen gab, die auch im Messtischblatt an dieser
Stelle vermerkt ist (vgl. Abb. 13).
Die größte Konzentration befindet sich als ringförmig angeordnetes Band etwa 150 m südlich
der Nordkante der Messfläche (Abb. 119, C).
Sie besteht aus zahlreichen größeren Anomalien, die auffällig oft rechteckigen oder quadratischen Grundriss aufweisen. Sie umschließen
eine ovale Fläche von 90 x 40 m, in der sich
keine Anomalienhäufung erkennen lässt und
nur einzelne kleinere Objekte sichtbar sind. Zu
dieser Gruppe von Anomalien gehören auch
die durch Bohrungen überprüften Objekte an_
9/06, an_10/06, an_4/06, an_5/06 und an_6/06.
Gleichzeitig konnte in diesem Bereich eine
größere Ansammlung von Kleinfunden aus
Keramik, Metall und anderen Materialien an
der Oberfläche dokumentiert werden. Weiter
südwestlich fällt eine west-östlich verlaufende,
lineare Anomalie von ca. 40 m Länge auf (Abb.
119, D), die wiederum aus mehreren kleineren
Anomalien mit dazwischenliegenden, grau
gefärbten Flächen besteht. Ihre Deutung ist
bisher unklar, keine der Anomalien wurde
durch Bohrungen überprüft, lediglich Georadaruntersuchungen haben abschnittsweise
stattgefunden. Diese längliche Struktur wird
östlich von einer kleinen Ansammlung von
Anomalien begleitet, die sich auf eine 15–20
m breite, bogenförmig verlaufende Zone konzentrieren (Abb. 119, E). Diese Zone zieht sich
als Band aus Anomalien in nördliche Richtung
und scheint eine Verbindung mit der ringförmig angeordneten Anomalienkonzentration
(Abb. 119, C) aufzuweisen. Weiter westlich
liegt eine Ansammlung von ca. 30 gut sichtbaren Anomalien, die sich unregelmäßig auf
einen Fläche von ca. 30 x 50 m verteilen (Abb.
119, F). Nach Süden hin folgen auf etwa 120 m
weitere größere Anomalien, von hier an wird
der Untergrund wesentlich ruhiger. Lediglich
eine größere, auffällige Anomalie von ca. 17
x 13 m ist am Westrand der Messfläche bzw.
am unteren Rand des Bildauschnittes sichtbar
(Abb. 119, G). Hier umschließen zwei dunkle, annähernd halbmondförmige Zonen eine
hellere, rechteckige Innenfläche. Das Objekt
wurde mittels Georadar untersucht. Es zeigten
sich aber keine Auffälligkeiten. Der Grund für
die Anomalie bleibt unklar. Bohrungen wurden bislang nicht durchgeführt.
Insgesamt ist das Erscheinungsbild dieser großen Anomalienkonzentration AK2 nicht so
geschlossen wie Konzentration AK1, vielmehr
besteht hier ein Geflecht aus unterschiedlichen Anomalie-„Nestern“, denen kein bisher
erkennbares System zu unterstellen ist.
C.4.4.4.2.1 Durch Bohrungen überprüfte
Einzelanomalien
Zehn Befunde wurden durch Bohrungen auf
anthropogenen Ursprung überprüft, sie alle
liegen eher im nördlichen Bereich. Einige
Auffälligkeiten sollen im Folgenden näher beschrieben werden.
Die Siedlungsforschungen
213
Abb. 119 Wiskiauten. Messfläche D. Anomalienkonzentration AK2. Übersicht über die im Text beschriebenen Ansammlungen von Anomaliengruppen A–G (links) und die durch Bohrungen überprüften Objekte
(rechts).
Anomalie an_1/06
Bei Anomalie an_1/06 handelt es sich um ein
rundliches Objekt von ca. 2 m Durchmesser
und schwarzer Färbung im Messbild bei Werten zwischen +/- 3 nT bis +/- 12 nT (Abb. 120).
Zwar verringert sich der Durchmesser mit
zunehmenden nT-Werten, erst ab +/- 24 nT
beginnt der Kern aber deutlich zu verblassen.
An zwei Stellen im Mittelpunkt und ca. 0,4 m
östlich konnten in einer Tiefe von 0,45 m unter
dem Ackerhorizont Steine nachgewiesen werden. An zwei weiteren Punkten ca. 0,4 m westlich und südlich des Mittelpunktes, aber noch
innerhalb der Anomalie, ergaben die Bohrungen unter der Pflugschicht einen Mischhorizont bis 0,8 m Tiefe aus stark humosem,
dunkelbraunem, stark lehmigem Sand. Damit
dürfte anthropogener Einfluss vorliegen.
Anomalie an_2/06
Anomalie an_2/06 erscheint im Geomagnetikbild (Abb. 120) bei Werten von +/- 3 nT als
rechteckige schwarze Verfärbung von 2,5 x 2
m Größe. Schon bei Werten um +/- 12 nT ist
nur noch ein leichter grauer Schatten sichtbar. Die Magnetisierung ist also sehr gering.
Das Bohrprotokoll zeigt für diese Anomalie
an_1/06
+/-
3 nT
+/-
12 nT
an_2/06
+/-
24 nT
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
Abb. 120 Wiskiauten. Anomalien an_1/06 (links) und an_2/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
214
an_4/06
+/-
3 nT
+/-
12 nT
an_5/06
+/-
24 nT
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
Abb. 121 Wiskiauten. Anomalien an_4/06 (links) und an_5/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
einen nur schwach und undeutlich erkennbaren Mischhorizont aus humosem Erdmaterial
zwischen 0,3 m und 0,6 m Tiefe in der ersten
Bohrung im Anomalienmittelpunkt. In einer
zweiten, direkt benachbarten Bohrung ließ
sich unter diesem Mischhorizont in 0,5 m Tiefe
ein Stein nachweisen. Eine Ansprache als archäologischer Befund ist nicht gesichert, aber
wahrscheinlich.
Anomalie an_4/06
Als 2,2 x 2,4 m große Anomalie stellt sich das
Objekt an_4/06 im Geomagnetikbild bei einem
Wert von +/- 3 nT dar (Abb. 121). Eine Bohrung im Mittelpunkt sowie eine zweite ca. 0,4
m westlich davon belegen das Vorhandensein
von Steinen in einer Tiefe von 0,2 m bzw. 0,33
m. Nur in der dritten Bohrung ca. 0,4 m südlich wurde humose Erde mit Einschlüssen von
Holzkohle und Rotlehm festgestellt, die mindestens bis in eine Tiefe von 1,0 m hinabreicht.
Die Befundsohle wurde durch die Bohrung
nicht erreicht.
Wahrscheinlich handelt es sich um einen Befund aus siedlungsarchäologischem Kontext
wie etwa eine Wirtschaftsgrube.
Anomalie an_5/06
In der im Messbild rundlichen Anomalie an_
5/06 (Abb. 121) von max. 3 m Durchmesser bei
einem Wert von +/- 3 nT wurden insgesamt
zwei Bohrungen abgetieft. Bei Werten von +/12 nT ist die Anomalie noch deutlich sichtbar,
bei +/- 24 nT erscheint sie nur noch schwach
gräulich.
Die Bohrungen zeigen eine nicht sehr stark
ausgeprägte Schichtung mit einem unter dem
Ackerhorizont liegenden Mischhorizont aus
stellenweise humosem, gräulich-braunem,
lehmigem Sand von 0,4–0,6 m bzw. 0,7 m. Stellenweise wirkt das Erdmaterial leicht grünlich.
In einer Bohrung wurden Bernsteinfragmente
angetroffen.
Möglicherweise liegt hier ein nur schwach
ausgeprägter Siedlungsbefund vor. Ein anthropogener Einfluss ist wahrscheinlich, aber
nicht gesichert.
Anomalie an_6/06
Während Anomalie an_6/06 sich bei einem
Wert von +/- 3 nT im geomagnetischen Messbild (Abb. 122) als einheitlich schwarze Fläche
von 3,5 m Länge und 2,2 m Breite bei südwestlich-nordöstlicher Ausrichtung präsentiert,
teilt sich der Befund bei Werten von +/-12 nT
in zwei kleinere Objekte, die auch bei +/- 24 nT
gut erkennbar bleiben, was für eine sehr starke
Magnetisierung spricht. Dabei scheint es sich
beim westlicheren der beiden Einzelobjekte
um einen Dipol zu handeln, dessen Zugehörigkeit zum Befund nicht gesichert ist.
Die Bohrungen ergaben einen unter dem Ackerhorizont von 0,3 m Mächtigkeit liegenden
Mischhorizont bis 0,72 m Tiefe. Das gräulichbraune Erdmaterial enthielt Holzkohle und
Rotlehm. Da in einer Kontrastbohrung 4 m
nördlich diese Schicht fehlt, ist der Befund vermutlich anthropogen beeinflusst.
Anomalie an_26/06
Diese 3,8 x 3,5 m große Anomalie hat bei Werten von +/- 3 nT annähernd rechteckige Form
(Abb. 122), die sich bei +/- 12 nT auf einen
kleinen schwarzen Punkt mit einem leicht
gräulichen Umgebungsbereich reduziert. Die
Bohrergebnisse weisen zunächst auf einen
Befund von 0,9 m Tiefe mit einer Schichtung
aus drei Mischhorizonten hin. Der unter der
Pflugschicht von 0,35 m Dicke liegende 0,15 m
mächtige Horizont besteht aus humosem Erdmaterial mit Rotlehmpartikeln und Holzkohle
und mehreren kleinsten Keramikfragmenten,
Die Siedlungsforschungen
215
an_26/06
an_6/06
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
Abb. 122 Wiskiauten. Anomalien an_6/06 (links) und an_26/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen. (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
an_9/06
+/-
3 nT
+/-
12 nT
an_10/06
+/-
nT
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
Abb. 123 Wiskiauten. Anomalien an_9/06 (links) und an_10/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen. (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x12 m)
die sich aufgrund ihrer geringen Größe nicht
näher einordnen lassen. Das Erdmaterial dieser Schicht ist dunkelbraun bis schwärzlich
gefärbt. Der folgende Mischhorizont zwischen
0,5 m und 0,7 m ist sehr inhomogen und besteht
aus hellgrauem bis bräunlichem Sand mit kleinen humosen Einschlüssen. Von hier ab reicht
ein weiterer Mischhorizont mit gräulichem bis
hellbraunem Feinsand und wenigen humosen
Einschlüssen bis in eine Tiefe von 0,9 m hinab.
Ab dieser Tiefe ist der anstehende Lehmboden
nachgewiesen.
Weitere Bohrungen nördlich davon, in Abständen von 1 m, 2 m, 3 m und 6 m nördlich ergaben erstaunlicherweise in etwa die gleiche
Schichtung bis 0,8 m, wenngleich sich hier
überwiegend jeweils nur noch der erste Mischhorizont zeigte. Durch diese Ergebnisse ist davon auszugehen, dass die Anomalie durch das
Vorhandensein einer stärkeren Schichtung in
eine Umgebung mit ähnlichem Bodenaufbau
eingebettet ist, der vermutlich auf anthropogenen Einfluss zurückzuführen ist.
Möglicherweise handelt es sich um eine Siedlungsschicht von ca. 0,5 m Mächtigkeit, die
überall durch Einschlüsse von Holzkohle, Rotlehm und Keramikfragmenten gekennzeichnt
ist.
Anomalie an_9/06
Die im Messbild als rechteckige schwarze Fläche erkennbare Anomalie an_9/06 hat Maße
von 3,2 m x 2,8 m und weist eine nordwestsüdöstliche Ausrichtung auf (Abb. 123). Bei
Werten von +/- 3 nT ist sie deutlich ausgeprägt. Auch bei zunehmenden nT-Werten ist
sie, wenngleich schwächer und nun gräulicher
wirkend, noch deutlich sichtbar und behält
ihre Form fast unverändert bei.
Die Bohrungen belegen an zwei Stellen Steine
in einer Tiefe von 0,6 m bzw. 0,75 m, überdeckt
von einem Mischhorizont mit stark humosem,
dunkelbraunem, teilweise schwarzem Erdmaterial mit zahlreichen Holzkohle- und Rotlehmeinschlüssen, der unter dem Ackerhorizont
in einer Tiefe von 0,3 m bzw. 0,4 m beginnt.
Nur in einer Bohrung im Anomalienmittelpunkt konnte wegen der hier offenbar nicht
vorhandenen Steine eine Befundtiefe von mindestens 1,0 m festgestellt werden.
Das Befundende wurde durch die Bohrung
nicht erfasst. Die Verfüllung des Befundes
bestand auch hier aus dunkelbraunem bis
schwärzlich gefärbtem Erdmaterial, das neben
Rotlehm- und Holzkohleeinschlüssen sogar
kleinste Keramikfragmente und Knochen enthielt. Aus dem Pürckhauerbohrstab wurden
Holzkohleproben genommen, die mit einem
216
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 124 Wiskiauten. Radarfläche 4 (Größe 10 x 10 m). Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a
– 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte).
Radiokarbon-Alter von BP 845 +/- 23290 eine
Datierung in das 12. oder 13. Jahrhundert nahelegen.
Der Befund wurde im März 2007 auch mit
dem Georadar untersucht (Abb. 124). Dabei
zeigte sich eine grabenartige Störung in der
Befundmitte, die etwa 1 m Breite aufweist und
sich nach unten hin stark verjüngt. Sie dürfte
mit einer linearen Struktur zusammenhängen, die sich über mehrere hundert Meter von
Nord nach Süd durch das gesamte Messbild
zieht und die aufgrund ihrer Regelmäßigkeit
und Geradlinigkeit als Drainagegraben interpretiert werden kann. Im Jahr 2008 ist der Befund teilweise freigelegt worden, wobei sich
die Störung in der vermuteten Art und Weise
deutlich zeigte. Die Anomalie, präzise als dunkelbrauner Bereich mit humosem Erdmaterial
und zahlreichen Einschlüssen von Drehscheibenkeramik und Tierknochen sowie weiteren
Funden wie einem Bronzerohklumpen und
einem Kammfragment erkennbar, war von
einem Kranz aus größeren Steinen mit einem
Durchmesser bis etwa 0,4 m umrahmt. Vorläufig kann der Befund entweder als Keller
oder, wahrscheinlicher, als Brunnen interpretiert werden. Auch ein Grubenhausbefund ist
grundsätzlich denkbar, wenngleich die große
Tiefe von mehr als 1,0 m dagegen zu sprechen
scheint.
Anomalie an_10/06
Direkt benachbart in einer Entfernung von nur
8,5 m in westlicher Richtung liegt die Anomalie an_10/06, die sich im Geomagnetikbild
bei +/- 3 nT (Abb. 123) ebenfalls als rechteckige Struktur zu erkennen gibt. Sie ist24mit 2,5 x
2,1 m etwas kleiner, bei höheren nT-Werten
KIA 30150: Radiocarbon Age: BP 845 +/- 23,
One-Sigma- Range: cal AD 1164-1283, Two-SigmaRange: cal AD 1160-1259.
290
reduziert sie sich deutlich auf einen rundlichen, schwarzen Kern von nurmehr etwa 1 m
Durchmesser bei +/- 24 nT.
In insgesamt vier Bohrungen im Mittelpunkt
und jeweils ca. 0,4 m nördlich, westlich und
südlich wurden Steine in unterschiedlicher
Tiefe dokumentiert. In der Bohrung im Mittelpunkt der Anomalie bestand ab 0,4 m Tiefe ein
mechanischer Widerstand in Form von Steinen, der sich auch in den Bohrungen knapp
westlich und südlich bei 0,7 m, nördlich bei
0,8 m Tiefe nachweisen ließ. Zwischen dem
Ackerhorizont von 0,3–0,4 m Mächtigkeit und
den erbohrten Steinen fand sich in jeder Bohrung ein Mischhorizont aus dunkelbraunem
bis schwärzlichem, stark schluffigem Feinsand
von dichter Konsistenz, der stark humos war
und Holzkohle und Rotlehmpartikel enthielt.
Auch in diesem Fall dürfte es sich daher um einen archäologisch relevanten Befund handeln,
in dem Steine als Verfüllung Verwendung
fanden. Im Bohrkern der Pürckhauerbohrung
fand sich ein kleines Keramikfragment, das
den an der Oberfläche gefundenen Fragmenten von Drehscheibenkeramik auffällig gleicht.
Da die Anomalie ebenfalls im Bereich der Keramikkonzentration des 11.–13. Jahrhunderts
liegt, kann vorläufig eine gleiche Zeitstellung
wie für an_9/06 angenommen werden.
Anomalie an_48/07
Im März 2007 sind in Anomalienkonzentration AK2 weitere Befunde angebohrt worden,
darunter auch Anomalie an_48/07. Sie zeigt
sich bei +/- 3 nT als 1,8 x 1,5 m großes Oval
einheitlich schwarzer Färbung, das sich mit
zunehmenden nT-Werten stark verkleinert
und bei +/- 24 nT nur noch als schwachgraue
rundliche Verfärbung von 1,5 m Durchmesser zu erkennen ist (Abb. 125). Die Bohrungen
ergaben unter dem 0,35 m mächtigen Acker-
Die Siedlungsforschungen
217
Abb. 125 Wiskiauten. Anomalien an_48/07 (links) und an_49/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
horizont zunächst bis 0,53 m einen graubraunen, lehmigen Sand mit wenigen Einschlüssen
von Holzkohle- und Rotlehmpartikeln, dem
ein aus schwarzbraunem, schwach lehmigem
Sand bestehender Horizont folgte. Diese durch
zahlreiche Holzkohlefragmente und viele Rotlehmpartikel gekennzeichnete Bodenschicht
war bis in eine Tiefe von 1,27 m nachweisbar.
Die in einer Tiefe von 0,7 m aus dem Bohrkern
extrahierte Holzkohleprobe erbrachte eine Datierung in das 11. und 12. Jahrhundert291.
Anomalie an_49/07
Nur 20 m nordwestlich davon liegt mit Anomalie an_49/07 (Abb. 125) ein weiterer Befund
mit deutlicher anthropogener Beeinflussung.
Im Messbild erscheint das Objekt bei +/- 3 nT
als quadratische Struktur, der nordwestlich
und südöstlich je eine kleinere Anomalie vorgelagert ist. Die quadratische Form behält die
Anomalie auch bei einem Messwert von +/- 12
nT bei. Selbst bei +/- 24 nT ist die Grundform
quadratisch, auch wenn nur noch ein leichter
Grauschatten sichtbar ist.
Unter dem 0,34 m mächtigen Ackerhorizont
ließen sich durch die Bohrungen bis in eine
Tiefe von 1,4 m verschiedene, stark mit Holzkohle und Rotlehmfragmenten angereicherte
Bodenschichten aus sandigem bis lehmigem
Bodensubstrat schwarzbrauner Färbung nachweisen, bevor ab 1,4 m Tiefe aufgrund eines
mechanischen Widerstandes in Form eines
Steines kein tieferes Eindringen mit dem Bohrer mehr möglich war. Aus einer Tiefe von 0,43
m stammt eine Holzkohleprobe, die für den
Befund eine Datierung ins 11.–13. Jahrhundert
nahelegt292.
KIA 32976: Radiocarbon Age: BP 915 +/- 20; OneSigma-Range: cal AD 1042-1160; Two-Sigma-Range:
cal AD 1034-1187.
291
292
KIA 32977: Radiocarbon Age: BP 905 +/- 50; One-
Eine Kontrastbohrung erbrachte den Nachweis, dass im Umfeld des Befundes zwischen
0,3 m und 0,43 m offenbar eine schwach ausgeprägte Kulturschicht mit wenigen Holzkohlestückchen existiert, die auf dem darunter anstehenden Geschiebemergel gelblichbrauner
Farbe aufliegt.
Anomalie an_28/06
Die rundliche Anomalie an_28/06 weist im
Geomagnetikbild (Abb. 126) einen Durchmesser von 2 m auf und erscheint als schwarzer
Kern mit leichtem Grauschatten bei +/- 3 nT,
bei +/- 12 nT reduziert sich die Größe auf etwa
die Hälfte, bei +/- 24 nT auf ein Viertel der ursprünglichen Größe. Die Bohrung im Zentrum
traf in einer Tiefe von 0,62 m auf einen Stein,
der von einem inhomogenen, rötlich-braunen
und stellenweise dunkelbraunen lehmigen
Sand mit vielen Rotlehmpartikeln überlagert
wird. Der darüberliegende Ackerhorizont ist
mit 0,35 m durchschnittlich mächtig. Es handelt sich vermutlich um einen Siedlungsbefund, dessen Zeitstellung und Funktion ohne
weitere Untersuchungen ungeklärt bleiben
muss.
Anomalie an_30/06
Die etwa 10 m weiter östlich gelegene Anomalie an_30/06 zeigt sich im Messbild bei +/- 3 nT
(Abb. 126) als ovale Struktur von 3,2 m x 2,5
m Größe. Dem schwarzen Kern ist im Norden
ein weißlicher Hof vorgelagert, der sich auch
bei Werten von +/- 12 nT und +/- 24 nT in verkleinerter Form abzeichnet. Die im Zentrum
des vermuteten Befundes niedergebrachte
Bohrung zeigt zwischen 0,25 m und 0,45 m
eine Schicht aus dunkelbraunem bis schwärzlichem, stark humosem Sand mit einem hohen
Sigma-Range: cal AD 1039-1188; Two-Sigma-Range:
cal AD 1022-1222.
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
218
an_30/2006
an_28/2006
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
Abb. 126 Wiskiauten. Anomalien an_28/2006 (links) und an_30/2006 (rechts) im geomagnetischen Messbild
mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
Abb. 127 Wiskiauten. Radarfläche 5 (Größe 10 x 15 m). Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a
– 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte).
Anteil von verziegeltem Material. Das Vorkommen von zahlreichen Holzkohlestückchen
stützt die Vermutung, dass es sich um einen
anthropogen beeinflussten Befund handelt.
Die Anomalie im Messbild könnte damit als
Folge eines leichten Verbrennungsprozesses an
dieser Stelle gedeutet werden, eine regelrechte
Verziegelungsschicht liegt aber nicht vor. Gegen diese Interpretation spricht das Ergebnis
einer Kontrastbohrung ca. 5 m westlich. Sie erbrachte einen ähnlichen Schichtenaufbau, wobei der fragliche Horizont mit Rotlehm- und
Holzkohleeinschlüssen hier nur zwischen 0,25
m und 0,38 m nachzuweisen war. Somit könnte hier eine großflächigere Schicht im Boden
zu erwarten sein.
Die Anomalie selbst könnte als kleine Grube
mit gleichartiger Verfüllung in diese vermutlich auf Siedlungsaktivitäten zurückzuführende Schicht eingebettet sein.
C.4.4.4.2.2 Lineare Strukturen
In der Anomalienkonzentration AK2 können an verschiedenen Stellen kleinere, lineare Strukturen festgestellt werden, deren Ursprung aber ohne weitere Untersuchungen ungeklärt bleiben muss. Sie liegen fast immer in
einem Bereich mit erhöhter Anomaliendichte.
Lediglich die beiden annähernd parallel in einem Abstand von ca. 12 m von Nord nach Süd
verlaufenden Linien dürften aufgrund ihrer
Geradlinigkeit als rezent zu interpretieren sein.
Möglicherweise handelt es sich um moderne Drainagen oder Leitungen. Dafür spricht
auch das Ergebnis des im Jahr 2008 angelegten, noch nicht abschließend ausgewerteten
Grabungsschnittes Fläche 19, in dem eine mit
großen Steinen umrandete, humos verfüllte
Grube mit einer linearen Störung im Zentrum
dokumentiert wurde. Diese Störung schneidet
den Befund in Nordsüdrichtung und ist damit
stratigraphisch jünger. Ein Drainagerohr wurde jedoch nicht beobachtet.
Eine etwa 40 m lange, aus zahlreichen Einzelanomalien bestehende lineare Struktur (vgl.
Abb. 119, D) wurde in Georadarfläche 5 abschnittsweise auf einer west-östlich ausgerichteten Fläche von 10 x 20 m untersucht.
Hierbei zeigte sich in Tiefenbereichen zwischen 0,8 m und 1,4 m (vgl. Abb. 127, d-g), dass
es sich doch um eine durchgehende Bodenstörung handelt, die als schwarze, sehr scharf begrenzte Struktur von 2 m Breite in Erscheinung
tritt. Bohrungen sind nicht durchgeführt worden. Aufgrund der Ähnlichkeit mit den Messergebnissen zur linearen Anomalie „AK1/L2“
in Radarfläche 1 und 2 (vgl. Abb. 108-109) ist
als Grund für die Anomalie auch in diesem
Fall eine flächige Steinlage zu vermuten. In
den Radargrammen aber unterscheiden sich
beide Strukturen. Während der Querschnitt
(vgl. Abb. 110) zu Anomalie „AK1/L2“ eine
Die Siedlungsforschungen
219
Abb. 128 Wiskiauten. Messfläche D. Radarfläche 5: 1 Time-slice-Bild (Aufsicht, Größe 10 m x 15 m) mit
Markierung der Lage der Radargramme/Querschnitte. – 2 Radargramm/Querschnitt a-b. – 3 Radargramm/
Querschnitt c-d.
220
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 129 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Links: Handgemachte Keramikscherbe mit Kammstichdekor. – Rechts: Keramikfragment aus Fläche 3/2005 (Fu.Nr. 3/63).
Struktur zeigt, die mit ihrer Oberkante in einen waagerechten Horizont eingebettet ist, bei
dem es sich um den umgebenden, anstehenden Lehm handeln dürfte, liegt der vergleichbare Bodenhorizont bei der linearen Struktur
in Radarfläche 5 unter der Oberkante des vermutlichen Befundes (Abb. 128). Es entsteht der
Eindruck einer blockartigen, eher mauerartig
gestalteten Struktur, die sich über den anstehenden Boden erhebt. Datierungshinweise liegen nicht vor.
C.4.4.4.2.3 Oberflächenfunde
Im Vorfeld der geophysikalischen Untersuchungen sind die geplanten Messflächen in
Ausschnitten mit einem Metalldetektor abgesucht worden, um größere Metallgegenstände abzusammeln, da diese zwangsläufig zu
Störungen in den Messbildern geführt hätten. Dabei ist neben zahlreichen Streufunden
aus Keramik und anderen Materialien, die an
Stellen mit weniger dichter Vegetation auf der
Oberfläche sichtbar waren, auch eine nennenswerte Anzahl von interessanten Kleinfunden
aus Metall geborgen worden.
Insbesondere das Umfeld der beiden Befunde
an_9/06 und an_10/06 (vgl. Abb. 119, rechts) lieferte zahlreiche Keramikscherben und diverse
Kleinfunde wie Knochen, Schlacken, Bernsteinfragmente und Metallnägel, aber auch einige Buntmetallfunde, die im folgenden kurz
vorgestellt werden sollen, da sie neben den 14CDaten als Datierungshinweis herangezogen
werden können293.
293
Leider ist ein Teil der Oberflächenfunde aus
Keramikfunde
Die Keramik lässt sich technologisch in handgemachte Keramik und Drehscheibenware
aufteilen. Die letztere überwiegt deutlich (vgl.
auch Taf. 84).
Die wenigen Fragmente handgemachter Keramik (Abb. 129) sind von bräunlicher und
schwarzer Farbe, im Kern überwiegt schwarz.
Die Magerung besteht aus rötlichem und
weißlichem Gesteinsgrus von bis zu 2 mm
Durchmesser. Ein Fragment weist eine Kammstichverzierung auf (vgl. Abb. 129, links; Taf.
84, 8), sonst bleiben die Scherben unverziert.
Die handgemachte Keramik erinnert teilweise
stark an die im Jahr 2005 in Fläche 3 zahlreich
aufgefundene Keramikart. Besonders in Bezug
auf Oberflächenfarbe, -beschaffenheit und Magerung sind die Scherben beider Lokalitäten
nahezu identisch. Weitere Fragmente dieser
Keramikart wurden vereinzelt sowohl in Fläche 2 aus dem Jahr 2005 als auch im Bereich
der südlicher gelegenen Anomalienkonzentration AK1 angetroffen. Gleichzeitig tritt sie im
Bereich östlich des Gräberfeldes von Wiskiauten in Erscheinung, wo in der Nähe der Grabungsflächen Fläche 5 und Fläche 8 und im
Bereich der Palve deutliche Hinweise auf eine
Siedlung des 7. und 8. Jahrhunderts identifiziert wurden. Damit etabliert sich hier eine KeAnomalienkonzentration AK2 seit der Einlieferung
ins Magazin des Kaliningrader Museums für Geschichte und Kunst heute nicht mehr auffindbar
bzw. nicht zugänglich, so dass zu einigen Funden
keine Zeichnungen und genauen Maßangaben vorliegen. Alle besprochenen Funde werden jedoch als
Foto abgebildet.
Die Siedlungsforschungen
221
Abb. 130 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Drehscheibenkeramik, Oberflächenfunde.
ramikart, die großräumig um das Gräberfeld
in der Kaup verteilt ist und möglicherweise
als Ausdruck einer großräumigen Besiedlung
interpretiert werden kann. Die Zeitstellung
allerdings ist bisher noch nicht zufriedenstellend erfasst. Vorläufige Datierungen an das
Ende des 1. Jahrtausends für die Keramik aus
Fläche 3 oder in das 7. und 8. Jahrhundert für
die Fragmente aus Fläche 5 können nicht ohne
weiteres auf die insgesamt sehr unspezifische
Keramik der anderen Fundorte übertragen
werden.
Auffällig ist eine Scherbe mit einem Gitterstempeldekor (Abb. 135, rechts). Sie gleicht einem
aus dem Brunnen in Fläche 2 geborgenen Stück
(vgl. Abb. 234, rechts; Taf. 58, 22; vgl. auch Kap.
C.5.6.2.2). Das Stück wirkt handgemacht und
erinnert an mittelslawische Ware.
Die Drehscheibenkeramik (Abb. 130; vgl. auch
Taf. 84, 1–7. 9–46), darunter auch mehrere
Randstücke, weist überwiegend Oberflächen
von grauschwarzer oder hellbräunlicher Farbe
auf. Selten wurde schwarze Färbung beobachtet, die durch sekundären Brand erklärt werden kann. Fast alle Fragmente weisen deutliche Drehspuren auf, die als flache, kantige
Rillen auf der Außenseite erkennbar sind. Sie
sind im Vergleich mit slawischer Keramik vor-
sichtig als Gurtfurchen zu bezeichnen. An den
Innenseiten der Fragmente sind Glättspuren
sichtbar. Die Ränder sind scharf profiliert und
deutlich nach außen ausladend gestaltet. Sie
sind jedoch zu stark fragmentiert und zu klein,
um komplette Gefäßformen zu rekonstruieren
oder Durchmesserbestimmungen vorzunehmen.
Im Kern sind die relativ hart gebrannten
Scherben grau, seltener braun. Die Magerung besteht aus weißlichen Quarzitkörnern,
die durchschnittlich bis zu 0,5 mm groß sind,
aber auch Größen von bis zu 1 mm aufweisen können. Selten ist rötliche Magerung aus
Gesteinskörnern belegt. Abgesehen von parallelen Rillen (Abb. 130; 131, links; vgl. auch
Taf. 84, 1.9.12.13.22.24.25.39.40-43) bzw. Gurtfurchen wurden kaum Verzierungen beobachtet. Lediglich vier Scherben (Taf. 84, 2.8.39.41)
sind mit Stempeleindrücken verziert, wobei
eine Keramikscherbe mit Stempeldekor von
einem handgemachten Gefäß stammt (Taf. 84,
8). Zweimal kommen Reihungen aus Kammstichen vor (Taf. 84, 39.41), die unter den Streufunden in Anomalienkonzentration AK1 und
auch in Fläche 2 wesentlich häufiger auftreten.
Die bei Anomalienkonzentration AK2 aufgesammelten Fragmente von Drehscheibenke-
222
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 131 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Oberflächenfunde. Links: Keramik mit Rillendekor.
– Rechts: Bernsteinfragmente.
ramik sind technologisch mit spätslawischer
Gurtfurchenware vergleichbar und in das 11.–
13. Jahrhundert zu datieren.
Auch einige Fragmente von hartgebrannter,
ordenszeitlicher Grauware ebenso wie einige
glasierte, neuzeitliche Scherben wurden beobachtet. Sie dürften mit ackerbaulichen Tätigkeiten in Zusammenhang mit dem ab dem 14.
Jahrhundert schriftlich erwähnten Dorf Wosegau in den Boden gelangt sein.
Sonstige Funde
Im Bereich von Anomalienkonzentration AK2
sind bei unsystematischen Oberflächenbegehungen – erschwert durch die dichte Vegetationsdecke – mehrere Streufunde aus Metall gefunden worden (Abb. 132). Trotz weitgehend
fehlender zeitlicher Einordnung dürften auch
diese Funde größtenteils mit den Siedlungsaktivitäten in Zusammenhang stehen, auf welche
die zahlreichen Anomalien in diesem Bereich
hindeuten.
Erwähnenswert sind neben zahlreichen Nägeln und mehreren unbestimmbaren Bronzeblechfragmenten vor allem einige Bronzefunde294. Es handelt sich um eine Fibel mit kolbenförmig verdickten Enden (Abb. 133, links),
den Endknopf einer Fibel mit mohnkopfförmigen Enden (Abb. 134, 1; Taf. 85, 4), einen
Kleiderverschluss- oder Gürtelhaken (Abb.
133, rechts), einen bandförmigen Fingerring
(Taf. 85, 8), eine Bronzeschnalle (Taf. 85, 3) und
Nicht zu allen Bronzefunden liegen bislang
Fundzeichnungen vor, da sie noch nicht abschließend restauriert sind. Deswegen muss bei der Abbildung der Funde teilweise auf Fotos zurückgegriffen werden.
294
zwei Aufhängevorrichtungen von Gefäßen
(Abb. 134, 3-4).
Die Fibel mit kolbenförmig verdickten Enden
(Abb. 133, links)) ist nur zur Hälfte erhalten.
Der im Querschnitt ovale Bügel mit leicht konkaver Unterseite im Bereich der verbreiterten
Enden ist größtenteils unverziert. Lediglich
am Übergang zu den verbreiterten Enden ist
eine Verzierung in Form von drei Strichgruppen sichtbar. Senkrecht zum Bügel verlaufen
zunächst drei flache Rillen mit dazwischen
befindlichen Stegen. Es folgen drei schräggestellte Rillen mit ebenfalls zwei Stegen. In
umgekehrter Richtung setzt sich das gleiche
Muster bis zum Bügelende fort, wo sich ein
aus zwei randparallelen Rillen gebildeter Abschluss befindet. Eine Nadel ist nicht erhalten.
Während Salmo (1956, 84ff.) den einzigen ihm
bekannten Vertreter dieser Fibelform in seinem Typ 22 zusammenfasste und das Stück
ins 12. Jahrhundert datierte, gehört die Fibelform bei Thunmark-Nylén (2006, 97) zum Typ
7, der durch flache Exemplare ohne aufgebogene Enden charakterisiert ist. Bei den Stücken
mit kolbenförmigen Enden ist eine Verzierung
aus Schrägstrichen oder Schlingenmuster häufig. Es handelt sich um einen Fibeltyp, der im
Ostbaltikum relativ häufig aus späten Zusammenhängen bekannt ist (ebd. 115). Die Masse
der Funde gehört offenbar ins 12.–14. Jahrhundert (ebd. 110; 115). Nach Nerman (1931, 169)
liegen im südlichen Lettland, im Memelgebiet
und in Ostpreußen Konzentrationen im Verbreitungsbild.
Ein Endknopf einer Fibel mit sogenannten
„mohnkopfförmigen“ Endknöpfen (Abb. 134,
1; Taf. 85, 4) entspricht dem Typ 11 nach Salmo
Die Siedlungsforschungen
223
Abb. 132 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Metallfunde mit Materialangabe.
(1956, 54). Thunmark-Nylén (2006, 97) ordnet
Vertreter dieser Fibelform ihrem Typ 4 zu. Auf
Gotland kommen die insgesamt 125 Exemplare vornehmlich in den Stufen VIII:3 und VIII:4
vor (ebd. 109), wobei sich in Stufe VIII:3 ein
zeitlicher Schwerpunkt zu erkennen gibt. Die
Hauptverbreitung fällt auf Gotland damit in
das gesamte 11. Jahrundert und die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts (ebd. 692).Fibeln dieser
Form sind in Schweden neben Birka auch mit
einigen weiteren Exemplaren vertreten, aus
Finnland sind 30 Stücke bekannt, sonst kommen Fibeln mit mohnkopfförmigen Enden
auch „im Ostbaltikum, in Ingermanland, östlich von Ladoga und tiefer in Russland hinein“
(Thunmark-Nylén 2006, 112) vor.
Im Ostbaltikum sind Fibeln dieser Form besonders geläufig. Aus Litauen kennt man ca.
520 Stück (Thunmark-Nylén 2006, 113). Ner-
man (1929, 143) wollte den Typ wie Kivikovski
(1973, Nr. 700) in Gotland beheimatet sehen,
während Salmo (1956, 57f.) eine Entstehung
im Ostbaltikum befürwortete. Halbfabrikate
sind aus Tervete und Daugmale in Lettland
bekannt, was letztere Theorie stützen könnte.
Durch das Fragment der Fibel mit mohnkopfförmigen Enden ergibt sich ein Hinweis, dass
die Siedlungsaktivitäten im Umfeld von Anomalienkonzentration AK2 schon in der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts begonnen haben
dürften.
Für Wiskiauten bestätigt dieser Fund einerseits die Zeitstellung der südlich von Wosegau lokalisierten Siedlungsreste in die Zeit des
11.–13. Jahrhunderts, andererseits deutet er für
diese Zeitspanne erneut eine Einbindung des
Platzes in den ostbaltischen Kulturraum an.
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
224
Abb. 133 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Oberflächenfunde. Links: Fragment einer Fibel mit
kolbenförmigen Enden (Fu.Nr. D85), Bronze. – Rechts: Gürtelhaken oder Kleiderverschluss (Fu.Nr. D88),
Bronze.
1
2
3
4
Abb. 134 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Oberflächenfunde. 1 Fibelendknopf (Fu.Nr. D206),
Bronze. – 2 Eisennägel, Tierzähne und -knochen, Schlacke. – 3 Aufhängebeschlag, Bronze (Fu.Nr. D92). –
4 Aufhängebeschlag, Bronze (Fu.Nr. D97).
Die Siedlungsforschungen
225
Abb. 135 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Oberflächenfunde. Links: Bernsteinstücke. – Rechts:
Keramikfragment mit Stempelverzierung (Fu.Nr. SF9/88).
Ein Gürtelhaken (Abb. 133, rechts) aus dünnem Bronzeblech weist einen schlechten Erhaltungszustand auf, da die hellgrüne Patina
bei der Auffindung an einigen Stellen bereits
abgeplatzt war. Zudem fehlen beide Enden.
Der erhaltene, weidenblattförmige Körper dagegen lässt noch eine Verzierung mit einem
Linienmuster aus Tremolierstichen erkennen.
Zwei Linien aus kleinen eingepunzten Strichen umlaufen den Körper in geringem Abstand vom Rand. In der Mitte zwischen den
äußeren Linien ist eine aus ebenfalls je zwei
Linien bestehende Verzierung in Form eines
Andreaskreuzes angebracht, die zu den Seiten
hin von je zwei Doppellinien abgegrenzt ist. Je
zwei weitere senkrechte Doppellinien befinden sich zwischen der Mittelverzierung und
den Spitzen der sich zum Rand hin verjüngenden Außenlinien.
Wie bereits bei der Besprechung eines ähnlichen Hakens aus Anomalienkonzentration
AK1 in Messfläche D erwähnt, bildet sich zusammen mit den Funden aus Wiskiauten und
einigen weiteren samländischen Neufunden
ein neuer Schwerpunkt im Verbreitungsgebiet
dieser meist als Gürtelhaken interpretierten
Funde. Ihr zeitlicher Schwerpunkt liegt im 10.–
12. Jahrhundert (vgl. Kap. C.4.4.4.1).
Eine einfache Schnalle aus Bronze (Taf. 85, 3)
besitzt einen omegaförmigen Rahmen mit trapezförmigem Querschnitt. Nur die gerade abschließende Basis weist einen viereckigen Querschnitt auf, hier ist lediglich die Außenseite im
Querschnitt leicht abgeschrägt, alle anderen
Seiten sind gerade. Am Übergang vom rechteckigen Schnallenteil zum rundlichen Riemendurchlass sitzt auf jeder Außenseite eine kurze
rundliche Erweiterung an. Das Stück weist auf
der Rahmenaußenseite und auf der Rückseite starke Bearbeitungsspuren, etwa von einer
Feile, auf. Datierungshinweise liefert das Stück
nicht, Analogien sind nicht bekannt.
Als weiterer Streufund aus Anomalienkonzentration AK2 ist ein einfacher, bandförmiger
Fingerring (Taf. 85, 8) anzuführen, der jedoch
nur zur Hälfte erhalten ist. Zwei randbegleitende Rillen bilden die einzige Verzierung. Die
einfache Ringform ist typologisch nicht aussagekräftig.
Interessant sind auch zwei bronzene Ösen
(Abb. 134), bei denen es sich um Aufhängebeschläge von Metallkesseln oder Holzgefäßen handeln dürfte. Ein Exemplar (Abb. 134,
3) weist Reste zweier dreieckiger Nietplatten
auf, in denen sich noch ein ebenfalls bronzener
Niet befindet. Dem zweiten Stück fehlen diese
Nietplatten, wenngleich die verbreiterten, aber
abgebrochenen Enden darauf hinweisen, dass
es ähnliche Befestigungsvorrichtungen gegeben haben muss.
Die Keramik- und Buntmetallfunde aus diesem Areal werden ergänzt durch zahlreiche
Eisenfunde bisher unbekannter Funktion295,
Da die Mehrzahl der Funde vor Abschluss dieser
Studie nicht in restauriertem Zustand vorlag, entfällt eine genaue Beschreibung.
295
226
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
einige Schleif- oder Wetzsteinfragmente, drei
Fragmente von tönernen Spinnwirteln, zwei
Glasscherben, wenige Schlackereste, insgesamt zwölf Rohbernsteinstücke (vgl. Abb. 135,
links), eines davon mit deutlichen Bearbeitungsspuren (vgl. Abb. 131, rechts), und einige
Brocken verziegelten Lehms mit Abdrücken
von Zweigen oder kleineren Ästen. Es handelt
sich somit um Hüttenlehmreste oder Reste von
Ofenkuppeln. Beide Interpretationen sprechen
für Siedlungsaktivitäten in der direkten Umgebung. Mit den vorliegenden Streufunden
wird erneut der Verdacht auf eine ausgedehnte Siedlungsfläche des 11.–13. Jahrhunderts bestätigt, wobei insbesondere unter den keramischen Funden wiederum einige älter anmutende Stücke auf eine Mehrphasigkeit hinweisen
könnten.
C.4.4.4.2.4 Interpretation
Anomalienkonzentration AK2 ist insgesamt
als großflächige Zone von Siedlungsaktivitäten vermutlich des 11.–13. Jahrhunderts zu
beurteilen. Ältere und auch jüngere Befunde
sind dabei nicht auszuschließen. Zwar könnte
das Fundmaterial generell auch mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten wie etwa dem Aufbringen von Mist und den darin enthaltenen
Abfallprodukten aus den mittelalterlichen
Haushalten, zumindest für das 13. Jahrhundert, zu erklären sein, aber die dichte Konzentration von Funden bei gleichzeitigem Fehlen
in der Umgebung und das Vorhandensein von
Befunden im Boden macht eine Siedlung, die
im Bereich der beschriebenen Phänomene liegt,
wahrscheinlich.
Diese Aktivitätszone dürfte sich bei intensiveren Begehungen oberflächlich durch die zahlreichen Keramikscherben eingrenzen lassen.
Andererseits sind auch östlich der Straße von
Wosegau nach Wiskiauten in einer Entfernung
von etwa 150 m mit dem Metalldetektor einige Kleinfunde lokalisiert worden (vgl. Kap.
C.4.4.5), die zeitlich in das hier vorgestellte
Spektrum passen.
Es ist möglich, dass beide Bereiche zu ein und
derselben Siedlung gehören. Genauere zeitliche Aufschlüsse sind erst nach Ausgrabungen
zu gewinnen. Die 14C-Daten aus den Anomalien an_9/2006, an_48/2006 und an_49/2006 deuten bislang auf eine Siedlung des 11.–13. Jahrhunderts hin.
Besonders bei den Anomalien an_9/2006 und
an_10/2006 dürfte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Siedlungsbefunde in Form
von Gruben, Brunnen oder sogar Grubenhäusern handeln. Ähnliche Befunde lassen sich
zunächst bei rein optischer Auswertung der
Geomagnetikbilder zahlreich in der näheren
Umgebung finden. Teilweise erfahren diese
Vermutungen durch die Bohrergebnisse ihre
vorläufige Bestätigung. Zumindest dürfte in
fast allen überprüften Anomalien anthropogener Einfluss zu unterstellen sein.
Die an der Oberfläche gefundenen Streufunde
von Knochenmaterial und Schlacke könnten
auf ausgedehnte handwerkliche Produktionsprozesse hinweisen, falls sich eine Zeitgleichheit mit der Keramik und den datierenden
Buntmetallfunden als richtig erweisen sollte.
Durch den Bernsteinfund mit Bearbeitungsspuren wird eine wirtschaftliche Beschäftigung
mit diesem Rohstoff wahrscheinlich gemacht.
C.4.4.5 Messfläche E
Die 1250 m lange und etwa 90 m breite, grob
nordsüdlich ausgerichtete Messfläche E liegt
etwa 100 m östlich der Straße von Wiskiauten
nach Wosegau (Taf. 90; zur Lage vgl. Abb. 66).
Sie beginnt knapp nördlich der Verbindungsstraße von Wiskiauten nach Bledau und endet
etwa 100 m vor dem Dorf Wosegau. Südlich
von Wosegau fällt eine etwa 300 m lange Zone
mit erhöhter Konzentration von Dipolen auf,
die auf eine großräumige Verunreinigung mit
rezentem Metallschrott hindeutet. Im Süden,
etwa 250 m nördlich der Straße Wiskiauten
nach Bledau, liegt eine weitere Konzentration
von Dipolen, die aufgrund ihrer Regelmäßigkeit ebenfalls auf rezente menschliche Aktivitäten hinweist.
Eine erhöhte Anomalienanzahl ist im mittleren
Bereich der Messfläche auf einer Länge von
etwa 350 m erkennbar. Sie liegt auf etwa der
gleichen Höhe wie Anomalienkonzentration
AK1 in Messfläche D. Auch lineare Strukturen
sind in Messfläche E ansatzweise erkennbar
(vgl. Kap. C.4.4.5.2).
C.4.4.5.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien
In Messfläche E sind insgesamt zehn Anomalien durch Bohrungen überprüft worden. Neun
liegen im Bereich der im mittleren Messflächen-
Die Siedlungsforschungen
227
Abb. 136 Wiskiauten. Anomalien an_37/06 (links) und an_38/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
bereich erkennbaren Anomalienkonzentration.
Aus dieser Anomaliengruppe sind insgesamt
neun Anomalien (an_37/06 bis an_39/06 und
an_52/07 bis an_57/07) durch Bohrungen überprüft worden. Nur Anomalie an_40/06 befindet sich im südlichen Messbildbereich in einer
Konzentration von Dipolen. Erstaunlicherweise erbrachte die Überprüfung der Anomalien
in dieser Konzentration nur in etwa 30 % der
Fälle ein positives Ergebnis.
Anomalie an_37/06
Im Messbild ist Anomalie an_37/06 bei fast allen nT-Bereichen als großer Dipol erkennbar.
Die Bohrungen legen als Grund für die Abweichung im Messbild (Abb. 136) einen Stein
nahe, der in einer Tiefe von 0,6 m angetroffen wurde. Darüber wurden Bodenschichten
dokumentiert, die keinerlei anthropogenen
Einfluss erkennen ließen. So lag unter dem
humosen Ackerhorizont von 0,35 m Dicke nur
ein 0,25 m mächtiges Band aus rötlichbraunem
Lehm, das insgesamt ungestört wirkte, bevor
der Bohrer auf einen Stein traf. Es könnte sich
somit in diesem Fall um einen großen Findling
handeln, der in den anstehenden Boden eingebettet ist und der im Messbild als Dipol erkennbar wird. Andererseits könnte es sich um
ein größeres Metallteil in der Nähe des Bohrpunktes handeln. Der durch die Bohrungen
nachgewiesene Stein muss nicht zwangsläufig
mit dem Dipol in Zusammenhang stehen, sondern könnte auch zufällig angetroffen worden
sein, da im gesamten Umgebungsbereich Geschiebelehm ansteht, der auch größere Steine
enthält.
Anomalie an_38/06
Die in den geomagnetischen Messbildern bei
+/- 3 nT fast exakt rundliche Anomalie an_38/06
ist auch bei Werten von +/- 24 nT noch deut-
lich als schwarzer runder Punkt zu erkennen,
nun aber mit 1,6 m Durchmesser etwas kleiner
(Abb. 136). Dennoch weist die Erkennbarkeit
auch in hohen nT-Bereichen auf eine starke
Magnetisierung hin. Bei Messwerten von +/- 3
nT umschließt ein deutlicher weißer Hof die
gesamte Anomalie auf einer Breite von etwa 1
m, der jedoch generell im Nordwesten stärker
ausgeprägt ist. Ebenso wie bei Anomalie an_
37/06 ist durch die im Anomalienmittelpunkt
abgeteufte Bohrung unter einer Ackerschicht
von 0,3 m zunächst für 0,15 m ungestört wirkender, rötlichbrauner Lehm nachgewiesen
worden. Bei 0,45 m Tiefe verhinderte ein Stein
ein tieferes Eindringen mit dem Bohrer. Auch
in diesem Fall dürfte daher ein Stein, wahrscheinlich ein großer Findling, die Anomalie
im Messbild verursacht haben. Ein archäologischer Befund liegt somit nicht vor.
Anomalie an_39/06
Etwa 65 m nördlich von Anomalie an_38/06
liegt Anomalie an_39/06. Sie gibt sich im Messbild bei Werten von +/- 3 nT als rundliche
schwarze Anomalie von 2,3 m Durchmesser
zu erkennen, die bei Messwerten von +/- 24 nT
auf 0,8 m Größe zusammenschrumpft (Abb.
137).
Eine Bohrung im Anomalienmittelpunkt erbrachte einen Stein ab 0,6 m Tiefe, der von einer
ungestört wirkenden Lehmschicht zwischen
0,3 und 0,6 m Tiefe und einem Ackerhorizont
von 0,3 m überlagert wurde. In einer zweiten
Bohrung 0,5 m südlich des Anomalienmittelpunktes zeigte sich unter dem Ackerhorizont
von 0,3 m Dicke bis zum Ende der Bohrung
bei 1,0 m Tiefe nur ungestörter, rötlichbrauner
Lehmboden. Auch hier dürfte ein großer Findling Auslöser der geomagnetischen Anomalie
sein. Es handelt sich nicht um einen archäologischen Befund.
228
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 137 Wiskiauten. Anomalien an_39/06 (links) und an_48/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
Anomalie an_40/06
Im südlichen Messbildbereich inmitten einer
Konzentration von Dipolen, die fast linear
angeordnet wirken, befindet sich Anomalie
an_40/06. Die bei Werten von +/- 3 nT 2,8 m
lange und 1,8 m breite schwarze Anomalie mit
einem weißen Hof im Norden ist west-östlich
ausgerichtet und bis zu Werten von +/- 24 nT in
gleicher Form mit verringerter Größe sichtbar,
wenngleich der weiße Hof nun nur noch als
Grauschatten sichtbar ist (Abb. 137). Die erste
Bohrung im Anomalienmittelpunkt erbrachte
einen ungewöhnlich starken Ackerhorizont bis
in eine Tiefe von 0,6 m, der insgesamt mit kleinen Rotlehmpartikeln und Holzkohleresten
angereichert war. Ab 0,6 m Tiefe verhinderte
ein Stein das weitere Bohren. In der zweiten
Bohrung 1,0 m südlich des Anomalienmittelpunktes war der Ackerhorizont mit 0,38 m
nicht so deutlich ausgeprägt. Darunter wurde bis in eine Tiefe von 1,0 m der anstehende,
stark sandige Lehm mittelbrauner Farbe nachgewiesen. Eine menschliche Beeinflussung ist
aufgrund der erhöhten Anteile von Rotlehm
und Holzkohle in der ersten Bohrung denkbar,
aber nicht schlüssig nachzuweisen. Durchaus
kann es sich auch hier um einen großen Findling handeln.
Abb. 138 Wiskiauten. Anomalien an_52/07 und
an_53/07 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten
Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
Anomalien an_52/07 und an_53/07
Die beiden mit einem leichten Grauschatten
umgebenen Anomalien an_52/07 und an_53/07,
die bei Messwerten von +/- 3 nT eine nordwestsüdöstlich ausgerichtete längliche Struktur
von 6,0 m Länge und 2,3 m Breite bilden, lösen
sich bei höheren nT-Werten von +/- 6 nT bzw.
+/- 12 nT in eine große (an_52/07) und mehrere
kleinere Objekte (an_53/07) auf (Abb. 138). Die
südlicher gelegene Anomalie an_52/07 verringert sich bei einem Wert von +/- 6 nT auf eine
rundliche Anomalie von 2,1 m Durchmesser,
bei +/- 12 nT ist sie nur noch 1,6 m groß. Die
Bohrung im Mittelpunkt ergab keinerlei auffällige Schichtung unter dem 0,32 m dicken
Ackerhorizont.
Das gleiche negative Ergebnis ergab sich bei
der Bohrung im Mittelpunkt der bei Messwerten von +/- 3 nT noch 2,3 m messenden, bei
nT-Werten von +/- 12 nT nur noch 0,8 m großen, rundlichen Anomalie an_53/07, die sich in
diesem Messwertbereich in mehrere Einzelanomalien aufzuteilen scheint. Zwar war hier
der Ackerhorizont mit 0,43 m etwas mächtiger,
auch darunter zeigte sich aber sofort der anstehende Lehmboden ohne erkennbare anthropogene Beeinflussung.
Anomalie an_54/07
Die rundliche Anomalie an_54/07 mit einem
Durchmesser von 2,6 m bei einem Wert von
+/- 3 nT verringert ihre Größe bei einem Wert
von +/- 12 nT auf 1,7 m Durchmesser, erst bei
einem Wert von +/- 24 nT ist sie nur noch als
diffuser grauer Schatten von 1,3 m Durchmesser zu erkennen (Abb. 139). Es handelt sich
um eine Anomalie mit relativ starkem Magnetisierungsgrad. Das Bohrbild zeigte einen 0,3
m mächtigen Ackerhorizont, unter dem eine
anthropogen beeinflusste, mit Holzkohle vermischte dunkelbraune Erdschicht zutage trat,
Die Siedlungsforschungen
229
Abb. 139 Wiskiauten. Anomalien an_54/07 (links) und an_55/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
Abb. 140 Wiskiauten. Anomalien an_56/07 (links) und an_57/07(rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbildbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
die bis in eine Tiefe von 0,54 m nachweisbar
war, bevor ein Stein ein tieferes Bohren verhinderte. Hier liegt wahrscheinlich ein zumindest
anthropogen beeinflusster Horizont zwischen
0,3 und 0,54 m vor, der durch Entnahme einer
Holzkohleprobe 14C-datiert wurde. Sie ergab
eine Datierung in die späte Bronzezeit bzw.
frühe Vorrömische Eisenzeit zwischen 792
und 411 v. Chr.296 Es könnte sich entweder um
eine menschlich beeinflusste Erdschicht über
einem Findling handeln, andererseits ist auch
eine mit Steinen verfüllte Grube unter der anthropogenen Schicht denkbar.
Anomalie an_55/07
Mit Maßen von 1,3 x 0,9 m bei ovaler Form
und westöstlicher Ausrichtung ist Anomalie
an_55/07 relativ klein, bleibt aber bis zu einem
Wert von +/- 24 nT in ihrer Größe stabil (Abb.
139). Nur der bei niedrigen nT-Werten sehr
ausgeprägte weißliche Hof, der sich ringsum
die Anomalie zieht, ist bei hohen nT-Werten
nur noch schwach sichtbar.
Bis 0,43 m Tiefe reichte in der zur Überprüfung durchgeführten Bohrung der Ackerhorizont hinab. Ab hier war im Bohrkern ein in
drei einzelne Horizonte unterteiltes SchichtpaKIA 32978: Radiocarbon Age: BP 2496 +/- 69, OneSigma-Range: cal BC 777-531, Two-Sigma-Range:
cal BC 792-411.
296
ket nachzuweisen. Unter dem Ackerhorizont
folgte zunächst zwischen 0,43 und 0,55 m ein
mittelbrauner Lehm mit stellenweise humosen Einschlüssen, zwischen 0,55 m und 0,67 m
ein sandiger, gelblichbrauner Lehm, darunter
bis in eine Tiefe von 0,82 m ein mittelbrauner
bis graubrauner Lehmboden, der erst ab 0,82
m Tiefe vom anstehenden, gelblichbraunen
Lehm abgelöst wurde.
Ob ein anthropogener Einfluss vorliegt, kann
nicht mit Sicherheit entschieden werden, ist
aber aufgrund der graubraunen Farbe des
dritten Horizontes möglich, auch wenn in allen Schichten Einschlüsse wie Keramik oder
Holzkohle fehlen.
Anomalie an_56/07
Bei Anomalie an_56/07 handelt es sich um eine
rundliche, schwarze Anomalie von 1,8 m bei
einem Messwert von +/- 3 nT, die mit zunehmenden nT-Werten ihre Größe verringert, um
bei +/- 24 nT noch als schwach graue Verfärbung von 1,2 m Durchmesser sichtbar zu sein
(Abb. 140). Die Anomalie liegt mit mehreren
anderen gleicher Form und Größe in einer
kleinen Konzentration von Anomalien, zu der
auch Anomalie an_57/07 gehört. In der Umgebung befinden sich auch einige diffuse lineare
Strukturen, die jedoch nicht weiter untersucht
worden sind. Die Bohrungen im Mittelpunkt
230
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 141 Wiskiauten. Messfläche E. Lineare Strukturen.
der Anomalie legen als Grund für die Abweichung im geomagnetischen Messbild einen
Stein nahe, der unter dem Ackerhorizont von
0,45 m Dicke angetroffen wurde.
Anomalie an_57/07
Die rundliche, schwarze Anomalie an_57/07
mit einem Durchmesser von 1,9 m bei einem
Messwert von +/- 3 nT verringert sich bei einem Messwert von +/- 24 nT auf einen diffusen grauen Schatten im Messbild, der nurmehr
1,2 m Durchmesser besitzt (Abb. 140). Durch
Bohrungen im Anomalienmittelunkt ist eine
anthropogene Beeinflussung nachgewiesen,
die sich durch einen stark mit Rotlehmpartikeln und Holzkohle durchsetzten, humosen
Horizont aus stark lehmigem Sand unter dem
Ackerhorizont zwischen Tiefen von 0,36 und
0,8 m äußert. Eine in einer Tiefe zwischen 0,6
und 0,7 m aus dem Bohrkern entnommene
Holzkohleprobe lieferte ein 14C-Datum zwischen 968 und 806 v. Chr.297 Der Befund lässt
sich dadurch in die späte Bronzezeit einordnen. Es könnte sich um eine Siedlungsgrube
handeln. Damit liegen nunmehr zwei in das
erste Jahrtausend datierte Befunde aus der
Anomalienkonzentration im mittleren Bereich
der Messfläche E vor, die darauf schließen lassen, dass es in der Umgebung weitere Befunde
dieser Zeitstellung geben muss.
die von einer Senke im Westen die Messfläche in östlicher Richtung durchquert (Abb.
141, links). Es könnte sich um eine Abflussrinne handeln, da in den geologischen Karten
in östlicher Verlängerung ein kleiner, heute
noch teilweise vernässter Wasserlauf kurz vor
dem ehemaligen Uferbereich des vermuteten
Binnensees sichtbar ist. Eine Zeitlang bestand
der Verdacht, dass es sich um einen der von
Kleemann (1939a, 11) erwähnten, von deutschen Archäologen in östlicher Richtung angelegten Suchgräben handelt. Dieser Graben soll
jedoch von der „Kaup nach Osten“ verlaufen
sein. Ohne weitere Untersuchungen ist eine
Interpretation zu unsicher.
C.4.4.5.2 Lineare Strukturen
An linearen Anomalien ist einerseits eine etwa
14 m breite Struktur hellgrauer Farbe mit dunkler Begrenzung im Norden bei einem Wert von
+/- 3 nT im mittleren Messbildbereich auffällig,
KIA 32979: Radiocarbon Age: BP 2726 ± 36, OneSigma-Range: cal BC 897-832, Two-Sigma-Range:
cal BC 968-806.
297
Abb. 142 Wiskiauten. Messfläche E. Oberflächenfunde. Oben: Fragment eines Bronzegefäßes (Fu.
Nr. D232). – Unten: Lanzenspitzenfragment oder
Arbeitsgerät, Eisen (Fu.Nr. D211).
Die Siedlungsforschungen
231
Abb. 143 Wiskiauten. Messfläche E. Oberflächenfunde. Links: Fragment eines Gegenstandes unbekannter
Funktion, Bronze (Fu.Nr. D219). – Rechts: Fragment eines Zylinderschlosses, Eisen (Fu.Nr. D212).
Eine ähnliche Anomalie von gräulicher Farbe (Abb. 141, Mitte), in die jedoch viele kleine,
schwarze und punktuelle Anomalien eingebettet sind, befindet sich im südlichen Bereich
von Messfläche E. Sie äußert sich als gräuliche
Struktur von etwa 7 m Breite, die sich als nach
Westen offener Halbkreis beschreiben lässt. An
gleicher Stelle liegt eine heute vernässte Geländesenke, deren Ränder in etwa der linearen
Anomalie entsprechen. Somit dürfte es sich
um ein geologisches Phänomen oder um die
Ränder einer anthropogen angelegten Senke
handeln, die in diesem Zusammenhang aber
nicht weiter von Belang ist.
Eine interessante Konzentration von linearen
Anomalien befindet sich nur knapp südlich
von Anomalie an_37/06. Sie besteht aus mehreren, senkrecht und waagerecht zueinander
verlaufenden Linien von etwa 1 m Breite bei
Werten von +/- 3 nT, die eine Länge von ca. 10
m erreichen (Abb. 141, rechts). Die Linien nehmen offenbar deutlichen Bezug aufeinander.
Sie bilden zwei nach Nordosten offene Quadrate, deren Südwestseiten durch weitere Linien geschlossen werden.
Etwas versetzt von der Mitte schließen zwei
weitere, nach Südwesten verlaufende Linien
an. Folgeuntersuchungen haben bisher nicht
stattgefunden. Der Auslöser der geomagnetischen Anomalien bleibt unbekannt.
C.4.4.5.3 Oberflächenfunde und Interpretation
Nicht direkt in der Messfläche selbst, aber in
einem Areal zwischen dem nördlichsten Messbildbereich und der Straße nach Wosegau sind
an der Oberfläche mehrere Metallfunde geborgen worden. Erwähnenswert sind ein Lanzenspitzenfragment (Abb. 142 unten; Taf. 85,
14), ein Fragment eines Zylinderschlosses aus
Eisen (Abb. 143, rechts; Taf. 85, 13), ein Fragment eines gerundeten Bronzebleches mit Niet
und rechteckiger Aussparung an der Basis mit
unbekannter Funktion (Abb. 143, links; Taf. 85,
12) sowie ein Randstück eines massiven Gefäßes aus Bronze (Abb. 142 oben; Taf. 85, 11).
Wenngleich sich aus den Funden selbst heraus keine zeitlichen Hinweise ergeben, scheint
sich die Zone mit Metallfunden in der Umgebung von Anomalienkonzentration AK2 auch
auf den Bereich östlich der Straße auszudehnen, wie die geringe Entfernung beider Fundregionen zueinander von nur 150 m nahelegt.
232
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Andererseits könnte hier eine abgegrenzte
Konzentration an Metallfunden auf das Vorhandensein eines weiteren Siedlungsareals
hindeuten. In diesem Areal ist mit Messfläche
E bisher lediglich ein schmaler Streifen von 75
m Breite geomagnetisch vermessen. Im nördlichen Teil des Messbildes sind jedoch kaum
nennenswerte Anomalien zu verzeichnen. Zumindest zeichnet sich keine so deutliche Häufung von größeren Objekten wie in Anomalienkonzentration AK2 ab.
C.4.4.6 Messfläche F
Die mit maximalen Ausmaßen von 100 m x
200 m relativ kleine Messfläche F von halber
Trapezform liegt südlich der kleinen Kaup,
dem östlichen Teil des Waldes mit dem Hügelgräberfeld (Taf. 91; zur Lage vgl. Abb. 66).
Dieses Areal tritt durch seinen in mehreren
voruntersuchenden Bohrungen nachgewiesenen sandigen Untergrund aus den anderen
Messflächen hervor. Da in der geologischen
Karte der Königlich Preußischen Geologischen
Landesanstalt aus dem Jahr 1907 hier Lehmböden kartiert sind, könnte der Sandboden als
Ausdruck menschlicher Lehmabbauaktivitäten verstanden werden; der Lehmboden dürfte somit schon abgetragen sein. Darauf deuten
auch die erhaltenen Grabungspläne zum separierten, als „spätheidnischer Aschenplatz“ bezeichneten Bestattungsareal in diesem Bereich
hin. Dieser soll bei Anlage einer Lehmgrube
in den 1930er Jahren aufgedeckt worden sein
(Engel 1932a). Möglicherweise hat diese Lehmentnahme auch in der Umgebung und damit
in Messfläche F stattgefunden. Archäologisch
relevante Anomalien wären in diesem Fall
nicht zu erwarten. Tatsächlich sind im Messbild relativ wenige auffällige Strukturen erkennbar.
C.4.4.7 Messfläche G
Die in Nordsüdrichtung ca. 170 m breite und
in Westostrichtung ca. 470 m lange Messfläche
G (Taf. 92; zur Lage vgl. Abb. 66) ist eine der
größten zusammenhängenden Messflächen
und enthält auffällig viele Anomalien. Sie verteilen sich in einem unregelmäßigen Muster
auf den gesamten gemessenen Bereich, mit einer leichten Häufung im mittleren Teil. Diese
Zone mit erhöhter Anomaliendichte wird hier
als Konzentration AK3 bezeichnet. Die Ano-
malien sind mit teilweise 4,5 m Durchmesser
meist von größerem Ausmaß als die Anomalien in den Konzentrationen AK1 und AK2. Die
räumliche Verteilung der Einzelobjekte folgt
jedoch keinem erkennbaren Muster.
Interessant ist dieser Bereich im Osten des
Gräberfeldes insofern, als auch hier südlich
von Messfläche G eine rinnenartige Situation
im Gelände auf einen ehemaligen Wasserlauf
schließen lässt. Auch heute noch befindet sich
hier ein Drainagegraben, der Wasser führt.
Die Situation ist in Bezug auf topographische
Verhältnisse also sehr gut mit der südwestlich
von Wosegau liegenden Stelle am Rande des
Woj zu vergleichen. Auch hier im Osten steht
also das für Siedlungsaktivitäten sicherlich
zu erwartende, oberflächlich zugänglich Süßwasser an. Der Drainagegraben entwässert die
umliegenden Flächen, deren Relief deutliche
Spuren anthropogener Modellierung aufweist,
in Richtung der tiefer liegenden, heute noch
nach starken Regenfällen fast vollständig mit
Wasser bedeckten Senke zwischen Mohovoe
und Sosnovka. Die kleine halbinselartige Erhöhung mit dem alten deutschen Flurnamen
Palve mit ihren durchweg sandigen Böden, die
in die vernässte Niederung vorgeschoben ist,
bietet an dieser Stelle ideale Voraussetzungen
für Siedlungsaktivitäten direkt am Wasser;
auch an eventuelle Hafensituationen ist in diesem Zusammenhang zu denken. Allerdings
erwähnt Kleemann (1939b, 208 Abb. 1; hier
Abb. 144) für diese Palve eine „endjungsteinzeitliche, schnurkeramische“ Siedlungsstelle
(ebd. 225, „Fundstelle Wosegau 6“). Hier sollen 1939 zwei Reibesteine und einige zum Teil
typisch verzierte Scherben gefunden worden
sein. Bei einer Oberflächenbegehung im Sommer 2005 konnten an dieser Stelle mehrere
kleinste Fragmente schwarzer, mit rötlichem
Granitgrus gemagerter Keramik sichergestellt
werden. Im März 2008 ist der Bereich der Palve auch durch geomagnetische Messungen in
Messfläche J2 (vgl. Kap. C.4.4.10.2) untersucht
worden. Durch neue Ausgrabungsergebnisse
aus dem Sommer 2008 lässt sich das Vorhandensein neolithischer Befunde mittlerweile
bestätigen, die bei Anlage von Fläche 10 dokumentiert und durch 14C-Datierungen zeitlich eingeordnet worden sind. Aber auch eine
bronzezeitliche und eisenzeitliche Besiedlung
(Sondage S 8/9 aus dem Jahr 2008) und eine
Die Siedlungsforschungen
233
Abb. 144 Ausschnitt aus der Karte archäologischer Denkmäler um Wiskiauten mit Kennzeichnung der
Fundstelle „Wosegau 6“ auf der Palve durch einen roten Kreis (Kleemann 1939a, Abb. 1).
völkerwanderungszeitliche Besiedlung, durch
eine Wirtschaftsgrube in Fläche 9 belegt, wird
durch die Ausgrabungsergebnisse des Jahres
2008 wahrscheinlich gemacht.
Schließlich liegen aus der ebenfalls im Jahr
2008 angelegten Sondage S 15 auch Siedlungshinweise aus der Wikingerzeit vor.
Kleemann (1939a, 6) ermittelte für ein Gebiet,
das südlich des drainierten Baches liegt, die
alte Flurbezeichnung „das alte Dorf“ und einen besonderen Abschnitt „Alte-Leute-Garten“. Zur Erklärung erläutert Kleemann, dass
an dieser Stelle das alte Dorf Wiskiauten bestanden hat, aber nach einem Schadensfeuer
um die Mitte des 19. Jahrhunderts abgerissen
und weiter westlich an der späteren Stelle von
Wiskiauten bzw. dem heutigen Mohovoe neu
errichtet worden sein soll. Diese Flächen wurden in Messfläche K2 geomagnetisch untersucht (vgl. Kap. C.4.4.11).
In Messfläche G sind im Jahr 2007 die beiden
Ausgrabungsflächen Fläche 7 (vgl. Kap. C.5.2)
und Fläche 8 (vgl. Kap. C.5.5) angelegt worden.
In Fläche 7 kam dabei eine Siedlungsgrube mit
zahlreichen Keramikfragmenten zum Vorschein, die nach Ausweis der 14C-Datierungen
in die Vorrömische Eisenzeit gehört. Fläche 8
erbrachte einen knapp 1,0 m tiefen Befund mit
starker Feuereinwirkung und Steinauskleidung an der Sohle, der sich über die 14C-Datierungen in die Zeit des 7. und 8. Jahrhunderts
einordnen lässt. Diese beiden unterschiedlichen Datierungen an Befunden, die räumlich
nur ca. 45 m voneinander entfernt liegen, mahnen bei der vorschnellen zeitlichen Einordnung gleichartiger Befunde in der Umgebung
zu äußerster Vorsicht. Durchaus ist hier also
mit einer räumlichen Vermischung von Siedlungsobjekten aus unterschiedlichen Zeiten zu
rechnen.
234
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 145 Wiskiauten. Messfläche G mit Markierung der durch Bohrungen überprüften Anomalien.
Ebenfalls in Messfläche G liegen die im Jahr
2008 angelegten Grabungsschnitte Fläche 15
und Fläche 16, die beide keine eindeutigen
bzw. nur geringfügige archäologische Spuren
freilegen konnten. Durch Bohrungen sind bislang die 13 Anomalien an_41/06 bis an_44/06,
an_62/07 bis an_66/07, an_73/07 bis an_74/07 sowie an_80/07 und an_81/07 überprüft worden
(Abb. 145). Auffällig viele Anomalien in dieser
Messfläche haben in archäologischer Hinsicht
kein positives Ergebnis erbracht. Möglicherweise liegt ein unbekannter Fehler bei der Einmessung der Anomalienmittelpunkte vor oder
die anomalienerzeugenden Objekte liegen tiefer als 1 m unter der Oberfläche. Tatsächlich
wurden die beiden in den Grabungsflächen
Fläche 7 und Fläche 8 freigelegten Anomalien
an_80/07 und an_81/07 jeweils etwa um 0,8 m
nach Norden verschoben vorgefunden. Alle
Bohrergebnisse aus diesem Bereich sind also
mit großer Vorsicht zu interpretieren. Lineare
Strukturen sind nur schwer auszumachen, sie
lassen dabei die Deutlichkeit der anderen Konzentrationen vermissen.
C.4.4.7.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien
Anomalie an_41/06
Dieses im Geomagnetikbild (Abb. 146) bei einem Wert von +/- 3 nT als schwarze Struktur
von 2,8 m Durchmesser erkennbare Objekt
weist auch bei höheren nT-Werten eine massive Schwarzfärbung auf, was auf eine hohe
Magnetisierung schließen lässt. Erstaunlicherweise ergaben die Bohrungen im Zentrum keine auffällige Bodenschichtung. Lediglich ein
mächtiger Horizont von 0–0,5 m, der unter anderem aufgrund der enthaltenen Rotlehmpartikel nicht klar als Pflughorizont anzusprechen
war, konnte über dem ab 0,50 m anstehenden
Boden dokumentiert werden. Eine Kontrastbohrung 3 m nördlich erbrachte eine identische Schichtung. Der Grund für die im Messbild vorhandene Anomalie ist damit bisher
ungeklärt, es könnte sich um einen Messfehler
handeln.
Die Siedlungsforschungen
235
an_41/06
+/-
3 nT
+/-
12 nT
an_42/06
+/-
24 nT
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
Abb. 146 Wiskiauten. Anomalien an_41/06 (links) und an_42/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
an_43/06
+/-
3 nT
+/-
12 nT
an_44/06
+/-
24 nT
+/-
3 nT
+/-
12 nT
+/-
24 nT
Abb. 147 Wiskiauten. Anomalien an_43/06 (links) und an_44/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Anomalie an_42/06
Auch für Anomalie an_42/06 lässt sich bei deutlich sichtbarem, schwarzen Objektkern von
rechteckiger Form bei 2,2 m Länge und 1,8 m
Breite im Messbild (Abb. 146) durch die Bohrungen nur ein mit 0,45 m Mächtigkeit relativ
stark ausgeprägter Ackerhorizont feststellen.
Darunter folgte sofort der anstehende Boden.
Die dokumentierten Holzkohlepartikel und
Rotlehmanteile sind in der Pflugschicht enthalten und rechtfertigen keine Ansprache als
archäologischer Befund, wie die 5 m nördlich
durchgeführte Kontrastbohrung mit identischer Schichtung bestätigt. Der Auslöser für
diese Anomalie ist auch in diesem Fall bisher
nicht zu ermitteln. Es kommt wiederum ein
Messfehler in Betracht.
Anomalie an_43/06
Trotz deutlich sichtbarer Anomalie von rechteckiger Form bei einem Wert von +/- 3 nT (Abb.
147), die allerdings bei höheren nT-Werten
deutlich abnimmt und amorphe Gestalt annimmt, lässt sich durch die Bohrung im Mittelpunkt keine anthropogene Beeinflussung
feststellen. Erstaunlicherweise erbrachte dagegen eine Kontrastbohrung 3 m nördlich der
Anomalie eine bis in eine Tiefe von 0,85 m er-
kennbare, unnatürliche Bodenschichtung mit
schwach lehmigem, humosem Sand mit Holzkohle und Rotlehmpartikeln, die auf anthropogenen Einfluss zurückzuführen sein dürfte.
Anomalie und Kontrastbohrung sind hier genau gegensätzlich zur erwarteten Schichtung
gestaltet. Auch hier könnte ein Messfehler zumindest die Abwesenheit eines Befundes bei
Anomalie an_43/06 erklären.
Anomalie an_44/06
Bei Objekt an_44/06 handelt es sich eigentlich
um mehrere Anomalien, die auch von starken
Dipolen verursacht sein könnten (Abb. 147).
Die Bohrung erbrachte über dem ab 0,7 m Tiefe anstehenden lehmigen Boden mehrere nicht
klar zu trennende Mischhorizonte mit bräunlichem Sand, der besonders zwischen 0,2 und
0,45 m Tiefe sehr viel Holzkohle und Rotlehm
enthielt. Hier liegt sicherlich anthropogener
Einfluss vor, der aber aufgrund der starken
Dipole in der Umgebung mit rezenter Abfallentsorgung in Zusammenhang stehen könnte.
Anomalie an_62/07
Bei Messwerten von +/- 3 nT stellt sich Anomalie an_62/07 als rundliches, schwarzes Objekt von 3,5 m Größe dar, dass sich schon bei
236
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 148 Wiskiauten. Anomalien an_62/07 (links) und an_63/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
einem Wert von +/-12 nT nur noch als schwacher Grauschatten von 3,0 m Durchmesser zu
erkennen gibt (Abb. 148).
Durch Bohrungen im Mittelpunkt der Anomalie konnte zunächst ein unter dem Ackerhorizont von 0,3 m Dicke liegendes, aus zwei
Horizonten bestehendes Schichtpaket bis 0,52
m Tiefe nachgewiesen werden. Das Schichtpaket teilt sich in einen graubraunen bis dunkelbraunen und demnach humos beeinflussten,
von Rotlehmpartikeln und Holzkohle durchsetzten Horizont zwischen 0,3 und 0,4 m Tiefe,
der darunter bis in eine Tiefe von 0,52 m von
einem Horizont gleicher Zusammensetzung
abgelöst wird, der jedoch von hellbrauner Farbe und demnach schwächer humos ist. Darunter folgt der gelblichbraune, anstehende Lehm.
Aus dem ersten Horizont unter dem Ackerboden wurde eine Holzkohleprobe zur Datierung entnommen, die ein 14C-Datum zwischen
690 und 887298 erbrachte.
Eine zweite Bohrung zur Überprüfung nur
unweit des Anomalienmittelpunktes ergab ein
ähnliches Ergebnis. Aufgrund der für die Gesamtfragestellung vielversprechenden Daten
wurde im Jahr 2007 über Anomalie an_62/07
Fläche 6 angelegt. Er blieb allerdings, abgesehen von einer mittig von West nach Ost durch
den Schnitt verlaufenden Drainageleitung, ergebnislos (vgl. Kap. C.5.8). Der Grund für die
Anomalie bleibt unklar. Ein Messfehler im Koordinatensystem ist hier auszuschließen, da
der 4 x 2 m große Grabungsschnitt einen Teil
dieser Anomalie erfasst haben müsste.
Anomalie an_63/07
Mit 3,2 m Durchmesser zeigt sich Anomalie an_
63/07 (Abb. 148) ähnlich groß wie Objekt an_
KIA 32980: Radiocarbon Age: BP 1230 +/- 30, OneSigma-Range: cal AD 720-865, Two-Sigma-Range:
cal AD 690-887.
298
62/07. Auch das Erscheinungsbild als schwarze,
rundliche Struktur bei einem Wert von +/- 3 nT
haben beide gemeinsam. Das Bohrbild zeigt
allerdings unter dem 0,33 m mächtigen Ackerhorizont lediglich eine 0,08 m dünne Schicht
graubraunen, sandigen Lehms ohne jegliche
Auffälligkeiten, bevor ab 0,41 m der übliche
rötlichbraune Lehm auftrat. Die Kontrastbohrung etwa 2 m nördlich ließ diesen dünnen
Horizont vermissen, unter dem Ackerhorizont
von 0,4 m trat sofort der anstehende Lehm auf.
Ein anthropologischer Einfluss ist nicht mit Sicherheit nachzuweisen.
Anomalie an_64/07
Anomalie an_64/07 besteht aus einem schwarzen Fleck von 2,5 m Durchmesser bei einem
nT-Wert von +/- 3 nT, der bei +/- 12 nT immer
noch deutlich als nunmehr 1,7 m durchmessender, schwarzer Punkt bestehen bleibt (Abb.
149). Erst ab einem Wert von +/- 24 nT wird er
zum leichten Grauschatten, behält aber Form
und Größe annähernd bei.
Unter dem Ackerhorizont von 0,3 m Dicke
konnte hier durch die Bohrungen ein 0,3 m
mächtiger Horizont dunkelbrauner Farbe mit
hohem Humusanteil nachgewiesen werden,
der jedoch Siedlungsanzeiger wie Holzkohle
vermissen lässt.
Ab 0,6 m Tiefe wird er von einem grünlichgrauen, stark lehmigen Sand mit deutlichem
Grundwassereinfluss abgelöst, der bis ans
Ende der Bohrung bei 0,8 m nachgewiesen
wurde und bei dem es sich um den anstehenden Boden handelt. Die Kontrastbohrung, die
2 m westlich angelegt wurde, zeigte einen mit
0,47 m Dicke sehr mächtigen Ackerhorizont,
der im unteren Bereich etwas dichter war als
der lockerere Oberboden. Nur wenige Rotlehmpartikel im humosen Oberboden reichen in
diesem Fall nicht aus, hier einen archäologi-
Die Siedlungsforschungen
237
Abb. 149 Wiskiauten. Anomalien an_64/07 (links) und an_65/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
schen Befund zu unterstellen. Demnach dürfte der in der ersten Bohrung nachgewiesene
Horizont als archäologisch relevant eingestuft
werden. In Anbetracht des bei anderen Anomalien möglichen Messfehlers bleibt diese
Interpretation jedoch mit einer gewissen Unsicherheit belastet.
wiesene humose Erdschicht zwischen 0,37 m
und 0,56 m Tiefe als Grund für die Anomalie
im Messbild verantwortlich gemacht werden.
Vermutlich handelt es sich um eine anthropogen erzeugte Störung des Magnetfeldes, womit prinzipiell ein Befund von archäologischer
Relevanz vorliegen könnte.
Anomalie an_65/07
Anomalie an_66/07
Die etwa 4 m lange und 2,6 m breite, nordsüdlich gerichtete Anomalie an_65/07 besteht
offenbar zum Teil aus einem Dipol, der sich im
Südwesten des Objektes befindet (Abb. 149).
So ist zwar bei einem Messwert von +/- 3 nT
eine große Struktur erkennbar, die offenbar
ein zusammenhängendes Objekt bildet, bei einem Wert von +/- 24 nT zeigt sich jedoch ein
anderes Bild. Nunmehr ist im Südwesten ein
Dipol sichtbar. Die eigentliche Anomalie, die
als schwachgrauer rundlicher Fleck von 1,8
m in Erscheinung tritt, sondert sich im Nordosten ab.
Unter dem Ackerhorizont folgt in der Bohrung
ab 0,37 m eine dunkelbraune, humose Erdschicht, die aus schwach lehmigem Grobsand
mit hohen Anteilen von Fein- und Mittelsand
besteht. Danach wurde ab 0,56 m ein bis 0,75
m nachgewiesener rötlichbrauner Grobsand
gleicher Textur dokumentiert. Ab 0,75 war
die Bohrsonde leer, was als Anwesenheit von
Grundwasser ab dieser Tiefe gewertet werden
kann. Der Sand ist durch den hohen Wasseranteil aus der Sonde „herausgeflossen“. In der
Kontrastbohrung, die etwa 2 m westlich abgeteuft wurde, zeigte sich ein völlig anderes Bild.
Hier stand unter dem nur 0,28 m dicken Ackerhorizont ein mittelbrauner bis rötlichbrauner, schwachsandiger Lehm an, der ab einer
Tiefe von 0,7 m von einem nassen, schluffigen,
leicht tonigen Feinsand abgelöst wurde. Demnach kann die in der ersten Bohrung nachge-
Die exakt rundliche Anomalie an_66/07 von
2,0 m Durchmesser ist bei einem Wert von
+/- 3 nT als schwarzes Objekt, bei einer Darstellung mit +/- 24 nT dagegen nur noch als
leichter Grauschatten von 1,1 m Durchmesser
erkennbar (Abb. 150). Die Bohrung im Anomalienmittelpunkt gab einen ungewöhnlich
dicken Ackerhorizont bis 0,54 m Tiefe zu erkennen. Darunter war bis 0,63 m Tiefe eine
leicht gräuliche bis dunkelbraune, offenbar
leicht humose Schicht sandigen Bodenmaterials nachzuweisen, die vom rötlichbraunen,
anstehenden Lehm abgelöst wurde. Die gleiche graue Schicht wurde in der Kontrastbohrung etwa 2 m westlich in einem Tiefenbereich
zwischen 0,29 und 0,49 m vorgefunden. Das
Bohrergebnis liefert somit keine klar erkennbaren Hinweise auf den Auslöser der geomagnetischen Anomalie. Zur Überprüfung der
Struktur, der in 4 m Entfernung in südöstlicher Richtung eine fast gleichartige Anomalie benachbart liegt, wurde im Sommer 2008
Grabungsschnitt Fläche 16 angelegt, der die
Nordhälfte der Anomalie freilegen sollte. Abgesehen von mehreren größeren Steinen, die
ohne erkennbares System in den anstehenden
Lehmboden eingebettet lagen und die von einem gräulichen Erdmaterial umgeben waren,
und drei kleinen rundlichen, maximal nur 0,05
m tiefen Gruben konnten keine Auffälligkeiten dokumentiert werden. Holzkohleproben
wurden aus einer der drei kleinen Gruben im
238
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 150 Wiskiauten. Anomalien an_66/07 (links) und an_73/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Nordteil der 4 x 5 m großen Grabungsfläche
extrahiert. Die nur wenige Zentimeter in den
anstehenden Boden eingetieften, mit schwach
gräulichem Sediment verfüllten und ein wenig Holzkohle enthaltenden Gruben könnten
Überreste von Pfostengruben sein. Die Altersbestimmung einer Holzkohleprobe erbrachte
eine 14C-Datierung in das späte Neolithikum299.
Die Anomalie dürfte durch das gräuliche Erdmaterial und vor allem die darin liegenden
Feldsteine verursacht worden sein. Eine klare
Interpretation der aufgedeckten Befunde nicht
möglich, ohne den gesamten Bereich großräumiger durch Ausgrabungen zu untersuchen.
Anomalie an_73/07
Als rundlicher schwarzer Fleck von 2,6 m
Durchmesser bei einem Wert von +/-3 nT gibt
sich Anomalie an_73/07 zu erkennen (Abb.
150). Bei einem Wert von +/- 24 nT ist immer
noch eine nun gräuliche Anomalie von 2,1 m
Durchmesser zu erkennen, deren innerer Kern
noch relativ dunkel erscheint. Die Bohrungen
zeigten eine unter dem Ackerhorizont von 0,22
m liegende Schicht sandigen Bodenmaterials,
das sich durch gräuliche Farbe und das Vorhandensein von Rotlehmpartikeln und Holzkohle bis in eine Tiefe von 0,62 m als vermutlich anthropogen beeinflusst interpretieren
lässt. Allerdings wurde die gleiche Schichtung
auch in einer Kontrastbohrung etwa 2,5 m südlich zwischen den Anomalien an_73/07 und
an_74/07 festgestellt. Damit handelt es sich
nicht um eine abgegrenzte Anomalie, sondern
um eine großräumig vorhandene Schichtung,
die vorsichtig als Kulturschicht angesprochen
werden kann. Der Grund für die eigentliche
Anomalie konnte nicht geklärt werden.
KIA 37094: Radiocarbon Age: BP 3619 ± 31, OneSigma-Range: cal BC 2025-1943, Two-Sigma-Range:
cal BC 2118-1892.
299
Anomalie an_74/07
Die in Nordwest-Südostrichtung 3,7 m lange
und in Südwest-Nordostrichtung 2,2 m breite
Anomalie an_74/07 liegt nur etwa 5 m südlich
der Anomalie an_73/07. Sie hat in den geomagnetischen Messbildern bei allen nT-Werten
ein vergleichbares Aussehen und ist hier als
schwarzer, ovaler Punkt zu erkennen (Abb.
151). Lediglich ihre ovale Form und die Größe unterscheidet sie von Anomalie an_73/07.
Auch hier konnte durch die Bohrungen kein
klarer Hinweis auf mögliche Gründe für eine
geomagnetische Abweichung festgestellt werden. Die Bohrprotokolle beider Anomalien
und auch die dazwischenliegende Kontrastbohrung sind identisch.
Anomalie an_80/07
Die ovale, nordsüdlich ausgerichtete Anomalie
an_80/07 hat im geomagnetischen Messbild bei
einem Messwert von +/- 3 nT eine Ausdehnung
von 2 x 1,6 m. Sie besitzt einen weißen Hof von
0,75 m um ihren schwarzen Kern herum, der
im Nordosten am deutlichsten ausgeprägt
scheint (Abb. 151). Bei einem Wert von +/- 24 nT
ist sie immer noch als schwarze, nunmehr auf
eine Größe von 2,0 m x 1,5 m reduzierte Anomalie erkennbar, die jedoch bei diesen Werten
keinen weißen Hof mehr aufweist. Insgesamt
sind drei Bohrungen abgeteuft worden. In einer ersten Bohrung im Anomalienmittelpunkt
wurde unter dem Ackerhorizont von mindestens 0,23 m Dicke ein bis 0,55 m Tiefe nachgewiesener Horizont dokumentiert, der ebenfalls
stark humos beeinflusst war, sich aber durch
die gräulichere Färbung vom Ackerboden unterschied. Zwischen 0,55 und 0,62 m folgte ein
gelblicher lehmiger Sand mit vielen Holzkohlestückchen und Rotlehmpartikeln, der das
Erdmaterial rötlich gefleckt erscheinen ließ. Er
kann als anthropogen beeinflusste Schicht in-
Die Siedlungsforschungen
239
Abb. 151 Wiskiauten. Anomalien an_74/07 (links) und an_80/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
terpretiert werden. Ab einer Tiefe von 0,62 m
unter der Oberfläche traf der Bohrer auf einen
Stein. Daher wurde 0,2 m nördlich eine weitere Bohrung durchgeführt, wobei der dritte Horizont aus der ersten Bohrung mit den vielen
Rotlehmpartikeln in einer Tiefe von 0,66–0,74
m nachgewiesen werden konnte. Ab 0,75 m
folgte der anstehende, rotfleckige, grünlichgelbe Mittelsand, der hier den natürlichen Boden
darstellt. Die Kontrastbohrung 2 m südlich
zeigte bis auf den rotlehmbeeinflussten Horizont und die Abwesenheit von Steinen einen
gleichen Schichtaufbau. Demnach wird die
Anomalie durch den anthropogenen Horizont
und die Steine ausgelöst.
Anomalie an_80/07 wurde im Sommer 2007
durch Fläche 8 überprüft (vgl. Kap. C.5.5). Als
Grund für die Anomalie kann eine mit Rotlehm, Holzkohle und kleineren Steinen verfüllte Grube verantwortlich gemacht werden,
die an der Sohle ab etwa 0,6 m Tiefe mit großen Feldsteinen ausgekleidet war und wenige
Keramikfragmente enthielt. Durch 14C-Datierungen ist eine zeitliche Einordnung in das 7.
und 8. Jahrhundert gesichert. Es handelt sich
um eine Ofen- oder Feuerungsanlage.
natürliche Schichtenfolge bis 0,76 m unter der
Geländeoberfläche an, wobei im Bohrkern ab
0,55 m vermehrt Holzkohlepartikel und Keramikfragmente auftraten. Erst ab 0,76 m Tiefe
kam der anstehende, gelblichgraue Sand zum
Vorschein. Die 2,5 m südlich angelegte Kontrastbohrung zeigte zwar einen ungewöhnlich
mächtigen Ackerhorizont bis 0,55 m Tiefe, ließ
aber die auffällige Schichtung aus der ersten
Bohrung vermissen.
Der Befund wurde im Sommer 2007 in Fläche 7 freigelegt (vgl. Kap. C.5.2) und durch
mehrere 14C-Analysen von Holzkohlestücken
in die Vorrömische Eisenzeit datiert. Es handelt sich um eine flache Siedlungsgrube, in
der zahlreiche Keramikscherben aufgefunden
wurden und die vermutlich der Abfallentsorgung diente. Durch die beiden Anomalien
an_80/07 und an_81/07 zeigt sich erneut, dass
Siedlungsobjekte aus unterschiedlichen Zeiten direkt nebeneinander liegen können. Die
Übertragung von Datierungen einer Anomalie
auf benachbarte Objekte ist daher nicht ohne
weiteres möglich.
Anomalie an_81/07
Anomalie an_81/07 ist im Messbild bei einem Wert von +/- 3 nT als ovales, schwarzes
Objekt von 2,2 m Länge und 1,6 m Breite bei
nordwest-südöstlicher Ausrichtung erkennbar (Abb. 152). Sie besitzt einen schwachen
weißen Hof, der im Nordosten am deutlichsten ausgeprägt erscheint. Bei einem Wert von
+/- 24 nT ist immer noch ein schwarzes Oval
von 1,6 m Länge sichtbar, das jedoch jetzt keinen Hof mehr erkennen lässt. Bohrungen im
Anomalienmittelpunkt zeigten unter dem Ackerhorizont von 0,24 m Mächtigkeit eine un-
Abb. 152 Wiskiauten. Anomalie an_81/07 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12
m).
240
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
C.4.4.7.2 Lineare Strukturen
Messfläche G und mit der darin enthaltenen Anomalienkonzentration AK3 lässt klare lineare Strukturen vermissen. An einigen
Stellen entsteht besonders bei sehr niedrigen
Messwertbereichen von +/- 1,5 nT bis +/- 3 nT
durch Aneinanderreihung von Einzelanomalien der Eindruck einer linearen Struktur. So
befindet sich im nördlichen Bereich in der Mitte der Messfläche in der Nähe von Anomalie
an_43 eine von Südwesten nach Nordosten
verlaufende dunklere Zone von ca. 60 m Länge
(vgl. Abb. 145), in die zahlreiche kleinere Anomalien eingebettet sind. Auch im westlichen
Messbildbereich sind großflächige, gräuliche
Verfärbungszonen sichtbar, die die Messfläche über eine Strecke von 30–40 m von Nord
nach Süd queren. Keine der Strukturen ist aber
bislang durch weitere Maßnahmen untersucht
worden. Aussagen zum Auslöser der Anomalien sind somit nicht möglich.
Abb. 153 Wiskiauten. Messfläche G. Umgebung
von Fläche 8. Bronzeperle (Fu.Nr. D117) als Aufsatz
einer Ringtrense.
C.4.4.7.3 Oberflächenfunde im Bereich von
Anomalienkonzentration AK3
Im Bereich von Messfläche G sind während der
Ausgrabungen und zur Überprüfung der Koordinatentreue der Messbilder gezielt einige in
den geomagnetischen Messbildern erkennbare Metallobjekte mit einem Detektor anvisiert
worden. Dabei gelang es auch, einige Objekte
aus Buntmetall zu bergen.
So wurde etwa 200 m nordwestlich und nur 40
m von der Bahnlinie entfernt eine polyedrische
Bronzeperle an der Oberfläche gefunden (Abb.
153; Taf. 85, 16). Sie weist eine runde Durchlochung von 6 mm Durchmesser auf und misst
bei einer Höhe von 12 mm an der breitesten
Stelle 14 mm. Vier Hauptfelder weisen Verzierungen aus einrahmenden Linien auf, die
aus kleinen eingepunzten Quadraten bestehen.
Mehrere kleine Dreiecke, mit ihrer Basis an den
Seitenlinien ausgerichtet, weisen mit der Spitze
zur Mitte und tragen in ihrer Innenfläche einen
kleinen Punkt als Verzierung. Die beiden abgeschrägten, jeweils zwischen diesen vier Hauptfeldern eingeschobenen Seitenflächen sind
durch die gleichen Linien aus randbegleitenden Quadraten und kleinen Dreiecke verziert.
Nach Vergleichen von der Insel Gotland gehört
die Perle als Aufsatz auf den Ring einer Trense.
Fast exakte Analogien liefern drei Grabfunde
aus Gotland (Thunmark-Nylén 2006, 325). In
Abb. 154 Ire auf Gotland. Inventar des Grabes 497
mit Ringtrense (rechte Bildhälfte), auf deren Ringe
je drei polyedrische Perlen aufgesetzt sind (Thunmark-Nylén 1995 Abb. 193).
Abb. 155 Wiskiauten. Geomagnetikmessfläche G.
Oberflächenfunde. Links: Bronzeblechfragment
(Fu.Nr. D153). – Rechts: eiserner Trensenring ? (Fu.
Nr. D136).
Die Siedlungsforschungen
Grab 497 von Ire fand sich eine Trense (Abb.
154), auf deren Ringen je drei Perlen von fast
identischem Aussehen angebracht sind. Dieses Grab enthält auch eine Ringfibel vom Typ
2 (ebd. 433), der in die späte Stufe VIII:2 und
in den Beginn von Stufe VIII:3 datiert werden
kann (ebd. 108) und damit in die Zeit zwischen ca. 950 und 1050. Außerhalb Gotlands
werden Fibeln dieser Form im Allgemeinen
ebenfalls in das 10. Jahrhundert datiert (ebd.
112). Außer den gotländischen Funden und
dem Stück aus Wiskiauten sind keine weiteren
Exemplare bekannt. Hier kommt außerhalb
des Hügelgräberfelds von Wiskiauten anhand
dieses Einzelfundes eventuell eine Beziehung
zwischen beiden Regionen zum Ausdruck, die
im Gräberfeld selbst anhand einiger Grabfunde so ausgeprägt in Erscheinung tritt. Es bleibt
unklar, ob der Einzelfund mit noch nicht lokalisierten Siedlungsspuren in der Nähe in
Zusammenhang steht. Die geringe Distanz zu
einigen umliegenden Anomalien lässt darauf
schließen. Andererseits zeigen die Ausgrabungsschnitte Fläche 7 und Fläche 8, wie nah
zeitlich völlig unterschiedliche Befunde beieinander liegen können.
Neben diesem herausragenden Einzelfund
liegt aus Messfläche „Ost“ ein kleines, mit einem Niet versehenes Blonzeblechfragment mit
Massen von 30 x 11 mm vor (Abb. 155, links)
sowie ein bislang unrestauriertes, ringförmiges Eisenobjekt (Abb. 155, rechts) mit einem
Durchmesser von 52 mm bei einer Ringstärke
von 10 mm, bei dem es sich um einen Trensenring handeln dürfte. Dafür sprechen drei Korrosionsstellen, die in regelmäßigem Abstand
am Ring haften und bei denen es sich um Reste
von Riemenhaltern oder Gebissenden handeln
könnte. Eine Datierung liegt nicht vor.
C.4.4.7.4 Interpretation
Durch die Überprüfung von Anomalien
durch Bohrungen und Ausgrabungen sind in
Messfläche G mehrere Siedlungsspuren aus
unterschiedlichen archäologischen Epochen
nachgewiesen worden. Viele der im Messbild
erkennbaren Anomalien, die besonders im
mittleren Teil eine unregelmäßige Konzentration bilden, dürften auf menschliche Siedlungstätigkeiten zurückzuführen sein. Es ist jedoch
ausdrücklich vor einer vorschnellen zeitlichen
Interpretation der Objekte zu warnen. Insbe-
241
sondere die Ausgrabungsergebnisse und die
Datierungen ausgewählter Holzkohleproben
aus den Grabungsschnitten zeigen deutlich,
dass sich Siedlungsspuren verschiedener Zeiten in geringer Entfernung voneinander befinden können. Selbst eine subjektiv als regelmäßig empfundene Anordnung von Anomalien
kann also auf Zufälligkeiten oder Befunde unterschiedlicher Epochen zurückzuführen sein.
Diese Beobachtungen verbieten es, ohne weitere Ausgrabungen eine abschließende Einschätzung des archäologischen Beweismaterials vorzunehmen.
Bei aller Unsicherheit lassen sich jedoch bereits
jetzt einige tendenzielle Überlegungen zum
Siedlungsgeschehen in diesem Bereich anstellen, die durch die bisherigen wissenschaftlichen Ergebnisse ansatzweise abgesichert werden können und im Sinne einer Arbeitshypothese verstanden werden sollten.
In Messfläche G muss zunächst allgemein mit
der Existenz von Siedlungsspuren der Vorrömischen Eisenzeit gerechnet werden, wie
Fläche 7 (vgl. Kap. C.5.2; Abb. 183) mit der
Abfallgrube zeigt. Dass unter den in der Umgebung liegenden Objekten weitere Befunde
gleicher Zeitstellung zu finden sind, ist sehr
wahrscheinlich. Sie lassen sich jedoch ohne
weitere Bohrungen, Ausgrabungen und vor allem naturwissenschaftliche Datierungen von
Probenmaterial aus den Befunden nicht identifizieren.
Ähnlich verhält es sich mit den Siedlungsspuren aus der Zeit des 7. und 8. Jahrhunderts.
Zwar liegt mit dem Befund in Fläche 8 (vgl.
Kap. C.5.5) ein eindeutig datierter Siedlungsbefund vor, zeitgleiche Objekte aber sind in
der Umgebung bisher nicht lokalisiert worden.
Großräumiger betrachtet aber lässt sich die Zugehörigkeit des Befundes in Fläche 8 sehr wohl
als Teil eines größeren Siedlungskomplexes
interpretieren. Zieht man die Ergebnisse der
südlich des drainierten Bachlaufes durch Bohrungen überprüften Anomalien und die zugehörigen 14C-Datierungen sowie die im Sommer
2008 in den Grabungsschnitten Fläche 11–13
ausgegrabenen Befunde hinzu, so verdichten
sich die Hinweise auf Siedlungsaktivitäten in
diesem Areal, die schwerpunktmäßig in das
5.–8. Jahrhundert fallen. Gleichzeitig sind mit
den in Fläche 5 (vgl. Kap. C.5.4) dokumentierten Kulturschichten des 7. und 8. Jahrhunderts
242
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
auch östlich der markanten Bahnlinie von
Königsberg nach Cranz zeitgleiche Befunde
bekannt. Zusätzlich sind in deren Umfeld im
Sommer 2008 neue Siedlungshinweise dieser
Zeit durch Ausgrabungen erschlossen worden.
Darüber hinaus ist die gesamte Fläche zwischen der Palve und Fläche 8 mit sehr einheitlichem keramischen Material übersät. Besonders
im Umfeld von Fläche 5 sowie in einigen mit
einem Bagger rezent angelegten Wartungsgräben im Randbereich des kleinen Bachlaufes
konnten Scherben geborgen werden, die von
handgemachten, der Keramik in Fläche 5 vergleichbaren Gefäßen stammen. Mit Vorsicht
lassen sich die weite Verbreitung relativ gleichartiger Keramik, die in Fläche 5 in das 7. und 8.
Jahrhunderts datiert werden konnte, sowie die
durch die Ausgrabungsschnitte Fläche 5 und
Fläche 8 des Jahres 2007 identifizierten Siedlungsspuren des 5. und 9. Jahrhunderts mit
einem Schwerpunkt im 7. und 8. Jahrhundert
als Teil eines größeren Siedlungskomplexes
ausdeuten. Ein weiterer Hinweis liegt durch
die Ausgrabungen des Jahres 2008 vor. Etwa
125 m westlich der Bahnlinie und 25 m südlich
des Bachlaufes konnte in Fläche 13 ein Graben
dokumentiert werden, aus dem 14C-Daten der
Zeit zwischen 657 und 771300 stammen. Schon
die Bohrungen in der später durch diesen Grabungsschnitt freigelegten Anomalie an_138/07
hatten mit zwei 14C-Daten301 aus dem späten
4.–9. Jahrhundert bzw. dem 7.–9. Jahrhundert
eine ähnliche Zeitstellung erbracht.
Diese drei Grabungsschnitte bilden gewissermaßen die Eckpunkte des potenziellen Siedlungsareal dieser Zeit. Dass die dadurch zu
vermutende Siedlung Wurzeln in früherer
Zeit haben könnte, zeigen wiederum die Ergebnisse der Ausgrabungen im Sommer 2008.
So wurde in Fläche 9302 auf der Palve eine
KIA 37092: Radiocarbon Age: BP 1310 ± 28, OneSigma-Range: cal AD 662- 765, Two-Sigma-Range:
cal AD 657-771.
300
KIA 36104: Radiocarbon Age: BP 1426 ± 116, OneSigma-Range: cal AD 437-765, Two-Sigma-Range:
cal AD 394-878; KIA 36105: Radiocarbon Age: cal
BP 1298 ± 47, One-Sigma-Range: cal AD 665-770,
Two-Sigma-Range: cal AD 648-861.
301
Aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Auswertung und Aufarbeitung der Grabungsergebnisse des Jahres 2008 können hier nur die wichtigsten
Ergebnisse der Grabungsschnitte Fläche 9, 12 und
302
Holzkohleprobe aus einem Grubenbefund in
die Zeit zwischen 550 und 637303 datiert. Die
Grabungsfläche liegt etwa 250 m südöstlich
von Fläche 5.
Auch die der Fläche 13 direkt benachbarte Fläche 12 südlich des Baches und westlich der
Bahnlinie beinhaltete einen Pfostenbefund, der
durch eine 14C-Datierung in die Zeit zwischen
535-644304 eingeordnet werden kann. Insgesamt zeichnet sich der gesamte Bereich, zu dem
neben Messfläche G auch die geomagnetisch
vermessenen Messflächen K1 bis K3 und J1
bis J2 gehören, durch zahlreiche Hinweise auf
menschliche Aktivitäten im 6.–8. Jahrhundert
aus. Darüber hinaus liegen geringe Hinweise
auf Siedlungsspuren des 8.–10. Jahrhunderts
vor. So lieferte eine Holzkohleprobe aus Anomalie an_62/07 ein Datum in die Zeit zwischen
690-887305 Auch wenn die Ausgrabung dieser
Anomalie in Fläche 6 keinerlei archäologische
Befunde aufdecken konnte (vgl. Kap. C.5.8),
ist die Probe mit einer gewissen Unsicherheit
einer Kulturschicht zuzuordnen, die an mehreren Stellen dieses Areals beobachtet werden
konnte. Sie gibt sich nur undeutlich als dünnes, gräuliches Bodenmaterial von 0,1–0,15 m
Dicke zu erkennen, das in mehreren Grabungsund Sondageschnitten beobachtet worden ist.
Trotz fehlender Stratifizierung ergibt sich ein
Hinweis auf Siedlungsaktivitäten dieser Zeit,
der durch andere Befunde bestätigt wird. So
lieferte die im März 2006 abgeteufte geologische Bohrung „BWI 1“ (vgl. Kap C.4.1.1) einen Hinweis auf stark humose Ablagerungen
mit Tierknochen und Keramikfragmenten
im Randbereich des Baches. Ein aus diesen
humosen Schichten stammendes Holzkohlestück erbrachte ein 14C-Datum aus dem 8.–10.
Jahrhundert306. Unterstützend kann auch die
13 zusammengefasst werden.
KIA 37088: Radiocarbon Age: BP 1476 ± 22; OneSigma-Range: cal AD 566 -611; Two-Sigma-Range:
cal AD 550-637.
303
KIA 37089: Radiocarbon Age: BP 1488 ± 29, OneSigma-Range: cal AD 553-606, Two-Sigma-Range:
cal AD 535-644.
304
KIA 32980: Radiocarbon Age: BP 1230 +/- 30, OneSigma-Range: cal AD 720-865, Two-Sigma-Range:
cal AD 690-887.
305
KIA 30154: Radiocarbon Age: BP 1160 +/- 20, OneSigma-Range: cal AD 783-956, Two-Sigma-Range:
306
Die Siedlungsforschungen
243
Abb. 156 Wiskiauten. Anomalien an_58/07 (links) und an_59/07(rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Bronzeperle angeführt werden, die als Oberflächenfund nur etwa 25 m nordwestlich von
Fläche 6 gefunden wurde und die in das 10.
Jahrhundert gehört (vgl. Kap. C.4.4.7.3).
Das ganze Gebiet ist als Zone hoher menschlicher Aktivität zu werten, die vor allem in
der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen
Jahrtausends stattgefunden haben dürfte. Die
Ausgrabungsergebnisse sind dahingehend zu
werten, dass schon vor der vermuteten Ankunft der Skandinavier in der Siedlungskammer Wiskiauten eine einheimische Siedlung der
prussischen Kultur etabliert war, deren Beginn
bereits in der frühen Völkerwanderungszeit
liegen könnte. Mit großer Wahrscheinlichkeit
enthält Anomalienkonzentration AK3 jedoch
auch Befunde der Vorrömischen Eisenzeit, so
dass es nicht möglich ist, die Anomalien sämtlich einem für den Zeitraum zwischen dem 5.
und 10. Jahrhundert – mit einer Hauptphase
im 7. und 8. Jahrhundert – erschlossenen Siedlungsgeschehen zuzuweisen.
C.4.4.8 Messfläche H
Messfläche H (Taf. 93-94; zur Lage vgl. Abb.
66) ist während zweier Feldforschungskampagnen im März 2007 und im März 2008 entstanden. Daher erfolgt eine Unterteilung in die
beiden Messflächen H1 und H2. Im Frühjahr
2007 wurde zunächst die 60 m breite und 510
m lange Messfläche H1 parallel zu Messfläche
E in einem Abstand von 160 m vermessen. Der
weitaus größere Teil dieses Areals dagegen ist
im März 2008 vermessen worden. Diese in der
Grundform rechteckige Messfläche H2 umfasst
ein Gebiet von maximal 750 m Länge in Nordsüd-Richtung und 220 m in Westost-Richtung,
wobei im Südosten ein leicht schräger Streifen
von 425 x 90 m in nordwestlich-südöstlicher
Ausrichtung angesetzt ist.
cal AD 781-962.
Messfläche H1 zeigt im Norden zunächst eine
auffällig begrenzte Ansammlung von Dipolen, in der mit dem Metalldetektor viele Munitionsteile und Metallschrott aus dem zweiten Weltkrieg aufgefunden wurden307. Einige
größere Anomalien häufen sich im mittleren
Bereich, während die Umgebung relativ ruhig wirkt. Die beiden Anomalien an_58/07 bis
an_59/07 (Abb. 156) sind durch Bohrungen
überprüft worden. Sie werden vermutlich
durch große Findlinge verursacht, da in beiden Fällen unter dem Ackerhorizont zunächst
ungestörter, anstehender Boden nachgewiesen wurde, bevor der Bohrer in beiden Fällen
ab 0,45 bzw. 0,55 m Tiefe auf einen Stein traf.
Demnach sind die Steine in den natürlichen
Boden eingebettet und auf geologischen Ursprung zurückzuführen.
In Messfläche H2 sind an zwei Stellen Verdichtungen von Anomalien auszumachen. Zum Einen ist der nördliche Bereich durch eine etwa
130 m breite Zone mit hoher Anomalienzahl
gekennzeichnet, die sich von West nach Ost
durch die gesamte Fläche zieht. Aus dieser
Gruppe, die hier als Anomalienkonzentration
AK4 bezeichnet wird, sind mehrere Anomalien durch Bohrungen untersucht worden. Von
den Anomalien an_88/08 bis an_91/08 sowie
den Anomalien an_116/08 bis an_117/08 ist nur
Anomalie an_89/08 als potentiell archäologischer Befund einzustufen. Alle anderen Bohrungen ergaben lediglich anstehenden Boden
unter dem Ackerhorizont. Der Grund für die
Nach mündlicher Aussage von Klaus Lunau, Selenogradsk, der an den damaligen Kriegshandlungen um das damals deutsche Cranz teilnahm, befand sich hier eine Abwehrstellung des deutschen
Militärs, wodurch die Dipolansammlung eine
plausible Erklärung findet. Verf. dankt K. Lunau
für die bereitwilligen Auskünfte.
307
244
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 157 Wiskiauten. Lage der durch Bohrungen überprüften Anomalien in Messfläche H. Links: nördlicher Teil mit AK4. – Rechts: südlicher Teil mit AK5.
Anomalien im Messbild ist unbekannt. Auch
hier könnte es sich um ein natürliches Phänomen handeln, etwa um einen Bereich mit erhöhter Findlingsanzahl im geologischen Untergrund. Im südlichen Messbildbereich fällt
neben mehreren kleinen Dipolkonzentrationen eine weitere Zone mit erhöhter Anomaliendichte auf. Sie wird hier als Anomalienkonzentration AK5 benannt.
Auch im großräumigen Umfeld befinden sich
einige verdächtige Objekte. Mit den Anomalien an_82/08 bis an_87/08 sowie an_119/08 bis
an_121/08 sind neun Objekte durch Bohrungen
überprüft worden. Interessante Ergebnisse lieferte lediglich Anomalie an_120/08, in allen
anderen Bohrkernen war ein anthropogener
Einfluss als Grund für eine Störung des Magnetfeldes nicht erkennbar. Da die Bohrung in
Anomalie an_120/08 ein eindeutiges Bohrergebnis erbrachte, kann kein Fehler im Meßsystem vorliegen, der dieses „negative“ Ergebnis
zu anderen Anomalien rechtfertigen würde.
C.4.4.8.1 Anomalienkonzentration AK4
Anomalienkonzentration AK4 liegt im mittleren Abschnitt von Messfläche H2 (Abb. 157).
Sie besteht aus unzähligen kleineren und einer
Anzahl größerer Anomalien, die sich deutlich
von der ruhiger wirkenden Umgebung abgrenzen. Die Anomalien ziehen als etwa 130
m breites Band unregelmäßiger Form von
West nach Ost durch die gesamte Fläche. Mit
den Anomalien an_88/08 bis an_91/08 und
an_116/08 bis an_117/08 sind insgesamt sechs
Objekte durch Bohrungen untersucht worden.
Nur für Anomalie an_89/08 läßt sich ein archäologischer Hintergrund vermuten.
C.4.4.8.1.1 Durch Bohrungen überprüfte
Einzelanomalien
Anomalie an_88/08
Die rundliche, bei einem Wert von +/- 3 nT
ca. 2,5 m große Anomalie an_88/08 (Abb. 158)
liegt im südlichen Randbereich der nördlichen
Anomalienverdichtung in Messbild H2. Bei einem Wert von +/- 24 nT zeigt sie sich nur noch
als schwachgrauer Fleck von 0,5 m Durchmesser. Die zur Überprüfung abgeteufte Bohrung
scheint dabei außerhalb der grauen Fläche
zu liegen, so dass das negative Bohrergebnis
nicht überrascht. Im Bohrkern war sowohl
im Anomalienmittelpunkt als auch bei einer
Kontrastbohrung 2,5 m westlich lediglich der
rötlichbraune anstehende Lehm unter dem
Ackerhorizont von ca. 0,35 m nachweisbar. Da
die Bohrpunkte bei einem Messbildwert von
+/- 3 nT ausgewählt wurden, ist es möglich,
dass die eigentliche Anomalie durch die Boh-
Die Siedlungsforschungen
245
Abb. 158 Wiskiauten. Anomalien an_88/08 (links) und an_89/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Abb. 159 Wiskiauten. Anomalien an_90/08 (links) und an_91/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
rung knapp verfehlt wurde.
Anomalie an_89/08
Ein völlig abweichendes Bild bietet Anomalie
an_89/08. Als Oval von 2,6 x 1,6 m Größe bei
einem Wert von +/- 3 nT erkennbar, reduziert
sie sich bei einem Wert von +/- 24 nT auf einen
gräulichen Schatten mit dunklem Kern von
1,9 x 1,3 m Ausmaßen, der südwestlich-nordöstlich ausgerichtet ist (Abb. 158). Ein weißer
Hof im Norden ließ schon vor der Bohrung auf
die Existenz einer Verziegelungs- oder Brandschicht schließen, die auch tatsächlich in einer
Tiefe zwischen 0,5 und 0,6 m nachgewiesen
werden konnte.
Zunächst zeigte sich unter dem 0,27 m mächtigen Ackerhorizont eine hellbraune bis gräuliche Schicht sandig-lehmigen Bodens mit Einschlüssen von Holzkohle, die bis 0,4 m Tiefe
reichte. Ab 0,4 m folgte eine Schicht aus Holzkohle, vermischt mit lehmigem Erdmaterial,
die von einem zwischen 0,45 und 0,5 m auftretenden Verziegelungshorizont abgelöst wurde,
bevor ab 0,5 m der Lehmboden anstand. Es
dürfte sich um eine Feuerstelle oder die Sohle eines Ofens handeln, wie die eindeutige
Schichtenabfolge von Holzkohle über einem
verziegelten Horizont anzeigt. Eine Datierung
liegt nicht vor.
Anomalie an_90/08
Die bei einem Messwert von +/- 3 nT als annähernd rundliches Objekt von 2,7 m in Erscheinung tretende Anomalie an_90/08 (Abb. 159)
ist auch bei einem Wert von +/- 24 nT noch als
tiefschwarzes Oval von nunmehr 2,0 m Länge
und 1,8 m Breite sichtbar: ein Indiz eines hohen Magnetisierungsgrades. Der bei +/- 3 nT
sehr stark ausgeprägte weiße Hof im Norden
verliert sich bei höheren Messwerten zu einem
leichten weißen Schatten.
Trotz der hohen Magnetisierung und dem verdächtigen weißen Hof erbrachte die Bohrung
im Zentrum keinerlei Hinweis auf den Auslöser der Anomalie, was umso mehr überrascht,
als die Bohrung innerhalb des schwarzen
Kerns angelegt wurde. Unter dem Ackerhorizont von 0,4 m wurde lediglich der anstehende Boden angetroffen.
Anomalie an_91/08
Ähnliche Ausmaße hat mit 2,7 m Durchmesser
die nur 33 m weiter nördlich gelegene Anomalie an_91/08, die sich durch einen massiven schwarzen Kern bei +/- 3 nT im Messbild
äußert (Abb. 159). Auch bei einem Wert von
+/- 24 nT ist sie noch deutlich sichtbar, jetzt allerdings bei einem Durchmesser von 1,1 m als
gräulicher Fleck mit schwarzem Kern.
246
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 160 Wiskiauten. Anomalien an_117/08 (links) und an_116/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild
mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Die Bohrung im Mittelpunkt traf nach Durchdringung des Ackerhorizontes bei 0,3 m Tiefe
auf einen Stein. Je eine Bohrung dicht rechts
und links des Mittelpunktes dagegen erreichte
in einer Tiefe von 0,3 m lediglich den anstehenden braunen Lehmboden.
Der in der ersten Bohrung nachgewiesene
Stein dürfte daher nicht mehr als 0,25 m groß
sein. Es liegt kein archäologischer Befund vor.
Anomalie an_116/08
Die mit einem leichten weißen Hof in nördlicher Richtung versehene Anomalie an_116/08
besitzt bei einem massiv schwarzen Kern bei
einem Wert von +/- 3 nT einen Durchmesser
von 1,75 m, der sich auf 1,1 m Größe bei einem
Wert von +/- 24 nT verringert, aber deutlich
sichtbar bleibt (Abb. 160). Zwei Bohrungen,
eine im Mittelpunkt der Anomalie, eine weitere als Kontrastbohrung 3 m südlich angelegt,
zeigten unter dem 0,4 m mächtigen Ackerhorizont einen rötlichbraunen Lehm, der als anstehender Boden interpretiert werden kann.
Nur die Bohrung im Anomalienmittelpunkt
erbrachte den Nachweis einer Bodenschicht
mit zahlreichen natürlichen Eisenausfällungen ab 0,63 m bis zum Ende der Bohrung bei
0,73 m. Ein klarer Grund für die Anomalie ist
nicht ersichtlich, anthropogener Einfluss ist
nicht nachzuweisen.
Anomalie an_117/08
Bei der Überprüfung einer rundlichen Anomalie von 2,5 m Durchmesser, die 25 m südöstlich
von Anomalie an_116/08 liegt, ist es offenbar
zu einem Messfehler gekommen, da die Bohrung 3 m nördlich des Anomalienmittelpunktes abgeteuft wurde. So überrascht es nicht,
dass unter dem Ackerboden von 0,43 m nur
der anstehende Lehmboden angetroffen wurde. Die schwarze Anomalie, die sich deutlich
im Messbild zeigt (Abb. 160), bleibt in ihrem
Ursprung daher ungeklärt.
C.4.4.8.1.2 Interpretation
Obwohl Anomalienkonzentration AK4 auffällig viele verdächtige Objekte enthält, hat nur
die Bohrung in Anomalie an_89/08 als Auslöser für die geomagnetische Störung einen anthropogenen Einfluss nachweisen können. Es
handelt sich vermutlich um eine Feuerstelle,
die jedoch bislang nicht datiert werden kann.
Auf dieser Basis ist keine schlüssige Interpretation möglich. Die Beobachtung, dass viele der
überprüften Anomalien einen möglicherweise
natürlichen Ursprung haben, lässt für Anomalienkonzentration AK4 ein geologisches
Phänomen vermuten, das aber nicht genauer
benannt werden kann. Das Bohrergebnis an
Anomalie an_89/08 weist jedoch darauf hin,
dass nicht alle Objekte dieser Zone natürlichen
Ursprungs sein müssen. Durchaus ist mit weiteren archäologischen Befunden zu rechnen.
C.4.4.8.2 Anomalienkonzentration AK5
Die hier als Anomalienkonzentration AK5
bezeichnete Ansammlung von größeren Objekten in den geomagnetischen Messbildern
umfasst einen Bereich von 300 x 240 m im
südlichen Bildausschnitt (Taf. 94). Die Hauptkonzentration (Abb. 157) liegt etwa 170 m
nördlich der Strasse von Wiskiauten nach
Bledau und umfasst ein Areal von 170 x 100
m. Es handelt sich um viele größere Objekte
mit einem Durchmesser bis 3 m, zwischen die
zahlreiche kleinere Anomalien mit Durchmessern von durchschnittlich 0,5 m eingestreut
sind. Eine Regelmäßigkeit lässt sich nicht erkennen. Aus dieser Anomaliengruppe sind die
insgesamt neun Objekte an_82/08 bis an_85/08,
an_87/08 sowie an_119/08 bis an_122/08 durch
Bohrungen überprüft worden. Nur Anomalie
Die Siedlungsforschungen
247
Abb. 161 Wiskiauten. Anomalien an_82/08 (links) und an_83/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
an_120/08 lieferte dabei ein Ergebnis, das eine
Ansprache als archäologischer Befund erlaubt.
C.4.4.8.2.1 Durch Bohrungen überprüfte
Einzelanomalien
Anomalie an_82/08
Bei Anomalie an_82/08 handelt es sich um eine
ovale, nordsüdlich ausgerichtete Anomalie
von 3,2 x 1,9 m bei einem Messwert von +/- 3
nT, die bei einem Wert von +/- 24 nT auf ein
schwarzes Oval von 1,8 x 1,2 m zusammenschrumpft (Abb. 161). Nur 3 m westlich liegt
ein zweites, identisches Objekt. Die zur Überprüfung durchgeführte Bohrung hat den Anomalienmittelpunkt aber offenbar verfehlt, wie
sich nach der Montage der Messbilder im GISSystem später zeigte. Der Bohrpunkt liegt 1,25
m vom Anomalienmittelpunkt entfernt.
Dementsprechend wurde im Bohrkern lediglich der Ackerhorizont bis in eine Tiefe von
0,46 m nachgewiesen, bevor der anstehende,
stark lehmige Sandboden begann. Offenbar
lag bei der Einmessung des Bohrpunktes mit
dem Differential-GPS ein Fehler vor, der durch
fehlende Satellitenabdeckung erklärt werden
kann.
Anomalie an_83/08
Ein ähnlicher „Messfehler“ liegt offenbar bei
der annähernd rundlichen Anomalie an_83/08
vor (Abb. 161). Auch hier scheint die vermeintlich im Mittelpunkt durchgeführte Bohrung
die Anomalie verfehlt zu haben. Zwar liegt
der Bohrpunkt bei einem Messwert von +/- 3
nT noch innerhalb des schwarzen Kerns, bei
einem Wert von +/- 24 nT jedoch, bei dem sich
das Objekt immer noch deutlich als schwarze
Verfärbung zu erkennen gibt, verfehlt er den
Westrand der Anomalie um 0,35 m. So konnte
auch hier durch die Bohrung nur ein allerdings
relativ mächtiger Ackerhorizont von 0,52 m
über dem anstehenden Boden nachgewiesen
werden, der im unteren Bereich zwischen 0,35
und 0,52 m etwas sandiger wirkte. Diese Sandanreicherung fehlte in einer Kontrastbohrung,
die 2 m westlich durchgeführt wurde. Ob sie
bereits als Auslöser der Anomalie in Frage
kommt, ist ohne weitere Untersuchungen unklar.
Anomalie an_84/08
Als schwarzes Oval von 1,9 x 1,6 m zeichnet
sich Anomalie an_84/08 bei einem Wert von
+/- 3 nT im Messbild ab (Abb. 162). Sie besitzt
einen weißen Hof, der jedoch nicht rings um
die Anomalie verläuft, sondern im Nordwesten als fast gleich große helle Verfärbung angesetzt ist. Demnach könnte es sich um einen
Dipol handeln. Bei der Darstellung mit einem
Wert von +/- 24 nT ist der weiße Teil der Anomalie zu einem grauen Schatten zusammengeschrumpft, währen der Anomalienkern noch
als kleiner schwarzer Kern mit einer 1,8 x 1,4
m großen Graufläche sichtbar bleibt. Bei dieser Darstellung zeigt sich auch, dass die im
Mittelpunkt abgeteufte Bohrung den Kern der
Anomalie verfehlt hat. Das Bohrergebnis ließ
dementsprechend auch keine Auffälligkeiten
erkennen, lediglich der Ackerhorizont von 0,2
m war über dem anstehenden Lehmboden zu
beobachten.
Anomalie an_85/08
Das gleiche Bohrergebnis zeigt die 90 m weiter
nördlich liegende Anomalie an_85/08, die sich
bei einem Wert von +/- 3 nT als 4 m 2,8 m großes Objekt im Messbild abzeichnet (Abb. 162).
Mit einem höheren Wert von +/- 24 nT ist sie
noch als graue Fläche von 2,8 x 1,8 m sichtbar.
248
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 162 Wiskiauten. Anomalien an_84/08 (links) und an_85/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Abb. 163 Wiskiauten. Anomalien an_87/08 (links) und an_119/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
Abb. 164 Wiskiauten. Anomalien an_120/08 (links) und an_121/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild
mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
In diesem Fall liegt die zur Überprüfung angelegte Bohrung innerhalb dieser Gaufläche, aber
trotzdem konnte unter dem 0,35 m mächtigen
Ackerhorizont nur der anstehende Lehmboden nachgewiesen werden. Der Grund für die
Anomalie bleibt unersichtlich.
Anomalie an_87/08
Als sehr unregelmäßige Anomalie von 2,6 m
Durchmesser, die schon bei einem Wert von
+/- 3 nT nur schwach sichtbar ist, lässt sich
Anomalie an_87/08 (Abb. 163) beschreiben. Bei
höheren nT-Werten ist sie nicht mehr sichtbar.
Die Bohrung erbrachte keinerlei auffälliges Resultat. Lediglich der 0,3 m dicke Ackerhorizont
wurde über dem anstehenden Lehmboden angetroffen. Ein archäologischer Hintergrund ist
nicht nachzuweisen.
Anomalie an_119/08
Bei Anomalie an_119/08 handelt es sich um eine
rundliche schwarze Fläche von 3 m Durchmesser, wenn die Darstellung mit +/- 3 nT gewählt
wird (Abb. 163). Bei einem höheren Wert von
+/- 24 nT ist nur noch eine graue Fläche von
nunmehr ca. 2 m Durchmesser sichtbar, deren
Ränder unregelmäßig ausgefranst wirken.
Ein klares Resultat lieferte die Bohrung im
Anomalienmittelpunkt nicht. Unter dem Ackerhorizont von 0,3 m zeigte sich zunächst
eine Schicht humosen, mittelbraunen Erdmaterials, das im Wesentlichen der Konsistenz
des Ackerhorizontes entsprach, aber etwas
dichter wirkte. Diese Schicht war bis in eine
Tiefe von 0,44 m nachzuweisen. Es handelt
sich vermutlich ebenfalls um einen ackerbaulich beeinflussten Horizont. Ab einer Tiefe von
Die Siedlungsforschungen
249
0,44 stand der rötlichbraune Lehmboden an.
Es liegen keine Hinweise auf einen archäologischen Befund vor.
handelt es sich um einen Befund, der ebenfalls
auf eine feuerbeeinflusste Grube zurückzuführen sein dürfte.
Anomalie an_120/08
Anomalie an_121/08
Ein ovaler schwarzer Kern von 3,2 x 2,2 m,
der mit einem im Norden stärker ausgeprägten weißen Hof ausgestattet ist, ließ vor den
Bohrungen einen feuerbeeinflussten Befund
als Grund für die geomagnetische Anomalie
an_120/08 vermuten (Abb. 164). Die Bohrungen im Anomalienmittelpunkt erbrachten eine
deutlich anthropogen beeinflusste Schichtenabfolge zwischen 0,3 und 0,76 m Tiefe. Zunächst folgte unter dem Ackerhorizont von
0,3 m Dicke eine inhomogene Erdschicht aus
sandigem Lehm mit zahlreichen kleinen Verziegelungseinschlüssen, die bis 0,6 m unverändert blieb. Zwischen 0,6 und 0,73 m fand sich
ähnlicher Boden, wobei nun der Rotlehmanteil
deutlich überwog und auch kleine Holzkohlestücke dokumentiert wurden. Zwischen 0,73
und 0,76 fand sich eine schwarze, schmierige
Bodenschicht, die im Wesentlichen aus Holzkohle bestand. Danach folgte der anstehende
Boden. Zur Bestätigung wurde etwa 0,1 m
westlich der ersten Bohrung ein zweiter Bohrkern entnommen. Zwei Holzkohleproben aus
dem Horizont zwischen 0,73 und 0,76 m lieferten zwei unterschiedliche 14C-Daten, die beide
im ersten vorchristlichen Jahrtausend liegen.
Die aus dem ersten Bohrkern extrahierte Probe datiert in die Zeit zwischen 752 und 46 v.
Chr.308 Eine weitere Probe stammt aus der
zweiten Bohrung im Anomalienmittelpunkt
aus dem gleichen Horizont, liefert aber mit
einer Datierung in die Zeit zwischen 997 und
795 v. Chr.309 ein früheres Ergebnis. So kommt
das gesamte erste vorchristliche Jahrtausend
als Datierungsansatz in Betracht.
Etwa 10 m östlich liegt eine Anomalie, die im
geomagnetischen Messbild die gleiche Erscheinung aufweist wie Anomalie an_120/08, aber
mit einem Durchmesser von 3,8 m wesentlich
größer ist. Bohrungen sind nicht durchgeführt
worden, aber mit großer Wahrscheinlichkeit
Ein negatives Ergebnis lieferte die Bohrung in
Anomalie an_121/08, die im Messbild bei einem
Wert von +/- 3 nT als 2,0 m große schwarze Verfärbung sichtbar ist und bei einem Wert von +/24 nT nur noch aus einem grauen Schatten besteht (Abb. 164). Dem Ackerhorizont von 0,34
m Dicke folgte eine Schicht braunen Lehms
mit relativ vielen Eisenausfällungen, bevor ab
0,5 m der jetzt grünlichbraune, stark lehmige
Sand mit ebenfalls vielen rötlichen Eisenausfällungen nachzuweisen war. Eine Kontrastbohrung 2 m nördlich erbrachte das gleiche
Ergebnis. In diesem Fall bleibt der Grund für
die geomagnetische Anomalie unklar.
KIA 36097: Radiocarbon Age: BP 2272 +/- 14, OneSigma-Range: cal BC 507-168, Two-Sigma-Range:
cal BC 752-46.
308
KIA 36098: Radiocarbon Age: BP 2711 +/- 60, OneSigma-Range: cal BC 907-810, Two-Sigma-Range:
cal BC 997-795.
309
C.4.4.8.2.2 Interpretation
Nur für Anomalie an_120/08 ist durch die
Bohrungen ein archäologischer Ursprung zu
unterstellen, alle anderen Anomalien sind bislang unerklärbar. Während in einigen Fällen
ein Fehler bei der Einmessung der Bohrpunkte das negative Ergebnis erklären könnte, stellt
das gleiche Resultat bei korrekt eingemessenen Bohrpunkten diese Erklärung wiederum
in Frage. Es bleibt nur die unbefriedigende
Vermutung, dass ein bisher unbekanntes geologisches Phänomen die Anomalien im Messbild verursacht hat.
Trotzdem liegt mit dem in das erste vorchristliche Jahrtausend datierten, feuerbeeinflussten
Befund, der Anomalie an_120/08 verursacht,
ein archäologisches Objekt aus dieser Anomalienkonzentration vor, das weitere Befunde gleicher Zeitstellung in der Umgebung vermuten
lässt. Eine weitergehende Interpretation der
Anomalienverdichtung im Messbild ist auf der
geringen Datengrundlage nicht möglich.
C.4.4.9 Messfläche I
Am Rande der durch die geologischen Bohrungen und andere Beobachtungen als wahrscheinlich anzunehmenden, ehemaligen Wasserfläche zwischen Wiskiauten und Bledau
liegt die in zwei Abschnitte zu unterteilende
Messfläche I (Taf. 95); zur Lage vgl. Abb. 66).
Sie wurde angelegt, um diesen Bereich auf
mögliche Befunde einer Siedlung des Früh-
250
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 165 Wiskiauten. Messfläche I. Durch Bohrungen überprüfte Anomalien.
mittelalters zu untersuchen, da aufgrund diverser, bereits früher erläuterten Überlegungen (vgl. Kap. C.4.1.4) eine Anbindung dieser
Niederlassung an die schiffbaren Wassersysteme angenommen werden muss. Auch wenn
insbesondere der nordwestliche Randbereich
der ehemaligen Wasserfläche aufgrund einiger
topographischer Beobachtungen wie fehlende
Wasserläufe bzw. relativ große Entfernung
zu den Hauptarmen des vermuteten Wassersystems nicht als besonders siedlungsgünstig
eingeschätzt wurde, sollte eine systematische
Überprüfung diesen Bereich einschließen.
Messfläche I1 weist eine Gesamtlänge von 820
m in nordwest-südöstlicher Richtung auf und
zieht sich als langer Streifen parallel zur vermuteten Uferkante hin. Im südlichen Drittel ist
sie mit 110 m breiter als im nördlichen Bereich,
Die Siedlungsforschungen
251
Abb. 166 Wiskiauten. Anomalien an_94/08 (links) und an_97/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
wo sie nur eine Breite von 55 m erreicht. Sehr
viel kleiner ist die südlich eines kleinen Wasserlaufes gelegene Messfläche I2, die ein Areal
von 130 x 95 m umfasst.
Insgesamt weisen beide Flächen eine sehr
geringe Bedeckung mit Anomalien auf. Eine
auffällige lineare Struktur, die im nördlichen
Bereich von Messfläche I1 von Westnordwest
nach Ostsüdost die Messfläche quert, besteht
aus einer Vielzahl von Dipolen, die zu zwei
Reihen angeordnet scheinen (TAf. 95). Die
gesamte Struktur ist bei einer Gesamtlänge
von 120 m etwa 8 m breit. Die beiden Dipolreihungen umschließen dabei einen etwa 3,5
m breiten Streifen ohne nennenswerte Anomalien. Aufgrund der Regelmäßigkeit und
des Vergleichs mit ähnlichen Phänomenen in
Messfläche J2 (vgl. Kap. C.4.4.10.2) muss davon ausgegangen werden, dass es sich um Reste von rezenten Stacheldrahtzäunen handelt,
deren Überreste in Form eiserner Drahtreste,
Nägel und Krampen eine Störung in den geomagnetischen Messbildern verursachen. Die
beiden Zäune dürften einen Weg in ihrer Mitte
begleitet haben. 70 m weiter südlich fällt eine
ähnlich hohe Dipolansammlung von linearer
Form auf, die zunächst 25 m Richtung Westen verläuft, um dann in einem fast rechten
Winkel auf 80 m Länge in südlicher Richtung
zu verlaufen. Hier handelt es sich vermutlich
ebenfalls um einen Weg, der durch eine erhöhte Dipolanzahl aufgrund verlorener Kleinmetallteile zum Ausdruck kommt. Beide Strukturen besitzen somit keine archäologische
Relevanz. Abgesehen von diesen beiden auffälligen Dipolansammlungen ist auch der Rest
der Messfläche von vielen kleineren Dipolen
übersäht, die mit ackerbaulicher Nutzung in
Zusammenhang stehen dürften.
An Anomalien lassen sich nur wenige interes-
sante Objekte ausmachen, die besonders im
westlichen Randbereich des Mittelteiles von
Messfläche I1 gehäuft auftreten. Erstaunlich
ruhig dagegen bleibt der südliche, breitere Teil
der Messfläche I1, wo kaum Anomalien und
auch nur wenige Dipole in Erscheinung treten.
Ebenso ruhig zeigt sich Messfläche I2, in der
nur einige größere Dipole und wenige kleine,
nicht sehr stark magnetisierte Anomalien das
ansonsten eintönig gräuliche Messbild stören.
Im Messfläche I1 sind mit den Objekten an_
97/08 bis an_113/08 insgesamt 17 Anomalien
angebohrt worden, während in Messfläche
I2 nur die beiden Objekte an_93/08 und an_
94/08 überprüft wurden (Abb. 165).
C.4.4.9.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien
Anomalie an_93/08
In Messfläche I2 befindet sich Anomalie an_
93/08, die bei einem Messwert von +/- 3 nT als
1,3 m große, rundliche schwarze Fläche in Erscheinung tritt. Bei einem Wert von +/- 24 nT
ist sie kaum noch wahrzunehmen. Der Bohrpunkt liegt aufgrund eines unbekannten Fehlers bei der Einmessung etwa im südöstlichen
Randbereich der Anomalie. Im Bohrkern folgte einem 0,45 m mächtigen Ackerhorizont eine
ähnliche Schicht bis 0,54 m Tiefe, die ebenfalls
stark humos war. Auffällig ist der folgende
Horizont zwischen 0,54 und 0,62 m über dem
anstehenden Boden. Er besteht aus gräulichbraunem, lehmigem Erdmaterial, siedlungsanzeigende Einschlüsse in Form von Holzkohle,
Rotlehmpartikeln oder gar Keramikfragmenten konnten jedoch nicht beobachtet werden.
In der Kontrastbohrung 3 m westlich fehlte
dieser Horizont. Es ist davon auszugehen,
252
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 167 Wiskiauten. Anomalien an_98/08 (links) und an_99/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit
verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
dass er im Anomalienmittelpunkt deutlicher
ausgeprägt ist und durch die Bohrungen nur
der Randbereich eines Objektes erfasst wurde.
Datierungshinweise liegen nicht vor. Es könnte sich um einen archäologisch relevanten Befund handeln.
Anomalie an_94/08
Als Anomalie an_94/08 wird ein Objekt in
Messfläche I2 bezeichnet, dass sich bei einem
Messwert von +/- 3 nT als schwarze Fläche von
0,75 m Durchmesser zu erkennen gibt, bei einem höheren Wert von +/- 24 nT jedoch kaum
noch sichtbar ist (Abb. 166). Bei dieser Anomalie liegt die Bohrung aufgrund des unbekannten Messfehlers außerhalb des vermuteten
Kernbereiches, deshalb konnte im Bohrkern
unter dem Ackerhorizont von 0,3 m Dicke lediglich der anstehende, rötlichbraune Lehmboden nachgewiesen werden.
Anomalie an_97/08
Die im mittleren Bereich von Messfläche I1 gelegene Anomalie an_97/08 zeigt sich bei einem
Wert von +/- 3 nT im Messbild (Abb. 166) als
rundliche Anomalie von 1,6 m Durchmesser,
die bei einem Wert von +/- 24 nT nur noch einen leichten Grauschatten darstellt. Die Bohrung erbrachte keinerlei auffällige Schichten
unter dem 0,42 m mächtigen Ackerhorizont,
der lediglich eine etwas gräulichere Farbe aufwies. Ein Grund für die Anomalie ist nicht zu
ermitteln.
Anomalie an_98/08
Auch für die mit einem Durchmesser von 1,4 m
ähnlich große Anomalie an_98/08 mit gleichem
Erscheinungsbild in den Messbildern, die nur
6 m westlich liegt, lässt sich durch die Bohrungen kein erkennbarer Auslöser für eine geo-
magnetische Störung ausmachen. Lediglich
ein Ackerhorizont von 0,45 m mit einer ebenfalls im unteren Bereich leicht dunkleren Farbe
konnte über dem anstehenden rötlichbraunen
Lehm nachgewiesen werden. Anzeiger für einen archäologischen Hintergrund fehlen.
Diese Anomalie wurde zusammen mit einem
weiteren Objekt 2,5 m weiter nordwestlich im
Sommer 2008 in Fläche 18 untersucht, wobei
jedoch nur ein Tiergang dokumentiert werden
konnte, der einige größere Steine beinhaltete. Er erklärt die geomagnetische Störung im
Messbild (Abb. 167) und zeigt gleichzeitig,
dass bei der Interpretation der Anomalien
generell mit natürlichen Phänomenen gerechnet werden muss. Als Auslöser für die zweite
Anomalie in diesem Grabungsschnitt kommt
ein 0,4 m großer Stein in Frage, der unter dem
Ackerhorizont im Planum dokumentiert wurde. Hinter beiden Anomalien steckt demnach
ein natürliches Phänomen, archäologische Relevanz liegt nicht vor.
Anomalie an_99/08
Als ovales Objekt von 2,2 x 1,7 m bei west-östlicher Ausrichtung kann Anomalie an_99/08 beschrieben werden (Abb. 167). Die Größenangaben gelten für eine Darstellung mit +/- 3 nT,
während sich bei einem Wert von +/- 24 nT nur
noch ein leichter Grauschatten zeigt. Die Bohrung im Mittelpunkt ergab einen vielschichtigen Bodenaufbau. So reichte zunächst der Ackerhorizont bis in eine Tiefe von 0,38 m hinab,
um dann von einer ähnlichen, aber dichteren
Schicht aus dunkelbrauner, humoser Erde abgelöst zu werden, die bis 0,65 m Tiefe auftrat.
Zwischen 0,65 und 0,67 m war zunächst ein
dünnes Band aus gelblichem Sand eingeschoben, dem zwischen 0,67 und 0,69 m eine dünne Schicht dunkelbraunen, humosen Sandes
Die Siedlungsforschungen
253
Abb. 168 Wiskiauten. Anomalien an_101/08 (links) und an_102/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild
mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
folgte. Zwischen 0,69 und 0,73 m wurde ähnlich humoser Boden wie im Ackerhorizont angetroffen, der jedoch hier etwas dichter wirkte und von einer Schicht aus dunkelbraunem,
stark lehmigem Sand abgelöst wurde. Dieser
war in einer Tiefe von 0,73–0,76 m nachweisbar.
Der nächste Horizont zwischen 0,76 und 0,9 m
bestand aus dunkelgrauem, schwach lehmigem Sand mit rötlichen Eisenausfällungen und
wurde ab 0,9 m vom anstehenden hellgrauen
bis rötlichbraunem Lehm abgelöst. Ob anthropogener Einfluss vorliegt, lässt sich schwer
beurteilen. Siedlungsanzeigende Einschlüsse
jedenfalls sind nicht beobachtet worden. Eine
ähnliche Schichtenabfolge wurde auch in der
Umgebung in mehreren Kontrastbohrungen
erbohrt. Die Entstehung der Bodenschichten
bleibt ohne weitere Untersuchungen unklar.
Anomalie an_101/08
Bei Anomalie an_101/08 handelt es sich um
eine rechteckige, schon bei einem Wert von
+/- 3 nT nur schwach grau gefärbte Struktur
von 1,6 x 0,8 m, die bei höheren Werten nicht
mehr zu sehen ist (Abb. 168). Die Bohrung im
südlichen Randbereich ergab ein kaum nennenswertes Ergebnis, bei dem unter dem 0,3
m mächtigen Ackerhorizont und dem ab 0,5 m
anstehenden gräulichen Lehmboden lediglich
eine etwas dichtere Schicht gleichen Erdmaterials wie im Ackerhorizont dokumentiert werden konnte. Ein archäologischer Hintergrund
ist nicht nachzuweisen.
Anomalie an_102/08
Ein ähnliches Ergebnis lieferte die 25 m südöstlich gelegene Anomalie an_102/08, die bei
einem Wert von +/- 3 nT als 1,0 x 0,8 m großes, schwarzes Oval im Messbild erkennbar ist
und auch bei einem Wert von +/- 24 nT noch
eine Größe von 0,8 x 0,6 m besitzt (Abb. 168).
Durch die Bohrungen ist unter dem 0,3 m dicken Ackerhorizont lediglich eine etwas dichtere Schicht ebenfalls dunkelbraunen, stark humosen Erdmaterials belegt, die ab 0,43 m vom
anstehenden Boden abgelöst wird. Eine etwa 2
m südlich angelegte Kontrastbohrung ließ die
verdichtete Schicht zwischen Ackerhorizont
und natürlichem Untergrund vermissen. Es
muss davon ausgegangen werden, dass die im
Anomalienmittelpunkt offenbar etwas tiefer
hinabreichende humose Erdschicht die Anomalie im geomagnetischen Messbild auslöst.
Ein archäologischer Befund kann hier ausgeschlossen werden.
Anomalie an_105/08
Inmitten einer kleinen Dipolkonzentration
am westlichen Rand der Messfläche I1 liegt
die Anomalie an_105/08 (Abb. 169). Bei einer
Darstellung mit +/- 3 nT ist sie als 4 m großer,
rundlicher Fleck erkennbar, dessen Grenzen
jedoch durch die umliegenden Dipole stark
verunklart werden. Erst bei einem Messwert
von +/- 24 nT zeigt sie sich als Objekt von 2,0 m
bei annähernd ovaler Form. Unter dem Ackerhorizont von 0,33 m Mächtigkeit trat im Bohrkern bis in eine Tiefe von 0,85 m stark humoser,
sandiger Lehm mit helleren Sandeinschlüssen
in Erscheinung, dem zwischen 0,85 und 1,7 m
ein bräunlicher, von Grundwasser beeinflusster Sandboden folgte, der bei 1,05 m einen
größeren humosen Einschluss aufwies. Erst
ab 1,7 m zeigte sich ein bläulicher Lehmboden,
der mit Sicherheit als anstehender Boden bezeichnet werden kann. Eine Kontrastbohrung
3 m südlich wies zwischen dem Ackerhorizont,
der in einer Tiefe von 0,4 m endete, und dem
anstehendem, rötlichbraunen lehmigen Sand
ab 0,68 m Tiefe eine Schicht humosen Erdma-
254
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 169 Wiskiauten. Anomalien an_105/08 (links) und an_106/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild
mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
terials auf, die dichter wirkte als der Ackerhorizont selbst, aber ansonsten die gleichen
Merkmale aufwies. Für Anomalie an_105/08
ist aufgrund des Fehlens von siedlungsanzeigenden Einschlüssen nicht mit Sicherheit von
einem archäologischen Befund auszugehen.
Anomalie an_106/08
Ein schwarzer rundlicher Fleck im Messbild
bei einem Wert von +/- 3 nT zeigte Anomalie an_106/08 an (Abb. 169). Sie ist bei einem
Wert von +/- 24 nT kaum noch sichtbar. Die
Bohrung im Mittelpunkt traf ab 0,35 auf einen
Stein, der auch in der zweiten Bohrung 0,3 m
östlich angetroffen wurde. In der dritten Bohrung 3 m östlich, die zu Vergleichszwecken
abgetieft wurde, fehlte dieser Stein. Lediglich
ein Ackerhorizont bis in eine Tiefe von 0,46 m
und der darunterliegenden Lehmboden konnten hier beobachtet werden. Als Auslöser für
die Anomalie dürfte somit der Stein verantwortlich zu machen sein. Ob er als natürlicher
Bestandteil des Bodens aufzufassen ist oder
durch menschlichen Einfluss hierher gelangte,
bleibt unklar.
Anomalie an_107/08
Anomalie an_107/08 ist im Messbild bei +/- 3
nT als schwarzer Fleck von 1,9 m Durchmesser
sichtbar, der einen leichten weißen Hof nach
allen Seiten besitzt (Abb. 170). Dieser Hof allerdings ist bei +/- 24 nT nicht mehr sichtbar, während der Anomalienkern immer noch deutlich,
wenn auch mit 1,6 m Durchmesser geringfügig kleiner, in Erscheinung tritt. Im Bohrkern
war unter dem 0,37 m dicken Ackerhorizont
ein dreigeteiltes Schichtpaket nachzuweisen,
bevor ab 0,63 m der anstehende, schwach lehmige Sand gelblichbrauner Farbe auftrat. Das
dreigeteilte Schichtpaket bestand zwischen
0,37 und 0,52 m Tiefe aus einem Erdmaterial,
das mit dem des Ackerhorizontes vergleichbar
war, aber verdichteter wirkte. Es folgte zwischen 0,52 und 0,58 m Tiefe ein fast identischer
Horizont, der sich lediglich durch die etwas
dunklere Braunfärbung von den beiden vorangehenden Schichten unterschied. Kurz vor
dem anstehenden Boden war als dritte Schicht
ein gräulicher, leicht lehmiger Sand eingeschoben. Eine zweite Bohrung nur 1 m südlich
erbrachte einen identischen Schichtenaufbau. Eine dritte Kontrastbohrung 3 m südlich,
zeigte ebenfalls eine auffällige Schichtung im
Bohrkern. Hier war nach dem Ackerhorizont
zwischen 0,4 und 0,6 m wiederum ein dem
Oberboden vergleichbarer Horizont anzutreffen, der sich lediglich durch größere Dichte
von diesem abhob. Es folgte eine Schicht ähnlichen Bodens, der jedoch einen größeren Humusanteil aufwies. Er reichte bis in eine Tiefe
von 0,66 m, um von einem inhomogenen Horizont abgelöst zu werden, der bis in eine Tiefe
von 0,82 m aus humosem Erdmaterial bestand,
in das zahlreiche verklumpte Sandbröckchen
bräunlicher Farbe eingebettet waren. Es dürfte
sich um Eisenausfällungen handeln. Ab 0,82 m
Tiefe schließlich fand sich sandiger Boden, der
aufgrund der großen Nässe fast ganz aus der
Sonde „herausgeflossen“ war. Eine vierte Bohrung, die 2 m östlich der dritten Bohrung als
zusätzlicher Vergleich abgeteuft wurde, zeigte lediglich einen bis in eine Tiefe von 0,51 m
stark durchwurzelten Horizont, der wechselweise aus Sandschichten und humosem Boden
bestand und zwischen den 0,3 m dicken Ackerhorizont und den ab 0,52 m Tiefe anstehenden
gelblichbraunen Lehmboden eingebettet lag.
Die Ergebnisse der Bohrungen an Anomalie
an_107/08 lassen sich nicht klar interpretieren.
Da in keinem Horizont Anzeichen auf Fund-
Die Siedlungsforschungen
255
Abb. 170 Wiskiauten. Anomalien an_107/08 (links) und an_108/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild
mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m).
material oder Holzkohle angetroffen wurden,
lässt sich kein archäologischer Hintergrund
unterstellen. Die Bohrkerne bleiben jedoch
auffällig und sprechen für eine kleinräumige
Umlagerung von Bodenmaterial, die aber auch
natürlich verursacht sein kann.
Anomalie an_108/08
Die Anomalie an_108/08 wird bei einem
Messwert von +/- 3 nT durch einen schwarzen
Kern von 1,3 m Durchmesser bei rundlicher
Form angezeigt, der sich zu einem leichten
Grauschatten bei höheren nT-Werten verflüchtigt (Abb. 170). Die im Mittelpunkt abgetiefte
Bohrung konnte unter dem mit 0,5 m ungewöhnlich mächtigen Oberboden zunächst einen ebenfalls stark humosen Horizont bis 0,7
m Tiefe nachweisen. Zwischen 0,7 und 0,82
m trat ein sehr stark humoser, leicht lehmiger
Sand von schwarzbrauner Farbe auf, der jedoch keinerlei auffällige Einschlüsse enthielt.
Er wurde ab 0,82 m Tiefe vom anstehenden
rötlichbraunen Boden aus lehmigem Sand abgelöst. Die Kontrastbohrung 2 m östlich zeigte dagegen lediglich bis 0,6 m Tiefe humoses
Bodenmaterial, in dem keine echte Schichtentrennung möglich war, bevor auch hier der anstehende Boden in Erscheinung trat. Es könnte
sich bei dem auffälligen Horizont schwarzbrauner Farbe im ersten Bohrkern um Reste
eines archäologischen Befundes handeln, zu
dem aber keine Datierungshinweise vorliegen.
Mit großer Wahrscheinlichkeit aber ist diese
Schicht als Auslöser für die geomagnetische
Anomalie verantwortlich zu machen.
Anomalie an_113/08
Die bei einem Wert von +/- 3 nT als 1,5 m
großes Objekt schwarzer Farbe erkennbare
Anomalie an_113/08 (Abb. 171) liegt am süd-
lichen Rand von Messfläche I1. Sie verringert
ihre Größe bei einem Wert von +/- 24 nT auf
etwa 0,75 m und zeigt sich nurmehr als grauer
Schatten von unregelmäßiger Form. Eine im
Mittelpunkt abgetiefte Bohrung konnte unter
dem 0,3 m dicken Ackerhorizont eine dünne
Schicht bis 0,36 m Tiefe gleichen Erdmaterials nachweisen, die jedoch deutlich von rötlichen Eisenausfällungen gekennzeichnet war.
Zwischen 0,36 und 0,49 m folgte ein humoser
Horizont aus dunkelbraunem, lehmigem Sand,
der neben den rötlichen Eisenausfällungen
auch Manganausfällungen dunkler Farbe enthielt. Zwischen 0,49 und 0,62 m fand sich ein
mittelbrauner Lehm, der zusammen mit dem
darunter liegenden, grünlichen Mittelsand
schon als anstehender Boden eingestuft werden kann. Eine Kontrastbohrung 4 m östlich
erbrachte ein annähernd identisches Ergebnis.
Eine dritte Bohrung 3 m östlich, die somit zwischen den beiden ersten Bohrpunkten lag, ließ
die humosen Horizonte vermissen und zeigte
unter dem hier 0,5 m mächtigen Ackerhorizont
lediglich den gelblichbraunen, lehmigen Sand,
der den anstehenden Boden symbolisiert. Als
Auslöser für die Anomalie kommt zunächst
der Horizont mit den Eisenausfällungen in
Abb. 171 Wiskiauten. Anomalie an_113/08 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte
etwa 12 x 12 m).
256
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Frage. Allerdings ist an der Stelle, wo die erste
Kontrastbohrung den gleichen Horizont erbrachte, im Messbild keine Anomalie gleicher
Ausprägung erkennbar. Der eigentliche Grund
für eine magnetische Störung im Messbild
bleibt daher unbekannt. Ein archäologischer
Hintergrund ist nicht zu erkennen, aber auch
nicht pauschal auszuschließen.
C.4.4.9.2 Interpretation
Obwohl beide Teilbereiche von Messfläche
I einige Anomalien aufweisen, die nach der
optischen Auswertung der Messbilder als
verdächtig eingestuft wurden, erbrachten die
Bohrungen keine nennenswerten Hinweise auf
archäologische Objekte. Für die Anomalien an_
97/08, an_98/08, an_101/08 und an_102/08 ist
ein menschlicher Einfluss auszuschließen. Bei
den Objekten an_93/08, an_99/08, an_105/08,
an_106/08 sowie an_113/08 könnte es sich um
anthropogen verursachte Störungen im Messbild handeln. Genauso wahrscheinlich sind jedoch natürliche Prozesse, die den Anomalien
zugrunde liegen.
Auch die in Messfläche I1 im Sommer 2008 angelegte Fläche 18 mit den darin dokumentierten Tiergängen bzw. Steinen als Auslöser für
die Störungen im Messbild lässt darauf schließen, dass einer Vielzahl der Anomalien natürliche Phänomene zugrunde liegen. Nur die Ergebnisse aus der in Messfläche I2 angelegten
Fläche 17 lassen sich vorsichtig als Objekte von
archäologischer Relevanz deuten (zur Lage
vgl. Abb. 18). Hier wurden zwei Befunde freigelegt, die aufgrund ihrer dunklen Verfüllung
und des relativ hohen Anteils von Holzkohle
sowie geringen Resten von handgemachter
Keramik als archäologische Objekte eingestuft
werden können.
Die Ergebnisse der Prospektion im Bereich
von Messfläche I entsprechen im Großen und
Ganzen der negativen Erwartung, in diesem
Areal für die Fragestellung relevante Befunde
anzutreffen. Die naturräumlichen Vorraussetzungen für die Anlage einer Siedlung sind an
anderen Stellen günstiger. Ohne weitere Hinweise, beispielsweise in Form von prägnanten
Oberflächenfunden, kann der gesamte Bereich
als relativ unverdächtig eingestuft werden.
C.4.4.10 Messfläche J
In einem besonders interessanten Bereich mit
mehreren siedlungsgünstigen Faktoren liegt
Messfläche J (Taf. 96; zur Lage vgl. Abb. 66),
die sich in die beiden Teilflächen J1 und J2 untergliedert.
Die Messfläche befindet sich etwa 1000 m östlich des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten
auf sandigem Gelände, das sich entlang der
ehemaligen Uferkante der vermuteten Wasserfläche und rund um die halbinselartige Sandkuppe Palve erstreckt. Auf der Palve vermutete
Kleemann (1939b, 225 „Fundstelle Wosegau 6“;
vgl. Abb. 144) aufgrund von Oberflächenfunden eine endneolithische, schnurkeramische
Siedlung. Am Nordufer eines kleinen Baches,
der als drainierter Wasserlauf knapp östlich
des heutigen Dorfes Mohovoe entspringt und
parallel zum Südrand von Messfläche G in
westlicher Richtung zunächst unter der Bahnlinie durchfließt, dann auf die ehemalige Wasserfläche zumäandriert und südlich der Palve
in die noch heute vernässte Niederungsfläche
mündet, liegt Fläche 5 (vgl. Abb. 183).
Hier konnten im Jahr 2007 auf einer Fläche von
2 x 3 m insgesamt drei Siedlungshorizonte des
7. und 8. Jahrhunderts dokumentiert werden
(vgl. Kap. C.5.4), die zusammen mit mehreren Bohrungen und Oberflächenfunden in der
Umgebung Hinweise auf eine größere Siedlung dieser Zeitstellung lieferten. Im Sommer
2008 wurden auf der Palve selbst die beiden
Grabungsschnitte Fläche 9 und Fläche 10 angelegt. Sie erbrachten Befunde des 5. und 6. Jahrhunderts, aber mit 14C-Daten aus dem Neolithikum und der Bronzezeit auch wesentlich
frühere Siedlungsspuren. In einem Sondageschnitt S 8/9 sind bronzezeitliche, eisenzeitliche und völkerwanderungszeitliche Kulturschichten dokumentiert worden, während aus
den beiden Sondagen S 15 und S 16 14C-Daten
aus dem 8.–10. Jahrhundert vorliegen. Der gesamte Bereich scheint also in verschiedenen
archäologischen Epochen als Siedlungsstelle
genutzt worden zu sein. Hintergrund ist vermutlich die räumliche Nähe zur ehemaligen
Wasserfläche, der Zugang zu einem fließenden
Süßwasser und vielleicht auch der gut drainierende Sandboden, der für die Errichtung von
Gebäuden gute Bedingungen offeriert. Gleichzeitig bietet die Palve eine erhöhte Geländeposition, die bei Überflutungen eine relative
Die Siedlungsforschungen
Hochwasserfreiheit garantiert und auch verteidigungstechnisch einige Vorteile bietet, da
der Zugang an drei Seiten nur von der Wasserseite her möglich war.
Messfläche J teilt sich in zwei durch den
kleinen Bachlauf räumlich getrennte Areale.
Nördlich des Baches liegt als 180 m langes und
maximal 50 m breites Rechteck Messfläche
J1, in der bereits im März 2007 Radarfläche 8
angelegt wurde (Abb. 172). Zudem befinden
sich die Sondagen S 8 bis S 11 und der Sondageschnitt S 8/9 aus dem Jahr 2008 in diesem Bereich. Messfläche J1 zeigt sehr wenige
auffällige Anomalien, von denen keine durch
Bohrungen überprüft wurde.
Rund um die im Durchmesser etwa 260 m große Palve herum, die in ihrem Zentrum durch
ein dort vorhandenes Viehgatter nicht zugänglich ist, erstreckt sich Messfläche J2. Während
der südliche Randbereich ununtersucht blieb,
umschließt Messfläche J2 die Palve im Westen,
Osten und Norden mit jeweils unterschiedlich großen Teilflächen, die hier jedoch keine
zusätzlich Benennung erhalten. An weiterführenden Untersuchungen sind in Messfläche J2
bereits im März 2007 Radarfläche 7 im nördlichen Randbereich, im Sommer 2008 die Grabungsschnitte Fläche 9 und Fläche 10 im östlichen Teil und die Sondagen S 3 bis S 7 und S 15
im Westen und Norden angelegt worden (vgl.
Abb. 183).
C.4.4.10.1 Messfläche J1
In der 180 m langen und 50 m breiten Teilfläche J1, die nordsüdlich ausgerichtet etwa 50
m nördlich von Fläche 5 beginnt, sind kaum
nennenswerte Anomalien auszumachen. Der
nördliche und der südliche Bereich werden
durch einige größere Dipole gekennzeichnet,
die locker verteilt in der Fläche liegen, während der mittlere Bereich sehr ruhig wirkt. Im
südlichen Messbildbereich befindet sich Radarfläche 8, die sich mit einer Größe von 10
x 20 m als Rechteck vom südlichen Messbildrand in Richtung Norden erstreckt. In den Radarbildern, in diesem Falle in den als Aufsicht
zu verstehenden time-slices, sind bis zu einer
geschätzten Tiefe von 0,6 m nur vereinzelte
punktuelle Anomalien sichtbar, die unregelmäßig über die gemessene Fläche verteilt sind
(Abb. 173). Ab 0,75 m Tiefe (Abb. 173, e) aber
kristallisieren sich drei prägnante Strukturen
257
heraus. So liegt nun im Nordwesten eine größere schwarze Anomalie, die bei einer Größe
von 2,2 x 1,1 m in die nördliche Messbildkante
hineinläuft. Genau in der Mitte der südlichen
Messbildhälfte liegt eine Gruppe mehrerer
kleiner Anomalien, die zusammen eine Fläche
von 3,3 x 2,2 m bedecken. Gleichzeitig beginnt
sich in der Mitte der Radarfläche eine Struktur
abzuzeichnen, die auf einer Breite von etwa 4,3
m das gesamte Messbild in westöstlicher Richtung quert. Während die südliche Anomaliengruppe ab einer Tiefe von 0,9 m (Abb. 173, f)
wieder an Deutlichkeit abnimmt, gewinnen
die mittlere und die nördliche Struktur etwas
an Klarheit und wachsen als mehr oder weniger einheitlich schwarz gefärbte Fläche zusammen. Ab einer Tiefe von 1,2 m (Abb. 173,
h) lösen sich alle Strukturen wieder in kleinere Einzelanomalien auf, eine flächendeckende
Schwarzfärbung ist nun nicht mehr sichtbar.
Es ist schwierig, die flächigen Radarbilder
ohne weitere Daten zu interpretieren. Deshalb
wurden in Radarfläche 8 insgesamt drei kleine
Sondageschnitte S 8 bis S 10 mit einer Größe
von 1 x 1 m angelegt (zur Lage aller Sondagen
vgl. Abb. 174). Da sich in Sondage S 8 im Gegensatz zu Sondage S 9 in allen Profilen ein
deutliches Kulturschichtenpaket zeigte, das
auf den ersten Blick deutliche Übereinstimmung mit den in Fläche 5 dokumentierten
Siedlungsschichten des 7. und 8. Jahrhunderts
aufzuweisen schien, sind die beiden Sondagen
durch einen 14,75 m langen Sondagegraben S
8/9 verbunden worden. Es zeigte sich, dass die
in Sondage S 8 so deutlich erkennbaren Siedlungshorizonte nach etwa 4,5 m in nördlicher
Richtung langsam ausliefen. Lediglich eine unter dem Ackerhorizont liegende Schicht leicht
gräulichen Bodenmaterials war bis zum Anschlussprofil an Sondage S 9 zu verfolgen. Es
zeigte sich allerdings, dass sich keine Übereinstimmung zu den in den Georadarbildern erkennbaren Strukturen feststellen ließ, so dass
beide Methoden in diesem Fall nicht sinnvoll
miteinander verknüpft werden können.
Besonders interessant ist der Schichtenaufbau
in Sondage S 8. Unter dem Ackerhorizont von
ca. 0,3 m Dicke und einer fundleeren, nicht
klar anzusprechenden Schicht darunter zwischen 0,3 und 0,5 m sind insgesamt drei gräuliche Erdschichten dokumentiert worden, die
teilweise Keramikfragmente und Tierknochen
258
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 172 Wiskiauten. Messfläche J. Durch Bohrungen überprüfte Anomalien sowie Radarflächen 7 und 8
(grüne Kästen; im Norden Radarfläche 8, im Süden Radarfläche 7).
enthielten. Sie können als Siedlungshorizonte
interpretiert werden.
Aus dem untersten Horizont, etwa zwischen
0,7 und 0,9 m Tiefe, stammt eine Holzkohle-
probe, die über die 14C-Analyse in die Bronzezeit310 datiert werden konnte. Eine Probe aus
KIA 37098: Radiocarbon Age: BP 2864 ± 32, OneSigma-Range: cal BC 1113-980, Two-Sigma-Range:
310
Die Siedlungsforschungen
259
Abb. 173 Wiskiauten. Radarfläche 8 (Größe 20 x 10 m), Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a
– 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte).
dem darüberliegenden Horizont zwischen 0,6
und 0,7 m Tiefe lieferte ein 14C-Datum, das in
die Vorrömische Eisenzeit311 weist. Aus dem
obersten Siedlungshorizont liegt eine 14C-Datierung vor, die bestätigt, dass hier auch mit
Siedlungsspuren des 6.–10. Jahrhunderts312 zu
rechnen ist.
Sondage S 9, die nördlich von Sondage S 8
liegt und mit dieser durch den 14,75 m langen Suchgraben S 8/9 verbunden ist, ließ nur
einen unter dem Ackerhorizont befindlichen
Horizont leicht graubrauner Färbung erkennen, der vermutlich anthropogen entstanden
ist und als schwach ausgeprägte Kulturschicht
unbekannter Zeitstellung verstanden werden
muss.
Auch Sondage S 10 befindet sich innerhalb der
Radarfläche 8. In ihr zeigte sich unter dem Ackerhorizont eine sehr stark gestörte Schicht
dunkelbraunen Erdmaterials, die wenige
Scherben handgemachter Keramik enthielt.
Der bislang undatierte, vermutlich als Rest
einer Kulturschicht zu interpretierende Horizont lässt sich in Bezug auf Zusammensetzung,
Farbe und Fundmaterial mit der in Sondage S
8 in dieser Tiefe dokumentierten Schicht vergleichen und dürfte mit dieser gleichzeitig sein.
Dadurch ergäbe sich ebenfalls eine Datierung
ins 6.–10. Jahrhundert.
Eine weitere Sondage S 11 liegt 40 m nördlich
von Sondage S 9 in Messfläche J1. Sie enthielt
keine eindeutigen Hinweise auf Siedlungsakcal BC 1129-924.
KIA 37097: Radiocarbon Age: BP 2382 +/- 29, OneSigma-Range: cal BC 507-398, Two-Sigma-Range:
cal BC 706-392.
311
KIA 37096: Radiocarbon Age: BP 1274 +/- 107,
One-Sigma-Range cal AD 659-831, Two-SigmaRange: cal AD 591-988.
312
tivitäten. Es deutet sich an, dass vermehrt im
südlichen Bereich von Messfläche J1 mit archäologischen Befunden aus der Bronzezeit,
Eisenzeit und besonders der zweiten Hälfte
des ersten nachchristlichen Jahrtausends gerechnet werden muss.
C.4.4.10.2 Messfläche J2
Wesentlich mehr Anomalien enthält die etwa
1,8 ha große Messfläche J2 auf der halbinselartigen Sandkuppe Palve (Abb. 174). Sie umschließt die in die Niederung vorgeschobene,
etwa 2,5 m hohe Geländeerhöhung als nach
Süden offenes U. Der Mittelteil und somit die
höchste Stelle der Palve sind aufgrund eines
Viehgatters nicht zugänglich. Im Norden liegt
Radarfläche 7 mit einer Größe von 10 x 20 m.
Neben einigen größeren Dipolkonzentrationen im nordöstlichen Teil der Messfläche sowie im westlichen Bereich am Ausgang des
Viehgatters fallen einige größere Anomalien
auf, die unregelmäßig über das gesamte Areal
verteilt liegen. Eine kleine Konzentration von
fünf Anomalien findet sich ganz im Südosten
der Messfläche. Hier ist auch ein Teil einer linearen Struktur aus einzelnen Dipolen im Abstand von jeweils etwa 2 m zueinander erkennbar, die sich zusammen mit einer gleichartigen,
jedoch viel längeren Anomalie im Nordosten
fast ringförmig um den östlichen Teil der Palve herumzieht. Durch die im Sommer 2008 angelegte Fläche 10 konnte als Grund für diese
Anomalie ein Stacheldrahtzaun ermittelt werden, der knapp unter der Oberfläche angetroffen wurde.
Durch Bohrungen sind zu insgesamt fünf
Anomalien Daten gewonnen worden, die in
vier Fällen positive Ergebnisse erbrachten (zur
Lage vgl. Abb. 172). Innerhalb von Messfläche
260
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 174 Wiskiauten. Messfläche J. Lage der Sondagen des Jahres 2008 und Radarflächen 7 (grüner Kasten
unten) und 8 (grünerKasten oben) im Umfeld der Palve.
J2 befinden sich auch die im Sommer 2008 angelegten Sondagen S 3 bis S 7 und S 15 (zur
Lage vgl. Abb. 174). In den Sondagen S 3 bis
S 5 im westlichen Bereich der Messfläche sowie den Sondagen S 6 im nördlichen Teil und
S 7 auf der höchsten Stelle der Palve sind keinerlei auffällige Bodenhorizonte angetroffen
worden. Insbesondere in Zusammenhang
mit der nur etwa 50 m südlich dieser beiden
Sondagen gelegenen, im Jahr 2007 geöffneten
Fläche 5 nördlich des Bachlaufes ist dieses Ergebnis überraschend, da die dort sehr stark
ausgeprägten Kulturhorizonte des 7. und 8.
Jahrhunderts auch südlich des Baches zu erwarten gewesen wären. Zusätzlich ist auf der
Südseite des Baches in dessen unmittelbarem
Uferbereich eine Konzentration von Keramikscherben ähnlicher Machart wie diejenigen aus
Fläche 5 an der Oberfläche beobachtet worden.
Sie treten bis etwa 15 m südlich des Bachlaufes
auf, bevor die dichte Grasdecke eine Auffindung unmöglich macht. Die Abwesenheit von
entsprechenden Siedlungshorizonten in den
genannten Sondagen deutet darauf hin, dass
dieser Bereich entweder nicht in das Siedlungsgeschehen einbezogen war oder die Siedlungsspuren hier völlig vernichtet sind. Vereinzelt
weist eine Zone schwarz gefärbter rundlicher
Einschlüsse in einer hellbraunen Sandschicht
unter dem humos beeinflussten Oberboden in
den Sondagen S 3 bis S 5 darauf hin, dass ein
möglicher Siedlungshorizont durch Bioturba-
Die Siedlungsforschungen
261
Abb. 175 Wiskiauten. Radarfläche 7 (Größe 20 x 10 m), Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a
– 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte).
tionen zerstört worden sein könnte.
Besonders interessant sind die Ergebnisse aus
Sondageschnitt S 15, der etwa 10 m südlich des
kleinen Bachlaufes auf der Nordseite der Palve
angelegt wurde. Unter dem 0,3 m mächtigen
Ackerhorizont ließen sich über dem ab 0,9 m
Tiefe anstehenden, ungestörten Sanduntergrund insgesamt sieben Horizonte unterscheiden, von denen mindestens drei deutliche Kulturanzeiger in Form von Tierknochen und seltener auch Keramikscherben aufwiesen. Aus
dem obersten Horizont liegt eine 14C-datierte
Holzkohleprobe vor, die als Entstehungszeit
das 8.–10. Jahrhundert313 vermuten lässt. Durch
dieses Ergebnis wird erneut deutlich, dass in
diesem Bereich mit Kulturhorizonten auch aus
dem Frühmittelalter gerechnet werden muss,
die in der Umgebung bereits durch Pflugtätigkeiten zerstört sein könnten. Lediglich an den
durch Pflugarbeiten weniger betroffenen Stellen, wie sie der feuchte, zum Pflügen ungünstige Bereich südlich des Baches darstellt, in dem
Sondage S 15 liegt, könnte sich diese bislang
jüngste Kulturschicht auf der Palve erhalten
haben. Eine Bestätigung für diese Annahme
liefert Sondage S 16 auf der gegenüberliegenden Seite des Bachlaufes. Auch hier, etwa 20 m
nördlich des Baches und etwa 35 m nördlich
von Sondage S 15 sind Kulturschichten aus
dem 9.–11. Jahrhundert314 dokumentiert worden, die Tierknochen enthielten.
In der nur 5 m östlich von Sondage S 15 entKIA 37242: Radiocarbon Age: BP 1171 +/- 27, OneSigma-Range: cal AD 782-892, Two-Sigma-Range:
cal AD 776-961.
313
KIA 37245: Radiocarbon Age: BP 1063 +/- 23, OneSigma-Range: cal AD 974-1016, Two-Sigma-Range:
cal AD 898-1021.
314
fernten, am nördlichen Rand der Palve positionierten Radarfläche 7 mit einer Größe von 10 x
20 m bei etwa nord-südlicher Ausrichtung sind
bis in eine Tiefe von 0,3 keine Auffälligkeiten
erkennbar (vgl. Abb. 175, a-b). Ab 0,45 m Tiefe
(Abb. 175, c) beginnt sich in der Nordwestecke
eine Anomalie abzuzeichnen, die auch in den
geomagnetischen Bildern hervortritt. Bis in
eine Tiefe von 0,6 m (Abb. 175, d) ist sie als abgegrenzte Anomalie sichtbar, bevor sie in einer
großräumigen Schwarzfärbung im nördlichen
Radarflächenbereich aufgeht. Die Radarbilder
zeigen nun einen nördlichen, dunkel gefärbten Bereich und einen hellgrauen Bereich im
Süden, der relativ ruhig und ungestört wirkt.
Erst ab einer Tiefe von 1,05 m (Abb. 175, g) beginnt sich auch hier in der Südwestecke eine
kleine schwarze Anomalie abzuzeichnen. Ihr
tritt ab einer Tiefe von 1,2 m (Abb. 175, m) eine
zweite Anomalie westlich an die Seite, während gleichzeitig der nördliche Bereich wieder
hellgrau erscheint und keine deutlichen Anomalien mehr zeigt. Bis in eine Tiefe von 1,6 m
(Abb. 175, j) bleibt die westliche der beiden
südlichen Strukturen noch schwach erkennbar, während die östliche schon bei einer Tiefe
von 1,45 m (Abb. 175, i) nicht mehr sichtbar ist.
Mit den geomagnetischen Bildern lassen sich
die Ergebnisse der Radarmessungen nicht verknüpfen. Ohne weitere Untersuchungen sind
Ursache und Entstehung der Anomalien in Radarfläche 7 nicht zu klären. Es scheint sich jedoch anzudeuten, dass mögliche Siedlungsobjekte im Norden der Radarfläche tiefer liegen
als im Süden. Das entspräche der Geländesituation, denn auch die Palve fällt in Richtung
Bachlauf ab.
262
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 176 Wiskiauten. Anomalien an_127/08 (links) und an_128/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild
mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
C.4.4.10.2 Durch Bohrungen überprüfte
Einzelanomalien
Anomalie an_127/08
Eine Aneinanderreihung von mehreren Dipolen im südöstlichen Randbereich der Palve
wurde als Anomalie an_127/08 benannt (Abb.
176). Auf einer Strecke von 25 m liegen diese
Dipole in einer geraden Linie in nordost-südwestlicher Ausrichtung.
Eine gleichartige, aber längere Struktur befindet sich im nordöstlichen Randbereich der Palve. Sie scheint sich am Rand der Sandkuppe
entlang zu ziehen. Am Anfangs- und am Endpunkt dieser linearen Struktur wurden zwei
Bohrungen abgetieft. Sie zeigten unter dem
Ackerhorizont von 0,4 m Dicke zunächst eine
ähnliche Schicht sandigen, leicht humosen
Erdmaterials, die ebenfalls noch zum Ackerhorizont gehören könnte, aber etwas dichter war
als der Oberboden und durch die dunklere
Färbung einen höheren Humusgehalt anzeigte.
Zwischen 0,6 und 0,82 m Tiefe folgte ein stark
humoser, dunkelbraun bis schwarzbraun gefärbter Horizont, der Rotlehmpartikel enthielt.
Durch die in der Mitte der Dipolreihung im
Sommer 2008 angelegte Fläche 10 ist bewiesen,
dass diese lineare Anomalie das Ergebnis eines
Stacheldrahtzaunes ist, der oberflächennah in
den Ackerhorizont eingebettet lag und offenbar die gesamte Palve umschlossen hat. Ein archäologischer Hintergrund liegt nicht vor. Allerdings sind die dunkelbraunen bis schwarzbraunen Erdschichten zwischen 0,6 und 0,8 m
Tiefe als Siedlungshorizonte zu werten, da sie
auch in Fläche 10 dokumentiert werden konnten. Hier allerdings fanden sich mehrere anthropogen beeinflusste Schichten, aus denen
zwei 14C-Datierungen aus dem Neolithikum315
KIA 37090: Radiocarbon Age: BP 4530 +/- 33, OneSigma-Range: cal BC 3356-3117, Two-Sigma-Range:
315
und der Bronzezeit316 vorliegen. In diesem Bereich ist daher mit flächigen Siedlungsschichten aus den genannten Zeiträumen zu rechnen.
Siedlungsspuren der zweiten Hälfte des ersten
nachchristlichen Jahrtausends fanden sich in
diesem Grabungsschnitt nur in Form von wenigen Keramikscherben, die denen aus den anderen Ausgrabungsflächen in diesem Bereich,
die eindeutig in diese Zeit datiert werden können, sehr ähnlich sind. Ihre Ansprache ist jedoch aufgrund der Gleichförmigkeit der meist
stark fragmentierten Scherben sehr unsicher.
Anomalie an_128/08
Die Anomalie an_128/08 gehört zusammen mit
den Anomalien an_129/08 und an_130/08 zu einer kleinen Gruppe von mehreren Objekten im
südöstlichen Randbereich der Palve. Bei einem
Wert von +/- 3 nT gibt sie sich im geomagnetischen Messbild als amorphe Anomalie von 3 x
2,8 m Größe zu erkennen (Abb. 176). Auch bei
einem Wert von +/- 24 nT ist sie noch deutlich
als dunkelgraue Verfärbung von 1,7 m Durchmesser zu erkennen. Die Bohrung im Anomalienmittelpunkt offenbarte eine klare anthropogene Beeinflussung bis in eine Tiefe von
1,62 m, die damit deutlich tiefer ging als die
im Zusammenhang mit der Überprüfung der
linearen Struktur an_127/08 in der Umgebung
nachgewiesenen Siedlungshorizonte, die nur
bis in eine Tiefe von 0,8 m auftraten. Auch eine
Kontrastbohrung 5 m westlich zeigte nur eine
dünne Kulturschicht zwischen 0,57 und 0,66
m Tiefe. Somit handelt es sich bei Anomalie
an_128/08 mit großer Wahrscheinlichkeit um
einen grubenartigen Befund, innerhalb descal BC 3361-3102.
KIA 37091: Radiocarbon Age: BP 2915 +/- 27, OneSigma-Range: cal BC 1190-1049, Two-Sigma-Range:
cal BC 1248-1013.
316
Die Siedlungsforschungen
263
Abb. 177 Wiskiauten. Anomalien an_129/08 (links) und an_130/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild
mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
sen mehrere unterschiedliche Verfüllschichten
vorliegen. Unter dem mit 0,6 m ungewöhnlich
mächtigen Ackerhorizont, der sich nicht in einzelne Schichten aufgliedern ließ, fand sich zunächst bis in eine Tiefe von 0,8 m eine dunkelbraune, mit Holzkohlepartikeln angereicherte
Erdschicht, die wesentlich dichter als der darüberliegende Horizont war. Zwischen 0,8 und
0,9 m nahm der Humusgehalt des sandigen Bodens bei gleichzeitiger Veränderung der Farbe,
die nun schwärzer wirkte, zu. Neben den vielen Holzkohlestückchen enthielt der Bohrkern
nun auch Rotlehmstückchen bis zu einer Größe von 10 mm. Als dritter Horizont konnte ein
bis in eine Tiefe von 1,45 m hinabreichender,
schwarz gefärbter Bodenhorizont mit hohem
Anteil von Holzkohle und Rotlehmstückchen
nachgewiesen werden. Das gleiche Erdmaterial fand sich nach einem Zwischenhorizont
aus hellbraunem bis hellgrauem Sand ohne
erkennbare Einschlüsse zwischen 1,45 und
1,56 m in genau gleicher Zusammensetzung
nochmals zwischen 1,56 und 1,62 m Tiefe. Ob
hier eventuell durch einen Tiergang Erdmaterial aus der schwarzen Schicht in den ab 1,62
m Tiefe anstehenden, hellbraunen Sandboden
eingebettet worden ist oder ob der sandige
Zwischenhorizont durch menschliche Tätigkeiten entstanden ist, lässt sich nicht sicher
entscheiden. Aus dem schwarzen Horizont
wurden dem Bohrkern aus einer Tiefe von 1,3
m sowie aus dem Bereich zwischen 1,36 und
1,42 m zwei Holzkohleproben entnommen, die
für den Befund eine Datierung in die Zeit des
5.–7. Jahrhunderts 317 nahelegen.
KIA 36099: Radiocarbon Age: BP 1517 +/- 24, OneSigma-Range: cal AD 538-590, Two-Sigma-Range:
cal AD 435-608; KIA 36100: Radiocarbon Age: BP
1517 +/- 17, One-Sigma-Range: cal AD 540-575, TwoSigma-Range: cal AD 443-602.
317
Anomalie an_129/08
Bei Anomalie an_129/08 handelt es sich um
eine schwach magnetische, ovale Struktur von
1,7 x 0,8 m Größe, die lediglich bei einem Wert
von +/- 1,5 nT deutlich erkennbar ist (Abb.
177). Bei höheren Werten tritt sie nur noch als
schwach graue Verfärbung in Erscheinung. Die
Bohrung zur Überprüfung hat eventuell durch
einen Messfehler nur den südlichen Randbereich der nordwest-südöstlich ausgerichteten,
ovalen Anomalie getroffen. Hier konnte ein
mit einer Mächtigkeit von 0,58 m relativ dicker
Ackerhorizont nachgewiesen werden, dem bis
in eine Tiefe von 0,75 m eine Schicht ebenfalls
stark humosen Erdmaterials folgte.
Sie ließ sich, abgesehen von der höheren Dichte, kaum vom darüberliegenden Horizont unterscheiden. Erst in einer Tiefe zwischen 0,75
und 0,88 m war eine dunkelbraune, stark humose Erdschicht mit Holzkohle und Rotlehmpartikeln zu erkennen, die auf anthropogenen Einfluss zurückzuführen sein dürfte. Ein
kleines Band aus grünlichem Sand zwischen
0,88 und 0,9 m grenzte den vermutlichen Siedlungshorizont von dem darunter anstehenden
gelblichen Sandboden ab. Es ist davon auszugehen, dass die Bohrungen den Anomalienmittelpunkt nicht richtig getroffen haben. Die
nachgewiesenen Kulturschichten dürften wie
die in den Bohrungen zur linearen Anomalie
an_129/08 belegten auffälligen Schichtungen
auf allgemeine menschliche Siedlungstätigkeiten zurückzuführen sein, für die zunächst eine
Datierung in die Steinzeit, Bronzezeit oder
analog zu Anomalie an_128/08 das 5.–7. Jahrhundert oder zu Anomalie an_130/08 das 6.–7.
Jahrhundert in Frage kommt. Eine aus dem
Horizont zwischen 0,75–0,88 m Tiefe entnommene Holzkohleprobe erbrachte jedoch ein
14
C-Datum, das für die nachgewiesene Schicht
264
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
eine Datierung in das 4.–6. Jahrhundert318 nahelegt.
Anomalie an_130/08
Eines der interessantesten Objekte stellt die
mittlerweile durch Ausgrabungen überprüfte
Anomalie an_130/08 dar (Abb. 177). Sie zeigt
sich im Messbild bei einem Wert von +/- 3
nT als rundlicher schwarzer Fleck von 2,2 m
Durchmesser. Bei einem Wert von +/- 24 nT ist
nur noch eine gräuliche Verfärbung von 1,8
m Durchmesser erkennbar. Unter dem 0,5 m
mächtigen Ackerhorizont folgte im Bohrkern
zunächst eine gleichartige Schicht bis in eine
Tiefe von 0,75 m, die jedoch dichter war. Ab
0,75 zeigte sich ein gräulicher Sand mit zahlreichen kleinen Holzkohlestückchen und Rotlehmpartikeln, der ab 0,95 m von einer bräunlichen, stark humosen Erde abgelöst wurde.
Diese Schicht, die bis zum anstehenden, grünlichgrauen Sandboden in 1,2 m Tiefe unverändert blieb, wirkte fast torfartig. Ein 14C-Datum
aus einer Tiefe zwischen 0,8 und 0,9 m ließ
schon vor der Ausgrabung eine Datierung in
den Zeitraum zwischen 550 und 637319 vermuten. Im Sommer 2008 erfolgte die Überprüfung
dieser Anomalie durch Fläche 9. In der 3 x 3
m großen Grabungsfläche fand sich unter dem
Ackerhorizont eine ovale, schwärzlich verfüllte Grube mit zahlreichen Schlackefragmenten
und einigen handgemachten, einfachen Keramikscherben. In die Verfüllung der Grube
war auch ein Tierkiefer eingebettet, von dem
lediglich die Zähne erhalten waren. Diese Beobachtung spricht dafür, dass es sich um eine
Grube aus Siedlungszusammenhängen handelt, die zumindest sekundär zur Abfallentsorgung gedient hat. Das Vorhandensein der
Zähne, die ihrer Position nach zu urteilen zusammen mit dem bei der Auffindung bereits
vollständig vergangenen Kiefer in die Grube
gelangten, deutet darauf hin, dass die Grube
wesentlich mehr Tierknochen enthalten haben
könnte, diese aber nicht mehr nachweisbar
sind. Phosphatmessungen innerhalb und außerhalb der Grubengrenzen führten jedoch zu
KIA 36101: Radiocarbon Age: BP 1626 +/- 21, OneSigma-Range: cal AD 396-526, Two-Sigma-Range:
cal AD 385-533.
318
KIA 36102: Radiocarbon Age: BP 1461 +/- 26, OneSigma-Range: cal AD 583-634, Two-Sigma-Range:
cal AD 558-646.
319
keinem nennenswerten Ergebnis. Die Werte
aus der Grubenverfüllung waren ähnlich hoch
wie die aus den umgebenden Kulturschichten
und aus dem darunterliegenden natürlichen
Boden. Bei einer erhöhten Anzahl von vergangenen Tierknochen im Grubenbefund selbst
wären hier extrem hohe Werte zu erwarten.
Aus der Grubenfüllung stammt eine weitere
datierte Holzkohleprobe, welche die zeitliche
Einordnung des Befundes zusätzlich absichert.
Sie lieferte ein Datum aus der Zeit zwischen
558 und 646320, was mit dem ersten 14C-Datum
aus dem Bohrkern übereinstimmt. Mit Sicherheit liegt hier ein Befund des 6. oder 7. Jahrhundert vor, der zusammen mit Anomalie
an_128/08 und den durch die Bohrungen zu
Anomalie an_129/08 nachgewiesenen Kulturschichten der Palve zu einem Siedlungskomplex des 5.–7. Jahrhunderts gehört.
Anomalie an_134/08
Keine eindeutigen Kulturschichten erbrachten
die Bohrungen an Anomalie an_134/08, die
sich im nördlichen Bereich der Palve befindet.
Sie zeigt sich bei einem Wert von +/- 3 nT als
ovales Objekt von 2,2 x 1,5 m bei nordsüdlicher
Ausrichtung und weist im Osten einen weißlichen Hof auf (Abb. 178). Die Tatsache, dass die
Anomalie bei einem Messwert von +/- 24 nT
immer noch durchgehend schwarz bleibt und
sich lediglich die Größe auf 1,6 x 1,2 m verringert, könnte dafür sprechen, dass es sich um
einen Dipol handelt.
Ähnliche Objekte finden sich auf der Palve
auch innerhalb der linearen, aus mehreren
Dipolen bestehenden Struktur, die rings um
die Sandkuppe herum verläuft und die von
einem Stacheldrahtzaun ausgelöst wurde (vgl.
Kap. C.4.4.10.2). Einige dieser der Dipole lassen bei einer Darstellung mit einem Messwert
von +/- 24 nT gleichfalls den weißen Teil der
Anomalie vermissen. Tatsächlich sind durch
die Bohrungen kaum nennenswerte Schichtungen dokumentiert worden. Unter dem
Ackerhorizont, der bis in eine Tiefe von 0,4 m
nachweisbar war, fand sich eine leicht humose
Erdschicht dunkelbrauner Farbe, die lediglich
etwas dichter war als der Oberboden und zusätzlich einige sehr kleine Holzkohlestückchen
KIA 37088: Radiocarbon Age: BP 1476 +/- 22, OneSigma-Range: cal AD 566-611, Two-Sigma-Range:
cal AD 550-637.
320
Die Siedlungsforschungen
Abb. 178 Wiskiauten. Anomalie an_134/08 im
geomagnetischen Messbild mit verschiedenen
Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt
etwa 12 x 12 m).
enthielt. Sie reichte bis in eine Tiefe von 0,62 m,
um dann vom anstehenden Sandboden abgelöst zu werden. In einer Kontrastbohrung, die
2 m östlich angelegt wurde, fand sich die gleiche Schicht in einer Tiefe zwischen 0,55 und
0,8 m unter dem darüberliegenden, in zwei
Horizonte zu unterteilenden Ackerboden. Ein
archäologisches Objekt liegt hier nicht vor. Ob
die holzkohleenthaltende Schicht als Kulturschicht anzusprechen ist, kann ohne weitere
Untersuchungen nicht geklärt werden.
C.4.4.10.3 Interpretation
265
thropogen beeinflussten Horizont ein 14C-Datum in die Jahre zwischen 898 und 1021322
Die Dichte an archäologischen Funden und
Siedlungsresten liegt offenbar in der besonderen, aus der Niederungsfläche hervorgehobenen Position der Palve und der Nähe zu diesem offenen Wasser begründet. Gleichzeitig
ist mit dem kleinen Bachlauf fließendes Süßwasser vorhanden, das diesen „Uferstreifen“
mit seinen für Siedlungen ohnehin günstigen
Sandböden in westöstlicher Richtung quert.
Zusammen mit den Messflächen G und K bildet Messfläche J in Bezug auf die Fragestellung
dieser Studie einen der interessantesten Bereiche im Umfeld der Hügelgräbernekropole von
Wiskiauten. Mit großer Wahrscheinlichkeit
liegt in den drei Messflächen eine Siedlung
des 7. und 8. Jahrhunderts, deren Wurzeln in
vorangehende Jahrhunderte zurückreichen
könnte. Insbesondere drei 14C-Datierungen
aus Anomalien in der südöstlichen Uferzone
der Palve weisen in die Zeit des späten 4. und
frühen 7. Jahrhunderts, wobei es sich hierbei
um eine abgegrenzte Gruppe von Befunden einer Siedlung handelt, die möglicherweise im 7.
Jahrhundert schon nicht mehr zu besteht. Denn
nur das 14C-Datum aus Anomalie an_129/08
reicht bis in die Mitte des 7. Jahrhunderts, die
drei anderen enden spätestens um 608.
Neben dieser frühen Siedlungsphase deutet sich im nördlichen Bereich der Palve eine
Siedlungsaktivität im 9. oder 10. Jahrhundert
an, die sich jedoch bislang durch die Kulturhorizonte in den Sondagen S 15 und S 16 nur
ansatzweise zu erkennen gibt.
In Messfläche J häufen sich Hinweise auf Siedlungsaktivitäten unterschiedlicher archäologischer Epochen. So sind durch die Ausgrabungen im Sommer 2008 in Fläche 10 neolithische
und bronzezeitliche Kulturschichten belegt.
In Sondage S 8 und Suchschnitt S 8/9 liegen
offenbar bronzezeitliche, eisenzeitliche und
völkerwanderungszeitliche Siedlungsreste im
Boden. Anomalie an_128/08 beweist ebenfalls
die Existenz von Befunden aus dem 5.–7. Jahrhundert.
In Fläche 5 sind bereits im Jahr 2007 Kulturhorizonte des 7. und 8. Jahrhunderts dokumentiert worden, während Sondage S 15 auch auf
wikingerzeitliche Siedlungsspuren des 9. und
10. Jahrhunderts hoffen lässt, da eine Holzkohleprobe aus einem hier dokumentierten Siedlungshorizont eine Datierung in die Zeit zwischen 776 und 961321 erbrachte. In die gleiche
Zeit weist eine 14C-Datierung aus Sondage S
16 nur etwa 35 m weiter nördlich. Hier lieferte
eine Holzkohleprobe aus einem deutlich an-
Messfläche K (Taf. 97; zur Lage vgl. Abb. 66)
besteht aus den drei Einzelmessflächen K1–K3.
Alle drei Messeinheiten liegen östlich des Gräberfeldes von Wiskiauten südlich des dort verlaufenden Baches, der Messfläche G südlich begleitet und in Richtung von Messfläche J fließt,
um am Nordrand der Palve in die vernässte
Niederung zu münden. Das Gelände ist durch
ein starkes Relief gekennzeichnet, weshalb
hier auf den Einsatz des Traktors zum Ziehen
der Messapparatur verzichtet werden musste.
KIA 37242: Radiocarbon Age: BP 1171 +/- 27, OneSigma-Range: cal AD 782-892, Two-Sigma-Range:
cal AD 776-961.
KIA 37245: Radiocarbon Age: BP 1063 +/- 23, OneSigma-Range: cal AD 974-1016, Two-Sigma-Range:
cal AD 898-1021.
321
C.4.4.11 Messfläche K
322
266
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 179 Wiskiauten. Messfläche K 1. Durch Bohrungen überprüften Anomalien.
Stattdessen sind die zu untersuchenden Areale
mit einer Handapparatur untersucht worden.
Kleemann (1939a, 6) ermittelte für diesen Bereich den aus deutscher Zeit stammenden
Flurnamen „Altes Dorf“ und führt diesen auf
die nach einem Schadensfeuer Mitte des 19.
Jahrhunderts erfolgte Verlegung des früheren
Dorfes Wiskiautens an dessen spätere Position
zurück, an der sich auch heutzutage noch das
nun russische Dorf „Mohovoe“ befindet. Ob
hier aber auch Siedlungsspuren aus viel älterer
Zeit, namentlich der Wikingerzeit, den Flurnamen erklären könnten, sollte durch die Anlage der Messflächen K1–K3 untersucht werden.
Aufgrund von Kleemanns (ebd.) Forschungen
jedenfalls war südlich des Bachlaufes mit relativ modernen Strukturen zu rechnen, die den
Flurnamen „Altes Dorf“ rechfertigen könnten.
Tatsächlich sind insbesondere in Messfläche K2
rechtwinklige, aus Dipolen bestehende lineare
Anomalien sichtbar gemacht worden, die auf
das frühere Dorf Wiskiauten zurückzuführen
sein dürften. Darüber hinaus aber bietet besonders Messfläche K1 zahlreiche verdächtige Anomalien, die durch Bohrungen und, seit
Sommer 2008, auch durch insgesamt vier Grabungsschnitte323 untersucht worden sind.
Mit einer Gesamtfläche von 0,46 ha ist Messfläche K1 die größte der drei Einzelflächen. Sie
Es handelt sich um die noch nicht abschließend
ausgewerteten Grabungsschnitte Fläche 11–14.
323
enthält auch die meisten Anomalien, deren
Zahl sich auf etwa 40 auffällige Objekte schätzen lässt. Von ihnen sind mit den Anomalien
an_136/08 bis an_141/08 sechs Exemplare angebohrt worden (Abb. 179). Von diesen sind die
drei Anomalien an_136/08 bis an_138/08 auch
durch Ausgrabungsschnitte324 erfasst, eine weitere Anomalie wurde ohne vorherige Bohrung
ausgegraben325. Zu drei der überprüften Anomalien liegen zusätzlich 14C-Datierungen vor,
die eine vorläufige Interpretation von Messfläche K1 als Bestandteil einer Siedlung des 6.–8.
Jahrhunderts ermöglichen.
Messfläche K2 mit einer Fläche von 0,43 Hektar und Messfläche K3 ganz im Süden mit einer
Größe von 0,41 Hektar dagegen sind abgesehen von jeweils etwa fünf größeren Anomalien
und einigen Dipolreihungen sehr ruhig. Bohrungen oder Ausgrabungen wurden dort bislang nicht durchgeführt.
C.4.4.11.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien
Anomalie an_136/08
Diese Anomalie ist im Messbild bei einem Wert
von +/- 3 nT als 3,5 m großes, schwarzes Objekt
rundlicher Form zu erkennen, das bei einer
Darstellung mit höheren nT-Werten schnell zu
einer Graufläche amorpher Form und vermin324
Fläche 11 bis Fläche 13.
325
Fläche 14.
Die Siedlungsforschungen
267
Abb. 180 Wiskiauten. Anomalien an_136/08 (links) und an_137/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild
mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
derter Größe zusammenschrumpft (Abb. 180).
So ist bei +/- 6 nT noch ein leichter Grauschatten von 2,8 m sichtbar, bei einem Wert von +/24 nT dagegen ist kaum noch ein Unterschied
zur Umgebung sichtbar. Die Bohrung im Anomalienmittelpunkt zeigte eine unter dem 0,4 m
mächtigen, in diesem Bereich sehr stark humosen Oberboden liegende Schicht zwischen 0,4
und 0,58 m Tiefe, die durch ihre gräuliche Farbe und Einschlüsse von Holzkohle und kleine
Rotlehmpartikel zunächst verdächtig wirkte.
Eine Holzkohleprobe aus diesem Horizont
ließ eine Entstehung im 10.–12. Jahrhundert326
vermuten. Unter dieser vermutlich anthropogen beeinflussten Schicht fand sich zwischen
0,58 und 0,7 m Tiefe ein torfartiger, sehr stark
humoser Boden ohne besondere Einschlüsse,
bevor ab 0,7 m der anstehende lehmige Sandboden dokumentiert wurde.
Zur Überprüfung der Anomalie diente im Sommer 2008 der Grabungsschnitt Fläche 11 von 3
x 3 m Größe, der jedoch keine nennenswerten
Befunde zutage förderte. Unter dem humosen
Oberboden war analog zu den Ergebnissen der
vorher durchgeführten Bohrung lediglich eine
Schicht gräulicher Erde erkennbar. Mittig im
Schnitt konnte eine in deutscher Zeit verlegte
Drainageleitung mit erhaltenen Tonrohren dokumentiert werden, die als Auslöser der geomagnetischen Anomalie jedoch nicht in Frage
kommt, da sie in ihrem Verlauf nicht mit den
im Messbild erkennbaren Störungen übereinstimmt und als lineare Struktur keine punktuelle Anomalie auslösen kann. Als besonderer
Einzelfund stammt aus dem Aushub des Grabungsschnittes das Fragment einer scheibenförmigen blauen Glasperle von weniger als
5 mm Durchmesser. Sie kann zur zeitlichen
KIA 36103: Radiocarbon Age: BP 1021 +/- 35, OneSigma-Range: cal AD 985-1031, Two-Sigma-Range:
cal AD 899-1151.
326
Einordnung nicht herangezogen werden, da
es sich einerseits um einen nicht stratifizierten
Siebfund handelt, andererseits Perlen dieser
Form nicht auf eine bestimmte archäologische
Epoche begrenzt sind. Sie kommen schon in
der Römischen Kaiserzeit vor und sind auch
aus mittelalterlichen Zusammenhängen bekannt.
Anomalie an_137/08
Anomalie an_137/08 erscheint im Messbild bei
einem Wert von +/- 3 nT als trapezförmiges
Gebilde schwarzer Färbung, dem im Osten
in einer Entfernung von nur 2 m ein zweites
Objekt an der Seite steht (Abb. 180). Da beide Anomalien bei einem Wert von +/- 24 nT
nicht mehr eindeutig abzugrenzen sind, liegt
eine relativ schwache Magnetisierung vor. Die
Bohrergebnisse im Anomalienmittelpunkt
erbrachten keine eindeutigen Hinweise auf
anthropogenen Einfluss, wenn man nicht die
Schicht aus gräulichem Erdmaterial ohne besondere Auffälligkeiten zwischen 0,35 und 0,
45 m Tiefe unter dem darüberliegenden Ackerhorizont als Kulturhorizont ansprechen will.
Zusammen mit einer 5 m südlich liegenden
Anomalie ähnlicher Größe und Erscheinung in
den Messbildern wurde Anomalie an_137/08
durch die im Sommer 2008 angelegte Fläche 12
erfasst. Abgesehen von einem Pfostenbefund
und mehreren Verkeilsteinen, die nicht im
Geomagnetikbild sichtbar sind, konnten keine
archäologisch relevanten Strukturen ausfindig gemacht werden. Die Anomalien dürften
durch leicht humose, amorphe Erdschichten
verursacht worden sein, die sich unter dem
Ackerhorizont im natürlichen Boden abzeichneten. Sie sind vermutlich auf Bioturbationen
zurückzuführen. Ein Zusammenhang mit dem
Pfostenbefund, der durch eine Holzprobe in
268
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 181 Wiskiauten. Anomalien an_138/08 (links) und an_140/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild
mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m).
das 6. oder 7. Jahrhundert327 datiert wurde, ist
nicht herzustellen.
Anomalie an_138/08
Die bei einem Wert von +/- 3 nT im Messbild exakt rundlich erscheinende Anomalie an_138/08
mit einer Größe von 2,3 m ist bei einem Wert
von +/- 24 nT nur noch als leichter Grauschatten von etwa 1,4 m Durchmesser sichtbar
(Abb. 181). Die im Mittelpunkt abgetiefte Bohrung gab unter dem 0,3 m mächtigen, humosen Oberboden zwei Schichten gräulicher bis
schwarzer, stark humoser Erde mit Resten von
Holzkohle und Rotlehm zu erkennen, die bis
in eine Tiefe von 0,86 m anthropogenen Einfluss vermuten ließen. Der Unterschied zwischen beiden Schichten besteht in der Farbe.
Während der obere Horizont zwischen 0,3 und
0,5 m Tiefe dunkelbraun bis graubraun gefärbt
war, dominierte beim darunterliegenden Horizont zwischen 0,5 und 0,86 m Tiefe graubraune Farbe.
Zwei Holzkohleproben aus dem Bohrkern, die
in einer Tiefe zwischen 0,7 und 0,8 m und somit aus dem unteren Horizont entnommen
wurden, lieferten 14C-Datierungen in das 6.–8.
Jahrhundert328 Die an dieser Stelle im Sommer 2008 mit Fläche 13 durchgeführte Ausgrabung förderte tatsächlich eine rundliche
Konzentration schwarzbrauner Erde unter der
Pflugschicht zutage, die jedoch in den unteren
Bereichen in einer Tiefe ab 0,5 m eher grabenKIA 37089: Radiocarbon Age: BP 1488 +/- 29, OneSigma-Range: cal AD 553-606, Two-Sigma-Range:
cal AD 535-644.
327
KIA 36104: Radiocarbon Age: BP 1426 +/- 116,
One-Sigma-Range: cal AD 437-765, Two-SigmaRange: cal AD 394-878; KIA 36105: Radiocarbon
Age: BP 1298 +/- 47, One-Sigma-Range: cal AD 665770, Two-Sigma-Range: cal AD 648-861.
328
artige Form annahm und sowohl im Süd- als
auch im Nordprofil des 3 x 3 m großen Grabungsschnittes verschwand. Es wurden mehrere Tierknochen und einige Fragmente handgemachter Keramik geborgen. Eine Holzkohleprobe von der gerundeten Sohle des ca. 0,6
m breiten Grabenbefundes lieferte in Übereinstimmung mit den bereits zuvor datierten Proben aus den Bohrungen ein 14C-Datum in das
7. und 8. Jahrhundert329.
Anomalie an_140/08
Im Messbild zeigt sich Anomalie an_140/08
als 2,2 x 1,8 große, schwarze Anomalie bei einem Messwert von +/- 3 nT, die im Nordwesten einen ausgeprägten weißen Hof aufweist
(Abb. 181). Dieser Hof ist bei einem Wert von
+/- 24 nT nur noch ganz schwach erkennbar,
während der eigentliche Anomalienkern als
1,6 m große, nun rundliche schwarze Verfärbung immer noch deutlich sichtbar bleibt. Es
liegt ein hoher Magnetisierungsgrad vor, der
eventuell durch einen größeren Stein verursacht wird. Denn in mehreren Bohrungen, die
im Mittelpunkt abgetieft wurden, fand sich
in einer Tiefe von 0,35 m ein Stein, während
die Kontrastbohrung 0,3 m westlich zwischen
dem Oberboden und dem anstehenden sandigen Lehm in einem Tiefenbereich von 0,4–0,65
m nur eine gräuliche Schicht lehmigen Sandes
offenbarte. Eine weitere Bohrung 0,5 m südlich indessen ließ zwischen dem 0,24 m dicken
Oberboden und dem ab 0,9 m Tiefe anstehenden, natürlichen Lehm vier unterschiedliche
Schichten zutage treten. Einem Horizont aus
gräulichbraunem, schwach lehmigem Sand
mit Rotlehmpartikeln folgte ab 0,45 m eine inKIA 37092: Radiocarbon Age: BP 1310 +/- 28, OneSigma-Range: cal AD 662-694, Two-Sigma-Range:
cal AD 657-771.
329
Die Siedlungsforschungen
homogene Schicht gräulichgrünen Lehms, der
mit humosem Bodenmaterial vermischt und
bis 0,6 m nachzuweisen war. Unter dem nächsten Horizont, bestehend aus grünlichgrauem
Lehmboden ohne erkennbare Einschlüsse zwischen 0,6 und 0,8 m konnte jedoch ein stark humoser Horizont bis 0,9 m Tiefe nachgewiesen
werden. Ein anthropogener Einfluss lässt sich
nicht eindeutig nachweisen, auch wenn die
Tiefe dieser humosen Schicht überrascht. Es
könnte sich auch um Bioturbationen handeln.
Einschlüsse von Holzkohle, Rotlehm oder sonstigen siedlungsanzeigenden Materialien sind
nicht beobachtet worden.
Als Auslöser für Anomalie an_140/08 dürften
ein oder mehrere Steine verantwortlich zu machen sein, wobei ungeklärt bleibt, ob sie als
geologisches oder archäologisches Phänomen
zu deuten sind.
Anomalie an_141/08
Ein ähnliches Ergebnis lieferten die Bohrungen an Anomalie an_141/08. Auch hier zeigt
sich im Messbild bei einer Darstellung mit +/3 nT eine rundliche schwarze Struktur von 2 m
Durchmesser, die bei einem Wert von +/- 24 nT
jedoch nur noch als 1 m großes, schwach gräuliches Rund erscheint (Abb. 182). Einen weißen Hof weist diese Anomalie nicht auf. Unter
einem Ackerhorizont von 0,37 m Dicke war im
Bohrkern zunächst bis 0,63 m eine hellbrauner, ungestört wirkender rötlichbrauner Sand
mit hohem Lehmanteil nachzuweisen, bevor
der Bohrer auf einen Stein traf. Die ungestörte,
über dem Stein liegende Schicht lässt vermuten, dass es sich in diesem Fall um ein geologisches Phänomen handelt. Ein archäologischer
Hintergrund ist unwahrscheinlich.
Wiederum zeigt dieses Bohrergebnis, dass mitnichten alle Anomalien Hinweise auf archäologische Befunde geben, selbst wenn in unmittelbarer Umgebung solche nachgewiesen sind.
C.4.4.11.2 Interpretation
Von den drei einzelnen Messflächen K1 bis
K3 liegen nur zu Messfläche K1 so viele Daten vor, dass eine vorläufige Interpretation der
darin zu erkennenden Strukturen ansatzweise
möglich ist. Für Messfläche K2 kann aufgrund
der symmetrischen Reihungen von Dipolen lediglich vermutet werden, dass es sich hierbei
um Reste des im 19. Jahrhundert abgebrann-
269
Abb. 182 Wiskiauten. Anomalie an_141/08 im
geomagnetischen Messbild mit verschiedenen
Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt
etwa 12 x 12 m).
ten Dorfes Wiskiauten handelt, das daraufhin
an seiner späteren Lage neu errichtet wurde.
Keine Ergebnisse liegen zu Messfläche K3 vor.
Besondere Auffälligkeiten sind in den Messbildern nicht zu erkennen.
Messfläche K1 enthält etwa 40 verdächtige
Anomalien, von denen sechs Objekte durch
Bohrungen überprüft worden sind. Zusätzlich
sind vier Anomalien ausgegraben worden. In
der Zusammenschau zeigen die Ergebnisse,
dass in diesem Bereich massiv mit Siedlungsspuren des 6.–8. Jahrhunderts zu rechnen ist,
die sich aber auch auf die folgenden Jahrhunderte erstrecken könnten. Insbesondere vor
dem Hintergrund der in den Messflächen G
und J erzielten Resultate dürfte das gesamte
Areal im Randbereich des kleinen, namenlosen Baches etwa 800–1000 m östlich des Hügelgräberfeldes, der von Wiskiauten kommend
in Richtung der vernässten Niederungsfläche
fließt und schließlich am Nordrand der halbinselartigen Sandkuppe Palve dort mündet, als
Siedlungsareal dieser Übergangsperiode zwischen ausklingender Völkerwanderungszeit
und beginnender Wikingerzeit zu verstehen
sein. Mit den über Holzkohleproben 14C-datierten Anomalien an_136/08, an_137/08 und
an_138/08 liegen gleich drei naturwissenschaftlich datierte Objekte aus Messfläche K1 vor.
Obwohl das Fundmaterial – hauptsächlich die
relativ unspezifische, handgemachte Keramik,
die großflächig in Sondagen, als Oberflächenfunde und aus den Ausgrabungsschnitten geborgen wurde – keine sichere archäologische
Datierung erlaubt, ist eine zeitliche Einordnung zumindest für die drei genannten Anomalien möglich. Anomalie an_138/08 lieferte
gleich drei Daten. Eine Datierung umfasst die
270
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Zeitspanne des 4.–9. Jahrhunderts, eine weitere die Zeit des 6.–7. Jahrhunderts, eine dritte
die Zeitspanne vom 7.–9. Jahrhundert.
In das 6. und 7. Jahrhundert weist Anomalie
an_137/08, während die Untersuchung von
Anomalie an_136/08 Siedlungsspuren des 9.–
12. Jahrhunderts nahelegt. Hinzu kommt die
Datierung aus Fläche 12 mit einem 14C-Datum
aus der Zeit des 6. und 7. Jahrhunderts. In die
Wikingerzeit, genauer in die Jahre zwischen
781 und 962, weist eine Holzkohleprobe aus
der geologischen Bohrung „BWI 1“ (vgl. Kap.
C.4.4.7.4). Bei aller Vorsicht muss also mit
menschlichen Siedlungsaktivitäten vor allem
im 6.–8. Jahrhundert gerechnet werden. Zusätzlich häufen sich mittlerweile die Hinweise
auf Siedlungsspuren der folgenden Jahrhunderte.
Ähnliche Datierungen liegen aus den Messflächen G und J vor, wobei besonders in Messfläche J nun neben den zahlreichen Datierungen
aus der Zeit des 6.–8. Jahrhunderts aus den
Sondagen S 15 und S 16 auch zwei Daten des
9.–11. Jahrhunderts vorliegen.
In einem Areal von 6 ha Größe, das sich zwischen den Grabungsschnitten Fläche 8 in
Messfläche G und Fläche 9 auf der Palve auf
einer Länge von etwa 600 m in nordwest-südöstlicher Richtung erstreckt und das mindestens 150 m breit ist, mehren sich nun die
archäologischen Hinweise auf eine Siedlung
der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen
Jahrtausends. Ob diese Siedlungsspuren auch
kulturell mit dem Hügelgräberfeld verbunden
sind, lässt sich aufgrund des Fehlens großflächiger Ausgrabungen derzeit nicht entscheiden, scheint aber vor dem Hintergrund der
ansteigenden Datenmenge wahrscheinlich.
C.4.5 Zusammenfassung der Prospektionsergebnisse
Aufgrund der Größe des potentiell für eine
Siedlung in Frage kommenden Gebietes wurde bei der seit dem Jahr 2005 anberaumten
Suche nach Siedlungsspuren im Umfeld der
großen Hügelgräbernekropole von Wiskiauten aus dem 9.–11. Jahrhundert eine besondere
Strategie angewendet, die aus einer Kombination von geologischen Untersuchungen, großräumigen geophysikalischen Prospektionen,
gezielten Bohrungen und naturwissenschaftlichen Datierungen des daraus gewonnenen
Probenmaterials bestand. Die Ergebnisse sind
vielschichtig und jeweils einer unterschiedlichen Quellenkritik unterlegen, lassen aber in
der Zusammenschau in bestimmten Bereichen
der Umgebung des Gräberfeldes eine Verdichtung von archäologisch relevanten Objekten in
unterschiedlichen archäologischen Epochen
erkennen. Sie ermöglichen eine vorläufige Einschätzung über die Verteilung archäologischer
Fundstellen, die jedoch nur im Sinne einer Arbeitshypothese verstanden werden darf und in
der Zukunft unbedingt durch weitere Untersuchungen überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden muss.
Während einige Bereiche um das Gräberfeld
von Wiskiauten nach den Prospektionsergebnissen zu urteilen in Bezug auf die Frage nach
Siedlungsspuren weniger verdächtig sind, bilden sich in anderen Arealen regelrecht Schwerpunkte heraus, die durch die vorliegenden 14CDatierungen und teilweise auch durch Oberflächenfunde zeitlich sogar grob eingeordnet
werden können.
Die zeitliche Variabilität der Befunde ist immens. So konnten neben steinzeitlichen Kulturschichten auf der Palve an mehreren Stellen
bronzezeitliche Siedlungsspuren dokumentiert werden. Sie liegen ebenfalls im Bereich
der Palve, aber auch im südlichen Bereich von
Messfläche G. Darüber hinaus sind durch den
Sondagegraben S 8/9 in Messfläche J1 Kulturschichten der Bronzezeit nachgewiesen.
Siedlungshinweise aus der Eisenzeit lieferten
der ausgegrabene Befund in Fläche 1 im Messbild A sowie der in Fläche 7 freigelegte Befund
in Messfläche G.
Siedlungsspuren der Römischen Kaiserzeit
sind lediglich in Messfläche H durch eine unstratifizierte Holzkohleprobe aus einem Tiergang in Fläche 18 dokumentiert worden.
Besonders häufig sind Siedlungsspuren der
Völkerwanderungszeit und des beginnenden
Frühmittelalters zwischen dem 5. und frühen
9. Jahrhundert. Gleich an mehreren Stellen
häufen sich Objekte dieser Zeitstellung. So
lieferten östlich des Hügelgräberfeldes sowohl Messfläche G durch Fläche 8 als auch
die Grabungsschnitte Fläche 12 und Fläche
13 aus Messfläche K1 sowie zwei Anomalien
aus diesem Bereich Hinweise auf Siedlungsspuren dieser Zeit. Sie setzen sich mit Fläche 5
und dem oberen Kulturhorizont in Sondage S
Die Siedlungsforschungen
8/9 auch in Messfläche J fort. Dabei ergibt sich
eine Gesamtausdehnung von etwa 400 x 150
m. Hier ist demnach ein größerer Siedlungskomplex dieser Zeit von bis zu 6 ha Größe anzunehmen, dem auch einige der in den Messbildern erkennbaren Anomalien angehören
dürften. Dabei lässt sich eine frühe Siedlung
des 5. und 6. Jahrhunderts, vielleicht noch des
beginnenden 7. Jahrhunderts, im südöstlichen
Bereich der Palve von einer Siedlung trennen,
die hauptsächlich im 6.–8. Jahrhundert Bestand gehabt haben dürfte. Sie befindet sich in
den westlichen Bereichen der Palve und in der
Umgebung von Fläche 8 in Messfläche G und
der Grabungsschnitte Fläche 12 und Fläche 13
in Messfläche K1.
Aber auch im Nordwesten der Hügelgräbernekropole finden sich mit den Ausgrabungsschnitten Fläche 3 und Fläche 20, die beide
aufgrund von Holzkohleproben in die zweite Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends datiert werden können, zahlreiche
Ansatzpunkte, dass die in diesem Bereich besonders in Messfläche C gehäuft auftretenden
Anomalien in der Umgebung durch Befunde
ähnlicher Zeitstellung ausgelöst worden sein
könnten.
Befunde, die sich mit der ursprünglich formulierten Fragestellung, Siedlungsspuren des
Frühmittelalters bzw. der Wikingerzeit aufzufinden, in Einklang bringen lassen, finden sich
anscheinend besonders häufig im Bereich der
Messflächen G, J und K. Darauf weisen die
Sondagen S 15 und S 16 in Messfläche J, aber
auch die 14C-datierte und in Fläche 6 untersuchte Anomalie an_62/07 in Messfläche G, die
geologische Bohrung „BWI 1“ und Anomalie
an_136/08, die in Fläche 11 freigelegt wurde,
hin. Dass auch direkt südlich des Gräberfeldes
in Messfläche A einige Befunde dieser Zeitstellung liegen könnten, legt die einzelne 14C-Datierung einer Holzkohle aus der Brunnenverfüllung in Fläche 2 nahe.
Anomalienverdichtungen, die mit Siedlungsspuren des späten 11.–13. Jahrhunderts zu
verbinden sind, häufen sich nördlich des Gräberfeldes in Messfläche D. In zwei großen, aus
mehreren hundert Einzelanomalien bestehenden Arealen sind durch Bohrungen und Ausgrabungen in den Schnitten Fläche 4 und Fläche 19 sowie durch einzelne 14C-datierte Anomalien besonders viele Befunde des beginnen-
271
den Mittelalters zu lokalisieren. Der Nachweis
deutlich sichtbarer linearer Anomalien und
mehrerer Brunnenanlagen, die teilweise auch
durch Georadaruntersuchungen verifiziert
werden konnten, belegt hier die Existenz der
bislang komplexesten Siedlungsstrukturen im
Umfeld der Hügelgräbernekropole.
Keine Hinweise auf archäologische Befunde
lieferten bislang die im Uferbereich des vermuteten Binnensees nordwestlich der Nekropole von Wiskiauten angelegten Messflächen
I 1 und I 2. Zwei Objekte sind durch die Ausgrabungsschnitte Fläche 17 und Fläche 18 im
Sommer 2008 untersucht worden, ohne jedoch
Spuren menschlicher Besiedlung nachweisen
zu können.
Die Prospektionsarbeiten, die hier teilweise
unter Vorwegnahme der im folgenden Kapitel
vorgelegten Grabungsergebnisse interpretiert
wurden, liefern erstaunlich viele Ansatzpunkte
für archäologische Ausgrabungen. Die Schwierigkeit bei der Interpretation der Bilder besteht
jedoch darin, dass nur bei einer entsprechend
hohen Datendichte Siedlungsbereiche tatsächlich zuverlässig erkannt werden können.
Einzelne Anomalien in den geomagnetischen
Messbildern lassen sich ohne die Kombination
der verschiedenen Methoden nicht sicher als
archäologische Objekte einstufen. Zu häufig
wurde die Erfahrung gemacht, dass auch geologische Phänomene oder bislang unbekannte
Prozesse im Boden zur Erzeugung von geomagnetischen Anomalien führen können.
Insgesamt sind die Prospektionsarbeiten als
erfolgreich zu beurteilen, da sie grobe Voreinschätzungen ermöglicht haben und das
potentiell in Frage kommende Siedlungsgebiet in Bezug auf die sinnvolle Anlage von
Grabungsschnitten enorm eingegrenzt haben.
Allerdings sollten zukünftige Ausgrabungen
unbedingt auch die Bereiche zwischen den
punktuellen oder linearen Anomalien erfassen,
da nicht vorausgesetzt werden darf, dass alle
archäologischen Befunde durch geophysikalische Messmethoden erkennbar oder messbar
sind. Es mag Befundgruppen geben, die durch
die angewandten Prospektionsverfahren nicht
sichtbar gemacht werden können. Dies gilt
insbesondere für kleine Befunde wie Pfostengruben oder Pfostenlöcher, die mit der verwendeten Messtechnik vermutlich nicht nachgewiesen werden können, weil die Auflösung
272
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 183 Wiskiauten. Luftbild mit Markierung der Grabungsflächen der Jahre 2005 bis 2007 (grün) und
2008 (gelb).
der Messbilder hierfür zu gering ist. Letztlich
können nur archäologische Ausgrabungen die
bisherigen Vermutungen bestätigen und die
Ergebnisse der Prospektionen zusammen mit
den Ausgrabungsresultaten zu einem vorläufigen Modell des Siedlungsablaufes erweitern.
Deshalb wurden in den Jahren 2005–2007 in
drei Feldforschungskampagnen einige der
Anomalien ausgegraben. Die Ergebnisse werden im folgenden Kapitel vorgestellt. Eine
weitere Ausgrabung hat im Sommer 2008 stattgefunden. Die Dokumentation dieser Ausgrabung ist noch nicht abgeschlossen, so dass die
Ergebnisse zu einem späteren Zeitpunkt vorgelegt werden.
Die Siedlungsforschungen
273
C.5 Die Ergebnisse der Ausgrabungen
2005–2007
Zur Überprüfung der durch die Prospektionen
gewonnenen Ergebnisse sind in den Jahren
2005–2007 insgesamt acht Grabungsschnitte330
angelegt worden, die sich jeweils an der Größe der in den geomagnetischen Messbildern
erkannten Strukturen orientierten (Abb. 183).
Die Grabungsflächen wurden in der Reihenfolge ihrer Entstehung mit Fläche 1 bis Fläche
8 benannt. Sie liegen in räumlich unterschiedlichen Regionen südlich, nordwestlich, nördlich
und östlich der Nekropole und geben Hinweise auf eine Besiedlung der Umgebung des Gräberfeldes in der Vorrömischen Eisenzeit (Fläche 1 und 7) und im Zeitraum zwischen dem
6. und 13. Jahrhundert, der sich in eine Phase
vor der Belegung des Hügelgräberfeldes im
6.–8. Jahrhundert (Fläche 3, 5 und 8) und eine
Phase nach dessen Nutzungsende (Fläche 2
und 4) aufgliedern lässt. Das 9.–11. Jahrhundert konnte in den Ausgrabungen bislang nur
ansatzweise nachgewiesen werden (Fläche 2
und 3).
Die Ergebnisse der Ausgrabungen in den einzelnen Grabungsflächen werden hier in der
Reihenfolge ihrer archäologischen Datierung
vorgestellt.
C.5.1 Fläche 1
C.5.1.1 Grabungsergebnisse
In den geomagnetischen Messbildern (Abb.
184) tritt an der Stelle des später als Fläche 1
(Taf. 2-4) benannten Grabungsschnittes ca.
50 m südlich der Waldgrenze der Kaup eine
deutlich erkennbare, ovale Anomalie331 von ca.
3 m ost-westlicher und 2,3 m nord-südlicher
Ausdehnung bei einem Messwert von +/- 3 nT
auf. Sie besitzt in den geomagnetischen Messbildern einen schwarzen Kern, um den sich ein
weißer Hof abzeichnet, der im Norden seine
Zusätzlich sind in einer Ausgrabungskampagne
vom 14.7.–22.8.2008 weitere zwölf Grabungsschnitte und insgesamt 16 Sondagen angelegt worden.
Die Ergebnisse dieser Ausgrabungen fließen in
diese Studie nur am Rande ein, da die Bearbeitung
zur Zeit der Fertigstellung dieser Studie noch nicht
abandauerte.
330
331
an_202
Abb. 184 Wiskiauten. Anomalien an_201/05 K
und an_202/05 im geomagnetischen Messbild von
Messfläche A (Darstellung mit +/- 3 nT; genordet).
Objekt an_202/05 wurde in Fläche 1 freigelegt.
größte Ausdehnung aufweist. Durch zwei Bohrungen konnte hier im Vorfeld der Grabungen
eine unnatürliche Bodenschichtung nachgewiesen werden. Unter dem üblichen, stark
humosen Ackerhorizont von 0,35–0,4 m zeigte
sich in beiden Bohrungen ein Mischhorizont
mit Verziegelungsresten, der ab einer Tiefe
von 0,7–0,75 m in eine Verziegelungsschicht
von mindestens 0,15–0,25 m Dicke überging.
Zur Überprüfung wurde durch den Anomalienmittelpunkt ein Kreuzschnitt angelegt332.
Nach Abtrag des Ackerhorizontes erschien in
einer Tiefe von 0,35 m unter der Oberfläche
eine dunkelgraue Verfärbung von 1,6 x 1,35 m
Größe im rötlichgelben, sehr humosfleckigen
Lehm, der den anstehenden Boden darstellt,
aber in dieser Tiefe noch durch zahlreiche
Wurmgänge gestört ist. Am Rand wies die
Verfärbung eine durchschnittlich 0,05 m breite Verziegelungsschicht auf (Abb. 185). Schon
in dieser Tiefe zeigten sich vereinzelt größere
Steine bis ca. 0,4 cm Durchmesser im Planum,
die vor allem im Zentrum des Befundes auftraten.
332
Bei der Untersuchung dieses Befundes half der ukrainische Archäologe A. Petrauskas aus Kiew, der als
Ofenspezialist bekannt ist und dem an dieser Stelle herzlich gedankt sei.
274
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 185 Wiskiauten. Fläche 1. Anomalie an_202/05
in der Südhälfte freigelegt, im Osten sind schon
Steine und Verziegelungsreste zu erkennen.
Nach Abtrag des Humusbodens in allen vier
Sektoren präsentierte sich der Befund, anfänglich durch die Profilstege noch teilweise überdeckt, als längliche, ovale Verfärbung mit einer
Länge von 1,6 m in Ost-West-Richtung und einer Breite von 1,3 m in Nord-Süd-Richtung, die
am Rand eine durchgehende Verziegelungsschicht aufwies und im Inneren mit gräulichem
Erdmaterial und Verziegelungsresten verfüllt
war (vgl. Taf. 2). Im Zentrum waren mehrere
größere Steine mit Durchmessern bis 0,2 m und
mehrere kleinere Steine mit Durchmessern bis
0,1 m vorhanden, die in das gräuliche Sediment eingebettet lagen. Zwischen den Steinen
fanden sich bei weiterem Abtiefen immer mehr
Verziegelungsreste von meist rötlicher, teilweise aber auch dunkelgrauer oder hellgrauer Färbung. Die Brocken erreichten Größen bis zu 0,1
m und erweckten teilweise den Eindruck fast
flächiger Verziegelungen. Es handelt sich um
schichtweise in den Befund eingelagerte Verziegelungsreste. Im Nachhinein wurde nach
dem Säubern des Verziegelungsmaterials festgestellt, dass sie mit Abdrücken von größeren
Rundhölzern versehen waren, deren Durchmesser bis zu 0,15 m erreichten. Nach weiterem
Freipräparieren des Befundinneren wurden
die Verziegelungsreste häufiger, bis sie eine
kompakte Füllung darstellten, die zur weiteren
Bearbeitung des Befundes entnommen werden
musste (Abb. 186). Auffällig sind die vielen
Steine (vgl. Taf. 3), die mit den Verziegelungsresten in Planum 3 sichtbar waren und erst
nach Nutzung der Anlage eingefüllt scheinen.
Schon nach Entnahme der ersten Schichten im
Befundinneren wurde die randliche Verziegelung immer ausgeprägter und schien zunächst
zum Befundmittelpunkt hin nur leicht abzufallen. Nach ihrer Freipräparierung aber zeigte
sich deutlich, dass die Grubenwände relativ
steil nach unten verliefen.
Die im ost-west-verlaufenden Nordprofil erkennbare Schichtenabfolge (Taf. 4; Abb. 187)
lässt sich von unten nach oben folgendermaßen charakterisieren: Über dem vermutlich anstehenden, gelblich braunen, leicht rötlichen
Lehm befand sich in einer Tiefe zwischen 0,95
und 0,8 m zunächst eine Verziegelungsschicht
von ca. 0,1–0,15 m Dicke, die nach unten zum
Lehmboden hin relativ scharf abgegrenzt war.
Die seitliche Abgrenzung war schwieriger zu
ermitteln, da grau und rötlich verziegelte Bereiche hier fast übergangslos ineinander liefen. Die randliche Verziegelung konnte nur
aufgrund ihrer durchgehend rötlichen Farbe
abgegrenzt werden. Bis 0,5 m über der Bodenverziegelung befanden sich mindestens drei
Lagen aus dicht gepacktem verziegeltem Material, die stellenweise durchgingen und vorübergehend zur Interpretation eingestürzter
Ofenkuppeln einer mehrphasigen Benutzung
führten. Da die Verziegelungsstücke aber nach
der Reinigung deutliche Abdrücke von Rundhölzern mit großem Durchmesser bis ca. 0,2 m
aufwiesen, die für eine Ofenanlage untypisch
groß wären, kann es sich nicht um eingebrochene Kuppeln handeln. Vielmehr muss mit
einer mehrmaligen Verfüllung gerechnet wer-
Abb. 186 Wiskiauten. Fläche 1, Anomalie an_202/05.
Südhälfte des Befundes nach teilweiser Entnahme
des gräulichen Erdmaterials. Deutlich sind die Steine und dazwischenliegende Verziegelungsbereiche
gräulicher Färbung zu sehen.
Die Siedlungsforschungen
Abb. 187 Wiskiauten. Fläche 1, Anomalie an_202/05.
Blick auf das Ost-West-verlaufende Kontrollprofil
durch den Ofenbefund. Besonders im östlichen Bereich sind die deutlichen Verziegelungskonzentrationen erkennbar.
den, deren einzelne Verfüllphasen aber zeitlich sehr eng beieinander liegen können. Die
oberen 0,15–0,2 m des Befundes in einer Tiefe
von 0,45–0,5 m unter der Geländeoberfläche
bestanden aus einer eher homogenisierten
Schicht einheitlich grauen Erdmaterials, das
nur vereinzelt kleinere Verziegelungsreste
aufwies.
Offensichtlich gehört die gesamte Verfüllung
des Befundes einer Phase nach der Nutzung
der Anlage an. Die oberste Schicht ist vermutlich nach dem Absacken der Verfüllung erst
später in den Befund eingebracht worden.
Sie enthielt unter anderem eine bleiglasierte
275
Scherbe (Taf. 58, 2), die durch mittelalterliche
Pflugtätigkeiten hierhin gelangt sein dürfte.
Zumindest ist das Fundmaterial aus diesem
oberen Horizont nicht als steril zu bezeichnen.
Eine ähnliche Schichtung zeigte sich auch im
nord-südverlaufenden Querprofil, wobei dort
eine abgeschwächte Schichtenfolge erkennbar
war (Abb. 188, rechts). Auch hier war die unterste Schicht deutlich bis mindestens 0,1 m Dicke verziegelt. Darüber folgte eine Schicht aus
Verziegelungsresten, die aber nicht so massiv
wirkte wie diejenige im Längsprofil. Vielmehr
schien sich die stark mit Verzieglungsrückständen durchsetzte Zone im Zentrum der Befundverfüllung zu konzentrieren, an den umgebenden Seiten aber nicht so stark ausgeprägt
zu sein. Nach vollständiger Entnahme der
Verfüllung zeigte sich fast überall die rötlich
verziegelte Wandung der nun als ovale Grube
anzusprechenden Eintiefung (Abb. 188, links).
An der südlichen Wand zeigte sich in einer
Tiefe von ca. 0,45–0,65 m eine rundliche, in die
Grubenwand eingebettete Konzentration von
bisher nicht untersuchtem, verkohltem Material, das auch verkohlte Getreidekörner enthielt.
Am Boden vor dem südlichen Grubenrand
fand sich in einer Tiefe von 0,8 m ein größeres
verkohltes Holzstück, das zum Zweck einer
14
C-Datierung beprobt wurde und entscheidend ist für die Datierung des Befundes in die
Vorrömische Eisenzeit (vgl. Kap. C.5.1.3).
Besonders die Seitenwand deutet durch die
hier sehr regelmäßig verlaufende Verziegelungsschicht am Rand an, dass der Befund als
Abb. 188 Fläche 1, Anomalie an_202/05. Links: Blick in den Befund 1, an der Südwand ist deutlich die
schwarze Konzentration mit verkohltem Material erkennbar. – Rechts: Blick auf das nord-südverlaufende
Querprofil des Befundes. Die schwarzen Flecken in der Mitte des Profils sind Verziegelungsreste und keine
Holzkohle.
276
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 189 Wiskiauten. Fläche 1. Pfostenloch (Befund 2) im Planum 2 (links), bei weiterem Abtiefen (Mitte)
und im Profil (rechts).
sehr sorgfältig eingetiefte Grube interpretiert
werden muss.
Nach der vollständigen Entnahme aller Verfüllungselemente stellte sich der Befund als
ovale Grube mit annähernd flachem Boden
dar, der von einer fast flächigen Verziegelung
bedeckt ist. Nur in der Westecke fand sich eine
hellbraune Lehmlinse von ca. 0,35 m Durchmesser unter der Verziegelung, die sich vom
anstehenden gelblich-braunen, mehr sandigen
Lehm durch ihren hohen Tonanteil und die
hellbraune Farbe unterscheidet, der aber keine
anthropogene Entstehung unterstellt werden
kann. Im Ostteil lagen im Zentrum über der
Verziegelungsschicht drei größere Steine mit
Durchmessern bis zu 0,2 m in einer Reihe. Sie
erweckten den Anschein einer Art Fundamentierung der Ofensohle, lagen allerdings auf der
Verziegelungsschicht auf. Demnach sind die
Steine erst nach der Verziegelung des Bodens
eingebracht worden. Sie stehen mit der Anlage vermutlich nicht in konstruktivem Zusammenhang.
Neben dem Ofenbefund im Zentrum der ca. 5
x 5 m großen Grabungsfläche konnte im Nordostquadranten in etwa 1,7 m Entfernung von
dessen Randbereich mit Befund 2 eine Pfostengrube mit Pfostenstandspur dokumentiert werden (Abb. 189; Taf. 2). Dieser Befund
wurde bei der Anlage von Planum 2 in einer
Tiefe von ca. 0,4 m erkannt. Relativ schwach
zeichnete sich im Planum im anstehenden, in
dieser Tiefe allerdings noch durch humose
Einschlüsse gestörten Lehmboden eine annähernd rundliche, dunkelbraune Verfärbung
mit einem Durchmesser von 0,12 m ab (Abb.
189, links). Nach weiterem Abtiefen auf Planum 3 in einer Tiefe von 0,5 m nahm die Verfärbung eine deutlich rundliche Form an (Abb.
189, Mitte), der Durchmesser betrug weiterhin
0,12 m. Nach Anlage eines Profilkastens zeigte
sich der Befund im Profil (Abb. 189, rechts) als
spitz nach unten zulaufende Pfostenstandspur
mit nur schwach erkennbarer, umgebender
Grube. Der Befund war ab Planum 2 noch bis
in eine Tiefe von 0,2 m erhalten. Ein funktionaler Zusammenhang zu weiteren Befunden
kann nicht hergestellt werden. Eine Gleichzeitigkeit mit dem Ofenbefund ist denkbar, kann
aber, da Fundmaterial oder 14C-Datierungen
fehlen, nicht belegt werden. Möglicherweise
gehört der Befund zu einer Konstruktion, die
sich durch die verziegelten Lehmbrocken in
der Ofenverfüllung mit den Abdrücken größerer Rundhölzer andeutet.
C.5.1.2 Fundmaterial
Während in den oberen 0,4 m Boden einige rezente Nägel, moderne Ziegelreste sowie eine
bleiglasierte Keramikscherbe (Taf. 58, 2) auf
eine hochmittelalterliche oder neuzeitliche
Pflugtätigkeit hindeuten, die den Befund in
den oberen Bereichen gestört hat, sind in der
Verfüllung des Befundes kaum Funde beobachtet worden. Nur wenige kleinste Fragmente kalzinierter Knochen stammen aus dem Tiefenbereich zwischen 0,4 und 0,5 m unter der
Geländeoberfläche und sind der Verfüllung
des Befundes nach dessen Aufgabe zuzuordnen. Am Boden des Befundes dagegen fanden
sich auf der verziegelten Schicht aufliegend
mehrere Wandungs- und Randscherben (Taf.
58, 1.3) eines rötlichbraunen, handgemachten
Gefäßes von 17 cm Durchmesser mit leicht
ausladendem, s-förmigen Profil mit gerundeter Lippe, das vermutlich sekundär gebrannt
wurde, da die Scherben fast klingenden Brand
aufwiesen. Die Gefäßhöhe kann nur ungefähr
Die Siedlungsforschungen
auf etwa 16–20 cm geschätzt werden, Bodenstücke waren nicht erhalten. Als Magerungspartikel fanden ausschließlich weißliche, scharfkantige Quarzitkörner bis zu 2,5 mm Durchmesser Verwendung. Die Keramik lässt sich
aufgrund ihrer einfachen Machart typologisch
kaum ansprechen.
C.5.1.3 Datierung
Für eine Datierung des Ofens kann aufgrund
der beschränkten Aussagefähigkeit der Keramik lediglich eine anhand einer Holzkohleprobe vom Boden des Befundes gewonnene
14
C-Datierung herangezogen werden. Die Analyse ergab ein Radiokarbonalter von BP 2474
+/- 22333 und somit eine absolute Datierung in
die Jahre zwischen 763 und 413 v. Chr. Der Befund kann demnach in die Ältere Vorrömische
Eisenzeit eingeordnet werden.
C.5.1.4 Interpretation
Aufgrund der durchgehenden randlichen
Verziegelung der ovalen Grube mit ebenso
verziegeltem, fast waagerecht verlaufendem
Boden handelt es sich um einen Befund, der
wesentlich durch Hitzeeinwirkung charakterisiert wird und somit in den Bereich der Feuerungsanlagen oder Öfen zu stellen ist. Auf die
konkrete Funktion ergeben sich nur wenige
Hinweise.
Eine Nutzung als Ustrinenanlage ist zunächst
auszuschließen. Zwar fanden sich sowohl im
obersten Ackerhorizont als auch in den obersten Verfüllschichten bis in eine Tiefe von 0,5
m vereinzelt kleinste Fragmente kalzinierter
Knochen, insgesamt bleibt die Fundmenge
dieser Kategorie aber zu gering für eine solche Interpretation. Außerdem stammen die
Fragmente aus Tiefenbereichen des Befundes,
die durch die Pflugschicht noch gestört sein
könnten. Eine zoologische Bestimmung der
Knochenfragmente ist bisher noch nicht erfolgt und ist aufgrund ihrer Kleinheit für die
Bestimmung der Tierart oder die Zuweisung
zum menschlichen Skelett aussichtslos. Ustrinenanlagen sind überdies in der Regel nicht
als Grube in den Boden eingetieft, sondern auf
der Oberfläche angelegt.
Die zunächst als heruntergebrochene OfenKIA 30153, Radiocarbon Age: BP 2474 +/- 22, OneSigma-Range: cal BC 760-520, Two Sigma-Range:
cal BC 763-413.
333
277
kuppeln interpretierten größeren Brocken
verziegelten Lehms sind durch die größeren
Rundhölzer, denen sie ursprünglich angehaftet haben müssen, nicht in den Kontext eines
Ofens zu stellen, da hier als Konstruktionsbestandteile eher kleine Äste und Zweige Verwendung gefunden hätten. Sie stammen demnach aus einer Verfüllphase nach Aufgabe der
ursprünglichen Anlage. Ob sie, wie zu vermuten ist, einem in der Nähe befindlichen Haus
zuzuordnen sind, dessen Wandverputz man
nach Nutzungsende der Feuerungsanlage in
die aufgelassene Grube entsorgt hat, ist nicht
sicher zu entscheiden, aber wahrscheinlich.
Dass in der Grube selbst Feuer gebrannt hat, ist
allein durch das einzelne verkohlte Holzstück
am Boden nicht zu belegen. Es kann auch nachträglich in den Befund eingefüllt worden sein.
Dennoch scheint sich durch die am Südrand
befindliche Konzentration verkohlter organischer Rückstände und viel Holzkohle eine Verbrennungstätigkeit nachweisen zu lassen, die
direkt in der Grube stattgefunden hat. Auch
in der übrigen Verfüllung haben sich immer
wieder kleine Holzkohlefragmente befunden.
Auffällig bleibt das Fehlen einer regelrechten
Brandschicht am Boden des Befundes. Für eine
Feuerungsanlage bzw. einen Ofen spricht aber
die starke Verziegelungsschicht, die von starker Hitzeeinwirkung in situ zeugt. Sie wurde
sowohl am Boden als auch an den Wänden des
Befundes festgestellt. Unklar ist der Zweck der
Feuerungsanlage. Durch vereinzelt aufgefundene Keramikschlacken, erkennbar durch ihre
gräuliche Färbung und die große Feinporigkeit
der sehr leichten Schlackefragmente, ist an eine
Funktion im Zusammenhang mit Keramikherstellung zu denken. Die Schlacken könnten jedoch auch durch den Verschlackungsprozess
gemagerter Lehmbrocken infolge einer an anderer Stelle erfolgten großen Hitzeeinwirkung
entstanden und erst nachträglich in die Grube
eingefüllt worden sein.
Denkbar ist eine offene Grube, die ohne Kuppelüberbau als Keramikbrenngrube gedient
hat. Naheliegend ist auch eine Interpretation
als Dörrofen zum Trocknen von Obst oder
Getreide, zumal sich in der Holzkohlekonzentration im Südprofil eine geringe Menge verkohlter Getreidekörner erhalten hat. Sicherlich
ist der Befund in einen eisenzeitlichen Siedlungszusammenhang zu stellen, eine zeitliche
278
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Verbindung zum naheliegenden Gräberfeld
des 9.–11. Jahrhunderts kann ausgeschlossen
werden.
Die für den steinzeitlichen Grabhügel im Ostteil des Gräberfeldes von Wiskiauten in der
Literatur (Heydeck 1893; Hollack 1908, 198ff.;
Engel 1932b; 1935a, 109) erwähnten eisenzeitlichen Nachbestattungen, mit denen der in
Fläche 1 aufgedeckte Siedlungsbefund zeitlich zunächst in Verbindung gebracht werden
könnte, stellen sich nach Hollack (1908, 198ff.)
als kaiserzeitliche Bestattungen heraus. Der
Streufund einer Fibel mit blauen Emaileinlagen (Kemke 1906, 46; Kleemann 1939b, 224
„Fundstelle 1“) allerdings deutet zumindest
allgemein auf die Anwesenheit von Menschen
in der Vorrömischen Eisenzeit hin. Besonders
die in der 900 m östlich gelegenen Fläche 7
(vgl. Kap. C.5.2) freigelegte Abfall- oder Wirtschaftsgrube, die ebenfalls in die Vorrömische
Eisenzeit eingeordnet werden kann, gibt weitere Hinweise auf eine eisenzeitliche Besiedlung
in der Nähe Wiskiautens. Die Abfallgrube in
Fläche 7 gehört jedoch der Jüngeren Vorrömischen Eisenzeit an. Dadurch ist eine Besiedlung während der gesamten Vorrömischen
Eisenzeit belegt.
Das Vorhandensein weiterer Feuerungsanlagen in der näheren Umgebung (z. B. „an_
201/05“, vgl. hierzu auch Kap. C.4.4.1.1), darunter auch Befunde, die in einer Entfernung
von ca. 150 m vom Gräberfeld liegen (z.B.
„an_213/05“, „an_214/05“), spräche für einen
ausgedehnten Siedlungsbereich der Vorrömischen Eisenzeit im Süden und Südwesten der
Hügelgräbernekropole von Wiskiauten, wenn
ihre Gleichzeitigkeit zu dem Befund in Fläche
1 bestätigt werden könnte.
Der Befund aus Fläche 1 verdeutlicht, dass
in der Umgebung des Gräberfeldes und somit auf dem potentiell als Siedlungsgebiet in
Frage kommenden Areal mit Befunden aller
archäologischer Zeitstellungen zu rechnen ist.
Bei der Betrachtung und Interpretation der in
den geomagnetischen Messbildern erkennbaren Strukturen ist daher äußerste Vorsicht geboten.
Abb. 190 Wiskiauten. Fläche 7. Anomalie an_81/07
im geomagnetischen Messbild (Kantenlänge des
Bildausschnittes ca. 8 m; Darstellung mit +/- 3 nT).
Abb. 191 Wiskiauten. Fläche 7. Planum 2 (0,4 m unter der Oberfläche); deutlich ist Befund 1 im Osten
des Schnittes sichtbar.
C.5.2 Fläche 7
C.5.2.1 Grabungsergebnisse
Zur Überprüfung der ovalen Anomalie an_
81/07 von 2,2 m Länge und 1,6 m Breite bei
nordwest-südöstlicher Ausrichtung in den
geomagnetischen Messbildern bei einem Wert
von +/- 3 nT in Messfläche G (Abb. 190) ist Fläche 7 (Taf. 49–53) angelegt worden. Nachdem
Bohrungen im Anomalienmittelpunkt unter
dem Ackerhorizont von etwa 0,3 m Mächtigkeit eine unnatürliche Schichtenfolge bis 0,75
m unter der Geländeoberfläche anzeigten, wobei ab 0,55 m vermehrt Holzkohlepartikel und
Keramikfragmente auftraten, wurde zunächst
Die Siedlungsforschungen
279
Abb. 192 Wiskiauten. Fläche 7. Grubenbefund 1 im Profil (Ansicht von Ost).
Abb. 193 Wiskiauten. Fläche 7. Befund 1 im Planum mit Keramikkonzentrationen (Farbunterschiede zwischen oberer und unterer Bildhälfte stammen vom Zusammensetzen der Fotos).
280
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
die östliche Befundhälfte durch einen nordsüdlich ausgerichteten Grabungsschnitt von 2
x 4 m untersucht (Sektor B). Schon ab 0,3 m
Tiefe trat der Befund als dunkelbraune Verfärbung mit Resten von verziegeltem Lehm und
Keramikfragmenten zutage (Taf. 49–50). Er
grenzte sich deutlich vom umgebenden Lehmboden hellbrauner bis gelblichroter Farbe ab
(Abb. 191).
Der Befund erreichte eine Mächtigkeit von
max. 0,4 m. Im Profil (Abb. 192; Taf. 53) war
er als flache, wannenartige Grube erkennbar.
Mit einer Breite von 1,4 m und einer Länge
von etwa 2 m war die freigelegte Grube nur
geringfügig kleiner als die Anomalie im geomagnetischen Messbild.
Nach Erstellung des nord-südlich ausgerichteten Profils wurde der Grabungsschnitt in Richtung Westen auf einer Länge von 3 m um 1 m
erweitert, um die andere Hälfte freizulegen
(Abb. 193). Allerdings zeigte sich, dass der Befund noch für weitere etwa 0,2–0,3 m unter das
westliche Profil zog: Bohrungen zur Ermittlung
der Ausdehnung zeigten in den westlichen Bereichen noch eine geringe Schichtung an, die
dem Schichtaufbau des Befundes entsprachen.
Auf die Freilegung des noch verdeckten Grubenteiles wurde aus Zeitgründen verzichtet.
Insgesamt ist der Befund aufgrund der zahlreichen Keramikfragmente und einzelner
Tierknochen als Abfallgrube zu interpretieren.
Auffällig waren mehrere Konzentrationen von
Holzkohle, die mit darunterliegenden Verziegelungsbereichen in Verbindung zu stehen
schienen.
Möglicherweise wurden hier Brandreste in die
Abfallgrube entsorgt. Eine größere Anzahl von
verziegelten Lehmbrocken wies Abdrücke von
größeren Rundhölzern auf, so dass vermutet
werden kann, dass in der näheren Umgebung
Häuser mit Lehmwandbewurf gestanden haben, deren Reste in die Abfallgrube gelangt
sind.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein
weiterer Befund334, der etwa 2 m östlich des
Grubenbefundes dokumentiert wurde (vgl.
Taf. 50). Es handelt es sich um eine Pfostengrube, die im Planum bei einem Durchmesser von
Während der Ausgrabungen erhielt dieser Befund die Befundnummer 3, nachdem zuvor Befundnummer 2 für einen Tiergang vergeben worden war.
334
Abb. 194 Wiskiauten. Fläche 7. Hüttenlehmfragment (Fu.Nr. 7/92) mit Abdrücken von Rundhölzern.
Abb. 195 Wiskiauten. Fläche 7. Keramik (Fu.Nr.
7/24a).
0,26 m deutlich als runde, gräuliche Verfärbung mit sandiger, wenig Holzkohle enthaltender Verfüllung erkennbar war. Nach dem
nord-südlich ausgerichteten Profilschnitt (vgl.
Taf. 52) zeigte sich eine gerade Befundsohle.
Insgesamt wies der Befund eine Tiefe von 0,12
m auf. In der Verfüllung wurden zwei sehr
kleine Keramikfragmente von weniger als 5
mm Größe geborgen, deren typologische Ansprache nicht möglich ist.
C.5.2.2 Fundmaterial
Die Ausgrabung des Befundes 1 in Fläche 7
lieferte hauptsächlich keramische Funde, aber
auch wenige Tierknochen und zwei Rohbernsteinstücke. Daneben wurde eine sehr große
Anzahl an Verziegelungsresten geborgen, teil-
Die Siedlungsforschungen
281
weise mit Abdrücken von kleineren Rundhölzern (Abb. 194).
Gefäßkeramik stellt neben Hüttenlehmresten
bzw. verziegelten Lehmbrocken die Hauptfundgattung aus Fläche 7 dar. Überwiegend
handelt es sich um rötliche bis bräunliche,
handgemachte Irdenware, die auch im Bruch
rötlich durchgebrannt ist.
Die Magerung besteht aus Gesteinsgruß rötlicher oder weißlicher Farbe mit einer Größe bis
2 oder 3 mm. Seltener sind Scherben schwarzer Farbgebung geborgen worden.
Die erhaltenen Ränder sind entweder gerade
abgestrichen oder rundlich geformt und gehören zu leicht bauchigen Gefäßen, die bei sförmigem Profil nur einen kurzen oder keinen
Halsansatz besitzen. Verzierung kommt nur in
Form von Fingernageleindrücken auf der Gefäßlippe vor (Taf. 83, 1). In einem Fall wurde
eine Wandscherbe mit Henkelansatz geborgen.
Auch ein ganzer, bandförmiger Henkel liegt
vor (Taf. 83, 22). Aus den Keramikfragmenten
ließen sich bei der Fundbearbeitung mehrere
größere Fragmente zusammensetzen. In einem
Fall lässt sich dadurch ein rundbodiges Gefäß
ermitteln (Abb. 195; Taf. 83, 1335). Insgesamt
lassen sich mindestens fünf verschiedene Gefäße unterscheiden, deren Scherben jeweils nur
durch kleine Unterschiede in der Oberflächengestaltung oder durch eine unterschiedliche
Farbe voneinander abgegrenzt werden können. Problematisch ist die typologische Einordnung der Keramikgefäße von Wiskiauten,
da für die Vorrömische Eisenzeit keine grundlegende Keramiktypologie vorliegt und Siedlungen der Vorrömischen Eisenzeit und somit
auch deren Keramik aus Ausgrabungen nicht
bekannt sind. Das keramische Material aus
Fläche 7 war aufgrund seiner unspezifischen
Machart zunächst durchaus mit der in Fläche 5
geborgenen, einfachen handgemachten Keramik vergleichbar. Erst durch 14C-Analysen mit
einer Datierung in die ersten vier vorchristlichen Jahrhunderte (vgl. Kap. C.5.2.3) stellte
sich jedoch ein viel höheres Alter heraus als
anfangs angenommen.
Somit mahnen die Keramikfunde von Fläche 7
erneut zu großer Vorsicht bei der vorschnellen
Ansprache oder Datierung einzelner Keramikfragmente. Scheinbar hat die Keramikproduktion bei Wiskiauten über Jahrhunderte auf das
gleiche Ausgangsmaterial und ähnliche Techniken zurückgegriffen, so dass die Keramik der
Vorrömischen Eisenzeit und des beginnenden
Frühmittelalters in Bezug auf Magerung und
Beschaffenheit sehr ähnlich wirkt. Lediglich
die nach der vorläufigen Restaurierung sichtbaren Rundböden und die Henkel lassen sich
als chronologische Anhaltspunkte ausdeuten
und können nun als Merkmal eisenzeitlicher
Siedlungskeramik herausgestellt werden.
Nach erneuter Durchsicht des keramischen Materials aus Fläche 7 gelang es, dem Gefäßoberteil
(vgl. Taf. 83, 2) auch ein großes Stück Wandung
zuzuordnen, das jedoch in der Zeichnung nicht
berücksichtigt ist. Vom letzten Restaurierungszustand existiert daher bislang nur ein Foto.
KIA 34280: Radiocarbon Age: BP 2248 +/- 23, OneSigma-Range: cal BC 383-356, Two-Sigma-Range:
cal BC 390-208.
335
C.5.2.3 Datierung
Die zeitliche Stellung des Grubenbefundes in
Fläche 7 kann aufgrund der oben beschriebenen Probleme einer fehlenden Keramiktypologie nur anhand der 14C-Daten auf die ersten
vier Jahrhunderte v. Chr. eingegrenzt werden.
Insgesamt liegen vier Datierungen von Holzkohleproben vor, die alle aus der Verfüllung
der Grube stammen:
1. KIA 34278, Holzkohleprobe: 2175 +/- 30 BP =
360-120 v. Chr.336
2. KIA 34279, Holzkohleprobe: 2129 ± 23 BP =
753-392 v. Chr. und 345-57 v. Chr. 337
3. KIA 34280, Holzkohleprobe: 2248 ± 23 BP =
390-208 v. Chr.338
4. KIA 34284, Holzkohleprobe: 2198 +/- 38 BP =
379-170 v. Chr.339
Probe KIA 34279 lieferte dabei mit 0,4 mg Kohlenstoff insgesamt zu wenig Probenmaterial
KIA 34278: Radiocarbon Age: BP 2176 +/- 29, OneSigma-Range: cal BC 352-173, Two-Sigma-Range:
cal BC 360-120.
336
KIA 34279[a] (Laugenrückstand): Radiocarbon
Age: BP 2404 +/- 53, One-Sigma-Range: cal BC
724-400, Two-Sigma-Range: cal BC 753-392; KIA
34279[b] (Huminsäure): Radiocarbon Age: BP 2129
+/- 23, One-Sigma-Range: cal BC 200-112, Two-Sigma-Range: cal BC 345-57.
337
338
KIA 34284: Radiocarbon Age: BP 2198 +/- 38, OneSigma-Range: cal BC 357-200, Two-Sigma-Range:
cal BC 379-170.
339
282
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
für eine sichere Datierung. Deshalb sind die Ergebnisse hier zunächst zu vernachlässigen und
es ist nur eine ungefähre Altersbestimmung
möglich. Eine erneute Messung der gleichen
Probe erfolgte über die Huminsäurefraktion
und ergab ein Alter, das in das Spektrum der
anderen drei Datierungen passt. Die Menge
von 1,9 mg Kohlenstoff reichte in diesem Fall
für eine sichere Datierung aus und erbrachte
die letzten vier vorchristlichen Jahrhunderte
als Ergebnis.
Als zuverlässig anzusehen sind die Resultate
der drei anderen Proben. Sie liefern übereinstimmend Hinweise auf eine Datierung in das
4.–2. vorchristliche Jahrhundert. Der Befund
gehört somit in die Jüngere Vorrömische Eisenzeit.
C.5.2.4 Interpretation
Der Grubenbefund in Fläche 7 ist zunächst als
Wirtschafts- oder Abfallgrube anzusprechen,
da sich vor allem zerscherbte Keramikgefäße
und Tierknochen als Nahrungsreste darin befunden haben. Auch die Holzkohlekonzentrationen dürften als Abfall anzusehen sein und
sind vermutlich als Brandrückstände eines
Ofens oder einer Herdstelle in die Grube entsorgt worden; deshalb kam es in geringfügigem Maße in diesen Bereichen zur Verziegelung des Bodens. Darüber hinaus fanden sich
jedoch auch große Mengen an verziegelten
Lehmbrocken, die durch rundliche Abdrücke
von größerem Durchmesser als Reste von Holzkonstruktionen anzusehen sind. Sie könnten
ebenfalls als Abfall in die Grube entsorgt worden sein. Indirekt wird durch die Hüttenlehmfragmente auch das Vorhandensein von zeitgleichen bzw. geringfügig jüngeren Häusern
in der Nähe angezeigt. Dafür spricht auch der
einzelne Pfostenbefund in Fläche 7, Befund 2,
wenngleich für dieses Objekt keine Datierung
vorliegt. Eine Gleichzeitigkeit ist daher nicht
schlüssig nachzuweisen.
Die Abfallgrube in Fläche 7 steht wahrscheinlich in Zusammenhang mit einer eisenzeitlichen Siedlung, die im Zeitraum zwischen dem
4. und 2. vorchristlichen Jahrhundert im Osten
des Gräberfeldes von Wiskiauten existiert haben dürfte. Zu Größe und Ausdehnung oder
Form der Niederlassung können keine Aussagen getroffen werden. Die geomagnetische
Messfläche G zeichnet sich insgesamt durch
eine Konzentration von Anomalien aus, von
denen einige gleicher Zeitstellung wie das Objekt in Fläche 7 sein dürften. Andererseits zeigt
die nur 50 m östlich gelegene Fläche 8 mit
einer Datierung in das 7. und 8. Jahrhundert,
dass die räumliche Nähe von Anomalien in
den Messbildern allein keinerlei Aussagekraft
in Bezug auf eine ähnliche Zeitstellung besitzt.
Zusammen mit dem bereits im Jahr 2005 ausgegrabenen Ofenbefund in Fläche 1 etwa 50
m südlich des Gräberfeldes in der Kaup bei
Wiskiauten liegt nun der zweite Nachweis
von eisenzeitlichen Siedlungsaktivitäten im
Umfeld der Nekropole vor. Dabei gehört der
Ofenbefund aus Fläche 1 einer früheren Phase
an, während die Abfallgrube in Fläche 7 einer
jüngeren Besiedlungsphase zuzuordnen ist.
Zugehörige Gräber sind bisher nicht bekannt
geworden.
C.5.3 Fläche 3
C.5.3.1 Grabungsergebnisse
Der Grabungsschnitt Fläche 3 (Taf. 15-17) liegt
etwa 1,2 km nordwestlich des Hügelgräberfeldes von Wikiauten am Rande eines kleinen
Baches mit dem alten deutschen Namen Woj340,
der in russischen Karten keine namentliche
Entsprechung hat. Im Westen des Baches, der
heute drainiert ist, wurde im Jahr 2005 auf einer Fläche von etwa 360 x 110 m ein größeres
Areal geomagnetisch vermessen. Es wird in
dieser Studie als „Messfläche C“ benannt.
In dieser Messfläche sind mehrere große Anomalien im Randbereich des Baches zu erkennen, von denen eine durch den als Fläche 3 benannten Ausgrabungsschnitt von 3 x 4 m Ausdehnung untersucht wurde (Abb. 196). Schon
vor den geomagnetischen Messungen ist etwa
5-7 m westlich des Baches in dessen unmittelbarem Randbereich durch mehrere Bohrungen
in einer Tiefe von 0,2-0,45 m unter der Geländeoberfläche eine mehr oder weniger flächige
Kulturschicht von dunkelgrauer bis schwarzer
Farbe nachgewiesen worden. Die Bohrkerne
enthielten geringe Fragmente von Keramik
und Tierknochen, die auf gut erhaltene Fundschichten schließen ließen.
Mit diesem Namen bezeichnete man in Ostpreußen zahlreiche kleinere Flüsse (Kleemann 1939a,
6).
340
Die Siedlungsforschungen
283
Abb. 196 Wiskiauten. Fläche 3. Links: Ausschnitt aus Geomagnetikmessfläche C, der rote Rahmen markiert
die Lage von Fläche 3 (Darstellung mit 128nT; Abbildung genordet). – Rechts: dunkelbraune bis schwarze,
fundführende Kulturschicht nach Abtrag des Ackerbodens.
Abb. 197 Wiskiauten. Fläche 3. Ostprofil (Ansicht von Westen). Links: schwarze Kulturschicht ohne Markierung. – Rechts: Kulturschicht mit zeichnerischer Hervorhebung.
Der Grabungsschnitt wurde so ausgewählt,
dass eine in den geomagnetischen Messbildern
erkennbare, großflächige, amorphe Anomalie von ca. 3 x 6 m Ausdehnung erfasst wurde.
Durch den Import des digitalen Messbildes in
das GIS-System hat sich aber offensichtlich der
Kontrast so stark erhöht, dass für das Einzelobjekt der Eindruck einer flächigen Anomalie
entstand. In den originalen Messbildern wurde dagegen nach dem Beginn der Abtiefungsarbeiten festgestellt, dass sich der vermutete
großflächige Befund in drei kleinere Anomalien aufgliedert (vgl. Abb. 196, links).
Schon nach dem Abtrag des in diesem Bereich
ca. 0,3–0,4 m mächtigen Ackerhorizontes gab
sich eine durchgehende Schicht dunkelbrauner bis schwarzer Farbe zu erkennen (Abb. 196,
rechts; Taf. 15), die aus sandigem bis lehmigem
Sediment mit hohen Tonanteilen bestand. In
diese Schicht eingebettet fanden sich zahlreiche, sehr stark abgerollte Keramikfragmente
sowie große Mengen an Tierknochenfragmenten. Vereinzelt wurde auch Holzkohle angetroffen.
Die Schicht erreichte bei einer Mächtigkeit
zwischen 0,2 und 0,3 m Tiefen von 0,4–0,7 m
unter der Grasnarbe, nur in der Nordostecke
reichte sie im Bereich eines vermutlichen Grubenbefundes bis in eine Tiefe von 0,8 m hinab
(vgl. Abb. 197; Taf. 16, unten; Taf. 17, unten).
284
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Auch ein erhöhter Fundanfall war nicht zu beobachten. Der Grund ihrer Entstehung bleibt
unklar. Es könnte sich um eine anthropogen
angelegte Grube oder aber um eine natürliche
Bodensenke handeln, in die später Siedlungsmaterial hineinerodiert ist.
C.5.3.2 Fundmaterial
Abb. 198 Wiskiauten. Fläche 3. Grubenbefund in
der Nordostecke; im Vordergrund auf einem Sockel Keramikscherben, links daneben im Planum
Knochenreste.
Lediglich im Ost- und Nordprofil (Taf. 16, unten; Taf. 17, unten) konnte über der schwarzen Kulturschicht eine 0,1–0,15 m mächtige,
schwärzliche bis gräuliche, stark verdichtete
Schicht aus sehr tonigem Sediment festgestellt
werden. Sie ist vermutlich durch fluvial angeschwemmtes Bodenmaterial entstanden und
dürfte als Ergebnis einer Überschwemmung
zu interpretieren sein.
Die fundführende schwarze Kulturschicht fiel
nach Osten hin relativ flach zum Bachlauf hin
ab, auf einer Strecke von 3 m beträgt der Höhenunterschied lediglich ca. 0,1 m (vgl. Taf.
17).
Eine Besonderheit bildet der in der Nordostecke angeschnittene Befund (Abb. 198; Taf.
16, oben), bei dem es sich vermutlich um eine
Grube handelt. Hier reichte das schwarze Sediment bis in eine Tiefe von 0,8 cm, wobei der
Befund im Planum deutlich begrenzt wirkte.
Diese Grube entspricht einer rundlichen, größeren Anomalie im geomagnetischen Messbild, von der durch Fläche 3 nur eine kleine
Ecke freigelegt wurde.
Da ab einer Tiefe von 0,8 m massiv Grundwasser an die Oberfläche des Planums trat, war
bei tiefer liegenden Befunden mit guten Erhaltungsbedingungen für Holz oder andere
organische Stoffe zu rechnen. In den Profilen
(vgl. Taf. 16, unten; Taf. 17, unten) wies der
Befund eine gerundete Sohle auf. Eine innere
Gliederung war nicht erkennbar. Es handelt
sich vermutlich nicht um eine Pfostengrube.
Aus der schwärzlichen Kulturschicht stammen
zahlreiche Keramik- und Tierknochenfragmente sowie mehrere Objekte aus Eisen. Sowohl Knochen als auch Keramik sind bei der
Auffindung sehr stark fragmentiert gewesen,
größere Stücke konnten nur selten dokumentiert werden.
C.5.3.2.1 Tierknochen
In Fläche 3 konnte eine große Menge Tierknochen geborgen werden. Alle Stücke sind stark
fragmentiert, der Erhaltungszustand variiert.
Überwiegend war die Knochensubstanz gut
erhalten, nur wenige Fragmente zerfielen bei
der Bergung aufgrund ihrer weichen Konsistenz. Eine tierartliche Bestimmung der Knochen ist bisher noch nicht erfolgt. Die sehr
wenigen Fragmente kalzinierter Knochen mit
einer Größe unter 0,5 cm lassen keine Zuweisung zu Tier- oder Menschenknochen zu. Insgesamt sprechen die in die Kulturschichten
eingebetteten Tierknochen dafür, dass in der
Nähe der Fundschichten tierische Nahrung
verarbeitet wurde.
C.5.3.2.2 Keramik
Bei der relativ dickwandigen Keramik handelt
es sich ausschließlich um handgemachte Ton-
Abb. 199 Wiskiauten. Fläche 3. Keramikscherbe
(Fu.Nr. 3/42) mit rötlichbrauner Oberflächenfarbe;
deutlich ist die grobe Magerung erkennbar.
Die Siedlungsforschungen
ware mit einer meist groben Magerung aus
rötlichem Granit- oder weißlichem Quarzitgrus bis 2 mm Größe bei scharfkantiger Form.
Selten waren bei der Bergung dieser Fragmente beide Oberflächen erhalten, in den meisten
Fällen war entweder die Inne- oder die Außenseite abgeplatzt. Feine Wurzeln zeigen an, das
Pflanzenwuchs für die Zerstörung verantwortlich zu machen ist. Die erhaltenen Oberflächen
sind sowohl innen als auch außen von dunkelgrauer bis schwarzer Farbe oder weisen auf
beiden Seiten einen bräunlichen, selten orangenen Farbton auf (Abb. 199). Im Kern sind
sie meist schwarz bis grau. Die Keramik wirkt
nicht besonders hart gebrannt. Dies kommt
auch in der oft schlechten Erhaltung und einer weichen Konsistenz zum Ausdruck. Die
meisten Fragmente besitzen daher nur geringe
Größen zwischen 30 und 50 mm.
Abgesehen von den zahlreichen Wandscherben sind nur fünf Randstücke zu vermerken,
Bodenscherben wurden nicht beobachtet.
Zwei Randscherben (Taf. 72, 12-13) stammen
von Gefäßen mit gerade abschließendem Rand,
der keine Verzierungen aufweist. Ein Gefäß
weist einen weit ausladenden Rand auf (Taf.
72, 14), ist aber ansonsten ebenso gestaltet.
Fast scharf profiliert wirken zwei sehr kleine
Randfragmente (Taf. 72, 10-11), die beide aus
sehr schwarzem, geglättet wirkendem Ton
gefertigt sind. Zumindest ein Stück ist dabei
mit nur 3 mm äußerst dünnwandig, während
die anderen Scherben bis zu 1,0 cm Dicke erreichen können. Typologisch sind die kleinen
Fragmente schwer anzusprechen, weshalb bei
der Ermittlung der Zeitstellung nicht zuletzt
aufgrund des Fehlens einer abgesicherten Keramiktypologie in der gesamten Region auf
naturwissenschaftliche Datierungsmethoden
zurückgegriffen wird (vgl. Kap. C.5.3.3). Dabei
spielt besonders ein Randstück mit einer verkohlten, organischen Masse an der Innenseite,
vermutlich aus verbrannten Speiseresten, eine
große Rolle (Taf. 72, 13).
Etwas problematisch in ihrer Beurteilung ist
eine große, grob gearbeitete Randscherbe mit
Fingereindrücken als Verzierung auf der Lippe (Taf. 72, 15). Das zugehörige Gefäß war
vermutlich handgemacht und besaß eine sehr
raue Oberfläche mit erkennbaren Magerungspartikeln von bis zu 0,4 cm Größe, die hauptsächlich aus weißlichem Quarzitgrus bestan-
285
Abb. 200 Wiskiauten. Fläche 3. Rundliches Eisenobjekt, wahrscheinlich Verhüttungsrest (Fu.Nr. 3/13).
den. Die Randstellung weist auf ein Gefäß mit
weitmündiger Öffnung bei einem geschätzten
Durchmesser von etwa 20 cm hin. Dieses Stück
erinnert an große Urnen vom Typ Grebieten,
die auf jüngerkaiserzeitlichen Gräberfeldern
reichlich in Erscheinung treten (vgl. z.B. Nowakowski 1996, Taf. 11, 13; 13, 4; 38, 8). Aufgrund der 14C-Daten aus dem Grabungsschnitt
(vgl. Kap. C.5.3.3) ist eine Datierung in die Kaiserzeit jedoch eher auszuschließen.
C.5.3.2.3 Metallfunde
Abgesehen von einigen neuzeitlichen, aufgrund ihrer starken Korrosion und schlechten
Erhaltung unbestimmbaren Eisenobjekten aus
dem Ackerhorizont, die vermutlich neuzeitlichen Ursprungs sind, lieferte die Kulturschicht
in Fläche 3 weitere Eisenobjekte. Neben einem
bis zur Unkenntlichkeit korrodierten dünnen
Gegenstand (Fu.Nr. 3/5; ohne Abb.), bei dem
es sich ursprünglich eventuell um einen Nagel gehandelt hat, liegt ein weiteres Objekt (Fu.
Nr. 3/66; ohne Abb.) vor, das vielleicht ebenfalls als Nagel anzusprechen ist. Es besitzt einen gewölbten, rundlichen Kopf und einen
daran sitzenden rundlichen Fortsatz von ca.
1,5 mm Länge, der dem Nagelschaft entsprechen könnte. Da sich das Stück bei Fertigstellung dieser Studie noch in der Restaurierung
286
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
Abb. 201 Wiskiauten. Fläche 3. Links: Messer (Fu.Nr. 3/8), Eisen, Griffangel abgebrochen. – Rechts: Gegenstand unbekannter Funktion, Eisen(Fu.Nr. 3/67).
befand, können keine endgültigen Aussagen
getroffen werden.
Bei einem weiteren Eisenfund (Abb. 200) handelt es sich um ein rundlichen Gegenstand von
ca. 80–100 mm Durchmesser, der schalenartig
geformt ist und eine rundliche Unterseite bei
nach innen gewölbter Oberseite besitzt. In der
Mulde in der Oberseite sitzen grünliche, verglaste Schlackereste an. Das Objekt scheint
massiv zu sein und besitzt eine starke Wandung von 15 mm Dicke. Es lässt sich vorläufig als Verhüttungsrest interpretieren und gewinnt durch den daraus resultierenden Nachweis von handwerklichen Tätigkeiten große
Bedeutung.
Ein längliches Objekt aus Eisen Abb. 201, rechts)
lässt sich in seiner Funktion bisher nicht näher
eingrenzen. Der Gegenstand ist insgesamt
ca. 45 mm lang und besitzt einen rundlichen
Querschnitt. Eine starke Korrosion verhinderte vor der Restaurierung eine genaue Betrachtung. Am ehesten dürfte es sich auch hierbei
um einen Nagel handeln. Ein weiterer eiserner
Gegenstand (Abb. 201, links) kann als Messer
mit leicht geschwungenem Rücken und gebogener Schneide angesprochen werden. Eine
Griffangel ist nicht erhalten. Ohne vorherige
Restaurierung ist auch in diesem Fall eine typologische Ansprache unmöglich.
C.5.3.2.4 Sonstige Funde
Abgesehen von Keramik, Tierknochen und den
oben beschriebenen Eisenobjekten fanden sich
in Fläche 3 innerhalb der Siedlungsschicht nur
einige kleinste Fragmente von Bernstein (Fu.Nr.
3/3–3/5341) ohne Bearbeitungsspuren sowie ein
341
Es handelt sich bei den Bernsteinfunden um so
sehr weicher rötlicher Lehmbrocken, der beim
Schlämmen einer Bodenprobe bemerkt wurde.
Möglicherweise handelt es sich um ein Stück
Hüttenlehm, da das Stück rundliche Abdrücke auf der Innenseite bei geglätteter Außenseite aufweist. Dieser Fund weist auf eine mögliche Bebauung mit lehmverputzten Häusern
in direkter Umgebung von Fläche 3 hin, reicht
aber als Einzelfund für derartige Interpretationen bei weitem nicht aus. Da die Durchmesser
der Abdrücke maximal 15 mm messen, kann
es sich auch um Reste von Ofenkuppeln oder
sonstigen Konstruktionen handeln, bei denen
Lehm und Holz Verwendung fanden.
C.5.3.3 Datierung
Für eine Datierung fällt das Fundmaterial weitgehend aus. Die Metallfunde sind noch unrestauriert, die Einfachheit der handgemachten
Keramik ohne aufwändige Verzierungen oder
besondere technologische Merkmale verbietet
eine typologische Bestimmung. Darüber hinaus fehlen im Arbeitsgebiet eine abgesicherte
Keramikchronologie sowie die Keramikfunde
aus Ausgrabungen der Zeit vor dem Krieg aus
den Beständen des ehemaligen Prussia-Museums, die einen Vergleich ermöglichen könnten.
Die zeitliche Einordnung der Kulturschichten
in Fläche 3 und des darin enthaltenen keramischen Fundmaterials kann daher zunächst nur
über die naturwissenschaftliche Datierung
einer verkohlten Speiseinkrustation an einer
Randscherbe (Taf. 72, 14) vorgenommen werden. Demnach gehört das Fragment in die Jahkleine Fragmente, dass eine Dokumentation nicht
sinnvoll erschien.
Die Siedlungsforschungen
re zwischen 721–955342 Die Eisenfunde liefern
keine chronologischen Hinweise, negieren
aber eine Zeitstellung, die vor der entwickelten Eisenzeit liegt. Somit sind steinzeitliche
oder bronzezeitliche Siedlungsreste auszuschließen. Die Datierung eines aus der Kulturschicht selbst geborgenen Holzkohlefragmentes erbrachte ein relativ frühes Datum zwischen 660 und 770343. Eine Übertragung dieser
Datierung auf die gesamte Kulturschicht ist
aber mit der Unsicherheit belastet, dass keine
geschlossenen oder sterilen Straten abgegrenzt
werden konnten und damit das Material nicht
gesichert aus ungestörten Schichten stammt,
sondern nur allgemein aus der Kulturschicht.
Ob die Auffindung von Metallgegenständen
wie Gewichten und Silbermünzen sowie diverser anderer Buntmetallfunde in der weiteren Umgebung von Fläche 3 (vgl. hierzu
Kap. C.4.4.3.3) mit der in Fläche 3 in Resten
nachgewiesenen Siedlungsaktivität in Zusammenhang steht, ist bisher nicht zu entscheiden,
muss aber ohne konkrete Funde aus der Kulturschicht vorerst offen bleiben. Die Datierung
der Speiseinkrustation an der Keramikscherbe
in das 8.–10. Jahrhundert lässt dies aber möglich erscheinen.
Es deutet sich an, dass sowohl die Siedlungsschicht als auch das Fundmaterial dem letzten
Drittel des ersten nachchristlichen Jahrtausends
zuzuordnen ist. Möglicherweise erstreckt sich
die Siedlungsaktivität auf den gesamten Zeitraum zwischen dem frühesten Datum von 660
und dem spätesten möglichen Zeitpunkt um
955. Denkbar ist auch, dass die tatsächliche
Entstehung im Überschneidungsbereich der
beiden Datierungen und somit zwischen 721
und 770, also im 8. Jahrhundert, anzusetzen ist.
Zu diesem frühen Ansatz passt die offenbar
noch sehr rudimentäre und kaum entwickelte
Keramik mit ihren einfachen Randformen und
der groben Machart. Allerdings sei erneut das
weitgehende Fehlen von Vergleichsmaterial
betont.
KIA 30156: Radiocarbon Age: BP 1196 +/- 32, OneSigma-Range: cal AD 781-882, Two-Sigma-Range:
cal AD 721-955.
342
KIA 30155: Radiocarbon Age: BP 1315 +/- 23, OneSigma-Range: cal AD 664-761, Two-Sigma-Range:
cal AD 660-770.
343
287
C.5.3.4 Interpretation
Mit großer Wahrscheinlichkeit kann die in
Fläche 3 aufgefundene Schicht dunkler bis
schwarzer Erde mit ihren zahlreichen Fundeinbettungen als Siedlungs- oder Kulturschicht angesprochen werden. Unklar ist, ob
es sich um umgelagertes, ursprünglich weiter westlich gelegenes Bodenmaterial handelt,
das durch unbekannte Erosionsprozesse an
die Stelle seiner späteren Auffindung verlagert
wurde, oder ob die Schichten in situ dokumentiert wurden, also am Ort ihres späteren Nachweises entstanden sind. Vielleicht handelt es
sich um eine Bodenschicht, die ursprünglich
zumindest zeitweise unter dem Einfluss des
naheliegenden Bachlaufes gestanden hat und
in die Abfälle einer nahegelegen Siedlung entsorgt wurden. Allerdings ist der ursprüngliche Verlauf dieses Wasserlaufes bisher nicht
ausreichend untersucht. Die heutige drainierte
Wasserführung entspricht zwar in etwa der Geländesituation in den topographischen Karten,
beiderseits des eingezeichneten Wasserlaufes
ist jedoch eine Vernässungszone verzeichnet,
in der die Grabungsfläche liegt. Sie erreicht im
Bereich von Fläche 3 eine Breite von 25 m.
Für eine Auffindung in situ könnte dagegen
die Einbettung der größeren Metallgegenstände in die Siedlungsschicht sprechen, die durch
kleinere Sedimentationsprozesse sicherlich
nicht weit verlagert worden sein dürften.
Ob es sich bei dem in der Nordostecke von
Fläche 3 dokumentierten Befund um eine intentionell angelegte Grube oder um eine natürliche Bodensenke handelt, muss ebenfalls
unentschieden bleiben.
Letztendlich ist die aufgedeckte Fläche zu begrenzt, um eine abschließende Interpretation
vornehmen zu können. Deutlich zeigen die
dokumentierten Siedlungsreste aber an, dass
zumindest in unmittelbarer Nähe eine Siedlungstätigkeit stattgefunden hat, deren Überreste aus bisher unbekannten Gründen zur
Entstehung der mindestens 0,3 m mächtigen
Ablagerungsschicht geführt hat.
Interessant ist eine Bemerkung von Kleemann
(1939b, 214; 224), nördlich der Straße DollkeimCranz befinde sich eine Siedlung des 13.–14.
Jahrhunderts, die durch vorkriegszeitliche
Grabungsschnitte deutscher Archäologen und
die dabei aufgefundene Keramik belegt sei
(vgl. Abb. 19, Nr. 19). Hierbei sollen Siedlungs-
288
T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung
schichten von 0,7 m Mächtigkeit beobachtet
worden sein. Auch südlich der Straße, also
in unmittelbarer Umgebung der Fläche 3 des
Jahres 2005 soll aufgrund von Oberflächenfunden eine Siedlungsstelle gleicher Zeitstellung
nachgewiesen sein (ebd.). In diesem Zusammenhang ist auf die zahlreichen Streufunde in
den ersten 0,3 m des Grabungsschnittes hinzuweisen, darunter auch Fragmente von bleiglasierter Drehscheibenkeramik. Diese Oberflächenfunde allein rechfertigen aber nicht, von
einer Siedlung gleicher Zeitstellung auszugehen, da die Keramik auch durch Düngung
mit Stallmist auf landwirtschaftlich genutzte
Flächen gelangt sein kann. Die Siedlungsreste
in Fläche 3 gehören nach Ausweis der naturwissenschaftlichen Datierung jedenfalls einer
früheren Siedlungsphase an.
Auch in der Umgebung von Fläche 3 liefern
einige weitere Befunde und durch Bohrungen
überprüfte An