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„Etwa hier die Siedlung“ Der frühmittelalterliche Fundplatz Wiskiauten/Mohovoe im Kaliningrader Gebiet im Lichte alter Dokumente und neuer Forschungen Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel vorgelegt von Timo Ibsen Kiel 2009 Erstgutachter: Prof. Dr. C. von Carnap-Bornheim Zweitgutachter: Prof. Dr. M. Müller-Wille Tag der mündlichen Prüfung: 12. Mai 2009 Durch den zweiten Prodekan, Prof. Dr. R. Zaiser zum Druck genehmigt am: 10. Mai 2010 Vorwort Im Jahr 2005 begann gleichzeitig mit dieser Arbeit ein archäologisches Forschungsprojekt, dass sich die Auffindung von Siedlungsspuren in der Umgebung der Hügelgräbernekropole von Wiskiauten (heute Mohovoe in Russland) zum Ziel gesetzt hat und das nun mit der Vorlage dieser Dissertation ein erstes Etappenziel erreicht hat. Die Idee, sich mit einem der interessantesten und meist diskutierten frühmittelalterlichen Fundplätze an der südlichen Ostseeküste zu beschäftigen, entstand auf einer Exkursion ins Kaliningrader Gebiet unter Leitung von Prof. Claus von Carnap-Bornheim im Jahr 2002 – in seinem Kopf! Nach einer zweijährigen theoretischen und praktischen Beschäftigung mit dem Gräberfeld von Groß Ottenhagen/Berezovka im Rahmen meiner Magisterarbeit und ersten russisch-deutschen Ausgrabungen, die als Testprojekt begonnen haben und schließlich nach Wiskiauten führten, hat Claus von Carnap-Bornheim mich in archäologischer Hinsicht zielsicher auf einen Weg gebracht, den ich so schnell wohl nicht mehr verlassen werde. Dafür und darüber hinaus auch für die vielen privaten Impulse, für das in mich gesetzte Vertrauen und für vielerlei Unterstützung in jeglicher Hinsicht möchte ich mich aufrichtig bedanken. Ihm und Prof. MüllerWille als Zweitgutachter danke ich auch für die Übernahme und Betreuung dieser Arbeit ganz herzlich. Ein Grabungsprojekt, das praktisch aus dem Nichts ersteht und irgendwo auch ein bis dato archäologisches Nichts, die Siedlung von Wiskiauten, dingfest zu machen versucht, braucht viel Unterstützung und Hilfe. Sie wurde mir und meinem Team von vielerlei Seite aus zuteil. Die erste vertrauensvolle finanzielle Starthilfe für die Feldarbeiten verdankt das WiskiautenProjekt Prof. S. von Schnurbein und der Römisch-Germanischen Kommission Frankfurt a. M., die auch unter Leitung von Dr. F. Lüth weiterhin die Forschungen unterstützt. Beiden sei dafür herzlich gedankt. Gleichzeitig ermöglichten mir dankenswerterweise R. Bröcking und P. Kessler von der Beratungsgesellschaft für Beschäftigung in Schleswig-Holstein mit einer über den Europäischen Sozialfond finanzierten Anstellung, die gleichzeitig auch von der RömischGermanischen Kommission Franfurt a. M. und dem Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz zu Berlin getragen wurde, die so wichtige, dauerhafte Beschäftigung mit dem Fundplatz. Ihnen allen, besonders auch Prof. W. Menghin gilt mein herzlicher Dank. Dank dieser Hilfestellungen gelang es im Jahr 2007 mit den ersten, bis dahin erzielten Ergebnissen, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen Antrag im Normalverfahren bewilligt zu bekommen, was für weitere drei Jahre die Feldforschungen ermöglichte. Hier sei besonders Dr. D. Bienert, aber auch Dr. E.-M. Streier, für das Vertrauen und die großzügige Erweiterung der Möglichkeiten gedankt. Auch der International-Center der Christian-Albrechts-Universität Kiel und hier besonders A. Ritter leisteten in dieser Anfangsphase einen finanziellen Beitrag. Besonderer Dank gebührt auch dem Stiftungsrat und dem wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Schleswig-Holsteinischer Landesmuseen Schloß Gottorf sowie der gesamten Belegschaft des Archäologischen Landesmuseums, wobei besonders die unermüdlich organisierende S. Fischbach hervorzuheben ist. Eine solch angenehme Arbeitsatmosphäre fördert die Forschung. Für unbürokratische technische Hilfe in allen Lebens- und Grabungsfragen danke ich stellvertretend für das gesamte Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein W. Bauch, J. Fischer und T. Prodtzig. Mit Bekleidung für die Grabungen half das Technische Hilfswerk Kiel, mit der Vermietung eines angemessenen Fahrzeuges für die Grabungen K. Roddewig und S. Hartung von der AG Ochsenweg gGmbH. Im Hinblick auf die Gewinnung von Daten vor Ort gebührt vor allem V. I. Kulakov von der Baltischen Expedition des Archäologischen Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften Moskau und dessen Direktor Prof. N. A. Makarov für die Erlaubnis zur und die Unterstützung bei der Forschung mein größter Dank. Weiterhin hat mein Freund K. N. Skvorzov mich in jeder Hinsicht in Russland unterstützt. Für großartige und großflächige geophysikalische Messungen am Fundplatz, die neben den Ausgrabungen das Herzstück dieser Studie darstellen, sei Dr. H. Stümpel vom Institut für Geowissenschaften der CAU Kiel und seinen Mitarbeitern H. Petersen, Dr. S. Wölz, C. Cajar, C. Podolski, V. Glomb, C. Podolski, Chr. Klein, M. Proksch und T. Wunderlich gedankt. Fachlich haben mich Prof. D. Heinrich (Institut für Haustierkunde der CAU Kiel), Prof. P Grootes und Dr. M. Hüls (Leibniz-Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung der CAU Kiel), Dr. V. Hilberg (Schleswig), Dr. R. Bleile und viele andere weitergebracht, wofür ich allen danke. Die Grabungen vor Ort waren nur möglich durch die engagierte Mitarbeit von vielen fleißigen Händen, die zu den Studierenden L. Schlisio, K. Kamp, T. Schroedter, M. Mennenga, S. Knorre, A. Windler, H. Onat, J. Sahr, F. Trede, B. Irkens und F. Schmoll gehören. Darüber hinaus haben zahlreiche russische Studierende an den Grabungen mitgewirkt. Stellvertretend seien Dima 1, Dima 2, Iwan, Olga, Piotr und Igor genannt. Auf ihren Schultern sind die hier zusammengefassten Forschungsergebnisse errungen. Wichtig sind auch die vielen Freunde gewesen, die in allen Zeiten an mich geglaubt haben und mir ihre Unterstützung in allen Lebensbereichen sicherten. Dafür danke ich R. Blankenfeldt, A. Rau, I. Hillenstedt, K. Hein, S. Kalmring, A. Wendt, J. Prassolov, A. Bartsch und M. Honold und vielen anderen sowie besonders B. Kısakürek, die zum Schluss die nötige Übersicht behielt. Besonders danken möchte ich meinem Freund und Kollegen J. Frenzel, auf den privat wie beruflich immer Verlass ist. Es macht Spaß, mit Dir zu arbeiten. Meiner Mutter Gudrun Ibsen und meinem leider kurz vor Fertigstellung dieser Studie verstorbenen Vater Willi Ibsen möchte ich diese Arbeit widmen. Kiel, den 26. Februar 2009 Inhalt A Grundlagen .................................................................................................................................. 13 A.1 Einführung.................................................................................................................................. 13 A.2 Zielsetzung der Arbeit............................................................................................................... 15 A.3 Methodische Vorbemerkungen................................................................................................ 16 A.4 Forschungsgeschichte zum Fundplatz von Wiskiauten....................................................... 17 A.4.1 Forschungsgeschichte zum Gräberfeld............................................................................ 17 A.4.1.1 Deutsche Forschungsepoche vor 1945...................................................................... 17 A.4.1.2 Prussia-Verlagerungsgeschichte................................................................................ 25 A.4.1.3 Sowjetische und russische Forschungsepoche nach 1945...................................... 26 A.4.2 Forschungsgeschichte der Siedlungsuntersuchungen.................................................. 27 A.4.2.1 Deutsche Forschungen vor 1945................................................................................ 27 A.4.2.2 Russische Forschungen zwischen 1945 und 2005................................................... 30 A.4.2.3 Neue Forschungen 2005–2007.....................................................................................31 A.5 Quellen und Quellenprobleme................................................................................................. 33 A.5.1 Ausgrabungsmethodik....................................................................................................... 33 A.5.2 Chronologische Probleme der Frühmittelalterforschung............................................. 34 A.5.3 Literarische Quellen............................................................................................................ 36 A.5.3.1 Literarische Erwähnungen des Samlandes.............................................................. 36 A.5.3.2 Namensproblem Wiskiauten...................................................................................... 38 A.5.3.2.1 Ortsname................................................................................................................ 38 A.5.3.2.2 Der Name der wikingerzeitlichen Ansiedlung................................................ 42 A.5.4 Archivalien........................................................................................................................... 42 A.6 Lage und Topographie des Fundplatzes................................................................................ 45 A.6.1 Großräumige Lage.............................................................................................................. 45 A.6.2 Kleinräumige Lage.............................................................................................................. 48 A.7 Archäologisches Umfeld........................................................................................................... 53 A.7.1 Großräumiges archäologisches Umfeld im Frühmittelalter......................................... 56 A.7.2 Kleinräumiges archäologisches Umfeld.......................................................................... 60 A.7.2.1 Neolithikum.................................................................................................................. 60 A.7.2.2 Bronzezeit und Vorrömische Eisenzeit..................................................................... 62 A.7.2.2.1 Bronzezeit.............................................................................................................. 62 A.7.2.2.2 Vorrömische Eisenzeit.......................................................................................... 63 A.7.2.3 Römische Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit................................................... 63 A.7.2.4 Frühmittelalter (Wikingerzeit/Spätheidnische Zeit)............................................... 65 A.7.2.4.1 Fundstellen mit Siedlungsspuren....................................................................... 67 A.7.2.4.2 Burgwälle............................................................................................................... 70 A.7.2.4.3 Gräberfelder............................................................................................................71 A.7.2.4.4 Hortfunde.............................................................................................................. 77 A.7.2.4.5 Einzelfunde............................................................................................................ 78 A.7.3 Zusammenfassung.............................................................................................................. 78 B Das Gräberfeld ............................................................................................................................ 81 B.1 Allgemeine Beschreibung des Gräberfeldes............................................................................81 B.2 Forschungsstand......................................................................................................................... 82 B.3 Bestattungssitten und Grabbau................................................................................................ 85 B.3.1 Bestattungsarten.................................................................................................................. 85 B.3.1.1 Brandbestattungen....................................................................................................... 86 B.3.1.2 Körperbestattungen..................................................................................................... 86 B.3.1.3 Kenotaphe oder Leergräber........................................................................................ 88 B.3.1.4 Tierbestattungen/Tierbeigaben.................................................................................. 89 B.3.2 Grabbau................................................................................................................................ 90 B.3.2.1 Hügelgräber.................................................................................................................. 90 B.3.2.2 Flachgräber.................................................................................................................... 94 B.3.2.3 „Spätheidnischer Aschenplatz“ von Wiskiauten..................................................... 95 B.3.2.4 Weitere Befunde im Gräberfeld................................................................................. 99 B.4 Regionaler und überregionaler Vergleich des Grabbaus................................................... 100 B.4.1 Zusammenfassung............................................................................................................ 107 B.5 Kurzer Überblick über das Fundmaterial............................................................................. 108 B.5.1 Einleitung........................................................................................................................... 108 B.5.2 Quellensituation................................................................................................................ 108 B.5.3 Beigabensitte...................................................................................................................... 109 B.5.4 Die Beigaben...................................................................................................................... 110 B.5.4.1 Waffen.......................................................................................................................... 110 B.5.4.1.1 Schwerter.............................................................................................................. 110 B.5.4.1.2 Schwertortbänder.................................................................................................111 B.5.4.1.3 Lanzen.................................................................................................................. 114 B.5.4.1.4 Schildbuckel......................................................................................................... 114 B.5.4.1.5 Äxte....................................................................................................................... 115 B.5.4.2 Reit- und Pferdezubehör........................................................................................... 115 B.5.4.2.1 Sporen................................................................................................................... 115 B.5.4.2.2 Steigbügel............................................................................................................. 116 B.5.4.2.3 Trensen................................................................................................................. 117 B.5.4.2.4 Schnallen vom Pferdegeschirr........................................................................... 118 B.5.4.2.5 Glocken und Schellen......................................................................................... 119 B.5.4.3 Trachtgegenstände..................................................................................................... 120 B.5.4.3.1 Fibeln.................................................................................................................... 120 B.5.4.3.1.1 Schalenfibeln................................................................................................ 120 B.5.4.3.1.2 Dosenfibeln.................................................................................................. 122 B.5.4.3.1.3 Gleicharmige Fibeln................................................................................... 122 B.5.4.3.1.4 Gerätefibeln................................................................................................. 124 B.5.4.3.1.5 Terslev-Fibel................................................................................................. 124 B.5.4.3.1.6 Zungenfibel.................................................................................................. 124 B.5.4.3.1.7 Kleeblattfibeln.............................................................................................. 125 B.5.4.3.1.8 Hufeisenfibeln............................................................................................. 125 B.5.4.3.1.9 Weitere Fibeln.............................................................................................. 129 B.5.4.3.2 Gürtelzubehör..................................................................................................... 129 B.5.4.3.2.1 Schnallen...................................................................................................... 129 B.5.4.3.2.2 Riemenzungen............................................................................................. 130 B.5.4.4 Keramik........................................................................................................................131 B.5.4.5 Sonstige Beigaben...................................................................................................... 133 B.6 Datierung des Gräberfeldes.................................................................................................... 135 B.7 Struktur und Belegungsabfolge des Gräberfeldes............................................................... 137 B.8 Zur Herkunft der in Wiskiauten bestatteten Personen....................................................... 138 B.9 Aussagemöglichkeiten zur Größe der zu vermutenden Siedlung aufgrund der Grabfunde........................................................................................................................................ 142 C Die Siedlungsforschungen der Jahre 2005–2007 ................................................................. 145 C.1 Einleitung.................................................................................................................................. 145 C.2 Bisherige Theorien zur Lage der Siedlung........................................................................... 145 C.3 Fragestellungen........................................................................................................................ 149 C.4 Eingrenzung des potentiellen Siedlungsgeländes durch verschiedene Prospektionsmethoden...................................................................................................................151 C.4.1 Geologische und naturräumliche Untersuchungen.................................................... 152 C.4.1.1 Geologische Bohrungen............................................................................................ 152 C.4.1.2 Süßwasservorkommen in der Umgebung von Wiskiauten................................ 158 C.4.1.3 Bodenarten in der Umgebung von Wiskiauten......................................................161 C.4.1.4 Aussagen zu potentiellen Siedlungsflächen aufgrund der Topographie.......... 162 C.4.2 Geophysikalische Untersuchungen............................................................................... 163 C.4.2.1 Messfahrten und Arbeitsgebiete.............................................................................. 164 C.4.2.2 Technische Vorraussetzungen.................................................................................. 165 C.4.3 Bohrungen zu ausgewählten Anomalien...................................................................... 167 C.4.4 Ergebnisse der Prospektionen......................................................................................... 169 C.4.4.1 Messfläche A............................................................................................................... 170 C.4.4.1.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien............................................ 172 C.4.4.1.2 Anomalienkonzentrationen.............................................................................. 173 C.4.4.1.3 Lineare Strukturen.............................................................................................. 175 C.4.4.1.3.1 Graben südlich der Kaup.......................................................................... 175 C.4.4.1.3.2 Vermuteter Wall.......................................................................................... 178 C.4.4.1.4 Oberflächenfunde............................................................................................... 179 C.4.4.1.5 Interpretation...................................................................................................... 179 C.4.4.2 Messfläche B................................................................................................................181 C.4.4.2.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien............................................ 182 C.4.4.2.2 Anomalienkonzentrationen.............................................................................. 183 C.4.4.2.3 Interpretation...................................................................................................... 185 C.4.4.3 Messfläche C............................................................................................................... 185 C.4.4.3.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien............................................ 186 C.4.4.3.2 Anomalienkonzentrationen.............................................................................. 189 C.4.4.3.3 Oberflächenfunde............................................................................................... 189 C.4.4.3.4 Interpretation...................................................................................................... 192 C.4.4.4 Messfläche D............................................................................................................... 193 C.4.4.4.1 Anomalienkonzentration AK1.......................................................................... 193 C.4.4.4.1.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien.................................... 193 C.4.4.4.1.2 Lineare Strukturen..................................................................................... 200 C.4.4.4.1.3 Weitere auffällige Strukturen.................................................................... 203 C.4.4.4.1.4 Oberflächenfunde....................................................................................... 203 C.4.4.4.1.5 Interpretation ............................................................................................. 210 C.4.4.4.2 Anomalienkonzentration AK2...........................................................................211 C.4.4.4.2.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien.................................... 212 C.4.4.4.2.2 Lineare Strukturen..................................................................................... 218 C.4.4.4.2.3 Oberflächenfunde....................................................................................... 220 C.4.4.4.2.4 Interpretation.............................................................................................. 226 C.4.4.5 Messfläche E............................................................................................................... 226 C.4.4.5.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien............................................ 226 C.4.4.5.2 Lineare Strukturen.............................................................................................. 230 C.4.4.5.3 Oberflächenfunde und Interpretation..............................................................231 C.4.4.6 Messfläche F............................................................................................................... 232 C.4.4.7 Messfläche G............................................................................................................... 232 C.4.4.7.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien............................................ 234 C.4.4.7.2 Lineare Strukturen.............................................................................................. 240 C.4.4.7.3 Oberflächenfunde im Bereich von Anomalienkonzentration AK3............. 240 C.4.4.7.4 Interpretation.......................................................................................................241 C.4.4.8 Messfläche H.............................................................................................................. 243 C.4.4.8.1 Anomalienkonzentration AK4.......................................................................... 244 C.4.4.8.1.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien.................................... 244 C.4.4.8.1.2 Interpretation.............................................................................................. 246 C.4.4.8.2 Anomalienkonzentration AK5.......................................................................... 246 C.4.4.8.2.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien ................................... 247 C.4.4.8.2.2 Interpretation.............................................................................................. 249 C.4.4.9 Messfläche I................................................................................................................ 249 C.4.4.9.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien.............................................251 C.4.4.9.2 Interpretation...................................................................................................... 256 C.4.4.10 Messfläche J.............................................................................................................. 256 C.4.4.10.1 Messfläche J1..................................................................................................... 257 C.4.4.10.2 Messfläche J2..................................................................................................... 259 C.4.4.10.2 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien..................................... 262 C.4.4.10.3 Interpretation.................................................................................................... 265 C.4.4.11 Messfläche K............................................................................................................. 265 C.4.4.11.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien.......................................... 266 C.4.4.11.2 Interpretation.................................................................................................... 269 C.4.5 Zusammenfassung der Prospektionsergebnisse.......................................................... 270 C.5 Die Ergebnisse der Ausgrabungen 2005–2007..................................................................... 273 C.5.1 Fläche 1............................................................................................................................... 273 C.5.1.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 273 C.5.1.2 Fundmaterial.............................................................................................................. 276 C.5.1.3 Datierung.................................................................................................................... 277 C.5.1.4 Interpretation.............................................................................................................. 277 C.5.2 Fläche 7............................................................................................................................... 278 C.5.2.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 278 C.5.2.2 Fundmaterial.......................................................................................................... 280 C.5.2.3 Datierung.....................................................................................................................281 C.5.2.4 Interpretation.............................................................................................................. 282 C.5.3 Fläche 3............................................................................................................................... 282 C.5.3.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 282 C.5.3.2 Fundmaterial.............................................................................................................. 284 C.5.3.2.1 Tierknochen......................................................................................................... 284 C.5.3.2.2 Keramik................................................................................................................ 284 C.5.3.2.3 Metallfunde......................................................................................................... 285 C.5.3.2.4 Sonstige Funde.................................................................................................... 286 C.5.3.3 Datierung.................................................................................................................... 286 C.5.3.4 Interpretation.............................................................................................................. 287 C.5.4 Fläche 5............................................................................................................................... 290 C.5.4.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 290 C.5.4.2 Fundmaterial.............................................................................................................. 292 C.5.4.2.1 Keramik................................................................................................................ 292 C.5.4.2.2 Tierknochen......................................................................................................... 293 C.5.4.3.3 Weitere Funde..................................................................................................... 294 C.5.4.4 Datierung.................................................................................................................... 294 C.5.4.5 Interpretation.............................................................................................................. 295 C.5.5 Fläche 8............................................................................................................................... 297 C.5.5.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 297 C.5.5.2 Fundmaterial.............................................................................................................. 299 C.5.5.3 Datierung.................................................................................................................... 300 C.5.5.4 Interpretation.............................................................................................................. 300 C.5.6 Fläche 2............................................................................................................................... 300 C.5.6.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 300 C.5.6.1.1 Befund 1 – Der Brunnen.....................................................................................301 C.5.6.1.2 Befund 2............................................................................................................... 310 C.5.6.2 Fundmaterial.............................................................................................................. 312 C.5.6.2.1 Tierknochen......................................................................................................... 312 C.5.6.2.1.1 Unbearbeitete Knochen............................................................................. 313 C.5.6.2.1.2 Bearbeitete Knochen................................................................................... 315 C.5.6.2.2 Keramik................................................................................................................ 316 C.5.6.2.2.1 Handgemachte Keramik............................................................................ 317 C.5.6.2.2.2 Drehscheibenware...................................................................................... 319 C.5.6.2.3 Metallfunde..........................................................................................................321 C.5.6.2.3.1 Bronzefunde.................................................................................................321 C.5.6.2.3.2 Eisenfunde................................................................................................... 323 C.5.6.2.4 Funde aus Glas und Bernstein.......................................................................... 323 C.5.6.2.5 Steinartefakte....................................................................................................... 324 C.5.6.2.6 Sonstige Funde.................................................................................................... 325 C.5.6.3 Datierung.................................................................................................................... 327 C.5.6.4 Interpretation.............................................................................................................. 328 C.5.6.5 Aussagemöglichkeiten zu einer nahen Siedlung.................................................. 329 C.5.7 Fläche 4............................................................................................................................... 329 C.5.7.1 Grabungsergebnisse.................................................................................................. 329 C.5.7.1.1 Pfostenlöcher....................................................................................................... 330 C.5.7.1.2 Weitere Befunde.................................................................................................. 332 C.5.7.2 Das Fundmaterial...................................................................................................... 333 C.5.7.2.1 Tierknochen......................................................................................................... 334 C.5.7.2.2 Keramik................................................................................................................ 335 C.5.7.2.3 Metallfunde......................................................................................................... 337 C.5.7.2.3.1 Eisenfunde................................................................................................... 337 C.5.7.2.3.2 Bronzefunde................................................................................................ 338 C.5.7.2.3.3 Silberfunde.................................................................................................. 338 C.5.7.2.4 Sonstige Funde.................................................................................................... 338 C.5.7.2.5 Streufunde im Umfeld....................................................................................... 339 C.5.7.4 Datierung.................................................................................................................... 339 C.5.7.5 Interpretation.............................................................................................................. 340 C.5.8 Fläche 6................................................................................................................................341 C.5.8.1 Anlass der Grabung....................................................................................................341 C.5.8.2 Grabungsergebnisse...................................................................................................341 C.5.8.3 Das Fundmaterial.......................................................................................................341 C.5.8.4 Datierung.....................................................................................................................341 C.5.8.5 Interpretation.............................................................................................................. 342 C.6 Zusammenfassung der Grabungsergebnisse 2005–2007.................................................... 342 D Wiskiauten – Handelsstützpunkt der Wikinger an der südlichen Ostseeküste? ........ 347 D.1 Bisherige Interpretationen des Fundplatzes Wiskiauten................................................... 347 D.2 Vergleich mit anderen Handelsplätzen an der südlichen Ostseeküste.............................351 D.3 Zusammenfassung.................................................................................................................. 358 D.4 Ausblick..................................................................................................................................... 363 E Anhänge, Listen, Verzeichnisse, Katalog und Pläne .......................................................... 364 E.1 Literatur..................................................................................................................................... 364 E.1.1 Archivalien und Sammlungen......................................................................................... 364 E.1.2 Abgekürzt zitierte Literatur............................................................................................. 364 E.2 Listen.......................................................................................................................................... 384 E.2.1 Fundstellen in der Umgebung von Wiskiauten (Abb. 19).......................................... 384 E.2.2 C14-Datierungen, geordnet nach Labornummern....................................................... 390 E.2.3 C14-Datierungen, geordnet nach Radiocarbon-Alter.................................................. 394 E.2.4 Tierknochen aus Fläche 5..................................................................................................401 E.2.5 Tierknochen aus Fläche 5 nach Skelettelementen......................................................... 404 E.2.6 Tierknochen aus Fläche 2................................................................................................. 405 E.2.7 Tierknochen aus Fläche 2 nach Skelettelementen ........................................................411 Grundlagen A Grundlagen A.1 Einführung Seit der ersten Erwähnung in einer wissenschaftlichen Publikation im Jahr 1865 (Wulff 1865) nimmt der wikingerzeitliche Fundplatz von Wiskiauten im ehemaligen nordöstlichen Ostpreußen (heute Mohovoe im Kaliningrader Gebiet; vgl. Abb. 1) eine Schlüsselposition in der archäologischen Forschung der Region ein. Inmitten der im Frühmittelalter von den Prussen besiedelten, bernsteinreichen Landschaft des Samlandes bildet das große, über 500 Bestattungen umfassende HügelgräberDiese Schreibweise ergibt sich nach dem internationalen System der Transkription des russischen Alphabetes in lateinische Buchstaben (Barran 1992, 15). Im Folgenden wird fast ausschließlich der Name Wiskiauten verwendet, da der Fundplatz unter diesem Namen Eingang in die Literatur gefunden hat (vgl. Wulff 1865). Nur dort, wo moderne Lagebeschreibungen die Nennung des russischen Namens „Mohovoe“ nötig erscheinen lassen, wird dieser angeführt. Gleiches gilt für die Ortschaften von ehemals Bledau (heute Sosnovka), Wosegau (heute Vishnevoe) und Cranz (heute Selenogradsk). Im Kapitel A.7 (Archäologisches Umfeld) dagegen sind Doppelbezeichnungen unvermeidbar, da sie in der Literatur so abgedruckt sind. In diesem Kapitel werden deutsche und russische Ortsnamen zusammen wiedergegeben.  Die genaue Anzahl der Bestattungen ist heute unbekannt. Nach Angaben von Nerman (1942, 92) belief sich die Gesamtzahl der Grabhügel auf „ca. 500“. Bereits 1880 ist in den Jahresberichten der Prussia-Gesellschaft (Ohne Verfasser 1880) von „120 bei Wiskiauten geöffnete[n] Gräber[n]“ die Rede. Allein bis 1900 sind bereits „wohl an 250 Gräber“(Heydeck 1900, 60) untersucht worden. Die von Kulakov (2005, 56) angegebene Zahl von 86 untersuchten Hügeln bzw. die von Wróblewski (2006b, 141) erwähnten „nur etwas mehr als 90 Gräber“ beruhen auf dem Mißverständnis, dass von zur Mühlen (1975, 122-140) offensichtlich nur diejenigen Hügel katalogisiert hat, zu denen sich im Prussia-Archiv Unterlagen befunden haben. Schon von zur Mühlen (1975, 14) gibt die Zahl mit 90 ergrabenen Hügelgräbern viel zu niedrig an. Auch die Zahl der zwischen den Hügeln liegenden Flachgräber lässt sich nicht beurteilen. Eine Grabung von V. I. Kulakov im Jahr 2005 erbrachte auf einer Fläche von ca. 203 qm im Umfeld nur eines Hügelgrabes allein sieben Flachgräber (IA RAN  13 feld in einem Wäldchen mit dem Flurnamen Kaup mit seinem deutlich skandinavisch geprägtem Fundgut ein einzigartiges Denkmal, das in der näheren Umgebung keine Vergleiche kennt. Die Nekropole muss dabei als Hinweis auf die dauerhafte Anwesenheit von Skandinaviern gewertet werden. Erst mit dem gut 110 km weiter südwestlich gelegenen Truso am Drausensee in Polen (Ebert 1926; Jagodziński 2000b; 2006) oder dem 200 km entfernten Grobin an der Küste Kurlands in Lettland (Nerman 1958) weiter nördlich lassen sich wieder Fundorte belegen, die ähnlich starke Anteile an skandinavischem Fundgut aufweisen und auf den dauerhaften Aufenthalt von Skandinaviern an der südlichen Ostseeküste hindeuten. Zwar tauchen auch an anderen frühmittelalterlichen Fundplätzen wie Linkuhnen/Rževskoe, Wischwill/Viešvilė und Oberhof/Aukśtakiemiai im Memelmündungsbereich wie auch sonst im gesamten Samland und den benachbarten Gebieten schlaglichtartig größere Ensembles skandinavischer Funde in Gräbern und Siedlungen auf. Ihr Vorkommen innerhalb der ansonsten einheimisch geprägten Fundplätze dürfte aber weitgehend auf Handelstätigkeiten zurückzuführen sein. Trotz der langjährigen Forschungen sowohl von deutscher (vgl. z.B. Heydeck 1900; von zur Mühlen 1975) als auch von russischer Seite (zuletzt Kulakov 2005) muss der Forschungsstand zum Gräberfeld heute als schlecht bezeichnet werden, was ursächlich mit der Zeitgeschichte der Region zusammenhängt. So kann die Forschungsgeschichte der Wiskiautener Nekropole als symptomatisch für das Schicksal einer großen Anzahl von Fundplätzen gelten, die zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges erforscht wurden. Denn die Kriegshandlungen führten – abgesehen von den Veröffentlichungen in der zeitgenössischen deutschen Literatur – zum vorübergehenden, fast vollständigen Verlust der bis dato zusammengetragenen Fundmaterialien 2005). Ihre Gesamtzahl dürfte daher fast ebenso hoch einzuschätzen sein wie die der Hügelgräber. Nerman (1936, 79) schätzte, dass nach den deutschschwedischen Ausgrabungen in den 1930er Jahren etwa 300 Hügel ausgegraben waren. Die Zahl der in 140 Jahren Forschung insgesamt freigelegten Hügelgräber lässt sich heute zusammenfassend auf etwa 325 Gräber festlegen. 14 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 1 Lage des Fundplatzes Wiskiauten im ehemaligen Ostpreußen (verändert nach Ibsen/Skvorzov 2005, 382 Abb. 1). und originalen Ausgrabungsdokumentationen. Eine Überprüfung alter Ergebnisse anhand der Originale war damit lange Zeit nicht möglich. Trotzdem verleiteten die vor dem Krieg erzielten Resultate auch in der jüngeren und jüngsten archäologischen Forschung immer wieder zu der Erkenntnis, in Wiskiauten müsse zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert über 200 Jahre lang eine Kolonie ortsfremder, wahrscheinlich skandinavischer Siedler bestanden haben, deren dauerhafte Anwesenheit durch die zahlreichen skandinavisch geprägten Beigaben aus Männer- und besonders auch Frauengräbern belegt schien (Nerman 1931, 171 Anm. 4; Kleemann 1939b, 201). Diese These, auch von sowjetischen und später russischen Archäologen formuliert (vgl. zuletzt Kulakov 2005), gilt in ihren Grundsätzen noch heute, wenngleich alternative Interpretationsansätze Wiskiauten eher einen polyethnischen Charakter zurechnen (Wróblewski 2006a; 2006b). Eine der dringendsten Fragen ist dabei das bis- lang nicht gelöste Problem der Lage der zum Gräberfeld gehörenden Siedlung, die trotz vielversprechender Ansätze durch den russischen Archäologen V. I. Kulakov (zuletzt zusammenfassend mit weiterer Literatur Kulakov 2005, 62) bis in die jüngste Vergangenheit nicht zufriedenstellend lokalisiert werden konnte. Insbesondere vor dem Hintergrund der wieder aufgetauchten Teile der ehemaligen PrussiaSammlung (vgl. hierzu Kap. A.4.1.2) sind nun neue Detailstudien zum Gräberfeld möglich und dringend nötig. Über das durch Altpublikationen bekannte Material hinaus können jetzt neue Gesamtbetrachtungen zur Nekropole erfolgen bzw. alte Theorien überprüft werden. Zusätzlich sind in jüngster Zeit internationale und interdisziplinäre Forschungen am Fundplatz selbst möglich geworden. Erste Untersuchungen fanden in den Jahren 2005–2007 in einem Auch im Jahr 2008 sind Ausgrabungen durchgeführt worden, die hier aber größtenteils unberücksichtigt bleiben, da die Aufarbeitung und Auswer Grundlagen russisch-deutschen Gemeinschaftsprojekt statt. Sie erbrachten zahlreiche Hinweise auf großräumige Siedlungsaktivitäten im gesamten Umfeld der Nekropole und lassen sich schon jetzt grob in einzelne Siedlungsphasen des 7.–13. Jahrhunderts aufgliedern. Erst heute ist damit die längst überfällige Gesamtbetrachtung des Fundplatzes unter Einbeziehung aller verfügbaren Informationen möglich, die in dieser Studie ansatzweise erfolgen soll. Die über Jahrzehnte alle Forschungen dominierende Hügelgräbernekropole tritt mehr und mehr in den Hintergrund und stellt nunmehr nur noch einen Teil eines wesentlich komplexeren Siedlungsgefüges dar, als bislang angenommen. A.2 Zielsetzung der Arbeit Das Thema dieser Studie ist der frühmittelalterliche Fundplatz Wiskiauten/Mohovoe im Kaliningrader Gebiet. Bekannt ist hier ein Gräberfeld mit stark skandinavisch gefärbtem Fundmaterial und einem Hügelgrabbau, der auf die Bestattung skandinavischer, vermutlich mittelschwedischer oder gotländischer Personen hinweist. Es fehlen aber konkrete Hinweise auf die zugehörige Siedlung, die in 140 Jahren Forschung nicht zufriedenstellend lokalisiert werden konnte. Dieser Aufgabe widmet sich die vorliegende Arbeit. Durch Zusammentragen archäologischer und historischer Informationen soll die Existenz einer Ansiedlung eindeutig begrüntung zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Studie noch nicht abgeschlossen war. Die Ausgrabungen werden in Zusammenarbeit zwischen dem Archäologischen Landesmuseum Schleswig in der Stiftung Schleswig-Holsteinischer Landesmuseen Schloß Gottorf und dem Archäologischen Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften Moskau unter Beteiligung des Instituts für Geowissenschaften (Abteilung Geophysik) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durchgeführt. Initiiert hat die Forschungen Prof. Dr. C. von Carnap-Bornheim, Direktor des Archäologischen Landesmuseums Schleswig. Die Finanzierung wurde in den Jahren 2005 und 2006 vom Europäischen Sozialfonds (ESF) und der Römisch-Germanischen Kommission Frankfurt a. Main des Deutschen Archäologischen Instituts gesichert. Seit dem Jahr 2007 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft die maßgebliche Förderung übernommen. Allen Förderern sei herzlich für die Unterstützung gedankt.  15 det werden. Im Anschluss werden die verschiedenen Methoden der rezenten Siedlungsforschungen der Jahre 2005–2007 und deren Ergebnisse vorgestellt. Die Arbeit ist in fünf Teile gegliedert. Nach den methodischen Vorbemerkungen, der ausführlichen Darstellung der Quellenbasis samt Quellenkritik und der Abhandlung einiger grundlegender Themen wie der Forschungsgeschichte, der Topographie des Fundplatzes und seines archäologischen Umfeldes in Teil A liegt der Schwerpunkt in Teil B zunächst auf den bisherigen Forschungen zum Gräberfeld. Durch Beschreibung von Grabbau und Fundmaterialien etc. wird der in der Literatur vorhandene Forschungstand zusammengefasst und an einigen Stellen anhand der Archivalien überprüft und gegebenenfalls korrigiert. Im Anschluss werden Aussagen zur chronologischen Gliederung des Fundmaterials, zur Belegungsabfolge und zur Herkunft der bestatteten Personen formuliert, soweit sie nach den bisher publizierten Ergebnissen zu treffen sind. Dadurch wird versucht, das Vorhandensein einer zugehörigen Siedlung eindeutig zu begründen oder zu negieren. Darüber hinaus werden Aussagen zur Größe der zu erwartenden Niederlassung diskutiert. In Teil C werden nach der Darlegung bisheriger Lokalisierungsversuche die Forschungsergebnisse der Siedlungsuntersuchungen aus den Jahren 2005–2007 und ansatzweise auch des Jahres 2008 vorgestellt. Dabei erfolgt zunächst eine Beschreibung der angewandten Prospektionsmethoden zur Eingrenzung des potentiellen Siedlungsgeländes mit der Vorstellung der jeweiligen Ergebnisse. Teil C endet mit der Beschreibung der bislang acht kleinräumigen Ausgrabungen, die in chronologischer Reihenfolge vorgelegt werden und zusammen mit den Prospektionsergebnissen zu einer vorläufigen Einschätzung des Fundplatzes führen. In Teil D werden diese Ergebnisse vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren stark angewachsenen Kenntnis zum Frühmittelalter im Vergleich mit ähnlichen Fundplätzen disWeitere zwölf Grabungsschnitte sowie 16 Sondagen des Jahres 2008 sind nur ansatzweise eingearbeitet, da die Aufarbeitung der Ergebnisse zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Studie noch nicht abgeschlossen war.  16 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung kutiert, um zu einer Bewertung dieses wichtigen Fundplatzes in seinem chronologischen und siedlungsarchäologischen Umfeld zu gelangen. Besonders Fragen zur Funktion und Einbindung in die wikingerzeitlichen Handelsnetzwerke werden dabei erörtert. Im Katalogteil (Teil E) soll durch Vorlage der Grabungsbefunde und Funde aus den Siedlungsuntersuchungen sowie der geomagnetischen Messbilder eine Überprüfbarkeit der erzielten Ergebnisse gewährleistet werden. A.3 Methodische Vorbemerkungen Jegliche Forschung zum Fundplatz Wiskiauten ist mit dem Problem konfrontiert, dass der weitgehende Verlust der originalen Ausgrabungsdokumentationen und einer Vielzahl der Originalfunde im Zusammenhang mit den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges zu großen Lücken im überlieferten Bild geführt hat. Diese Lücken lassen sich heute kaum noch schließen, da weder die Ausgräber selbst für Erläuterungen zur Verfügung stehen noch die Felddokumentationen vollständig erhalten sind. Immerhin sind mittlerweile große Teile der lange vermissten Prussia-Sammlung mit zahlreichen Materialien und Funden zu Wiskiauten nach mehr als 65 Jahren wieder vorhanden (vgl. hierzu Reich 2003; 2005; Valujev 2005; vgl. Kap. A.4.1.2). Bis in allerjüngste Vergangenheit aber musste die Forschung sich mit den vorkriegszeitlichen Publikationen begnügen. Sicherlich liegt in diesem Umstand begründet, dass umfassende Behandlung des Fundplatzes in der Nachkriegszeit nicht erfolgte. Es erscheint sinnvoll, in dieser Arbeit eine methodische Trennung bei der Bearbeitung des Gräberfeldes und den Ergebnissen der Siedlungsforschungen vorzunehmen. Bei der Betrachtung des Gräberfeldes kommen ausschließlich sekundäre Quellen in Frage, die Diskussion der Siedlungsfrage dagegen beruht auf Ergebnissen, die vom Verf. bei rezenten Feldforschungen eigenständig vor Ort gewonnen wurden. Insofern sind beide Quellengruppen unterschiedlichen Quellenkritiken unterlegen. Die in dieser Studie wiedergegebenen Informationen zum Gräberfeld beruhen größtenteils auf den bisherigen Forschungsergebnis- sen, die entweder die Ausgräber selbst in der damaligen Literatur veröffentlichten oder die nachfolgende Wissenschaftler anhand der verfügbaren Berichte und Abbildungen in der älteren Literatur gewonnen haben (vgl. Kap. B2 Forschungsstand). Zwar stand vor Beendigung der Arbeit ein reichhaltiges, von Verf. aus verschiedenen Archiven zusammengetragenes Material aus über 1600 Einzeldokumenten und ca. 50 Altfunden zur Verfügung, das zumindest teilweise in die Ergebnisse eingeflossen ist. Die Gesamtauswertung dieses Datenbestandes soll jedoch an späterer Stelle erfolgen. Dagegen sind die jüngsten Ergebnisse der sowjetischen und russischen Ausgrabungstätigkeiten berücksichtigt. Ziel des zweiten Teiles dieser Studie ist dementsprechend nicht die vollständige Neubearbeitung des Gräberfeldes. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Darstellung der bisher veröffentlichten Ergebnisse und einer Prüfung derselben anhand der Originaldokumente, wobei besonders die Frage der Herkunft der bestattenden Gemeinschaft im Vordergrund steht, um den Charakter der zugehörigen Siedlung schärfer zu umreißen. Erst auf dieser Grundlage können im Anschluss die rezenten Untersuchungen zur Siedlungsfrage diskutiert werden. Archivalien zur Siedlungssuche deutscher Archäologen fehlen fast völlig. Nur spärliche Hinweise aus der Literatur helfen kaum weiter und liefern bestenfalls Hinweise, wo entsprechende Forschungen ergebnislos verlaufen sind und bei kommenden Ausgrabungen ebenso verlaufen dürften. Die Ausführungen zu den siedlungsarchäologischen Untersuchungen stützen sich daher fast ausschließlich auf die bisherigen Ergebnisse der sowjetischen und russischen Forschung und der Ausgrabungen der Jahre 2005–2007 sowie der parallel durchgeführten geophysikalischen Prospektion. Die daraus resultierenden digitalen Messbilder können aber nur Ansatzpunkte liefern, wo archäologische Feldmethoden Erfolg versprechen. Als Problem stellt sich dabei die geringe Vergleichbarkeit aufgrund weitgehend fehlender, analoger Untersuchungsmethoden auf anderen Fundplätzen dar. Dennoch ermöglicht die Kombination der verschiedenen Me- Grundlagen thoden relativ sichere Aussagen zur Lage von Siedlungsspuren und in Anfängen auch ihrer Struktur und zeitlichen Tiefe. A.4 Forschungsgeschichte zum Fundplatz von Wiskiauten Bei der Abhandlung der Forschungsgeschichte in dieser Studie liegt das Hauptaugenmerk zunächst auf den Forschungen zum Gräberfeld, die aufgrund der Vielzahl der damals wie heute aufsehenerregenden Funde aus den Bestattungen in der Kaup seit den ersten Grabungen im Jahr 1865 jegliche Interpretationen zum Fundplatz dominiert haben. Die eher theoretisch behandelte Frage zur Lage der zugehörigen Siedlung stand dagegen lange Zeit hinter den Gräberfeldforschungen zurück und konnte in deutscher Zeit nicht gelöst werden. Alle Bemühungen blieben größtenteils ergebnislos. Erst die sowjetische und später russische Forschung verzeichnete erste kleine Erfolge. Das Wissen um frühere, besonders auch negative Lokalisierungsversuche und Aktivitäten verschiedener Archäologen ist für die Frage nach dem Ort der Siedlung trotz der geringen Aussagemöglichkeiten aber insofern von großer Bedeutung, als sich in der Zusammenschau einerseits Verdichtungen von Hinweisen zu erkennen geben, andererseits bestimmte Flächen aufgrund der auf ihnen vorgenommenen, ergebnislosen Untersuchungen zunächst aus der Wahl der zu berücksichtigenden Bereiche ausscheiden. Die dabei gewonnenen negativen wie positiven Hinweise haben maßgeblich die Wahl der Untersuchungsflächen der rezenten Feldforschungen bestimmt. Einen besonderen Aspekt der Forschungsgeschichte bildet die Verlagerungsgeschichte der Archivalien aus der ehemaligen Königsberger Prussia-Sammlung, in der auch die Grabungsberichte und Funde des Wiskiautener Gräberfeldes enthalten waren. Sie hat dazu geführt, dass die der Originalmaterialien jahrzehntelang unzugänglich blieben und verhinderte damit die Überprüfung der alten Ergebnisse auf der Grundlage neuerer Forschungen. Diesem Teil der Forschungsgeschichte ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Forschungsgeschichte soll im Folgenden ausführlich dargelegt werden, wobei zunächst 17 die Forschungen zum Gräberfeld vorgestellt werden. Erst im Anschluss werden die bisherigen siedlungsarchäologischen Untersuchungen erläutert. Dieses Vorgehen erscheint sinnvoll, da beide Teile als unabhängige Projektteile mit unterschiedlichen Forschungsstrategien betrachtet werden müssen. A.4.1 Forschungsgeschichte zum Gräberfeld A.4.1.1 Deutsche Forschungsepoche vor 1945 Seit dem Beginn der Forschungen im Gräberfeld von Wiskiauten sind vermutlich insgesamt fast 325 Grabhügel untersucht worden (siehe Anm. 2). Die erste wissenschaftliche Beschreibung zu frühmittelalterlichen Funden aus dem Wäldchen Kaup bei Wiskiauten geht auf das Jahr 1865 zurück. Der archäologisch interessierte Oberleutnant Wulff des Zweiten Ostpreußischen Grenadierregimentes erkundete während seiner freien Zeit die Umgebung seines Standortes in ehem. Mülsen, Kr. Fischhausen (heute Ochotnoe, raj. Selenogradsk), und befragte auf der Suche nach „Überbleibseln“ von der Schlacht bei Rudau die Bevölkerung nach archäologischen Funden (Wulff 1865, 641). Man verwies ihn auf ein kleines Wäldchen von ca. 500 x 300 m Ausdehnung mit dem Flurnamen Kaup, in dem eine „Menge alter Waffen und halbverbrannte Menschen- und Pferdeknochen“ (Wulff 1865, 641) beobachtet worden waren. Der Platz muss tatsächlich schon lange in der Bevölkerung als vorgeschichtlicher Begräbnisplatz oder zumindest als Ort seltsamer Funde bekannt gewesen sein. Einerseits ist der Ort bereits 1331 bei der Festlegung der Grenze zwischen Ordensland und dem an den Bischof von Samland fallenden Gebietsteil als Grenzmarke (Kleemann 1939a, 4), im „Urkundenbuch des Bisthums Samland“ (Woelky/Mendthal 1891, 191) überliefert. Hier wird durch das Wort „Wosegowyskapinis“ (Gerullis 1922, 208), das Kleemann (1939a, 4) mit „Wosegauer Gräber“ gleichsetzt, auf einen Bestattungsplatz hingewiesen, der mit dem Gräberfeld in der Kaup identisch sein muss (zum Namensproblem vgl. auch Kap. A.5.3.2). Auch der von Kleemann (ebd.) ermittelte altertümliche Flurname „Schwentmedfeld“ im Osten des Gräberfeldes von Wiskiauten, der als alt Vorname nicht ermittelbar. 18 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung preußisches Wort soviel wie „Feld am heiligen Wald“ bedeutet, bezieht sich offenbar auf das Wäldchen mit dem Gräberfeld. Die Bezeichnung stammt wahrscheinlich aus der Zeit vor dem Niedergang der prussischen Sprache, der im Allgemeinen ins 15. oder 16. Jahrhundert gelegt wird (Biskup/Labuda 2000, 76f.). Somit liegt durch den Flurnamen ein Hinweis darauf vor, dass der durch die zahlreichen Gräber als heilig angesehene Wald mindestens im 16. Jahrhundert. Bestand hatte. Dazu passt das zu vermutende hohe Alter einiger großer Eichen in der Kaup, die aufgrund des Stammumfanges sicherlich mehrere hundert Jahre alt sein dürften (Kulakov 2005, 55). Auf die Bekanntheit und Besonderheit des Platzes in der örtlichen Bevölkerung weisen auch einige volkstümliche Überlieferungen hin, die von C. Engel (ALM) am 31.8.1934 schriftlich festgehalten wurden. Neben der Sage um ein versunkenes Schloss in der kleinen Kaup ist dabei besonders eine Überlieferung interessant: „Einmal ging eine Frau, die in der Nähe auf dem Feld arbeitete, in die Kaup austreten. Dabei sah sie einen Trog mit Gelbweizen stehen. Sie nahm sich ein paar Ähren heraus und steckte sie sich unter die Röcke. Als sie aus der Kaup heraustrat, wollte sie nachsehen, was sie da mitgenommen hatte. Da waren es Geldstücke aus purem Golde.“ Sicherlich steht diese Geschichte mit einem zufälligen Fund von Beigaben aus einer Bestattung der Kaup in Zusammenhang. Als wichtiger Hinweis kurz vor der eigentlichen Entdeckung durch Wulff erweist sich die von Engel (ALM) festgehaltene Überlieferung, dass in einer Lehmgrube in der kleinen Kaup bei der Verlegung der Straße Wiskiauten-Wosegau um 1860 viele Steigbügel, Knochen und Waffen gefunden wurden, von denen man zunächst annahm, es handele sich um Überreste eines Krieges. Diese Funde dürften unzweifelhaft vom prussischen Gräberfeld im Osten der Kaup stammen, das durch Engel (1932a, 140) in den 1930er Jahren bei der Anlage einer Lehmgrube in einer Rettungsgrabung dokumentiert wurde. Mehrere prussische Brandgräber Das Originaldokument von Engel befindet sich heute im Nachlaß von Rudolf Grenz im ALM.  Wróblewski (2006a, 224) vermerkt 16 Brandgruben und 17 Pferdebestattungen, die er aus einer Zeichnung aus dem Nachlaß Engel/Grenz im ALM  mit darunterliegenden Pferdebestattungen erweisen die Ortsangabe der Überlieferung als richtig. Nach der Entdeckung einiger Streufunde am ersten Tag – darunter eine Lanzenspitze, ein eisernes Gebiss und mehrere unkenntliche Eisenfragmente (Wulff 1865, 643) – führte Leutnant Wulff mit mehreren Soldaten in den folgenden Tagen während seiner Freizeit vom Manöver Ausgrabungen an einigen Gräbern in der Kaup durch und tätigte reiche Funde. Zuerst untersuchte er den Teil direkt „links“ (ebd.) des neu durch den Wald getriebenen Weges. Ob dabei der Bereich westlich oder östlich der Straße gemeint war, bleibt unklar. Sicher dagegen ist, dass Wulff den später als „spätheidnischen Aschenplatz“ bezeichneten Teil des Gräberfeldes erfasste. Wulff (ebd. 644) deckte eine Grablege auf, die von einem Steinkranz umfasst wurde. Insgesamt kamen sieben Lanzenspitzen, mehrere Bronzefragmente sowie ein eisernes Schwert mit Ortband „aus Eisen“ zutage. Die folgenden fünf Nachmittage brachten weitere 21 Lanzenspitzen, ein Schwert, acht Steigbügel, einen Stachelsporn, sieben Messer, einen Schlüssel, mehrere Scheren, eine Fibel und mehrere Bruchstücke von solchen, drei Schnallen, einen Feuerstahl, drei Bronzeringe sowie zwei Ohrringe, einen Bronzegewandhaken, drei Perlen, viele Nägel, mehrere „Zwingen“10, zahlreiche Eisenfragmente und schließlich offenbar Bruchstücke von bronzenen Schalen, fälschlicherweise als Schildbuckel interpretiert, mit Verzierungen, die von Wulff (ebd. 645) als „runenartige“ Zeichen beschrieben wurden. Es dürfte sich also um Fragmente von ab der Mitte des 11. Jahrhunderts vorkommenden sog. Hansaschüsseln (Poklewski 1961, 9) gehandelt haben. Alle Funde sollen aus Gräbern stammen, die relativ einheitlich gestaltet waren. Ein Steinkranz von etwa 0,9–1,2 m11 kennzeichnete die Bestattungen, darunter fanentnommen hat, wobei er eine als Verwesungsschicht angesprochene Signatur fälschlicherweise ebenfalls als Brandgrubengrab gezählt hat. Das Material Eisen scheint für ein Ortband ungewöhnlich. Möglicherweise erkannte Wulff nicht, dass es sich um Bronze handelte. 10 Vermutlich sind hier Niete mit rechteckigen Nietplatten gemeint.  Bei Wulff (1865, 645) ist von „3 bis 4 Fuß“ die Rede. 11 Grundlagen den sich in einer Tiefe von 0,6 m12 die Beigaben. Auffällig ist Wulffs Bemerkung, in den Gräbern hätten sich Urnen befunden, die aber aufgrund der Porosität nicht geborgen werden konnten (Wulff 1865, 645). Urnen kommen in den Hügelgräbern Wiskiautens nur äußerst selten vor. Nach den Scherben zu urteilen, waren die Gefäße offenbar mit umlaufenden Linien verziert (ebd. 645), was analog zu den Keramikfunden aus Fläche 2 (vgl. Kap. C.5.6.2.2) und Fläche 4 (vgl. Kap. C.5.7.2.2) als Hinweis auf eine späte Datierung ins 11. oder 12. Jahrhundert zu werten ist. Zum Schluss deckte Wulff (ebd.) auch zwei Hügelgräber im Inneren der Kaup auf. Die dabei entdeckten Gegenstände sollen mit den im „spätheidnischen Aschenplatz“ getätigten Funden identisch gewesen sein (ebd.), was aber aufgrund der fehlenden archäologischen Ausbildung Wulffs nicht verwundert und nicht wörtlich zu verstehen ist. Nach dieser ersten semi-wissenschaftlichen Erschließung des Fundplatzes durch Wulff begann der Königsberger Maler und Professor an der Kunstakademie Johannes Heydeck mit systematischeren Ausgrabungen im Wäldchen Kaup. Dies scheint bereits kurz nach den Untersuchungen Wulffs stattgefunden zu haben, denn bei einer Sitzung der Prussia-Gesellschaft vom 19. September 1873 heißt es, dass die schon vor 8 Jahren begonnenen Ausgrabungen fortgesetzt wurden (Bujack 1874, 81). Es ergibt sich das Jahr 1865 als Beginn der regulären Grabungen, wenn damit nicht Wulffs Aktivitäten gemeint sind. Ob es zuvor, wie Engel13 in einem Zeitungsbericht klagt, auch zu weiteren „planlosen“ Hügelöffnungen in der Kaup gekommen war, oder ob er sich in diesem Bericht auf die baulichen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Verlegung der Straße oder gar auf die Untersuchungen von Wulff bezieht, bleibt dabei offen. Zunächst wurde in der kleinen Kaup der große Steinzeithügel freigelegt (Bujack 1876a, 280; Heydeck 1893, 46). Im gleichen Jahr muss Heydeck einen frühmittelalterlichen Grabhügel angegraben haben (Bujack 1876a, 279). Ab diesem Zeitpunkt ist in „Abständen von 2 zu 3 und 5 Jahren immer wieder dort Die Beigaben lagen „2 Fuß“ tief (Wulff 1865, 645). 12 C. Engel, Nordische Piraten an ostpreußischer Küste. Zeitungsartikel in der Königsberger Hartungschen Zeitung, Datum unbekannt (ALM). 13 19 gegraben worden, ohne das Gräberfeld ganz zu erschöpfen“ (Heydeck 1900, 60). Die erste qualitativ wertvolle Publikation Heydecks erschien im Jahre 1877 (ders. 1877). Bereits 1880 ist in den Jahresberichten der Prussia-Gesellschaft von „120 bei Wiskiauten geöffnete[n] Gräber[n]“ die Rede (Ohne Verfasser 1880). Um 1900 sollen der östliche und mittlere Teil schon „nahezu ausgebeutet“ gewesen sein, wohingegen im Westen noch viele unberührte Gräber vorhanden gewesen sein müssen (Heydeck 1900, 61). Die Zahl der bis zur Jahrhundertwende untersuchten Bestattungen gibt Heydeck (ebd. 60) mit „wohl an 250 Gräber“ an. Zu dieser Zeit datierte Heydeck (1893, 57) die Wiskiautener Gräber aufgrund der Funde von arabischen Münzen in die zweite Hälfte des 8. und in das 9. Jahrhundert. Interessant ist hier allerdings die Bemerkung, dass er die Gesamtlaufzeit des Gräberfeldes in der Kaup als länger einschätzte. So erwähnte Heydeck (ebd.) „neben den Wikingergräbern und solchen, die nicht den gleichen Charakter aufweisen aber dennoch derselben Zeit angehören, noch eine große Zahl von Gräbern, die dem 10.-12. Jahrhundert zugerechnet werden müssen.“ Als Argumente führte er die Bronzeschalen und Eimerreifen an. Wenngleich eine Einordnung ins 8. Jahrhundert sicherlich aus heutiger Sicht falsch ist, lag Heydeck mit seiner Einschätzung der Gesamtlaufzeit doch annähernd richtig (vgl. Kap. B.6). Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass Heydeck schon 1879 ein Pferdeskelett bzw. mehrere Skelettteile ausgegraben zu haben scheint, die vermutlich mit der kleinen Kaup und dem dortigen Flachgräberfeld in Verbindung stehen. Das jedenfalls ist aus einer Zeichnung aus den Prussia-Archivalien zu ersehen, eines der wenigen Dokumente aus der Ära von Heydeck, das die Odyssee der Prussia-Sammlung (vgl. Kap. A.4.1.2) unbeschadet überstanden hat. Auf der betreffenden Situationszeichnung (SMB-PK/PM-A 522/1 Blatt 050 und 051) ist ein Pferdeskelett mit Kopf im Süden und Trense im Maul zu erkennen (Abb. 2). Eine zweite Zeichnung gibt einen Profilschnitt wieder, der mehrere Skeletteile von Pferden unter einer Brandschicht mit kalzinierten Knochen, Urnenscherben und Bronzefragmenten zeigt. Hierbei handelt es sich offensichtlich um den später als „spätheidnischen Aschenplatz“ bezeichneten Teil des Gräberfeldes in der sog. 20 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 2 Wiskiauten. Zeichnung eines Pferdeskelettes von J. Heydeck (SMB-PK/PM-A 522/1-050). „kleinen Kaup“, der von Bearbeitern des 20. Jahrhunderts als prussischer Friedhof des 11. und 12. Jahrhunderts (Gaerte 1933a, 13), teilweise sogar des 13. Jahrhunderts (Engel 1932a, 140; von zur Mühlen 1975, 16) gedeutet worden ist. Trotz der großen Menge an geöffneten Bestattungen ist die Anzahl der Publikationen zu diesen frühen Ausgrabungen Heydecks leider sehr klein. Das ist umso bedauerlicher, als die Originaldokumente gerade dieser Zeit – abgesehen von wenigen Ausnahmen, so z.B. die Zeichnung eines Pferdegrabes vom 21.6.1879 (SMB-PK/PM-A 522/1 Blatt 050 und 051) – heute nicht mehr auffindbar sind. Problematisch ist weiterhin, dass nur außergewöhnliche Stücke auch in den Publikationen abgedruckt worden sind. Einfachere Funde wie z. B. Keramik oder fragmentierte Gegenstände ohne damals erkennbare Funktion dagegen fanden nur selten eine allgemeine Erwähnung (vgl. z.B. Heydeck 1877, 651), wenn ihr Vorhandensein überhaupt vermerkt ist. Abgesehen von den wissenschaftlichen Ausgrabungen Heydecks in dieser ersten Forschungsepoche scheint durch die Aktivitäten der Königsberger Archäologen offenbar auch die Aufmerksamkeit der Anwohner in der Gegend des Fundplatzes geschärft worden zu sein. Schon 1877 weist G. Bujack (1877a, 661) in den Sitzungsberichten der Prussia-Gesellschaft auf den Ankauf von Funden hin, die einerseits beim Kiesfahren gefunden worden sind, andererseits „auf dem Felde nahe dem Wäldchen Kaup“ bei Wiskiauten aufgelesen worden sein müssen. Weitere Ausgräber dieser frühen Phase sind „Dr. Prof. Schneider und Bildhauer Eckhard“ (Heydeck 1877, 650) sowie Kretschmann14 (von zur Mühlen 1975, 133 Nr. 48), der ein Hügelgrab zusammen mit Heydeck untersuchte. Das Wäldchen Kaup war bereits 1881 für seine reichen Funde „in der Archäologie berühmt“ (Bujack 1881, 89). Als nur kurzes Zwischenspiel lassen sich die Ausgrabungen von A. Bezzenberger charakterisieren, die im Jahr 1896 stattfanden. Bezzenberger untersuchte lediglich zwei Hügelgräber15, von denen nur eines bei von zur Mühlen (1975, 128 Nr. 30) katalogisiert ist. Nachdem in dieser ersten Forschungsetappe insgesamt geschätzte 250 Gräber bearbeitet waren, hatte man einen für die damalige Zeit recht umfassenden Wissensstand über die Nekropole und ihre Beziehung zur skandinavischen Welt gewonnen. Man interpretierte die freigelegten Beigaben aus den Bestattungen teilweise zunächst als gotländische Metallarbeiten (Heydeck 1877, 651-652), 1893 wurde allgemeiner von den „Wikingerfunden“ (ders. 1893, 47) gesprochen. Mit dem Tod Heydecks im Jahr 1910 endet 14 Vorname unbekannt. Einer dieser Grabhügel wird bei von zur Mühlen (1975, 128 Nr. 30) erwähnt, der zweite ergibt sich aus der Literatur (Bezzenberger 1900a; Heydeck 1900, 62; Ohne Verfasser 1900, 259). 15 Grundlagen diese erste intensive Forschungsepoche. Für die nächsten fast 25 Jahre sind keine archäologischen Aktivitäten auf dem Gräberfeld von Wiskiauten zu verzeichnen. Lediglich in der Literatur wird das bisher geborgene Fundmaterial zu Analysen herangezogen. Wegweisend war zuvor die Vermutung von Heydeck (1900, 62), zum Gräberfeld müsse eine Siedlung gehört haben. Dadurch wurde ab 1900 für die kommenden 25 Jahre bis zum erneuten Einsetzen von Feldforschungen eine Phase eröffnet, in der die Forschungen von der theoretischen Beschäftigung mit dem Fundplatz geprägt sein sollten. Sicherlich steht das Ausbleiben von Feldforschungen zu Beginn des Jahrhunderts mit der allgemeinen politischen Situation und der forschungsgeschichtlichen Situation im Speziellen in Zusammenhang. Durch den Ersten Weltkrieg und die folgenden Jahre wirtschaftlicher Depression fehlte offenbar das nötige Geld. Kleemann (1939a, 4) führt „ungünstige Umstände, die starke denkmalpflegerische Belastung in der ausgedehnten Provinz, auch wohl die innere Neuordnung des Landesamtes“ als weitere Gründe an. Eine zweite Epoche intensiver Forschungen in Wiskiauten wird durch M. Ebert und W. Gaerte in der Mitte der 1920er Jahre eingeleitet. Zunächst scheint Ebert ein einzelnes Grab aufgedeckt zu haben. Abgesehen von einer Fundauflistung bei von zur Mühlen (1975, 133 Nr. 51, Grabhügel 151a) existieren keine Dokumente dieser Einzelaktion. Sie sind entweder bis zum Einsetzen des 2. Weltkrieges verloren gegangen oder haben gar nicht existiert (ebd. 62-63 Anm. 70). Gleiches gilt für zwei Gräber (ebd. 133 Nr. 49 und Nr. 50), die zwischen dem 16. und 20. Juli 1927 durch W. Gaerte aufgedeckt wurden. Insbesondere Aufzeichnungen zur Ausgrabung Eberts wären interessant gewesen, da dieser nur zwei Jahre später behauptet, die Lage der Siedlung von Wiskiauten zu kennen (Ebert 1926, 18)16. Möglicherweise haben ihn die Ergebnisse seiner Ausgrabung am erwähnten Hügelgrab zu dieser Annahme verleitet, weshalb die Lage der Bestattung interessant wäre. Da es sich um den ehemaligen Grabhügel „151a“ (von zur Mühlen 1975, 133 Nr. 51) handelt, diese Nummer aber leider im Katalog von zur Mühlens (ebd. 133 Nr. 51, 137 Nr. 69) zweimal erwähnt ist, läßt sich die exakte 16 21 Nach diesen anfänglichen Grabungen, bei denen es sich nur um vereinzelte Aktionen handelte, lenkte ein 1930 bei Rodungsarbeiten entdeckter Grabfund (Zeitungsartikel im ALM) die Aufmerksamkeit der Prussia-Gesellschaft erneut auf das Gräberfeld von Wiskiauten, die im Jahr 1932 in der schwedisch-deutschen Ausgrabungskampagne gipfelte. Schon vorher bestanden anscheinend Kontakte zwischen H. Kemke und B. Nerman aus Schweden, wie aus einem Brief vom 26.7.1929 aus den Archivalien des neu eingerichteten Prussia-Archivs in Berlin hervorgeht (SMBPK/PM-A 522/1-62a). Darin schreibt Nerman, offensichtlich auf Anfrage Kemkes, seine Einschätzung zu den Wiskiautener Funden, die er offenbar im selben Jahr zum ersten Mal in Königsberg gesehen hat. Gleichzeitig drückt er Lage nicht mehr feststellen. Wahrscheinlich wurde das 1930 beim „Stubbenroden“ entdeckte Grab (ebd. 137 Nr. 69, alte Grabnummer 151a) mit dem Zusatz „a“ benannt, weil es in der Nähe des schon damals kartierten Grabes 151 lag. Dieser Hügel mit der alten Grabnummer 151 (heute keine Entsprechung) liegt im nordwestlichen Randbereich der in den 1930er Jahren kartierten Gräber. Aussagen zur Lage der Siedlung ergeben sich dadurch nicht. Für diese Theorie spricht auch eine Skizze aus dem Nachlaß Jankuhn, die vermutlich von Ebert selbst angefertigt wurde. Sie verzeichnet im Südosten des Wäldchens Kaup eine Siedlung, in deren Nähe dann auch das von Ebert ausgegrabene Hügelgrab gelegen haben könnte, zumal die Numerierung der Gräber erst Anfang der 1930er Jahre durch Engel erfolgte. Auch die Angabe von Nerman (1932, 2), bei einer erneuten Kartierung der Gräber in der Vorbereitung der schwedisch-deutschen Grabungen aus dem Jahr 1932 sei mit Hilfe eines Distanzrohres der alte Plan von Engel überprüft und ergänzt worden, ist hier hilfreich. Nerman erwähnt in seinem Grabungsbericht, neue Gräber hätten den Zusatz „a“ erhalten. So ist es möglich, dass das 1930 entdeckte Grab im Nordwesten des Gräberfeldes gelegen hat, während sich die von Ebert freigelegte Bestattung eher im Südbereich der Nekropole befunden haben könnte. Abweichend ist hier allerdings eine Lageskizze, die das beim Stubbenroden entdeckte Grab „151a“ 105 m westlich der Straße Wiskiauten-Wosegau zwischen den Grabhügeln 32 und 33 verzeichnet (SMB-PK/PM-A 522/1-85a). Diese Lage scheint richtig zu sein, da auch auf dem Gesamtplan (SMB-PK/PM-A 522/17-28 bis 34) an dieser Stelle ein Kreuz erscheint, das im Plan von zur Mühlens (1975 Taf. 2) als Flachgrab markiert ist. 22 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung den Wunsch nach einer persönlichen Besichtigung Wiskiautens aus. Offensichtlich bahnt sich hier schon die Zusammenarbeit des Jahres 1932 an, in deren Verlauf insgesamt ca. 30 Gräber untersucht worden sind. Einigen Zeitungsartikeln des Jahres 1931, verfasst von C. Engel17, ist zu entnehmen, dass es anscheinend im Vorfeld der Entdeckung des Grabfundes von 1930 zu großflächigen Rodungsarbeiten in der Kaup gekommen war. Im Anschluss scheint sich das Gräberfeld, befreit von dichtem Unterholz, in einer bisher nicht gekannten Klarheit präsentiert zu haben. Allerdings ist es aufgrund der „katastrophalen Wirtschaftslage“ zu dieser Zeit „höchst fraglich“ gewesen, ob es möglich sein würde, „diese schwer gefährdeten Denkmäler noch vor der Neubepflanzung zu retten oder wenigstens durch sachgemäße Untersuchung ihren Inhalt für die Wissenschaft zu erhalten“. Den von Engel geäußerten Wunsch nach sachgemäßer Untersuchung setzte man offensichtlich im Jahr 1932 in die Tat um, indem man das Komitee für baltische Zusammenarbeit in Stockholm einlud, an den geplanten Ausgrabungen in Wiskiauten teilzunehmen. Vermutlich war die Initialisierung eines schwedischdeutschen Projektes mit teilweise schwedischer Finanzierung der rettende Einfall, um auch im eigenen Land genügend Mittel für ein solches Unternehmen ausfindig machen zu können. In einem anderen Artikel vom 30. Dezember 1932 in der Zeitung „Grenzgarten“18 schreibt Engel, dass das zur Hilfe gerufene Komitee sogar die „erforderlichen Mittel“ bereitstellte. Auch die Aktionen des Prussia-Museums waren damit offenbar „größtenteils“ finanziell abgesichert. Die Finanzierung wurde zumindest teilweise von der A.G. Osram Elektraverken übernommen (Nerman 1932, 1), da der Schatzmeister des Komitees für baltische Zusammenarbeit Generalkonsul H. E. Henke der „Chef“ dieser Firma war. Weitere Unterstützungen erfuhr die Forschergruppe seitens der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, der Provinzialverwaltung Ostpreußen und der Kreisgemeinschaft Fischhausen (Gaerte 1933b, 73). Vom Komitee als Leiter der Untersuchungen Die Zeitungsartikel sind Bestandteil des Nachlassteiles von C. Engel im Nachlass von R. Grenz im Archäologischen Landesmuseum Schleswig. 18 ALM. 17 bestimmt, kam Nerman in Begleitung seiner beiden Assistenten I. Atterman und J.-E. Anderbjörk auf offizielle Einladung des Direktors des Prussia-Museums, W. Gaerte, für den Zeitraum vom 6. September bis 7. Oktober 1932 nach Wiskiauten, um zusammen mit dem Konservator des Prussia-Museums, F. Jaensch, und dem Museumsvorsteher, H. Sommer, insgesamt 21 Hügelgräber19 freizulegen (Abb. 3). Gleichzeitig fanden unter Leitung von C. Engel und P. Paulsen vom 16. September bis 15. Oktober 1932 auch Ausgrabungen an weiteren acht Gräbern20 statt, die in alleiniger Verantwortung des Prussia-Museums durchgeführt wurden. Es handelte sich also um eine organisatorische Zweitteilung, die neben der räumlichen Trennung der Arbeitsbereiche auch eine unterschiedliche Grabungsmethodik zur Folge hatte. Auch die Überlieferung in den Archivalien wurde dadurch beeinflusst. Die weitaus vollständigste Sammlung von Grabzeichnungen findet sich heute im Nachlass von Birger Nerman (Nerman 1932) in Stockholm, wohingegen die Zeichnungen aus dem Prussia-Museum nahezu zerstört sind. Dennoch sind diese Ausgrabungen und die der folgenden Jahre mit Abstand am besten überliefert, da einerseits sehr genaue Grabungsberichte angefertigt wurden, andererseits auch viele dieser Dokumente die wechselvolle Geschichte der Prussia-Sammlung überlebt haben. Besonders wertvoll sind neben den durch die Anfertigung auf einer Schreibmaschine sehr gut lesbaren Berichten die insgesamt etwa 400 fotografischen Aufnahmen der in dieser Zeit freigelegten Bestattungen. Auch der Gesamtplan resultiert aus der Epoche gemeinsamer schwedisch-deutscher Forschungen, wenngleich schon vorher ein erster Plan von Engel erstellt worden sein muss (Nerman 1932, 1)21. Grabnummern bei Nerman (1932): 43, 44, 55, 64, 72, 73, 133, 138, 139, 139a, 140, 141, 143, 144, 144a, 144b, 185, 189, 204, 207. 20 Gräber 170, 170a, 170b, 170c, 170d, 172, 174, 175 (von zur Mühlen 1975, 137-139 Nr. 72 – 79) sowie Gräber 170 e und 162. 19 Tatsächlich existieren sowohl in Stockholm (Riksantekvariet Ämbetet) als auch im neu eingerichteten Prussia-Fundarchiv Berlin Gesamtpläne des Gräberfeldes. Beide Pläne sind als Umzeichnung publiziert (Nerman 1942 Fig. 85; von zur Mühlen 1975 Taf. 2). 21 Grundlagen 23 Abb. 3 Ausgrabungen in Wiskiauten von B. Nerman und C. Engel. Zeitungsartikel von 1932 (Königsberger Allgemeine Zeitung, ALM Schleswig). Nach diesem schwedisch-deutschen Gemeinschaftsprojekt lag die weitere Untersuchung der Nekropole wiederum allein in den Händen der Prussia-Gesellschaft, wobei die Aktivitäten der folgenden Jahre schwer zu differenzieren sind. Finanziert durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, wurden die Grabungen anscheinend im Jahr 1933 von Kleemann fortgesetzt (Kleemann 1933, 247). Neben einem Gesamtnivellement der Nekropole soll zwischen Anfang August und Ende Oktober innerhalb von neun Wochen besonders der Südostteil des Gräberfeldes untersucht worden sein. Dokumente zu diesen Grabungen existieren nicht. Das ist um so erstaunlicher, als nicht weniger als zwei Grabhügel, ein wikingerzeitliches Flachgrab sowie mindestens vier weitere Bestattungen oder Befunde untersucht wurden und zusätzlich auch die Frage der Ausdehnung des Aschenplatzes in südlicher Richtung ermittelt werden konnte. Für das Jahr 1933 wird bei von zur Mühlen (1975, 139 Nr. 80) lediglich eine Grabung von K. Voigtmann22 aufgeführt, die aber nach den Archivalien zu urteilen (SMB-PK/PM-A 522/8277-288) erst im Jahr 1934 durchgeführt wurde. In diesem Jahr scheint zunächst W. Gaerte vom 23. – 27. Juli, im Anschluss K. Voigtmann vom 28. Juli bis 12. Oktober und letztlich F. Jaensch vom 13. – 19. Oktober für die Ausgrabungen verantwortlich gewesen zu sein (SMBPK/PM-A 522/8-277). Dabei wurden die Hügel Grabhügel 181 (Von zur Mühlen 1975, 139 Nr. 80). 22 24 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 16323, 16724, 18125, 18326, 18427 aufgedeckt und bis auf Hügel 163 vollständig untersucht (SMBPK/PM-A 522/8-277-288). Gleichzeitig wurden auf Veranlassung Gaertes Suchgräben in der Umgebung des sog. „spätheidnischen Aschenplatzes“ angelegt. In der Literatur wird ein Jahr später besonders auf die Freilegung des Hügels 163 hingewiesen (Gaerte 1935a, 40f.). Für den Zeitraum vom 5.8. – 12.9.1935 lässt sich rekonstruieren, dass in diesem Jahr „zwei altpreußische Bestattungen mit Pferden, mehrere wikingische Brandgruben, 2 wikingische Flach-Brandgräber, ein beigabenloses Körpergrab, ein Grab mit drei Toten wikingischer Zeit und ein reich ausgestattetes wikingisches Körpergrab im Bohlensarg“ (Ohne Verfasser 1935, 170) dokumentiert worden sind. Auch an anderer Stelle wird von diesen Grabungen berichtet (Agde 1936, 9). Demnach soll eine „Restuntersuchung an Hügel 163“ stattgefunden haben. Auch das komplett im Block geborgene Skelettgrab in Hügel 192 (vgl. Abb. 8, a.b) sowie Grab 151 mit drei Bestattungen und ein in der Nähe gelegenes Hockergrab gehören zu den damals freigelegten Befunden. Der gleichen Quelle ist zu entnehmen, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft diese Untersuchungen unterstützt hat. 1936 kaufte die Regierung, vertreten durch den „Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und den Oberpräsidenten (Verwaltung des Provinzialverbandes)“ einen großen Teil des Gräberfeldes auf (Ohne Verfasser 1936; Gaerte 1937). Zweck dieser Maßnahme war die Erhaltung des Gräberfeldes und die Einrichtung eines „Naturschutzparkes“ bzw. eines „Wikingerhaines“, der „als ehrwürdiges Denkmal der nordisch-germanischen Blutsverwandten und Kulturträger auf den Besucher den gewünschten nachhaltigen Eindruck Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog der Grabnummer 70. 23 Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog der Grabnummer 71. 24 Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog der Grabnummer 80. 25 Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog der Grabnummer 81. 26 Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog der Grabnummer 82. 27 Abb. 4 Wiskiauten. Holzhütte mit Schautafeln im Wäldchen Kaup, vermutlich aus dem Jahr 1935 (SMB-PK/PM-A 522/29-190). nicht verfehle[n]“ sollte (ebd.). Schon vorher hatte man offensichtlich mehrere kleine Informationstafeln installiert, die auf einem 1935 von Kleemann aufgenommenen Foto im Prussia-Archiv (Abb. 4) an der Wand einer kleinen Holzhütte erkennbar sind. Ob diese Tafeln für einen kurzfristigen Besuch der Presse oder einer besonderen Persönlichkeit oder dauerhaft für Besucher aufgehängt wurden, ist nicht zu ermitteln. Von der bei von zur Mühlen (1975, 137 Nr. 71) erwähnten Untersuchung des Grabhügels 167 aus dem Jahr 1937 durch Kleemann ist in den Prussia-Archivalien ebenfalls kein Material überliefert. Vom 6. – 8. September 1939 scheint entweder W. La Baume selbst oder mit Unterstützung von D. Bohnsack eine Massenbestattung mit sieben Skeletten unter einem Steinpflaster freigelegt zu haben. Im Anschluss erfolgte im gleichen Jahr 1939 die Nachuntersuchung der Hügel 163 und 175. Besonders die Untersuchung an letzterem wird als Nachuntersuchung in einem schon von Paulsen erforschten Grab bezeichnet (SMB-PK/PM-A 522/10-334). So ist es auch möglich, dass Hügel 163 ein zweites Mal nachuntersucht wurde, wofür auch ein Hinweis aus dem Grabungsbericht von 1934 (ebd.) spricht: „Die wissenschaftlichen Untersuchungen an Hügel 163 für dieses Jahr abgeschlossen.“ Anscheinend dauerte die Arbeit aufgrund der vielen vorgefundenen Skelette in diesem Hügel länger an als geplant und wurde in mehreren Etappen vollzogen. Grundlagen Nach dem Jahr 1939 scheinen keine Ausgrabungen mehr stattgefunden zu haben. Lediglich vom Beginn der Bauarbeiten zur Wiederherstellung des Denkmales und der Herrichtung für die Öffentlichkeit ist in der Literatur zu lesen (La Baume 1939; 1941b; Ohne Verfasser 1939a-b). In diesem Zusammenhang wurden Ausholzungen vorgenommen und der Wald durch Anlage von Wegen besser zugänglich gemacht. Die endgültige Umgestaltung ist anscheinend durch die Kriegsereignisse unterbrochen worden, spätere Berichte sind der Literatur nicht mehr zu entnehmen. A.4.1.2 Prussia-Verlagerungsgeschichte Während der wechselvollen Verlagerungsgeschichte der Prussia-Sammlung sind auch die Materialien zu Wiskiauten stark in Mitleidenschaft gezogen worden und dementsprechend heute in unterschiedlichen Institutionen verteilt. Der Großteil der Funde war kurz vor Ende des Krieges in Raum 5 der sog. Schausammlung im Südflügel des Königsberger Schlosses ausgestellt. In einem der Türme des Schlosses existierte sogar ein eigener Raum, der speziell als Wikingerausstellung hergerichtet war (Kleemann 1937b, 354). Um die vorgeschichtlichen Sammlungen der Gefahr durch Luftangriffe zu entziehen wurden bereits 1943 das gesamte Fundarchiv sowie ein großer Teil der sogenannten Studiensammlung nach Carlshof, Kr. Rastenburg (heute Karolewo, Gm. Kętrzyn, Woj. WarmińskoMazurskie,) ausgelagert (Reich 2005, 46; Ibsen 2005, 24). Von hier gelangten unter anderem mehrere Keramikgefäße28 aus Wiskiauten kurz nach dem Krieg ins Muzeum Warmii i Mazur in Olsztyn, Woj. Warmińsko-Mazurskie (ehemals Allenstein, Kr. Allenstein) und sind heute noch dort erhalten. Außerdem lagern hier einige Dokumente von Heydeck zum steinzeitlichen Hügelgrab. Es handelt sich um insgesamt fünf Gefäße aus den Gräbern 170A (von zur Mühlen 1975, 137 Nr. 73), 43 (ebd. 134 Nr. 52), 174 (ebd. 138 Nr. 78) sowie zwei weiteren, nicht sicher identifizierbaren Bestattungen („Grab 5/1932“ und „VI.431.12806“). Für die Erlaubnis zur Einsichtnahme in die Archivbestände sowie die Zusendung mehrerer Zeichnungen sei Dr. M. Hoffmann und Dr. J. Sobirajski (beide Muzeum Warmii i Mazur, Olsztyn) herzlich gedankt. 28 25 Durch Vermittlung von Engel sind Teile des in Carlshof lagernden Fundmaterials auf zwei Eisenbahnwaggons verteilt zuvor bereits nach Demmin in Vorpommern transportiert worden, wo neben den Funden auch Grabungsberichte auf dem Dachboden des Gutshofes Broock bei Demmin gelagert worden sind, während ein zweiter Teil in einem leerstehenden Barbierladen in Demmin zwischengelagert wurde. Beide Sammlungsteile gelangten später nach Ost-Berlin ins Museum für Vorgeschichte. In diesem Fundus waren die heute im Museum für Vor- und Frühgeschichte - Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz zu Berlin befindlichen Dokumente29 sowie einige Originalfunde30 aus Wiskiauten enthalten. Die sog. Schausammlung, darunter die in den Ausstellungsräumen des Prussia-Museums präsentierten wertvollsten Funde sind 1944 in den Katakomben des Kaliningrader Forts Nr. III in Quednau im Nordosten Königsbergs eingemauert worden. Während der Nutzung dieser Festung durch die sowjetische Armee in der Folgezeit sind vereinzelt Funde aus der Sammlung auf den Schwarzmärkten aufgetaucht, ohne jedoch das Interesse zuständiger Behörden zu wecken. Erst nach Abzug der Armee am Anfang der 1990er Jahre tauchten erneut Funde auf dem Kaliningrader Schwarzmarkt auf, die von den Kaliningrader Archäologen K. Skvorzov und A. Valujev zweifelsfrei der Prussia-Sammlung zugeordnet werden konnten. In der Folge sind ab dem Jahr 2000 insgesamt mehr als 30 000 Prussia-Funde in den Kasematten von Fort Nr. III ausgegraben worden, darunter etwa 50 Originalfunde aus Wiskiauten31. 29 SMB-PK/PM-A 522/1-47. So z.B. das Schwert mit der Inv.-Nr. V, 146, 7746:11 aus einem Grab ohne Nummer (von zur 30 Mühlen 1975, 131 Nr. 41), ein Schwert aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 127 Nr. 26), oder der Schwertknauf aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 122 Nr. 1). Weitere Funde sind vermutlich noch nicht identifiziert. Diese Funde sind seit dem Jahr 2005 teilweise in einer Dauerausstellung zum „Prussia-Museum“ im Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad zu sehen. 31 26 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung A.4.1.3 Sowjetische und russische Forschungsepoche nach 1945 Nachdem die sowjetische Forschung nur zwei Jahre nach Kriegsende mit archäologischen Forschungen in der Region begann, wird der Komplex von Wiskiauten erst 1956 durch die Kaliningrader Abteilung der sog. Baltischen Expedition unter der Leitung von Frida D. Gurevič erneut untersucht (Gurevič 1963; Kulakov 2005, 56) und im Jahr 1958 fortgesetzt. Insgesamt sind dabei 20 Grabhügel32 und zwei Steinsetzungen dokumentiert worden. Ein Jahr später, 1959, sind weitere sieben Hügelgräber geöffnet worden33. Nach einer Pause von 21 Jahren, die in einer besonderen, auf die Suche nach slawischen Ursprüngen der Region Kaliningrad ausgerichteten Forschungsstrategie der Sowjetunion begründet lag, welche zwangsläufig zu negativen Ergebnissen führte (Kulakov/Tiurin 2007, 21) und in der es zu massiven Aktivitäten von Raubgräbern kam (Kulakov 2005, 61), widmete sich Kulakov (1989; 2005) ab dem Jahr 1979 erneut der Nekropole und insbesondere auch deren Umfeld. Erstmals wurden Luftbildaufnahmen ausgewertet, um Hinweise auf den Standort der Siedlung zu gewinnen (ebd.). Nach einem ersten Probeschnitt im südwestlichen Teil des Wäldchens, angelegt zur Überprüfung einer auffälligen Konzentration von Oberflächenfunden, wurde eine als Teil eines Hauses interpretierte Steinsetzung lokalisiert (Kulakov 2005, 62-63). Im folgenden Jahr wurden die Untersuchungen der vermeintlichen Siedlungsspuren fortgesetzt, wobei neben einem zweiten Hausgrundriss auch vier Grabhügel (K 172, K 174, K 175, K182/182) untersucht werden konnten. Nach einer Pause von 20 Jahren setzte Kulakov die Grabungen seit dem Jahr 2000 fort. Bis zum Abschluss dieser Studie sind weitere fünf Grabhügel34 unterBei Kulakov (2005) sind abweichend nur folgende Hügel im Katalog angegeben: KI, KII, Grabhügel III, K1 bis K11, also nur 14 Hügel insgesamt. Gurevič (1963, 198) selbst schreibt von 20 untersuchten Hügeln. Zu einigen finden sich im Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad Archivalien in Form von Grabungsberichten. 33 Diese Grabhügel, zu denen im Archiv in Kaliningrad Zeichnungen existieren, sind bei Kulakov (2005) nicht erwähnt. 32 34 Bislang sind nur die Ergebnisse zu den Grabhü- sucht worden. Abgesehen von den überhügelten Bestattungen konnten dabei auch mehrere Befunde dokumentiert werden, bei denen es sich um Flachgräber handeln dürfte35. Insgesamt sind bei den bisherigen Ausgrabungen somit seit Beginn der ersten Aktivitäten von Wulff (1865) geschätzte 325 Bestattungen untersucht worden. In der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich um Grabhügel. Konkrete Informationen zu Grabbau und Funden liegen immerhin für etwas weniger als die Hälfte vor. Insbesondere die Ausgrabungen aus deutscher Zeit vor dem Jahr 1900 sind nur spärlich dokumentiert, was einerseits mit den damals niedrigeren ausgrabungstechnischen Standards erklärt werden kann, andererseits in der wechselvollen Geschichte der PrussiaSammlung begründet liegt, die als denkmalpflegerisches Archiv fungiert hat und durch die komplizierte Verlagerungsgeschichte nur noch in Resten existiert. 8888Seit der politischen Wende des Ostens und dem Beginn der Perestroijka-Zeit lässt sich ein weiteres, dunkles Kapitel von forschungsgeschichtlichem Interesse anschließen. Es betrifft die Raubgrabungen im Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten, die seit den 1990er Jahren extrem zugenommen haben. Fast jedes Jahr werden mehrere Grabhügel geplündert. Davon zeugen rechteckige Raubschächte in den Hügeln (Abb. 5). Teilweise deutet bereits die Form oder Größe der Raubschächte auf die zu vermutende, zerstörte Bestattung hin. So sind Raubgruben von 3 x 4 m vorsichtig als Doppelbestattungen oder Bestattungen mit Pferdebeigabe zu interpretieren. In der jüngsten Vergangenheit stand das Gräberfeld von Wiskiauten auf einer inoffiziellen Liste der am stärksten von Raubgrabungen betroffenen Fundplätze Russlands auf Platz 136. Immer wieder tauchen auf den Schwarzmärkten in Kaliningrad und Moskau Funde auf, deren Herkunftsort mit Wiskiauten angegeben wird. Auch die Bereiche zwischen den Hügeln werden offenbar regelmäßig von Sondengängern auf Funde abgesucht, wie die typischen kleinen quadrageln K 167/167 und K 128/146 publiziert (Kulakov 2005, 70ff.). 35 Freundl. Auskunft des Ausgräbers. Freundl. mündl. Mitteilung von Prof. V. I. Kulakov. 36 Grundlagen 27 Abb. 5 Wiskiauten. Hügelgräberfeld im Winter 2006, im Vordergrund Prof. Dr. Claus von Carnap-Bornheim. tischen Gruben zu erkennen geben. Von den einst über 500 Hügeln dürften durch wissenschaftliche und illegale Grabungen mehr als 400 Grabhügel bereits ausgegraben, zerstört oder gestört sein. Die verbleibenden Hügel bedürfen dringend eines angemessenen Schutzes und weiterer Ausgrabungen. A.4.2 Forschungsgeschichte der Siedlungsuntersuchungen Die Forschungsgeschichte zu den Siedlungsuntersuchungen lässt sich zunächst grob in drei unterschiedliche Epochen einteilen. Der erste Abschnitt ist bestimmt durch die Arbeiten deutscher Archäologen vor 1945 und blieb im Prinzip ergebnislos. Der zweite Abschnitt ist von den Forschungen russischer Archäologen geprägt. Immerhin stammen aus dieser späteren Zeit konkrete Hinweise, die es bei den aktuellen Untersuchungen zu berücksichtigen und zu prüfen galt. Insbesondere V. I. Kulakov (2005, 62) beansprucht für sich die Entdeckung der Siedlung aufgrund von Grabungsschnitten, die zwei Hausbefunde enthal- ten sollen, sowie der Auswertung eines sowjetischen Luftbildes (ders. 1989, 84 Abb. 3; 1994, 82 Abb. 39). Eine neue Epoche wurde durch Untersuchungen des Archäologischen Landesmuseums in Zusammenarbeit mit dem Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad und der Baltischen Expedition der russischen Akademie der Wissenschaften Moskau im Jahr 2005 eingeleitet und dauert bis heute an. A.4.2.1 Deutsche Forschungen vor 1945 Die Frage nach der zum Gräberfeld gehörenden Siedlung taucht erst am Beginn des 20. Jahrhunderts auf. Zuvor beschränkte man sich auf die Erforschung der Grabstätten selbst. Erst nach dem Jahrhundertwechsel formuliert Heydeck (1900, 62) die Aussage, die Wiskiautener Gräber ließen vermuten, dass „in dieser Zeit hier im Samlande größere Ansiedlungen von Skandinaviern existiert haben“ müssen. Bald danach wird in einem Aufsatz von H. G.Voigt (1901, 349) die Frage der Wikingersiedlung von Wiskiauten behandelt. Hollack (1908, LXXXVII) bringt die Siedlung von Wis- 28 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung kiauten mit der durch Saxo Grammaticus (Gesta Danorum, Buch X, 5; vgl. Holder 1886, 328) Ende des 12. Jahrhunderts überlieferten Geschichte zusammen, nach der Haquinus, der Sohn Harald Blauzahns37, im Samland eine dänische Kolonie gegründet habe. Mitte der 1920er Jahre scheint die Diskussion um diese Siedlung erneut entfacht zu sein (La Baume 1926, 93). Diese ersten Lokalisierungsversuche stellen jedoch rein theoretische Abhandlungen aufgrund von Ortsnamensforschungen mit Hilfe literarischer Quellen dar. Konkret beansprucht M. Ebert (1926, 18) die Entdeckung der Siedlung für sich, bleibt den archäologischen Beweis aber schuldig (von zur Mühlen 1975, 68 Anm. 230). Das Ausbleiben von ausgedehnten Geländeforschungen in dieser Zeit führt Kleemann (1939a, 4) auf „ungünstige Umstände, die starke denkmalpflegerische Belastung in der ausgedehnten Provinz, auch wohl die innere Neuordnung des Landesamtes“ zurück. In den 1930er Jahren wird die Existenz der Siedlung von Wiskiauten niemals angezweifelt. Auch ohne konkrete archäologische Hinweise galt die Anwesenheit des Gräberfeldes als hinreichender Beweis, dass eine solche Siedlung bestanden haben muss. So schreiben mehrere Autoren wie selbstverständlich von der Kolonie der Wikinger im Samland (vgl. z.B. Engel 1931a), die in einigen offenbar nationalistisch gefärbten Texten schnell zur Militärkolonie avancierte (Ohne Verfasser 1932). Erst mit Beginn der maßgeblich durch H. Jankuhns Grabungen in Haithabu Anfang der 1930er Jahre geprägten Siedlungsarchäologie und unter dem Einfluss der großen Grabungen in Birka und Wolin stieg das Interesse, der Frage der Siedlung auch durch archäologische Methoden näher zu kommen und im Umfeld des Gräberfeldes von Wiskiauten entsprechende Strukturen zu lokalisieren, merklich an (Kleemann 1939a, 4). Eine konkrete Lagebezeichnung für die Siedlung benennt zu dieser Zeit lediglich Engel (ALM) in einem Zeitungsbericht38 vermutlich aus dem Jahr 1932 oder 1933 in der Folge der schwedisch-deutschen Ausgrabungen. Seiner Vermutung zufolge muss die Niederlassung in der Nähe des Bahnhofs Bledau39 gelegen haben, also im Osten des Gräberfeldes. Die Versuche deutscher Archäologen, die zum Gräberfeld von Wiskiauten gehörige Siedlung zu lokalisieren, hat zuletzt Kleemann in zwei zeitlich kurz aufeinanderfolgenden Aufsätzen zusammenfassend beschrieben (Kleemann 1939a; 1939b). Insbesondere seine Erwähnungen der durchgeführten Grabungsschnitte sind sehr hilfreich für die Beurteilung der angewandten Methoden einerseits und ihrer negativen Ergebnisse andererseits. Nach seinen Schilderungen wurden großflächige Feldbegehungen im Umfeld der Kaup durchgeführt, blieben aber ergebnislos. Weiterhin beschreibt er die Anlage von mehreren Suchschnitten. Interessant sind seine Ortsangaben zu den Sondagen. So soll östlich und westlich der Straße Wiskiauten-Wosegau auf einem Absatz des heute noch deutlich terrassenartig gestalteten Geländes je ein Suchgraben angelegt worden sein, der aber in beiden Fällen ebenso wie ein von der Kaup nach Osten angelegter Suchschnitt von „erheblicher Länge“ ohne nennenswerte Funde oder Befunde blieb (Kleemann 1939a, 6; 11). Besondere Bedeutung hat eine Zusammenstellung der archäologischen Fundplätze in der Umgebung der Kaup, mit der Kleemann (1939b) die Lokalisierung der Siedlung anhand der Kartierung dieser Denkmäler bezweckte bzw. Hinweise auf ihre Lage durch den räumlichen Bezug zu anderen Fundstätten suchte. Hilfreich ist der dortige Katalog der insgesamt 77 Fundstellen aller Zeitstufen, der dem Bereich allgemein eine lange Besiedlung bei unterschiedlicher Intensität in den verschiedenen Zeiten bescheinigt. Interessant ist die Erwähnung von Fundstellen des 13. oder 14. Jahrhunderts (ebd. 224f. Fundstellen „Wosegau 3“ und „Wosegau 4“), die sich in der Nähe der im Jahr 2005 angelegten Fläche 3 befinden. Hier wurde während einer Ausgrabung am 18.10.1938 angeblich eine Kulturschicht von bis zu 0,35 m Mächtigkeit mit Tierknochen, Resten von Lehmbewurf und Holzkohle dokumentiert. Abgesehen von prussischen Fundplätzen, Alternativ wird die Gleichsetzung von „Haquinus“ mit dem norwegischen Jarl Hakon diskutiert (Baranauskas 2004, 76). Als „Bahnhof Bledau“ oder „Haltepunkt Bledau“ wurde die letzte Bahnstation auf dem Weg von Königsberg nach Cranz bezeichnet, die etwa 3 km südlich des Cranzer Bahnhofs lag. 37 38 Der Name der Zeitung ist nicht überliefert. 39 Grundlagen 29 meist Burgwällen, fehlen wikingerzeitliche Fundstellen in diesem Bild. Kleemann (1939b, 216) favorisierte anschließend den Bereich um die Ortschaft Wosegau, schloss aber auch eine Lage beim Bahnhaltepunkt Bledau am Rand der Niederungszone im Osten des Hügelgräberfeldes nicht aus. Den einzigen konkreten Hinweis auf die genaue Lokalisierung der Siedlung liefert eine Archivalie, die sich heute im Nachlass von Herbert Jankuhn im Archäologischen Landesmuseum Schleswig befindet. Das Schriftstück (Abb. 6) könnte aus der ehemaligen PrussiaSammlung stammen. Wahrscheinlicher allerdings ist, dass es sich um ein Original aus einer privaten Material-Sammlung handelt, zu der Jankuhn Zugriff hatte. Der Handschrift nach könnte es sich um ein Dokument von Max Ebert handeln40. Die Archivalie gibt den als Rechteck eingezeichneten und somit sehr stark schematisierten Umriss des Wäldchens Kaup, das Vorwerk Wiskiauten sowie die Bahnlinie von Königsberg nach Cranz wieder. An der Südostecke des Wäldchen ist ein Halbkreis mit dem handschriftlichen Zusatz „etwa hier die Siedlung“ eingezeichnet. Ob es sich dabei aber um die wikingerzeitliche Siedlung handelt oder ob eine andere Datierung zugrunde liegt, lässt sich dem Dokument allein nicht entnehmen. Lediglich die Einordnung des Schriftstückes in den Wiskiauten betreffenden Archivalienteil innerhalb von Jankuhns Nachlass, die Jankuhn vermutlich selbst durchgeführt hat, gibt einen Hinweis auf die Zugehörigkeit zum hier zu besprechenden Fundplatz. Falls es sich tatsächlich um eine Skizze von M. Ebert handelt, was aufgrund des engen LehrerSchüler-Verhältnisses von Ebert und Jankuhn und der daraus möglicherweise resultierenden Einsichtnahme Jankuhns in private Aufzeichnungen Eberts durchaus denkbar wäre, gewinnt die Skizze große Bedeutung für die Diskussion um die Lage der Siedlung. Trifft die Vermutung zu, so könnte es sich um die Bestätigung der Aussage von Ebert (1926, 18) handeln, bei der er die Entdeckung der Siedlung für sich in Anspruch nimmt, den Beweis jedoch schuldig bleibt (von zur Mühlen 1975, 68 Anm. 230). Ebert (1926, 18) schreibt: „Im Samlande lag eine schwedische Kolonie bei Cranz. Das Gräberfeld ist seit langem bekannt (Wäldchen Kaup bei Wiskiauten), die Siedlung habe ich durch eine Probegrabung im Sommer 1924 festgestellt.“ Den genauen Ort nennt er nicht, auch über die Art der Befunde lässt er den Leser im Unklaren. Äußerst wichtig ist in diesem Zusammenhang eine wohl mündliche Aussage von Voigtmann (Kleemann 1939b, 202 Anm. 1), dass „Ebert die Stelle dicht südlich der Kaup gefunden“ habe. Diese Aussage ohne Anführung von Gründen ließ sich aber nicht überprüfen, da Unterlagen nicht vorhanden waren. Möglicherweise ist daher das Dokument aus dem Nachlass Jankuhns der erste und einzige Hinweis auf die Aussage Eberts und die von ihm identifizierte Siedlung. Leider befindet sich genau an der betreffenden Stelle ein in sowjetischer Zeit errichteter Gebäudekomplex mit großräumig durch Beton versiegelten Flächen, die sich dadurch der archäologischen Prüfung entziehen. Zudem ist die Skizze sehr ungenau. Trotzdem sind auch diese Bereiche in Überlegungen zur Lage der Siedlung einzubeziehen. Eine weitere interessante Randbemerkung ergibt sich aus einem Aufsatz von J. Martens (1996, 52 Anm. 1), in der er die Existenz einer „Waffenschmiede“ aufgrund einer mündlichen Aussage eines ehemaligen Ausgräbers als Hinweis auf das Vorhandensein einer Siedlung deutet. Leider bleiben Name des Ausgräbers, Ausgrabungsjahr und Befundbeschreibung unerwähnt, so dass der Hinweis kaum zu verwerten ist41. Für diese mündliche Information bedanke ich mich bei Herrn M. Malliaris, Prussia-Archiv Berlin. Für die freundliche, briefliche Konversation und die Auskünfte danke ich Dr. J. Martens. 40 41 30 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 6 Wiskiauten. Skizze zur Lage einer Siedlung südlich des Wäldchens Kaup (Skizze nicht genordet), vermutlich von M. Ebert (ALM Schleswig). A.4.2.2 Russische Forschungen zwischen 1945 und 2005 Wesentlich konkreter sind die Ergebnisse der sowjetischen und später russischen Forschungen im Umfeld des Gräberfeldes von Wiskiauten, die ab dem Jahr 1979 initiiert wurden. Schon im Zeitraum zwischen 1956 und 1959 hatte F. D. Gurevič einige Bestattungen im Gräberfeld freigelegt. In diesem Zusammenhang sind aber keine Siedlungsspuren dokumentiert worden. Eine rechteckige Steinsetzung von 4,5 x 0,75 m in der Nähe der untersuchten Hügelgräber wird als Opferstätte interpretiert (Kulakov 2005, 59), ein Siedlungsbefund liegt somit nicht vor. Erst V. I. Kulakov (2005, 62ff.) erfasste in zwei Grabungen in den Jahren 1979 und 1980 zwei Steinsetzungen und diese begleitende Befunde, die er als Hausgrundrisse interpretierte. Die Auffindung dieser Befunde schreibt Kulakov (1989, 85; 2005, 62) der Auswertung eines sowjetischen Luftbildes zu, die im Jahre 1989 erstmals publiziert wurde. Die interpretierende Umzeichnung (ders. 1989, 83 Abb. 2; 1994, 82 Abb. 39) zeigt an mehreren Stellen amorphe oder rundliche Strukturen, deren Größe nur geschätzt werden kann und die im Abgleich mit dem Originalbild42 kaum deutlich zu erkennen sind. Sie liegen im Norden, Osten, Süden und Westen des Gräberfeldes, was zunächst überall in der Umgebung der Kaup Befunde erwarten lässt. Etwas deutlicher erkennbar ist der von Kulakov postulierte Siedlungsbereich südwestlich der Kaup, der im Luftbild als leicht Für die Erlaubnis zur Begutachtung des Originalbildes bedanke ich mich bei Prof. V. I. Kulakov. 42 Grundlagen erhellte Fläche hervortritt, die aber allein betrachtet kaum ausreicht, eine Kulturschicht zu belegen. Unterstützend führt Kulakov (2005, 62) Streufunde vom „Gebiet der offenen Siedlung“ an, darunter Keramikfragmente handgemachter Ware, Schleifsteinbruchstücke und Fragmente von Horn- und Knochenobjekten sowie ihrer Halbfabrikate. Zur Überprüfung der vermuteten Kulturschicht legte Kulakov (ebd.) einen Grabungsschnitt an und fand tatsächlich eine Schicht von 0,7 m Mächtigkeit, die aus einer Mischung von Lehm, Holzkohle und handgemachten Keramikfragmenten bestand. Eine Steinstruktur wurde als Hausgrundriss gedeutet. Die während dieser Sondage und in einer weiteren am Fuß des Grabhügels K 174 freigelegten Steinkonstruktion aber sind nur schwer als direkter Nachweis von Hausgrundrissen zu bewerten, da sich aus der Zeichnung keine regelmäßige Steinsetzung erkennen lässt. Der ergrabene Abschnitt ist letztlich zu gering. Auffällig aber bleibt das Fundmaterial, das auch eine Scherbe mit Rillenverzierung enthalten soll (ebd. 63), die im Gräberfeld Parallelen findet und, unabhängig von der Funktion der Strukturen, zumindest einen zeitlichen Zusammenhang zwischen den ergrabenen Befunden und den Bestattungen im Wäldchen Kaup herzustellen scheint. Allerdings ist ein entsprechendes Gefäß nur aus dem Grabhügel 163 bekannt (von zur Mühlen 1944, 148 Abb. 10b), der durch seine 14 Bestattungen einen Sonderfall im Grabbau darstellt und für den konkrete Datierungsanhalte fehlen. Keramikscherben mit Rillen, die den an slawischen Gefäßen häufig beobachteten Gurtfurchen entsprechen dürften, sind bei den modernen Siedlungsuntersuchungen in den Jahren 2006 und 2007 zahlreich bei Anlage der Grabungsschnitte Fläche 2 im Süden des Gräberfeldes und Fläche 4 im Norden der Nekropole gefunden worden und gehören hier ins 11. und 12. Jahrhundert (vgl. Kap. C.5.6.2.2 und C.5.7.2.2). Auch eine späte Datierung der von Kulakov freigelegten Befunde wäre damit möglich. Noch schwieriger liegt der Fall bei einem vermuteten Umfassungswall, der den hellen Bereich im Luftbild umschließen, aber gänzlich abgepflügt sein soll (Kulakov 2005, 62). Klare Grenzen für diesen Wall sind nicht zu erkennen. Die Interpretation wurde wohl maßgeb- 31 lich durch Geländebeobachtungen beeinflusst, da sich an der entsprechenden Stelle im Gelände tatsächlich eine 0,3–0,4 m hohe, max. 2–3 m breite, wallartige Erhöhung zeigt43. Im Anschluss an diese Grabungen stand in den jüngeren russischen Projekten wiederum ganz die Gräberfeldarchäologie im Vordergrund. Zweifelsfrei lieferten die Forschungen der russischen Epoche zahlreiche Hinweise auf die Lage der zu vermutenden Siedlung, die als Ausgangspunkt für das ab dem Jahr 2005 initiierte russisch-deutsche Grabungsprojekt genutzt werden konnten. A.4.2.3 Neue Forschungen 2005–2007 Im Jahr 2005 konnte durch ein russisch-deutsches Grabungsprojekt eine neue, internationale Epoche der Forschungen eingeleitet werden. Erstmals arbeiteten seit diesem Zeitpunkt Archäologen beider Nationen am Fundplatz zusammen. Während sich der russische Projektteil mit der weiteren Erforschung des Gräberfeldes durch neue Ausgrabungen beschäftigte, versuchte der deutsche Projektteil die Suche nach der Siedlung unter Einsatz naturwissenschaftlicher Prospektionsmethoden in Kombination mit archäologischen Feldmethoden voranzutreiben. An diesem Projekt beteiligten sich in den Jahren 2005–2007 auf russischer Seite die Baltische Expedition des Instituts für Archäologie der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau unter Leitung von Prof. Dr. V. I. Kulakov und K. N. Skvorzov vom Kaliningrader Museum für Geschichte und Kunst sowie diverse Studierende der Immanuel-Kant-Universität Kaliningrad. Die Siedlungsuntersuchungen wurden in den Jahren 2005–2007 maßgeblich von der RöSowohl durch die zur Überprüfung der Wallsituation durchgeführten geomagnetischen Messungen als auch durch die Bohrungen konnten tatsächlich Hinweise auf einen derartigen Wall ermittelt werden (vgl. Kap. C.4.4.1.3). Aufgrund der Bohrergebnisse handelt es sich aber vermutlich nicht um einen anthropogen errichteten Wall, sondern eher um eine geologische Formation. Zusätzlich wurde ca. 50 m nördlich eine grabenartige Struktur dokumentiert, die der südlichen Waldgrenze unmittelbar vorgelagert ist. Ihr Charakter ist bisher unklar, Testgrabungen sind an dieser Stelle noch nicht erfolgt. 43 32 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung misch-Germanischen Kommission Frankfurt a. M. des Deutschen Archäologischen Institutes sowie vom Europäischen Sozialfond (ESF) finanziert und vom Archäologischen Landesmuseum in der Stiftung Schleswig-Holsteinischer Landesmuseen Schloß Gottorf durchgeführt. Weitere Finanzmittel gewährte das International Center der Christian-AlbrechtsUniversität Kiel. Seit 2007 förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Projekt44. Die wissenschaftliche Gesamtleitung obliegt Prof. Dr. C. von Carnap-Bornheim, Prof. Dr. S. von Schnurbein und Dr. F. Lüth. Die örtliche Projektleitung und Ausgrabungsdurchführung übernahm Verf. mit Unterstützung von Studierenden des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel45. Für die geomagnetischen Messungen war das Institut für Geowissenschaften (Abteilung Geophysik) der Christian-Albrechts-Universität Kiel mit verschiedenen Mitarbeitern46 und Studierenden47 unter Leitung von Dr. H. Stümpel verantwortlich. Im Sommer 2005 konnten vom 19. Juli bis 4. September in einer sechswöchigen Kampagne zunächst 14 ha Boden in der Umgebung des Hügelgräberfeldes geomagnetisch untersucht werden. Im Anschluss erfolgten Bohrungen und drei Probegrabungen. So wurde Fläche 1 an der Stelle einer Ofenanlage angelegt, die später durch 14C-Datierungen in die vorrömische Eisenzeit eingeordnet werden konnte. In Fläche 2 gelang die Freilegung eines aus Feldsteinen trocken gemauerten Brunnens, dessen Freilegung im Sommer 2007 weitergeführt, jedoch nicht vollendet wurde. Die Datierung Die Siedlungsforschungen in Wiskiauten sind ein Teil des von der DFG im Normalverfahren geförderten russisch-deutschen Forschungsprojektes „Suzdal und Mohovoe/Wiskiauten – Prospektion und Datenvergleich an frühmittelalterlichen Siedlungskammern im Kaliningrader Gebiet und in Westrussland“ (Geschäftszeichen CA 146/8-1). 44 Den Studierenden J. Frenzel (seit 2007 Projektmitarbeiter), K. Kamp, S. Knorre, M. Mennenga, H. Onat, L. Schlisio, F. Schmoll, T. Schroedter und A. Windler sei an dieser Stelle für Ihren unermüdlichen Einsatz während der Feldforschungen in den Jahren 2005–2007 gedankt. 45 46 E. Erkul, H. Petersen, Dr. S. Wölz. K. Dünnbier, V. Glomb, C. Podolski und T. Wunderlich. 47 des Brunnens über 14C-Datierungen und typologische Vergleiche des Fundmaterials, insbesondere der Keramik, erbrachte eine Datierung ins 11. oder 12. Jahrhundert. Im Nordwesten des Gräberfeldes in etwa 800 m Entfernung gelang in Fläche 3 der Nachweis einer frühen Siedlungsphase mit Kulturschichten aus dem 7.–8. Jahrhundert mit vagen Hinweisen auf Siedlungsaktivitäten auch aus dem 9. und 10. Jahrhundert. Weitere geomagnetische Untersuchungen auf ca. 45 ha Fläche fanden im März 2006 statt, an die sich eine sechswöchige Ausgrabung im Sommer 2006 anschloss, in deren Verlauf ein vierter Grabungsschnitt (Fläche 4) angelegt wurde. Er erbrachte den Nachweis von ca. 60 Holzpfosten, deren zeitliche Einordnung durch 14C-Datierungen in den Zeitraum zwischen dem 7. und 12. Jahrhundert gelegt werden kann. Vermutlich sind hier mehrere Siedlungsphasen zu fassen, wenngleich das 11. und 12. Jahrhundert am deutlichsten in Erscheinung treten. Zeitgleich zu diesen Siedlungsforschungen legte V. I. Kulakov im Jahr 2006 mehrere Hügelgräber im Wäldchen Kaup frei und dokumentierte diverse Befunde im Umfeld dieser Anlagen. Im März 2007 wurden auf insgesamt 2,6 ha im Osten der Straße Wiskiauten-Wosegau geomagnetische Messungen durchgeführt und daneben verschiedene Anomalien durch Georadarmessungen untersucht. Gleichzeitig konnte durch Oberflächenbegehungen eine Siedlung bei der sog. Palve ganz im Osten im Übergang zum Niederungsbereich festgestellt werden. Hier wurde Keramik geborgen, deren Zeitstellung durch 14C-Datierungen aus dem später hier angelegten Grabungsschnitt Fläche 5 ins 7. und 8. Jahrhundert festgelegt werden kann. Im Sommer 2007 erfolgte die weitere Freilegung des Brunnens im Süden der Nekropole. Im Osten wurde Fläche 5 angelegt. Sie erbrachte die Bestätigung, dass hier mehrere Kulturschichten vorliegen, die nach neuesten Datierungen in das 7. und 8. Jahrhundert einzuordnen sind. Ein weiterer Befund nur 350 m westlich dieser Kulturschichten, die auch in der näheren Umgebung von Fläche 5 nachgewiesen werden konnten (vgl. Kap. C.5.4.5), wurde durch Fläche 8 untersucht. Hier trat eine mit Steinen ausgekleidete Grube von 1,2 x 1,6 m Ausmaßen zutage (vgl. Kap. C.5.5). Die geborgenen Grundlagen Holzkohleproben geben Hinweise auf eine Datierung ins 7.–8. Jahrhundert. Nur etwa 80 m westlich gelang in Fläche 7 der Nachweis eisenzeitlicher Siedlungsspuren in Form einer Abfallgrube (vgl. Kap. C.5.2). Im März 2008 wurde in einer zweiwöchigen Feldforschungskampagne die bis dato geomagnetisch vermessene Fläche um ca. 30 ha auf insgesamt 100 ha vergrößert. Insbesondere die Uferbereiche des vermuteten Binnensees standen dabei im Mittelpunkt. Auch in diesen Bildern sind wieder größere und kleinere Konzentrationen von Anomalien erkennbar, die in bisher sechs Fällen durch einzelne Holzkohleproben aus den Bohrkernen datiert werden konnten. Sie deuten auf weitere Befunde des 6.–10. Jahrhunderts hin. Im Sommer 2008 wurden die Ausgrabungen an ausgewählten Anomalien fortgesetzt. Insgesamt sind zwölf kleinere Grabungsflächen und 16 Sondageschnitte angelegt worden. Die vorläufigen Ergebnisse bestätigen den Verdacht, dass es in der Nähe der Palve eine größere Siedlung des 7. und 8. Jahrhunderts gegeben hat, die durch weitere Datierungen aus einigen Sondagen bis ins 10. Jahrhundert, fortbestanden haben könnte (vgl. Kap. C.4.4.10). Da die Grabungen in die Endphase der Fertigstellung dieser Studie fielen, konnten sie im Rahmen dieser Arbeit nur ansatzweise berücksichtigt werden. A.5 Quellen und Quellenprobleme Für die Bearbeitung des Fundplatzes Wiskiauten steht eine Vielzahl von Einzelquellen zur Verfügung, die im Laufe der gut 140jährigen Forschungsgeschichte angesammelt worden sind. Es handelt sich um Publikationen, originale Ausgrabungsberichte, Fotos, Pläne, Luftbilder, historische Karten, Augenzeugenberichte, Zeitungsartikel und andere Archivalien sowie die Publikationen der russischen Forschungsetappe. Alle Quellengruppen sind einer unterschiedlichen Quellenkritik unterlegen. A.5.1 Ausgrabungsmethodik Für alle Ausgrabungsergebnisse ist immer die unterschiedliche Ausgrabungsmethodik der jeweiligen Zeit zu beachten. Für einige der Altgrabungen sind Hinweise auf die Genauigkeit 33 der Dokumentation und der angewandten Untersuchungsmethodik gegeben. So beschreibt beispielsweise Heydeck (1877, 651), dass er in einigen Gräbern zwar Metallspuren bemerkte, diese aber in seinen Augen keine bestimmten Formen ergaben und daher nicht dokumentiert wurden. Aus den etwa 250 bis 1900 untersuchten Hügeln sollen so nur „weniger als die Hälfte nennenswerte Funde“ geliefert haben (ders. 1900, 61). Es ist also besonders bei der Untersuchung von anscheinend vollständigen Grabinventaren mit einem Fehlen von besonders korrodierten Metallgegenständen zu rechnen, was zu Verzerrungen im Fundbild führen kann. Das gleiche gilt insbesondere auch für - als Kenotaphe interpretierte - Leergräber, die möglicherweise zwar Funde enthielten, diese vom Ausgräber aber nicht als nennenswert beachtet wurden. Auch zwischen den Beschreibungen der Fundinventare in den Ausgrabungsberichten einerseits und den später bei der Katalogisierung der noch vorhandenen Gegenstände durchgeführten Fundauflistung in von zur Mühlens Katalog (von zur Mühlen 1975) ergeben sich Unterschiede. Offenbar waren bis kurz vor Kriegsbeginn einige Objekte aus dem Prussia-Museum verschwunden bzw. sind dort nicht inventarisiert worden. Probleme ergeben sich bei der Beurteilung, ob eine Einfach- oder eine Mehrfachbestattung vorliegt. Nerman (1932, 3) untersuchte die Hügel durch Anlage eines Suchschnittes vom Hügelrand in Richtung Zentrum. Bei Auffindung einer Bestattung wurde der Schnitt zu einem Kreis erweitert. Diese Methode sollte die spätere Rekonstruktion des Hügels erleichtern. Durchaus war Nerman sich der Gefahr bewusst, bei Anwendung dieser Grabungsmethodik Nachbestattungen oder randliche Bestattungen zu übersehen, wertete die Wiederherstellung aber höher (ebd.). Ob es dazu gekommen ist, ist unbekannt. Die Randbereiche der Hügel wurden zusätzlich mit Sonden abgetastet, um feststellen zu könne, ob ein Fußkranz aus Steinen vorhanden gewesen ist. An einigen der heute noch im Wäldchen Kaup vorhandenen Hügelgräber ist diese Ausgrabungsmethodik durch die Form der Grabanlagen noch deutlich erkennbar. In der Mitte meist großräumig ausgehoben umgibt die Hügelgräber eine Art Erdwall, der an einer Stelle grabenartig durch- 34 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung schnitten ist. Hierbei handelt es sich vermutlich um einen der von Nerman beschriebenen Suchgräben, die vom Rand des Hügels in dessen Mitte getrieben und dort erweitert worden sind. Demgegenüber sollen die von Heydeck ausgegrabenen Hügel völlig abgetragen worden sein (Nerman 1932, 2). Paulsen dagegen ließ die Hügel wieder aufschütten und orientierte sich dabei größenmäßig, falls vorhanden, am äußeren Steinring (SMB-PK/PM-A 522/8-234). Hier ist der heutige Ausgräber also mit der Gefahr konfrontiert, einen der altgegrabenen Hügel, der wieder rekonstruiert wurde, durch moderne Grabungen zu erfassen. Während die vorangehenden Ausführungen insbesondere die Grabungsmethodik der deutschen Forschung im Gräberfeld betreffen, sind für die Suche nach der Siedlung nur wenige und zudem unkonkrete Angaben zu den angewandten Methoden bekannt. Kleemann (1939a, 11) erwähnte lange Suchschnitte, die beiderseits der Straße Wiskiauten-Wosegau angelegt worden sein sollen. Über Länge und Breite oder auch Tiefe und die aufgefundenen Befunde ist nichts weiter bekannt. Lediglich Kleemanns Bemerkungen geben Auskunft darüber, dass die Suchschnitte ergebnislos blieben. Ob sich diese Aussage nur auf die gesuchte Wikingersiedlung bezieht und andere Siedlungsspuren unberücksichtigt lässt, ist im Nachhinein nicht mehr zu entscheiden. Es wären bei den geomagnetischen Messungen entsprechende lineare Strukturenzu erwarten. Aber die Bereiche direkt westlich und östlich der Straße wurden in einem Abstand von etwa 50–100 m aufgrund der dort zu erwartenden starken Belastung mit rezentem Metallschrott nicht geomagnetisch vermessen. Anders steht es mit einem Suchgraben, der nach Kleemann (1939a, 11) östlich der Straße in Richtung des ehemaligen Bahnhaltepunktes Bledau angelegt worden sein soll. Er müsste sich in den geomagnetischen Bildern abzeichnen, da diese Bereiche zumindest teilweise geomagnetisch vermessen wurden. Entsprechende Strukturen sind jedoch in den Bildern nicht erkennbar. Insbesondere die Betrachtung des archäologischen Umfeldes des Fundplatzes Wiskiauten unterliegt einer eigenen Quellenkritik, die aus der unterschiedlichen Art und Intensität der Untersuchungen sowie der Erkennbarkeit verschiedener Quellengruppen resultiert. So sind Grabfunde durch herkömmliche Oberflächenbegehungen nicht so gut lokalisierbar wie beispielweise Fundstreuungen von Siedlungsabfällen. Wenn Bestattungen des 7. und 8. Jahrhunderts, also einer Zeit, die ohnehin im archäologischen Fundbild der gesamten Region des ehemaligen Ostpreußen schwer feststellbar zu sein scheint, fehlen, könnte die Ursache im Forschungsstand zu suchen sein, da nur schwach eingetiefte und fundarme Brandgräber schwer erkennbar sind. Für die Abwesenheit von Siedlungsfunden dieser Zeit fehlt allerdings jegliche Erklärung. A.5.2 Chronologische Probleme der Frühmittelalterforschung Für die Zeit vom ausklingenden 7. Jahrhundert an bis zur Eroberung der Gebiete des Samlandes bzw. Gesamtpreußens durch den Deutschen Orden in der Mitte des 13. Jahrhunderts liegen bisher nur chronologische Einteilungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg mit den Benennungen „Jüngstes heidnisches Zeitalter“ oder „Spätheidnische Zeit“ für das 9.–13. Jahrhundert bzw. „Wikingerperiode“ für das 9.– 11. Jahrhundert vor (z.B. Hollack 1908b, 172. - Gaerte 1929, 320). Tischler (1879; vgl. auch Engel 1935b, 56) teilte die sog. „nachchristliche Eisenzeit“ zunächst in zwei große Abschnitte ein: die „Zeit der großen Gräberfelder“ und die „spätheidnische Zeit“. Die „Zeit der großen Gräberfelder“ oder auch „Periode der großen unterirdischen Gräberfelder“ (Kemke 1914, 2) gliederte er in die fünf relativchronologischen Unterabschnitte A bis E (ebd.). Diese Einteilung wird grundsätzlich bis heute angewendet. Kemke (ebd.) überarbeitete diese Stufeneinteilung und nahm Verbesserungen an der absoluten Datierung vor. Vor allem verlängerte er die Stufe „E“ im Gegensatz zu Tischlers Vorschlag, der sie ins 5. und 6. Jahrhundert setzte, bis in die Jahre um 800 (ebd. 2; Engel 1935b, 57). Dem von Tischler nicht gelösten Problem der Unterteilung des vier Jahrhunderte umfassenden Abschnittes des „jüngsten heidnischen Zeitalters“ widmete sich erst Bezzenberger (1904). Er gliederte hauptsächlich aufgrund seiner zahlreichen Ausgrabungen im Memelgebiet den verbleibenden Gesamtabschnitt in die Stufen F, G, und H (ebd.), wobei Stufe F dem 7. und 8. Grundlagen Jahrhundert, Stufe G dem 10. und 11. Jahrhundert und Stufe H dem 12. und 13. Jahrhundert entsprechen sollte. Das Hügelgräberfeld von Wiskiauten war dabei von ausschlaggebender Bedeutung für die Aussonderung der Stufe G (ebd.). In der vorkriegszeitlichen Literatur wurde verschiedentlich der Versuch unternommen, Stufe F durch das Fehlen von Fundmaterial der vorangehenden Stufe E einerseits und der nachfolgenden Stufe G andererseits zu definieren (Engel 1931c, 325). Diese Definition wurde durch Beobachtungen zur räumlichen Verteilung von Gräbern auf den Nekropolen gestützt, nach denen diese meist beigabenlosen Bestattungen zwischen Zonen mit einer Belegung in den Stufen E oder G gelegen haben sollen (Engel 1935b, 69). Neuere Interpretationsmodelle gehen von einer zufälligen Wiederbelegung der alten Nekropolen der Dollkeim-KovrovoKultur durch die frühmittelalterliche Kultur der Prussen und nicht von einer Kontinuität aus (Nowakowski 1996, 54; 96; 2000, 15), wenngleich auch hier die ungebrochene Keramiktradition und das Weiterleben der Pferdebestattungssitte betont wird, die eine kontinuierliche kulturelle Weiterentwicklung nahelegen. Allerdings wurden im 6. und 7. Jahrhundert auch neue Gräberfelder angelegt, die ebenfalls eine Anwesenheit der kulturellen Determinanten der Keramik, der Sprossenfibeln und der Pferdebestattungen aufweisen. Für das Ende der Stufe E ist bisher noch keine endgültige Lösung gefunden worden. Kulakov (1994, 69) definiert für das Samland in Anlehnung an Bezzenberger (1904) und Engel (1939) eine auf die Stufe E folgende Stufe F, die dem Zeitraum zwischen 525 und 725 entsprechen soll. Nowakowski (2000, 18) äußerte jedoch Kritik an dieser Definition, wenngleich er keine alternative Lösung des Problems anbietet. Seiner Meinung nach vollzieht sich der Wechsel der kaiser- und völkerwanderungszeitlichen Dollkeim-Kovrovo-Kultur zur frühmittelalterlichen Kultur der Prussen am Ende der Phase 6 der Dollkeim-Kovrovo-Kultur, die überregional der frühen Phase der Stufe E entsprechen soll (ders. 1996, 96f.). Als neue archäologische Einheiten formieren sich ab dieser Zeit die sogenannte Elblag-Gruppe im Bereich der Elbinger Höhe und die Olsztyn-Gruppe in Masuren (Nowakowski 1996, 35 97). Die Dollkeim-Kovrovo-Kultur scheint in diesem Zusammenhang in eine Randlage zu geraten, die die Bewohner des Samlandes zur Umwandlung der bisherigen Siedlungsstruktur zwingt. Auf diese Umstände führt Nowakowski (ebd.) das Entstehen neuer Gräberfelder im 6. und 7. Jahrhundert zurück, die trotz eindeutiger kultureller Wurzeln in der Dollkeim-Kovrovo-Kultur, die sich anhand der Keramikgefäße oder der Armbrustsprossenfibeln und im Grabbau an den Gräbern mit Pferdebeigabe erkennen lassen, eine ganz neue Kultur repräsentieren. Kemke (1919) versuchte, für die von Bezzenberger nicht mehr beendete Verfeinerung der Stufen G und H ein neues chronologisches Gerüst für den samländischen Bereich zu erarbeiten, während Engel (1931d) das Memelgebiet gliederte und an die Stufe H noch eine Stufe I anschloss, die schon der frühen Ordenszeit entspricht. Sie umfasst das 12. und 13. Jahrhundert. Da eine moderne Überarbeitung der chronologischen Verhältnisse dieses Zeitabschnittes bisher noch aussteht48, werden hier alle Datierungen zu Bestattungen im Gräberfeld und insbesondere diejenigen Datierungen, die bei den modernen Siedlungsgrabungen unter Zugrundelegung der 14C-Datierungen ermittelt worden sind, in absoluten Jahreszahlen bzw. der Angabe des Jahrhunderts angeführt. Insbesondere für die Datierungen aus den modernen Siedlungsforschungen ergibt sich ein weiteres Problem. Die geringe Ausdehnung der Grabungsflächen und die darin zwar dokumentierten, aber fast ohne jegliche Stratigraphie angetroffenen Kulturschichten lassen keine feinchronologischen Untersuchungen zu. Das keramische Material ist so einheitlich und unprägnant, dass allein aus dem Fundmaterial heraus keine Datierung möglich ist. Den zeitlichen Einordnungen der in den Grabungsflächen aufgedeckten Befunde, insbesondere derjenigen aus der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends, liegen daher fast ausnahmslos die 14C-Datierungen zugrunde. Erst für die späte Siedlungsphase im 11.–13. Jahrhundert können unterstützend auch die archäologischen Datierungen der Metallgegenstände herangezogen werden. Den 14C-Daten Nur Kulakov (1994) erstellte für die prussische Kultur einen groben chronologischen Überblick. 48 36 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung kommt daher für die chronologische Gliederung der bislang freigelegten archäologischen Befunde eine große Bedeutung zu. A.5.3 Literarische Quellen Bei der Besprechung der literarischen Quellen, in denen Hinweise auf die Existenz einer wikingerzeitlichen Siedlung von überregionaler Bedeutung im Samland bei Wiskiauten zu finden sein könnten, muss generell unterschieden werden zwischen Quellen, die die geschichtlichen Ereignisse der gesamten Region betreffen und solchen, die direkt auf die gesuchte Ansiedlung hinweisen könnten. Erstere sind vor allem historische Ereignisberichte, letztere betreffen vor allem Orts- und Flurnamen in unmittelbarer Umgebung des Fundplatzes. A.5.3.1 Literarische Erwähnungen des Samlandes Relativ zahlreich sind die Schriftquellen, die sich auf die geschichtlichen Ereignisse im Samland zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert beziehen. Sie sind bereits mehrfach49 zusammenfassend behandelt worden. Die wichtigsten Geschehnisse sollen im Folgenden noch einmal geordnet nach ihrer vermutlichen Handlungszeit zusammengefasst werden, sofern sie für die Fragestellung dieser Studie relevant sind. Obwohl die überwiegend wohl aus Gotland oder Mittelschweden stammenden skandinavischen Siedler der Region um Grobin im heutigen Litauen nach dem Aufstand der dort ansässigen Kurenstämme in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts von mehreren Autoren (Scheel 1938, 201; von zur Mühlen 1975, 16; Callmer 1994, 67) mit der Gründung einer Handelskolonie bei Wiskiauten in Verbindung gebracht werden, wird dieses konkrete Ereignis in keiner historischen Schriftquelle erwähnt. Dagegen gibt es mehrere allgemeine Erwähnungen, die Kontakte zwischen Skandinaviern und Balten behandeln. So finden sich bei Saxo Grammaticus (Gesta Danorum IX, 9:4:23; vgl. Holder 1886, 308) Hinweise darauf, dass Ragnar Lodbrok mit dänischen Wikingern um 840 einen Besuch im Lande der KuNerman 1929, 11ff., 46ff.; ders. 1934, 357-380; ders. 1958, 194-198; Kleemann 1939a; 1939b; von zur Mühlen 1975, 1-8; Mugurēvičs 2000; Baranauskas 2004; Bogucki 2006, 93-95. 49 ren und Samländer50 unternommen hat. Die gleichen Ereignisse könnten in der aus dem 16. Jahrhundert stammenden Petri-Olai-Chronik geschildert sein, denn hier findet sich die Erwähnung, dass die Dänen Mitte des 9. Jahrhunderts zum ersten Mal Preußen (totamque pruciam) und Semigallien (Semigalliam) eroberten (von zur Mühlen 1975, 451). Diese Eroberung fällt zeitlich mit einem von Rimbert in der Vita Anskarii (Kap. 30; vgl. Trillmich 1961a, 97.) überlieferten Ereignis zusammen, wonach in der Mitte des 9. Jahrhunderts ein Angriff von Schweden auf Kurland erfolgte, wobei dieses Ereignis hier nur im Zusammenhang mit der Zerstörung von Grobin/Seeburg relevant ist, von einem Angriff auf das Samland wird nichts berichtet. Nach Saxo Grammaticus (Gesta Danorum, Buch X, 5; vgl. Holder 1886, 328) hat Hakon, Sohn von Harald Blauzahn, die Semben angegriffen und tributpflichtig gemacht. So zumindest deutet von zur Mühlen (1975, 1) die Textstelle. Er datiert das Ereignis in die Zeit um 1000. Wenn Hakon nicht der Sohn Haralds war, sondern eher der norwegische Jarl Hakon, lässt sich die Zeit dieser Angriffe auf die Jahre um 970 bestimmen (Baranauskas 2004, 76). Auch die Annales Ryenses aus dem 13. Jahrhundert (vgl. Pertz 1859, 398) berichten von dänischen Angriffen auf das Samland (Prussia), worin Gudavičius (1989, 16) die gleichen Ereignisse überliefert sieht. In den Annales Ryenses wird allerdings das Jahr 902 als Zeitpunkt des Geschehens genannt (vgl. Pertz 1859, 398). Die Textstelle berichtet weiterhin davon, dass die Eroberer die einheimischen Verteidiger getötet haben und deren Frauen heirateten, um in der Folge ihr Leben „zusammen mit den Feinden“ (von zur Mühlen 1975, 1) zu führen. Von zur Mühlen (ebd. 57) deutet dies als sichersten Hinweis darauf, dass in Wiskiauten eine dänische Kolonie bestand. Gegen Ende des 10. Jahrhunderts wird durch „in Curorum Semborumque regionem accessit“ (Holder 1886, 308). 50 Dort unter Hinweis auf Voigt 1827, 204, Anm. 2; abweichend Gaerte (1929, 321), der eine im 8. Jahrhundert erfolgte Unterwerfung des Samlandes durch Dänen, die vom Gebiet der Kuren gekommen sein sollen, anführt. Wahrscheinlich nimmt er auf die gleiche Quelle Bezug, gibt sie aber zeitlich falsch wieder. 51 Grundlagen Ibrahim Ibn Jakub von „Rus“ berichtet, die von Westen her auf Schiffen die „Prus“ überfallen (von zur Mühlen 1975, 4). Die Rus setzt von zur Mühlen (ebd.) mit den Schweden gleich. Andererseits könnten hier auch die Dänen gemeint sein, wenn die Schiffe tatsächlich aus Westen kamen. Diese Theorie vertrat zuletzt Wróblewski (2006c, 113). Nach Hakons Tod scheinen nun andererseits die im Samland ansässigen Semben, darunter Nachfahren der im Samland angesiedelten Dänen, Angriffe auf Dänemark unternommen zu haben, wie es der dänische Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus (Gesta Danorum, Buch X, 14:1; vgl. Holder 1886, 343) überliefert. Um die Jahrtausendwende wird der Missionar Adalbert bei einem Missionierungsversuch von den Prussen erschlagen (Thietmar von Merseburg, Chronik, Buch IV, Kap. 19; vgl. Trillmich 1957, 209), worauf eine Unterwerfung des Siedlungsgebietes der Slawen östlich der Oder und auch der Prussen durch gemeinschaftliche Unternehmungen des polnischen Königs Bolizlaw mit Unterstützung von Kaiser Otto III. folgte und in Tributzahlungen mündete, wie Helmold von Bosau (Slawenchronik Buch I, Kap. 15; vgl. Stoob 1963, 81) berichtet. Um das Jahr 1016 muss König Knut der Große das Samland unterworfen haben (Saxo Grammaticus: Gesta Danorum, Buch X, 14:1; vgl. Holder 1886, 343) und nannte sich anschließend unter anderem König von Samland. Die Richtigkeit dieser Schriftquelle wurde jedoch mehrfach angezweifelt (Wróblewski 2006c, 113; Labuda 1964, 138-139, Anm. 92). Eine im Anglo-Saxon-Chronicle erwähnte Begebenheit wird traditionell dahingehend gedeutet, dass Knut im Jahr 1022 ein Jahr auf der Isle of Wight verbracht habe (Wróblewski 2006c, 113.). Wróblewski (ebd.) dagegen erwägt die alternative Deutung des überlieferten Terms „Withlande“ mit dem im Reisebericht von Wulfstan (Lund 1984, 23) überlieferten Namen „Witland“ für die Siedlungsgebiete der Prussen. Etwas später, um 1035, ist nach von zur Mühlen (1975, 6) durch die „Yngvars saga víðförla“ eine Eroberungsfahrt von Ingvar demWeitgereisten überliefert, der mit 30 Schiffen von Nowgorod ins Samland gefahren sein soll, um dem Volk Steuern aufzuerlegen. Weitere allgemeine Erwähnungen des Samlandes sind bei Adam von Bremen festge- 37 halten und entstammen der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. So berichtet Adam von Samländern, welche die Handelstadt Birka im Mälarseegebiet zu Handelszwecken besuchten (Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, Buch I, Kap. 60; vgl. Trillmich 1961b, 231). Hier findet sich neben der Bemerkung, dass von Haithabu aus auch Schiffe ins Samland gefahren sind (Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, Buch IV, Kap. 1; vgl. Trillmich 1961b, 435), auch eine Beschreibung der Insel Samland und im Anschluss seiner Bewohner, in deren Zuge auch samländische Schifffahrt erwähnt wird. Die Textstelle berichtet von Prussen, die den in Seenot oder Bedrängnis durch Piraten geratenen Seeleuten auf ihren Schiffen zur Hilfe eilen (Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, Buch IV, Kap. 18; vgl. Trillmich 1961b, 455ff.). Gegen Ende des 11. Jahrhunderts hat nach Saxo Grammaticus (Gesta Danorum, Buch XI; vgl. Holder 1886, 365ff.) König Knut der Heilige versucht, das Christentum im Samland einzuführen. Diese Ereignisse fallen in die Zeit zwischen 1080 und 1086. Ohne zeitliche Einordnung ist die Erwähnung eines Viðgautr (Widgaud) aus dem Samland in der Knytlingasaga (Kap. 87; vgl. Popp 1828, 322-324), der nach Haithabu und Birka reiste, um Handel zu treiben. Das Ereignis dürfte im 11. Jahrhundert stattgefunden haben (Bogucki 2007, 105). Auf Handelsbeziehungen zwischen Samland und Schweden deutet auch die Kupferdose zur Aufbewahrung einer Waage aus Sigtuna (Arne 1912, 64-66; Friesen 1912, 12) hin, deren Runeninschrift auf einen Handelskontakt zwischen Samländern und Skandinaviern hinweist und aus der Zeit um 1050 stammen soll. Besonders die Deutung von „simskum“ als „samländisch“ (Friesen 1912, 6ff.) ist aber umstritten und von zur Mühlen (1975, 6) gibt der Lesart von Brate/Wessén (1928-1936, 52ff.), der den Begriff als „semgallisch“ übersetzt, den Vorzug. Ebenfalls von allgemeinen Handelsaktivitäten der Prussen, diesmal mit slawischen Stämmen berichtet Helmold von Bosau in seiner Slawenchronik (Buch 1, Kap. 1; vgl. Stoob 1963, 37), die dem 12. Jahrhundert entstammt. Ein Ereignis, dass zeitlich nicht eingeordnet werden kann, berichtet im 14. Jahrhundert 38 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Peter von Dusburg (Scriptores Rerum Prussicarum 1, 39; vgl. Hirsch/Töppen/Strehlke 1861, 39), der den sagenhaften Kampf der neun Brüder Gampti aus Schweden im Samland beschreibt. Dieses Ereignis wurde von Gaerte (1929, 349) mit der „Wikingerkolonie“ bei Wiskiauten in Verbindung gebracht. Alle Schriftquellen bezeugen den Balten, darunter auch den Prussen, eine rege Interaktivität mit den Gebieten westlich und nördlich der Ostsee während der Wikingerzeit (Bogucki 2006, 93). Die teilweise verfremdeten Berichte arabischer Schriftsteller über die „hundsgesichtigen Balten“ sind vor dem Hintergrund verständlich, dass sie in den Augen der Verfasser am Rande der ihnen bekannten Welt lebten (ebd.). Aber die Beschreibung der Balten und deren Inseln nach Adam von Bremen (Hamburgische Kirchengeschichte, Buch IV, Kap. 19; vgl. Trillmich 1961b, 459) deutet darauf hin, dass die Aktivitäten baltischer Händler mehr lokalen Charakter trugen und dass die Bewohner und deren Land den deutschen Lesern fremd und nicht geläufig waren. Demgegenüber tauchen die Kuren und Prussen in skandinavischen und slawischen Ländern eher als Partner im internationalen Handel auf. Sie waren Teil der polyethnischen Gesellschaften der baltischen Handelsplätze und hielten sich dort zumindest zeitweise auf, was umgekehrt auch für Skandinavier in baltischen Ländern gelten muss. Ab dem Ende des 10. Jahrhunderts erscheinen die Prussen besonders auch in frühen polnischen Schriftquellen auf, da das sich formierende Polen unter Fürst Mieszko I. in die Siedlungsgebiete der Prussen expandierte (Nowakowski 2003, 537). Mieszkos Sohn Boleslaw I. Chrobry entsandte Bischof Adalbert von Prag ins Samland, um die dortigen heidnischen Prussen zum rechten Glauben zu bekehren, allerdings erfolglos. Adalbert wurde zwar zunächst freundlich von den Prussen empfangen, dann aber, vermutlich infolge unbefugten Betretens eines heiligen Waldes im Samland, bei diesem Missionierungsversuch im Jahr 997 von den Prussen getötet (Voigt 1827, 272). Die vordergründig religiös motivierten kriegerischen Auseinandersetzungen, die in der Folgezeit immer wieder im Grenzgebiet der Polen und Prussen ausbrachen, führten 1225 schließlich dazu, dass Konrad von Masowien den Deutschen Orden zur Missionierung der Prussen zu Hilfe rief (Nowakowski 2003, 537; Biskup/Labuda 2000, 21). Damit wird der Niedergang der prussischen Kultur, der sich nach Eroberung des Landes durch den Deutschen Orden ab Mitte des 13. bis ins 16. Jahrhundert vollzieht und im Aussterben der prussischen Sprache gipfelt, eingeleitet. A.5.3.2 Namensproblem Wiskiauten Obwohl also bereits in frühen Schriftquellen spätestens ab dem 9. Jahrhundert das Samland bzw. seine Bewohner genannt werden, ist bisher keine sichere Quelle bekannt, die auf die zu vermutende Siedlung bei Wiskiauten selbst hinweist. Zwei Probleme treten dabei auf: einerseits fehlt der Name einer Ansiedlung in den historischen Quellen, andererseits können Funde und Archivalien der vorkriegszeitlichen Ausgrabungen nicht eindeutig mit dem Fundplatz Wiskiauten identifiziert werden. A.5.3.2.1 Ortsname Die eindeutige Bezeichnung des Fundplatzes Wiskiauten bzw. die eindeutige Zuordnung von Fundmaterial zum Gräberfeld bereitet heute einige Probleme, da sich durch die unterschiedlichen Forschungsepochen in der Literatur auch unterschiedliche Benennungen eingeschlichen haben. Die erste Erwähnung des Fundplatzes in der wissenschaftlichen Literatur des 19. Jahrhunderts (Wulff 1865) bezeichnet den Ort als „Kaup bei Wiskiauten“, wobei Kaup die alte Flurbezeichnung des Wäldchens darstellt, in dem das Gräberfeld lokalisiert wurde, „Wiskiauten“ den damals gängigen Namen des Dorfes. Diese beiden Bezeichnungen sind in der folgenden Literatur bis zum Ende der deutschen Forschungsepoche beibehalten worden, wobei Funde aus dem Gräberfeld meist mit beiden Bezeichnungen versehen wurden. Der Flurname selbst scheint schon damals allgemein bekannt gewesen zu sein, denn die von Engel (ALM) in den 1930er Jahren zusammengetragenen Sagen zum Fundplatz beziehen sich eindeutig auf die Kaup. Bei allen späteren Nennungen treten beide Bezeichnungen in Kombination miteinander auf, auch die Archivalien tragen meist die Doppel- Grundlagen bezeichnung „Kaup bei Wiskiauten“52, beide Namensteile können aber auch für sich alleine stehen. In dieser Studie wird der alte deutsche Name Wiskiauten benutzt, da der Fundplatz unter diesem Namen Eingang in die Literatur gefunden hat. Lediglich, wenn Funde mit der Bezeichnung „Kaup bei Wiskiauten“ benannt sind, wird diese Bezeichnung übernommen. In der Folge der Umbenennungen einstiger deutscher Ortschaften im ehemaligen Ostpreußen nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt der Ort Wiskiauten den russischen Namen „MOXOBOE“, in der Transliteration ergibt sich die Bezeichnung „Mohovoe“53. Nach den ersten Ausgrabungen nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete die russische Archäologin F. D. Gurevič (1963) den Fundort als Gräberfeld bei Vishnevoe54, was dem neuen russischen Namen für die Ortschaft Wosegau im Norden des Gräberfeldes entspricht. Damit bricht sie die Tradition der Verbindung mit Wiskiauten, obwohl ihr die Bezeichnung „Kaup bei Wiskiauten“ bekannt gewesen sein muss55. Besonders die Funde aus den Grabhügeln K1 (I) und K2 (II) sowie den Hügeln K1 bis K11 kursieren daher in der Literatur teilweise unter der Bezeichnung „Vishnevoe“ (vgl. z.B. Duczko 1985, 14; Eilbracht 1999, 185; 187). Die litauische Literatur führt den Fundplatz unter der Ortsbezeichnung „Viskiautai“ (vgl. z.B. Kazakevičius 1999, 182 Abb. 3 Nr. 25). Kulakov (zuletzt 2005) übertrug den Namen Kaup bei Wiskiauten auch auf die vermeintlich aufgefundene Siedlung und begründete dies mit der Ansicht, dass der Flurname Kaup der nordgermanischen Sprachgruppe entspringe und in seiner Bedeutung mit dem altnordischen Wort „kaupangr“ für „Handelsplatz“ gleichzusetzen sei. Alternativ boten schon Vgl. z.B. die Archivalien aus dem Nachlaß von H. Jankuhn im ALM. 52 Diese Schreibweise ergibt sich nach dem internationalen System der Transkription des russischen Alphabetes in lateinische Buchstaben (Barran 1992, 15). 53 In kyrillischen Buchstaben ergibt sich die Schreibweise: Вишнёвое. 55 Dies geht aus den originalen Grabungsberichten, die sich im Archiv des Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad befinden, hervor (F.D. Gurevič, Archiv IA RAN, R-I, 1956, 5). 54 39 Heydeck (1877, 650), Gerullis (1922, 208), Schlicht (1922, 287) und Engel (1935a, 110) die Herleitung aus der altpreußischen Sprache an und hielten die Herkunft des Begriffes vom altpreußischen Wort „kapas“ für Grabhügel oder Grabstätte für wahrscheinlich. Der altdeutsche Begriff „kapurn“ für „Grabhügel“ stellte noch im 19. Jahrhundert eine gebräuchliche Bezeichnung für die „alten heidnischen Grabhügel“ dar (Engel 1935a, 110). Alternativ existierte in der ostpreußischen Mundart der Begriff Kaup oder „Kaupe“ als Bezeichnung für „Erdhügel“ oder „Grabhügel“ (Bauer 2005, 23), worauf auch schon Engel (1935b, 76 Anm. 123) hinwies. Eine alternative Deutung für den Ortsnamen Kaup bietet Perdohl (1997, 32), der den Begriff Kaup als Personennamen deutet und auf einen „belegten, prussischen Stammnamen“ „Cauprioth“ (ebd. 3) zurückführt. Nach Schlicht (1922, 287) soll in den Schriftquellen der Ortsname „Wiskiauten“ erstmals bereits für das Jahr 1283 belegt sein, in der Schreibweise „Wissecauten“ oder auch „Wissecawten“ im Zusammenhang mit der Erwähnung „veld der von Wissecawten“ in den Samländischen Urkundenbüchern. Für das Jahr 1327 soll ein Johann von Wiskiauten überliefert sein, dem eine Hufe Land in der Nähe des Dorfes verliehen wurde (ebd). Gerullis (1922, 204) und Blažienė (2000, 178) führen die erste Erwähnung unter Berufung auf die Samländischen Urkundenbücher56 auf das Jahr 1383 zurück. Offenbar besteht bei Schlicht (1922, 287) ein Übertragungsfehler, da die Abweichung genau 100 Jahre beträgt57. An gleicher Stelle ist auch die abweichende Schreibweise „Weyskawten“ aus dem Jahr 151558 angegeben, die den Namen nur noch verschliffen wiedergibt und hier nicht weiter von Belang ist. Eine weitere interessante Benennung Wiskiautens als „Auctekaym“ führt Schlicht (1922, 287) an. Sie steht im Zusammenhang mit Er56 Samländisches Urkundenbuch XXVIII, 6. Die Einsicht in die entsprechende Urkunde im Geheimen Staatsarchiv - Preußischer Kulturbesitz zu Berlin erbrachte im März 2007 die Klärung dieses Fehlers. Dort ist die Urkunde mit der Jahresangabe 1383 versehen. 57 58 Ordensfoliant 185 A, 26. 40 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung eignissen des Jahres 1354. Der Name „Auctekaym“ lässt sich auf das Altpreußische bzw. Litauische zurückführen, wobei „Aucte“ von „áukštas“ kommt und „hoch“ bedeutet, „kaym“ kann als „Dorf“ übersetzt werden. „Auctekaym“ bedeutet demnach soviel wie „hohes Dorf“, wodurch sich allerdings kein direkter, geographischer Hinweis auf die Lage der Siedlung ergibt. Einen ähnlichen Ortsnamen führt Gerullis (1922, 13) nach Angaben in den Ordensfolianten59 aus dem Geheimen Staatsarchiv „Preußischer Kulturbesitz“ mit „Autekaym“ an, dessen erste Nennung auf das Jahr 1291 zurückgeht und in leichten Variationen auch 1336 und eben 1354 wiederkehrt. Der Ort soll im Samland liegen. Dass er mit dem von Schlicht (1922, 287) wiedergegebenen Namen übereinstimmt, ist wahrscheinlich. Den gleichen Namen „Autecaym“ gibt Blažienė (2000, 178; 2001, 57) ebenfalls mit der Jahresangabe 1291 an, wobei der Ort als „Autekaym“ bekannt gewesen sei und in verschiedenen Variationen noch bis 1423 so bezeichnet wurde. Sie betont, dass viele Orte im prussischen Gebiet zwei Benennungen hatten. Der Name Wiskiauten, in dieser Schreibweise erstmals 1785 belegt, soll auf den Namen „Visa-k’aut“ zurückgehen, zusammen mit dem rekonstruierten „Auktakaimis“ aufgetreten sein und sich später als amtliche Namensform durchgesetzt haben. Blažienė (ebd.) erklärt „Autekaym“ ebenfalls durch die preußischen Wörter „caymis“ für „Dorf“ und dem Adjektiv „aucta“ für „hoch“. Weiterhin betont sie die Ähnlichkeit mit dem altpreußischen „auctaririkijskan“, das sie mit „Oberherren“ übersetzt. Hierin einen Hinweis auf eine die Region beherrschende Siedlung zu sehen, ist aber nicht legitim. Bei der etwas abweichenden Übersetzung vom Namensteil „Aucte“ als das „Erste, Höchste“ (Biskup/Labuda 2000, 80) ließe sich allerdings eine etwas abgeschwächte Deutung als aus der Zahl der umliegenden Siedlungen hervorgehobene Niederlassung vorschlagen. Diese Siedlung könnte dann als zentrale Siedlung verstanden werden. Genauso ist jedoch eine „höhere“ geographische Position möglich. Das Gräberfeld selbst könnte erstmals 1331 bei der Nennung der Ortschaft Wosegau, selbst 1278 im Zusammenhang mit einem „Jonusch von Wosegaw“ (Blažienė 2000, 181) erwähnt, 59 Ordensfoliant 103, 86. als „villa Wosgow“ belegt sein (Gerullis 1922, 208; Blažienė 2000, 181; Schlicht 1922, 287). Diese „villa Wosgow“ soll beim „Wosegowiskapynis“ gelegen haben, dem Friedhof oder Gräberfeld bei Wosegau (Schlicht 1922, 287). Schlicht (ebd.) setzt diese Flurbezeichnung mit der Kaup gleich. Dieser Meinung folgt auch Kleemann (1939b, 211). Allerdings ist die Identifizierung etwas fraglich, denn auch westlich von Wosegau gibt es ein Feld, dass im Volksmund als „Totenberg“ bekannt war (Kleemann 1939a, 6; 1939b, 224) und rein theoretisch ebenfalls zur Lagebezeichnung in Frage kommt, zumal es schon bei Kleemann (1939b, 224) als Bestattungsplatz des 13. und 14. Jahrhunderts beschrieben wird und damit zur Zeit der Erwähnung des „Wosegowiskapynis“ bereits bestanden haben muss. Dennoch erscheint die Gleichsetzung mit dem damals die Gegend sicherlich dominierenden Grabhügelfeld am wahrscheinlichsten, da die Bezeichnung im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Grenzsteines benutzt wird und dafür einerseits gewiss eine markante Höhe60, andererseits eine weithin bekannte Landmarke, wie sie insbesondere der große steinzeitliche Grabhügel im Osten des Wäldchens Kaup darstellt, gewählt worden sein wird. Auch der alte deutsche Flurname „Schwendmedfeld“ für einen Landstrich direkt im Osten der Nekropole, der bei Kleemann (1939a, 6) wiedergegeben wird und auf die prussischen Wortbestandteile „Schwend“ für „heilig“ und „Med“ für „Wald“ zurückgeführt wird und somit soviel wie „Feld beim heiligen Wald“ bedeutet, deutet auf die besondere Aufmerksamkeit des heutigen archäologischen Denkmals auch in historischer Zeit hin. Die Identifizierung des Wosegowiskapynis61 als Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten scheint somit legitim. Ob darüber hinaus in dieser Bezeichnung eine alte Beziehung zwischen dem Dorf Wosegau und dem Gräberfeld besteht, kann nicht sicher beurteilt werden. Es bleibt jedoch auffällig, dass nicht Wiskiauten zur Lageangabe mit dem Gräberfeld in VerbinDas Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten ist auf dem höchsten Punkt der Umgebung bei etwa 10m üNN angelegt. 60 Alternative Schreibweisen bei Gerullis (1922, 208): Wosegowiskepynis, Wosegowiskopynis, Wosegowiskapinis, Wosgowcappis. 61 Grundlagen dung gebracht wird, obwohl dessen Ortsname schon früher belegt ist als der von Wosegau. Offenbar wurde bei der Verlegung der Straße, die früher von Wiskiauten nach Wosegau um den Wald herumlief und deren neuer Verlauf den Wald nun in zwei unterschiedliche Teile trennte, die „kleine Kaup“ im Osten von der „großen Kaup“ im Westen getrennt. Diese Begriffe scheinen sich dann im Volksmund etabliert zu haben. Darauf zumindest deutet die in den Nachlassfragmenten von C. Engel (ALM Schleswig) enthaltene Sammlung von Sagen über die Kaup hin, da hier beide Begriffe erscheinen. Unabhängig von dieser Frage ist hierbei die Feststellung wichtig, dass die Bezeichnung Kaup eindeutig auf den Wald mit den Grabhügeln begrenzt ist und nicht etwa naheliegende Felder mit einbezieht. Nach Meinung des Verf. spricht dies dafür, die Deutung des Namens als Gräberfeld der von Kulakov (1987, 221ff.; 1990, 97) vorgeschlagenen Deutung als Handelsplatz vorzuziehen, da bis jetzt abgesehen von einigen Streufunden und zwei Steinpackungen (Kulakov 2005, 62-64) keine eindeutigen Siedlungsspuren in der Kaup angetroffen worden sind. Es muss sich bei allen Nennungen tatsächlich um das Gräberfeld gehandelt haben, der von Gerullis (1922, 208) und Schlicht (1922, 287) publizierten Herleitung des Namens vom Altpreußischen bzw. Litauischen „kãpinės“ ist daher der Vorzug zu geben. Der Name Wiskiauten selbst lässt sich nicht erklären. Für Schlicht (1922, 286) ist er zusammen mit Wosegau, Wikiau, Gauten und Giedauten auf „Spuren jenes Wikingervolkes“ zurückzuführen, dessen Tote in der Kaup bestattet liegen. Dabei spielt ein in der Knytlingasaga (Kap. 87; vgl. Popp 1828, 322) erwähnter Mann namens Viðgautr eine Rolle, der von von zur Mühlen (1975, 2) als „samländischer Kaufmann nordischer Abstammung“, von Schlicht (1922, 286) als „im Samland ansässiger Skandinavier“ gedeutet wird. Schlicht (ebd.) möchte in diesem Personennamen einen Hinweis auf die Entstehung der oben genannten Ortsnamen sehen. Eine andere Möglichkeit liegt in den für das prussische Gebiet mehrfach überlieferten prussischen Personen- oder Eigennamen, die den Begriff „Wisse“ als Bestandteil aufweisen (Gerullis 1922, 204). Nach Blažienė (2000, 178) sind jedoch die zahlrei- 41 chen ähnlichen Personennamen mit „Wis“ (Wissebiten, Wisegaude) ihrerseits eher auf Ortsnamen zurückzuführen als umgekehrt. Der Namensteil „-cawten“ oder „-cauten“ ist schwer zu erklären. Für den 1258 als „Kyawte, Kiaute, Kewte, Keuthe, Kente“, 1350 als „Kebethin“ und 1439 als „Keywten“ bezeichneten Ort Kiauten etwa 6 km südöstlich von Wiskiauten schlägt Gerullis (1922, 62) eine Herleitung aus dem altpreußischen „keuto“ für „Haut“ oder dem litauischen „kiáutas“ für „Schale, Hülse“ vor. Zusätzlich erwähnt er einen Fluss mit dem Namen „Kauthen“). Blažienė (2000, 178) schließt sich dieser Deutung an. Schlicht (1922, 276) führt den Namen „Kiauten“, vermutlich in Anlehnung an Gerullis (1922, 62), auf den „alten“ Bach Keuthe zurück, an dem das Dorf gelegen habe. Den 1258 erwähnten Namen „campus Kyawte“ deutet er als altpreußischen Begriff für Oberfläche oder Höhe (Schlicht 1922, 276). Ein Bach mit dem Namen Kintau dagegen entspringt südlich von Pluttwinnen und wird auch in der „Geologischen Karte von Preußen und den benachbarten Bundesstaaten – Blatt Rudau“62 verzeichnet. Er fließt von Pluttwinnen über Laptau kommend nach Norden und passiert später, jetzt als Bledauer Beek benannt (ebd. 279), den Fundplatz Wiskiauten an der halbinselartigen Sandkuppe Palve etwa 1 km östlich des Hügelgräberfeldes, um dann in die Cranzer Beek oder auch Brast zu münden. Bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Kleemann (1939a, 6), dass das Dorf Wiskiauten offenbar einmal verlegt wurde, nachdem ein Schadensfeuer den Ort zerstört hat. Es soll Mitte des 19. Jahrhunderts am Platz des früheren Ortes Wikiaus an der „heutigen Stelle“ neu errichtet worden sein und ursprünglich wohl weiter östlich an der Verbindungsstraße nach Bledau gelegen haben (Ders. 1939a, 6, 7 Abb. 1). Allerdings scheint Schroetter (1802) bei Erstellung seiner Karte von Ostpreußen schon Alt- und Neu-Wikiau gekannt zu haben. Demnach muss es zuvor schon zu einer Verlegung gekommen sein oder das Schadensfeuer hat ein Jahrhundert früher als angegeben stattgefunden. Herausgegeben 1914 von der Königlich-Preußischen Geologischen Gesellschaft zu Königsberg. 62 42 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung A.5.3.2.2 Der Name der wikingerzeitlichen Ansiedlung Während es also viele Hinweise auf die Entstehung des deutschen Dorfes Wiskiauten bzw. dessen Namen gibt, bleibt der Name einer eventuellen älteren Ansiedlung im Dunkeln, wenn er nicht mit dem alten Wissecawten oder Autekaym gleichzusetzen ist. Es gibt jedoch einige Versuche, die vermutete skandinavische Siedlung von Wiskiauten mit einem historischen Namen zu verknüpfen. So deutete Jänichen (1938, 49 Nr. 86) den vom arabischen Geographen Idrisi erwähnten Ort „Gintiyar“ oder „Gintar“ als leicht verfremdete Form des litauischen Wortes „Gintaras“ bzw. des preußischen Wortes „Gintars“ für Bernstein. Bei dem zitierten Ort soll es sich um eine „große und blühende Stadt auf dem Gipfel eines unerklimmbaren Berges gehandelt haben, wo sich die Einwohner gegen die Anfälle der russischen Angreifer verschanzen“, (Kleemann 1939a, 5). Die Stadt soll zwischen „Kaniyu“ (Kowno=Kaunas) und „Slesbuls“ (Schleswig) gelegen haben. Kleemann (1939a, 5) hielt diese Annahme für plausibel. Dennoch erkannte er als größtes Problem den zeitlichen Abstand zwischen der Niederlassung des 9.–11. Jahrhunderts und der Entstehung von Idrisis Beschreibung in der Mitte des 12. Jahrhunderts Für diese Zeit sieht er die skandinavische Siedlung schon beendet und in der folgenden, vielleicht noch bestehenden Niederlassung lediglich eine von Prussen besetzte, aber kaum besonders bedeutungsvolle Ortschaft. Schon bald allerdings scheinen diese Zweifel ausgelöscht gewesen zu sein, denn Kleemann (1939b, 202) schreibt in einem späteren Artikel des gleichen Jahres von der „Möglichkeit, in dem von dem Araber Idrisi erwähnten Ort Gintiyar den Namen der Wiskiautener Ansiedlung vermuten zu können“. Ekblom (1931, 77ff.) dagegen lehnte die Gleichsetzung ab und schlug stattdessen Danzig als möglichen Standort der von Idrisi überlieferten Stadt vor. Vereinzelt wird auch der Ortsname „Seeburg“ mit der Siedlung von Wiskiauten gleichgesetzt (Schlicht 1922, 285). Nerman (1958, 198) dagegen versuchte nachzuweisen, dass mit der bei Rimbert (Vita Anskarii, Kap. 30; vgl. Trillmich 1961a, 97) erwähnten „Seeburg“ die bei Grobin in Lettland lokalisierte Siedlung gemeint ist. Allerdings ist auch diese Deutung angezwei- felt worden (Steuer 1999a, 62). Die mit der Zerstörung der Seeburg in Zusammenhang gebrachten Schweden müssen um das Jahr 850 ihren Eroberungszug nach Kurland durchgeführt haben (Nerman 1958, 194), also zu einer Zeit, als in den Wiskiautener Hügelgräbern gerade erst skandinavischer Einfluss nachzuweisen ist. Wegen der zeitlichen Diskrepanz kann Wiskiauten nicht mit der Seeburg zu identifizieren sein. Zudem lag die Seeburg nach Rimbert in Kurland. Es gelingt also nicht, die vermutete Handelsniederlassung von Wiskiauten in einer historischen Schriftquelle zu identifizieren Andererseits sind fast alle anderen größeren Siedlungen an der südlichen Ostseeküste, deren Gräberfelder skandinavische Funde enthielten, in historischen Berichten überliefert. Möglicherweise war Wiskiauten also nicht so bedeutungsvoll, wie es die bisherige Forschung aus der Größe des Hügelgräberfeldes ablesen will. Zumindest in politischer Hinsicht lag der Ort sicherlich am Rande weltbewegender Ereignisse. Diese Randlage muss sich nicht zwangsläufig auf die wirtschaftliche Bedeutung ausgewirkt haben, könnte aber verhindert haben, dass Wiskiauten Eingang in die Geschichtsquellen gefunden hat. A.5.4 Archivalien Neben den bereits publizierten Ausgrabungsergebnissen besonders in der vorkriegszeitlichen Literatur stellen die Archivalien aus der Zeit deutscher Forschung, die überwiegend aus dem Fundarchiv der ehemaligen PrussiaSammlung, aber auch aus privaten Nachlässen der jeweiligen Ausgräber stammen, die wichtigste Quellengattung zum Fundplatz Wiskiauten dar. Ihre Geschichte und ihre Verteilung auf wissenschaftliche Institutionen verschiedener Länder stehen überwiegend mit der langjährigen Zwischenlagerung dieser Dokument- und Fundsammlungen in der Folge des Zweiten Weltkrieges in Zusammenhang. Durch ihre Entstehung während der jeweiligen Ausgrabung kann besonders den Grabungsdokumentationen ein authentischer Charakter im Sinne einer wissenschaftlich auswertbaren Primärquelle unterstellt werden. Diese Dokumente sind teilweise von erfreulichem Detailreichtum und gestatten für einige der Graban- Grundlagen lagen eine recht genaue Rekonstruktion des Arbeitsablaufes, ihres ehemaligen Aussehens sowie der in den Gräbern enthaltenen Inventare. Allerdings bestehen, bedingt durch die unterschiedliche Zeit ihrer Entstehung und späteren Lagerung, die jeweils angewandte Methodik und nicht zuletzt auch die Sorgfalt des jeweiligen Autors qualitative Unterscheide, die quellenkritisch berücksichtigt werden müssen. Zu den überlieferten Dokumenten zählen die Ausgrabungsberichte von J. Heydeck und A. Bezzenberger aus dem 19. Jahrhundert und die nach der Jahrhundertwende in der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg entstandenen Dokumentationen von M. Ebert, W. Gaerte, B. Nerman, F. Jaensch, K. Voigtmann, O. Kleemann, W. La Baume und D. Bohnsack. Die den Fundplatz Wiskiauten betreffenden Archivalien und Funde sind heute auf verschiedenen Museen und Institutionen verteilt. Der größte Teil lagert im neu eingerichteten Prussia-Fundarchiv (Junker/Wieder 2003) in Berlin. Dort befinden sich in insgesamt 47 Ortsakten63 etwa 700 Dokumente, welche die Ausgrabungen in Wiskiauten zwischen 1879 und 1939 betreffen. Die Archivalien stammen von verschiedenen Ausgräbern, u.a. von J. Heydeck, M. Ebert, C. Engel, P. Paulsen, K. Voigtmann, W. Gaerte, F. Jaensch, W. La Baume, D. Bohnsack und O. Kleemann. Dabei sind neben Befundzeichnungen (Abb. 7) und sehr detaillierten Grabungsberichten, die sowohl handschriftlich als auch auf der Schreibmaschine verfasst wurden, insbesondere zahlreiche Schwarzweißfotos (Abb. 8) überliefert, die während der Ausgrabungen zwischen 1927 und 1939 aufgenommen wurden. Die gute Qualität der Fotos ermöglicht ansatzweise auch typologische Beschreibungen abgelichteter Funde und liefert zahlreiche Informationen zum Grabbau, was besonders bei einigen unpublizierten Gräbern die Rekonstruktion der ursprünglichen Befunde erlaubt. Wichtig ist der ebenfalls in Berlin lagernde Gesamtplan des Gräberfeldes, der in der Vorbereitung der schwedisch-deutschen Untersuchungen im Jahr 1932 von C. Engel erstellt wurde und noch etwa 215 der ehemals über 500 Hügelgräber mit Koordinaten kartiert. Aus diesem Plan lässt sich auch das alte Messsystem rekonstruieren. Dieses Dokument bildete 63 SMB-PK/PM-A 522/1 bis 522/47. 43 vermutlich die Grundlage für den bei von zur Mühlen (1975, 149 Taf. 2) abgedruckten Gesamtplan (hier Abb. 9). In Berlin befinden sich weiterhin mehrere Originalfunde aus dem ehemaligen Prussia-Museum, die dem Fundplatz Wiskiauten zugeordnet werden können64. Eine größere Menge von Originalfunden, deren Gesamtanzahl vorläufig auf ca. 50 Einzelstücke geschätzt werden kann, befindet sich heute im Kaliningrader Museum für Geschichte und Kunst. Sie wurden bei der Wiederentdeckung von Teilen der Prussia-Sammlung in Fort Nr. III bei Kaliningrad geborgen65. Einige wenige Dokumente, die hauptsächlich die neolithische Grabanlage im Ostteil des Gräberfeldes von Wiskiauten betreffen und von Heydeck angefertigt wurden, lagern im Muzeum Warmii i Mazur in Olzstyn/Polen und gehören zusammen mit fünf Keramikgefäßen66 zu dem Teil der Prussia-Sammlung, der 1943 nach Carlshof/Rastenburg (heute Carlowo/woj. Kenzcin) ausgelagert wurde (Reich 2005, 346). Im Archäologischen Landesmuseum Schleswig (Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf) sind mit den Nachlässen von H. Jankuhn, P. Paulsen und R. Grenz gleich mehrere Dokumentensammlungen vorhanden, die Wiskiauten betreffende Materialien enthalten. Im Nachlass von H. Jankuhn finden sich auf 118 DIN A5-Zetteln gesammelte Informationen zu Funden aus dem Gräberfeld, darunter qualitativ hochwertige Fotos (Abb. 10) und einige Zeichnungen von teilweise unpublizierten Stücken. Einige Fundskizzen sind in den in Schleswig lagernden Nachlassfragmenten von P. Paulsen enthalten. Weitere Dokumente befinden sich im Riksantikvariet Ämbetet Stockholm in Schweden im Nachlass von B. Nerman. Hierbei handelt es sich um einen in deutsch verfassten Bericht der Es handelt sich um vier Schwerter (Prussia-Inventarnummern: V, 7746; III, 261, 2022; III, 261, 2019: B4; Pr. 2) sowie Keramikfragmente, Holzkohle und kalzinierte Knochen (Prussia-Inventarnummer: VII, 431, 12802). 64 Zur Wiederentdeckung dieses Sammlungsteiles vgl. zuletzt Valujev (2005). 65 Es handelt sich um insgesamt fünf Gefäße aus den Gräbern 43, 170a und 174 sowie aus zwei weiteren, nicht sicher identifizierbaren Bestattungen (Grab 5/1932 und VI.431.12806). 66 44 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 7 Wiskiauten. Zeichnung der freigelegten Brandbestattung unter Grabhügel 174 (SMB-PK/PM-A 16017). Ausgrabungen von 1932 mit einer vorläufigen Auswertung, mehrere Planumszeichnungen der freigelegten Hügelgräber (Abb. 11), einen Gesamtplan sowie diverse Fotos, die während der schwedischen Untersuchungen entstanden sind. Der Nachlass von R. Grenz enthält neben der Sammlung bereits publizierter Zeichnungen, Fotos und Aufsätze auch einige Originaldokumente von C. Engel, darunter vor allem Manuskripte zu Artikeln, einige Fotos und zahlreiche Zeitungsartikel aus den 1930er Jahren. Die jüngst von Wróblewski (2006a, 225 Abb. 3; hier Abb. 29) publizierte Zeichnung des sog. „spätheidnischen Aschenplatzes“ von Wiskiauten, einem vermutlich prussischem Gräberfeld, das im Ostteil des Hügelgräberfeldes partiell untersucht wurde, entstammt ebenfalls dem Nachlass von C. Engel und fand Grundlagen 45 Abb. 8 Wiskiauten. Fotos der freigelegten Körperbestattung unter Grabhügel 192: 1 Schädel (SMB-PK 522/25 -133). – 2 Körper mit Beigaben (SMB-PK/PM-A 24-122). sich in der Materialsammlung von R. Grenz. Im gleichen Aufsatz (Wróblewski 2006a) sind auch einige allerdings kaiserzeitliche Funde abgedruckt (ebd. Abb. 4), die im „Feliks Jakobson Archive“ im Nationalmuseum von Lettland in Riga aufbewahrt werden. Insgesamt lässt sich der Archivalienbestand trotz zahlreicher Verluste als umfangreich einstufen. Die Zukunft wird weitere Altmaterialien aus anderen Beständen ans Licht bringen67. Das gilt insbesondere auch für weitere Funde, deren Identifizierung und Zuordnung zu Wiskiauten in naher Zukunft gelingen wird. So konnte Verf. bei einer nur flüchtigen Durchsicht der Bestände im Prussia-Magazin im Keller des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin sofort einen Schwertknauf aus Wiskiauten identifizieren (Prussia-Inventarnummer II, 87, 437:d). Sicherlich werden nach systematischer Durchsicht weitere Funde zuzuordnen sein. 67 A.6 Lage und Topographie des Fundplatzes A.6.1 Großräumige Lage Das ehemalige deutsche Dorf Wiskiauten (heute Mohovoe) in der Nähe des frühmittelalterlichen Gräberfeldes im Wäldchen Kaup liegt im ehemaligen nordöstlichen Ostpreußen (vgl. Abb. 1). Die Region gehört heute als Kaliningradskaja Oblast (Kaliningrader Gebiet) zum Staatsgebiet der Russischen Föderation. Dieses Territorium umfasst nach der auf der Jaltakonferenz im Februar 1945 und im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 beschlossenen Zweiteilung (von Normann 2002, 18) etwa das nordöstliche Drittel der ehemaligen Provinz Ostpreußen. Am 7. April 1945 wurde dieses Gebiet der Sowjetunion angegliedert, am 4. Juli 1945 erfolgte die Umbenennung in Kaliningradskaja Oblast (ebd.). Die seit der politischen Wende des Ostens und der Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten vom russischen Mutterland getrennte Enklave grenzt im Westen und Süden an Polen, im Norden und Osten an Litauen. Die Kurische Nehrung liegt zur Hälfte auf russischem Ter- 46 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 9 Wiskiauten. Gesamtplan des Gräberfeldes von 1932 (von zur Mühlen 1975, 149 Taf. 2). Abb. 10 Wiskiauten. Foto und Beschreibung einer Schalenfibel aus Grab 72 (Nachlass von H. Jankuhn, ALM Schleswig). Grundlagen 47 Abb. 11 Wiskiauten. Zeichnung zu Grabhügel Nr. 143 aus dem Nachlass von B. Nerman, Ausschnitt (Riksantekvariet Ämbetet Stockholm). ritorium. Der Fundplatz Wiskiauten/Mohovoe befindet sich am Fuß der Kurischen Nehrung im Samland, das sich als rechteckige, halbinselartige Landschaft von etwa 90 km West-Ostund 30 km Nord-Süd-Ausdehnung in die Ostsee vorschiebt. Im Süden bildet der Pregel68 die natürliche Grenze des Samlandes, während es im Osten von der Deime (russisch: Deima) begrenzt wird (Mortensen 1923, 321). Das Samland lässt sich als hügelige Moränenlandschaft beschreiben, die durch die Weichseleiszeit geprägt wurde. Die höchste Erhebung ist mit etwa 110 m der Galtgarben. An der Ostseeküste bestimmen Steilküsten von bis zu 40 m 68 Russisch: Преголя. Höhe das Landschaftsbild. Im Westen schließt sich die Frische Nehrung mit dem Frischen Haff an. Im Nordosten beginnt die Kurische Nehrung, die das Kurische Haff als Flachwasserzone von 1584 km2 Größe mit einer durchschnittlichen Tiefe von 4–6 m (Andrée 1932, 12) und einer durchschnittlichen Tiefe von 3,8 m von der Ostsee abgrenzt. Das Kurische Haff hat mit einem sehr geringen Salzgehalt (max. 8 Promille) eher den Charakter eines Süßwassers. Die Kurische Nehrung zieht sich von Selenogradsk (ehemals Cranz) in nordöstlicher Richtung als max. 4 km breiter Sandstreifen auf 100 km Länge bis Klaipeda, dem früheren Memel. Bedeutsam ist die Entwicklung der Kurischen 48 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Nehrung und hierbei besonders die Frage, ob und an welchen Stellen zu verschiedenen Zeiten Durchbrüche bestanden haben, die das Haff mit der Ostsee verbanden und einen einfachen Zugang von der Seeseite per Schiff ermöglichten. Obwohl die Frage mehrfach von wissenschaftlicher Seite untersucht wurde (vgl. von Wichdorff 1919; Andrée 1932; vgl. auch Kap. C.4.1), konnten bisher keine eindeutigen Hinweise herausgearbeitet werden. Die Existenz eines Durchbruches in der Brokist-Bucht (Cranzer Tief) unweit von Cranz wird heute jedoch im Allgemeinen vorausgesetzt69. Ebenfalls in der Diskussion war ein Durchbruch bei Sarkau (Gaerte 1933a, 14). Daneben sind weitere Durchbrüche diskutiert worden. Voigt (1901, 352) listete in Anlehnung an Bezzenberger (1889, 169f.) einen Durchbruch „eine Viertelmeile hinter Cranz“70, einen weiteren bei der „Försterei Grenz“ an einer Stelle mit dem Flurnamen „die faule Brücke“, Durchbrüch vor und hinter der Ortschaft Sarkau und Tiefs vor und hinter dem Ort Rossitten auf (zu letzterem vgl. auch Passarge 1878, 124). Insbesondere die Nähe zum Kurischen Haff bzw. der vermutete Zugang zur Ostsee dürfte bei der Standortwahl einer überregionalen Handelssiedlung von herausragender Bedeutung gewesen sein (Kleemann 1939a, 12). Die natürlichen Gegebenheiten bieten optimale Vorraussetzungen für die Anbindung an einen über die Ostsee abgewickelten Seehandel. Das Kurische Haff war von einer Siedlung in der Nähe Wiskiautens per Schiff über den Fluss Brast (heute Trostjanka), der in einer Entfernung von 2 km nördlich des Gräberfeldes vorbeifloss, oder das früher als Bledauer Beek im Osten Wiskiautens fließende Gewässer71 schnell zu erreichen und sicherte somit auch einen Zugang zur Ostsee. Andererseits bot der Platz eine Art geschützten Naturhafen, wie er besonders für wikingerzeitliche Seehandelsplätze entlang der Ostseeküste mit Beteiligung von Skandinaviern charakteristisch ist (Steuer Vgl. z.B. Kleemann 1939a, 12; 1939b, 215; Oxenstierna 1959, 30; 1965, 45; Kulakov 1999b, 176. 69 Dieser Durchbruch entspricht dem in der Brokistbucht und ist auch als „Cranzer Tief“ bekannt. 70 Voigt (1901) beschreibt die Bledauer Beek als „von Bledau kommend“ und dann, verstärkt durch den von Süden kommenden Kintau-Bach, in die Beek mündend. 71 1999a, 61; 2004, 64). Von großer wirtschaftlicher Bedeutung scheinen in allen archäologischen Perioden die natürlichen Bernsteinvorkommen des Samlandes gewesen sein. Sie dürften auch bei den hier zu untersuchenden frühmittelalterlichen Siedlungsprozessen rund um das Gräberfeld von Wiskiauten eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der Bernstein weist im gesamten ehemaligen Ostpreußen sehr große Lagerstätten auf, die sich aber im Samland konzentrieren. Entweder als Fundgut am Strand aufgelesen oder in einfachem Tagebau abgebaut dürfte der Bernstein als wesentliches Handelsgut gegolten haben. Schon für die Steinzeit ist dieser Handel nachgewiesen (Gaerte 1929, 60-61). Davon zeugen mehrere Bernsteindepots und Funde baltischen Bernsteins in verschiedenen Regionen Europas. In der Folgezeit spielt er in allen archäologischen Epochen eine bedeutende Rolle. A.6.2 Kleinräumige Lage Das Hügelgräberfeld von Wiskiauten liegt ca. 2,5 km südlich von Selenogradsk (ehemals Cranz) nur 200-300 m nördlich des heutigen Dorfes Mohovoe (Abb. 12–13). Auf der mit ca. 10–15 m über NN höchsten Erhebung des Geländes ist es in einem 500 x 400 m großen Waldstück positioniert. Dieser Wald, in dem sich die ehemals wohl über 500 Hügelgräber befinden, ist mit der alten Flurbezeichnung Kaup verknüpft. Er teilt sich in die sog. „Große Kaup“ mit den Grabhügeln im Westen der Straße Wiskiauten-Cranz und die sog. „Kleine Kaup“ im Osten dieser Straße. Diese Trennung ist während der Straßenbauarbeiten in den 1860er Jahren entstanden, als der vorher um das Wäldchen im Osten herumführende Weg begradigt worden ist (Wulff 1865, 642). Der Wald wird noch heute beherrscht von zahlreichen großen Eichen, die sich über die gesamte Fläche verteilen (Abb. 14). Der dazwischen liegende dichte Bewuchs scheint immer nur phasenweise bestanden zu haben. Ob ein Wald auch während der Nutzung als Friedhof in der Wikingerzeit bestanden hat, ist unklar. Das Alter insbesondere der großen Eichen kann derzeit nur geschätzt werden, einige dürften immerhin bis zu 500 Jahre alt sein (Kulakov 2005, 55). Grundlagen 49 Abb. 12 Wiskiauten und Umgebung, mit den wichtigsten im Text verwendeten Bezeichnungen (Kartengrundlage: J. Frenzel). Der erste Ausgräber der Nekropole im Wäldchen Kaup, Oberleutnant Wulff (1865, 643)72, interpretierte die bei seinen Ausgrabungen in einem Grabhügel gefundenen verbrannten Eicheln dahingehend, dass sich hier bereits zur Zeit der Bestattungen ein Eichenwald ausdehnte. Diese Beobachtung scheint zunächst durch die Grabungen von F. Gurevič (1963) bestätigt zu werden. Während der Untersuchung mehrerer Grabhügel wurden auch von Gurevič (ebd. 199ff. Abb. 3) verbrannte Eicheln dokumentiert, die unter anderem auch auf dem gewachsenen Boden unter den Hügelgräbern gefunden worden sein sollen. Kulakov (2005, 59) dagegen interpretierte diese Funde als von Tieren rezent in die Hügel 72 Wulffs Vorname ist nicht überliefert. verschleppte Eicheln, die dann aufgrund natürlicher Prozesse inkohlt sein müssten. Selbst wenn Wulffs (1865, 643) Beobachtung richtig ist, sprächen die Eichelfunde lediglich dafür, dass diese Baumart in der näheren Umgebung wuchs. Für eine Eichenbewaldung zur Nutzungszeit des Gräberfeldes fehlen weiterhin klare Hinweise. Nach Süden und Westen fällt das Gelände relativ sanft, nach Norden und Osten zu etwas stärker ab. In der Nähe der im deutschen Messtischblatt Nr. 108873 (Abb. 13) durch die Die Messtischblätter, herausgegeben von der Preußischen landesaufnahme 1908, sind 1922 bzw. 1937 nochmals berichtigt worden. Sie stellen heute noch die besten, verfügbaren kartographischen Grundlagen für die Region dar, da vergleichbar 73 50 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 13 Wiskiauten und Umgebung. Ausschnitt aus dem Messtischblatt 1088 (Cranz) aus dem Jahr 1908. Punktsignatur angegeben Feuchtgebiete im Norden und Osten, die besonders auch in der von der Königlich Preußischen Geologischen Landesanstalt im Jahr 1907 herausgegeben „Geologischen Karte von Preußen und seinen benachbarten Bundesstaaten“ (Abb. 15) klar hochauflösende russische Karten noch immer der militärischen Geheimhaltung unterliegen. hervortreten, erreicht das Gelände eine Höhe von ca. 0,5 m. Diese Höhenlinie, die sich in etwa 800-1000 m Abstand im Norden und Nordosten um das Gräberfeld zieht, scheint eine deutliche Grenze für das in Frage kommende Siedlungsgebiet anzugeben. Schon Kleemann (1939a Abb. 1; vgl. hier Abb. 54) hatte vermutet, dass diese Isohypse in etwa mit der alten Grundlagen 51 Abb. 14 Wiskiauten. Zeichnung des Hügelgräberfeldes aus dem Jahr 1932 von W. Gronau (von zur Mühlen 1975, 148 Taf. 1, unten). Haffküstenlinie zur Wikingerzeit gleichzusetzen sei. Diese Frage ist entscheidend für die Lokalisierung eines zu vermutenden Hafens und wurde während der Untersuchungen im März 2006 durch erste geologische Bohrungen eingehender untersucht (vgl. Kap. C.4.1.1). An beiden überprüften Stellen scheint sich diese Theorie zu bestätigen. Während das in Frage kommende Siedlungsgebiet durch die siedlungsungünstige, feuchte Niederung im Nordosten und Osten sehr scharf begrenzt ist, lassen sich im Westen und Süden nur wenige Anhaltspunkte für eine Limitierung der auf Siedlungsreste zu untersuchenden Flächen anführen. Das Problem ist dabei die fehlende Datenbasis für Rekonstruktionsversuche der ehemaligen Landschaft. Heutige Bedingungen können nicht vorbehaltlos auf die Verhältnisse in der Wikingerzeit übertragen werden. Dennoch dürften einige Landschaftsmerkmale ihren Charakter im vergangenen Jahrtausend nur wenig verändert haben. Das gilt insbesondere für den vernässten Bereich des Wojgrabens südwestlich des Gräberfeldes, der westlich des ehemaligen Dorfes Wiskiauten beginnt und für etwa einen Kilometer in nordwestlicher Richtung verläuft. Auf beiden Seiten eines kleinen Wasserlaufes ist im Messtischblatt von 1908 (vgl. Abb. 13) eine etwa 100 m breite, sumpfige Zone eingezeichnet. Am Nordende sammelt sich das Wasser in einem Tümpel. Nördlich eines nach Nordwesten abfallenden Geländesporns, der beim Gräberfeld in der Kaup beginnt, scheint der gleiche Wasserlauf, der Woj, nach einer Unterbrechung von 340m wieder an der Oberfläche aufzutauchen und dann in nordöstlicher Richtung bis zum Dorf Wosegau zu fließen. Der Woj mündet schließlich, umgeben von einem wiederum durch die Signatur im Messtischblatt als feucht und vernässt gekennzeichneten Bereich, in den Fluss Brast/Trostjanka, der aus westlicher Richtung zum Haff im Osten fließt. Der Boden im Umfeld des Wojs ist in der geologischen Karte von 1907 (vgl. Abb. 15) als Flachmoortorf mit schwer durchlässigem Lehm- und Mergeluntergrund bei niedrigem Grundwasser gekennzeichnet. 52 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 15 Ausschnitt aus der „Geologischen Karte von Preußen und seinen benachbarten Bundesstaaten“ (Blatt 1088, Cranz), herausgegeben von der Königlich Preußischen Geologischen Landesanstalt im Jahr 1907. Grundlagen Wenngleich die nassen Senken des Woj keine große Barriere darstellen, kommt der zwischen beiden Woj-Abschnitten liegende Gelände­ sporn eventuell als Einfallstor bzw. Zuwegung in Richtung Gräberfeld in Frage. Nur hier könnte ein Weg verlaufen sein, der aus westlicher Richtung kommend auf die Siedlungskammer um das Gräberfeld herum zuläuft. Bereits Kleemann (1939a) hat versucht, anhand der überlieferten Ortsnamen und Flurbezeichnungen Hinweise auf die Lage der zum Gräberfeld gehörenden Siedlung herauszuarbeiten. Dabei kommt eine Urkunde aus dem Preußischen Urkundenbuch (Woelky/Mendthal 1891, 192 Nr. 270) zur Sprache, die den Grenzverlauf zwischen dem Bischof von Samland und dem Deutschen Orden regelt und mehrere Ortsnamen überliefert. In der Kaup soll auf dem Steinzeithügel einer der Grenzpfähle gestanden haben. Die Grenze verlief von hier offenbar in südlicher Richtung bis Rudau, wo der viertnächste Grenzpfahl identifiziert werden kann (ebd. 6). Von den dazwischenliegenden Markierungen ist nur diejenige namentlich bekannt, die auf die Marke in der Kaup folgte. Sie ist mit der Bezeichnung „Irzekapynis“ verknüpft, was übersetzt soviel wie Schiffs- oder Ruderergrab bedeuten soll und nach Kleemann (ebd.) auf einen skandinavischen Namen zurückgehen könnte. Dieser Grenzpfahl aber kann nicht lokalisiert werden, seine Lage bleibt unklar. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass das von Kulakov (1990) ausgegrabene Gräberfeld bei Klinzovka (ehemals Wikiau) mit dem Irzekapinis gleichzusetzen ist, da die Grenze sicherlich in südlicher Richtung und nicht nach Westen oder gar Nordwesten verlaufen sein dürfte. Nach Kleemann (1939a, 4) blieben bisher alle Identifizierungsversuche erfolglos. Er vermutete diese Geländemarke jedoch auf der Seite von Bledau (Kleemann 1939b, 212). In einem weiteren Waldstück, dem sog. „Kunterstrauch“ im Nordwesten des Gräberfeldes von Wiskiauten wurden bereits von Heydeck (1877) kaiserzeitliche Bestattungen sowie zwei größere Grabhügel mit Grablegen des 13. und 14. Jahrhunderts ausgegraben. Im Osten befindet sich in etwa 6 km Entfernung das Kurische Haff. Der in west-östlicher Richtung etwa 1 km nördlich des Gräberfeldes knapp nördlich von Wosegau in Richtung 53 des Haffs fließende Fluss Brast (heute Trostjanka) mit seinen benachbarten Schilfflächen und den daran anschließenden Bruchwäldern (Abb. 16) bildet eine natürliche Trennungslinie des Geländes. Im Norden befindet sich der heutige Ort Selenogradsk (ehemals Cranz), wo die Kurische Nehrung beginnt. Gegen Süden dagegen schließt sich eine keilförmig in die Landschaft einschneidende Niederungsfläche an, die noch heute deutlich vernässt ist. Ein in deutscher Zeit beim Cranzer Hafen (CranzBeek) befindliches Pumpwerk legte dieses Gelände offenbar phasenweise trocken. In jüngster Zeit jedoch vernässte die Niederung durch den Ausfall des Pumpwerkes wieder. Lediglich hier bei Cranz-Beek ist ein Flussübergang auf der dort verlaufenden Straße möglich, die vom nördlicher gelegenen Bledau kommt. Ihr Bau wurde etwa um das Jahr 1826 begonnen und um 1850 fertig gestellt, wobei eine größere Geländekuppe abgetragen wurde, die sich östlich der Straße befand. Diese Geländekuppe verbindet Schlicht (1922, 286; vgl. bereits Voigt 1901, 387ff. Anm. 42) mit dem Flurnamen Garbick (vgl. auch Abb. 19 Nr. 49) und vermutet hier eine alte Festungsanlage. Es ist wahrscheinlich, dass auch der im 19. Jahrhundert entdeckte Silberhort von diesem Platz stammt (vgl. Kap. A.7.2.4.4). Ob auch in der Wikingerzeit ein Übergang über den Fluss an dieser Stelle vorhanden war, ist nicht bekannt. Lediglich für die Ordenszeit ist eine Überquerungsmöglichkeit durch eine Brücke zu vermuten (Kleemann 1939a, 9). A.7 Archäologisches Umfeld Der Fundplatz von Wiskiauten ist durch die Lage im Samland in eine reiche archäologische Fundlandschaft verschiedenster Zeiten eingebettet. Dies liegt in den natürlichen Bernsteinressourcen und der verkehrsgeographisch wie siedlungsstrategisch günstigen Lage dieses halbinselartigen, durch natürliche Barrieren wie Pregel und Deime nach Süden bzw. Westen abgegrenzten Siedlungsraumes begründet. Gleichzeitig eröffnen diese Wasserwege zahlreiche Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten zum Hinterland, und der durch das Kurische Haff und dessen Verbindung zur Ostsee gegebene, geschützte Zugang zum Meer begünstigt maritime Handelsaktivitäten. 54 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 16 Zugefrorener Fluß Brast/Trostjanka im Winter 2006. Die Interpretation der bei den modernen Forschungen aufgedeckten Siedlungsspuren und deren mögliche Verbindung zum frühmittelalterlichen Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten sowie alle damit zusammenhängenden Fragen zur Funktion der vermuteten Siedlung und der Intensität der frühmittelalterlichen Handelstätigkeiten können nur vor dem Hintergrund der einheimischen, frühmittelalterlichen Kultur der Prussen diskutiert werden. Die Einbeziehung des direkten archäologischen Umfeldes der Hügelgräbernekropole von Wiskiauten dagegen ist insofern von großer Bedeutung, als viele der in geomagnetischen Messbildern erkennbaren Anomalien, sofern sie nicht auf geologische Phänomene zurückzuführen sind, von Siedlungstätigkeiten früherer oder späterer Perioden verursacht worden sein könnten. Bestes Beispiel sind hier die beiden Befunde aus der Vorrömischen Eisenzeit (Fläche 1 und Fläche 7; vgl. Kap. C.5.1–2) oder die über 14C-Datierungen in die ausklingende Bronzezeit zu datierenden Anomalien an_54/07 und an_57/07 (vgl. Kap. C.4.4.5.1). Sowohl der archäologische Hintergrund des Samlandes und seiner frühmittelalterlichen Kultur als auch die kleinräumige Betrachtung der Mikroregion um das Gräberfeld herum sollen daher im Folgenden kurz zusammengefasst werden. Dabei beschränkt sich die regionsbezogene Betrachtung auf die Zeitstufen des 7.–13. Jahrhunderts, also von der ausklingenden Völkerwanderungszeit bzw. dem beginnenden Frühmittelalter bis zu den grundlegenden kulturellen Änderungsprozessen, die sich nach der Eroberung der Region durch den Deutschen Orden ab Mitte des 13. Jahrhunderts bemerkbar machen. Die kleinräumige Betrachtung dagegen bezieht wegen der möglichen Relevanz für die hinter den Graustufenbildern der Geomagnetik zu vermutenden Befunde und die aufgedeckten Siedlungsreste einen größeren Zeitraum vom Neolithikum bis zur Ordenszeit ein. Dabei Grundlagen wird ein Raum abgedeckt, dessen Grenzen sich in jede Richtung etwa 5 km vom Gräberfeld erstrecken. Bei der Betrachtung der archäologischen Verhältnisse der Region, insbesondere des Samlandes, sowie der Zusammenstellung von Fundplätzen in der Umgebung des Gräberfeldes kann bereits auf einige einschlägige Vorarbeiten zurückgegriffen werden. Die Dichte an Fundstellen verschiedenster Zeitstufen machte als erster Hollack (1908) mit seinem für die damalige Zeit wegweisenden Werk „Vorgeschichtliche Übersichtskarte von Ostpreußen“ sichtbar. Nach einer einführenden Darstellung der archäologischen Epochen Ostpreußens erfasste er Hunderte von Fundstellen mit zeitlicher Einordnung und Literaturverweisen. Die kleinräumige Zusammenstellung archäologischer Fundplätze des Umfeldes von Wiskiauten ist bei Kleemann (1939b) erstmals ausführlich behandelt. Die bereits 1939 beendete, jedoch erst 1975 in Bonn zum Druck gelangte Studie zur „Kultur der Wikinger in Ostpreußen“ von B. von zur Mühlen (1975) erlaubt Einblicke in die Verbreitungsmuster frühmittelalterlicher Leitfunde im ehemaligen Ostpreußen insgesamt. Kulakov (1990) erweiterte die große Zahl der Fundstellen, die von den genannten deutschen Wissenschaftlern zusammengetragen wurden, noch durch eigene Forschungen und berücksichtigte, aufbauend auf ersten Kartierungen von F. D. Gurevič (1960), in seinem Katalog zu Denkmälern der prussischen Kultur zwischen dem 6. und 13. Jahrhundert auch die in deutscher Zeit aufgedeckten Fundplätze. Trotz der Qualität dieser Vorarbeiten sind die einzelnen Werke jedoch stellenweise quellenkritisch zu hinterfragen. Hollacks (1908) Fundstellenkatalog berücksichtigt nur die bis kurz nach der Jahrhundertwende bekannten Plätze. Insbesondere die Forschungen der 1930er Jahre und die Etappe der sowjetischen Archäologie erweiterten aber die Kenntnis um archäologische Fundstellen beträchtlich, so dass das frühe Bild heute lückenhaft wirkt und lediglich den damaligen Forschungstand widerspiegelt. Kleemanns (1939b) Zusammenstellung berücksichtigt aufgrund der speziellen Fragestellung nur ein relativ kleines Gebiet im direkten Umkreis von Wiskiauten. Zwar erlangt sie damit für diese Studie besondere 55 Bedeutung, allerdings sind hier Einzelfunde, die nicht selten als Siedlungsanzeiger genutzt werden, teilweise überbewertet. Die offenbar hauptsächlich auf den Fundbeständen des Königsberger Prussia-Museums basierenden Studien von zur Mühlens (1975) lassen teilweise die Berücksichtigung der zeitgenössischen archäologischen Publikationen zum Gebiet vermissen. So listet er in seinem Fundkatalog zum Gräberfeld von Wiskiauten beispielsweise nur diejenigen Gräber auf, zu denen in der Studiensammlung oder der Schausammlung74 Originalfunde oder Ausgrabungsberichte vorhanden waren. Die Publikationen der jeweiligen Ausgräber bleiben nahezu unberücksichtigt. So erklärt sich seine mit 86 Bestattungen viel zu niedrig angesetzte Zahl an untersuchten Gräbern. Tatsächlich sind bis zum Abschluss der Arbeit etwa 300 Grabhügel untersucht gewesen (vgl. Kap. B.1 und Anm. 2). Die Fundlisten frühmittelalterlicher Fundgegenstände (von zur Mühlen 1975, 77-120), insbesondere solche vermeintlich skandinavischer Provenienz, stellen dagegen eine wertvolle Ergänzung zu vorherigen Publikationen dar. Der Katalog Kulakovs (1990) schließlich, der auf früheren Arbeiten von Gurevič (1960) basiert und um eigene Feldforschungsergebnisse ergänzt wurde, scheint vereinzelt zur Überinterpretation zu neigen. So werden bereits kleine Mengen scheibengedrehter Keramikfragmente vorschnell zu konkret umrissenen Siedlungsarealen ausgedeutet und zu ihrer Datierung herangezogen, ein Verfahren, das in einer Region ohne vorhandene Keramiktypologien in Einzelfällen fragwürdig erscheint. Von 325 Fundstellen in Kulakovs (1990) Katalog sind nur zehn Plätze (ders. 1994, 190) durch archäologische Ausgrabungen untersucht worden. Den restlichen Fundpunkten liegen Literaturrecherchen, die frühere Ausgrabungsergebnisse berücksichtigen, oder eigene Oberflächenbegehungen zugrunde. Dabei sind besonders die Datierungen wenig umfangreicher Keramikensembles kritisch zu betrachten. Besonders die exakte absolutchronologische Zuordnung zu einem ein Jahrhundert umfassenden Zeitraum ist durch die wenig untersuchten Keramiktypologien und die geringe Anzahl sowie das möglicherweise aufgrund der ÜberlieferungsbedingunZu den beiden unterschiedlichen Sammlungsteilen vgl. Reich 2003; 2005. 74 56 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung gen verzerrte Fundbild bedenklich. Zusätzlich sind die Originalfunde heute nur schwer überprüfbar, da sie in den für Außenstehende schwer zugänglichen Fundmagazinen der russischen Museen gelagert werden. So kann bei der Beurteilung von frühgeschichtlichen Siedlungsmustern nur auf die bisher publizierten Ergebnisse zurückgegriffen werden. Trotz dieser methodischen Einschränkungen steht mit den genannten Werken, ergänzt durch zahlreiche Einzelberichte zu den ermittelten Denkmälern in der archäologischen Literatur der Vorkriegszeit, mit den vorgenannten Werken eine gesicherte Quellenbasis zur Verfügung, auf deren Grundlage sich Tendenzen einer Besiedlungsentwicklung aufzeigen lassen. A.7.1 Großräumiges archäologisches Umfeld im Frühmittelalter Spätestens ab dem 9. Jahrhundert ist für die frühmittelalterlichen Bewohner des späteren Ostpreußen der Begriff „Bruzi“ überliefert (Udolph 2003, 535). Diese erste Erwähnung findet sich beim sog. Bayrischen Geographen, der bei der Beschreibung der osteuropäischen Völker den Begriff für eine Region benutzt, die das Volk der Prissani bewohnt. Um 965 ist beim arabischen Schriftsteller Ibrahim Ibn Jakub der Name Pruzzun oder Burus überliefert. Die Vita S. Adalberti gibt um 997 Pruzzi, Pruteni, Pruscia und Pruzzia (Pertz 1841, 593, 597, 607, 613615, 876) als Namensvarianten an. Adam von Bremen (Hamburgische Kirchengeschichte, Buch IV, Kap. 18; vgl. Trillmich 1961b, 455ff.) nennt die Bewohner des Samlandes Sembi vel Pruzzi und bezieht sich hier auf den Stamm der Sambier oder Samländer. Die Pruzzen oder Prussen75 gehören zusammen mit den Litauern, Letten und Kuren zur baltischen Sprach- und Kulturgruppe. Ihr Siedlungsgebiet zwischen unterer Weichsel und unterer Memel (Nowakowski 2003, 536) lässt sich in zwölf Landschaften76 untergliedern, die jeweils von kleineren In den baltischen Sprachen wird das „s“ im Gegensatz zum stimmhaften „z“ stimmlos gesprochen. Da die Schreibweise Pruzzen aus einer Zeit stammt, als das stimmlose „s“ zur Bezeichnung des stimmhaften „z“ benutzt wurde, ergibt sich für den Begriff „Pruzzen“ ein langes „u“ bei stimmlosem „s“. 75 Abweichend Biskup/Labuda (2000, 66): 11 Gaue. An anderer Stelle: Zehn Stammesterritorien und 76 Stammeseinheiten bewohnt wurden, die der Legende nach von König Waidewuths Söhnen in Besitz genommen worden sind (Tetzner 1902, 9). Von diesen wohnte der Stamm der Samländer oder Semben im Samland. Ihnen wird allgemein die bedeutendste wirtschaftliche und später auch politische Rolle unter den prussischen Stämmen zugeschrieben, die sich bereits im 9. Jahrhundert abzeichnete (Biskup/ Labuda 2000, 70). Am Ende der Völkerwanderungszeit formieren sich die Prussen unter starkem slawischen Einfluss als eigenständige Kulturgruppe (Nowakowski 2003, 537). Kennzeichnend sind verschiedene Keramikformen und die Entstehung des auf Wallburgen basierenden Siedlungssystems, das ebenfalls auf slawische Modelle zurückgeführt wird. Die Bestattungssitte der frühmittelalterlichen Prussen dagegen basiert auf kaiser- und völkerwanderungszeitlichen Traditionen und äußert sich in urnenlosen Brandgräbern, oft in Kombination mit Pferdebestattungen. Allerdings ist gerade die Übergangszeit zwischen dem späten 7. und dem frühen 9. Jahrhundert bisher kaum durch Bestattungen belegbar. Es scheint, dass in dieser Zeit beigabenarme oder beigabenlose Bestattungen vorherrschten (Engel 1935b, 69). Möglicherweise handelte es sich überwiegend um die meist schlecht dokumentierten Knochenhäufchen in loser Erde, wahrscheinlich in einem textilen oder organischen, heute nicht überlieferten Behältnis, die relativ oberflächennah deponiert wurden und durch die landwirtschaftlichen Arbeiten der vergangenen Jahrhunderte weitgehend zerstört sind, wie Nowakowski (1996, 62) dies beispielsweise für Bestattungen der Dollkeim-Kovrovo-Kultur annimmt. Aus archäologischen Quellen sind die Prussen neben Burgwallanlagen (Wendt 2009) und wenigen Siedlungskomplexen hauptsächlich durch Grabfunde auf ausgedehnten Flachgräberfeldern bekannt. Interessanterweise liegen die Bestattungsareale des 10. und 11. Jahrhunderts häufig in den Randzonen von Gräberfeldern, deren Belegungsbeginn sich bis in die Römische Kaiserzeit zurückverfolgen lässt und die auch in der Völkerwanderungszeit bis ins 7. Jahrhundert hinein genutzt werden (Nowa20 Gaue (ebd. 69). Zehn Gaue nennt auch Gaerte (1929, 355). Grundlagen kowski 1996, 22)77. Die Gräberfelder der ersten sieben nachchristlichen Jahrhunderte werden der Dollkeim-Kovrovo-Kultur (Nowakowski 1996, 14) zugeschrieben. Insbesondere die Zeit des 7.–9. Jahrhunderts aber ist lediglich im Memelraum ansatzweise zu fassen (Engel 1931e; 1935b, 60-62). Grabfunde dieser Zeit sind aus dem Gebiet der Dollkeim-Kovrovo-Kultur bisher kaum bekannt. Durch weitreichende Völkerverschiebungen in der ausklingenden Völkerwanderungszeit wird das über Jahrhunderte relativ konstante Siedlungsgebiet der Dollkeim-Kovrovo-Kultur vom Hinterland und damit dem Handelsnetz abgeschnitten. Der folgende Wandel zur frühmittelalterlichen Kultur der Prussen (Nowakowski 1996, 56) wird hauptsächlich mit einer veränderten Grabsitte in Zusammenhang gebracht, die wenige oder gar keine Beigaben in Gräbern kennt. Es soll sich um einfache Bestattungen in flachen Erdmulden gehandelt haben, in der kalzinierte Knochen und Verbrennungsrückstände deponiert wurden (Engel 1935a, 117). Als Auslöser dieser Umwandlung vermutet Nowakowski (1996, 96) die Abwanderung der kaiserzeitlichen, germanischen Wielbark-Restbevölkerung im Weichselmündungsgebiet nach Süden, durch die das Samland wichtige Handelspartner und Kulturvermittler verlor. Als neue archäologische Einheiten formieren sich von dieser Zeit an die sogenannte ElblagGruppe im Bereich der Elbinger Höhe und die Olsztyn-Gruppe in Masuren. Die DollkeimKovrovo-Kultur gerät in der Folge in eine Randlage, die die Bewohner des Samlandes zur Umwandlung der bisherigen Siedlungsstruktur zwingt. Auf diese Umstände führt Nowakowski (ebd. 97) das Entstehen neuer Gräberfelder im 6. und 7. Jahrhundert zurück, die trotz eindeutiger kultureller Wurzeln in der Dollkeim-Kovrovo-Kultur – erkennbar anhand von Grabbeigaben wie Keramikgefäßen oder Armbrustsprossenfibeln und an den Gräbern mit Pferdebeigabe – eine ganz neue Kultur repräsentieren. Seit dieser Zeit sind deutliche skandinavische Einflüsse im prussischen Fundgut erkennbar (ders. 2007, 153). Die zahlreichen Burgwälle, die schon bei WulfVgl. z.B. die bereits 1928 und 1930 ausgegrabene und in den Jahren 2003 und 2004 nachuntersuchte Nekropole von Groß Ottenhagen/Berezovka im Kaliningrader gebiet (Ibsen/Skvorzov 2005). 77 57 stan (Lund 1984, 23) in seiner Beschreibung der Aisten respektive der Prussen in der Mitte des 10. Jahrhunderts genannt und auch in Cromes (1937) Karte der vorgeschichtlichen Wallanlagen Ostpreußens sichtbar werden, sollen jeweils von eigenen, unter einander kriegführenden Königen beherrscht worden sein. Sie lassen sich durch mangelnde archäologische Untersuchungen heute im Allgemeinen nur schwer datieren. Ein Großteil dürfte jedoch tatsächlich den Prussen zuzuschreiben sein. Siedlungskomplexe sind in jüngerer Zeit nur wenige ausgegraben worden (vgl. Kap. A.7.2.4.1). Sie bleiben in ihrer Datierung meist unsicher, die Ergebnisse sind nur ansatzweise publiziert (Gurevič 1960; Kulakov 1990). Insbesondere für die Zeit ab dem 9. Jahrhundert sind im gesamten Siedlungsgebiet der westbaltischen Kulturen viele Plätze mit skandinavischem Fundmaterial bekannt geworden. Neben zahlreichen einzelnen Grabfunden (beispielsweise Mewe bei Elbing) und einigen Einzelfunden ist im Weichselgebiet das vom späten 8. Jahrhundert an auflebende und bis zum Beginn des 10. Jahrhunderts bestehende Handelszentrum Truso am Drausensee in Polen eingehender untersucht worden (Jagodziński 2000a-b; 2006). Auch die Küstenzonen Litauens, Lettlands und in geringerem Maße auch Estlands weisen zahlreiche skandinavisch beeinflusste Fundplätze auf. Besonders gilt dies für das bereits in den 1920er Jahren untersuchten Grobin/Grobin in Lettland, das heute überwiegend mit der in Schriftquellen genannten Seeburg gleichgesetzt wird und als ältester „port of trade“ nicht nur im Baltikum, sondern im gesamten Ostseeraum angesehen wird (Steuer 1999a, 60-61). Daneben existieren weitere Fundplätze, an denen sich auffallend viele skandinavische Gegenstände eingestellt haben. Hier sind vor allem Daugmale in Lettland und Palanga in Litauen bzw. Plätze an der Mündung der Memel (heute Neman) ins Kurische Haff wie die Gräberfelder von Linkuhnen/Rževskoe (Engel 1931e), Oberhof/Aukśtakiemiai (Reich 2006) oder Wischwill/Viešvilė (Nerman 1931; Bogucki 2006, 95) anzuführen. Zwischen den beiden großen Zentren Truso und Grobin liegt rein geographisch gesehen der Fundplatz Wiskiauten. Er scheint aber erst dann zu entstehen, als beide anderen Orte ihre herausragende zentralörtliche Position, beru- 58 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung hend auf Handelstätigkeiten und entwickeltem Handwerk, bereits verloren haben oder im Niedergang begriffen sind. Dementsprechend wurde bereits mehrfach die These geäußert, die in Wiskiauten durch die Anwesenheit der Grabfunde im Hügelgräberfeld zu postulierende skandinavische Handelssiedlung sei von Personen gegründet worden, die aus einer dieser beiden Metropolen gekommen sein könnten (von zur Mühlen 1975, 16, 56; Martens 1996, 54; Kulakov 1994, 211). Während diese Fundplätze aber einerseits jeweils in ein stark einheimisch geprägtes Siedlungsmuster eingepasst sind, geht von ihnen andererseits offenbar in Bezug auf Handelstätigkeit und Austausch ein starker Impuls auf die Umgebung aus, der vermutlich mit der Anbindung an Seehandelswege verbunden war. Diese Handelstätigkeiten werden an der steigenden Zahl von Importgütern sichtbar. Von zur Mühlen (1975) kartierte die Funde „wikingischen“ Gepräges in Ostpreußen und arbeitete neben Truso besonders das Gebiet um Wiskiauten und das Memelmündungsgebiet als Zentren skandinavischen Einflusses heraus. Insgesamt lässt sich seit den Verbreitungskarten von zur Mühlens (1975, 161ff; siehe hier Abb. 17) von Funden „wikingischen Gepräges“ in Ostpreußen, die allerdings schon zur Erstellungszeit veraltet und nicht vollständig erscheinen, eine große Streuung skandinavisch geprägter Objekte im Samland erkennen, die zunächst allgemein auf Handelstätigkeiten hinweisen. Hier sind in erster Linie Waagen und Gewichte sowie Silbermünzen anzuführen. Dagegen können Fibeln als Trachtbestandteile Hinweise auf eine kulturelle Zugehörigkeit ihrer Trägerinnen liefern. Dementsprechend dürfte die Beschränkung ovaler Schalenfibeln im Samland (ebd. Karte 2) auf den Fundplatz Wiskiauten, abgesehen von einem Exemplar des Typs JP 37 aus Bieskobnicken (ebd. 77 Fundliste 2 a), deutlich auf die Rolle Wiskiautens als Wohnstätte von skandinavischen Frauen hinweisen. Gleiches gilt für die Verbreitung der Dosenfibeln (ebd. 79-80 Fundliste 7), Dosenschnallen (ebd. 80 Fundliste 8), gleicharmigen Fibeln (ebd. 82-85 Fundlisten 10–11) und der meisten Armringtypen (ebd. 86-89 Fundlisten 13–17) sowie Perlen (ebd. 89-90 Fundliste 18), runden Filigrananhängern (ebd. 90 Fundliste 19), Schleifsteinen (ebd. 91 Fundliste 22), Schlüsseln (ebd. 93 Fundliste 26) und besonders von Eimerteilen (ebd. 91 Fundliste 21) und Schildbuckeln (ebd. 116 Fundliste 43). Alle diese Funde kommen nach diesen Fundlisten ausschließlich in Wiskiautener Gräbern vor. Mittlerweile sind jedoch insbesondere durch die Ausgrabungen von V. I. Kulakov auch vereinzelte Funde auf Wiskiauten benachbarten Fundstellen bekannt geworden, wie ein Eimerbügel aus Grab 16 von Klinzovka/Irzekapinis der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts beweist (Kulakov 1990, 74 Taf. 44). Andere Fundgattungen, insbesondere Waffen – wie Lanzenspitzen verschiedener Typen, Ortbänder und Schwerter – sind wesentlich variantenreicher und besitzen ein größeres Verbreitungsgebiet (vgl. von zur Mühlen 1975, Karten 6–8), das sich vermutlich durch Handel erklären lässt. Besonders zahlreich kommen sie neben der Konzentration im Umfeld von Wiskiauten an den Fundplätzen Linkuhnen/ Rževskoe, Wischwill/Viešvilė und Oberhof/ Aukśtakiemiai im Memelmündungsgebiet vor. Diese Beobachtungen stützen weiterhin die Annahme, dass in Wiskiauten ein wichtiger Warenumschlagsplatz gelegen hat, über den möglicherweise im Austausch gegen Bernstein, Felle und Sklaven, möglicherweise auch Pferde (Biskup/Labuda 2000, 91) und andere Naturprodukte skandinavische Waffen und andere Handelsobjekte ins Hinterland und eventuell sogar weiter in Richtung Kiev gelangten. Im Allgemeinen werden diese Handelstätigkeiten auf den Seehandel über die Ostsee zurückgeführt, der von Skandinaviern initiiert worden sein dürfte. Der Warenverkehr soll dabei über das Kurische Haff bzw. einen oder mehrere Durchbrüche durch die Kurische Nehrung zur Ostsee abgewickelt worden sein. Allerdings bieten sich auch alternative Handelsrouten an, welche die zahlreichen schiffbaren Flüsse der Region als Verbindung zum Hinterland nutzten. In erster Linie kommt hier die Memel in Frage. Allein in ihrem Mündungsgebiet sind bis 1939 insgesamt 16 Fundplätze mit skandinavischen Importen in Gräbern einheimischer Personen entdeckt worden (von zur Mühlen 1975, 17). Hierfür dürfte die schon mehrfachvermutete Bedeutung der Memel im Handelsverkehr mit dem Hinterland in Richtung Kiewer Rus aus- Grundlagen 59 Abb. 17 Verbreitungskarte skandinavischer Funde in Ostpreußen (von zur Mühlen 1975, 261 Abb. 1). schlaggebend sein78. Neben dem Handelsweg, der sich durch die Memel bzw. ihre Nebenflüsse im Mündungsbereich ergibt, sind aber auch weitere Handelsrouten anzunehmen oder wahrscheinlich zu machen. So könnte beispielsweise eine Reise ins Weichselgebiet nach Truso nicht nur über die Ostsee verlaufen sein. Über die Deime (heute Deima), die etwa 40 km östlich beim früheren Labiau (heute Polessk) ins Haff mündet, ist zunächst das Erreichen des Pregel möglich, der wiederum ins Frische Haff mündet. Von Jankuhn 1937b, 86f.; Scheel 1938, 201-202; Oxenstierna 1959, 56; 1965, 79; Martens 1996, 56. 78 hier aus ist die Weiterfahrt ins Weichselgebiet denkbar. Dass dieser Schifffahrtsweg relativ früh, nämlich seit der künstlichen Verbindung des Pregel und der Deime ab dem Anfang des 14. Jahrhunderts (Forstreuter 1931, 7f.), genutzt wurde, ist durch historische Berichte überliefert. So soll der Hochmeister des Deutschen Ordens, Karl Beffart von Trier, der das Ordensgebiet von 1313–1315 gegen Litauen verteidigte, im Jahr 1313 eine Flotte von zwölf Schiffen mit Proviant vom Drausensee aus durch das Frische Haff und den Pregel zunächst bis Tapiau (heute Gwardiesk) und weiter über die Deime zur Ordensburg Christmemel bei 60 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Ragnit an der Memel ausgesandt haben (Bonk 1895, 107f.). Ob diese Verbindung, vielleicht in eingeschränkter Form, auch vorher zur Verfügung stand, ist nicht bekannt. Grunert (1938, 55) erwog diese Möglichkeit. Zumindest eine dichte Konzentration von wikingerzeitlichen Waffen und einigen besonders reichen Gräberfeldern bei Labiau an der Mündung der Deime79 und in geringerem Maße auch bei Tapiau selbst80 legen nahe, dass sich hier strategisch wichtige Stationen des frühmittelalterlichen Handelsnetzwerkes befunden haben. Ab Wehlau (heute Znamensk) am Pregel, wo sich ebenfalls eine Fundkonzentration in von zur Mühlens (1975) Karten zeigt, bot sich alternativ der Fluss Alle zum Erreichen der südlichen Landesteile an. Fuhr man den Pregel aufwärts, gelangte man in das Gebiet der Masurischen Seenplatte, flussabwärts dagegen erreichte man das Frische Haff. Durch seine Lage am Kurischen Haff und die damit verbundene Nähe der Ostsee einerseits, andererseits durch die Anbindung an schiffbare Flüsse zur Erschließung des Hinterlandes vereint Wiskiauten also wesentliche topographische und geostrategische Merkmale eines Seehandelsplatzes. Zusätzlich bietet die geschützte Lage in einem Winkel des Kurischen Haffs gute Voraussetzungen für eine relativ ungestörte Entwicklung von Handelsaktivitäten. Die Randlage in Küstennähe des Kurischen Haffs und die damit vorhandene Anbindung an das Seehandelsnetzwerk Ostsee lassen die Orientierung Wiskiautens auf den überregionalen Handel erkennen, wenngleich damit noch wenig über die Träger dieses Handels gesagt ist. A.7.2 Kleinräumiges archäologisches Umfeld Die Betrachtung der Fundstellen, die durch archäologische Untersuchungen im Umfeld des Fundplatzes Wiskiauten in den vergangenen gut 150 Jahren Forschung lokalisiert wurden, beschränkt sich hier auf einen relativ kleinen von zur Mühlen 1975, 17; 261 Karte 1: Nr. 37: Lablacken, Kr. Labiau; Nr. 44: Löbersthof, Kr. Labiau; Nr. 61: Possritten, Kr. Labiau; Nr. 91: Viehof, Kr. Labiau. 79 von zur Mühlen 1975, 17; 261 Karte 1: Nr. 47: Magotten, Kreis Wehlau; Nr. 80: Sielacken, Kreis Wehlau; Nr. 100: Zophen, Kreis Wehlau; Nr. 102: Damerau, Kreis Wehlau) 80 Raum. Sie orientiert sich an einer bereits im Jahr 1939 von Kleemann (1939b) vorgelegten Kartierung von 77 archäologischen Fundstellen in einem Streifen von etwa 10 km Breite (Abb. 18), der von Weischkitten und Dollkeim im Westen bis Schmiedehnen im Osten parallel zur Ostseeküste verläuft. Zusätzlich sind Kartierungen von zur Mühlens (1975) und besonders von Kulakov (1990) eingearbeitet, die den älteren Forschungsstand Kleemanns aktualisieren. Als nördliche Grenze wurde natürlicherweise die Ostsee gewählt, die Grenze im Osten ergibt sich durch das Kurische Haff. Im Süden reicht der untersuchte Raum bis ehemals Corben (heute Krasnoflotskoe), im Westen etwa bis Dollkeim (heute Kovrovo) bzw. Weischkitten (heute Sokolniki). Diese Limitierung ist insofern zulässig, als für die Frage der zum Gräberfeld in der Kaup gehörenden Siedlung nur das direkte Umfeld relevant ist. Für die Lage der Siedlung ist von Fundstellen außerhalb dieser Region keine direkte Beeinflussung zu erwarten. Selbstverständlich ist aber bei allen Interpretationsmodellen stets das allgemeine Siedlungsbild der Region zu berücksichtigen. A.7.2.1 Neolithikum Bereits im Neolithikum scheint besonders in der Region um Selenogradsk/Cranz ein dichtes Siedlungsgefüge bestanden zu haben. Darauf deuten zahlreiche Streufunde von Steinbeilen und Feuersteinwerkzeugen etc. hin. Die von Kleemann (1939b) katalogartig dokumentierten Steinzeitfundstellen81 resultieren aber lediglich aus einzelnen Streufunden und können nicht als gesicherte Siedlungsplätze gelten, da kein einziger in einer Ausgrabung erfasst worden ist. Immerhin zeugen aber auch diese Einzelfunde von einer intensiven Besiedlung. Besonders ein spätneolithisches Hügelgrab in Es handelt sich um die Fundstellen Cranz-Forst „Fundstelle 1“ (Kleemann 1939b, 218), Friedrichswalde „Fundstelle 1“ und „Fundstelle 2“ (ebd. 219), Grünhoff-Nautzau „Fundstelle 3“ und „Fundstelle 5“ (ebd.), Michelau „Fundstelle 1“ (ebd. 221), Mülsen „Fundstelle 1“ und „Fundstelle 4“ (ebd.), Schmiedehnen „Fundstelle 1“ (ebd. 222), Wargenau „Fundstelle 1“ (ebd. 223), Weischkitten „Fundstelle 1“, „Fundstelle 3“ und „Fundstelle 4“ (ebd. 224), Wosegau „Fundstelle 1“, „Fundstelle 6“ und „Fundstelle 7“ (ebd. 224-225). 81 Grundlagen 61 Abb. 18 Karte archäologischer Fundstellen in der Umgebung von Wiskiauten (Kleemann 1939b Abb. 1). der Kaup mit insgesamt drei steinzeitlichen Skelettbestattungen (ebd. 224) ist als indirekter Ausdruck dieser Siedlungsaktivität zu werten. Das Grab wird der schnurkeramischen Kultur zugeordnet und lässt sich somit ins späte Neolithikum einordnen (Heydeck 1877; Kleemann 1939b, 208). Dass die östlich Wiskiautens am Niederungsrand zur Bledauer Beek gelegene halbinselartige Erhebung aus sandigem Boden mit dem Flurnamen Palve, wie Kleemann (1939b, 225 Wosegau „Fundstelle 6“) angibt, mit einer Steinzeitansiedlung besetzt gewesen ist, kann nun durch ein neues 14C-Datum82 aus Fläche 10 ansatzweise wahrscheinlich gemacht werden. Andererseits aber fanden sich in einer im Jahr 2007 angelegten Ausgrabungsfläche (vgl. Kap. C.5.4, Fläche 5) von 2 x 2 m am Fuß der Palve keinerlei Hinweise auf eine Siedlung dieser Zeitstellung. Vielmehr sind hier Reste einer Siedlung aus dem 7.–8. Jahrhundert durch KIA 37090: Radiocarbon Age: BP 4530 +/- 33, OneSigma-Range: cal BC 3356-3117, Two-Sigma-Range: cal BC 3361-3102. 82 mehrere Kulturschichten und zahlreiche Keramik- und Tierknochenfunde dokumentiert worden. Alle 14C-Daten sprechen für eine Datierung ans Ende des ersten nachchristlichen Jahrtausends. Der Blick auf die Karte (Abb. 18) Karte zeigt eine klare Konzentration der steinzeitlichen Fundstellen auf den Bereich westlich, südlich und östlich der Kaup. Die in den geomagnetischen Messungen erkannten Anomalien könnten daher durchaus auch steinzeitliche Fundstellen wiedergeben, denn in diesem Bereich sind aufgrund der Fundanhäufung Siedlungsspuren zu erwarten, die zum großen Hügelgrab mit den steinzeitlichen Bestattungen passen83. Wie eng Befunde der verschiedenen archäologischen Epochen in räumlicher Hinsicht beieinander liegen können, zeigt neben dem steinzeitlichen Hügelgrab mit wikingerzeitliDiese Vermutung wird durch die im Sommer 2008 angelegte Fläche 10 bestätigt, da eine Holzkohleprobe aus dem untersten Kulturhorizont eine 14 C-Datierung in die Zeit um 3000 v. Chr. lieferte. 83 62 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung chen Bestattungen im direkten Umfeld auch eine neue 14C-Datierung aus den Ausgrabungen V. I. Kulakovs. Bei der Untersuchung von Grabhügel K 140a sind neben einer Körperbestattung auch drei Brandgräber zum Vorschein gekommen. Während die Körperbestattung in die Zeit zwischen 828 und 101784 datiert und auch zwei der drei Brandgräber in die Zeit des späten 8. bis frühen 11. Jahrhunderts85 eingeordnet werden können, lieferte das dritte Brandgrab 14C-Daten aus der Zeit zwischen 2833-2474 v. Chr.86 Auch wenn es sich um umgelagertes Material handelt, ist durch dieses Ergebnis bei allen Interpretationen von Befunden ohne weitere Datierungshilfen äußerste Vorsicht angebracht. A.7.2.2 Bronzezeit und Vorrömische Eisenzeit Hinweise auf Bestattungen aus der Bronzezeit und der vorrömischen Eisenzeit liefert ebenfalls das steinzeitliche Hügelgrab. Bei mehreren Autoren (Heydeck 1893; Hollack 1908, 198; 201; 202; Engel 1932b) sind bronzezeitliche und eisenzeitliche Nachbestattungen im großen Grabhügel in der kleinen Kaup erwähnt, der sogar in „fünf Stockwerken übereinander steinzeitliche und bronzezeitliche Bestattungen, darüber eine Gruppe eisenzeitlicher Urnenbestattungen“ (Engel 1935a, 109) enthalten haben soll, wobei hier die Römische Kaiserzeit gemeint ist (Hollack 1908, 185; vgl. Kap. A.7.2.2.3). Bestattungen aus der vorrömischen Eisenzeit sind somit nicht bekannt. Mindestens eine weitere Bestattung aus der Bronzezeit muss im nahegelegenen Wäldchen „Kunterstrauch“ gelegen haben (Heydeck 1909, 213). Außerdem führt Kulakov (Archiv Kaliningrad) eine Fundstelle an, die auf dem Gelände des alten Gutshauses in ehemals Bledau (heute Sosnovka) liegt. Im Garten südlich des Gutshauses befinden sich noch heute die KIA 35333: Radiocarbon Age: BP 1111 ± 35, OneSigma-Range: cal AD 894-976, Two-Sigma-Range: cal AD 828-1017. 84 KIA 35330: Radiocarbon Age: BP 1080 ± 24, OneSigma-Range: cal AD 899-1010, Two-Sigma-Range: cal AD 895-1017; KIA 35331: Radiocarbon Age: BP 1144 ± 28, One-Sigma-Range: cal AD 874-969, TwoSigma-Range: cal AD 781-976. 85 KIA 35332: Radiocarbon Age: BP 4043 ± 32, OneSigma-Range: cal BC 2619-2491, Two-Sigma-Range: cal BC 2833-2474. 86 Reste eines kleinen Pavillons auf einer leichten Bodenerhebung. Diesen Hügel von 22 m Durchmesser und 2,5 m Höhe untersuchte Kulakov im Jahr 1983 und stellte eine Umfassung aus Steinen fest. Es soll sich aufgrund typologischer Vergleiche um einen Grabhügel der Bronzezeit handeln. Es könnte sich jedoch ganz einfach auch um einen als Fundamentierung aufgeschütteten Hügel handeln, auf den die noch heute sichtbare Familiengrabstätte von Schloß Bledau gründet. Während sich bei Hollack (1908, 201) nur der allgemeine Hinweis auf Einzelfunde der jüngeren Bronzezeit findet, hat Kleemann (1939b) mehrere bronzezeitliche Einzelfunde mit Fundstellenangabe katalogisiert87. Alle Funde sind heute verschollen, Abbildungen in der Literatur existieren nicht. Als Einzelfund der vorrömischen Eisenzeit ist lediglich eine Nadel mit geradem Fuß, halbkreisförmigem, mit weißblauen Emailperlen garniertem Bügel und zugespitztem Endknopf anzuführen (Kemke 1906, 46; Kleemann 1939b, 224 „Fundstelle 1“). Siedlungsstellen dieser Zeit waren in der vorkriegszeitlichen archäologischen Forschung hier bisher nicht bekannt. Zumindest ein Grabfund dagegen scheint als Nachbestattung im steinzeitlichen Hügel vorgelegen zu haben. Ausdrücklich werden von Hollack (1908, 184) „zwei La Tène-Gefäße“ erwähnt. Die deutlichsten Anzeichen auf eine Besiedlung der vorrömischen Metallzeiten liefern die jüngsten archäologischen Forschungen. Die Ergebnisse der geomagnetischen Messungen in Kombination mit den Bohrungen und Ausgrabungen sollen hier nach Zeiten getrennt vorgestellt werden. A.7.2.2.1 Bronzezeit Bisher sind aus zwei Anomalien88 im Nordosten des Gräberfeldes 14C-Datierungen bekannt, die auf die späte Bronzezeit hindeuten. Es handelt sich um die Fundstellen Corben „Fundstelle unbekannt“ (Kleemann 1939b, 217), Mülsen „Fundstelle unbekannt“ und „Fundstelle 5“ (ebd. 221), Wosegau „Fundstelle 1“ und „Fundstelle 10“ (ebd. 224). 87 Auch bei den Untersuchungen des Jahres 2008 sind auf der Palve und in ihrem Umfeld bronzezeitliche Siedlungsspuren aufgedeckt worden (vgl. Kap. C.4.4.10). 88 Grundlagen Beide Anomalien liegen in einem Abstand von nur etwa 90 m in der langgestreckten geomagnetischen Messfläche E östlich der Straße Wiskiauten-Wosegau. Das kleinere der beiden Objekte an_54/07 mit einem Durchmesser89 von 1,7 m erwies sich durch die Bohrung als Befund von 0,85 m Tiefe unter der Geländeoberfläche. Deutlich war der Ackerhorizont von 0,35 m Mächtigkeit vom darunterliegenden Erdmaterial abzugrenzen, das aus stark sandigem Lehm dunkelbrauner Färbung mit Einschlüssen von Holzkohle und kleinen Rotlehmpartikeln bestand. Aus einem Tiefenbereich zwischen 0,7 und 0,8 m wurde eine Holzkohleprobe zur Datierung entnommen und auf die Zeit zwischen 792 und 411 v. Chr.90 datiert. Das größere Objekt an_57/07 mit einer ungefähren Ausdehnung von 2,5 x 3 m mit schwarzem Kern und leichtem weißen Schatten im Norden lässt sich anhand einer Holzkohleprobe, die in einer Tiefe von 0,3-0,55 m entnommen wurde, datieren. Sie lieferte ein Radiokarbonalter von BP 2725 +/- 35 und ein kalibriertes Alter von 968-806 v. Chr.91. Das Objekt dürfte daher in die jüngere Bronzezeit einzuordnen sein. Somit kann der Befund der späten Bronzezeit zugewiesen werden. Unter der holzkohleführenden, gräulichbraunen Schicht aus sandigem Lehm sind durch die Bohrung Steine nachgewiesen. Funktion und Ausmaße der beiden Befunde bleiben ohne weitere Untersuchungen unklar. Dennoch liegen hier Hinweise auf archäologische Befunde vor, die durch ihre räumliche Nähe zueinander sowie durch das Vorhandensein von weiteren Objekten in der direkten Umgebung auf Siedlungsspuren dieser frühen Zeitstellung hinweisen. Abgesehen von den zuvor erwähnten Einzelfunden und den bronzezeitlichen Nachbestattungen im großen Steinzeithügel der Kaup bleiben diese Objekte sowie die im Jahr 2008 in Fläche 10 lokalisierte Siedlungsschicht (vgl. Der Durchmesser wurde aus den geomagnetischen Messbildern bei einem Wert von +/- 6nT ermittelt. 89 KIA32978: Radiocarbon Age: BP 2496 +/- 69, OneSigma-Range: cal BC 777-531, Two-Sigma-Range: cal BC 792-411. 90 KIA 32979, Radiocarbon Age: BP 2725 +/- 35, OneSigma-Range: cal BC 897-832, Two-Sigma-Range: cal BC 968-806. 91 63 Kap. C.4.4.10) die einzigen Anzeichen für eine bronzezeitliche Besiedlung im direkten Umfeld von Wiskiauten. A.7.2.2.2 Vorrömische Eisenzeit Hinweise auf eine Besiedlung des Geländes sind zunächst wiederum indirekt durch das steinzeitliche Hügelgrab in der Kaup nachgewiesen, das auch eine eisenzeitliche Nachbestattung enthalten haben soll (Hollack 1908, 184). Siedlungsreste sind durch die rezenten Ausgrabungen belegt. Zwei geomagnetische Anomalien stellten sich als eisenzeitliche Befunde heraus. Einmal handelt es sich um einen Ofenbefund in Fläche 1 (vgl. Kap. C.5.1), ein anderes Mal um eine Wirtschaftsgrube in Grabungsfläche Fläche 7 (vgl. Kap. C.5.2). Weitere Fundstellen dieser Zeit sind in der Umgebung des Gräberfeldes von Wiskiauten nicht bekannt. A.7.2.3 Römische Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit Auf dem Gebiet der heutigen Kaliningrader Region entstand gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts die Dollkeim-Kovrovo-Kultur (Nowakowski 1996, 14), die mit den bei Tacitus (Tac. Germ. 45, 2-4; vgl. Much 1937, 400ff.) überlieferten Aestii/Aisten gleichgesetzt wird (Nowakowski 1996, 109). Insgesamt blieb das Siedlungsgebiet der Dollkeim-Kovrovo-Kultur, das sich mit dem Territorium der vorangehenden westbaltischen Hügelgräberkultur deckt, in den ersten vier Jahrhunderten und auch in der nachfolgenden Völkerwanderungszeit bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts stabil. Das könnte als Anzeichen einer außergewöhnlichen Siedlungskontinuität interpretiert werden. Siedlungen der Dollkeim-KovrovoKultur selbst allerdings sind bisher nicht genügend erforscht, sie haben vermutlich weniger deutliche Spuren hinterlassen. Die erste Erwähnung kaiserzeitlicher Funde in Form römischer Bronzemünzen aus dem Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten datiert ins Jahr 1874. Bujack (1874, 81-83) listet als Geschenke, die der Prussia-Gesellschaft vom Gutsbesitzer von Batocki übergeben worden sind, unter anderem fünf Bronzemünzen, die offenbar stark abgegriffen waren. Sie werden als römische Münzen spezifiziert. Ihr Fund- 64 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung ort wird mit Kaup angegeben, der genaue Ort im Wäldchen allerdings ist „nicht zu ermitteln“, ob sie aus Grabzusammenhängen stammen, bleibt somit unklar. Auch Heydeck (1900, 61) hat offenbar bei der Freilegung des steinzeitlichen Hügelgrabes „in der Nähe des Hügels mehrere Gräber der älteren Eisenzeit“ dokumentieren können, wobei mit älterer Eisenzeit in diesem Fall die Perioden C und D der ältere Römischen Kaiserzeit gemeint sind. Das zumindest geht aus einer Erwähnung bei Hollack (1908, 185) hervor: „In der Nähe des erwähnten Grabhügels [gemeint ist der Steinzeithügel im Osten der Kaup] Gräber aus der älteren Eisenzeit. Zeitstellung: C, D. Römische Münzen. Lit.: BP XIX 61“. Weitere kaiserzeitliche Gräber muss es nach Heydeck (1900, 61) im Westen der großen Kaup gegeben haben. Auf dieselben Bestattungen beziehen sich vermutlich auch andere Erwähnungen in der Literatur. So schreibt Bezzenberger (1897, 30) ebenfalls von kaiserzeitlichen Gräbern. Die bei Hollack (1908, 185) erwähnten Münzen scheinen zunächst bei Bolin (1926, 220) sogar näher beschrieben. Demnach sind hier vermutlich bis zu 23 Gräber freigelegt worden, da die Aufzählung der Funde bei Bolin mit dieser Grabnummer endet. Die Tatsache, dass die Gräber sogar mit Grabnummern und Inventar benannt sind, lässt auf reguläre Ausgrabungen der Prussia-Gesellschaft schließen, auf die aber in der Literatur keine weiteren Hinweise zu finden sind. Möglicherweise handelt es sich dabei um die von J. Heydeck in dem der Kaup benachbarten Gräberfeld von Kunterstrauch92 freigelegten kaiserzeitlichen Bestattungen (Heydeck 1877; 1909; Kleemann 1939b, 224). Die Verlegung dieser Gräber ins Wäldchen Kaup wäre demnach falsch. Diese Annahme findet ihre Bestätigung in den Literaturangaben bei Bolin (1926, 220), denn sie beziehen sich auf den Grabungsbericht von Heydeck (1909) in den 22. Sitzungsberichten der Altertumsgesellschaft Prussia für die Jahre 1900-1904. Dort findet Der sog. Kunterstrauch ist ein etwa 1000 m nordwestlich des Wäldchens Kaup gelegenes Waldstück (vgl. Abb. 12), das neben kaiserzeitlichen Flachgräbern auch zwei Hügelgräber mit Skelettbestattungen des 13. und 14. Jahrhunderts enthalten haben soll (Heydeck 1877). Diese beiden Hügelgräber sind noch heute deutlich im Wald zu erkennen. 92 sich der Bericht von Heydecks Grabungen im Kunterstrauch. Kleemann (1939b, 224) gibt für die Ausgrabungen Heydecks im Kunterstrauch 27 untersuchte kaiserzeitliche Gräber an. Diese Zahl an Bestattungen dürfte mit den von Bolin (1926, 220) erwähnten 23 Bestattungen korrelieren, auch wenn der Unterschied in der Nummerierung keine Erklärung findet. Die römischen Münzen stammen also vermutlich nicht aus dem Wäldchen Kaup, sondern aus dem benachbarten Wäldchen Kunterstrauch. Auf das gleiche Gräberfeld nimmt auch Nowakowski (1996, 45) Bezug und gibt als Entdeckungszeitpunkt des Gräberfeldes das Jahr 1876 an, im Jahr 1899 sollen weitere 18 Gräber untersucht worden sein. Zeitlich verlegt er die Nekropole in die überregionalen Stufen B2a bis C2-C3 (Nowakowski 1996, 45). Auch Engel (ALM)93 erwähnt kaiserzeitliche Bestattungen aus der Umgebung der Kaup: „Im Prussia-Museum liegen ferner eine Anzahl spätkaiserzeitlicher und frühvölkerwanderungszeitlicher Streufunde, die auf das Vorhandensein eines nachchristlichen preußischen Flachgräberfeldes schließen lassen, dessen Lage jedoch bisher nicht sicher festgestellt werden konnte.“ Abbildungen dieser Funde sind vermutlich in den Fundzeichnungen im Feliks-Jakobson-Archiv in Riga (Wróbleswki 2006a, 225 Abb. 4) überliefert. Es handelt sich um zwei jüngerkaiserzeitliche Fibeln, einen jüngerkaiserzeitlichen Armring und eine völkerwanderungszeitliche Sternfußfibel (Åberg 1919, 159 Nr. 33) vom Typ II nach A. BitnerWróblewska (1991), die sich ins 5. Jahrhundert einordnen lässt. Ein ähnlicher Eintrag in Engels handschriftlichen Notizen spricht sogar von zahlreichen Inventarnummern im Prussia-Museum, darunter ein „schwerer massiver eckiger I-Armring“94, der von Engel (ALM) vorsichtig in die Stufe C datiert wurde, sowie nicht näher benannte Funde95 aus der Stufe D und aus Manuskriptfragment zur Vorbereitung von Band II der „Vorgeschichte der altpreußischen Stämme“ im Nachlass von R. Grenz im Archäologischen Landesmuseum Schleswig (Stiftung SchleswigHolsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf). 93 Die alte Prussia-Inventarnummer ist angegeben: P.M. Inv. III.104.941 (Engel, ALM). 94 Alte Prussia-Inventarnummer: P.M.Inv. III.104.941 (Engel, ALM). 95 Grundlagen den Stufen C und D96. Von „Gräbern der älteren Eisenzeit“ berichtet auch Heydeck (1900, 61), womit vermutlich ebenfalls die Römische Kaiserzeit gemeint ist. Interessant ist der Hinweis, dass sich „ebensolche Gräber“ auch „am westlichen Ende“ des Waldes befunden haben sollen. Neben diesen Funden, die unmittelbar vom Territorium des späteren Hügelgräberfeldes zu stammen scheinen, sind kaiserzeitliche und völkerwanderungszeitliche Fundstellen auch aus der näheren Umgebung bekannt. Anzuführen ist hier das schon erwähnte Gräberfeld im Kunterstrauch, das von Heydeck (1909; vgl. auch Nowakowski 1996, 45) teilweise ausgegraben wurde. Weitere zwölf Fundstellen97, insbesondere aus der Römischen Kaiserzeit, listet Kleemann (1939b) auf. Unerwähnt bleibt das berühmte Gräberfeld von Dollkeim/ Kovrovo, das mit Unterbrechungen seit Beginn der Römischen Kaiserzeit bis ins 12. Jahrhundert belegt ist und namengebend wurde für die von Nowakowski (1996, 14) definierte Dollkeim-Kovrovo-Kultur. Neben der Masse der Gräber aus den ersten fünf nachchristlichen Jahrhunderten und einigen frühmittelalerlichen Bestattungen (vgl. Kap. A.7.2.4.3) enthielt dieses Gräberfeld anscheinend auch Grablegen des 7. und 8. Jahrhunderts und somit der frühesten, im Umfeld von Wiskiauten nachzuweisenden Siedlungsphase. Auch das Gräberfeld von Grünhoff-Nautzau (ebd., 219 Fundstelle 1) scheint schon in der Kaiserzeit belegt zu sein und ist offenbar bis um 600 als Bestattungsplatz genutzt worden. Hier liegt mit der Siedlung von Klincovka-Kamenka 4 (Abb. 19 Nr. 1; Kulakov 1990, 51 Nr. 34) auch eine Siedlung aus der Völkerwanderungszeit vor, die ins 5.–7. Jahrhundert datieren soll. Im 6. Jahrhundert beginnt offenbar die Siedlung Klincovka-Kamenka 3, die dann bis in das 11. Jahrhundert bestehen bleibt (Abb. 19 Nr. 2; 65 Kulakov 1990, 51 Nr. 35). Auch das Gräberfeld von Friedrichshof98 soll völkerwanderungszeitliche Funde enthalten haben und gehört demnach in den hier besprochenen Zeitabschnitt. Während der jüngsten Feldforschungen des Archäologischen Landesmuseums Schleswig in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf und des Archäologischen Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften Moskau sind seit dem Jahr 2005 an mehreren Stellen Befunde freigelegt worden, die über 14C-Daten teilweise in das 7. und 8. Jahrhundert datiert werden können. Nach den bestehenden chronologischen Systemen (vgl. dazu Kap. A.5.2) sind die Befunde daher der Stufe „E“ nach Tischler (1879; 1891) bzw. Kemke (1914), die Engel (1931d) erst um 800 enden lässt, oder schon der Stufe „F“ nach Bezzenberger (1904) zuzuweisen, die Kulakov (1994, 69) in die Jahre zwischen 525 und 725 datiert. Bei aller chronologischen Unsicherheit sind die beiden Befunde aus den Grabungsschnitten Fläche 5 und Fläche 8 dementsprechend an das Ende der Völkerwanderungszeit zu verlegen, werden aber gesondert bei der Vorstellung der Ergebnisse der siedlungsarchäologischen Forschungen der Jahre 2005–2007 in Wiskiauten besprochen (vgl. Kap. C.5.4–5). A.7.2.4 Frühmittelalter (Wikingerzeit/Spätheidnische Zeit) Bei seiner Kartierung archäologischer Fundstellen in der Umgebung von Wiskiauten hat Kleemann (1939b) insgesamt 22 Fundmeldungen zum Frühmittelalter zusammengetragen. Sie stellen damit in seiner Arbeit die zahlenmäßig größte Gruppe dar und bescheinigen dem Gebiet in dieser Zeit die dichteste Besiedlung. Allein in sieben Fällen handelt es sich um Gräberfelder des 11. und 12. Jahrhunderts99 Lediglich ein einzelner Grabfund bei Warge- Alte Prussia-Inventarnummer: P.M.Inv. II.84.431 (Engel, ALM). Notiz des Kreispflegers Sommer in der Fundkartei des Kreises Fischhausen (ALM Schleswig). Es sind dies die Fundstellen Bledau „Fundstelle 2“ und „Fundstelle 3“ (Kleemann 1939b, 216), Corben „Fundstelle 1“ (ebd. 218), Grünhoff-Nautzau „Fundstelle 1“ (ebd. 219), Kiauten „Fundstelle 1“, Laptau „Fundstelle 1“, Lobitten „Fundstelle 2“ (ebd. 220), Michelau „Fundstelle 1“, Nuskern „Fundstelle 1“ (ebd. 221), Transsau „Fundstelle 2“ und „Fundstelle 5“ (ebd. 222), Wosegau „Fundstelle 2“ (ebd. 224). Es sind die Fundstellen Bledau „Fundstelle 1“ (Kleemann 1939b, 216), Grünhoff-Nautzau „Fundstelle 4“ (ebd. 219), Laptau „Fundstelle 2“ (ebd. 220; La Baume 1941b, 23), Lobitten „Fundstelle 1“ (Kleemann 1939b, 220), Mülsen „Fundstelle 2“ und „Fundstelle 4“ (ebd. 221), Transsau „Fundstelle 1“ und „Fundstelle 4“, Twergaiten „Fundstelle 1“ (ebd. 222), Wargenau „Fundstelle 3“ (ebd. 223). 96 97 98 99 66 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 19 Karte der im Text besprochenen Fundstellen des 6.–14. Jh. (vgl. Liste E.2.1; Kartengrundlage: J. Frenzel). nau (ebd. 223 „Fundstelle 4“) soll aus der Zeit zwischen 800 und 1000 stammen und somit zeitlich parallel zum Hügelgräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten sein. Vorsichtig als Siedlungsplatz anzusprechen sind die Fundstellen 6 und 7 von Bledau (Engel 1934, 13; Gaerte 1935a, 40; Kleemann 1939b, 217), sie werden dem 10.–13. Jahrhundert zugeordnet. Ein unter dem Flurnamen „Galgenpusch“ bekannter kleiner Rundwall wird als Burgwall interpretiert, die Zeitstellung ist jedoch unklar (ebd.). Weitere Burgwälle und Wehranlagen der Prussen sind mit Ekritten und mit dem Schweden- damm bei Cranz („Fundstelle 5“) sowie, als unsichere Fundstelle dieser Kategorie, mit dem sog. Garbick (Kleemann 1939b, 217; Bledau „Fundstelle 4“) kartiert. Von letzterem stammt auch einer der beiden Hortfunde. Neben dem Schatzfund vom Garbick wird auch ein 600 g schwerer, silberner Halsring aus Steinitten (Bledau „Fundstelle unbekannt“) als Hortfund gedeutet (ebd.; vgl. auch Warnke 1964, Karte 35 Nr. 259). Daneben sind mehrere Einzelfunde bekannt100. In Kleemanns Auflistung fehlt das Bledau „Fundstelle 3 (Darienen)“ (Engel/La Baume 1937, 261; Kleemann 1939b, 217), Corben „Fund100 Grundlagen berühmte Gräberfeld von Dollkeim, das neben Gräbern der Römischen Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit auch zahlreiche Bestattungen des 8.–12. Jahrhunderts geliefert hat (Hollack 1908, 28; La Baume 1940; 1941b). Es dürfte eine besondere Rolle in der Gegend eingenommen haben, wie sich aufgrund der besonders reich ausgestatteten Gräber erkennen lässt. Ein unter dem Fundplatznamen „Wikiau“ erfasster Bestattungsplatz, der aber mit einem Grabfund des 13. Jahrhunderts als schon frühordenszeitlich einzustufen ist (Gaerte 1929, 329 Abb. 261), dürfte mit den beiden Grabhügeln mit Körperbestattungen des 13. Jahrhunderts gleichzusetzen sein, die von Heydeck (1877; 1909) im Wäldchen „Kunterstrauch“ nordwestlich von Wiskiauten ausgegraben worden sind. Kleemann (1939b, 224) führt den Fundplatz als „Fundstelle Wosegau 2“. Hinzu kommen Fundstellen, die durch die Forschungen russischer Wissenschaftler lokalisiert werden konnten. Insbesondere Kulakov (1990) erstellte eine Übersicht über die Fundplätze des 6.–13. Jahrhunderts in der Region. Hierdurch können dem bereits dichten Bild weitere Gräberfelder und vor allem Siedlungen und Burgwälle hinzugefügt werden. Besonders die Datierungen der Siedlungen sind jedoch nicht immer vorbehaltlos zu übernehmen, da als Datierungshinweis in vielen Fällen offenbar nur Drehscheibenkeramik vorliegt. Auch die Definition als Siedlung muss für jede einzelne Fundstelle überprüft werden, da vielfach lediglich Keramikkonzentrationen oder ein kleiner Ausgrabungsschnitt mit einem Grubenbefund als Hinweis auf eine Niederlassung gedeutet wird, obwohl keinerlei Hausbefunde oder Kulturschichten dokumentiert worden sind. Zumindest finden sich in den meisten Fällen keine schlüssigen Beweise, dass es sich tatsächlich um eine Siedlung und nicht etwa um eine isoliert gelegene Abfallgrube oder eine Keramikkonzentration handelt, die nicht direkt auf eine Siedlung an dieser Stelle zurückzuführen ist. Klarer ist die Ansprache einiger Fundstellen als Befestigungsanlage oder Burgwall, da diese immer durch einen Wall oder eine fortifikatorische Anlage und eine erhöhte topographische Lage gekennzeichnet stelle unbekannt“ (Kleemann 1939b, 218), Dorben „Fundstelle 2“ (ebd. 218), Gunthenen „Fundstelle 1“ (ebd. 219), Wargenau „Fundstelle 2“ (ebd. 223). 67 sind. Am sichersten ist die Zuordnung von Fundplätzen zur Kategorie der Gräberfelder, da sie über archäologisch untersuchte Bestattungen definiert werden. Insgesamt sind für die Umgebung des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten 20 Fundstellen mit Anzeichen auf Siedlungstätigkeiten, fünf als Burgwälle oder Befestigungsanlagen zu deutende Plätze, 23 Flachgräberfelder, zwei als Hortfunde interpretierte Fundstellen sowie sechs Fundstellen von Einzelfunden belegt (vgl. Abb. 19 und Liste E.2.1101). Der Großteil gehört dem 10.–14. Jahrhundert an. Nur wenige sind früheren Zeiträumen zuzuordnen. Es lässt sich im Frühmittelalter also eine Vielzahl von Fundplätzen feststellen, die auf eine dichte Besiedlung der Region hindeuten und vor deren Hintergrund auch der Fundplatz Wiskiauten betrachtet werden muss. A.7.2.4.1 Fundstellen mit Siedlungsspuren Der Sammlung von Fundstellen, an denen sich ein Niederschlag menschlicher Siedlungstätigkeit zeigt, sind grundsätzliche quellenkritische Überlegungen vorauszuschicken. In diese Untersuchung flossen die Ergebnisse verschiedener Forscher aus unterschiedlichen Forschungsetappen mit uneinheitlicher Untersuchungsmethodik und vielgestaltiger Quellenbasis ein. Der Begriff „Siedlung“ umfasst hier alle Fundstellen, an denen sich ein Niederschlag menschlicher Siedlungstätigkeit nachweisen lässt, auch wenn über Charakter oder Dauer der vermuteten Siedlungsstelle zu wenige Angaben vorliegen, um eine echte Wohnstelle oder Niederlassung vermuten zu können. Eine Unterscheidung nach den Begrifflichkeiten „Niederschlag menschlicher Tätigkeit“, „wahrscheinlich Siedlung“ und „Siedlung“, wie sie jüngst Wehner (2007, 23) bei der Analyse der Siedlungstätigkeiten im Umfeld des frühgeschichtlichen Seehandelsplatzes Wolin vorschlug, kommt hier nicht zur Anwendung, da die Datenbasis dafür zu gering erscheint. Das Originalfundmaterial der deutschen Forschungsetappe ist durch die Verlagerungsgeschichte der Prussia-Sammlung stark eingeschränkt, und die Informationen der russischen Forschung sind aufgrund der weitgehenden Unzugänglichkeit der rusIn Liste E.2.1 sind die wichtigsten Literaturangaben und die Datierung der Fundplätze angegeben. 101 68 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung sischen Museen in ihrer Verwendbarkeit ebenfalls beschränkt. Jegliche Einteilung der Fundplätze in die oben genannten Kategorien wäre mit großer Unsicherheit behaftet. Trotzdem ist durch die Auswertung der verfügbaren Quellen eine in Ansätzen zutreffende Rekonstruktion der frühgeschichtlichen Siedlungslandschaft möglich. Sehr überraschend scheint zunächst das dichte Siedlungsgeflecht in der unmittelbaren Umgebung von Wiskiauten zu sein, das sich besonders aus den Feldforschungen Kulakovs (1990) ableiten lässt und sich augenscheinlich auf den Bereich um Wikiau/Klincovka konzentriert. Hier liegt auch die älteste, für den hier besprochenen Zeitraum relevante Fundstelle mit Siedlungsspuren von Klincovka-Kamenka 4 (vgl. Abb. 19 Nr. 1), die in das 5. - 7. Jahrhundert datieren soll (Kulakov 1990, 51 Nr. 34). Im 6. Jahrhundert beginnt der Siedlungskomplex Klincovka-Kamenka 3 (vgl. Abb. 19 Nr. 2; ebd. 51 Nr. 35), der bis ins 11. Jahrhundert genutzt worden sein soll und somit zeitgleich mit dem Hügelgräberfeld Kaup Bestand gehabt haben muss. Für das 9. Jahrhundert nimmt Kulakov (ebd. 50 Nr. 26; vgl. Abb. 19 Nr. 3) das Entstehen der von ihm als Siedlung Kaup bezeichneten Niederlassung im Südwesten des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten an (zur Diskussion um diese Siedlung vgl. Kap. C.2). Sie soll bis ins 11. Jahrhundert, also bis zur Endphase der Belegung des Hügelgräberfeldes bestanden haben und neben einer Befestigung auf dem steinzeitlichen Hügel im Osten der Nekropole im Südwesten auch durch einen Wall geschützt gewesen sein. Im 10. Jahrhundert entsteht nach Kulakov (ebd. 50 Nr. 24) eine Siedlung bei Wosegau/Vishnevoe (vgl. Abb. 19 Nr. 6a), ihr Ende wird ins 14. Jahrhundert verlegt (ebd.). Sie muss demnach zur Hauptnutzungsphase des Hügelgräberfeldes gegründet worden sein. Hier konnte Kulakov (ebd.) im Jahr 1979 eine Keramikkonzentration von 120x50 m an der Oberfläche dokumentieren, in der Drehscheibenkeramik, Ofenkacheln und ein Fragment einer Bronzeschnalle geborgen wurden. Die Fundstelle liegt etwa 100 m südlich des Dorfes Wosegau/Vishnevoe auf einem Acker. Sie lässt sich mit den in Messfläche D in Anomalienkonzentration AK2 (vgl. Kap. C.4.4.4.2) erfassten Strukturen in Deckung bringen. Während der Feldforschungen der Jahre 2005–2007 sind hier zahlreiche Keramikscherben als Streufunde beobachtet worden, zusätzlich auch Schlacken und Tierknochenfragmente. Aus diesem Bereich liegt aus der durch Bohrungen überprüften Anomalie an_9/06 ein Radiokarbonalter von BP 845 +/- 23 vor. Dementsprechend gehört dieser Befund in den Zeitraum von 1160–1259 vor102. Die benachbarten Anomalien an_48/07 und an_49/07 lieferten mit Radiokarbonaltern von BP 915 +/- 20 bzw. BP 905 +/- 50 ähnliche zeitliche Hinweise. Demnach ist an_ 48/07 in die Zeit zwischen 1034 und 1187 und an_49/07 in die Zeit zwischen 1022 und 1222 zu datieren. Als Einzelfunde sind aus diesem Bereich neben einigen Bronzeblechfragmenten und anderen metallenen Kleinfunden (vgl. Kap. C.4.4.4.2) ein im März 2007 gefundenes Fragment einer Ringfibel mit kolbenförmig verbreiterten Enden und ein Kleiderverschlusshaken mit Tremolierstichverzierung aus Bronze sowie zwei ösenartige Aufhängungsbeschläge anzuführen. Insbesondere die Fibel lässt sich als spätes Exemplar baltischer Ringfibeln identifizieren und gibt durch die Einordnung ins 12.–13. Jahrhundert (Salmo 1956, 84ff.; ThunmarkNylén 2006, 115) Anhaltspunkte für eine Datierung des gesamten Komplexes. Im Jahr 2007 konnten diesem Ensemble weitere Streufunde an die Seite gestellt werden, die diese Datierung stützen. Es handelt sich um den Knopf einer bronzenen Fibel mit vasenförmigen oder mohnkopfförmigen Endknöpfen, der einen im Baltikum allgemein verbreiteten Fibeltyp darstellt und überwiegend aus Fundkomplexen des 12. oder anfänglichen 13. Jahrhunderts stammt (Salmo 1956, 54; Thunmark-Nylén 2006, 97; 109), aber auch schon im 11. Jahrhundert auftreten soll (Salmo 1956, 54). An weiteren Funden sind eine einfache Bronzeschnalle und ein bandförmiger Fingerring anzuführen, die dieser Datierung nicht widersprechen. Der etwas früher aufgegebene, aber ebenfalls im 10. Jahrhundert entstandene Siedlungskomplex Bledau/Sosnovka (Kulakov 1990, 50 Nr. 22; vgl. Abb. 19 Nr. 5) ist bereits von deutDieser Befund wurde im Sommer 2008 durch Fläche 19 angegraben. Es dürfte sich um einen Brunnen oder einen Keller handeln. Bei den Ausgrabungen wurden ein Knochenkammfutteral des 12. Jahrhunderts sowie viele Fragmente von Drehscheibenkeramik geborgen. 102 Grundlagen schen Archäologen lokalisiert worden. Diese Siedlung wurde teilweise durch Grabungen erfasst. Nach der Untersuchung mehrerer obertägig erkennbarer Brandstellen wurden dabei zehn mit Steinen ausgekleidete Gruben mit Holzkohle und vor allem Eisenschlacken dokumentiert und als Werkstattbereich oder Verhüttungsplatz einer nahegelegenen Niederlassung interpretiert (Engel 1934, 13; Kleemann 1939b, 217), die über eine Silbermünze eines „Deutschen Kaisers“ aus dem 10. Jahrhundert vorläufig datiert wurde. Die Entfernung zum Gräberfeld von Wiskiauten ist mit ca. 2,5 km relativ gering, aber doch zu groß und zusätzlich durch die breite Niederung räumlich getrennt, als dass hier die zur Hügelgräbernekropole gehörende Siedlung vermutet werden könnte. Kleemann (1939b, 212) stellte einen Bezug zu dem von ihm postulierten Marktort der Prussen her, der in der Nähe von Bledau gelegen haben soll. Durchaus ist bei einer tatsächlichen Gleichzeitigkeit mit dem Gräberfeld eine Verbindung mit der vermuteten Niederlassung von Wiskiauten zu unterstellen, die als funktional ausgegliederter Siedlungsbereich oder als Versorgersiedlung interpretiert werden könnte. Für eine sichere Entscheidung ist die Datenbasis zu jedoch gering. Etwas weiter entfernt liegt nordwestlich des Fundplatzes Wiskiauten die bereits im 10. Jahrhundert entstandene Siedlung von Wargenau/ Malinowka 2 (vgl. Abb. 19 Nr. 7). Sie wird im 14. Jahrhundert aufgegeben (Kulakov 1990, 50 Nr. 28). Ebenfalls im 10. Jahrhundert soll eine Siedlung in Lobitten/Lugovskoe (vgl. Abb. 19 Nr. 4) gegründet worden sein, die bis ins 13. Jahrhundert belegt ist (ebd. 49 Nr. 15). Eine Vielzahl von Fundstellen mit Siedlungsspuren entsteht offenbar im 11. Jahrhundert. Sie konzentrieren sich auf die Gegend um Wikiau/Klincovka: Siedlungen Klincovka 1, 6 und 7 (Kulakov 1990, 50 Nr. 29–31; vgl. Abb. 19 Nr. 8–10) sowie Siedlung Klincovka 3 (ebd. Nr. 27; vgl. Abb. 19 Nr. 16). Ihre Entdeckung geht ausschließlich auf russische Forschungen zurück. Die Datierung bis ins 13. Jahrhundert für die Siedlungen Klincovka 1, 6 und 7 bzw. ins 14. Jahrhundert für die Siedlung Klincovka 3 erfolgte über handgemachte bzw. drehscheibengefertigte Keramik, teilweise wurden Kulturschichten bis zu einer Mächtigkeit von 69 0,6 m dokumentiert (ebd.). Eine weitere Konzentration von als Siedlungen interpretierten Fundstellen liegt bei Michelau/Kamenka. Die vier Siedlungen Kamenka 1, 3, 4 und Klincovka-Kamenka 1 sollen vom 11.–13. Jahrhundert Bestand gehabt haben (Kulakov 1990, 51 Nr. 33, 36–38; vgl. Abb. 19 Nr. 12–15). Datierungshinweise wurden ebenfalls ausschließlich über Keramikstreufunde gewonnen und sind aufgrund der fehlenden typologischen Untersuchungen zur Keramik in der Region mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Gleiches gilt für die bei Mülsen/Holmy (vgl. Abb. 19 Nr. 11) angenommene Siedlung, die als einzige Fundstelle mit Siedlungsspuren dieser Zeit im Süden Wiskiautens liegt. Sie wird ins 11.–13. Jahrhundert datiert (ebd. 51 Nr. 32). Bereits ins 12. Jahrhundert fällt die Entstehung der Siedlungsstelle Eisseln/Beregovoe (ebd. Nr. 39; vgl. Abb. 19 Nr. 17), die offenbar im 13. Jahrhundert wieder aufgegeben wird. Eine ebenfalls im 12. Jahrhundert gegründete und bis ins 15. Jahrhundert belegte Niederlassung soll bei Wiskiauten/Mohovoe (ebd. Nr. 25; vgl. Abb. 19 Nr. 18) gelegen haben. Abgesehen von der Größe, die mit 30 x 20 m angegeben wird, und dem Hinweis auf Fragmente von Drehscheibenkeramik (ebd.) sind keine weiteren Informationen bekannt. Wo die Siedlung liegen soll, bleibt unklar und ist aus der Karte (ebd. 48 Abb. 24) nicht eindeutig abzulesen. Als Siedlungen des 13. und 14. Jahrhunderts gelten die Fundstellen bei Wosegau/Vishnevoe (Kleemann 1939b, 224 „Fundstelle 4“) und bei Dorben/Gusevo (ebd. 218 „Fundstelle 2“). Trotz der manchmal zweifelhaften Deutung einiger Fundstellen als Siedlung sind insbesondere die Bereiche nordwestlich und westlich von Wiskiauten demnach als besonders bevorzugte Siedlungsgebiete zu erkennen. Nach einer nur durch zwei Siedlungen belegten Phase des 5.–9. Jahrhunderts und dem Beginn der von Kulakov (1990, 51 Nr. 26) postulierten Niederlassung Kaup, die mit dem Hügelgräberfeld in Verbindung stehen soll, beginnt im 10. Jahrhundert offenbar eine Phase mit erhöhter Siedlungsaktivität (vgl. Abb. 21). Gleich vier Siedlungen scheinen in dieser Zeit aufzukommen, drei davon mit einer Entfernung von maximal 4 km in räumlicher Nähe zum Fundplatz Wiskiauten. Im 11. Jahrhundert steigt die Zahl der Siedlungsgründungen 70 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung insgesamt neun Fundstellen von sechs auf 15 an. Fast alle Niederlassungen bleiben dabei bis ins 13. Jahrhundert bestehen, während andere sogar bis ins 14. oder 15. Jahrhundert nachweisbar sind. Aus diesen Beobachtungen lässt sich vorsichtig ein Bevölkerungszuwachs konstatieren, der mit einer verbesserten wirtschaftlichen Situation einhergehen könnte. Ob dieser Aufschwung durch die im 9. Jahrhundert initiierten oder intensivierten Handelsbeziehungen nach Skandinavien beeinflusst oder gar gestartet wurde, lässt sich nicht beweisen, ist aber als einer von vielen Faktoren denkbar und sogar wahrscheinlich. Für das 12. und 13. Jahrhundert wird ein Bevölkerungsanstieg der gesamten Region angenommen, der sich im 14. Jahrhundert fortsetzt (Biskup/Labuda 2000, 89). Die große der Zahl der Siedlungsneugründungen, die sich nach den Feldforschungen Kulakovs (1990) ergeben, sprächen bei gesicherter Deutung und Datierung dafür, dass dieser Bevölkerungsanstieg bereits im 11. Jahrhundert einsetzte. Die nur sehr gering durch Fundstellen belegte Siedlungsphase nach dem Ausklang der völkerwanderungszeitlichen Dollkeim-Kovrovo-Kultur und vor dem sich abzeichnenden Siedlungsaufschwung ab dem 9. Jahrhundert deckt sich mit der allgemeinen Fundstellenarmut dieser Zeit im Samland und in den angrenzenden Landschaften. A.7.2.4.2 Burgwälle Für die Umgebung von Wiskiauten liegen insgesamt fünf Hinweise auf Burgwälle oder Befestigungsanlagen vor. Die vermutlich auf das 12. Jahrhundert zurückgehenden Wallanlage „Försterdamm“ oder „Schwedendamm“ liegt nordöstlich des Fundplatzes Wiskiauten und zieht sich vom ehemaligen Cranzer Hafen in Richtung Norden bis Cranz/Selenogradsk (vgl. Abb. 19 Nr. 21). Die Anlage ist wahrscheinlich zur Ordenszeit errichtet worden (Kleemann 1939a, 8), obgleich auch ein früheres Entstehen möglich scheint (ebd.). Der heute nicht mehr erhaltene Wall gehört zusammen mit dem sog. Garbick103 (vgl. Abb. 19 Nr. 25) zu einer vielfach diskutierten Fundstelle. Der Garbick selbst, dem Namen nach eine kleine Anhöhe am Fluss Beek, befand sich knapp südlich des Zu den alternativen Bezeichnungen Gorbeck, Gorbik, Garbeek, Garbicksberg vgl. Kleemann (1939a, 9). 103 späteren Hafens von Cranzbeek an einer Stelle, wo der Fluss Brast/Trostjanka sehr schmal und ein Übergang deshalb leicht zu bewerkstelligen ist. Aus diesem Grund nimmt die zwischen 1826 und 1850 gebaute Straße von Bledau nach Cranz noch heute diesen Verlauf. Die kleine Anhöhe wird von Kleemann (1939a, 9) als Kiesinsel angesprochen, was durch die geologische Karte zumindest ansatzweise bestätigt wird, da sich an dieser Stelle eine Lehminsel im sonst sumpfigen Niederungsgebiet am Flusslauf der Brast/Trostjanka befindet. Auf dieser Anhöhe soll nach Schlicht (1922, 286) „einst eine Preußenburg“ gestanden haben. Für das frühe 13. Jahrhundert wird ein Zusammenhang mit dem Bischof Christian für möglich gehalten, der von den Samländern im Zuge der Auseinandersetzungen mit dem deutschen Orden hier gefangen gehalten worden sein soll (ebd.; Kleemann 1939a, 10). Erst für das Jahr 1352 liegt jedoch eine gesicherte Erwähnung des Platzes vor (Beckherrn 1898, 159ff.). Für die Zeit der Hauptbelegungsphase des Hügelgräberfeldes sind keine archäologischen Hinweise auf Siedlungstätigkeiten auf dem Garbick vorhanden. Lediglich der von seinen Fundumständen nicht eindeutig geklärte Hortfund (vgl. Abb. 19 Nr. 49), der Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin aufgetaucht (vgl. Kap. A.7.2.4.4) ist, gibt mit seiner Datierung in die Zeit um 1000 (Kleemann 1939b, 217) einen Anhaltspunkt, dass diese Fundstelle in das Siedlungsgeschehen dieser Zeit einbezogen war. Ein als Burgwall interpretierter Fundplatz etwa 3 km südöstlich von Wiskiauten ist in der Literatur unter dem Namen „Galgenpusch“ bekannt (Kleemann 1939a, 6; vgl. Abb. 19 Nr. 24). Die von einem niedrigen Wall umgebene Anlage mit einer Größe von 50 x 55 m104 scheint eine prussische Anlage zu sein, die Kleemann (ebd.) als „Sperrfeste“ oder „Vorposten“ der Prussen gegen die Skandinavier interpretierte. Die Zeitstellung der Anlage ist unklar. Durch die räumliche Nähe zu einem knapp südlich davon liegenden Gräberfeld der Römischen Kaiserzeit ist auch eine frühere Datierung denkbar (Hollack 1908, 106; Kleemann 1939a, 6; 1939b, 221 „Nuskern, Fundstelle 1“), wenngleich auch das nur wenig östlich gelegene Gräberfeld von Volnoe/Schulstein (vgl. Abb. Abweichende Angaben zur Größe bei Kulakov (1990, 50 Nr. 23): Größe 20 x 25 m, Wallhöhe 2 m. 104 Grundlagen 19 Nr. 34) mit dem Galgenpusch in Verbindung gebracht wird (Kleemann 1939a, 6). Dieses Gräberfeld soll Bestattungen des 9. bis 14. Jahrhunderts enthalten haben (Hollack 1908, 147; Kleemann 1939b, 216). Ein wichtiger, als Burgwall zu interpretierende Fundplatz ist der sog. Hünenberg bei Ekritten/Vetrovo (vgl. Abb. 19 Nr. 22). Er liegt außerhalb des hier betrachteten Arbeitsgebietes, soll aber trotzdem nicht unerwähnt bleiben. Dieser Burgwall ist schon mehrfach in der Literatur behandelt worden105. Er scheint als prussische Wehranlage angelegt worden zu sein. In Schriftquellen aus dem Jahr 1274106 ist der Name Nogympte überliefert (Crome 1935, 102). Die Burganlage spielte wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Eroberung Preußens durch Ottokar von Böhmen und den Deutschen Orden im Jahr 1254 eine wichtige Rolle (ebd. 101). Die Burgwallanlage von Ekritten gehört mit drei weiteren Fundplätzen zu einer Reihe von Anlagen, die sich auf einen Bereich etwa 7-8 km südlich von Wiskiauten konzentrieren. Es handelt sich um die Burgwälle vom Schanzenberg bei Jouglauken im Forst Grünhoff (Salemke 2005, 7/30), Mogahnen im Forst Grünhoff (ebd. 7/34) und den Amtsberg bei Rudau am Mühlenteich (ebd. 7/36). Zusammen mit den zahlreichen Gräberfeldern von Ekritten ergibt sich eine dichte Besiedlung, die auf ein lokales Zentrum hindeuten dürfte. Auch im Westen von Wiskiauten liegen in etwa 10 km Entfernung mehrere Burgwallanlagen in dichter Konzentration. Hierzu gehören die Fundplätze Pilgar bei Diewenz (ebd. 7/25), der Schlossberg westlich von Barthenen (ebd. 7/28) und die sog. Schanze bei Kringitten (ebd. 7/29). Abgesehen von dem oben erwähnten kleinen Rundwall „Galgenpusch“ und der unsicheren Burgwallanlage des „Garbick“ weist die direkte Umgebung von Wiskiauten keine fortifikatorischen Anlagen auf. Auch die Siedlung, die Kulakov im Südwesten des Gräberfeldes in der Kaup lokalisiert haben will und die er mit dem Namen Kaup belegt, hat nach neueren Untersuchungen keine Befestigungssysteme aufzuweiVoigt 1828; Hollack 1908, 32; Crome 1935; 1939, 306; Kulakov 1990, 49 Nr. 16. 105 Preußisches Urkundenbuch Bd. I, 218 (Ordensfoliant 107, 212: Der Freyen uff Samlandt Handfesten). 106 71 sen. Weder der von Kulakov mittels Luftbild lokalisierte Wall 100 m südlich des Waldes noch die in 50 m Entfernung von der südlichen Waldkante liegenden Spuren einer angeblichen Befestigung, die Kulakov (2006b) im Jahr 2005 ausgegraben hat, sind sicher nachweisbar oder datierbar. A.7.2.4.3 Gräberfelder Die größte Zahl an Fundstellen in der Umgebung von Wiskiauten machen Gräberfelder aus. Die Interpretation als Gräberfeld ist insofern zuverlässig, als in allen Fällen Grabfunde zugrunde liegen. Insgesamt sind aus archäologischen Forschungen Hinweise auf 23 Bestattungsplätze im Untersuchungsgebiet bekannt, die fast ausnahmslos Brandbestattungen aufweisen, lediglich die Nekropolen von Volnoe/ Schulstein und Vishnevoe/Wosegau (Kunterstrauch) sind mit Körpergräbern belegt. Einige dieser Nekropolen sind offenbar nach der Nutzung durch die kaiserzeitliche und völkerwanderungszeitliche Dollkeim-KovrovoKultur im Frühmittelalter wiederbelegt worden. Dazu zählt insbesondere das berühmte Gräberfeld von Dollkeim/Kovrovo (Hollack 1908, 27-28; vgl. Abb. 19 Nr. 26), das etwa 6 km westlich von Wiskiauten liegt und auch frühmittelalterliche Waffen wie Schwerter, Lanzenspitzen und Steigbügel mit skandinavischer Prägung geliefert hat (Engel 1935b, 71). Die Bestattungsform in Brandgräbern in Kombination mit Pferdebestattungen ist jedoch rein prussisch, so dass die Funde entweder als Importe angesehen werden müssen oder von skandinavischen Personen stammen, die einheimische Bestattungssitten übernommen haben. Gegenstände skandinavischer Frauentracht fehlen hier. Eine zugehörige Siedlung konnte bisher nicht lokalisiert werden. Im Nordwesten des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten zeigt sich bei den Kartierungen eine dichte Konzentration von Bestattungsplätzen. Problematisch ist dabei die genaue Lokalisierung insbesondere der durch russische Forschungen dokumentierten Fundstellen, die weder den publizierten Katalogen (Kulakov 1990) noch den zugehörigen Originalberichten (vgl. Verweise bei Kulakov 1990) eindeutig zu entnehmen ist. Trotz ungenauer Verortung bei den entsprechenden, namengebenden Ortschaften offenbart sich dennoch 72 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung eine Verdichtung im Bereich der Orte Malinovka, Klincovka und Kamenka. Hierzu gehören die Gräberfelder von Klincovka 2 (vgl. Abb. 19 Nr. 28) und Malinovka (vgl. Abb. 19 Nr. 29), die beide ins 5. - 8. Jahrhundert bzw. 6.–8. Jahrhundert gehören sollen (Kulakov 1990, 81). Diese Datierungen lassen sich nicht überprüfen, da die Funde unpubliziert geblieben sind. Ebenfalls aus dieser Zeit, nämlich aus dem 7. und 8. Jahrhundert, soll das Gräberfeld 1 von Vetrovo/Ekritten (ebd. Nr. 68) stammen. Diese Einordnung wird durch Hollack (1914, 283) bestätigt, wobei dieser auch kaiserzeitliche Funde aufführt. Etwa 2 km entfernt liegt das zweite Ekrittener Gräberfeld, dass zuerst von Heydeck (1890) untersucht worden ist. Kulakov (1990, 81) datiert die ausgedehnte Nekropole mit ihren insgesamt mindestens 44107 Bestattungen ins 7.–13. Jahrhundert, während Bezzenberger (1897, 36) lediglich Funde der jüngeren Römischen Kaiserzeit sowie der Wikingerzeit und spätheidnischen Zeit aufführt. Das 7. und 8. Jahrhundert fehlen hier also. Hollack (1908, 32) kannte beide Gräberfelder von Ekritten und gibt für das zuerst von Heydeck entdeckte Gräberfeld108 als Belegungszeit die Perioden C, G und H an, für das zweite Gräberfeld109 dagegen, das Hollack (1914, 281) bereits 1905 ausgegraben hatte, die Perioden B, E und H. Ungeachtet dieser mitunter abweichenden Datierungen sind für den Fundplatz Ekritten Bestattungen aus der Kaiserzeit, Völkerwanderungszeit und Wikingerzeit sowie spätheidnischen Zeit und damit des 2.–7. sowie des 9.–13. Jahrhunderts anzunehmen. Ein drittes Gräberfeld bei Ekritten soll aus dem 11. Jahrhundert stammen (Kulakov 1990, 81 Nr. 70 mit weiterführender Literatur; vgl. Abb. 19 Nr. 39). Von besonderer Bedeutung ist das Gräberfeld von „Klincovka 1“ etwa 1,5 km westlich von Wiskiauten, das Kulakov (1990, 73 Nr. 61) mit dem Namen „Irzekapinis“ belegt hat. Diese Benennung erfolgte offenbar aufgrund der in Heydeck (1890) listet 44 Bestattungen und diverse Einzelfunde, die vermutlich aus zerstörten Gräbern stammen. Die Gesamtzahl an Bestattungen dürfte höher sein. 107 Der Fundplatz entspricht der Katalognummer 69 bei Kulakov (1990, 81 Nr. 69). 108 Der Fundplatz entspricht der Katalognummer 68 bei Kulakov (1990, 81 Nr. 68). 109 historischen Quellen überlieferten Grenzmarke mit dem Flurnamen „Irzekapynis“, den Kleemann (1939a, 6) der prussischen Sprache zuordnete und mit „Ruder- oder Schiffsgrab“ übersetzte. Er wird in dieser Form im Zuge der Grenzfestlegung zwischen Deutschem Orden und dem Bischof von Samland im Jahr 1331 (Woelky/Mendthal 1891, 192 Nr. 270) erwähnt. Schon Kleemann (1939a, 6) hatte vergeblich versucht, die Lage dieser Grenzmarke zu identifizieren, die er in der „Gegend von Bledau“ vermutete (ders. 1939b, 212). Die Gleichsetzung mit dem Gräberfeld von Klincovka 1 ist aus mehreren Gründen unwahrscheinlich. Zum einen sind bei der Grenzfestlegung immer auffällige Geländemerkmale wie beispielsweise das große steinzeitliche Hügelgrab in der Kaup bei Wiskiauten gewählt worden. Die Wahl eines obertägig nicht sichtbaren Flachgräberfeldes als Grenzmarke scheint daher unlogisch. Zum anderen deutet abgesehen von einigen Funden von Nieten mit je zwei viereckigen Nietplatten aus den Gräbern 1 (Kulakov 1990, Taf. 33), 7 (ebd. Taf. 65, 1), 16 (ebd. Taf. 44), 36 (ebd. Taf. 52), 62 (ebd. Taf. 62, 3), 83 (ebd. Taf. 67, 2) und 91 (ebd. Taf. 70, 1), die vorsichtig als Schiffsniete interpretiert werden könnten, kein Befund oder Fund auf Bestattungen in Schiffen im Gräberfeld Klincovka 1 hin. Zusätzlich macht die Lage des Punktes keinen Sinn im Grenzverlauf, denn vom Endpunkt der Grenze in der Nähe des Kurischen Haffs verlief die Grenze über einen Grenzpfahl auf dem Steinzeithügel der Kaup in gerader Linie bis zum gesuchten Punkt „Irzekapynis“ (Kleemann 1939a, 6). Die beiden folgenden Pfähle in der Gegend von Nuskern sind nicht überliefert, erst vom viertnächsten Punkt ist die Lage bei Rudau bekannt. Die Lage nordwestlich des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten bei Klincovka ist abwegig, da sich die Grenze in diesem Fall von einer Stelle „an der Beek in der Nähe des Kurischen Haffs“ (ebd.) in der Nähe der späteren Ordensburg „Neuhaus“ zunächst nach Westen, ab dem Steinzeithügel in der Kaup aber offenbar Richtung Süden wandte. Die Gleichsetzung mit einem Punkt nordwestlich der Kaup wäre demnach ein extrem bogenförmiger Grenzverlauf. Ungeachtet der Diskussion um die Gleichsetzung des Gräberfeldes Klincovka 1 mit dem „Irzekapynis“ muss dieser Bestattungsplatz als Grundlagen einer der reichsten und mit 121 untersuchten Brandgräbern vor allem als eine der am besten dokumentierten Nekropolen im Umfeld von Wiskiauten gelten. Nach Kulakov (1990, 71) war das Gräberfeld vom 8.–12. Jahrhundert in Nutzung. Abgesehen von den beiden Gräbern 116 (ebd. Taf. 72, 4) und 104 (ebd. Taf. 62, 2) liegen jedoch keine Hinweise auf Bestattungen des 8. Jahrhunderts vor. Aus Grab 116 ist eine achtförmige Schnalle, eine zweiteilige gebrochene Ringtrense sowie eine Riemenzunge überliefert, die keine klare Einordnung in das 8. Jahrhundert erlauben. In Grab 104 wird ein Paar trapezförmiger Steigbügel mit gerundeter Trittplatte zur Datierung herangezogen. Steigbügel dieser Form, die von mehreren samländischen Gräberfeldern bekannt sind110, sind mit dem von Świętosławski (1990, 41) definierten Typ VIII vergleichbar, der in Polen in das 12. und 13. Jahrhundert datiert wird. Im natangischen Gräberfeld von Groß Ottenhagen/Berezovka gehören Steigbügel dieser Form wie die anderen samländischen Exemplare ins 10. oder 11. Jahrhundert (Ibsen/ Skvorzov 2004, 430). Auch aus dem Gräberfeld von Klincovka 1 (Irzekapinis) sind aus Grab 14 (Kulakov 1990, Taf. 42, 1) ähnliche Steigbügel bekannt, die an dieser Stelle ins 10. Jahrhundert eingeordnet werden (ebd. 74). Für einen Belegungsbeginn des Gräberfeldes Klincovka 1 (Irzekapinis) bereits im 8. Jahrhundert liegen daher keine konkreten Anhaltspunkte vor. Auch mit den Funden aus den Gräbern 89 (ebd. Taf. 69, 3), 94 (ebd. Taf. 71, 1) und 98 (ebd. Taf. 70, 3) sind Gegenstände überliefert, die keinen eindeutigen Belegungsbeginn im 9. Jahrhundert markieren. Die Masse der Gräber wird ins 10. Jahrhundert (40 Stück) oder 11. Jahrhundert (76 Stück) datiert (Kulakov 1990, 73ff.). Nur wenige Gräber111 gehören dem 12. Jahrhundert an. Kulakov (1999b, 177112) sieht ein plötzliches Ansteigen von reichen Waffenausstattungen im 10. Vgl. die Exemplare von Nastrehnen, Kr. Fischhausen (Gaerte 1929, 345 Abb. 278a), Kösnicken, Kr. Fischhausen (Engel 1935a, 119 Abb. 61b) oder Bludau, Kr. Fischhausen Grab 71 (Bezzenberger / Peiser 1914, 245 Abb. 91). 110 Gräber 56 (Kulakov 1990, 77), 62 (ebd.) und 72 (ebd. 78). 111 Baranauskas (2004, 77) gibt eine Zusammenfassung in englischer Sprache. 112 73 Jahrhundert im Zusammenhang mit einer von Dänen gegründeten Siedlung von Wargenau/ Malinowka und betont, dass ab dieser Zeit auch Brandgräber in Schiffen auf dem Gräberfeld von Klincovka 1 (Irzekapinis) vorkommen. Befunde, die solche Schiffsbestattungen eindeutig belegen könnten, sind abgesehen von den erwähnten Nieten jedoch nicht publiziert worden. Gegenstände der skandinavischen Frauentracht wie Schalenfibeln sind in Klincovka 1 gleichfalls nicht beobachtet worden. Dieser Umstand spricht dafür, in diesem Gräberfeld einen rein prussischen Bestattungsplatz zu sehen. Das Vorkommen von wenigen skandinavischen Steigbügeln und Schwertern sowie Lanzenspitzen dürfte auf Handelstätigkeiten zurückzuführen sein. Abgesehen vom Gräberfeld Klincovka 1 liegt in der näheren Umgebung von Wiskiauten nur aus Malinowka/Wargenau ein einzelner Grabfund aus dem 9.–10. Jahrhundert vor (Kleemann 1939b, 223), der zeitlich mit der Hauptbelegungsphase des Hügelgräberfeldes Kaup zusammenfällt. Auch die beiden Gräberfelder von Sosnovka/Bledau (Kulakov 1990, 86 Nr. 99; vgl. Abb. 19 Nr. 36) und das stark zerstörte, aber ehemals sehr reiche Gräberfeld von Volnoe/Schulstein (Kleemann 1939b, 216; vgl. Abb. 19 Nr. 34), die beide im 10. Jahrhundert belegt gewesen sein sollen, liegen mit max. 3 km Entfernung noch in Sichtweite von Wiskiauten, befinden sich aber auf der östlichen Seite der Niederungsfläche und kommen deshalb nicht als Gräberfelder einer gemeinsamen Siedlung in Frage. Die ersten Bestattungen von Schulstein könnten schon ins 9. Jahrhundert zurückgehen (Hollack 1908, 147; Kleemann 1939b, 216). Die Masse der Funde aber gehört ins 10. oder 11. Jahrhundert, auch Funde des 13. oder 14. Jahrhunderts sollen geborgen worden sein (ebd.). In diese Spätphase dürften die in Schulstein vereinzelt vorkommenden Körpergräber einzuordnen sein. Brandgräber, oft kombiniert mit Pferdebestattungen, überwiegen jedoch deutlich (Hollack 1908, 147). Alle anderen Nekropolen mit Hinweisen auf Bestattungen des 10. Jahrhunderts, die alle bis mindestens ins 11. Jahrhundert belegt gewesen sein sollen, finden sich in weiterer räumlicher Entfernung. Hierzu zählen die Nekropolen von Oserovo/Transsau (Kleemann 1939b, 222; Kulakov 1990, 86 Nr. 99; vgl. Abb. 19 Nr. 74 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 35) und Murumskoe/Laptau (Kleemann 1939b, 220; Kulakov 1990, 72-73 Nr. 59; vgl. Abb. 19 Nr. 37). Im 11. Jahrhundert entsteht ein weiteres Gräberfeld bei Klincovka 3 (Kulakov 1990, 81 Nr. 63; vgl. Abb. 19 Nr. 40), dass wie die Gräberfelder Sokolniki/Weischkitten (Hollack 1908, 176; Kulakov 1990, 81 Nr. 65; vgl. Abb. 19 Nr. 41), Krasnoflotskoe/Corben (Gaerte 1928, 295; vgl. Abb. 19 Nr. 43) und Lugovskoe/Lobitten (Kleemann 1939b, 220; Kulakov 1990, 81 Nr. 66; vgl. Abb. 19 Nr. 44) bis ins 12. Jahrhundert genutzt worden sein soll. Während diese Nekropolen mehrere Kilometer entfernt liegen, stellt das Gräberfeld von Holmy/Mülsen (Friedrichshof) (Kleemann 1939b, 221; vgl. Abb. 19 Nr. 42) aufgrund seiner geringen Distanz von nur etwa 2 km zum Hügelgräberfeld in der Kaup und zu den in den Jahren 2005–2007 aufgedeckten Siedlungsspuren einen Fundkomplex dar, der direkt mit dem Siedlungsgeschehen rund um Wiskiauten in Verbindung stehen könnte. Ein schwer zu beurteilendes Gräberfeld liegt mit dem Fundplatz „Friedrichshof“ nur etwa 1 km südlich der Kaup (vgl. Abb. 19 Nr. 27). Es soll sich um ein Flachgräberfeld aus „spätheidnischer Zeit“ (Hollack 1908, 101) gehandelt haben, das in den Perioden G, H und I113 nach Bezzenberger (1904) genutzt worden sein soll. Wichtigste Quelle für diese Einordnung bildet die Fundkartei des Kreispflegers Sommer, die sich heute im Archiv des Archäologischen Landesmuseums Schleswig (Stiftung SchleswigHolsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf) befindet und die in den Nachlass von R. Grenz eingearbeitet ist. Dort findet sich unter Friedrichshof der Eintrag zu einem spätheidnischen Gräberfeld mit Pferdebestattungen aus Stufe H. An gleicher Stelle wird auch von Grabungen berichtet114. In der Fundstellenkarte des Kreispflegers Sommer ist neben den betreffenden Großbuchstaben, welche die Belegungszeit in den jeweiligen Stufen und somit auch Den Hinweis auf Bestattungen der Perioden H und I liefert eine Archivalie aus dem Nachlass von Rudolf Grenz im Archiv des Archäologischen Landesmuseums Schleswig, Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf, der ein Originaldokument von C. Engel zugrunde liegt. 113 Es findet sich der Eintrag: „21/25.9. und 1./4.10.34 durch Kirchner; Archiv. E.B. 291/34; Best.Verz. VIII 314/34.“ 114 die Lage der offenbar räumlich leicht separierten Gräberfeldzonen angeben, auch ein großes „E“ eingezeichnet, das ebenfalls als Angabe der Zeitstufe zu verstehen ist und an dieser Stelle auf Bestattungen der Völkerwanderungszeit aus Stufe E hinweisen dürfte. Absolutchronologisch entsprach diese Bezeichnung noch bis mind. 1935 dem Zeitraum zwischen 600 und 800 (Engel 1935b, 60; vgl. auch Kap. A.5.2). Die Funde selbst sind nicht erhalten, aber der erste Ausgräber Leutnant Wulff, der kurz zuvor auch die ersten Gräber in der Kaup bei Wiskiauten erschlossen hatte, gibt in seinem Grabungsbericht eine knappe Beschreibung der gefundenen Gegenstände (Wulff 1866), die ansatzweise als Datierungshinweise heranzuziehen ist. Ein einzelnes Gewicht ist bei La Baume/Wilczek (1940, 39 Abb. 4.1) abgebildet. Interessant ist dabei auch der Hinweis, dass die einzelnen Grabanlagen, von einem einfachen Steinkreis im Umfang der Gräber umgeben, in Bezug auf Konstruktion und Inhalt denen aus dem Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten auffallend ähnlich gewesen sein sollen (Wulff 1866). Allerdings handelt es sich offenbar überwiegend um Urnengräber, die in der Kaup nicht oft vorkommen (ebd.). Dennoch vergleicht Wulff (ebd.) die Scherben der zerdrückten Gefäße mit solchen aus der Kaup. Weiterhin sollen die Fibeln, beschrieben als „eigentümliche kreisförmige Gewandhalter“ (ebd.), die Waffen, einige eiserne Glocken sowie kleine Glocken aus Bronze ebenfalls mit den Wiskiautener Funden vergleichbar gewesen sein. Wenn man in Betracht zieht, das Wulff (1865) vermutlich bei seiner Grabung in der Kaup ein Jahr zuvor besonders den Bereich der später als „spätheidnischer Aschenplatz“ bezeichneten Nekropole mit vornehmlich einheimischen, prussischen Bestattungen untersucht hat, lässt sich dieser Vergleich eventuell dahingehend ausdeuten, dass auch bei Friedrichshof einheimische, prussische Gräber angeschnitten wurden. Die Datierung der Bestattungen von Friedrichshof wäre dann ebenso fraglich wie die der Gräber vom „spätheidnischen Aschenplatz“ von Wiskiauten. Die Beschreibungen der Funde von Friedrichshof sind dürftig, weisen aber durch das Vorhandensein von Steigbügeln und Schwertfragmenten sowie eines Ortbandes und kleiner Bronzeglocken eher auf die „spätheidnische Grundlagen Zeit“ als auf die Völkerwanderungszeit hin. Für die Bestattungen der Völkerwanderungszeit liegen also abgesehen von der Erwähnung in der Fundkartei des Kreispflegers Sommer nach wie vor keine konkreten Beweise vor, das Vorhandensein von Gräbern der Stufen G, H und I dagegen ist ansatzweise nachweisbar. Von regulären Grabungen in den Jahren 1933 und 1934 berichtet Kleemann (1939b, 221). Dabei sollen insgesamt 14 Gräber untersucht und zahlreiche Einzelfunde geborgen worden sein. Das Gräberfeld soll nach Kleemann (ebd.) ins 11. und 12. Jahrhundert gehören. Ob es mit mehreren Einzelfunden von Steigbügeln und Trensen bei Mülsen („Fundstelle 4“) (ebd.; vgl. Abb. 19 Nr. 48) zusammenhängt, ist unklar. Dagegen spricht die deutliche räumliche Entfernung von mehr als 200 m, auch Datierungshinweise für dieses zweite Gräberfeld bei Mülsen fehlen bisher115. Zusammen mit dem sog. „spätheidnischen Aschenplatz“ im Ostteil des Wäldchens Kaup (vgl. hierzu Kap. B.3.2.3) könnte das Gräberfeld von Friedrichshof als Bestattungsplatz der prussischen Bevölkerungsteile fungiert haben, die in der möglicherweise polyethnischen Siedlung von Wiskiauten gelebt haben. Falls sich die schwachen Hinweise auf Bestattungen der Stufe E in der Zukunft bestätigen sollten, könnte die Nekropole mit der in den Jahren 2005–2007 lokalisierten Siedlung des 6.–8. Jahrhunderts im Osten des Gräberfeldes von Wiskiauten in Zusammenhang stehen. Bereits ins 12. Jahrhundert gehören die beiden Gräberfelder von Nadeschdino/Twergaiten (Kleemann 1939b, 222; Kulakov 1990, 82 Nr. 73; vgl. Abb. 19 Nr. 46) und das vom 12.–14. Jahrhundert in Nutzung stehende Gräberfeld von ehemals Stangenwalde auf der Kurischen Nehrung (Kulakov 1990, 86 Nr. 100). Ein sehr unklarer Fundplatz ist von Kulakov (Archiv Kaliningrad Nr. 572/1328) im Ausgrabungsbericht für das Jahr 1979 vermerkt. Etwa 100 m südlich des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten soll ein Flachgräberfeld gelegen haben, In einem persönlichen Gespräch mit Verf. teilte Herr B. Nitsch, Bremervörde, der in Friedrichshof aufgewachsen ist, mit, dass früher bei der Feldarbeit sehr viele „Pferdeausrüstungsgegenstände“ gefunden worden seien, die durchaus mit dieser Fundstelle zusammenhängen könnten. 115 75 zu dem aber weitere Angaben fehlen116. An gleicher Stelle taucht in der Luftbildumzeichnung Kulakovs (1989, 83 Abb. 2e; 1994, ) aus dem Jahr 1989 das Symbol für Flachgräber auf. Auch im Norden und im Osten des Wäldchens findet sich diese Signatur, die jedoch im Text nicht weiter erläutert wird. Ohne weitere Angaben bleibt die Existenz dieser Gräberfelder fraglich. Besonderes Interesse verdient der Bestattungsplatz von Vishnevoe/Wosegau („Fundstelle 2 [Kunterstrauch]“, Kleemann 1939b, 224; vgl. Abb. 19 Nr. 47). Es handelt sich hierbei um zwei große Grabhügel in einem Wäldchen mit dem Flurnamen „Kunterstrauch“, das etwa 1 km nordwestlich vom Wiskiautener Hügelgräberfeld liegt. Heydeck (1877) hat es in einer Ausgrabungskampagne bereits in den Jahren 1876 und 1899 (Kleemann 1939b, 224) eingehender untersucht und fünf Körperbestattungen freilegen können (Abb. 20). Die Beigaben deuten auf Datierungen ins 13. hin. Auffällig an diesen Grablegen ist der für prussische Bestattungen dieser Zeit unübliche Hügelgrabbau. Es ist daher denkbar, dass es sich um skandinavisch beeinflusste Bestattungen handelt, worauf schon Gaerte (1929, 325) hinwies. Andererseits könnten die hier bestatteten Personen lokale Herrscher sein, die durch den Grabbau auf alte überseeische Traditionen als Ausdruck der Macht der Vorfahren anspielten, um ihre eigene Positionen hervorzuheben. Heydeck (1877, 657) vermutete einen gewaltsamen Tod der hier bestatteten Personen im Zuge der Aufstände der Preußen gegen den Deutschen Orden in den 1250er Jahren. Insgesamt sind nur wenige Bestattungsplätze im Umfeld Wiskiautens bekannt, die zeitlich kurz vor Beginn der Hügelgräbernekropole zu liegen scheinen. Sie sind zudem nicht eindeutig datierbar, weil entweder das Fundmaterial nicht publiziert ist (z.B. Klincovka 2; hier Abb. 19 Nr. 28) oder ein Nachweis von Grabfunden aus dem 5. und 9. Jahrhundert als fortlaufend belegtes Gräberfeld geführt wird (vgl. z.B. Mohovoe/Wiskiauten, Kulakov 1990, 73 Nr. 60, hier Abb. 19 Nr. 27), obwohl Funde des 6.–8. Nach freundlicher mündlicher Auskunft von V. I. Kulakov führten einige Keramikscherben und kalzinierte Knochen in diesem Bereich, die bei einer Oberflächenbegehung gefunden wurden, zu dieser Interpretation. 116 76 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 20 Körperbestattung mit Inventar von der Fundstelle Kunterstrauch (Nachlass Grenz, ALM Schleswig). Jahrhunderts fehlen. Für die frühen Siedlungsphasen des 7. und 8. Jahrhunderts (vgl. Kap. C.5.4–5) von Wiskiauten sind damit weiterhin keine eindeutigen Hinweise auf zeitgleiche Bestattungen zu erbringen. Lediglich das Gräberfeld von Friedrichshof könnte Grablegen dieser frühen Siedlungsphase enthalten haben. Mit Sicherheit im 9. Jahrhundert belegt ist nur das Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten/ Mohovoe (vgl. Abb. 19 Nr. 27). Klincovka 1 (vgl. Abb. 19 Nr. 32) hat möglicherweise seinen Belegungsbeginn im 9. Jahrhundert, dürfte aber hauptsächlich im 10. oder sogar 11. Jahrhundert und bis ins 12. Jahrhundert hinein genutzt worden sein. Unsicher in seiner Datierung ist auch der von Kleemann (1939b, 223) ins 9.–10. Jahrhundert eingestufte Grabfund von Malinowka/Wargenau (vgl. Abb. 19 Nr. 33). Im 10. Jahrhundert ist ein starker Anstieg an neu angelegten Gräberfeldern zu verzeichnen, wenn die Datierungen der einzelnen Fundplätze zuverlässig sind. Für die Existenz einer auf Handel ausgerichteten Siedlung im Umfeld des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten ist aber eine entwickelte Siedlungstätigkeit in deren Umgebung vorauszusetzen, da die Skandinavier bei der Wahl ihrer Niederlassungen bzw. Handelsregionen im allgemeinen schon bestehende infrastrukturelle Systeme der dort siedelnden einheimischen Stämme ausnutzten. Der sich im 10. Jahrhundert abzeichnende Aufschwung im Wirtschafts- und Bevölkerungs- Grundlagen wachstum sowie die Verdichtung des Siedlungsgeflechtes setzen sich im 11. Jahrhundert offenbar fort und bleibt bis ins 12. Jahrhundert stabil. Für das 13. Jahrhundert ist die Situation unklarer, da das archäologisch überlieferte Bild nun durch die Änderung des Bestattungsritus im Zuge der Christianisierung lückenhaft erscheint, was ursächlich mit der Verlegung der Bestattungsplätze in die Nähe der Kirchen (Kleemann 1939b, 211-212) und somit in heute noch bestehende Dörfer und daher nicht archäologisch erfassbare Plätze zusammenhängen dürfte. Zwar werden vereinzelt noch die alte Bestattungsform und auch die Beigabensitte angewendet, beides kommt jedoch im 14. Jahrhundert nur noch vereinzelt vor. A.7.2.4.4 Hortfunde Ein in diesem Zusammenhang höchst interessanter Fundkomplex ist ein heute verschollener Hortfund (vgl. Abb. 19 Nr. 49), von dem nur noch Aufnahmen der insgesamt neun Silberbarren überliefert sind mit der Angabe „bei Cranz, Krs. Samland, St.M.f.V. Ia, 1563 f, m, i, y117, h, k, n, l, e.“ (von zur Mühlen 1975, Taf. 6, 3). Die Barren gehören offenbar zu einem größeren Silberhortfund, auf den sich auch eine Archivalie vom 10. Mai 1935 bezieht. Sie ist mit dem Namen „Wilczek“ unterzeichnet und befindet sich heute im Nachlassteil von C. Engel im Nachlass von R. Grenz (ALM Schleswig). Unter der Inventarnummer „I.a 1563 a-p“ sind offenbar im Katalog des Berliner Museums118 für Vor -und Frühgeschichte Schloß Charlottenburg insgesamt 15 silberne Gegenstände aufgelistet, die zu einem in der Nähe von Cranz gefundenen Hacksilberfund gehören sollen. Der Unterzeichnende „Wilczek“ beschreibt die Fundumstände wie folgt: „Hacksilberfund zusammen beim Chausseebau zwischen Königsberg und Cranz gefunden unweit Cranz. Der größte Teil des Fundes verschleudert. Erhalten sind: 1 ganze Silberfibel (a), Bruchstück 117 Hier ist wahrscheinlich „j“ gemeint. Die Richtigkeit dieser Angaben hat sich mittlerweile durch Einsicht in das alte Inventarbuch des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte bestätigt. Für die Erlaubnis zur Einsichtnahme und Auskünfte dankt Verf. Christiane Klähne (Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz zu Berlin) sowie J. Prassolov für die Vermittlung des Kontaktes. 118 77 einer solchen (b), zwei silberne Armringe (d-e), 9 Silberbarren (f-n), 2 Filigran-Ohrbommeln (o-p) von Mauntz, Charlottenburg Ankauf. Durch Zufall im Katalog entdeckt. Fund hier unbekannt. Daselbst nur Silberbarren gesehen, nach den weiteren Funden konnte aus Zeitmangel im Silbertresor nicht gesucht werden.“ Der Fundkomplex wird an gleicher Stelle in die „Periode G“ und damit in die Wikingerzeit datiert. Kleemann (1939a, 10) nennt noch eine kufische Münze als zum Schatz gehörig. Außerdem gibt er in einer Anm. (ebd. 11 Anm. 43) Vergleichstücke zu den Fibeln an: „Als rasch herangezogene Vergleichstücke she. 2 gotländische Fibeln in Germanenerbe III, S. 14 (van Scheltema; im übrigen B. Nermann in PB 29 (1931), S. 161.)“. Heute sind nur Fotos der neun Silberbarren erhalten (vgl. von zur Mühlen 1975 Taf. 6 unten). Immerhin wird die Fibel in der Archivalie näher beschrieben. Es soll sich um eine „silberne, hochgewölbte Scheibenfibel mit Filigranverzierung“ gehandelt haben, die auf eine „moderne Unterlage reduziert zu sein“ schien. Auch „Nadel und Fassung“ waren offenbar „modern“. Das zweite Stück war ähnlich, aber stark fragmentiert. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um Überreste eines Depotfundes, der schon im 19. Jahrhundert auf dem sog. Garbick im Osten in der Nähe des Cranzer Hafens aufgefunden worden ist (Kleemann 1939a, 10f.) und 1898 in Berlin auftauchte. Dieser Hortfund ist durch heute unbekannte Umstände nach Berlin gekommen. Es wird sich um den gleichen Hort handeln, da auch der Schatzfund vom Garbick beim Chauseebau für die neue Landverbindung zwischen Königsberg und Cranz entdeckt worden ist. Der Fund soll nach Kleemann (1939b, 217) in die Zeit um 1000 gehören. Diese Datierung wird durch den von Kleemann (1939a, 10) angeführten Vergleichsfund einer Fibel aus Gotland119 bestätigt (vgl. auch Salin 1939, Abb. 212; van Scheltema 1939, 14 Abb. 4). Es handelt sich um eine silberne Scheibenfibel mit Rankenornament in Filigrantechnik, die ins 11. Jahrhundert datiert wird (von Scheltema 1939, 14)120. Schon van Scheltema (1939, 14) wies auf die unsichere Herkunft dieser Fibel hin, wonach als Fundort nicht mehr Gotland, sondern Uppland (Ksp. Skaa) in Frage kommt. 119 120 Nach einem bisher unbestätigten, mündlichen 78 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Dieser Hortfund fügt sich von seiner Zusammensetzung gut in das Bild der Schatzfunde ein, das bereits Engel/La Baume (1937, 211212) gezeichnet haben. Demnach sind die auf ehemals ostpreußischem Boden gefundenen Schätze niemals reine Münzhorte, sondern enthalten meist brotlaibförmige Silberbarren und Schmuckstücke wie Arm- und Halsringe sowie Fibeln. Sie entsprechen damit der von Jakimowicz (1930) definierten Gruppe II. Den ostpreußischen Silberschatzfunden wird im Gegensatz zu den slawischen Gebieten, wo sie im 11. Jahrhundert nicht mehr auftreten, ein Vorkommen bis ins 13. Jahrhundert hinein zugesprochen (ebd.). Neben diesem Hortfund vom Garbick kommt in der Umgebung von Wiskiauten nur ein Fund von Steinitten/Novoe (vgl. Abb. 19 Nr. 50) als möglicher Hortfund in Frage. Es handelt sich um einen 600 g schweren Silberhalsring, der als Einzelfund geborgen wurde. Ein Hortcharakter ist also nicht mit Sicherheit anzunehmen, auch wenn der Fund in der Literatur vereinzelt als einer von sechs121 Schatzfunden im Samland kartiert wird (Warnke 1964, Karte 35 Nr. 259). Im Allgemeinen scheinen die Schatzfunde in Ostpreußen analog zu offenbar eingehandelten Gütern wie Schwertern oder Lanzen stark an Küstengebiete und Flussläufe gebunden zu sein (Engel/La Baume 1937, 206). Sie zeigen damit Einflussgebiete der Skandinavier bzw. Regionen an, die am Warenaustausch teilnahmen oder zumindest in das Handelsnetzwerk eingebunden waren. A.7.2.4.5 Einzelfunde Von den insgesamt sieben Fundstellen von Einzelfunden in der Umgebung von Wiskiauten liegen vier in der näheren Umgebung (vgl. Abb. 19 Nr. 54–57), die anderen Fundstellen sind weiter entfernt (vgl. Abb. 19 Nr. 51–53). Der auf den ersten Blick älteste Einzelfund liegt Hinweis soll sich ein Teil der Funde im Puschkinmuseum in Moskau befinden. Es handelt sich um die Funde mit den Inventarnummern 1563 a (Fibel), 1563 c (Armring) und 1563 d (Armring). Vgl. Warnke (1964, Karte 35): Nr. 250 (Rantau, Kr. Samland), 253 (Samland allgemein), 259 (Steinitten, Kr. Königsberg) , 240 (Kuggen, Kr. Samland), 249 (Postnicken, Kr. Königsberg), 232 (Groß Pöppeln, Kr. Labiau). 121 bei Selenogradsk/Cranz (vgl. Abb. 19 Nr. 57) zusammen mit einem undatierten und in seinem Charakter ungeklärten „Wikingeranker“ in Form einer Kufischen Münze vor. Ohne nähere Beschreibung oder Abbildung kann das Stück nur allgemein der Zeit nach dem 8. Jahrhundert zugeschrieben werden. Eine genaue Datierung ist unmöglich. Insgesamt drei Einzelfunde stammen von zwei Fundorten aus dem Bereich von Malinowka/Wargenau (vgl. Abb. 19 Nr. 54; 56). Es handelt sich um eine Axt aus dem 11. oder 12. Jahrhundert (Kleemann 1939b, 223), eine nicht näher beschriebene Lanzenspitze und einen Radsporn, der ins 13. Jahrhundert datiert wird (ebd.). Die Gegenstände könnten zur Fundstelle Malinowka „Siedlung 2“ gehören (vgl. Abb. 19 Nr. 7). Die anderen Einzelfunde aus Krasnoflotskoe/Corben (vgl. Abb. 19 Nr. 51), Gusevo/Dorben (vgl. Abb. 19 Nr. 52) und Privolnoe/Gunthenen (vgl. Abb. 19 Nr. 53) sollen ins 11. oder 12. Jahrhundert gehören (ders. 1939a, 218-219; 223). A.7.3 Zusammenfassung Prähistorische Siedlungshinweise liegen mehrfach aus der Umgebung Wiskiautens vor. Sie sie sind zwar für die Interpretation der Prospektionsergebnisse von Wichtigkeit, spielen aber für die Fragestellung dieser Studie eine nur untergeordnete Rolle. Besonders die Rekonstruktion der frühmittelalterlichen Siedlungslandschaft aber ist von zentraler Bedeutung. Durch die Auswertung mehrerer Kataloge und Fundstellenregister lässt sich in der Umgebung des Fundplatzes Wiskiauten eine erstaunlich dichte Konzentration von archäologischen Fundplätzen erkennen, die sich auf die Quellengruppen Siedlungsstellen, Befestigungsanlagen, Gräberfelder, Hortfunde und Einzelfunde aufteilen. Getrennt nach unterschiedlichen Zeitstufen ergibt sich eine immer dichter werdende Siedlungstätigkeit ab dem 5. Jahrhundert bis in die Zeit der Eroberung der Region durch den Deutschen Orden im 13. Jahrhundert und der damit verbundenen Umstrukturierung des alten Siedlungssystems sowie der systematischen Neuansiedlung von ortsfremden Personen und der Gründung neuer Ortschaften (Abb. 21–22). Die frühe Besiedlungsphase ab dem 5.–6., aber Grundlagen 79 Abb. 21 Zeitliche Verteilung der aus der Literatur ermittelbaren Siedlungen des 5.–14. Jahrhundert im Umfeld von Wiskiauten unter Einbeziehung unsicher datierter Fundplätze (vgl. hierzu auch Liste E.2.1). Abb. 22 Zeitliche Verteilung der aus der Literatur ermittelbaren Gräberfelder des 5.–14. Jahrhundert im Umfeld von Wiskiauten unter Einbeziehung unsicher datierter Fundplätze (vgl. hierzu auch Liste E.2.1). auch im 7. und 8. Jahrhundert ist nur unzureichend dokumentiert und deckt sich mit der allgemeinen Fundstellenarmut aus dieser Zeit in der Region. Durch die Ausgrabungen der Jahre 2005–2007 kann dieses Bild nun für den Fundplatz Wiskiauten korrigiert werden, da sich gleich mehrere Hinweise auf einen ausgedehnten Siedlungskomplex dieser Zeit in der unmittelbaren Umgebung von Wiskiauten ergeben (vgl. Kap. C.5.4–5). Diese Siedlungsphase dürfte jedoch der einheimischen prussischen Kultur zuzuordnen sein und nicht, wie beispielsweise in Grobin in Lettland, auf die Anwesenheit von Skandinaviern zurückzuführen sein. Frühe Grabfunde nämlich fehlen in dem im 9. Jahrhundert einsetzenden Hügelgräberfeld von Wiskiauten und zusätzlich in räumlicher Nähe der aufgedeckten Siedlungsspuren bislang völlig. Lediglich das Gräberfeld von Friedrichshof könnte Bestattungen der Stufe E und somit der späten Völkerwanderungszeit enthalten haben. Konkrete Belege und datierende Funde jedoch fehlen bisher. Wenn sich die frühe Zeitstellung dieses Gräberfeldes aber in der Zukunft durch neue Forschungen bestätigen sollte, dann liegt mit diesem Fundplatz ein Denkmal vor, das mit der frühen Siedlungsphase von Wiskiauten unbedingt in Beziehung zu setzen ist. Im 9. Jahrhundert setzt die Belegung im Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten ein, die im 10. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht. Es bleibt nach wie vor das dominierende Denkmal und der einzige echte Beleg für die Anwesenheit von Skandinaviern. Zeitgleiche Siedlungsspuren in Bledau/Sosnovka, Wosegau/ 80 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Vishnevoe, Wikiau/Klincovka und Wargenau/ Malinowka entziehen sich der Überprüfung, da das Fundmaterial aus den Siedlungsbefunden unpubliziert geblieben ist. Das gleichzeitige Bestehen von Siedlungen in der näheren Umgebung ist durchaus denkbar, ein direkter Zusammenhang mit dem Gräberfeld von Wiskiauten aber nicht anzunehmen, da einerseits die räumliche Entfernung zu groß erscheint, andererseits jeweils eigene Bestattungsplätze vorhanden gewesen zu sein scheinen. In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts endet die Bestattung in Hügelgräbern in der Kaup bei Wiskiauten. Auf dem Garbick wird ein größerer Hort angelegt, der vielleicht mit den bei Saxo Grammaticus (Gesta Danorum, Buch X, 5; vgl. Holder 1886, 328; von zur Mühlen 1975, 1) dänischen Einfällen ins Samland in Verbindung steht. Gleichzeitig entstehen in unmittelbarer Nähe prussische Gräberfelder, darunter die Nekropolen von Friedrichshof und der „spätheidische Aschenplatz“ im Ostteil des Gräberfeldes von Wiskiauten, die als Nachfolgegräberfelder interpretiert werden können. Eine Konzentration von Gräberfeldern dieser Zeit liegt auch bei Wikiau/Klincovka und Michelau/Kamenka, denen Siedlungsspuren in der Umgebung zugeordnet werden konnten. Mindestens bis ins 12. Jahrhundert bleiben diese Siedlungsstellen und Gräberfelder in Nutzung. Auffällig ist das Fehlen der sonst in der Region so zahlreichen Burgwälle im direkten Umfeld von Wiskiauten. Zwar zeigen sich in wenigen Kilometern Entfernung im Süden und Westen Konzentrationen solcher Anlagen, aber in der näheren Umgebung sind sie, abgesehen von den unsicheren Fundstellen Galgenpusch und Garbick, nicht nachzuweisen. Möglicherweise liegt hier das gleiche Phänomen zugrunde, das Herrmann (1985, 61) allgemein für Seehandelsplätze annimmt, die immer in gewissem Abstand zu den Burgen bzw. den politischen Mittelpunkten und Machtzentren in der Region bzw. ihres Stammesgebiets lagen. Wo sie belegt sind, waren es vermutlich keine politisch-militärischen Zentren, sondern bestenfalls Fluchtburgen. Unter der Annahme, dass Wiskiauten in gewissem Umfang Funktionen eines Seehandelsplatzes innehatte, ist eine Burganlage in direkter Nähe also nicht zwingend zu erwarten. Das Gräberfeld B Das Gräberfeld B.1 Allgemeine Beschreibung des Gräberfeldes Das Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten liegt ca. 2,5 km südlich des an der Ostseeküste gelegenen ehemaligen Badeortes Cranz, heute Selenogradsk (vgl. Abb. 12–13). Im Osten befindet sich in 6 km Entfernung das Kurische Haff. Auf der höchsten Erhebung ist das mit dem Flurnamen Kaup verbundene Wäldchen mit den Hügelgräbern positioniert, die nach Ausweis der Grabbeigaben überwiegend aus dem 9.–11. Jahrhundert stammen. Daneben sind auch Bestattungen aus dem Neolithikum, der Bronze- und Eisenzeit sowie aus der römischen Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit sowie des 11.–13. Jahrhunderts bekannt (vgl. Kap. A.7.2). Das Wäldchen Kaup bedeckt heute mit etwa 96 870 qm eine Fläche von knapp 10 Hektar. In den 1930er Jahren schwanken die Angaben zwischen 25 Morgen (Ohne Verfasser 1936, 13) und 30 Morgen (Gaerte 1937, 72), was in etwa der gleichen Fläche entspricht. Die Belegung mit Hügelgräbern ist unterschiedlich dicht und bildet an einigen Stellen Konzentrationen, während andere Bereiche befundleer scheinen. Problematisch ist dabei, dass es keinerlei Kartierung des Hügelgräberfeldes aus der Zeit der ersten Ausgrabungen gibt, so dass das originale Verteilungsmuster heute unbekannt ist. Die späteren Kartierungen entstanden erst in den 1930er Jahren, als schon eine große Zahl von Hügeln ausgegraben worden war. Zusätzlich gibt es Hinweise, dass zwischen den Hügelgräbern auch eine unbekannte Anzahl von Flachgräbern verborgen liegt. Als separierte Nekropole ist im Osten der Kaup eine geringe Anzahl prussischer Flachgräber lokalisiert worden, die unter dem Begriff „Spätheidnischer Aschenplatz“ bekannt geworden sind (vgl. Kap. B.3.2.3). Die Nekropole ist als birituelles Gräberfeld zu bezeichnen, da Körper- und Brandbestattungen gemeinsam vorkommen. Brandgräber sind jedoch deutlich in der Überzahl. Die genaue Anzahl der Bestattungen ist heute unbekannt (vgl. Anm. 2). Nach Angaben von Nerman (1942, 92) belief sich die Gesamtzahl der Grabhügel auf „ca. 500“. Bereits für das Jahr 1880 ist in den Jahresberichten der Prussia-Ge- 81 sellschaft von „120 bei Wiskiauten geöffnete[n] Gräber[n]“(Ohne Verfasser 1881, 6) die Rede. Allein bis 1900 sind bereits „wohl an 250 Gräber“ (Heydeck 1900, 60) untersucht worden. Engel (ALM Schleswig) spricht im Rahmen einer 1932 erfolgten Kartierung in der Vorbereitung der schwedisch-deutschen Ausgrabungen des gleichen Jahres von „rund 260 Hügeln“, die noch festgestellt werden konnten. Unklar bleibt, warum im Gesamtplan aus diesem Jahr nur 231 Grabnummern122 vergeben sind. Eine zweite Variante des Planes123 wurde von Nermans Assistenten Angerborg und Attermann angefertigt (Nerman 1932, 1). Zwar beträgt die Gesamtzahl der eingezeichneten Hügel nur 217, allerdings sind die sieben Hügel 15-21 nicht markiert, aber in einer Randnotiz als Hügelgräber notiert. Darüber hinaus finden sich kleine lateinische Buchstaben als Zusätze zur Unterscheidung weiterer Hügel bzw. Bestattungen (z.B. 144 a und 144 b). Ein weiterer Plan ist bei von zur Mühlen (1975, 149 Taf. 2; vgl. hier Abb. 9) abgedruckt. Auch hier sind die Grabnummern kaum lesbar, insgesamt sind 187 Grabhügel und ein Flachgrab kartiert. Trotz dieser kleinen Unstimmigkeiten wird deutlich, dass die von Heydeck untersuchten und nach der Untersuchung abgetragenen124 250 Hügel zusammen mit den von Engel erwähnten 260 Gräbern sogar über die vermutete Anzahl von 500 Gräbern hinausgehen. Diese Annahme äußerte auch Kleemann (1939b, 201), der die Grenzen des Gräberfeldes durch die Waldgrenze in den 1930er Jahren als „unbedingt zu eng umschrieben“ bezeichnete. Er vermutete auch auf den angrenzenden Fluren, insbesondere im Westen und Südwesten, weitere BeDie höchste Grabnummer in diesem Plan lautet zwar 218, weitere Hügel sind aber mit Unternummer versehen (170a, 170b, 170c, 170d, 160a, 177a, 144a, 144b, 135a, 138a, 139a, 147a, 140a), so dass sich eine Gesamtzahl von 231 ergibt. 122 Der Originalplan findet sich nach freundlicher Auskunft von M. Neiß (Stockholm) im Reichsantikvariet Ämbetet in Stockholm. Eine Version, allerdings mit schlecht lesbaren Nummerierungen, ist bei Nerman (1942, 95 Abb. 86) abgedruckt. 123 Es ist bekannt, dass Heydeck die von ihm untersuchten Hügelgräber nach Abtrag der Hügelkuppe nicht wieder rekonstruiert hat (Nerman 1932, 2), weshalb diese Hügel in der von Engel vorgenommenen Bestandsaufnahme fehlen dürften. 124 82 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung stattungen. Hinzu kommen die Flachgräber des sog. „spätheidnischen Aschenplatzes“ im Osten der Kaup, deren Anzahl derzeit auf 16 untersuchte menschliche Bestattungen und 17 Pferdebegräbnisse geschätzt wird (Wróblewski 2006a, 224; vgl. Abb. 29). Hinzu kommen weitere, in der vorkriegszeitlichen Literatur erwähnte Bestattungen (vgl. z.B. Agde 1936, 9). Die Zahl der bis heute untersuchten Hügelgräber in deutscher und russischer Zeit lässt sich auf etwa 325125 Gräber festlegen. Die von Kulakov (2005, 56) für die deutsche Forschungsperiode angegebene Zahl von 86 untersuchten Hügeln, bei der er sich auf von zur Mühlens (1975) Katalog der Grabhügel von Wiskiauten bezieht, ist viel zu niedrig angegeben und beruht vermutlich auf dem Umstand, dass von zur Mühlen (ebd. 122-140) nur diejenigen Hügel katalogisiert hat, zu denen sich im Prussia-Archiv Funde oder Unterlagen befunden haben. Er gibt die Zahl mit 90 ergrabenen Hügelgräbern viel zu gering an. Besonders die Menge der zwischen den Hügeln liegenden Flachgräber lässt sich nicht beurteilen. Eine Grabung von V. I. Kulakov im Jahr 2005126 erbrachte auf einer Fläche von ca. 203 m2 im Umfeld nur eines Hügelgrabes mehrere Flachgräber. Die Anzahl dieser Bestattungsart könnte also fast ebenso hoch einzuschätzen sein wie die der Hügelgräber, die Gesamtzahl der Bestattungen dürfte deshalb zwischen 500 und 1000 oder mehr liegen. Das Verhältnis aller bisher ermittelten Männer- und Frauenbestattungen beträgt etwa 2:1127 (Abb. 23), während ein Drittel geschlechtsspezifisch nicht eingeordnet werden kann. Das Fundmaterial umfasst vor allem Waffen, Reit- und Pferdezubehör und persönliche Ausrüstungsgegenstände in Männergräbern, Trachtzubehör, Reitzubehör, Schmuck und Werkzeuge in Frauengräbern. Insbesondere Waffen und Schmuckgegenstände bzw. Trachtzubehör legen für die Mehrzahl der Gräber In diese Zahl flossen auch die von V. I. Kulakov in den Jahren 2005–2007 freigelegten Bestattungen ein; der Verf. dankt V. I. Kulakov für die Erlaubnis zur Einsichtnahme in die Grabungsdokumenation. 125 Für die freundliche mündliche Information sei V. I. Kulakov gedankt. 126 Für diese Angaben stand Verf. ein reiches Archivmaterial zur Verfügung, aus dem sich insgesamt 132 Grabanlagen rekonstruieren lassen. 127 50 40 30 m ännlich we iblich 20 unb ekannt 10 0 Abb. 23 Gräberfeld von Wiskiauten. Verhältnis von Frauen- und Männerbestattungen sowie unbestimmbarer Grablegen (n=132). eine skandinavische Herkunft der Bestatteten nahe. Allerdings finden sich auch Gegenstände lokaler oder allgemein baltischer Herkunft. Das Gräberfeld von Wiskiauten ist als herausragendes Denkmal des Frühmittelalters anzusehen. Seine Bedeutung für das immer noch fehlende chronologische Grundgerüst wird sich durch die Auswertung der Archivalien und den dadurch zu erwartende Kenntniszuwachs in der Zukunft noch wesentlich erhöhen. Gleichzeitig aber verliert die Nekropole durch die rezenten Siedlungsforschungen an Dominanz. Sie muss zukünftig eher als Teil eines hoch diffizilen Siedlungsgeflechtes verstanden werden, dessen Anfänge vor dem Belegungsbeginn der Hügelgräbernekropole liegen und das auch nach dessen Nutzungsende ab Mitte des 11. Jahrhunderts weiterzuleben scheint. B.2 Forschungsstand Seit Beginn der Ausgrabungen im Jahr 1865 (Wulff 1865) wurde das Gräberfeld von Wiskiauten unterschiedlich interpretiert, wobei die anfänglichen Theorien, es handele sich um Überreste einer großen Schlacht zwischen Litauern und Prussen (ebd. 645) schnell durch die heute noch in ihren Grundsätzen aktuelle Interpretation als Gräberfeld von Skandinaviern bzw. als Nekropole einer Siedlung mit starker Beteiligung skandinavischer Bevölkerungselemente ersetzt wurde128. Insbesondere der Königsberger Maler und zunächst Bibliothekar, später Vorsitzender der PhysikalischÖkonomischen Gesellschaft zu Königsberg, Tischler 1882, 21; Heydeck 1893, 57; Voigt 1901, 349; Schlicht 1922, 285. 128 Das Gräberfeld 83 Abb. 24 Gräberfeld von Wiskiauten. Inventar zweier Frauen- (links) und einer Männerbestattung (rechts) (Heydeck 1900, Taf. 7; 9). Johannes Heydeck, hat sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr intensiv um die Erforschung des Wiskiautener Gräberfeldes bemüht. Heydeck (1877; 1879; 1893; 1900; 1909) publizierte seine Ausgrabungsergebnisse aber leider eher unregelmäßig in den Sitzungsberichten der Physikalisch-Ökonomischen Gesellschaft und in den Sitzungsberichten der Altertumsgesellschaft „Prussia“ (Abb. 24). Er lieferte darin Beschreibungen seiner Methodik, Beobachtungen zum Grabbau, Listen der aufgefundenen Gegenstände samt Beschreibungen sowie Interpretationsansätze. Diese Ausgrabungsberichte sind heute die wertvollste Quelle für die frühen Ausgrabungsaktivitäten. Die Zahl der in der Literatur behandelten Gräber war jedoch nicht sehr groß. Kossinna (1929, 102) resümierte in den 1930er Jahren, dass seit Be- ginn der Ausgrabungen „bestenfalls 35 Gräber aus Wiskiauten in der Literatur“ abgehandelt worden waren. Bei einer Gesamtzahl von bis dato etwa 250 (Heydeck 1900, 60) untersuchten Grabhügeln ist diese Zahl verschwindend gering und die Originalberichte erlangen große Bedeutung. In den Archiven hat jedoch kaum ein Dokument aus dieser ersten Forschungsetappe, die bis zur Jahrhundertwende anhielt, die Zeiten überdauert129. Nach der Jahrhundertwende war die allgeEinzige Ausnahmen bilden zwei Skizzen bzw. Befundzeichnungen und einige handschriftliche Manuskripte für später publizierte Aufsätze, die sich im Fundus des Berliner Teiles der PrussiaSammlung befinden. Aus dem Muzeum Warmii i Mazur in Olsztyn sind Ausgrabungsskizzen zur Freilegung des steinzeitlichen Hügelgrabes bekannt. 129 84 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung meingültige Interpretation als Gräberfeld einer Handelskolonie der Wikinger weitgehend anerkannt. Die Herkunft der in Wiskiauten Bestatteten nahm man allgemein nördlich der Ostsee an. Ihr Einfluss auf die Entwicklung der gesamten Region wurde dabei mehrfach herausgestellt (Gaerte 1929, 320; Engel 1931a, 30), wenngleich auch slawische Einflüsse für die Kultur des gesamten Samlandes und die Anwesenheit bestimmter Fundgruppen, z.B. der arabischen Münzen, geltend gemacht worden sind (Hollack 1908, LXXXVIII). Auch in Bezug auf die chronologische Zuordnung der Grabfunde herrschte im allgemeinen Übereinstimmung. Ausgehend von einer anfänglichen Datierung ins 5.–10. Jahrhundert (Heydeck 1877, 651) wurde die zeitliche Einordnung später auf das 8.–10. Jahrhundert (Bujack 1881, 94) präzisiert, wobei einige Gräber auch in das 11. Jahrhundert datiert wurden (Bujack 1876a, 280). Zusätzlich erkannte man, dass ein Teil der Gräber offenbar auch einer späteren Periode des 10.–12. Jahrhunderts zuzuordnen war (Heydeck 1893, 57), die man aber nicht mehr direkt mit den Skandinaviern in Verbindung brachte. Ab der Jahrhundertwende setzte sich neben den absolutchronologischen Daten die Einteilung in relativchronologische Perioden auch für den Zeitraum des 7.–13. Jahrhunderts durch. Nach dieser Einteilung wurde das Wiskiautener Gräberfeld in die Stufen F, G und H gestellt (Hollack 1908, 185). Problematisch ist dabei, dass Hollack dieser Stufenzuweisung offenbar schon damals umstrittene absolute Datierungen zugrunde legte. Bei einer Belegung schon in Stufe F wäre das Gräberfeld von Wiskiauten nach den damals geltenden chronologischen Einteilungen bereits im 7. oder 8. Jahrhundert in Nutzung gewesen, ein Ansatz, für den sich heute keinerlei Anzeichen finden lassen. Während nach der Jahrhundertwende an der groben zeitlichen Einordnung der Bestattungen in der Kaup kein Zweifel mehr aufkam, wandte man sich nach der allgemeinen Forschungspause in der Zeit des Ersten Weltkriegs und den 1920er Jahren erst mit Beginn der 1930er Jahre wieder verstärkt der Diskussion des Fundplatzes Wiskiauten zu. Nun stand die Frage der Herkunft der in den Hügelgräbern beerdigten Personen im Vordergrund. Gaerte (1933b, 73) interpretierte den seit dem 9. Jahrhundert genutzten Friedhof als Hinterlassenschaft schwedischer Wikinger. Zum gleichen Ergebnis kam Engel (1935a, 112), der der Masse der Funde eine Herkunft aus Mittelschweden bescheinigte und sie in Zusammenhang mit der Handelsstadt Birka am Mälarsee brachte. Gleichzeitig aber erwähnte er arabische und südrussische Einflüsse und solche aus Norwegen, Irland, Gotland und Kurland. Besonders Kurland schien ihm zahlreiche Vergleichsstücke zu bieten, die er aber nicht genauer spezifizierte. Neben Mittelschweden wurde in geringerem Maß auch Gotland als Herkunftsregion der in Wiskiauten bestatteten Personen betrachtet, wofür sich besonders Nerman (1934, 372) aussprach. Er betonte auch die strategische Lage Wiskiautens am früheren, südlichen Ausfluss der Memel und die damit verbundene Kontrolle des Handelsverkehrs mit dem Hinterland bzw. dem Weg Richtung Kiewer Rus´, die wenig später auch Jankuhn (1937b, 87) besonders herausstellte. Von zur Mühlen (1975) war der erste, der den Fundplatz Wiskiauten in größerem Rahmen mitbehandelte, als er 1939 seine Dissertationsschrift mit dem Titel „Die Kultur der Wikinger in Ostpreußen“ in Dorpat einreichte (Kleemann 1975, II). Neben wikingerzeitlichen Funden aus ganz Ostpreußen stellte er alles damals im Prussia-Museum zur Verfügung stehende Material in fotografischen Aufnahmen in einem Katalog zusammen. Gleichzeitig listete er die Inventare von 86 Bestattungen der Kaup auf, die er, falls diese bekannt war, unter Angabe der alten Grabnummer und der Prussia-Inventarnummer mit einer neuen Bezeichnung versah, indem er sie von 1–86 durchnummerierte. Der Katalog ist jedoch infolge einer kriegsbedingten Teilzerstörung umgearbeitet worden, Inventare sind auseinandergerissen abgebildet und die Tafelerläuterungen beziehen sich auf die zugehörige Prussia-Inventarnummer und nicht auf die neue Nummerierung im Katalog. Erst 1975 kam diese Arbeit schließlich durch den Einsatz von O. Kleemann in Bonn zum Druck. Sie stellt trotz der Mängel im Katalogteil bis heute fast die einzige Grundlage für jegliche Einordnung der Funde von Wiskiauten dar. So diente von zur Mühlens Buch vielen späteren Bearbeitern als einziger Zugang zu den Grabfunden Wis- Das Gräberfeld kiautens. Die in diesem Buch vergebenen Katalognummern dienen teilweise als Grabnummern in der späteren Literatur. Seither ist der Fundplatz oft in verschiedenen Publikation mitbehandelt worden und sogar als frühstädtische Siedlung, Handelsplatz oder Handelsniederlassung (Jankuhn 1937b; Callmer 1994, 67; Müller-Wille 1997b, 779; 2002, 4 Abb. 1) oder port of trade (Bogucki 2006, 95) oder emporium (ders. 2006b, 80 Abb. 1) mit kartiert worden, obwohl Siedlungsspuren bis in die 1980er Jahre hinein fehlten und auch die von Kulakov (1989; 2005) vorgelegten Hinweise nur dürftige Informationen hierzu liefern. Wróblewski (2006a; 2006b) äußerte jüngst Zweifel an den traditionellen Interpretationen des Fundplatzes. So vermutet er einen viel stärkeren einheimischen Einschlag im Fundgut aus den Hügelgräbern und lehnt eine rein skandinavische Herkunft zumindest für einen Großteil der Bestatteten ab. Kulakov (2005, 77) schließlich schreibt einer Gruppe von Gotländern die Gründung von Wiskiauten zu, da sie Funde in den ältesten Hügeln der Kaup hinterließen. Durch die komplizierte Quellensituation zur Archäologie Ostpreußens vor 1945 im Zuge der Geschichte der Prussia-Sammlung standen der Forschung lange Zeit lediglich die bereits publizierten Zeichnungen und Fotos zu Grabfunden aus dem Hügelgräberfeld von Wiskiauten zur Verfügung. Mehrfach sind in späteren Publikationen bei der Abhandlung bestimmter Material- und Sachgruppen daher besonders die vorhandenen Abbildungen zu den Wiskiautener Funden aus von zur Mühlens Katalog herangezogen worden. So berücksichtigen beispielsweise H. Eilbracht (1999) den Filigranschmuck, S. Kleingärtner (2004) zwei Terslev-Fibeln, C. Hedenstierna-Jonson (2002) eine Gruppe von Schwertortbändern, M. Müller-Wille (1970), I. Martens (2004) und V. Kazakevičius (1996; 1999; 2002) die Schwerter und Lanzenspitzen. Eine monographische Bearbeitung des Gräberfeldes von Wiskiauten ist bis heute nicht erfolgt. B.3 Bestattungssitten und Grabbau Am wenigsten Informationen sind bisher zum Grabbau der Hügelgräber von Wiskiauten sowie zu den Bestattungssitten und - formen publiziert. Dennoch gibt es einige Beschreibungen 85 vornehmlich von Heydeck (1877; 1900), die es ermöglichen, die Vielfalt im Grabbau der Wiskiautener Gräber zu verdeutlichen und zumindest tendenzielle Aussagen zu den vertretenen Bestattungsformen zu treffen. Zusätzlich sind die von Gurevič (1963) sowie Kulakov (2005) publizierten Pläne und Beschreibungen heranzuziehen. Auch das Archivmaterial kann vereinzelt nützlich sein. B.3.1 Bestattungsarten Als Bestattungsarten kommen in Wiskiauten sowohl Körper- als auch Brandbestattungen vor, wobei letztere offenbar deutlich in der Überzahl sind. Eine Auswertung aller bei von zur Mühlen (1975) im Katalog aufgelisteten Gräber vermittelt ein Verhältnis von etwa 1:3 zugunsten der Brandbestattung, wobei allerdings in mehr als 50% aller Fälle keine Angaben zur Bestattungsart zu finden sind130. Dennoch dürfte die Brandbestattung die vorherrschende Bestattungsart gewesen sein, wie es auch mehrfach von verschiedenen Ausgräbern und Bearbeitern131 erwähnt wird. Andererseits finden sich auch gegenteilige Behauptungen. So war das Verhältnis von Brand- zu Körperbestattungen nach Meinung von Engel (ALM) offensichtlich noch in den 1930er Jahren „völlig ungeklärt“. Nerman (1932, 3) dagegen gibt sehr präzise an, dass von 18 Gräbern mit nachgewiesener Bestattung 16 Gräber eine Brandbestattung enthielten. Zusätzliche Schwierigkeiten bereitet hierbei die große Anzahl von Gräbern, die von den jeweiligen Bearbeitern als Leergrab oder Kenotaph interpretiert worden ist (vgl. z.B. Grabhügel 183, 204, 207; von zur Mühlen 1975, 139 Nr. 81; 140 Nr. 85 und Nr. 86, oder Grabhügel K 182/182; Kulakov 2005, Dieses Zahlenverhältnis wird zugunsten der Brandbestattungen verstärkt, wenn man weitere Literatur und Archivalien einbezieht. Nach einer vorläufigen Zusammenstellung mit Informationen zu insgesamt 139 Bestattungen sind Brandgräber in 54 Grablegen zu vermuten, hinzu kommen acht unsichere Brandbestattungen. Hinweise auf Körpergräber dagegen liegen nur aus neun Grablegen vor. Bei beiden Bestattungsarten ist hier die Anzahl der Bestattungen pro Grablege unberücksichtigt. Vorläufig ist demnach von einem Verhältnis von sogar 1:6 auszugehen 130 Heydeck 1877, 651; Hollack 1908, 185; Gaerte 1932b, 5; von zur Mühlen 1975, 29. 131 86 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 69). Vielleicht waren die Knochen eines unverbrannten Skeletts in diesen Gräbern schon so stark vergangen, dass keinerlei Knochenreste mehr erkennbar waren. Das Fehlen von Beigaben jedenfalls reicht nicht aus, die Gräber als Leergräber oder Kenotaphe anzusprechen, wenngleich es solche auch tatsächlich gegeben haben kann. B.3.1.1 Brandbestattungen Brandbestattungen sind die dominierende Bestattungsart im Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten. Insgesamt liegen auf der Grundlage des Kataloges von zur Mühlens (1975) 54 sichere und acht unsichere Hinweise auf Brandgräber vor. Es scheint dabei mindestens zwei häufiger vertretene Arten gegeben zu haben. Im ersten Fall (vgl. z. B. Abb. 7) wurden die Brandreste des Scheiterhaufens zusammen mit kalzinierten Knochen in einer kleinen Grube von knapp 1 m Durchmesser deponiert (Gaerte 1929, 347; Engel, ALM). Heydeck (1877, 651) vermutete darin einen Hinweis auf die Verbrennung der Toten in sitzender oder stehender Position. Verziegelungen von bis 0,1 m Dicke wiesen dabei auf die Verbrennung an Ort und Stelle hin (ebd.). Im angeblich häufigeren zweiten Fall wurden Brandschüttungen über eine Fläche von 2 m Länge und mehr über den Hügelboden bzw. auf den ursprünglichen Boden ausgebreitet, meist nord-südlich orientiert (Nerman 1932, 3) und in einigen Fällen offenbar zusätzlich mit einem Steinkranz eingerahmt (Abb. 25). Diese Brandschüttungen können eine Länge von bis zu 3,75 m gehabt haben (ebd. 4), in der Regel waren sie bis zu 2 m groß. Ihre Form lässt sich als überwiegend rundlich oder oval beschreiben. Die offenbar auf den natürlich gewachsenen Boden aufgeschütteten Brandreste erreichten maximale Mächtigkeiten von 0,35 m (ebd.), konnte jedoch auch nur wenige Zentimeter betragen (Kulakov 2005, 76). Dabei dünnte die Aschekonzentration zu den Rändern hin deutlich aus, die Brandreste könnten also zur Mitte hin „zusammengefegt“ worden sein (Nerman 1932, 4). Engel (ALM) interpretierte die in diesen Brandschüttungen aufgefundenen großen Holzkohlestücke und sogar angekohlte Holzscheite als Reste der an Ort und Stelle des späteren Bestattungsplatzes erfolgten Verbrennung (vgl. auch von zur Mühlen 1975, 15). Auch Heydeck (1877, 651) hat Verziegelungen bis 0,1 m Mächtigkeit beobachtet und daraus die Verbrennung an der Stelle der späteren Brandschüttung gefolgert. Kulakov (2005, 65) dokumentierte in den Grabhügeln K 172, K 174 und K167/167 eine Art Plattform, auf der die Verbrennung stattgefunden haben soll, wie die zahlreichen Brandreste nahe legen. Dabei ist in Einzelfällen aufgrund der Lage von Schädelteilen im Südwesten, beispielsweise in Grabhügel K167/167 (Kulakov 2005, 71), und im Südosten, so in Grabhügel K128/146 (ebd. 76), eine entsprechende Ausrichtung des auf dem Scheiterhaufen verbrannten Leichnams vermutet worden. In der Regel fand sich in einem Hügel je eine Brandbestattung (vgl. Abb. 7), allerdings kommen auch Mehrfachbestattungen in Brandgräbern vor, so z.B. in den Grabhügeln K 174 und K 175 (Kulakov 2005, 65-69) oder in dem von Nerman untersuchten Grab 144. Mit einer Ausnahme fanden sich die nachgewiesenen Brandbestattungen unter Grabhügeln. Nur das 1930 beim Stubbenroden entdeckte Grab, das bei von zur Mühlen (1975, 137 Nr. 69) wohl fälschlicherweise als Hügelgrab geführt wird, ist eindeutig als Flachgrab anzusprechen132. Interessanterweise enthielt dieses Grab neben einem Schwert vom Typ JP K, zwei zerbrochenen Lanzenspitzen, einem eisernen Messer und einer Hufeisenfibel eine „riesige flache, kurländische Armbrustfibel mit schmalem Tierkopffuss“ (Engel 1931b, 10). In diesem Grab, das unter den bis dahin freigelegten Bestattungen offenbar eine Ausnahme bildete, mischen sich Elemente der einheimischen und der skandinavischen Kultur (vgl. auch Wróblewski 2006b, 141). In einem Fall ist auch eine Urnenbestattung nachgewiesen. So enthielt eine von vier Gruben, die 1935 unter einem Grabhügel neben einer dreifachen Körperbestattung in der Nähe des Steinzeitgrabes gefunden wurden, einen „tonnenförmigen Topf mit etwas Leichenbrand“ (Kleemann 1937a, 73). Weitere Urnengräber erwähnt Heydeck (1877, 651). B.3.1.2 Körperbestattungen Aus von zur Mühlens katalogartiger Zusammenstellung der Bestattungen von Wiskiauten sind fünf Körpergräber bekannt, vier weitere Dies geht aus einer Archivalie von C. Engel im Nachlass Grenz (ALM Schleswig) hervor. 132 Das Gräberfeld 87 Abb. 25 Gräberfeld von Wiskiauten. Brandbestattung mit Steinschutz aus einem Hügelgrab (SMB-PK PMA 522/33-229). aus der Literatur133. Hinzu kommt ein Körpergrab, das V. I. Kulakov im Jahr 2007 bei der Untersuchung von Grabhügel K 140a dokumentieren konnte134. Sie wurden bislang nur in Kombination mit Hügelgräbern beobachtet. Hügelgräber mit Körperbestattungen haben offenbar eine reichere Steinarchitektur besessen (Engel, ALM). Die diese Hügelgräber umgebenden Steinkreise waren „häufig doppelreihig“ (Nerman 1932, 5), auch im Inneren der Hügel fand sich ein über den mehrmals angetroffenen Holzsärgen angeordneter Steinschutz. Dieser war in anderen Fällen allerdings auch sehr unregelmäßig und lückenhaft gestaltet (Heydeck 1879, 24). In dem von Nerman (1932, 6) untersuchten Grabhügel 143 (von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 64) wurde unter der menschlichen KörperbeKleemann 1937a; Bujack 1876c, 279; Ohne Verfasser 1935; Agde 1936. 133 Für den mündlichen Hinweis dankt Verf. dem Ausgräber. 134 stattung eine dreieckige Steinsetzung aufgedeckt, unter der ein Pferd beigesetzt war. Die Bestattung in diesem Grab war nord-südlich orientiert, im direkt benachbarten Frauengrab konnte eine Ausrichtung in Ost-West-Richtung (Engel, ALM) dokumentiert werden. Die gleiche Ausrichtung wurde auch bei einer von Bezzenberger (von zur Mühlen 1975, 128-129 Nr. 30) untersuchten männlichen Körperbestattung festgestellt, die jedoch undatiert geblieben ist (Engel, ALM). Auch eine von Paulsen ausgegrabene Körperbestattung (von zur Mühlen 1975, 139 Nr. 79) am Nordrand des Wäldchens zeigte ein Skelett mit dem Kopf nach Westen und dem Gesicht nach Osten in einem Holzsarg, der mit Eisennägeln zusammengehalten wurde und mit einer Hufeisenfibel als Beigabe ausgestattet war (Engel, ALM). Körpergräber kamen offenbar verhältnismäßig oft in Kombinationen mit Sargresten vor. In mindestens einem Fall wurde der männliche 88 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Verstorbene unter Hügel 143135 in einem Baumsarg bestattet (Nerman 1932, 5). In anderen Fällen, so in Grabhügel 163136 (Engel 1935a, 111) und in einem Grabhügel ohne Nummer (Ohne Verfasser 1935; Agde 1936), scheint es sich um einfache, kistenförmige Särge gehandelt zu haben, die mit Nägeln zusammengehalten wurden. Für Gotland stellte Thunmark-Nylén (2006, 577-578) jedoch heraus, dass Nägel auch für hölzerne Konstruktionen verwendet werden konnten, die im Gegensatz zu Särgen in der Grabgrube aufgebaut wurden. Einmal findet sich für ein Grab aus Wiskiauten nur die Angabe „Bohlensarg“ (Ohne Verfasser 1935). Körperbestattungen sind nach Nerman (1932, 6), wohl aufgrund der von ihm ausgegrabenen Bestattung mit Kopf im Westen, und Engel (1935a, 110) auf christlichen Einfluss zurückzuführen. Diese Interpretation wurde von von zur Mühlen (1975, 15) abgelehnt, da auch in Skandinavien vor dem christlichen Einfluss Körperbestattungen vorkommen. Eine Bestattung mit reichen Beigaben, die in einem „Bohlensarg“ aufgefunden wurde, spricht ebenfalls gegen eine christliche Grablege (Ohne Verfasser 1935). Als einzigartig gilt Grabhügel 163137 von 10 m Durchmesser und 1 m Höhe mit einem älteren und einem jüngeren Brandgrab in der Mitte, beide nur spärliche Perlenbeigaben enthaltend (Engel 1935a, 111). In den Randbezirken dagegen wurden zahlreiche Skelettbestattungen, darunter auch eine Frau und mehrere Kinder sowie drei Pferdebestattungen dokumentiert. Insgesamt sollen 14 Skelette138 freigelegt worden sein (Kleemann 1939b, 201). Die randlichen Bestattungen waren in zwei konzentrischen Kreisen um den Hügelfuß herum angeordnet und offenbar auf die zentralen Grablegen bezogen. Die Lage der Toten variierte. So kamen Hocker-, Bauch- und Rückenbestattungen vor, die teilweise offenbar „achtlos“ (Engel 1935a, 111) in die Grube geworfen worden waren. Andere Skelette schienen Spuren Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog der Grabnummer 64. 135 Entspricht in von zur Mühlens (1975) Katalog der Grabnummer 70. 136 137 Entspricht von zur Mühlen (1975, 137 Nr. 70). Abweichend Engel (1935a, 111), der nur 13 Skelette anführt. 138 von Gewalteinwirkung aufzuweisen, die aber nicht präzisiert werden. Die Toten des inneren Ringes blickten nach außen, die des äußeren Kranzes nach innen zum Zentrum des Hügels. Engel (ebd.) interpretierte dieses besondere Grab als Bestattung eines Häuptlings oder Kriegers, dem Gefolgsleute und Sklaven in den Tod folgten. Andererseits zog er auch die Möglichkeit in Betracht, dass es sich um spätere Nachbestattungen handelt. Dafür spricht vor allem die unterschiedliche Lage und Tiefe der Skelette und die Tatsache, dass einige Verstorbene offenbar in genagelten Holzsärgen bestattet worden sind. Neben dieser Massenbestattung findet sich nur eine weitere Grabanlage mit mehreren Körperbestattungen. Es handelt sich um Hügel 51c139, in dem unter einem runden Steinpflaster drei Körperbestattungen in gestreckter Rückenlage zum Vorschein kamen (Kleemann 1937a, 73 Abb. 14a). Eine Bestattung auf der rechten Körperseite mit leicht angezogenen Knien dokumentierte Kleemann (ebd.) in einem benachbarten Grab. B.3.1.3 Kenotaphe oder Leergräber Eine auffallend hohe Anzahl von Gräbern, in denen manchmal nur eine Steinpackung, aber keine Bestattung festgestellt werden konnte, wurde von den Ausgräbern als Kenotaph interpretiert (vgl. z. B. Heydeck 1900, 62; von zur Mühlen 1975, 139-140 Nr. 81, 85–86). Es ist denkbar, dass hier Körper ohne Sarg beigabenlos beerdigt wurden und dementsprechend vollständig vergangen sind. Andererseits könnten diese Gräber auch tatsächlich Kenotaphe darstellen. Fraglich ist die Interpretation als Leergrab besonders bei den im 19. Jahrhundert untersuchten Bestattungen. Einerseits war die Grabungstechnik noch nicht so weit entwickelt. Andererseits sind auch Gräber, die nur einige unidentifizierbare Eisenfragmente enthielten, als Leergräber angesprochen worden, obwohl es sich um Überreste von Beigaben handeln muss, die der Deutung als Leergrab zu widersprechen scheinen. Ebenso ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass bei der Untersuchung der Hügelgräber in dieser Zeit lediglich der Mittelteil des Grabes Bei von zur Mühlen (1975) nicht im Katalog aufgeführt. 139 Das Gräberfeld untersucht wurde, die Randbezirke dagegen unberücksichtigt blieben. Dies blieb nicht auf die Periode vor 1900 beschränkt blieb, wie Nermans (1932, 2) Beschreibung der angewandten Grabungsmethodik zeigt, vom Rand her einen „Tranchée“ in die Hügelmitte anzulegen und bei Auffindung der Mittelbestattung die Grabungsfläche zu erweitern. Dass dabei eventuell Randbestattungen übersehen wurden, liegt auf der Hand und wurde von den Ausgräbern auch in Kauf genommen (ebd.). Weitere Hinweise finden sich durch eine Beschreibung der Ausgrabungen des Jahres 1937. In diesem Jahr sind zwei Hügelgräber untersucht worden. „Beide entbehrten der Mittelbestattung. Der eine Hügel zeigte das schon früher beobachtete, bezeichnende Bild von Skelettbestattungen am Rande“ (Gaerte 1938, 116). Auch in diesem Fall jedoch ist die Interpretation als Kenotaph in Erwägung zu ziehen, da es sich durchaus um Nachbestattungen in einem vorher angelegten Leergrab handeln könnte, andererseits um Bestattungen von Sklaven oder Angehörigen, die dem in der Ferne gestorbenen Toten bei dessen symbolischer Beerdigung in den Tod folgten. Die Befundgruppe der Kenotaphe zeigt die große Variabilität im Grabbau, der sich bei der Analyse aller verfügbaren Informationen wesentlich komplexer und vielschichtiger darstellt als bislang angenommen. B.3.1.4 Tierbestattungen/Tierbeigaben Tiere sind offenbar nur selten beigegeben worden. Immerhin lassen sich für fünf Gräber140, die in der deutschen Forschungsetappe untersucht wurden, eine bzw. in einem Fall zwei Pferdebestattungen ermitteln, zweimal deuten auch Knochen im Grab auf die Beigabe von Hunden hin. So fanden sich in einem von Heydeck (1900, 62-63; vgl. auch Ohne Verfasser 1900, 294) ausgegrabenen Grabhügel Pferdeknochen in der Verfüllung der Grabgrube. In einem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 133 Nr. 50) sind Pferdezähne dokumentiert worden. Eine komplette Pferdebestattung fand sich in Grab 143 (ebd. 15; 136). Für Grab 163 sind sogar zwei Pferde dokumentiert (Agde 1936, 9; Gaerte 1938, 116). Allerdings Heydeck 1877, 652-653; Ohne Verfasser 1879a, 9; Heydeck 1900, 62 Nr. 3; Agde 1936, 9; von zur Mühlen 1975, 133 Nr. 50; 136 Nr. 64. 140 89 handelt es sich in diesem Fall um eine Mehrfachbestattung, bei der bis zu 14 Skelette in dichter Nachbarschaft, fast ausschließlich auf dem Rücken liegend, aufgefunden wurden141. Sogar ein Hund soll im Randbereich des Hügels bestattet gewesen sein (Gaerte 1938, 116). Eine weitere Hundebestattung kann für ein Grab, das nicht bei von zur Mühlen katalogisiert ist, ermittelt werden (Heydeck 1877, 652653). Ein unverbrannter Hundeknochen wurde auch von Gurevič (Kulakov 2005, 59) in Grabhügel KIII gefunden. Aus Grabhügel K 4 stammen Tierknochen, die nicht näher spezifiziert sind (ebd. 58). Kulakov (ebd. 65) konnte bei seinen Ausgrabungen an Grabhügel K 172 das Skelett eines einjährigen Kalbes dokumentieren. In Hügel K 167/167 sind Rinderzähne nachgewiesen worden (ebd. 75). Ein bereits im Jahr 1879 von Heydeck ausgegrabene Pferdebestattung, zu der in den Archivalien in Berlin142 eine gute Zeichnung erhalten ist, soll zwischen Wosegau und Wiskiauten am Wege gelegen haben (Ohne Verfasser 1879a, 9). Aufgrund dieser Lage in der Nähe des spätheidnischen Aschenplatzes ist die Zugehörigkeit zu dieser separierten Nekropole anzunehmen. Ein weiteres interessantes Grab mit Pferdebestattung liegt mit Grabhügel 143 (von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 64; Nerman 1942, 99 Abb. 89b) vor. Auf einer Plattform an der rechten Seite der südwestlich-nordöstlich ausgerichteten Körperbestattung in einem Sarg liegt ein unverbranntes Pferd auf seiner linken Körperseite mit Kopf im Nordosten. Pferdeplattformen deuten in Birka auf Kammergräber hin (Gräslund 1980, 7; 12), sind in den 20 Kammergräbern dort allerdings regelhaft am Fußende positioniert (ebd. 40), aber niemals, wie beispielsweise in Kiev und Wiskiauten, an der Seite des Verstorbenen, was als nomadische Tradition gilt (Duczko 2004, 220). Vereinzelt aber ist die Bestattung eines Pferdes an der Seite des Verstorbenen in Schweden nachgewiesen (Gräslund 1980, 42), und auch auf Gotland fanden sich Pferde neben dem Reiter beerdigt (Thunmark-Nylén 2006, 320), hier allerdings nie auf einem Absatz (ebd. 323). Gegen ein Kammergrab spricht im Fall von Grab von zur Mühlen 1975, 137 Nr. 70 Taf. 44, 3; Engel 1935a, 111; Agde 1936, 9; Gaerte 1938. 141 142 SMB-PK/PM-A522/050, 051. 90 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 26 Gräberfeld von Wiskiauten. Durchmesser der Grabhügel. 143 von Wiskiauten die kleine Grabgrube und die geringe Größe des Sarges sowie die Lage der Beigaben wie Schwert und Eimer, die offenbar auf einem Sargdeckel und nicht in einer Kammer deponiert worden sind. Gräslund (1980, 60) hält für unverbrannte Tierknochen in der Hügelfüllung auch eine natürliche Verlagerung aus einer nahen Siedlung, beispielsweise durch Hunde, für möglich. Nicht immer liegt eine Beigabe von Teilen von Haustieren im Sinne einer Speisebeigabe vor, wenngleich auch diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen wird. Sie wird jedoch vor allem für unverbrannte Tierknochen in der Bestattung selbst oder in unmittelbarer räumlicher Nähe, oft auf den Brandbestattungen deponiert, bevorzugt. B.3.2 Grabbau B.3.2.1 Hügelgräber In Wiskiauten ist das Hügelgrab die häufigste Grabform. Angaben zu den Maßen der Hügel schwanken beträchtlich. Während Heydeck (1900, 61) Durchmesser von 3–5 m angibt und ihre Höhe mit 0,5–0,8 m beschreibt, sind bei Engel (1935a, 109; ALM Schleswig) die Hügel bis zu 12 m oder sogar 15 m im Durchmesser und bis 1,5 m hoch. Andererseits nennt er flache, kaum wahrnehmbare Gräber von nur 0,3 m Höhe. Von zur Mühlen (1975, 15) gibt sogar Höhen bis 2 m an. Tatsächlich scheinen sowohl kleine als auch extrem große Hügel vorgekommen zu sein (Abb. 26). Einer Auflistung von 187 Grabanlagen143 am Rande des Gesamtplanes144, der in Vorbereitung einer deutsch-schwedischen Gemeinschaftsausgrabung vom 17.–24. Mai 1932 angefertigt wurde, ist zu entnehmen, dass offensichtlich die Mehrzahl der Hügelgräber von unauffälliger, flacher Gestalt mit einem Durchmesser von 5–6 m war, während große, halbkugelartige Hügel bis 12 m Durchmesser seltener vorkamen (Abb. 26)145. Ähnliche Werte ermittelten auch Gurevič (1963) und Kulakov (2005) für die in der russischen Forschungsetappe untersuchten Grabanlagen. Demnach wies die Masse der nach dem Zweiten Weltkrieg untersuchten Hügel einen Durchmesser zwischen 5 und 7,2 m auf. Ein Durchmesser bis 9 m konnte nur einmal für Hügel K 167/167 (Kulakov 2005, 70), ein solcher bis 12 m ebenfalls nur einmal im Fall von Grabhügel K III (ebd. 58) nachgewiesen 143 Für 14 Hügel fehlen jegliche Angaben. 144 SMB-PK/PM-A522/94–522/100. Den hier geäußerten Beobachtungen liegt eine Liste von 187 Hügelgräbern zugrunde, die auf dem im Berliner Archivalien-Teil überlieferten Gesamtplan (SMB-PK/PM-A522/94 bis 522/100) zum Gräberfeld von Wiskiauten aus den 1930er Jahren, erstellt von C. Engel, zu finden ist. 145 Das Gräberfeld 91 Abb. 27 Gräberfeld von Wiskiauten. Höhe der Grabhügel. werden. Die Höhe der Hügel, die nur in drei Fällen unbekannt ist, lag schwerpunktmäßig zwischen 0,2 und 0,6 m. Hierzu sind 100 Hügel zu zählen. Nur acht Hügel waren kleiner, größer dagegen waren immerhin 37 Hügel mit Höhen zwischen 0,7 und 1,6 m (Abb. 27). Für die von Gurevič (1963) und Kulakov (2005) untersuchten Bestattungen lassen sich in elf Fällen Höhen zwischen 0,4 und 0,6 m ermitteln. Weitere acht Hügelgräber wiesen Höhen zwischen 0,65 und 1,25 m auf. Besonders Kulakov (ebd.) beobachtete bei allen in den Jahren 1980, 2000 und 2004 ausgegrabenen Hügelgräbern eine ovale Form. Auf den ersten Blick wirken die Hügel im Gelände jedoch rundlich, so dass in deutscher Zeit wahrscheinlich ebenfalls sehr viele Hügel eher oval als exakt rund gewesen sein dürften, wenn nicht ein runder Steinkranz am Fuße des Hügels tatsächlich auf runde Form hinweist. Es ist wahrscheinlich, dass das heutige Erscheinungsbild der Hügel durch Erosionsprozesse verändert worden ist. Die ursprüngliche Form lässt sich heute nicht mehr genau rekonstruieren. Die Hügelaufschüttungen bestanden aus Sand, Kies oder Lehm (Wulff 1865, 643; Kulakov 2005, 65), wobei der Standort auf dem durch unterschiedliche Bodenarten gekennzeichneten Gräberfeld mit dem dort zur Verfügung stehenden Bodenmaterial anscheinend ausschlaggebend war. „Weitaus die Mehrzahl“ aller Hügel soll nach Angaben von Heydeck (1877, 651) außer einem oder mehreren auf dem höchsten Punkt angeordneten Merksteinen keine Steinarchitektur besessen haben. Gaerte (1933b, 73) spricht von ein bis drei Merksteinen, die Größen bis über 1 m Länge und 0,6 m Breite aufweisen konnten (Heydeck 1877, 651). Sie scheinen direkt auf der Bestattung aufgestellt und erst durch die Hügelanschüttung mit Erde bedeckt worden zu sein, da sie nach Heydeck (ebd.) oft nur mit der Spitze aus dem Hügel hervorragten und seltener bis zur Hälfte zu sehen waren. Das gleiche Phänomen ist von Grabhügeln in Birka bekannt (Gräslund 1980, 65). Der Aussage Heydecks (1877, 651), die Mehrzahl der Hügel besitze keine weitere Steinarchitektur, wird von anderen Ausgräbern offenbar nicht gefolgt, vermutlich, weil unterschiedliche Areale des Gräberfeldes untersucht wurden. So finden sich beispielsweise bei Engel (ALM Schleswig) andere Beschreibungen. Über der auf der Oberfläche ausgebreiteten, zuweilen auch schwach eingetieften Brandschicht oder Brandgrube ist offenbar einfach der Hügel aufgeschüttet worden; in anderen Fällen war die Brandschicht von einem engen Steinkranz von etwa 1 m Durchmesser umsetzt. Auch neben der Brandschicht kamen ovale oder rundliche Steinpackungen vor. Andere Formen der Steinsetzung wurden offenbar von Paulsen am Nordrand des Gräberfeldes bei der Untersuchung einer „Gruppe von 92 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung meist recht beigabenarmen Hügeln aus dem Ende des 10. Jahrhunderts“ beobachtet (ebd.). Hier sollen rechteckige oder quadratische Steinsetzungen die Gräber umfasst haben, in deren Mitte in einigen Fällen ein Beigefäß angetroffen wurde (ebd.). Nerman (1932, 3) gibt für die von ihm 1932 untersuchten Gräber146 an, dass er trotz Überprüfung des Hügelfußes mit einer Sondierstange keinerlei Fußring aus Steinen feststellen konnte. Eine Zeichnung im Archiv in Stockholm aus dem Nachlass von Birger Nerman zu Grabhügel 141147 zeigt dagegen einen Steinkranz (Abb. 28). Genauso besaß der von Kulakov (2005, Abb. 13–14; 17) 1980 ausgegrabene Hügel K 172 einen kompletten, Hügel K 182 immerhin noch Reste eines Steinkranzes am Hügelfuß. Die von Gurevič (1963) untersuchten Grabanlagen dagegen lassen diesen Steinkranz wiederum vermissen. Die dokumentierten Steinumfassungen liegen meist innerhalb der durch die Aufschüttungen gebildeten Hügel und nicht genau am heutigen Hügelfuß. Möglicherweise geben die Steinkränze die tatsächliche, frühere Grenze der Hügel an. Diese könnten also zur Zeit ihrer Errichtung etwas höher und im Umfang geringer gewesen sein, so dass sich generell eher eine halbkugelige Form ergibt. Erst im Laufe der Jahrhunderte dürfte Erdmaterial erodiert sein und dadurch die Fußkränze überdeckt haben. Auch Hügel ohne Fußkränze hatten ursprünglich wahrscheinlich eine etwas andere Form. Offenbar wurde der Steinkranz vereinzelt auch von einem Graben begleitet, worauf der Befund an Grabhügel K 172 (Kulakov 2005, 65) hindeutet. Hier scheint also ein Unterschied in der Architektur der verschiedenen Grabhügel zu bestehen, der, wie erwähnt, auf die unterschiedliche Lage der Hügel im Bestattungsfeld zurückzuführen sein könnte. Möglicherweise sind hier unterschiedlich bestattende Personengruppen zu erkennen. Endgültige Aussagen sind erst nach der vollständigen Auswertung der noch vorhandenen Grabpläne aus den Beständen des ehemaligen Prussia-Museums in Berlin sowie der vorhandenen Zeichnungen im Alte Grabnummern 43–44, 55, 64, 72–74, 133, 138, 139–139a, 140–141, 143–144, 144a–144b, 185, 189, 204, 207. 146 Entspricht im Katalog bei von zur Mühlen (1975, 135) der Grabnummer 63. 147 Nachlass von Birger Nerman in Stockholm zu erwarten. Bootgräber sind für Wiskiauten bisher nicht schlüssig nachzuweisen. Zwar fanden sich vereinzelt Niete mit viereckigen oder rautenförmigen Nietplatten an beiden Enden, die als Schiffsniete interpretiert werden könnten, so zum Beispiel in Hügelgrab 144b (von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 67) oder Grabhügel 145 (ebd. 137 Nr. 68). Aufgrund der geringen Anzahl scheidet die Ansprache als Bootsgrab jedoch aus. In Birka (Gräslund 1980, 57) muss die Anzahl mehr als 100 Stück betragen, bevor eine Ansprache als Schiffsgrab erfolgt. Eine so große Anzahl ist für keines der Wiskiautener Gräber überliefert, hätte jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit soviel Aufsehen erregt, dass eine Erwähnung zu erwarten gewesen wäre. Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch die von Engel (1935a, 110) geäußerte Interpretation, dass die Personen aus Gräbern, in denen Schiffsniete gefunden wurden, als besonders „Bevorzugte“ anzusehen seien. Die gefundene Anzahl der Niete nennt er leider ebenso wenig wie die Gräber, in denen Schiffsniete gefunden worden sind, so dass die Aussage nicht überprüft werden kann. Einige Grabhügel mit besonders kompliziertem Aufbau möchte Engel (1935a, 110) sogar als Fürstengrab ansprechen. Er beschreibt dabei mächtige Steinpackungen, in denen Reiter und Pferd unverbrannt gemeinsam bestattet lagen. Der als Krieger interpretierte Tote lag dabei in einem Baumsarg, auf dem ein hölzerner Eimer stand (ebd.)148. Offenbar sind die Grabhügel vereinzelt auch zu Nachbestattungen benutzt worden (Heydeck 1900, 62). Darauf deutet auch die Bestattung von 13 Skeletten in Hügel 163 hin, die entweder als geopferte Sklaven oder als nachträgliche Bestattungen interpretiert werden (Engel/ La Baume 1937, 207). Auch Gaerte (1938, 116) erwähnt solche randlichen Bestattungen. Schwierig ist der unterirdische Grabbau der Hügelgräber zu beurteilen, da er in der Literatur nur wenig Beachtung gefunden hat und Grabpläne weitgehend unpubliziert blieben. Hier wäre eine vollständige Auswertung der Vermutlich ist damit der von Nerman (1942, 99 Abb. 89b; von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 64) ausgegrabene Hügel 143 gemeint. 148 Das Gräberfeld 93 Abb. 28: Gräberfeld von Wiskiauten. Grabhügel 141 mit Steinkranz und zentraler, die Bestattung überdeckender Steinpackung (nach einer Zeichnung im Nachlass von B. Nerman, Riksantekvariet Ämbetet Stockholm). Archivalien besonders hilfreich. Nur in wenigen Fällen hat es offenbar tatsächlich in den Boden eingetiefte Grabgruben gegeben, die dann nahezu regelhaft mit Körperbestattungen kombiniert sind. Selten sind dabei auch eine oder mehrere Gruben dokumentiert worden, die Teile der Brandreste enthielten und die offenbar durch die Plattform hindurch nach der Verbrennung des Leichnams in den anstehenden Boden eingegraben worden sind (Kulakov 2005, 67). In einigen Hügeln sind Plattformen gefunden worden, auf denen die Verbrennung stattgefunden hat. In einem Fall könnte eine extrem große Grabgrube auf ein Kammergrab hindeuten. Unter einem Grabhügel149 von 6 m Durchmesser und 0,6 m Höhe, der 1873 freigelegt und in einem umfassenden Bericht von Heydeck (1879) vorgelegt wurde, fand sich ein Sarg aus Eichenholz in einer Grabgrube von 2,7 m Länge, 1,11 m Breite und 0,71 m Tiefe. Der unverbrannte, aber stark vergangene Leichnam lag auf dem Dieses Hügelgrab ist in von zur Mühlens (1975) Katalog nicht aufgeführt, aber mehrfach in der Literatur erwähnt (Bujack 1876c, 279-280; 1881; Heydeck 1879). 149 94 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Rücken, der Kopf fand sich im Nordwesten. Im Vergleich mit Birka entsprechen die Maße dieses Sarges den unteren Kriterien für Kammergräber, die durchschnittlich mehr als 1,2 m breit und 2–2,9 m lang sind, die Tiefe betrug meist zwischen 0,6 m und 2,5 m (Gräslund 1980, 12; 27; 30). Der Schwerpunkt liegt jedoch bei Tiefen von 1,2–2,0 m (ebd. 30). Demgegenüber sind normale Sarggräber durch Tiefen von 0,6–1,4 m definiert. Einer Deutung des hier zu besprechenden Befundes als normales Sarggrab ist damit nicht widersprochen. Dagegen ist der Wiskiautener Befund mit seiner Weite von 1,11 m deutlich breiter als die höchstens 0,8 m breiten, einfachen Sarggräber aus Birka (ebd. 12). Auf ein weiteres mögliches Kammergrab könnte Grabhügel 143150 (Nerman 1942, 99 Abb. 89b; vgl. hier Abb. 10) hinweisen, in dem auf einer Plattform an der rechten Körperseite des Verstorbenen ein unverbranntes Pferd auf seiner linken Körperseite mit Kopf im Nordosten bestattet war. Da Pferdeplattformen in Birka regelhaft mit Kammergräbern verknüpft sind (Gräslund 1980, 7; 12), kann zunächst auch in Grabhügel 143 ein Kammergrab vermutet werden. Die Befundsituation lässt jedoch keine Kammerkonstruktion erkennen (Nerman 1942, 99 Abb. 89b). Vielmehr muss diese Interpretation aufgrund der kleinen Grabgrube und der geringen Größe des Sarges ausscheiden. B.3.2.2 Flachgräber Zwischen den die Nekropole dominierenden Hügelgräbern sind vereinzelt auch Flachgräber aufgedeckt worden. Das bekannteste Beispiel ist eine 1930 beim Stubbenroden zufällig freigelegte Bestattung151, die neben zwei spitzbogenverzierten Lanzenspitzen und einem Schwert mit Inschrift152 auch mit einer sehr großen Armbrustfibel mit Tierkopffuß ausgeEntspricht in von zur Mühlens (1975, 136) Katalog der Grabnummer 64. 150 Von zur Mühlen (1975, 137) vergab in seinem Katalog für diese Bestattung die Grabnummer 69. 151 Engel (1931a, 29; 1931b; Abb. des Grabinventars bei von zur Mühlen 1975 Taf. 9, 1, Taf. 36) beschreibt die Inschrift als Runeninschrift. Die Inschrift ist im Nachlass von P. Paulsen in Schleswig (ALM Schleswig) in einer Skizze erhalten. Es handelt sich um eine Ulfberth-Inschrift auf einem Schwert vom Typ K nach Petersen (1919). 152 stattet war. Hielt Engel (ALM) dieses Grab für die Bestattung eines Skandinaviers, so wurde es von Wróblewski (2006a, 141) aufgrund der darin gefundenen Armbrustfibel mit Tierkopffuß als einheimisches Grab gedeutet. Im Jahr 1935 sollen ebenfalls „zwei wikingische FlachBrandgräber“ freigelegt worden sein (Ohne Verfasser 1935, 170). Auf Flachgräber weist auch der im Osten des Gräberfeldes liegende separierte Bestattungsplatz hin, der unter dem Begriff „spätheidnischer Aschenplatz“ Eingang in die Literatur gefunden hat (Engel 1932a). Für diesen Bereich beschrieb der erste Ausgräber Wulff (1865, 643) „dicht unter der Oberfläche noch unberührt liegende(n) Kranzsteine“, in denen zahlreiche Waffen als Beigaben eingeschlossen waren. Er dachte jedoch, dass hier die Hügel einfach „verschwunden“ (ebd.) bzw. natürlich aberodiert waren. Eine Interpretation als Flachgräber, die zum spätheidnischen Gräberfeld gehören könnten, ist aber wahrscheinlicher, da diese Gräber den gleichen Grabbau aufwiesen und ebenfalls von einem Steinkranz eingeschlossen waren. Gleichzeitig beschreibt Wulff zahlreiche Urnen unter den Steinpackungen, deren Scherben mit konzentrischen Ringen verziert gewesen sein sollen. Die „vereinzelte Nachbestattung in Flachgräbern“, die Hollack (1908, 185) anführt, könnte auf den ersten Blick auf die bronze- und eisenzeitlichen Bestattungen im steinzeitlichen Hügelgrab im Osten des Wäldchens Kaup bezogen sein. Sie wird aber bei der Beschreibung der Grabhügel angeführt. Eindeutig dagegen scheint eine Aussage von Kleemann (1933, 248) zu sein, der ein Flachgrab einer weiblichen Person aus dem 9. Jahrhundert erwähnt, das mit Bronzeschmuck ausgestattet war und daher klar datierbar gewesen sein dürfte. Es soll in der Nähe des großen Steinzeithügels, also im Ostteil des Wäldchens Kaup gelegen haben und stützt dadurch die Vermutung, dass in diesem Waldabschnitt Flachgräber gelegen haben. Die vorangehend zusammengefassten Beobachtungen ziehen die Frage nach sich, ob nicht der auffallende Grabbau der Hügelgräber die Untersuchung der dazwischen liegenden Bereiche und somit die Auffindung von weiteren Flachgräbern verhinderte und ob nicht viele Flachgräber möglicherweise noch unberührt im Boden liegen. Hinweise darauf finden sich neben einem weiteren Eintrag auf dem Ge- Das Gräberfeld samtplan bei von zur Mühlen (1975, Abb. 1) auch durch neuere Forschungen von V. I. Kulakov. Im Jahr 2005 hat dieser einen Grabhügel untersucht und dabei auch das Umfeld in die Ausgrabungen miteinbezogen153. Es gelang der Nachweis von mehreren Gruben mit kalzinierten Knochen, die vom Ausgräber als Flachgräber interpretiert werden. Drei weitere Flachgräber wurden im Jahr 2007 im Umfeld von Grabhügel K 140 A entdeckt. Nach den anhand von Holzkohleproben gewonnenen 14 C-Daten gehören zwei der drei Gräber in das späte 9. oder 10. Jahrhundert154, eine weitere Holzkohleprobe aus dem dritten Grab lieferte ein erstaunlich frühes Datum aus dem 3. vorchristlichen Jahrtausend155. Vermutlich ist die Zahl der zwischen den Grabhügeln liegenden Flachgräber also ebenfalls sehr hoch einzuschätzen, wodurch sich die Gesamtanzahl der Bestattungen beträchtlich erhöhen würde und dem Grabbau eine größere Variabilität bescheinigt werden müsste. Zusätzlich hätte die steigende Anzahl an Gräbern auch Folgen für die Größe der zu vermutenden Siedlung und für deren Gesamtinterpretation als möglicherweise polyethnische Niederlassung. Die spärlichen, aber dennoch eindeutigen Hinweise auf Flachgräber veranlassten Nerman (1934, 373), in Wiskiauten eine separierte Kolonie von Gotländern anzunehmen, die neben einer schwedischen Kolonie existiert haben könnte. „Der zugehörige Friedhof, vermutlich aus Flachgräbern bestehend, könnte in der Umgebung des „schwedischen“ Hügelgräberfeldes liegen“, so Nerman (ebd.). Von einem zusammenhängenden Flachgräberfeld, das dem Hügelgräberfeld benachbart wäre, ist beim derzeitigen Forschungsstand jedoch nichts bekannt. Für die mündliche Information dankt Verf. dem Ausgräber V. I. Kulakov. 153 KIA 35330: Radiocarbon Age: BP 1080 +/- 24, OneSigma-Range: cal AD 899-1010, Two-Sigma-Range: cal AD 895-1017; KIA 35331: Radiocarbon Age: BP 1144 +/- 28, One-Sigma-Range: cal AD 874-969, TwoSigma-Range: cal AD 781-976. Für die Erlaubnis zur Verwendung dieser Daten dankt Verf. dem Ausgräber V. I. Kulakov. 154 KIA 35332: Radiocarbon Age: BP 4043 +/- 32, OneSigma-Range: cal BC 2619-2491, Two-Sigma-Range: cal BC 2833-2474. 155 95 B.3.2.3 „Spätheidnischer Aschenplatz“ von Wiskiauten Von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten in seinem regionalen Bezug zu anderen, zeitgleichen Fundstellen ist eine Nekropole im Ostteil des Wäldchens Kaup, in der sog. „kleinen Kaup“, in unmittelbarer Umgebung des steinzeitlichen Hügelgrabes. Bei der Anlage einer Lehmgrube wurden 1932 mehrere Brandgruben angeschnitten (Abb. 29), aus denen auffällig viele Pferdeknochen geborgen werden konnten (Engel 1932a). Die sofort eingeleitete Untersuchung erbrachte mehrere, sog. „spätheidnische Reitergräber“, die nur mit wenigen Beigaben wie Messern, Lanzenspitzen und Tongefäßen ausgestattet gewesen sein sollen (ebd. 140). Unter den menschlichen Brandgräbern fanden sich unverbrannte Pferdebestattungen. Die an den Skelettresten der Tiere gefundenen Schnallen, Trensen und Steigbügel lassen vermuten, dass den Pferden bei der Niederlegung die Reitausrüstung angelegt war. Dieses auch als „Spätheidnischer Aschenplatz“ (Engel 1935a, 112; von zur Mühlen 1975 Taf. 2; vgl. hier Abb. 29) bezeichnete Gräberfeld ist vermutlich schon früher angeschnitten worden. Erstmals scheint Wulff (1865) darauf gestoßen zu sein. Auch J. Heydeck hat etwas später vermutlich Bestattungen dieses separierten Friedhofs untersucht. Das zumindest lässt sich aus einer Archivalie156 erschließen, die aus dem Jahr 1879 stammt und die Zeichnung eines Pferdes mit angelegter Trense wiedergibt. Die Bestattung des Pferdes soll zusammen mit zwei weiteren „zwischen Wiskiauten und Wosegau am Wege“ gelegen haben (ebd.), was der Lage des als „kleine Kaup“ bekannten, östlichen Waldteiles mit dem „spätheidnischen Aschenplatz“ entspricht. Insbesondere das Profil der damaligen Grabung (SMB-PK/PM-A 522/051) gibt deren Lage an einer Lehmgrube wieder und bestätigt darüber hinaus die Einbettung der Gräber in eine Aschenschicht, die in ihrer Zusammensetzung der in den 1930er Jahren ausgegrabenen Ascheschicht des „spätheidnischen Aschenplatzes“ entspricht. Diese Schicht veranlasste Wróblewski (2006a), zusammen mit den weiteren Gräberfeldern in der Umgebung Wiskiautens – wie beispielsweise Schulstein/Volnoe, Laptau/Murumskoe, 156 SMB-PK PM-A 522/050. 96 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 29 Gräberfeld von Wiskiauten, „Spätheidnischer Aschenplatz“. Zeichnung des Ausgräbers C. Engel aus dem Jahr 1932 (ALM Schleswig). Dollkeim/Kovrovo oder Wikiau/Klincovka (Irzekapinis) – in den Aschenplätzen eine eigene prussische Bestattungssitte zu vermuten, wie dies bereits ansatzweise von Tischler und Kemke (1902) geäußert worden war. Die Gräber, die unter einer etwa 0,3 m dicken Ascheschicht lagen, lassen sich zunächst in zwei unterschiedliche Kategorien einteilen: menschliche Bestattungen und meist darunter liegende Pferdegräber. Die Pferdegrabgruben müssen zuvor in den Boden eingetieft und nach der Bestattung des Pferdes verfüllt worden sein, da die Brandgruben in diese eingebettet sind. Die Pferde liegen meist auf der Das Gräberfeld Seite, eine einheitliche Ausrichtung der Pferdekörper ist nicht auszumachen. Die Beisetzung der menschlichen Bestattungen erfolgte im Anschluss in rundlichen bis ovalen Gruben mit Maßen bis 1,5 m Länge und 0,8 m Breite. In diesen Gruben waren kalzinierte Knochen und Brandreste vermischt deponiert. Die Beigaben sind entweder in die Gruben eingebettet gefunden worden oder lagen zwischen den Grabgruben verstreut. Lassen sich für den Grabbau also einigermaßen verlässliche Informationen finden, so fällt die Datierung der Gräber schwerer, da die Originalfunde im Zuge der Verlagerungsgeschichte der Prussia-Sammlung verloren gingen. Für die zeitliche Einordnung können lediglich einige Archivalien ­– wie der erwähnte, umgezeichnete Gesamtplan und die zugrundeliegende Originalzeichnung der Ausgrabungen in den 1930er Jahren ­– herangezogen werden. Da die Form der Steigbügel aus den freigelegten Bestattungen dieser Nekropole „so überraschende Ähnlichkeit“ (Engel 1932a, 140) mit den Funden aus den Hügelgräbern der großen Kaup aufwies, datierte man sie ins 12. und 13. Jahrhundert und kam zu dem an sich unlogischen Schluss, die „Wikingerkolonie“ von Wiskiauten müsse auch nach der Hauptnutzungszeit der Nekropole weiter existiert haben. Die skandinavische Bevölkerung soll bei Übernahme der Bestattungsbräuche allmählich in der samländischen Urbevölkerung aufgegangen sein. Die Bestattungen in den jüngeren Hügelgräbern der Kaup wollte von zur Mühlen (1975, 16) nicht mehr als „reine Wikinger“ verstehen, sondern als „Altpreußen wikingischer Herkunft“, die an der traditionellen Bestattungsweise ihrer Vorfahren festhielten. Auch Nerman (1934, 373) war der Meinung, dass einige der Funde aus dem spätheidnischen Aschenplatz auf Objekte aus der Wikingerzeit zurückzuführen seien. Die Gräber selbst ordnete auch er der prussischen Kultur der „folgenden Jahrhunderte“ zu. Folgte noch von zur Mühlen (1975, 16) der späten Datierung dieser Gräber in der kleinen Kaup, die er vom 11. über das 12. Jahrhundert sogar bis ins 13. Jahrhundert laufen lässt, war diese zeitliche Einordnung schon in deutscher Zeit nicht unumstritten. So datierte Gaerte (1933b, 74) den Komplex in das 11. 97 und 12. Jahrhundert. Dabei betonte er die auffällige Beeinflussung der Grabbeigaben durch die „Wikingerkultur” und zog eine temporäre Gleichzeitigkeit der beiden Nekropolen zumindest für das 11. Jahrhundert in Betracht. Auch heute ist die späte Datierung des prussischen Bestattungsplatzes eher umstritten. Durch die zahlreichen Analogien der Steigbügelformen mit solchen aus den Hügelgräbern drängt sich geradezu eine zeitliche Parallelität auf. Auch die wachsende Zahl ausgegrabener Befunde prussischer Bestattungsplätze (vgl. z.B. Kulakov 1990; Ibsen/Skvorzov 2005; Pronin/Smirnova/ Mishina/Novikov 2006) zeigt ähnliche Bestattungsformen und Funde, die heute ins 10. und frühe 11. Jahrhundert gesetzt werden und somit zeitgleich mit den Hügelgräbern von Wiskiauten angelegt worden sind. So werden insbesondere die Steigbügelfunde aus den Gräbern 7 (Kulakov 1990, 74 Taf. 65, 1), 23 (ebd. 75 Taf. 45, 2), 86 (ebd. 79 Taf. 68, 2), 91 (ebd. Taf. 70, 1), 97 (ebd. Taf. 71, 2) und 118 (ebd. 80 Taf. 73, 1) aus dem Gräberfeld von Wikiau/Klincovka (Irzekapinis) alle ins 10. Jahrhundert datiert. Weitere Exemplare aus Gräbern des im Jahr 2005 ausgegrabenen Gräberfeldes von Povarovka im westlichen Samland (Pronin/Smirnova/Mishina/Novikov 2006) gehören allgemein ins 10.–13. Jahrhundert. Demnach ist die späte Datierung der „spätheidnischen Reitergräber“ nicht mehr ohne weiteres zu halten, wofür sich zuletzt auch Wróblewski (2006a, 224f.) aussprach. Vielmehr scheint sich hier die polyethnische Komponente der Siedlung um Wiskiauten anzudeuten, d. h. mehrere Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Stammeszugehörigkeit oder Herkunft nutzten vermutlich einen gemeinsamen Bestattungsplatz und hatten möglicherweise ihre Wohnstätten in nächster Nähe zueinander errichtet. Eine endgültige Klärung könnte die Wiederauffindung der Originalfunde aus dem spätheidnischen Aschenplatz bewirken157. Erst dann stünde eine gesicherte Basis für eine älBisher liegt lediglich ein konkreter Hinweis auf Funde aus dem spätheidnischen Aschenplatz vor. Es handelt sich um Leichenbrand, Holzkohle und Keramikfragmente aus dem am 18.5.1932 untersuchten Grab 4a (Prussia-Inventarnummer: VII, 431, 12802) im neu eingerichteten Prussia-Fundarchiv im Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz. 157 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 98 tere Datierung zur Verfügung. Die Skizze der 1932 dokumentierten Brandgräber mitsamt ihren Funden ist so ungenau, dass kaum echte Typenbestimmungen möglich sind. Auch der originale Gesamtplan aus dem Jahr 1932158 bietet nur skizzenhafte Abbildungen der Funde und insbesondere der für eine Datierung so wichtigen Steigbügel, die in den erhaltenen Umzeichnungen (Nachlaß R. Grenz, ALM Schleswig; vgl. Wróblewski 2006a, 225 Abb. 3; 2006b, 144 Abb. 22; hier Abb. 29) etwas idealisiert erscheinen. Denn die dortigen Steigbügel erinnern stark an die spitzbogigen Exemplare des sogenannten nordischen Typs (Forsåker 1986, 125), die nach Świętosławski (1990 Abb. 19, Taf. 1) als Typ III/C bezeichnet werden (Wróblewski 2006a, 224), was aus der Originalzeichnung in Berlin nicht unmittelbar zu entnehmen ist. Dennoch dürfte die Form annähernd realistisch abgebildet sein, denn immerhin hat Engel, von dem die Umzeichnung stammt, die Masse der Gräber selbst ausgegraben. Dagegen spricht jedoch, dass C. Engel in seinem Grabungsbericht des Jahres 1932159 nur einmal ausdrücklich das Vorhandensein eines Steigbügels mit dem Zusatz „Wikinger“ vermerkt hat. Wenig später bescheinigte er den im „spätheidnischen Aschenplatz“ gefundenen Beigaben „deutliche, wenn auch abgeschwächte Wikingereinflüsse“ (Engel 1935a, 113). Letztlich ist die Frage der Datierung dieser Bestattungen ohne Vorhandensein des originalen Fundmaterials oder neue Ausgrabungen nicht zu beantworten. So bleibt auch eine späte Datierung weiterhin möglich. Wichtig ist auch die Größe dieses Bestattungsplatzes, dessen Grenzen durch Suchschnitte ermittelt wurden. Eine schematische Einzeichnung hat bereits von zur Mühlen (1975, Taf. 2; hier Abb. 9) publiziert. In dem dort abgedruckten Plan des Hügelgräberfeldes erscheint im Osten eine schwarze Fläche, die als „Flachgräberfeld (spätheidnischer Aschenplatz)“ erläutert wird. Demnach erstreckte sich das prussische Gräberfeld auch auf die Bereiche westlich der Straße Wosegau-Wiskiauten und somit auf die große Kaup. Dieser Plan kann heute durch die wiederentdeckten Archivalien im Prussia-Archiv Berlin160 und durch einige Aufzeichnungen von C. Engel im Nachlass von R. Grenz (ALM Schleswig) bestätigt werden, auf denen die Suchschnitte metergenau eingezeichnet sind. Sie bestätigen die schematische Markierung von zur Mühlens. Demnach war das Gräberfeld auf einen Raum von etwa 30 x 15 m begrenzt. Die Gesamtanzahl der Bestattungen ist unbekannt. In der Skizze des Grabungsschnittes von 1932 (Wróblewski 2006a, 224f. Abb. 3; 2006b, 144 Abb. 22) sind insgesamt 16 Brandgruben mit menschlichen Bestattungsresten und 17 Pferdebegräbnisse erkennbar. C. Engel erwähnt im zugehörigen Grabungsbericht161 drei bereits vorher zerstörte Gräber. Zwei weitere Bestattungen sind 1935 freigelegt worden (Agde 1936, 9). Wenn auch Wulff (1865, 644) und später Heydeck, wie aufgrund einer Archivalie in Berlin162 vermutet werden kann, dieses Gräberfeld angeschnitten haben, dann ist dafür eine wesentlich höhere Anzahl an Gräbern zu vermuten. Möglicherweise war der „spätheidnische Aschenplatz“ auch nicht in allen Bereichen gleichartig gestaltet. Es gibt Hinweise, dass die Nekropole auch in sich nochmals untergliedert war. So gab Wulff (1865, 644) an, er habe links vom Weg im Waldboden die ersten Grabungen durchgeführt. Bis zu 2 Fuß tief (ebd. 645), also etwa bis 0,6 m, musste er graben, um die dortigen Gräber auszunehmen. Unter den Bestattungen mit den Beigaben fand er anstehenden, kiesigen Boden. Von Pferdebestattungen aber, die östlich des Weges zahlreich vorhanden gewesen sind, ist in Wulffs Bericht nichts zu lesen. Eine Datierung wird nicht angegeben, so dass über die chronologische Stellung der verschiedenen Grabanlagen keine Aussagen zu treffen sind. Immerhin deutet sich an, dass generell mit einer großen Variabilität der Gräber bzw. des Grabbaus zu rechnen ist, womit auch zeitliche Unterschiede verbunden sein könnten. Für eine chronologische Zweiteilung, mit Bestattungen der Römischen Kaiserzeit, die von einem Aschenplatz des Frühmittelalters überlagert werden, wie jüngst Wróblewski (2006a, 225) zur Diskussi160 SMB-PK/PM-A 522/12. SMB-PK/PM-A 522/3-117. SMB-PK PM-A 522/1-050. 158 SMB-PK/PM-A 522/12. 161 159 SMB-PK/PM-A 522/3, 117-119. 162 Das Gräberfeld on stellte, ist jedoch nicht auszugehen, da die Ausgräber bei ihrer großen Materialkenntnis kaiserzeitliche Funde mit Sicherheit besonders hervorgehoben hätten. Durch Wulffs Bericht liegen zusätzlich Hinweise vor, dass auch aus dem spätheidnischen Aschenplatz – falls es sich nicht um einen zerstörten Grabhügel handelte – Schwerter geborgen worden sind. Diese Beobachtung ist bisher nicht beachtet worden. Es ist aber auch denkbar, dass dort Flachgräber gelegen haben, die zu dem von Nerman (1934, 373) vermuteten gotländischen Flachgräberfriedhof gehört haben könnten. Darauf lässt ansatzweise die Beschreibung der Gräber von Wulff schließen. Sie sollen regelhaft von einem Steinkreis von etwa 1 m Durchmesser163 umgeben gewesen sein, was dem Aussehen der von Nerman (1958, 174) in Grobin freigelegten gotländischen Grabanlagen entspricht. Aus einer der Bestattungen stammt das Schwert mit bronzenem Ortband (Wulff 1865, 644), eine Fundgattung, die für den Aschenplatz bisher nicht belegt war. Von den für den spätheidnischen Aschenplatz so charakteristischen Pferdeknochen wird bei der Beschreibung dieser Grabanlage allerdings nichts erwähnt. Dagegen sollen regelmäßig Urnen in den Gräbern vorgekommen sein (ebd. 645). Letztlich bleiben die genauen Verhältnisse in diesem Waldabschnitt ohne erneute Grabungen sehr unklar. Durchaus könnten hier weitere Bestattungen liegen, die auf bisher nicht bekannte bzw. nicht beachtete Grabbauweisen hindeuten. B.3.2.4 Weitere Befunde im Gräberfeld Bei der Untersuchung von Grabhügel K 174 gelang Kulakov (2005, 63ff. Abb. 13) im Jahr 1980 die Freilegung einer runden Steinpackung aus mehreren Steinringen, in deren Zentrum von Südosten nach Nordwesten eine lückenhafte, doppelte Steinreihe verlief. Diese Steinreihe trennt den Innenraum der Steinringe in zwei gleichgroße Teile. In den verbleibenden Zwischenräumen wurden im Westen eine quadratische Steinsetzung aus größeren Steinen, im Osten eine ringförmige, als Pfostenverkeilung interpretierte Steinsetzung aus sehr kleinen Steinen dokumentiert. Im Umfeld wurden neun weitere, sehr flache Gruben gefunden. Wulff (1865, 645) gibt als Durchmesser „3-4 Fuß“ an. 163 99 Aufgrund von „Schnittspuren“ an den Steinen und Tierknochen, die eventuell von einem Hammel stammen sollen, wurde die gesamte Anlage als Opferstätte mit kultischer Funktion interpretiert. Gleichzeitig betonte Kulakov die Ähnlichkeit dieser Konstruktion mit Steinsetzungen in den Hügelgräbern im benachbarten Wäldchen Kunterstrauch. Auch hier diente die Reihe in der Mitte eines Steinringes der Trennung zweier Grabstätten (Gaerte 1929, 325 Abb. 261a). Der Vergleich ist jedoch unzulässig, da in der Steinkonstruktion östlich von Hügelgrab K 174, abgesehen von einem Eisennagel und einem Tierwirbel, keinerlei Funde getätigt wurden, die auf beigabenführende Bestattungen hinweisen könnten. Immerhin bleibt es denkbar, die Anlage als Kenotaph oder als doppelte Körperbestattung mit vollständig vergangenen Skeletten anzusprechen. Drei Steinpackungen, die während der Ausgrabung nicht auf Bestattungen bezogen wurden, legte auch Gurevič (1963, 202; Kulakov 2005, 59-61) frei. „Steinpackung I“ am Rand von Hügelgrab K I war bei einer Länge von 4,5 m und einer Breite von 0,75 m langrechteckig. Als Funde traten Holzkohlestücke, Tierknochenfragmente und Scherben handgeformter Keramikgefäße zutage. Kulakov (ebd. 59) interpretierte die Steinkonstruktion mangels besserer Erklärung als Opferstätte. Hinweise auf ähnliche Steinpackungen liegen schon aus früheren Ausgrabungen vor. So beschreibt Heydeck (1900, 61) einige Grabhügel mit rechteckigen, regelmäßigen Steinpackungen, die keinerlei Funde enthielten. Als Interpretationsansatz schienen ihm Kenotaphe oder Steinsetzungen, „die beim Bestattungskultus gebraucht wurden“, wahrscheinlich. Von runder Form waren „Steinsetzung 1“ und „Steinsetzung 2“, die östlich der Grabhügel „K V“ und „K VII“ gelegen haben sollen (Kulakov 2005, 62 Abb. 10)164. Die Grabungen von Gurevič lagen im Ostteil des Gräberfeldes (Gurevič 1963, 198). Beide Konstruktionen sind direkt benachbart. Die mit 2 m Durchmesser recht große „Steinsetzung 1“ enthielt Fragmente kalzinierter Knochen, Fragmente einer Glasperle und eine Glasscherbe sowie einen „Gegenstand“ aus Feuerstein. Kulakov Diese beiden Hügelgräber sind in Kulakovs (2005) Auflistung der zwischen 1956 und 2004 untersuchten Befunde in Wiskiauten nicht erwähnt. 164 100 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung (2005, 61) interpretierte die Anlage als besondere Form einer weiblichen Bestattung. Die kleinere „Steinsetzung 2“ mit einem Durchmesser von nur 1 m war fundleer. Mangels anderer Erklärung wurde kultische Funktion unterstellt. Ähnliche Befunde sind offenbar auch schon früher beobachtet worden. Bei einer Nachuntersuchung des steinzeitlichen Hügelgrabes durch O. Kleemann (1933, 248) hat dieser westlich des Steinzeithügels einen Komplex mit Steinpackungen freigelegt. Von einem Wikingerhügel des 11. Jahrhunderts überlagert fanden sich vier teils ovale, teils rundliche Steinpackungen. Zeitstellung und Funktion dieser Befunde konnten nicht geklärt werden. B.4 Regionaler und überregionaler Vergleich des Grabbaus Im direkten regionalen Umfeld kennt das Hügelgräberfeld von Wiskiauten keine Parallelen. Lediglich die insgesamt fünf Körperbestattungen im Wäldchen Kunterstrauch (Kleemann 1939b, 211) etwa 1000 m nordwestlich der Kaup (vgl. Abb. 19 Nr. 47) sind ebenfalls von Hügeln bedeckt. Sie gehören aber nach Ausweis der Funde ins 13. Jahrhundert (Heydeck 1877, 657; Hollack 1908, 173; Kleemann 1939b, 224). Auch wenn Gaerte (1929, 324) ihnen eine späte Beeinflussung seitens der „Wikinger“ beimessen will, lassen sich diese Gräber nicht als Vergleiche für die älteren Grabstätten in der Kaup bei Wiskiauten heranziehen. In Bezug auf den Hügelgrabbau steht die Nekropole im gesamten ehemaligen Ostpreußen weiterhin einzigartig da. Der „spätheidnische Aschenplatz“ im Osten des Hügelgräberfeldes dagegen ist ein typisch prussisches Gräberfeld, wenngleich der Charakter als Aschenplatz nicht so deutlich erkennbar ist wie Wróblewski (2006a) es herausstellen wollte. Zahlreiche prussische Bestattungsplätze weisen einen ähnlichen Grabbau auf wie das separierte Flachgräberfeld in der Kaup. Brandgrubengräber, insbesondere mit darunterliegenden Pferdebestattungen, sind aus den naheliegenden Fundorten Wikiau/Klincovka (Irzekapinis) (vgl. Abb. 19 Nr. 32), Kovrovo/ Dollkeim (vgl. Abb. 19 Nr. 26) oder Volnoe/ Schulstein (vgl. Abb. 19 Nr. 34) bekannt. Der Grabbau kann als geradezu prussisch gelten. Die durchgehende Aschenschicht, in welche die Gräber offenbar teilweise eingetieft waren, kommt ebenfalls auf den genannten Vergleichsfundplätzen vor. Die Größe des Aschenplatzes von Wiskiauten aber entspricht nicht der Regel. Andere Aschenplätze des Samlandes und des Memelgebiets vorkommen, sind von geringerer Ausdehnung. Engel (1935a, 121) beschreibt sie als 4–12 m große, schwarze und rundliche oder ovale „Branderdeflecken“, die eine Dicke von bis zu 1 m erreichen können. Sie bestehen aus Brandrückständen in Form von Holzkohleteilchen und den darin enthaltenen kalzinierten Knochen, die entweder verstreut oder in nesterartigen Konzentrationen vorkommen. In der gleichen Ascheschicht finden sich die durchweg verbrannten Beigaben, die den gleichen Verteilungsmustern wie die Knochenreste folgen. Der „spätheidnische Aschenplatz“ von Wiskiauten dagegen ist mit mindestens 30 x 15 m größer und gleichzeitig mit 0,3 m dicker Ascheschicht weniger mächtig. Im Allgemeinen kommen prussische Bestattungen mit und ohne Steinpflaster vor (Engel 1935a, 118). Beide Varianten sind in Wiskiauten nachzuweisen. Die einzelnen Brandgräber liegen meist in dichter Nachbarschaft, was auch hier unbedingt zutrifft. Pferdebestattungen, meist zwei bis drei, maximal aber bis acht Tiere, sind geradezu charakteristisch für die Gräberfelder prussischer Kultur, die allgemein der „spätheidnischen Zeit“ (ebd. 121) oder der Stufe H nach Bezzenberger (1904) und somit dem 11.–13. Jahrhundert angehören. Im überregionalen Vergleich findet das Gräberfeld von Wiskiauten mit seinen zahlreichen Hügelgräbern an der südlichen Ostseeküste einige zwar nicht identische, aber in Ansätzen vergleichbare Parallelen. Es handelt sich vor allem um Gräberfelder an Fundplätzen, die als küstennahe polyethnische Handelsorte interpretiert werden und meist mehr oder weniger deutliche Hinweise auf eine Beteiligung von skandinavischen Bevölkerungsgruppen aufweisen. Dies äußert sich neben schriftlichen Überlieferungen und Funden im Siedlungsmaterial vor allem durch Beigaben in den zugehörigen Gräbern. Gleichzeitig spielen aber die dokumentierten Bestattungssitten eine große Rolle. Zu diesen Plätzen zählen Ralswiek auf Rügen, Menzlin an der Peene und Groß Strömkendorf/Reric an der Wismarer Bucht sowie Das Gräberfeld Wolin im Odermündungsgebiet und Swielubie an der Parçeta-Mündung, die alle südwestlich von Wiskiauten im südwestlichen Ostseeküstenbereich liegen. Weiter nördlich lassen sich vor allem die verschiedenen Gräberfelder bei Grobin in Lettland anführen. Die in Grobin untersuchten Gräberfelder sollen vom 7. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Nutzung gestanden haben (Nerman 1929, 178-180). Dabei sind mehrere separate Nekropolen zu unterscheiden. Während das Flachgräberfeld „Rudzukalni/ Smukuni“ mit seinen gut 1000 Brandbestattungen auf Gotländer zurückgehen soll (ebd. 91; Steuer 1999a, 60), wird für die im großen Hügelgräberfeld „Priediens/Pastorat“ bestatteten Personen in den etwa 430 erhaltenen von ehemals 2000 Hügeln eine Herkunft vom schwedischem Festland nördlich von Schonen oder von Bornholm angenommen (Nerman 1929, 91; Steuer 1999a, 60). Das Flachgräberfeld besteht aus flachen Brandgruben mit einer Verfüllung aus kalzinierten Knochen und Funden. Teilweise fanden Steine Verwendung beim Grabbau, die ringsherum oder über das Grab gesetzt waren (Nerman 1929, 5). Davon unterscheidet sich der Grabbau der Hügelgräber mit Durchmessern zwischen 3 und 15 m und einer Höhe von 1,4 m (Steuer 1999a, 61) deutlich. Hier liegen zwar ebenfalls ausschließlich Brandgräber vor, die Verbrennungsrückstände der an einer anderen Stelle eingeäscherten Personen war jedoch in tieferen kleinen Gruben beigesetzt und stets überhügelt (Nerman 1929, 8). Nermans (ebd. 91) Vergleich mit schwedischen Bestattungen hält Gräslund (1980, 59) jedoch für zweifelhaft, da aus dieser Zeit in Schweden keine Gräber mit Deponierung der Scheiterhaufenreste in Gruben bekannt seien. Für einen direkten Vergleich mit den Befunden aus dem Gräberfeld von Wiskiauten können die Gräber nicht herangezogen werden, da insbesondere die vermeintlich schwedischen Hügelgräber bereits um das Jahr 800 in Grobin abbrechen. Die gotländischen Gräber aus Grobin dagegen werden erst ab der Mitte des 9. Jahrhunderts nicht mehr belegt, gleichzeitig entsteht das Gräberfeld von Wiskiauten. Zugleich sind die späten Flachgräber von Grobin offenbar nicht mehr rein gotländisch, ihr Beigabenspektrum erscheint dagegen gemischt mit vor allem ostbaltischen Typen (Nerman 101 1929, 178), darunter Kämmen und Spiralarmringen einheimischer Herkunft (Steuer 1999a, 61). Wenn also, wie Kulakov (2005, 77) annimmt, die ältesten Gräber in Wiskiauten von Gotländern angelegt worden sind, müssten sie unter den Flachgräbern gesucht werden. Durch die Vermischung mit ostbaltischen Elementen aber könnten sie vielleicht im Fundmaterial nicht so deutlich auszumachen sein. Vielleicht sind für die Zukunft, wie Nerman (1934, 373) vermutete, „gotländische“ Flachgräber in der Nähe des Hügelgräberfeldes zu erwarten. Für eine Klärung dieser Fragen reicht die bisherige Datenbasis jedoch noch nicht aus, da bisher nur wenige und meist undatierte Flachgräber bekannt sind. Die in Menzlin (Schoknecht 1977; Jöns 2006) vorkommenden schiffsförmigen Steinsetzungen, welche zusammen mit dem einschlägigen Fundmaterial besonders deutlich auf die Anwesenheit von Skandinaviern hinweisen, gehören zu einem Flachgräberfeld des 9. Jahrhunderts mit Brandbestattungen in Gruben und Urnen sowie Steinpflastern als deren Abdeckung (Schoknecht 1977, 38 ff.). Hügelgräber sind hier nicht, ähnliche Steinsetzungen dort nicht bekannt. Ein Vergleich zum Grabbau in Wiskiauten entfällt damit. In Wolin sind auf zwei Gräberfeldern auf dem Galgenberg aus dem 8.–11. Jahrhundert mit Hügelgräbern und auf dem Mühlenberg aus dem 8.–12. Jahrhundert mit Brand- und Körperbestattungen (Filipowiak 2000, 152) nur geringe Hinweise auf skandinavische Beeinflussungen im Fundmaterial zu finden (Stubenrauch 1898; Wojtasik 1968). Der Hügelgrabbau an sich und die überwiegend in flachen Gruben niedergelegten Brandbestattungen werden hier nicht allein als Hinweis auf skandinavische Bestattungen ausgedeutet. In Świelubie (Łosiński 1979, 513; 516) dagegen sind eindeutige Hinweise für skandinavische Bestattungen und weitergehend auch für die Beeinflussung einheimischer Grablegen durch skandinavische Grabsitten vorhanden. In Ralswiek wurden ebenfalls Bestattungen von Skandinaviern oder skandinavisch beeinflusste Grabanlagen in Verbindung mit aus Skandinavien stammendem Beigabengut geborgen. Der zur Handelsniederlassung gehörige Bestattungsplatz mit 400 Hügelgräbern, von denen 300 – hauptsächlich Brandbestattun- 102 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung gen – untersucht sind (Herrmann 2000, 400), nimmt eine Sonderstellung unter Bestattungsplätzen von Rügen ein (Warnke 1985, 231ff.). Fast alle Hügelgräber gehören zeitlich in das 10. und 11. Jahrhundert, nur wenige sind davor oder danach angelegt worden. Damit aber fehlen Bestattungen aus der Blütezeit des Handelsplatzes im 9. Jahrhundert Insgesamt 60 Suchschnitte zwischen den Hügeln erbrachten ebenfalls nur Körperbestattungen aus den späteren Phasen. Der Bestattungsplatz ist in größere Gruppen gegliedert, innerhalb derer sich große Unterschiede im Bestattungsritual abzeichnen. Dabei sind offenbar an bestimmten Stellen Häufungen von aus Skandinavien stammenden Beigaben und skandinavischer Beeinflussung des Grabbrauches erkennbar. Frauengräber fehlen weitgehend. Auch einheimische slawische Bestattungen sind nur schwer nachzuweisen. Die Besonderheiten des Grabrituals lassen keine Aussagen über die kulturelle Herkunft der in den Gräbern bestatteten zu. Das Gräberfeld von Groß Strömkendorf ist noch nicht abschließend publiziert. Es handelt sich um eine birituelle Nekropolemit Urnen-, Brandschüttungs- und Brandgrubengräbern sowie einer größeren Anzahl von Körperbestattungen (Steuer 1999c, 97). Der vielseitige Gabbau betont die polyethnische Komponente des Fundplatzes. Besonders die sechs Bootsgräber weisen – neben anderen Bestattungen – nach Skandinavien (Pöche 2005, 13). Oberirdisch sind die Gräber zuweilen durch Hügel gekennzeichnet, die in Resten erhalten sind (Steuer 1999c, 97). Unter den polyethnischen Handelsplätzen an der südlichen und östlichen Ostseeküste sind demnach keine mit Wiskiauten identischen Gräberfelder bekannt, wenngleich in Einzelfällen Parallelen erkennbar sind. Gleichzeitig zeigen sich aber Abweichungen, die wohl die unterschiedliche Funktion und ethnische Zusammensetzung der zugehörigen Siedlungen widerspiegeln. Kaum eines der Gräberfelder hat dabei eine ähnlich einheitliche Bestattungsform unter Hügelgräbern in Verbindung mit einem so deutlichen Anteil an skandinavischen Beigaben wie Wiskiauten aufzuweisen. Der Ursprung der hiesigen Grabsitten muss wohl nördlich der Ostsee gesucht werden. Schon relativ früh wurde den in Wiskiauten bestatteten Personen eine Herkunft aus den Gebieten nördlich der Ostsee unterstellt, wobei vor allem Einflüsse aus Schweden, Dänemark, Norwegen, aber auch Russland vermutet wurden (Engel 1935a, 11). Ein kurzer Überblick über die in den skandinavischen Ländern bislang bekannt gewordenen Bestattungssitten zeigt, dass es viele regionale Unterschiede gibt, für deren Einzelelemente es immer wieder gute Vergleiche mit den Grabanlagen in Wiskiauten gibt, die aber in ihrer Gesamtheit zu inhomogen sind, um eine Herkunft aus einem bestimmten Gebiet eindeutig zu belegen oder auszuschließen. Dennoch deuten sich Tendenzen an. So dominieren in der Wikingerzeit in Dänemark Körpergräber, die meist in Flachgräbern, oder seltener, in Hügeln bestattet sind (Brøndsted 1936, 215; Randsborg 1980, 122; Eisenschmidt 2004, 90f.). Bei Bestattungen in Hügelgräbern handelt es sich zudem meist um Nachbestattungen in Bronzezeitgrabhügeln, selten liegt eine Primärbestattung in einem eigens errichteten Hügel vor (Brøndsted 1936, 215). Lediglich auf Bornholm ist die Bestattung in Grabhügeln sehr zahlreich, allerdings kommen hier fast ausschließlich nord-südlich ausgerichtete Körpergräber vor, ab dem 10. Jahrhundert dagegen kommen unter christlichem Einfluss ost-west-orientierte Sarggräber auf (Jørgensen 1987, 18-19). Oft finden Steinsetzungen zur Kennzeichnung von Flachgräbern Verwendung, eine Eigenheit, die ebenfalls besonders häufig auf Bornholm vorkommen soll (Randsborg 1980, 122). Auf dem dänischen Festland überwiegt die Sargbestattung, es kommen aber auch einfache Erdgräber vor. Körperbestattungen in Booten sind in Dänemark eine übliche Erscheinung (Birkedahl/Johansen 1995), fehlen aber in Wiskiauten. Nur als Ausnahmeerscheinung lässt sich die Brandbestattung charakterisieren, die vor allem in Jylland des 10. Jahrhunderts belegt ist (Randsborg 1980, 121). In diesen Fällen handelt es sich um leicht überhügelte Ansammlungen von Knochen und Kohle, oft mit einem Steinkranz am Hügelfuß versehen. Vor allem für Süd-West-Jylland sind auch Urnengräber nachzuweisen. Bei allen Brandbestattungen sind die Scheiterhaufenrückstände auf viele verschiedene Arten beigesetzt, wobei kleine Steinpackungen, Steinumfassungen oder klei- Das Gräberfeld ne Steinhaufen (Ramskou 1950) vorkommen. Insgesamt sind die Brandbestattungen sehr beigabenarm. Vereinzelt wurden Hunde in Gräbern niedergelegt, darüber hinaus auch Knochen von anderen Haustieren, die als Speisebeigabe interpretiert werden (Brøndsted 1936, 220; 224). In Norwegen dominiert die Brandbestattung, daneben fand auch die Körperbestattung Anwendung (Price 2000, 39). Generell sind Brandbestattungen bei Hügeln oder Steinhaufen üblich. Dabei sind die verbrannten Knochen zusammen mit Holzkohlerückständen an der Stelle niedergelegt worden, an der sie auch auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden (Shetelig 1910, 196ff.). Brandbestattungen scheinen öfter mit Pferdebeigaben verknüpft zu sein als Körpergräber. Letztere kommen entweder im Steinsarg oder in einem Boot vor, oder sie finden sich ohne weitere Vorkehrungen im Erdreich beigesetzt. Häufig wurde für die in den Hügelgräbern von Wiskiauten bestatteten Personen, begründet aus dem Fundmaterial und vor allem aufgrund der Bestattungssitten bzw. des Grabbaus, eine Herkunft aus schwedischen Gebieten, namentlich von Gotland oder aus der Mälarsee-Region um Birka vermutet. So führten besonders Nerman (1934, 372) und Engel (1935a, 112) den Grabbau auf Zentral- und Nordschweden zurück. Kulakov (2005, 77) dagegen hielt vor allem für die älteren Gräber auch eine Provenienz von Gotland für wahrscheinlich. Beide Regionen bieten tatsächlich in Bezug auf die Bestattungsarten und den Grabbau viele analoge Züge, die im folgenden, sofern sie mit den wenigen bekannten Informationen zu den Verhältnissen in Wiskiauten vergleichbar sind, kurz skizziert werden sollen. Zu beiden Regionen sind außerdem umfangreiche Beschreibungen des Grabbaus und der Bestattungssitten publiziert worden (für Birka: Gräslund 1980; für Gotland: Thunmark-Nylén 2006). Für Birka165 ist von einer Gesamtanzahl von 2300 Gräbern auszugehen, etwa 1110 davon wurden archäologisch untersucht. Brandbestattungen mit 566 Exemplaren und KörperDer Einfachheit halber wird im Folgenden keine Rücksicht auf die in den insgesamt sieben Gräberfeldern auf Björkö erkennbaren Einzeltendenzen bei den Bestattungssitten genommen. Es wird generell nur von „Birka“ gesprochen. 165 103 bestattungen mit 544 Vertretern sind etwa zu gleichen Teilen vorhanden. Auch auf Gotland stehen „weit über tausend Gräber“ (ThunmarkNylén 2006, 536) als Quellenbasis zur Verfügung. Die archäologisch untersuchten Grabkomplexe verteilen sich auf etwa 250 Brandbestattungen und mehr als 1000 Körpergräber. Auf Gotland kommen hauptsächlich zwei Arten der Brandbestattung vor: einerseits die in Wiskiauten so oft beobachteten ovalen oder runden Brandschüttungen mit kalzinierten Knochen, andererseits die auf Gotland häufigere Deponierung in einer flachen Grube, die in Wiskiauten bislang nur selten nachgewiesen ist. Die gotländischen Schüttungen messen durchschnittlich zwischen 1 m und 2,5 m undsind zwischen 0,05 m und 0,1 m dick, selten jedoch mächtiger als 0,15 m (Thunmark-Nylén 2006, 538) auf. Gleichartige Brandschüttungen sind auch aus Birka bekannt, wo sie die dominierende Bestattungsart darstellen. Zumeist handelt es sich hier um runde Ansammlungen der Brandreste, die selten einen Durchmesser über 1,8 m erreichen (Gräslund 1981, 51). Größer als 1,8 m dagegen waren die weniger zahlreichen ovalen bis rechteckigen, selten quadratischen Schüttungen (ebd. 51). Sie sind aber im Gegensatz zu den Bestattungen auf Gotland oder in Wiskiauten verhältnismäßig oft mit einer oder mehreren Urnen ausgestattet (ebd. 53). Daneben ist für Gotland auch die Deponierung der Scheiterhaufenrückstände in Gruben belegt. Die Verbrennung an der Stelle der späteren Bestattung konnte nur in Ausnahmefällen nachgewiesen werden (Thunmark-Nylén 2006, 538). Diese Gruben waren schalenförmig gestaltet, meist flach und von rundlicher oder ovaler Form mit Maßen zwischen 0,5 m und 2 m. In seltenen Fällen schien die Grube für die Scheiterhaufenreste zu klein bemessen, so dass Brandreste auch über deren Ränder hinaus verstreut waren. Das Vorkommen von Gruben zur Aufnahme der Scheiterhaufenreste wird von Gräslund (1980, 58) für Birka dagegen als Phänomen der Völkerwanderungszeit betrachtet, deren insgesamt nur sieben Belege für die Wikingerzeit daher auf fremde Einflüsse zurückzuführen seien. Beide Formen der Brandbestattungen können auf Gotland mit einem Steinschutz von variablen Aussehen (Thunmark-Nylén 2006, 539) umgeben sein. 104 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Alle beschriebenen Arten der Brandbestattungen lassen sich auch für Wiskiauten zahlreich nachweisen. Pfostenlöcher, ebenfalls mit Brandresten verfüllt, sollen bei einem Grab von Möln auf eine Scheiterhaufenkonstruktion hindeuten, die am Ort der späteren Bestattung errichtet worden sein könnte (Thunmark-Nylén 2006, 539). Diese Befunde könnten mit den von Kulakov unter den Hügelschüttungen der Gräber K 182/182 (Kulakov 2005, 69 Abb. 17) und K 172 (ebd. 65 Abb. 14) dokumentierten Strukturen gleichzusetzen sein. Urnengräber bilden in Birka mit 311 Exemplaren eine verhältnismäßig häufige Erscheinung, wo sie in Kombination mit Brandschüttungen vorkommen (Gräslund 1980, 53). In Gotland sind nur vier Urnengräber nachgewiesen, die dementsprechend als Ausnahmeerscheinung angesehen werden (Thunmark-Nylén 2006, 540). Auch in Wiskiauten sind sie bisher nur selten nachgewiesen (siehe Kap. B.3.1.1). Körperbestattungen sind sowohl aus Birka als auch von Gotland in großen Mengen belegt. In gotländischen Gräberfeldern wurde überwiegend die gestreckte Rückenlage beobachtet (Thunmark-Nylén 2006, 540), die auch in Birka dominiert (Gräslund 1980, 26). Nur selten liegt Hockerlage in Gotland (Thunmark-Nylén 2006, 541) oder Birka (Gräslund 1980, 26) vor. Sehr ungewöhnlich ist in beiden Regionen die Bauchlage, die, abgesehen von zwei Ausnahmen, nur im Gräberfeld von Kopparsvik auf Gotland belegt ist (Thunmark-Nylén 2006, 541) und die in Birka nur einmal nachgewiesen ist (Gräslund 1980, 26). Für Wiskiauten kann nur in der Massenbestattung von mehr als zehn Skeletten166 im Umfeld des Grabhügels 163 die Bauchlage nachgewiesen werden, die hier jedoch zusammen mit Rückenlage und Hockerbestattungen in unbekanntem Mengenverhältnis ohne erkennbare Regelhaftigkeit vorkommt und auf eine hastig oder, vielleicht bewusst unsorgfältig durchgeführte Niederlegung der Leichname hindeutet (Engel 1935a, 111). Vergleichbare Befunde sind weder in Birka noch auf Gotland bekannt. Auf den gotländischen Nekropolen findet sich in älteren Gräbern eine Ausrichtung der Toten Engel (1935a, 111) berichtet von insgesamt 13 Skeletten, wobei zwei Bestattungen im Hügelzentrum, alle anderen in dessen Peripherie begraben lagen. 166 mit dem Kopf im Norden oder einer angrenzenden Himmelsrichtung, wären sie in jüngeren Gräbern genau umgekehrt niedergelegt wurden (Thunmark-Nylén 2006, 542). Selten kommt, im Gegensatz zu Birka, eine Ausrichtung der Toten mit Kopf im Westen oder Osten, vor. In Birka überwiegt generell die Ausrichtung mit Kopf im Westen (Gräslund 1980, 26). Die in Birka so häufigen Kammergräber sind auf Gotland mit einer Ausnahme unbekannt (Thumark-Nylén 2006, 578). Für Wiskiauten kann kein Kammergrab schlüssig nachgewiesen werden. Die gotländischen Körpergräber bestanden in der Regel aus rechteckigen, in den anstehenden Boden eingetieften Grabgruben, die unter Verwendung von Steinen, seltener Holz, stabilisiert wurden und nach Aufnahme des Leichnams wieder mit dem Grubenmaterial verfüllt wurden (Thunmark-Nylén 2006, 543-544). Ihre Größe wird nicht präzise angegeben. Die Form der Grabgruben in Birka variiert. Abgesehen von den über die Größe der Grabgruben definierten 119 Kammergräbern (Gräslund 1980, 27) mit Längen von 2–2,9 m, Breiten meist über 1,2 m und maximal 2,9 m und Tiefen bis 2,5 m, muss in Bestattungen mit Sarg und ohne Sarg unterschieden werden (ebd. 12; 30), die sich mit 218 bzw. 186 Exemplaren in etwa die Waage halten. Sarglose Bestattungen wiesen meist unregelmäßig rechteckig geformte Gruben auf, die trapezoid sein können. Die Grabgruben waren gewöhnlich zwischen 1,53 m und 2,55 m lang, zwischen 0,47 und 1,27 m breit sowie 0,6–1,4 m tief (ebd. 13). Gräber mit Särgen, nachgewiesen anhand von Nägeln oder auf Särge hindeutenden Holzresten, waren in 82% aller Fälle zwischen 1,8 und 2,15 m lang (ebd. 15). Eine Breite zwischen 0,4 und 0,65 m wiesen 92% aller Sarggräber auf (ebd. 16). Die aufgrund der schlechten Holzerhaltung spärlich dokumentierten Höhen der Särge sind mit max. 0,47 m anzugeben. Bootgräber kommen außer wenigen Exemplaren in Paviken auf Gotland nicht vor (Thunmark-Nylén 2006, 579). In Birka dagegen sind sie mehrfach, aber ausschließlich in Form verbrannter Boote belegt (Gräslund 1980, 56). Während sich in Bezug auf die Bestattungsarten in beiden Regionen durchaus viele verwandte Züge zeigen, ist besonders in der äußeren Grabform die charakteristische Über- Das Gräberfeld 105 hügelung in der Mälarseeregion zahlreich vor und ist geradezu kennzeichnend, während sie auf Gotland seltener beobachtet wird. Aber auch auf Gotland sind als Elemente des oberirdischen Grabbaus bzw. der Grabkennzeichnung Steinhügel oder Steinkonstruktionen belegt (Thunmark-Nylén 2006, 580f.). Steinhügel bestehen aus Steinen, die mit Kies oder Erde gemischt und meist sehr niedrig oder nur von mäßiger Höhe sind. Hügel ohne Steine, die nur aus Sand oder Kies bestehen, sind dagegen ungewöhnlich. Fast regelhaft sind Brandgräber auf Gotland von rundlichen Steinkonstruktionen bedeckt, die durchschnittliche Größen zwischen 2,5 und 4 m aufweisen, aber auch kleinere und größere Steinbedeckungen kommen nicht selten vor. Anlagen mit Größen von 7–8 m sind jedoch sehr selten. Auch Körpergräber sind mit Steinkonstruktion kombiniert, die in der Regel mit 3,5–5 m größer sind als diejenigen der Brandgräber. Vor allem regelmäßig oder auch unsorgfältig gelegte steinerne Umfassungsringe sind häufig, die in seltenen Fällen auch von Gräben begleitet werden. In der gesamten Mälarseeregion sind Brandschüttungen unter Hügeln und Steinsetzungen die am häufigsten angetroffene Grabform (Gräslund 1980, 72). In Birka sind Flachgräber mit vier Ausnahmen nur bei Körpergräbern beobachtet worden, wohingegen die 565 ausgegrabenen Hügelgräber überwiegend Brandbestattungen enthielten (ebd. 63ff.). Aber auch Körpergräber mit und ohne Sarg sowie Kammergräber kommen in Birka in Kombination mit Hügeln vor. Die Hügel sind üblicherweise rundlich, seltener auch oval oder rechteckig geformt. Ihr Durchmesser wird generell mit Werten zwischen 1,8 und 16,8 m angegeben, wobei die Hügel in der Regel zwischen 3 und 8 m groß waren. Dabei zeichnet sich ein Schwerpunkt zwischen 3 und 6 m ab. Ihre Höhe variiert zwischen 0,15 und 1,95 m, wobei die Masse zwischen 0,3 und 0,9 m, nur äußerst selten jedoch über 1,2 m hoch war. Eine größere Anzahl167 der Hügelgräber mit Brandbestattungen war von regelmäßigen oder unregelmäßigen Fußringen aus Steinen umgeben (Gräslund 1980, 65ff.). Für Körper- gräber unter Hügeln dagegen liegen nur einige wenige Hinweise auf möglicherweise zerstörte Steinringe am Fuß der Hügel vor. Reine Steinsetzungen runder, recheckiger oder dreieckiger Form in Verbindung mit Körpergräbern und mit Brandgräbern sind in Birka selten und weisen keine Überhügelung auf. Steinsetzungen sind allgemein sehr fundarm, mehrfach sind sie auch völlig bestattungslos. Merksteine als oberirdische Grabmarkierung kommen auf Gotland vor (Thunmark-Nylén 2006, 582), wenngleich mit 30 Exemplaren168 nicht besonders häufig. Sie könnten in der Wikingerzeit zahlreicher gewesen und nachträglich entfernt, umgefallen oder verlagert worden sein. Letzteres lässt sich an Befunden aus Wiskiauten ansatzweise beobachten, da hier die Steine mehrfach (vgl. Grabhügel K 128/146, Kulakov 2005, 76) vom Zentrum entfernt gefunden wurden. Die auf Gotland häufigen Grabkugeln, die mit weiblichen Bestattungen in Zusammenhang gebracht werden, während aufrechte, längliche Merksteine eher der männlichen Sphäre zugeordnet werden (Thunmark-Nylén 2006, 582; Petré 1993, 150), sind in Wiskiauten nicht nachweisbar. Auch für 70 Hügelgräber in Birka ist bei Brandbestattungen das Vorhandensein eines Merksteines nachgewiesen, der in diesen Fällen oft direkt auf der Bestattung selbst positioniert war und nur mit der Spitze über den Hügel hinausschaute (Gräslund 1980, 65). Unter der Annahme, dass die Hügelgräber früher wesentlich höher gewesen sein dürften und ihr heutiges Erscheinungsbild durch vielfältige Faktoren verändert sein kann169, ist zu vermuten, dass die Steine zur Zeit der Bestattung gar nicht sichtbar gewesen sind. Insbesondere im heutigen Russland sind seit Beginn der archäologischen Forschungen zahlreiche Nekropolen untersucht worden, die zu einem großen Teil aus Hügelgräbern bestehen und skandinavischen Bevölkerungsteilen zugerechnet werden. Beispielsweise umfasst das Gräberfeld von Plakun am Ostufer des Volchov gegenüber von Staraja Ladoga 18 Hügelgräber in einer kleinen Grabgruppe, die ursprünglich größer gewesen sein soll und sich Gräslund (1980, 65) listet 79 Brandgräber auf, weist aber darauf hin, dass ihre ursprüngliche Anzahl höher gewesen sein dürfte. Zur Diskussion um die ehemalige Höhe der Hügel und mögliche Ursachen für ihre heute kleinere oder niedrigere Form siehe Gräslund (1980, 65). 167 168 169 Vgl. die Liste bei Thunmark-Nylén (2006, 583). 106 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung noch weitere 300 m Richtung Süden erstreckte (Duczko 2004, 91f.). Die frühesten Gräber gehören der Mitte des 9. Jahrhunderts an, aber unter zerstörten Anlagen könnten auch frühere Bestattungen gewesen sein. Das Gräberfeld war etwa 100 Jahre in Gebrauch. Mit einer Ausnahme handelt es sich um Brandgräber, die von Hügeln unterschiedlicher Größe bedeckt waren und sowohl Männer- als auch Frauenbestattungen enthielten. Die verbrannten Knochen sind entweder in einer Urne oder in einer Grube beigesetzt gefunden worden, weitere Reste der Feuerbestattungen fanden sich über die Brandstelle verteilt, die manchmal mit Steinen bedeckt war. Auch die in den insgesamt acht Nekropolen um das frühmittelalterliche Gnëzdovo herum untersuchten Gräber mit ihrer geschätzten Gesamtzahl von bis zu 6000 Bestattungen bestanden mehrheitlich aus Brandgräbern unter Hügeln, wobei die Verstorbenen hier entweder an Ort und Stelle der späteren Bestattung oder an bisher nicht identifizierten Verbrennungsplätzen eingäschert worden sind (Duczko 2004, 158ff.). Viele der Hügel sollen als Kenotaphe angelegt worden sein, da sie keinerlei erkennbare Bestattungen enthielten. In einigen Gräberfeldern kommen Konzentrationen großer Hügel über Brandgräbern und Kammergräbern mit Körperbestattungen vor, es können also zwei Bestattungsarten mit Elite-Gruppen der Rus verknüpft werden. Fast alle Gräber in Gnëzdovo datieren in die Mitte des 10. Jahrhunderts und somit in eine Zeit, in der auch die Siedlungen ihr größtes Wachstum entwickelten. Im Großen und Ganzen ähnlichen Grabbau zeigen auch die Nekropolen von Timerëwo (Duczko 2004, 190-193; Hedenstierna-Jonson 2006, 4) mit geschätzten 1000 Hügeln, Petrovskoe mit ebenfalls bis zu 1000 ehemals vorhandenen Hügeln (Duczko 2004, 197f.) oder Michajlovskoe, wo sich ursprünglich 400 Hügelgräber mit überwiegend Brandbestattungen, aber auch Körperbestattungen befunden haben (ebd. 198) , die aufgrund der Bestattungssitten und des Grabbaus als Hinterlassenschaften schwedischer Skandinavier interpretiert werden. Alle drei Plätze wurden vom Ende des 9. Jahrhunderts bis zur ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts genutzt (Hedenstierna-Jonson 2006, 4), wobei sehr deutlich erkennbar sein soll, dass ein Teil der Siedler skandinavischer Herkunft und auch an der Gründung beteiligt gewesen sein muss. Diese Siedlungen werden als Zentren für Handel und Handwerk gedeutet, aber auch als Militärbasen, auch wenn bislang keine Spuren von Befestigungen bekannt geworden sind (zu weiteren Deutungen siehe Jansson 1997, 44ff.) Slawische Bestattungen sind besonders für das nordwestslawisches Gebiet immer noch schwer nachzuweisen, aber in den letzten Jahren wächst die Quellenbasis. Im Raum westlich der unteren Oder sind ebenerdige Brandschichten- oder Brandgrubengräber bekannt, die hier offenbar dominieren (Schmidt 1981, 331) und sich auch im gesamten südlichen Küstenbereich nachweisen lassen. Es handelt sich um fast hausgrubengroße Eintiefungen mit wenig Scheiterhaufenresten und Leichenbrand, die nur selten mit zerscherbter Keramik und wenigen weiteren Beigabenfragmenten aufgefunden wurden (Warnke 1985, 229ff.). Urnengräber und insbesondere Hügelgräber bleiben ein seltenes Phänomen. Körpergräber treten hier nicht vor der Mitte des 10. Jahrhunderts auf. In jungslawischer Zeit werden ebenerdige Körperbestattungen häufig, wenngleich die Brandbestattung in vielfältiger Form weiter praktiziert wird, aber ab der Mitte des 11. Jahrhunderts stark rückläufig ist. Häufiger dagegen kommen nun Grabhügel mit Brandbestattungen auf, deren Zahl in zusammenliegenden Bestattungsplätzen nie 50 Exemplare übersteigt. Ab dem 12. Jahrhundert kommt fast ausschließlich – mit regionalen Ausnahmen wie Rügen – ebenerdige Körperbestattung vor. Von diesem allgemeinen Bild, das regional leicht variieren kann, grenzen sich einige Gräberfelder ab, die in der Nähe von Handelsniederlassungen oder Herrenburgen gefunden wurden. Dzu zählen die Gräberfelder von Oldenburg, Ralswiek, Menzlin und Groß Strömkendorf/Reric sowie Wolin im Odermündungsgebiet und Swielubie an der Parçeta. Auch innerhalb dieser Gruppe sind die Bestattungssitten jedoch sehr unterschiedlich. Das gilt auch für Gräber, die aufgrund der Beigaben als skandinavisch interpretiert werden. Das Gräberfeld B.4.1 Zusammenfassung Im überregionalen Vergleich ist zusammenfassend, wie schon mehrfach in früheren Publikationen geäußert (z.B. Gaerte 1933b, 73; Engel 1935a, 112), unter Vernachlässigung des Fundmaterials besonders die Mälarseeregion um die Gräberfelder von Birka herum mit den Bestattungssitten und dem Grabbau in Wiskiauten vergleichbar. Vor allem die oberirdische Kennzeichnung der Gräber durch Hügel kommt hier regelhaft vor und ist in den meisten Fällen mit Brandschüttungen von großer Ausdehnung kombiniert, eine Bestattungsform, die auch in Wiskiauten überwiegt. Die hier so häufigen Merksteine sind auch in Birka mehrfach nachgewiesen. Körperbestattungen sind in Wiskiauten aber deutlich unterrepräsentiert. In Birka kommen sie hauptsächlich in den Gräberfeldern „Grindsbacka“ (Gräslund 1980, 5f.) und „Kärbacka“ vor, die als separierte Nekropolen gelten und entweder sehr spät sind oder mit zum Christentum konvertierten Personen in Verbindung gebracht werden können. Die größte der Nekropolen von Birka, „Hemlanden“, und das Gräberfeld „Südlich von Borg“ stimmen in Bezug auf den Hügelgrabbau und die dominierende Brandbestattung mit ausgedehnten Brandschüttungen aber mit den meisten in Wiskiauten beobachteten Befunden überein. Schwieriger ist der Vergleich mit den gotländischen Bestattungen. Während Brandbestattungen hier eher unterrepräsentiert sind, fallen gleichzeitig die abweichende Hügelkonstruktion und die sehr häufige Beisetzung unter Steinsetzungen auf, die in Wiskiauten entweder gar nicht oder nur sehr selten beobachtet wurden. Der überregionale Vergleich lässt tendenziell das gleiche Ergebnis erkennen. In Dänemark sind die Grablegen derart abweichend, dass die Masse der Hügelgräber aus Wiskiauten nicht von Personen dieses Raumes angelegt worden sein dürfte. Norwegen kommt prinzipiell in Frage. Die in Russland existierenden Gräberfelder mit Hügelgräbern der Wikingerzeit stimmen ebenfalls im Großen und Ganzen mit der Wiskiautener Nekropole überein, weshalb auch hier ein Einfluss seitens der Svear aus dem Mälarseegebiet vermutet wird. Insbesondere die dürftige Quellenbasis zu den Bestattungen in der Kaup bei Wiskiauten ver- 107 hindert derzeit die eindeutige Zuweisung von charakteristischen Bestattungssitten zu einer Herkunftsregion. Es muss eine umfassende Analyse und Auswertung des überlieferten Archivmaterials abgewartet werden, um die bislang nur tendenziell aussagekräftigen Vergleiche auf eine gesicherte Basis zu stellen. Gleichzeitig können Grabbau und Bestattungsformen allein nicht ausreichen, um eine kulturelle Zugehörigkeit der Verstorbenen zu ermitteln. Zusätzlich muss der ohnehin sehr variable Bestattungsritus im frühmittelalterlichen Ostseeraum vor dem Hintergrund des Beigabenspektrums betrachtet werden. 108 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung B.5 Kurzer Überblick über das Fundmaterial B.5.1 Einleitung Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die in den Bestattungen der Kaup vorkommenden Beigaben, geordnet nach Fundgruppen, gegeben werden. Wenn Typenbestimmungen aus der Literatur vorlagen, wurden sie übernommen. Es werden die Aussagemöglichkeiten zur Aanzahl und Position der Beigaben in den Gräbern diskutiert. Dabei geht es in erster Linie darum, das Beigabenspektrum zu verdeutlichen. Der Schwerpunkt liegt auf den chronologisch relevanten Sachgruppen. Erst im folgenden Kapitel wird versucht, in die Bestattungen der Kaup anhand ausgewählter Fundgruppen und Grabinventare eine chronologische Ordnung zu bringen und daraus Hinweise auf die Nutzungsintensität in den verschiedenen Zeiträumen zu gewinnen. B.5.2 Quellensituation Von den vermuteten 300 Hügelgräbern, die in Wiskiauten vor Beginn des Zweiten Weltkrieges untersucht wurden, sind in von zur Mühlens (1975) Katalog lediglich 83 Gräber mit Beigaben aufgeführt, drei weitere (von zur Mühlen 1975, 139-140 Nr. 81, 85–86) werden als „Leergrab“ bezeichnet. Dies führte in der Literatur mehrfach zu dem falschen Schluss, in Wiskiauten sei in deutscher Zeit lediglich eine Anzahl von etwa 90 Bestattungen untersucht worden (Kulakov 2005, 78; Wróblewski 2006b, 141). Die tatsächlich untersuchte Anzahl dürfte jedoch wesentlich höher gewesen sein und kann auf über 300 Gräber geschätzt werden. Aber durch den Umstand, dass offenbar die meisten Gräber keine oder nur wenige unscheinbare oder auch stark vergangene Beigaben enthalten haben, sind diese Bestattungen in von zur Mühlens Katalog nicht berücksichtigt worden. Für die Existenz von Beigaben in einigen Bestattungen, die aber nicht geborgen wurden, sprechen die ersten Fundberichte Heydecks (1877, 651), der erwähnt, dass von den 13 Gräbern, die in der beschriebenen Kampagne untersucht wurden, nur sieben Bestattungen „bedeutendere“ Funde enthalten haben, ein Bild, das schon früher gemachten Beobachtungen entsprechen soll. „In manchen anderen Gräbern waren wohl Metallspuren vorhanden, aber nicht so, dass bestimmte Formen daraus zu ersehen waren“ (ebd.). Diese Gräber werden in der Folge nicht weiter erwähnt, so dass sie auch im Katalog von zur Mühlens nicht aufgelistet sind. Lediglich die spärlichen Hinweise aus der Literatur lassen in manchen Fällen noch das Vorhandensein eines offenbar arm ausgestatteten Grabes erkennen. Ihre Anzahl ist jedoch im Nachhinein nicht mehr ermittelbar. Zumindest die bis um das Jahr 1900 gültige Annahme, dass mehr als die Hälfte der bis dahin etwa 250 untersuchten Gräber in der Kaup beigabenlos gewesen ist (Heydeck 1900, 61), muss demnach stark angezweifelt werden. Trotzdem fällt das Fehlen von Funden aus diesem Zeitabschnitt auf. Kossinna (1929, 102) gab 30 Jahre später die Zahl der in der Literatur behandelten Gräber mit 35 an. In von zur Mühlens Katalog sind für die Jahre von 1873–1899 (von zur Mühlen 122-132 Nr. 1–48) insgesamt 48 beigabenführende Gräber erfasst. Von den übrigen 200 angeblich untersuchten Grabhügeln fehlt jede Aufzeichnung und jeder Hinweis auf Funde, wobei eine gewisse Anzahl tatsächlich beigabenlos gewesen sein kann. Die Ausgrabungstätigkeiten deutscher Archäologen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Ergebnisse der russischen Forschung zusammengenommen dürfte die Zahl der beigabenführenden Gräber bei etwa 140 liegen. Zusätzlich sind zahlreiche Einzelfunde zu vermerken, die im Zusammenhang mit Abhandlungen zu bestimmten Fundgruppen Erwähnung finden. Dies betrifft fast ausschließlich Publikationen der Vorkriegszeit, die insofern von besonderer Bedeutung sind, als den damaligen Bearbeitern zumeist die Originalfunde aus dem Prussia-Museum in Königsberg zur Verfügung gestanden haben. Während einige dieser Objekte durch die in den Publikationen genannten Grabnummern in einen Grabzusammenhang gebracht werden können, bleiben andere als Ankäufe der Prussia-Gesellschaft oder als Geschenke an das Prussia-Museum reine Streufunde. Dennoch ist die Fundortangabe Kaup bei den meisten Objekten gesichert. Heute ist die große Mehrzahl der Originalfunde verschollen oder blieb bislang unter den Tausenden wiederentdeckten Objekten aus Berlin und Kaliningrad (vgl. Reich 2003; Das Gräberfeld 2005; Valujev 2005) unidentifiziert. Lediglich eine kleine Anzahl von Originalfunden, etwa 50 Stück, befinden sich im neu eingerichteten Prussia-Museum im Kaliningrader Museum für Geschichte und Kunst sowie im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte, wo bislang fünf Schwerter und ein Schwertknauf aus Wiskiauten identifiziert werden konnten. B.5.3 Beigabensitte Die Zahl der Beigaben in den Gräbern schwankt beträchtlich. Engel (ALM) beschrieb sehr viele Gräber als beigabenlos oder mit nur wenigen Beigaben versehen, wies aber andererseits auf vereinzelte, sehr reich ausgestattete Gräber hin. Es stellt sich das altbekannte Problem, wie die Anzahl der Beigaben aus Gräbern gezählt werden kann, welche Gegenstände als eigenständige Beigabe und welche als Zubehörteile der Tracht nicht im Sinne einer Beigabe verstanden werden dürfen. Funktional zusammenhängende Gegenstände wie Schwertortband und Schwert sind beispielsweise jeweils unter einer eigenen Fundnummer geführt, wenngleich ihre Zusammengehörigkeit klar erkennbar ist. Sie sollten deswegen als nur eine, wenn auch besonders wertvolle Beigabe verstanden werden. Ähnlich problematisch ist die Ansprache einer Perlenkette mit Anhängern als eine Beigabe, wenn beispielsweise das ehemals verbindende Material sich aufgelöst hat und die Bestandteile der Kette verstreut sind. Unklar bleibt in vielen Fällen aber auch der Grad der Beraubung, der entscheidenden Einfluss auf die Grabausstattung haben kann. Dennoch sind einige allgemeine Tendenzen zur Beigabenausstattung feststellbar, so dass zumindest einige sehr reich ausgestattete Gräber von sehr beigabenarmen Bestattungen unterschieden werden können. Über die Position der Beigaben in den Gräbern sind aus den publizierten Berichten der Vorkriegszeit nur wenige Angaben zu gewinnen, die überdies nur beschreibenden Charakter haben. Die Beigaben sollen teilweise in Brandschichten eingebettet und deshalb oft angeschmolzen gewesen sein (Engel, ALM Schleswig). Teilweise waren die Beigaben gesondert am Außenrande der Brandschicht zusammengehäuft (Heydeck 1877, 651). Bei anderen Gräbern waren „Schwerter und Lanzen nebst anderen Eisengeräten mit Bronzeresten 109 in der Mitte der Brandstätte“ deponiert. Urnen mit gebrannten Knochen und sonstigem Inhalt fanden sich dagegen immer nur seitlich der Brandstätte (ebd.). Pläne von Grabanlagen wurden nur in Ausnahmefällen publiziert (vgl. z.B. Bezzenberger 1900, Taf. XIII, 15; XX; Nerman 1942, 96 Abb. 87; 98f. Abb. 89a.b). Lediglich das Körpergrab unter Hügel 143 (Nerman 1942, 99 Abb. 89b) lässt weitergehende Aussagen zu170 (vgl. Abb. 10). Es handelt sich um eine Sargbestattung mit unverbrannter Pferdebeisetzung auf einer Plattform an der rechter Körperseite des Verstorbenen. Im Sarg lag der durch die Waffenbeigaben als männlich gekennzeichnete Tote auf dem Rücken in südwestlich-nordöstlicher Richtung mit dem Kopf im Südosten. Ein mit Zink- oder Silberperlen bestücktes Stirnband trug er am Kopf, die Hufeisenfibel hielt offenbar ein Gewand auf der Brust zusammen. In der Mitte des Sargdeckels war ein hölzerner Eimer mit eiserner Gürtung deponiert. Das Schwert steckte in der mit einem Ortband versehenen Scheide und lag, die Spitze in Richtung der Füße, auf dem rechten Sargrand. Mit der Spitze in südwestliche Richtung zeigend, war die Lanzenspitze auf der Plattform neben dem Sarg niedergelegt. Das ebenfalls dort liegende Pferd mit dem zurückgebogenen Kopf lag auf seiner linken Körperseite, die Füße zeigten von der menschlichen Bestattung weg in Richtung Osten, der Kopf lag im Nordwesten. Ein Steigbügel an der Körperflanke und die im Maul befindliche Trense gehörten ebenso zur Pferdeausstattung wie drei Glöckchen, deren Lage der Zeichnung jedoch nicht zu entnehmen ist. An diesem Beispiel wird deutlich, wie viele Informationen der Forschung durch den weitgehenden Verlust der Originalberichte der Ausgräber verloren gegangen ist, denn es gelingt hier bis ins Detail, eine Bestattung aus dem Gräberfeld von Wiskiauten zu rekonstruieren. Dieser Fall bleibt bislang jedoch eine Ausnahme. Durch die vollständige Auswertung des Archivmaterials wird es in Zukunft aber möglich sein, weitere in deutscher Zeit aufgedeckZusätzlich wurde eine Archivalie aus dem Nachlass von B. Nerman aus dem Riksantikvariet Ämbetet benutzt. Für die Erlaubnis zur Einsichtnahme sei Dr. S. Reisborg (Stockholm) gedankt, für die Vermittlung des Kontaktes dagegen Dr. M. Neiß (Stockholm). 170 110 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung te Gräber mit großem Detailreichtum zu beschreiben. Für einen Teil der in der russischen Forschungsetappe untersuchten Gräber liegen dagegen ansatzweise verwendbare Zeichnungen vor, die durch Beschreibungen zur Lage der Beigaben ergänzt werden (vgl. Kulakov 2005). Bei den Brandbestattungen scheinen Gegenstände überwiegend in die Scheiterhaufenrückstände eingebettet gewesen zu sein. Ihren Brandspuren nach dürften sie mitverbrannt worden sein. B.5.4 Die Beigaben Das Beigabenspektrum der Wiskiautener Gräber umfasst Waffen, Reitzubehör, Trachtgegenstände, Schmuck, persönliche Ausrüstung, Keramik und weitere Gegenstände. B.5.4.1 Waffen Waffen sind eine der zahlreichsten Fundgruppen im Gräberfeld von Wiskiauten. Hierzu zählen in der Reihenfolge ihres mengenmäßigen Vorkommens Schwerter, Lanzen, Schildbuckel und Äxte. Das Reitzubehör, darunter auch Steigbügel und Sporen, wird gesondert behandelt. B.5.4.1.1 Schwerter Es gibt Hinweise auf insgesamt 33 Schwerter, von denen bei von zur Mühlen (1975) immerhin 21 Exemplare171 aufgelistet sind. Drei Schwerter172, darunter ein einschneidiges Exemplar (Heydeck 1877, 652; 658 („Vierter Fund“)), sind aus der deutschen Literatur und zwei173 weitere aus den russischen Forschungen bekannt. Hinzu kommen sieben Schwertfragmente sowie zwei komplett erhaltene Schwerter, die vom ersten Ausgräber Wulff (1865; 1866) geborgen wurden. Ihre Herkunft aus der Kaup ist gesichert. Mindestens eines der Schwerter stammt aus einem Grabhügel in der Kaup (ders. 1865, 645). Ein zweites ist offenbar in dem Bereich ausgegraben worden, an dem in den von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 1, 9–10, 13, 20, 23, 25–29, 41–42, 45, 48, 51–52, 64, 69, 78. 172 Es handelt sich um die Exemplare aus Hügelgrab 192 (Agde 1936), Hügelgrab 170e (ALM) und einem Hügelgrab ohne Nummer (Heydeck 1877, 652; 658 [„Vierter Fund“]). 171 Hügelgrab K2 (Kulakov 2005, 59 Abb. 6–7) und Hügel K167/167 (ebd. 70-75 Abb. 19-22). 173 1930er Jahren der sog. spätheidnische Aschenplatz entdeckt wurde. Wulff (ebd. 644) gibt an, seine ersten Grabungen „links vom Wege“ angelegt zu haben. Vermutlich hat er, von seinem Manöverlager aus Mülsen kommend, somit den östlichsten Teil des Wäldchens Kaup, also die sog. „kleine Kaup“ untersucht. Diese Annahme wird an anderer Stelle im gleichen Bericht eindeutig bestätigt, wenn Wulff angibt, die Kuppe, durch die der neue Weg getrieben wurde, erstrecke sich „rechts vom Weg“ noch „60 Schritte“ und falle dann zur Ebene hin ab. Diese Beschreibung macht nur bei einer Betrachtung in östlicher Richtung Sinn. Jedenfalls liegen durch Wulffs Bericht Hinweise vor, dass auch aus dem sog. spätheidnischen Aschenplatz Schwerter geborgen worden sind – wenn sie nicht aus einen zerstörten Grabhügel stammen. Diese Beobachtung ist bisher nicht beachtet worden. Es ist aber auch denkbar, dass in diesem Bereich Flachgräber gelegen haben, die zu dem von Nerman vermuteten gotländischen Flachgräberfriedhof gehört haben könnten. Darauf lässt ansatzweise die Beschreibung der Gräber von Wulff schließen. Sie sollen regelhaft von einem Steinkreis von etwa 1 m Durchmesser174 umgeben gewesen sein. Aus einer der Bestattungen stammt das Schwert mit bronzenem Ortband (Wulff 1865, 644), eine Fundgattung, die für den spätheidnischen Aschenplatz bisher nicht belegt war. Auch von den für den spätheidnischen Aschenplatz so charakteristischen Pferdeknochen wird bei der Beschreibung dieser Grabanlage nichts erwähnt. Dagegen sollen in den Gräbern regelmäßig Urnen vorgekommen sein (ebd. 645). Letztlich bleiben die Verhältnisse in diesem Waldabschnitt ohne erneute Grabungen sehr unklar. Durchaus könnten hier neben dem spätheidnischen Aschenplatz weitere Bestattungen liegen, die auf bisher nicht bekannte bzw. nicht beachtete Grabbauweisen hindeuten. Das Typenspektrum der Schwerter umfasst die Formen K, M, E, Y, V, X und H nach Petersen (1928) und deckt damit chronologisch einen breiten Zeitraum vom Beginn des 9. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts ab. Die Typen H, X und V sind am häufigsten vertreten. Für vier Wulff (1865, 645) gibt als Durchmesser „3-4 Fuß“ an. 174 Das Gräberfeld Schwerter175 ist eine Ulfbehrt-Inschrift überliefert. Einen Sonderfall unter den Schwertern bildet ein von Heydeck (1877, 652) ausgegrabenes „einschneidiges Schwert Scramasaxus, zusammengebogen und in drei Stücke gebrochen“ mit offenbar damaszierter Klinge, für das aber keine konkrete Typenzuordnung erfolgen kann. Ein weiteres einschneidiges Schwert wurde von Nerman aus Grabhügel 43176 geborgen (von zur Mühlen 1975, 134 Nr. 52 Taf. 43, 16) und in die Zeit „etwa um 800 oder die erste Hälfte des 9. Jahrh.“ (Nerman 1932, 14) datiert. Die in Wiskiauten vorkommenden Schwerttypen sind im Baltikum allgemein weit verbreitet. So bilden Schwerter vom Typ E im 9. Jahrhundert im Baltikum eine allgemeine Erscheinung und gelten als Importe (Kazakevičius 1996, 130ff.). Gleiches gilt für Schwerter vom Typ H, deren Hauptkonzentration an der südöstlichen Ostseeküste in Wiskiauten liegt. In den baltischen Ländern sind sie allgemein im 9. und 10. Jahrhundert als Importe und als einheimische Nachahmungen anzutreffen. Schwerter vom Typ K sind im Baltikum nur in drei Exemplaren aus dem prussischen Gebiet bekannt, darunter das Exemplar aus dem Flachgrab 151a von Wiskiauten, das zusammen mit den beiden anderen Stücken von Viehhof im Samland (heute Tiulenino) aus Skandinavien oder Westeuropa stammt und in die Jahre um 900– 950 datiert werden kann. Häufiger kommen Schwerter vom Typ M im baltischen Gebiet vor, wo sie in einschneidiger Form hergestellt worden sind, während sie in ganz West- und Nordeuropa hauptsächlich als zweischneidige Exemplare bekannt sind. Für die Schwerter vom Typ V bildet wiederum Wiskiauten mit drei Exemplaren unter den insgesamt 14 im Baltikum bekannten Stücken den Verbreitungsschwerpunkt. Ihr zeitlicher Schwerpunkt im baltischen Kontext liegt zwischen der zweiten Hälfte des 10. und der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Der Typ ist über ganz Europa verbreitet, als Ursprungsgebiet der baltischen Exemplare vermutet Kazakevičius (ebd.) westHügelgrab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 132 Nr. 45); Hügelgrab ohne Nummer (ebd. 133 Nr. 51 Taf. 43, 15); Grab 151a (ebd. 137 Nr. 69); Grabhügel K2 (Kulakov 2005, 59 Abb. 6, 7). 175 Entspricht in von zur Mühlens (1975, 134) Katalog Grabnummer 52 176 111 europäische Werkstätten. Auch Schwerter vom Typ X sind zahlreich im Baltikum ausgegraben worden, wobei ein Verbreitungsschwerpunkt neben litauischen Fundplätzen wiederum in Wiskiauten liegt. Die allgemein in Europa nicht sehr häufigen Vertreter dieser Schwertform können ins 10. und 11. Jahrhundert datiert werden, ins Baltikum gelangten sie vermutlich von Westeuropa aus (ebd.). Auffällig bleibt, dass für die drei Schwertformen der Typen H, V und Y jeweils ein Verbreitungsschwerpunkt im Gräberfeld von Wiskiauten liegt, was erneut die besondere Stellung dieses Fundplatzes betont. Meistens sind Schwerter und Lanzenspitzen, oft zwei Exemplare, zusammen im Grab aufgefunden worden. B.5.4.1.2 Schwertortbänder Nur sechs Schwertortbänder sind aus gesicherten Grabzusammenhängen177 in Wiskiauten geborgen worden, drei weitere liegen als Einzelfunde vor. Zwei dieser Einzelfunde sind bei von zur Mühlen (1975 Taf. 14, 5; 15, 3) abgebildet, lassen sich aber keinem der im Katalog aufgelisteten Gräber zuordnen (Abb. 30, 23). Ein weiteres Ortband wurde von Heydeck ausgegraben (Bujack 1876a, 661). Fünf der sechs Gräber178 enthalten auch ein Schwert. Abgesehen von einem Einzelfund (von zur Mühlen 1975, Taf. 15, 3; hier Abb. 30, 3), der mit einer Kreuzdarstellung und einem Rankenornament versehen ist (Bujack 1877, 661662) und im ehemaligen Ostpreußen zahlreich vorkommt (vgl. von zur Mühlen 1975, 106 Fundliste 34) sowie einem Ortbandfragment (ebd. Taf. 44, 5; vgl. hier Abb. 30, 4; 31, 1), das am ehesten zur Gruppe mit anthropomorphen Darstellungen im Borrestil gehören dürfte, lassen sich alle anderen fünf Exemplare dem Typ der Ortbänder mit Vogeldarstellung oder Falkenmotiv zuordnen (vgl. Abb. 30, 1-2). Die Ortbänder sind mit einem ausgesparten Vogel verziert, der frontal mit ausgebreiteten Flügeln und zur Seite gedrehtem Kopf dargestellt ist. Sie gehören zu der von Paulsen (1953, 96) definierten „schwedisch-warägischen“ Gruppe, die als Typ I:c benannt ist, und kommen in der von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 29, 45, 64, 75, 78, Taf. 14, 7; 32; Kulakov 2005, 72 Abb. 22, 7.13.17.43. 177 178 von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 29, 45, 64, 78. 112 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 30 Gräberfeld von Wiskiauten, Schwertortbänder. 1 Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 173 Taf. 14, 7). – 2 Grabfund ? (ebd. Taf. 14, 5). – 3 Grabfund (ebd. 175 Taf. 15, 3). – 4 Grab 170c (ebd. 233 Taf. 44, 5). Region nur in fünf Exemplaren in Wiskiauten vor (vgl. von zur Mühlen 1975, 106 Fundliste 31). Von zur Mühlen (1975, 37) suchte das Ursprungsgebiet der Ortbänder mit ausgespartem Vogelkörper in Mittelrussland im Gebiet zwischen Kiew und dem Oberlauf der Wolga, verwies aber, wie vor ihm schon Nerman (1929, 96 Abb. 88), auf die Gussform in Birka. Dieselbe Form veranlasste Paulsen (1953, 33) zur Annahme, der Ortbandtyp, darunter auch die Exemplare aus Wiskiauten, seien in Birka hergestellt worden. Als Datierungsansatz schlug er die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts vor. Mit dieser Gruppe von Ortbändern beschäftigte sich zuletzt Hedenstierna-Jonson (2006). Sie stellte heraus, dass sich Ortbänder des besprochenen Typs auf die östlichen Handelswege um die Ostsee und die östlichen Flüsse Russlands konzentrieren (ebd. 15). Obwohl sich die Zahl der Ortbänder des skandinavischwarägischen Typs seit Paulsens Publikation verdoppelt hat, ist das Verbreitungsbild im Wesentlichen gleich geblieben. Lediglich das Gebiet der südlichen Ostsee in Lettland und Litauen hat seitdem merklich neue Funde erbracht (Kazakevičius 1990; 1992). Auffälligerweise deckt sich die Verbreitung in Russland mit den Plätzen, denen Hedenstierna-Jonson (2006, 15) eine Schlüsselrolle in der politischen und generellen ökonomischen Entwicklung zuerkennt. Sie betont, dass einige Gebiete ein erhöhtes Fundaufkommen aufweisen, darunter Birka und Paragaudis (Litauen) mit je drei Exemplaren und Šestovica (Ukraine) mit vier Exemplaren (ebd. 16f.). Für Wiskiauten gibt sie eine Anzahl von drei Ortbändern an, die nun auf fünf Exemplare anwächst. Das Vorkommen besonders auf Gräberfeldern könnte nach Hedenstierna-Jonson (ebd. 16) Plätze anzeigen, an denen Krieger mehr oder weniger dauerhaft in einer ständigen Basis siedelten, wie in den für Birka und Šestovica erschlossenen Garnisonen. Aufgrund der vielen Waffen in der Umgebung von Wiskiauten nimmt sie auch für diesen Platz eine Garnison an. Zwar bedeute dabei die Existenz einer Garnison nicht zwangsläufig die Anwesenheit von Truppen bzw. Kriegern, die mit einem Ortband mit Falkenmotiv ausgestattet gewesen seien, sie kommen aber offenbar in fast allen befestigten Plätzen des russischen Gebietes des 9. und 10. Jahrhunderts vor und scheinen demnach in kriegerischem Kontext zu stehen. Dafür spricht auch, dass Schwertortbänder dieses Typs besonders häufig in Waffengräbern zusammen mit Schwertern, Lanzen und Schilden gefunden worden sind, häufig – so auch in Wiskiauten – ist zusätzlich ein Pferd und Pferdeausrüstung dokumentiert. Die Das Gräberfeld 113 Abb. 31 Ortbänder mit anthropomorpher Darstellung: 1 Wiskiauten, Grab 170c (Zeichnung P. Paulsen, ALM Schleswig). – 2 Lundur (Island), Typ II:3 Untergruppe A1 (Hedenstierna-Jonson (2002, 106 Abb. 3, 3). – 3 Irsekapinis (Russland), Typ II:3 Untergruppe D (ebd. 107, Abb. 5). – 4 Zasinas (Litauen), Grab 62, Typ II:3 Untergruppe D (ebd. 107, Abb. 5). – 5 Zasinas (Litauen), Grab 94, Typ II:3 Untergruppe D (ebd. 107, Abb. 5). Einheitlichkeit der Schwertortbänder und der Waffenausstattung deutet Hedenstierna-Jonson (ebd.) als Hinweis darauf, dass die Träger der Ortbänder möglicherweise einer speziellen, mit militärischer Macht ausgestatteten Personengruppe angehörten und die Produktion und Benutzung eventuell sozialer oder gesetzlicher Kontrolle unterlegen haben könnte. Während Paulsen (1953, 33) und Strömberg (1951, 238) Ortbänder mit ausgespartem Vogelkörper in die 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts datierten, setzte Kulakov (1985, 54) die osteuropäischen Funde ans Ende des 9. Jahrhunderts und die baltischen Exemplare in das beginnende 11. Jahrhundert. HedenstiernaJonson (2006, 18) kommt mit den Grabfunden aus Birka zu einer Datierung in den Zeitraum vom Ende des 9. Jahrhunderts bis zum Anfang des 11. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt im 10. Jahrhundert. Ein Schwertortband (Abb. 30, 4; 31, 1) aus Grabhügel 170c179, das von Paulsen (1953, 20 179 Dieses Ortband ist bei von zur Mühlen (1975, 145) dem Grabhügel 174 (Pr.-M. VII, 431, 12802) zugeordnet. Eine Archivalie von P. Paulsen, die sich heute im Archiv des Archäologischen Landesmuseums Schleswig befindet, enthält eine Zeichnung des Ortbandes mit der abweichenden Zuordnung zu Grabhügel 170c bei gleicher Prussia-Inventarnummer. Die gleiche Zuweisung findet sich auch in Paulsens (1953, 20 Abb. 10) Publikation zu den Schwertortbändern der Wikingerzeit. Im Nachlass von C. Engel (ALM Schleswig) findet sich auch eine zeichnerische Zusammenstellung des Grabinventars von Hügel 174, aus der hervorgeht, dass auch in diesem Grab ein Ortband vorhanden gewesen Nr. 15) dem Typ I zugesprochen wurde, gehört nach Meinung des Verf. eher dem Typ der anthropomorph verzierten Exemplare vom Typ II:3 nach Paulsen (ebd.) an, den Hedenstierna-Jonson (2002) in vier Untergruppen A–D gliederte. Das hier besprochene Stück ist zwar stark fragmentiert und ihm fehlt die menschliche Figur, es findet jedoch Analogien im – nur in slawischen Gebieten auftretenden – Untertyp B, da es zusätzlich zum Bildmotiv den für diese Gruppe charakteristischen Endknopf aufweist (ebd. 104). Wie auch die Exemplare mit Vogelmotiv vom Typ I:c nach Paulsen (1953) treten Ortbänder mit anthropomorpher Darstellung ebenfalls hauptsächlich entlang der östlichen Handelswege an Orten mit zentraler Funktion auf (Hedenstierna-Jonson 2002, 109), sind hier allerdings höchstens mit einem Exemplar pro Fundort belegt und mit 19 Exemplaren180 noch seltener als der vorgenannte Typ. Hinzu kommt der Fund aus Wiskiauten. Ortbänder vom Typ II:3 werden in das 10. Jahrhundert datiert (Paulsen 1953, 48ff.). Hedenstierna-Jonson (2002, 110) grenzt diese Datierung auf die zweite Hälfte des 10. ist. Das gleiche Stück ist unter Angabe der Grabnummer „174“ auch bei Paulsen (ebd. 32 Nr. 30) aufgeführt. Dabei handelt es sich um ein stark fragmentiertes Ortband mit frontaler Vogeldarstellung vom Typ I:d nach Paulsen (ebd.). Die Zuordnung des Ortbandes mit anthropomorpher Verzierung vom Typ II:3 nach Paulsen (ebd.) zu Hügel 174 dürfte daher falsch sein. Das Stück aus Wiskiauten ist von HedenstiernaJonson (2002, 105 Tab. 2) nicht berücksichtigt. 180 114 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Jahrhunderts ein. Kulakov und Iov (Kulakov/ Iov 2001) hielten das Motiv für eine Darstellung des mythischen Kampfes zwischen Odin und Fenrir, jedes Eintauchen des Schwertes in die Scheide – und dadurch auch in das Ortband – wiederhole das in der Darstellung rezipierte Töten rituell. Hedenstierna-Jonson (2002, 111) dagegen vermutete, dass Ortbänder mit anthropomorpher Darstellung mit dänischer Herrschaft verknüpft sein könnten, da die Symbolik sehr stark vom Jellingestein und seiner Christusdarstellung beeinflusst sein dürfte. Für Ortbänder mit „Kreuz- und Rankenverzierung“ nahm von zur Mühlen (1975, 40) kurländische Herkunft an und datierte sie ins 11. und 12. Jahrhundert. In Paulsens (1953) Typologie gehört das Stück am ehesten zur Gruppe V:2:b, die sich – abgesehen vom Kreuz zwischen den beiden nach oben weisenden Armen – durch die Kreuzdarstellung zwischen den Palmetten auf der ornamenttragenden Fläche kennzeichnen lässt. Die Verbreitung beschränkt sich, abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen, deutlich auf das Samland und die nördlich anschließenden Küstengebiete im Baltikum bis zur Insel Saaremaa/Ösel (von zur Mühlen 1944, Abb. 5; Paulsen 1953, 191 Taf. XII). B.5.4.1.3 Lanzen Insgesamt sind 52 Lanzenspitzen aus 32 Gräbern bekannt, von denen von zur Mühlen (1975) 35 Exemplare aus 22 Gräbern181 auflistet. Die übrigen Lanzen sind der Literatur182 und dem Archivmaterial183 zu entnehmen. Hinzu kommen mindestens 21 als Einzelfunde ohne überlieferten Grabkontext von Wulff (1865, 644) aus dem Bereich des spätheidnischen Aschenplatzes geborgene Exemplare, zwei von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 7, 9, 20, 23, 25–29, 41–42, 45, 48, 51–52, 58, 62, 64, 67, 69, 78, 84. 181 Vgl. die Lanzen aus Hügelgrab ohne Nummer (Heydeck 1877, 652; 658 [„Vierter Fund“]), Grabhügel K2 (Kulakov 2005, 59 Abb. 6), Grabhügel K 6 (ebd. 59), Grabhügel K 7 (ebd. 59 Abb. 9), Grabhügel K 167/167 (ebd. 75 Abb. 21). 182 Es handelt sich um die Exemplare aus Grab 5/33, Hügelgrab ohne Nummer, „Fläche I/35 Gr. 2/35“, Hügel 170e, die alle nach Archivalien aus den Nachlässen von H. Jankuhn und R. Grenz (ALM Schleswig) ermittelt wurden. 183 weitere Lanzen sind in einem Grabungsplan von C. Engel184 zum spätheidnischen Aschenplatz erkennbar (vgl. Abb. 29). Maximal waren zwei Lanzenspitzen in den Gräbern der Kaup enthalten. Für die Bestattungen des spätheidnischen Aschenplatzes sind diesbezüglich keine Aussagen zu treffen. Die Masse der Lanzen gehört zum Typ E nach Petersen (1919), die häufig Spitzbogenornamentik vom Ornamenttyp G tragen (Kazakevičius 1999, 186-187; 196). Seltener finden sich Silberverzierungen in Form von geometrischen Treppenmustern auf der Tülle, die dem Ornamenttyp I nach Kazakevičius (ebd.; 2002) entsprechen. Interessanterweise sind die von Kazakevičius (2002) unter der Ornamentgruppe III zusammengefassten, typisch prussischen Verzierungsmotive, die im benachbarten Gräberfeld von Klincovka/Wikiau (Irzekapinis) so häufig vorkommen und auf das 11. Jahrhundert beschränkt bleiben (ebd. 121), in den Grabfunden von Wiskiauten nicht vertreten. Die Lanzenspitzen vom Typ E, deren Hauptvorkommen im Baltikum für Wiskiauten bezeugt ist, repräsentieren einen Zeitraum zwischen 800 und 1050 (ders. 1999, 196). Zusätzlich kommen in Wiskiauten Lanzenspitzen in Weidenblattform (von zur Mühlen 1975, 115-116 Fundliste 42) und eine Flügellanzenspitze (ebd. 111 Fundliste 39) vor. B.5.4.1.4 Schildbuckel Schildbuckel kommen in insgesamt zehn Exemplaren in Wiskiauten vor, wobei sieben Stücke aus sechs Gräbern stammen (von zur Mühlen Nr. 20, 22, 41, 62, 67 und 113), ein weiteres Exemplar ist als Streufund einzustufen (Bujack 1874, 82). Möglicherweise um einen Schildbuckel handelt es sich bei einem von Leutnant Wulff ans Prussia-Museum übergebenem kleinen „Eisengefäß“ (Wulff 1866 Nr. 7), während die von Wulff (1865, 645) als Reste von Schildbuckeln interpretierten Bronzefragmente zu Bronzeschüsseln gehören. Für die Existenz eines von Martens (1996, 44) genannten silbernen Schildbuckels liegen abgesehen von dieser einen Erwähnung keine weiteren Hinweise vor. Zwar sind durch die Schildbuckel keine datierenden Hinweise zu gewinnen, ihre Anwesenheit in den Gräbern Wiskiautens Enthalten im Nachlass von R. Grenz (ALM Schleswig). 184 Das Gräberfeld 115 Abb. 32 Gräberfeld von Wiskiauten, Sporen aus Gräbern. 1 Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 132 Nr. 45 Taf. 32). – 2 Grab ohne Nummer (ebd. Taf. 30). stellt jedoch eine Besonderheit im Beigabengut der Region dar, da sie in prussischen Gräbern nie auftreten (Gaerte 1929, 340). B.5.4.1.5 Äxte Äxte sind in Form einer Bartaxt aus Grabhügel 174 (von zur Mühlen 1975, 138 Nr. 78) und einer Hammeraxt aus Grabhügel K 7 (Kulakov 2005, 59) überliefert, die aufgrund der fehlenden Profilabbildung nur allgemein den Hammeräxten (nach Paulsen 1939, 34 ff.) zuzuweisen ist. Hammeräxte können als Ausdruck naher Verbindungen Skandinaviens mit Russland verstanden werden (Jansson 1988, 617). Der erstgenannte Fund gehört offenbar zum Typ der Äxte mit Schaftlochlappen und herabgezogener Schneide, da der Fundplatz Wiskiauten bei einer Kartierung dieser Äxte bei von zur Mühlen (1944, 145 Abb. 7) berücksichtigt ist. Eine Abbildung zu diesem Fund ist nicht vorhanden. B.5.4.2 Reit- und Pferdezubehör Die Gruppe der zum Reit- und Pferdezubehör zählenden Gegenstände kann in Sporen, Steigbügel, Trensen, Schnallen, Glocken bzw. Schellen und sonstige, hier nicht weiter besprochene Gegenstände eingeteilt werden. B.5.4.2.1 Sporen Aus elf Gräbern liegt je ein Sporn vor185, aus zwei Gräbern sind Sporenpaare überliefert186, einmal fanden sich sogar drei Exemplare in einem Grab187 (vgl. von zur Mühlen 1975, 119-120 Fundliste 50). Es ergibt sich eine Gesamtzahl von 18 Sporen. Als Streufunde, vermutlich vom spätheidnischen Aschenplatz, kommen mindestens zwei weitere durch Leutnant Wulff (1866 Nr. 4) ausgegrabene Stücke hinzu. Letztere werden als „Rittersporn“ und „Stachelsporn“ beschrieben. Ebenfalls auf dieser separierten Nekropole wurden offenbar in den 1930er Jahren zwei Sporen dokumentiert, die auf dem entsprechenden Grabungsplan abgebildet sind (vgl. Abb. 29). Bei den meisten anderen Exemplaren, zu denen nur in zwölf Fällen Abbildungen vorliegen, handelt es sich um Sporen mit hohem Bügel und langem Dorn (Abb. 32, 2), die nach Gabriel (1984, 126ff.) ins 10. Jahrhundert gehören und in der Typologie von Kirpičnikov (1973, 61 Abb. 37) den Sporen vom Typ 1 nahevon zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 3–4, 13, 25, 27–29, 45, 51, 75, 78. 185 186 von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 7, 48. 187 von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 41. 116 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 33 Gräberfeld von Wiskiauten, Steigbügel. 1 Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 209 Taf. 32). – 2 Grab ohne Nummer (ebd. 219 Taf. 37, 4). – 3 Grab ohne Nummer (ebd. 203 Taf. 29). stehen. Sie gehören überwiegend ins 9. und 10. Jahrhundert, wenngleich sie sporadisch auch in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts noch auftreten (ebd. 64). Das auffälligste Stück ist ein bronzeplattierter Eisensporn mit profiliertem Dorn aus einem Grab ohne Nummer (Abb. 32, 1), der von Kind (2002, 292) dem Typ Menzlin zugeordnet wurde. Unter dieser Bezeichnung wird eine Gruppe von Prachtsporen zusammengefasst, die aufgrund der Verbreitungsschwerpunkte an Nord- und Ostseeküste als westskandinavische Form angesprochen wird. Sie gehören ins 10. und 11. Jahrhundert (Gossler 1998, 522) und sind, abgesehen von Funden aus England und Deutschland, auffällig oft in Polen und im ehemaligen, nordöstlichen Ostpreußen verbreitet (Kind 2002, 291 Abb. 6). Ein Exemplar aus Birka (Arbman 1940, Taf. 38) steht dem Wiskiautener Fund in allen technischen Details sehr nahe. B.5.4.2.2 Steigbügel Steigbügel sind mit 34 Exemplaren aus 22 Hügelgräbern vertreten. Elf Steigbügel lagen einzeln im Grab188, in zehn Gräbern189 waren Steigbügelpaare enthalten. Ein Einzelstück von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 2–3, 13, 23, 27, 29, 33, 39, 42, 64, 78. 188 von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 4, 7, 15, 25–26, 28, 41, 45, 48, 51. 189 wurde 1877 beim Kiesfahren in Wiskiauten gefunden (Bujack 1877, 661), drei weitere Exemplare stammen aus den Ausgrabungen von Wulff (1866 Nr. 5). Hinzu kommen die Steigbügel aus dem spätheidnischen Aschenplatz, die durch den Teilplan dieses Gräberfeldes aus dem Nachlass von Engel (Wróblewski 2006a, 225 Abb. 3; 2006b, 144 Abb. 22) bekannt geworden sind. Sechs der insgesamt 22 Exemplare können als nordischer Typ (nach Forsåker 1986, 125) bezeichnet werden (vgl. Abb. 33, 3). Die Masse der verbleibenden Funde ist als trapezförmig oder halbrund mit leicht gebogener Trittplatte zu beschreiben, die selten mit einer Öse zur Aufhängung ausgestattet scheinen. Eine detailliertere Ansprache ist aufgrund der kleinmaßstäblichen Abbildung nicht möglich. Lediglich ein Steigbügelfund ist noch genauer zu beschreiben. Es handelt sich um einen halbrunden Bügel mit flachen, breiten Armen und gerade abschließender Trittplatte mit einer in den halbrunden Bügel integrierten Aufhängeöse. Das Stück ähnelt den stark verzierten Steigbügeln, die beispielsweise aus Schulstein/ Volnoe im Samland (vgl. Karte 19 Nr. 34) bekannt sind und ins 9.–14. Jahrhundert datiert werden (vgl. Gaerte 1929 Abb. 278e; Hollack 1908, 147). Innerhalb dieser Zeitspanne gehören die Steigbügel ins 11.–13. Jahrhundert. Analog zur großen Variabilität der Steigbügelformen im Gräberfeld sind auch die Exemplare aus den Hügelgräbern sehr unterschiedlich. Das Gräberfeld 117 Abb. 34 Gräberfeld von Wiskiauten, Fragmente von Steigbügeln mit Durchbruchsmuster aus einem Grab ohne Nummer, verschiedene Maßstäbe (von zur Mühlen 1975, 221 Taf. 38, 3 a-c.e). Es überwiegen spitzbogige Steigbügel vom nordischen Typ (nach Forsåker 1986, 125), deren Bügel häufig mit Silberauflagen verziert sind (vgl. von zur Mühlen 1975, 128 Nr. 28 Taf. 29). Sie bilden den häufigsten Steigbügeltyp in Skandinavien und sind oft auch im Baltikum zu finden. Die Datierung fällt überwiegend ins 10. und 11. Jahrhundert. Daneben finden sich im Wiskiautener Fundgut auch zwei Steigbügel (von zur Mühlen 1975, 122 Nr. 4; vgl. Abb. 33, 1), die mit ungarischen Steigbügeln der Landnahmezeit des 9. und 10. Jahrhunderts verglichen werden können. Steigbügel dieser Form sind vermutlich in Ungarn entstanden (Kovács 1986, 223). Für ein weiteres Steigbügelpaar (von zur Mühlen 1975, 132 Nr. 45; vgl. Abb. 33, 2) gelingt die grobe Zuordnung zum sog. magyarischen Typ, der in der Typologie von Kirpičnikov (1973, 45) dem Typ I, in der Typologie von Świętosławski (1990, 43-46) dagegen dem Typ III A entspricht. Steigbügel dieser Form lassen sich in einen Zeitraum zwischen dem 10. und dem frühen 11. Jahrhundert datieren und sind in einem geographisch breiten Raum in Ungarn, Polen, der Slowakei, im ehemaligen Ostpreußen, Litauen und in Russland vertreten (Forsåker 1986, 126; Jansson 1988, 620-621.). Da auf Gotland Steigbügel dagegen mit nur fünf Exemplaren allgemein sehr selten sind (Thunmark-Nylén 2006, 332), kommt in dieser Fundgruppe ein gravierender Unterschied zum Gräberfeld von Wiskiauten zum Ausdruck. Zwei abweichende Exemplare (Abb. 34), die nur in Fragmenten erhalten sind, tragen Verzierungen in Form von Durchbrüchen am Übergang vom Bügel zur breiten Trittplatte. Im gleichen Grab wurden Bruchstücke einer „Hansaschüssel“ gefunden, deren Datierung ohne nähere Beschreibung und Abbildungen nur allgemein auf das 11.–13. Jahrhundert gelegt werden kann (Poklewski 1961, 9). Ein sehr ähnlicher Steigbügelfund ist bei von zur Mühlen (1975, Taf. 19) aus ehemals Kössnicken abgebildet, weitere Fundplätze in der Umgebung werden nicht namentlich genannt, sollen aber vorhanden gewesen sein (ebd. 48). Von zur Mühlen (ebd.) vermutete eine skandinavische Herkunft dieser Steigbügel, zieht aber auch einen Ursprung im südrussischen Gebiet oder gar eine Herstellung im Samland in Betracht. B.5.4.2.3 Trensen Trensen bilden die häufigste Sachgruppe des Pferdezubehörs. Sie sind mit insgesamt 40 Exemplaren aus 27 Gräbern bekannt190, wobei aus Bei von zur Mühlen (1975) finden sich Hinweise auf 21 Exemplare (ebd. 122-140 Nr. 2–7, 12, 14, 20, 27–28, 31, 37–39, 41, 45–46, 48, 51, 64, 75, 78), wobei zweimal je zwei Trensen im Grab lagen. Eine weitere Trense ist aus der Literatur aus einem Grabfund bekannt (Ohne Verfasser 1879a, 9). Durch russi190 118 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 35 Gräberfeld von Wiskiauten, Trensen. 1 Ringtrense mit zweiteiligem Gebiß aus einem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 209 Taf. 32). – 2 Ringtrense mit dreiteiligem Gebiß aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 207 Taf. 31). – 3 Trense mit Seitenstangen aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 193 Taf. 24). zwei Gräbern je zwei Exemplare stammen191. Weitere zwölf Trensen kommen als Einzelfunde hinzu (Bujack 1877, 661; Kulakov 2005, 70 Abb. 18a.), von denen sechs Exemplare durch Wulff (1866 Nr. 6.) vermutlich aus dem spätheidnischen Aschenplatz geborgen wurden. An gleicher Stelle sind bei den Grabungen in den 1930er Jahren gemäß dem überlieferten Plan (vgl. Abb. 29) weitere 14 Trensen geborgen worden. Trensen lassen sich in zwei Hauptgattungen trennen (Abb. 35). Zur ersten Gruppe gehören Ringtrensen mit zwei- oder dreiteiligem Mittelstück, dessen Einzelelemente tordiert oder einfach stabförmig gehalten sein können192 und deren Enden sich in der Mitte ösenartig umschließen. Insbesondere die dreiteiligen Trensen gelten als ausgesprochen baltisch (Wróblewski 2006b, 142). Die zweite Art weist Seitenstangen auf und hat meist kugelförmige Abschlüsse auf den schlichten eisernen Stangen193. Die Verbindung zu den Zügeln wurde in diesem Fall durch kleine Ringe oder durch rechteckige Platten mit rechteckigem Riemendurchlass bewirkt. Die Gebisse bestehen aus vierkantigen, in der Mitte umgebogenen und schlaufenartig ineinandergreifenden Eisenstangen, auf welche an den Außenseiten die Seitenstangen aufgesteckt sche Forschungen sind Trensen für die Gräber K 2 und K 7 dokumentiert (Kulakov 2005, 59 Abb. 6.9). 191 von zur Mühlen 1975, 122 Nr. 3; 133 Nr. 48. von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 5, 14, 27, 41, 45–46, 48. 192 von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 4, 6; Kulakov 2005, 70 Abb. 18. 193 sind. Den Abschluss bildet ein kleiner Ring oder eine Öse. Trensen wurden überwiegend aus Männergräbern geborgen, nur einmal ist ein Exemplar einem Frauengrab zuzuordnen (von zur Mühlen 1975, 123 Nr. 5), wenngleich Engel (1935a, 112) betont, dass Steigbügel und Trensen auch in Frauengräbern gefunden wurden. Ob weitere Trensenfunde aus Frauenbestattungen vorliegen, ist jedoch nicht bekannt. B.5.4.2.4 Schnallen vom Pferdegeschirr Ebenfalls zum Pferdezubehör ist eine Vielzahl von eisernen Schnallen zu zählen. Von zur Mühlen (1975, 120 Fundliste 51) rechnete 19 Schnallen zum Pferdegeschirr. Bis zu vier Exemplare haben sich in einem Grab befunden (ebd.). Überwiegend sind die Schnallenrahmen rechteckig mit eingezogenen Seiten (Abb. 36), die dann fast regelhaft mit einem Paar spitzbogiger Steigbügel vergesellschaftet sind. Sie dürften zur Befestigung der Steigbügel gedient haben. Für diese Schnallenform finden sich zahlreiche Entsprechungen in prussischen Gräbern des Samlandes194. Kulakov (1994, 52) fasst sie in seinem Typ 3K zusammen und datiert sie, offenbar in Anlehnung an die Datierung des Grabfundes von Kipitten, Kr. Bartenstein (Von zur Mühlen 1975 Taf. 22 unten), durch GaerVgl. z.B. die Schnallen aus Nastrehnen, Kr. Fischhausen, Grab ohne Nummer (Gaerte 1929, 332 Abb. 267.d), Groß Ottenhagen, Kr. Wehlau, Grab 101B (Ibsen/Skvorzov 2004, 434 Abb. 31, 3), Klincovka/ Wikiau (Irzekapinis), raj. Selenogradsk, Grab 67 (Kulakov 1994, Abb. 20), Kipitten, Kr. Bartenstein (Von zur Mühlen 1975 Taf. 22 unten). 194 Das Gräberfeld Abb. 36 Gräberfeld von Wiskiauten. Schnallen vom Pferdegeschirr. 1 Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 197 Taf. 26). – 2 Grab ohne Nummer (ebd. 227 Taf. 41, 9). te (1929, 342) und Kleemann (1956, 117)195, ins 7. und 8. Jahrhundert. Gegen diese Beschränkung auf die späte Völkerwanderungszeit und das beginnende Frühmittelalter sprechen weitere Funde. In Grab 101B von Groß Ottenhagen/Berezovka konnte die Zugehörigkeit zum Pferdegeschirr einer rechteckigen Schnalle mit eingezogenen Seiten durch die Fundlage eindeutig nachgewiesen werden (Ibsen/Skvorzov 2004, 433). Hier gehört das Stück zu einer Bestattung des 10. oder 11. Jahrhunderts. Die gleiche Schnallenform gehört auch in Birka zum Pferdegeschirr und wird hier als „stundenglasförmig“ bezeichnet (Forsåker 1986, 132.). Sie kommt in einem breiten chronologischen Rahmen zwischen dem 7. und 11. Jahrhundert vor und lässt sich zeitlich nicht näher eingrenzen. Daneben kommen Schnallen mit halbrundem Rahmen und rechteckiger Riemenkappe vor (von zur Mühlen 1975, Taf. 34, 7; 43, 6.7), die bei von zur Mühlen (ebd. 120 Fundliste 51) ebenfalls dem Pferdegeschirr zugerechnet werden. Die Zuordnung anderer Schnallen zum Pferdezubehör ist nicht eindeutig möglich, es kann sich auch um Teile von Gürtelgarnituren gehandelt haben. B.5.4.2.5 Glocken und Schellen Ebenfalls zum Pferdezubehör sind eiserne Glocken zu rechnen, die für vier Gräber196 dokumentiert sind. Schwieriger fällt die Entscheidung, ob auch bronzene Glöckchen oder Schellen zum Pferdegeschirr zu zählen sind, Abweichend offenbar die Datierung von Heym (1938) in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts (Von zur Mühlen 1975, 47 Anm. 218). 195 196 von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 3–4, 48, 74. 119 die mit 30 Exemplaren in 14 Bestattungen197 gefunden wurden. Lediglich zweimal (von zur Mühlen 1975, 122 Nr. 2; 5) handelt es sich um Frauengräber, in denen sonst keine Anzeichen auf Reitzubehör oder Pferdegeschirr beobachtet wurden. Überwiegend sind sie aus Männerbestattungen bekannt geworden, die im Fall von Grabhügel 143 (ebd. 136 Nr. 64) mit einer Pferdebestattung kombiniert war. Die Funktion solcher Schellen ist offenbar regional stark unterschiedlich. Für Birka liegen elf Nachweise aus ausschließlich Körpergräbern vor, die in der Hälfte der Fälle Kinderbestattungen bargen (Gräslund 1986, 120ff.). Dort wurden sie vermutlich als Anhänger in der Halsgegend getragen oder waren am Gewand festgenäht. Auf Gotland scheinen sie vor allem in Frauengräbern als Anhänger an Ketten getragen worden zu sein, die mit Fibeln in Verbindung stehen könnten (ThunmarkNylén 2006, 220, 234). Östlich der Ostsee sind sie als Anhänger in der Hals- und Brustgarnitur dokumentiert worden;198 dies gilt jedoch als ausschließlich östliche Erscheinung, zu der in Skandinavien keine Parallelen bekannt sind (Gräslund 1986, 122). In einem Grab in Saltovo in der Ukraine sind sie am Gürtel befestigt gewesen (Šramko 1962, Abb. 109:1). Im Samland wurde mehrfach die Zugehörigkeit zum Pferdegeschirr nachgewiesen. So enthielten die Gräber 15 (Kulakov 1994, 16 Abb. 4) und 45 von Klincovka/Wikiau (Irzekapinis) ein vollständiges Kopfgeschirr eines Pferdes, bei dem die Schellen laut Rekonstruktionszeichnung (vgl. ebd. 107 Abb. 55) am rechten und linken Backenriemen gesessen haben bzw. im Bereich der Mähne angebracht waren, in letzterem Falle übrigens mit einer eisernen Glocke am Hals kombiniert. Eisenschmidt (2004, 129f.) hält Schellenanhänger für ein Phänomen des 8.–10. Jahrhunderts. In Birka dagegen werden die Schellen in die jüngere Birkastufe gesetzt (Gräslund 1986, 122). Die Gräber mit Schellenfunden von Klincovka/Wikiau (Irzekapinis) gehören ins 11. von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 2–3, 5, 13, 16, 23, 33, 39, 48, 64, Taf. 56, 3; Kulakov 2005, 65 Abb. 14 (Grabhügel K 172); 71 Abb. 22, 16 (Grabhügel K 167/167). 197 Kivikovski 1973, Nr. 810; Tõnisson 1974, 124, 128; Gräslund 1986, 122; Thunmark-Nylén 2006, 220. 198 120 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Jahrhundert (vgl. z.B. Grab 4: Kulakov 1990, 73 Taf. 35, Grab 5a: ebd. Taf. 36). Gräber mit Schellenfunden in Wiskiauten lassen sich mit Ausnahme von einem Grabhügel ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 125 Nr. 13), der in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts eingeordnet wird, allgemein ins 10. Jahrhundert datieren (ebd. 122-140 Nr. 2, 5, 23, 33, 45, 48; Kulakov 2005, 75 [Grabhügel K 167/167]), wenngleich Grabhügel K 172 nach Kulakov (ebd. 65) aufgrund der Schellenform in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts gehören soll. B.5.4.3 Trachtgegenstände Als Trachtgegenstände werden hier insbesondere die Fibeln angeführt, da sie chronologische Aussagen ermöglichen. Daneben fanden sich auch Teile von Gürtelgarnituren, die jedoch nur in Form von Schnallen und wenigen Riemenzungen überliefert sind. B.5.4.3.1 Fibeln Fibeln finden sich in Frauen- und Männerbestattungen. Im ersten Fall handelt es sich um Schalenfibeln, Dosenfibeln, gleicharmige Fibeln, Rechteckfibeln, Gerätefibeln, eine Kleeblattfibel sowie eine zungenförmige Fibel, zu Männerbestattungen sind Hufeisenfibeln zu zählen. B.5.4.3.1.1 Schalenfibeln Das Typenspektrum der in weiblichen Bestattungen aufgefundenen Fibeln umfasst vor allem ovale Schalenfibeln. Es liegen Hinweise auf 44 Exemplare vor. Sie sind in vier Bestattungen199 als Einzelstücke zutage getreten, in 19 Gräbern200 kommen sie paarweise vor, wobei es sich immer um zwei typenidentische Stücke handelt. Zwei weitere Fibeln mit Typenangabe JP 37:3 und JP 42 nach Petersen (1928), die im Formenschatz Wiskiautens ansonsten unbekannt sind, werden von Martens (1996, 45) genannt. Es ist unklar, ob es sich um eine eigene und daher eventuell abweichende von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 15, 19, 23 und 44. 199 von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 2, 5–6, 11–12, 14, 21, 24, 27, 37, 38, 43, 46–47, 55, 80, 82; Kulakov 2005, 59 (Grabhügel K1); ein weiteres Schalenfibelpaar ist aus einer Archivalie von C. Engel aus dem Nachlass von R. Grenz (ALM Schleswig) zu erschließen. 200 Typeneinordnung des Autors handelt oder ob bislang unbekannte Fibeln vorlagen. Fibeln der Form JP 37 sind aus den Grabfunden bekannt, so dass die Zuordnung zum Untertyp JP 37:3 nachträglich erfolgt sein und die entsprechende Fibel somit doppelt auftauchen könnte. Eine Fibel der Form JP 42 allerdings gibt es sonst nicht. Auch hier kann nur vermutet werden, dass im Nachhinein die abweichende Ansprache einer Fibel vom Typ JP 43 erfolgte, die in Wiskiauten belegt ist. Die beiden von Martens genannten Fibeln werden aufgrund der großen Unsicherheit nicht berücksichtigt. Es verbleiben also 42 Schalenfibeln, von denen 19 Exemplare201 dem Typ JP 51 (vgl. Abb. 37, 1; 38, 2.4) angehören. Siebenmal liegen sie als Paar vor. 17 Exemplare202 entfallen auf den Typ JP 52 (vgl. Abb. 37, 1; 38, 3), der achtmal als Fibelpaar vertreten ist. Dieser Typ macht also zusammen über 85 % der Schalenfibeln aus Wiskiauten aus. Die restlichen Fibelpaare der Formen JP 37203, JP 43204, JP 48205 und JP 55206 verteilen sich auf vier weitere Gräber. Zu den frühesten Formen gehören die Fibeln JP 37, die von zur Mühlen (1975, 22) dem Untertyp JP 37:4 bzw. JP 37:4-5 zuordnete und in den Zeitraum zwischen 850 und 950 datierte. Skibsted Klæsoe (1997, 112; 139) datiert das erste Auftauchen von Fibeln dieser Form sogar in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts. Fibeln der Form JP 43 ordnete von zur Mühlen (1975, 22-23) ebenso wie Fibeln der Form JP 48 und JP 51 der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts zu, während zuletzt Skibsted Klæsoe (1997, 139) deren Auftreten bereits kurz vor der Mitte des 9. Jahrhunderts betonte. Fibeln der Form JP 52 sollen nach von zur Mühlen (1975, 23) dagegen schon der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts angehören, während sie neuerdings (Skibsted Klæsoe 1997, 139) zusammen von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 6, 12, 14–15, 19, 21, 24, 27, 44; ein weiteres Schalenfibelpaar erschließt sich aus einer Archivalie von C. Engel im Nachlass von R. Grenz (ALM Schleswig). 201 von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 11, 23, 37, 43, 46–47, 55, 80, 82. 202 203 von zur Mühlen 1975, 122 Nr. 2. 204 von zur Mühlen 1975, 123 Nr. 5. 205 von zur Mühlen 1975, 130 Nr. 38. 206 Kulakov 2005, 59. Das Gräberfeld 121 Abb. 37 Gräberfeld von Wiskiauten, Schalenfibeln. 1 Fibel vom Typ JP 51 aus Grab 72 (von zur Mühlen 1975, 215 Taf. 35). – 2 Fibel vom Typ 52 aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 205, Taf. 30). Abb. 38 Gräberfeld von Wiskiauten. Schalenfibeln. 1 Fibel vom Typ 48A (Heydeck 1900, Taf. 7). – 2 Fibel vom Typ JP 51 aus einem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 193 Taf. 24). – 3 Fibel vom Typ JP 52 aus Grab 184 (ebd. 215 Taf. 35). – 4 Schalenfibel vom Typ JP 51 aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 201 Taf. 28). mit Fibeln vom Typ JP 55 eher auf einen kurzen Zeitraum um die Jahrhundertmitte eingegrenzt werden. Demnach fallen über 95 % aller Schalenfibeln ins 10. Jahrhundert, was gleichzeitig der Hauptbelegungsphase des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten entspricht (vgl. Kap. B.6). Da Schalenfibeln im Gegensatz zu Dosenfibeln, die als rein gotländische Fibelart betrachtet werden (Thunmark-Nylén 2006, 19), auf Gotland selten sind, dürfte die Masse der Frauen, die im 10. Jahrhundert in Wiskiauten bestattet wurden, aus festlandskandinavischen Gebieten stammen. Dabei gelingt es jedoch nicht, nähere räumliche Eingrenzungen vorzunehmen. Schalenfibeln sind allgemein im ganzen skandinavischen Raum vertreten und treten südlich der Ostsee immer nur an den größeren, mit Seehandel verbundenen Fundorten auf (vgl. Abb. 39), wo sie als Anzeichen auf die Präsenz skandinavischer Frauen gewertet werden (Kaland 1992, 192f.). Lediglich Gotland kann aufgrund der seltenen Ausnahmen von Schalenfibeln in Bestattungen, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Trägerinnen dieser Tracht ausgeschlossen werden. Allerdings finden sich in Wiskiauten auch Schalenfibeln in Kombination mit typisch gotländischen Dosenfibeln. 122 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 39 Verbreitung wikingerzeitlicher Schalenfibeln in Noreuropa (nach Kaland 1992, 192 Abb. 1). B.5.4.3.1.2 Dosenfibeln Dosenfibeln liegen nur aus zwei Bestattungen in Wiskiauten vor. Es handelt sich um ein Exemplar207 vom Typ 1 (Thunmark-Nylén 2006, 30) und ein zweites vom Typ 2a208 (ebd.). Beide Fibeltypen haben im späten Teil der Stufe VIII:1 und in Stufe VIII:2 ihren Verbreitungsschwerpunkt (ebd. 85), was absolutchronologisch ungefähr mit dem 9. Jahrhundert für Stufe VIII:1 und dem 10. Jahrhundert für Stufe VIII:2 gleichzusetzen ist (ebd. 692). In Wiskiauten sind beide Dosenfibeln mit Schalenfibeln der Formen JP 37 bzw. JP 43 vergesellschaftet. Ihre Datierung dürfte somit auf die zweite Hälfte des 9. und die 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts einzugrenzen sein. Durch die Kombination mit Gerätefibeln vom Typ 1 nach Thunmark-Nylén (ebd. 238), der auf Gotland in die Stufen VIII:2 und VIII:3-4 (ebd. 237) und somit absolutchronologisch etwa in das 10. und 11. Jahrhundert (ebd. 692) gehört und im 9. Jahrhundert nicht vorkommt, dürften die Dosenfibeln von Wiskiauten in die 207 von zur Mühlen 1975, 122 Nr. 2; Taf. 3, 2. 208 von zur Mühlen 1975, 123 Nr. 5; Taf. 3, 1. erste Hälfte des 10. Jahrhunderts gehören. Dosenfibeln sind, wie oben bereits erwähnt, eine exklusiv gotländische Fibelform, die nur sehr selten außerhalb Gotlands angetroffen wurde. Die Trägerinnen der Dosenfibeln von Wiskiauten könnten daher Gotländerinnen gewesen sein. Dagegen spricht vielleicht die Kombination mit Schalenfibeln, die eher auf festlandskandinavische Herkunft hinweisen209. B.5.4.3.1.3 Gleicharmige Fibeln Gleicharmige Fibeln sind aus zwei Bestattungen bekannt. Einmal liegt aus Grabhügel 181210 zusammen mit zwei Schalenfibeln vom Typ JP 52 eine fragmentierte gleicharmige Fibel mit nach innen gewandten Masken im Borrestil vor, die in einer guten Fotografie aus dem Nachlass von H. Jankuhn (ALM Schleswig) Zur Diskussion um die Kombination verschiedener Fibelntypen in Gräbern von Wiskiauten als Ausdruck eines neuen Trachtmodells und die daraus abgeleitete Theorie eines Bezuges zu Grobin in Lettland vgl. Kap. A.15; B.8. 209 210 von zur Mühlen 1975, 139 Nr. 80. Das Gräberfeld 123 Abb. 40 Gräberfeld von Wiskiauten, Fibeln. 1 Gleicharmige Fibel aus Grab 44. – 2 Terslevfibel aus einem Grab ohne Nummer. – 3 Gleicharmige Fibel aus Grab 181. 1-3 Fotos aus dem Nachlass von H. Jankuhn (ALM Schleswig). überliefert ist (vgl. hier Abb. 40, 3)211. Das qualitätvolle Stück ist einem Fund von Gotland aus Tofta212 sehr ähnlich (vgl. Thunmark-Nylén 1998, Taf. 75, 4). Es lässt sich dem Typ P 72 nach Petersen (1928) bzw. dem Typ SK 2 nach Skibsted Klæsoe (1997) zuweisen und fällt damit in den Zeitraum von der Mitte des 9. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts. Ein Paar gleicharmiger Fibeln vom sog. „Ljønestyp“ nach Petersen (1928, 76ff. Fig. 58) fand sich in Kombination mit einer Hufeisenfibel in Grab 44 (von zur Mühlen 1975, 257 Taf. 56, 4; hier Abb. 40, 1). Von zur Mühlen (1975, 134 Nr. 53) vermutete hier, wohl aufgrund von Informationen Nermans (1932, 4), ein „Frauengrab und Knabengrab“. Demnach stammt die Hufeisenfibel aus „SteinsetEin Fragment dieser Fibel befindet sich heute im Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad. Es wurde im Jahr 2000 von den russischen Archäologen A. Valujev und K. Skvorzov in „Fort Nr. III“ bei Kaliningrad unter 30 000 Funden aus der ehemaligen Prussia-Sammlung entdeckt. Ein zweites Fragment wurde nach mündlicher Information von K. Skvorzov (Kaliningrad) im Jahr 2008 auf dem Moskauer Schwarzmarkt identifiziert. 211 212 SHM 23180. zung III“, einer gesonderten Bestattung. Die beiden gleicharmigen Fibeln sind zusammen mit einer als „Dosenschnalle“ (von zur Mühlen 1975, 138 Nr. 53) bezeichneten Gerätefibel mit Kettengehänge, zahlreichen Perlen, einer Schere und zwei Armringen in der zentralen Bestattung „Steinsetzung A“ (ebd. 145 Taf. 56) aufgefunden worden. Es dürfte sich daher um ein Frauengrab handeln. Die beiden gleicharmigen Fibeln wurden bereits von Kivikoski (1937, 236 Anm. 31), später durch von zur Mühlen (1975, 82 Fundliste 10 a) dem von Petersen (1928, 76ff. Fig. 58) benannten „Ljønestyp“ zugeordnet und in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts datiert. Auch in Nermans Grabungsbericht (Nerman 1932, 14) findet sich diese zeitliche Einordnung des gesamten Grabinventars. In der Typologie von Skibsted Klæsoe (1997) findet das Stück aufgrund der fehlenden Erhaltung des Ornamentes keine direkte Entsprechung. Lediglich die Form deutet auf eine Zugehörigkeit zum Typ SK 1, der im südlichen und östlichen Schweden sogar bereits ab dem Ende des 8. Jahrhunderts auftritt und nur bis zum Beginn des 9. Jahrhunderts läuft (ebd. 138). Mit der Gerätefibel, deren Datierungsschwerpunkt allerdings im 10. und 124 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 11. Jahrhundert liegt (Thunmark-Nylén (2006, 238), und den Armringen enthielt dieses Grab nachweislich gotländische Elemente und kann dementsprechend als Bestattung einer Gotländerin betrachtet werden, auch wenn das Verbreitungsbild der gleicharmigen Fibeln alleine auf mittelschwedische Herkunft hindeutet (Kivikoski 1937, 236 Abb. 7; vgl. auch Riebau 1999, 36ff. Karte 1). Der Verbreitungsschwerpunkt liegt in finnischem Gebiet und im östlichen Schweden. Von zur Mühlen (1975, 25) sah in den gleicharmigen Fibeln aus Wiskiauten daher eine erneute Bestätigung für die enge Verbindung zu Birka. Auch auf Gotland kommen sie jedoch vor (Thunmark-Nylén 2006, 91). Gerätefibeln dagegen sind als exklusiv gotländische Trachtelemente anzusehen, da sie in der Wikingerzeit bei einer überschaubaren Anzahl von Ausnahmen auf diese Insel begrenzt bleiben (ebd. 234, 238). B.5.4.3.1.4 Gerätefibeln Aus Wiskiauten sind vier Exemplare von Gerätefibeln bekannt. Sie stammen aus vier Hügelgräbern213 und werden in von zur Mühlens (1975, 122-140) Katalog der Gräber von Wiskiauten unter dem Begriff „Dosenschnallen“ geführt. Alle vier Exemplare gehören zum Typ 1 nach Thunmark-Nylén (2006, 238), der durch einen hohen Rahmen und eine trapezförmige Platte gekennzeichnet wird (ebd. 235). Sie lassen sich auf Gotland in die Stufen VIII:2 und VIII:3-4 (ebd. 237) und somit absolutchronologisch etwa in das 10. und 11. Jahrhundert (ebd. 692) einordnen. Gerätefibeln sind in Wiskiauten dreimal mit Resten von Kettengehängen kombiniert, ebenfalls dreimal sind Dosenfibeln im gleichen Grab gefunden worden. Zweimal214 kommt zusätzlich zur Gerätefibel und zur Dosenfibel auch ein Paar ovaler Schalenfibeln vor. B.5.4.3.1.5 Terslev-Fibel Aus einem von Heydeck ausgegrabenen Hügelgrab ohne Nummer liegt eine silberne Terslev-Fibel vor (von zur Mühlen 1975, 124 von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 2, 5, 53 und ein Exemplar, das zwar in von zur Mühlens (ebd.) Katalog nicht unter der entsprechenden Nummer aufgelistet ist, im Tafelteil aber dem Grab 51 zugeordnet wird (ebd. Taf. 3, 9). 213 214 von zur Mühlen 1975, 122 Nr. 2; 5. Nr. 11 Taf. 25; vgl. auch Kleingärtner 2004, 338 Kat.-Nr. 55 mit Lit.; hier Abb. 40, 2). Eine weitere soll im Jahr 2000 aus dem westlichen Teil des Gräberfeldes geborgen worden sein (Kleingärtner 2004, 337-338 Kat.-Nr. 52 mit Verweis auf mündliche Information durch V. I. Kulakov), die Fundumstände sind jedoch unklar, das Stück ist nicht publiziert. Eine Imitation soll ebenfalls aus Wiskiauten stammen (ebd. 345 Kat.-Nr. I-45). Es soll sich um einen Grabfund handeln, zu dem jedoch keine weiteren Informationen bekannt sind. Somit lässt sich nur das erste Exemplar dem Typ 4 nach Kleingärtner (ebd. 277-278) zuordnen. Die Fibel kann aufgrund der Beifunde eines Schalenfibelpaares der Form JP 52 in die Mitte des 10. Jahrhunderts oder in dessen zweite Hälfte datiert werden. Sie dürfte Bezüge zu Birka zeigen, das unter anderem als Herstellungszentrum von Terslevschmuck angenommen wird (ebd. 286). B.5.4.3.1.6 Zungenfibel Mit einem Paar Schalenfibeln vom Typ JP 52 vergesellschaftet fand sich eine Zungenfibel mit Flechtbandornamentik (Abb. 41) in einem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 130 Nr. 37 Taf. 4, 14). Das Stück wurde von Wamers (1984) ausführlich behandelt215. Ein fast identisches Exemplar, allerdings aus Silber, stammt aus Salby, Dänemark. Wamers (ebd. 95) nimmt trotz geringer Unterschiede an, dass beide Fibeln mit dem gleichen Model gegossen wurden. Die Datierung der insgesamt fünf Exemplare seiner Fundliste zu den „Fibeln mit Bandgeflecht (Typ Salby und andere)“ erfolgt über die Ritzung auf der Rückseite des Fundes von Salby (ebd. 121-122 Kat. Nr. 23–27), die auch das Wiskiautener Exemplar besitzt, und die Kombination des letztgenannten Exemplars mit den Schalenfibeln vom Typ JP 52 in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts. Die Fibeln sind in ihrer Verbreitung neben Haithabu und Wiskiauten auf Dänemark und die südlichen Bereiche von Norwegen und Schweden begrenzt (Abb. 42). Schon von zur Mühlen (1975, 24, 55) wollte darin einen deutlichen Hinweis auf die Anwesenheit dänischer Wamers (1984, 122 Kat. Nr. 25) führt das Stück unter der Grabnummer 7, da es das siebte, von Heydeck (1900, 63 Nr. 7) im Jahr 1897 untersuchte Grab war. 215 Das Gräberfeld 125 Abb. 41 Gräberfeld von Wiskiauten. Zungenfibel aus einem Grab ohne Nummer (Foto aus dem Nachlass von H. Jankuhn (ALM Schleswig)). Wikinger in Wiskiauten sehen, datierte das Stück aber in die Jahre zwischen 1000 und 1050 (ders. 1944, 151). B.5.4.3.1.7 Kleeblattfibeln Nur zwei Kleeblattfibeln sind bisher aus Bestattungen in Wiskiauten geborgen worden. Ein Exemplar entstammt dem Grabhügel K 128/146. Kulakov (2005, 76f. Abb. 25, 2) ordnete das Stück mit dem karolingischen Pflanzenornament den Fibeln der Gruppe 1 (Typ JP 90-92) nach Hårdh (1984) zu und datierte es aufgrund der Vergesellschaftung mit einem „gotländischen“ Kamm mit bronzenen Griffleisten in den Zeitraum des 9. bis frühen 10. Jahrhunderts. In der Typologie von Maixner (2005) entspricht der Fund am ehesten den Fibeln vom Dekortyp P 4.5 (ebd. 32). Die zweite Kleeblattfibel, die als Zufallsfund, wahrscheinlich aus Raubgrabungen stammend, zusammen mit anderen Gegenständen dem Kaliningrader Museum übergeben wurden und von Kulakov (1996, 209–210 Abb. 2.2) ans Ende des 9. Jahrhunderts datiert wird, entspricht in Maixners (2005) Typologie dem Dekortyp P 2.4, der nur durch ein Exemplar aus Dänemark repräsentiert wird (ebd. 242 Kat.Nr. 27). Kleeblattfibeln sind im Baltikum allgemein äußerst selten, im ehemaligen Ostpreußen ist Wiskiauten dafür bisher der einzige Fundplatz. B.5.4.3.1.8 Hufeisenfibeln Hufeisenfibeln zählen traditionell eher zur Männertracht, wenngleich sie vereinzelt auch in Frauengräbern gefunden wurden (Thunmark-Nylén 2006, 96). Aus 18 Gräbern216 sind insgesamt 20 Exemplare zutage getreten. Für zwei Gräber liegt der Hinweis auf zwei Exemplare vor (von zur Mühlen 1975, 85 Fundliste 12a, Inv.Nr. III, 257, 1196 und V, 171, 7971:3). Meist findet sich in von zur Mühlens (ebd.) Katalog nur der allgemeine Hinweis „Hufeisenfibel“, manchmal mit der Materialangabe Bronze. Auch die anderen Exemplare sind vermutlich in allen Fällen als Bronzefibeln einzustufen, Hinweise auf andere Materialien liegen nicht vor. Silber- oder Goldplattierung scheint jedoch vorgekommen zu sein, was sich der Erwähnung von „6 größere[n] Fibelfragmente[n], wovon 2 mit Silber, 1 mit Gold plattiert scheint“ (Bujack 1874, 82) unter anderen vom PrussiaMuseum erworbenen Einzelfunden entnehmen lässt. von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 8, 17–18, 26, 30, 42, 44–45, 48, 62, 64, 67–69, 79 sowie zwei bei von zur Mühlen nicht katalogisierte Gräber (ebd. 85 Fundliste 12a, Inv.Nr. Pr.-M. III, 257, 1196; 2003.) und ein Fund, der in der Inventarliste für ein Grab ohne Nummer (ebd. 122 Nr. 4) nicht aufgeführt ist, aber offenbar dorthin gehört (ebd. 85 Fundliste 12a, Inv.Nr.Pr.-M. III, 87, 437:n). 216 126 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 42 Verbreitung wikingerzeitlicher Zungenfibeln in Nordeuropa (Wamers 1984, 73 Abb. 7). Nur sechs Hufeisenfibeln217 sind im Tafelteil bei von zur Mühlen (1975) abgebildet und können deshalb typologisch eingeordnet werden. Zwei Fibeln218 gehören zur Gruppe der Ringfibeln mit Tierköpfen. Einmal handelt es sich um eine Fibel mit zurückblickenden Tierköpfen aus einem Grab ohne Nummer (Gaerte 1929, Abb. 283f.; von zur Mühlen 1975, 123 Nr. 8 Taf. 25 oben), die schon mehrfach in der Literatur berücksichtigt wurde (Salmo 1956, 43; Müller-Wille 1988a; Thunmark-Nylén von zur Mühlen 1975, Taf. 27; 40, 6.9; 41, 12; 42, 9; 34, 2. 217 von zur Mühlen 1975, 123 Nr. 8 Taf. 25 oben; 145 Taf. 56, 2. 218 2006,115). Sie gehört in der Typologie von Thunmark-Nylén (ebd. 98) zum Typ 8a, den Fibeln mit realistischen Tierköpfen, während Carlsson (1988, 35) sie unter dem Typ DJU/ LE zusammenfasst. Diese Fibelform ist auf Gotland relativ häufig (Müller-Wille 1988a, 742ff.; Thunmark-Nylén 2006, 105). Zusammenfassend kann der Fund als Vertreter einer Fibelart beschrieben werden, die mit aufwendigen Männerbestattungen in Zusammenhang steht (Müller-Wille 1988a, 751). Sie ist Bestandteil der aufgrund ihrer Verbreitung gotländisch-uppländische Gruppe genannten Fibeln (ebd.). Auf Gotland dürften zumindest die gotländischen Exemplare hergestellt wor- Das Gräberfeld 127 Abb. 43 Gräberfeld von Wiskiauten, Grab 51. Hufeisenfibel mit rückblickenden Tierköpfen. 1 Abbildung bei von zur Mühlen (1975, 257 Taf. 56, 2). – 2–3 Zeichnungen der Fibel von H. Jankuhn (ALM Schleswig). den sein (ebd.), dort könnten jedoch auch die skandinavischen, finnischen und baltischen sowie russischen Funde produziert worden sein (Stenberger 1958, 73). Die Datierungsvorschläge weisen übereinstimmend in das 10. Jahrhundert (Müller-Wille 1988a, 742.; Salmo 1956, 45, 82). Die zweite Fibel mit Tierkopfenden aus Grab 51 (von zur Mühlen 1975, 145 Taf. 56, 2; hier Abb. 43) repräsentiert die Form der Hufeisenfibeln mit stilisierten Tierköpfen, die dem Typ 8b nach Thunmark-Nylén (2006, 98) bzw. dem Typ 9 bei Salmo (1956, 43ff.) entspricht. In Carlssons (1988) Typologie gehört das Stück zum Typ DJU/BA (ebd. 31). Das Material ist unbekannt, es dürfte sich um Bronze gehandelt haben. Diese Fibeln sind auf Gotland und im finnischbaltischen Gebiet außerordentlich häufig (Müller-Wille 1988a, 751; Thunmark-Nylén 2006, 115), vor allem aus Litauen ist eine große Anzahl bekannt (Thunmark-Nylén 2006, 116 mit Lit.). Während Nerman (1931, 171) die Fibeln von den Exemplaren mit löwenkopfförmigen Enden –Typ 8b nach Thunmark-Nylén (2006, 98) – herleiten wollte und sie als gotländisch betrachtete, führten Salmo (1956, 82-83) und Kivikoski (1973, 131) sie auf ostbaltische Länder zurück und sahen in ihnen Erzeugnisse des ausklingenden 11. und 12. Jahrhunderts, wenngleich in Litauen auch Exemplare aus dem 13. Jahrhundert bekannt sind (Kivikovski 1964, 275; Müller-Wille 1988a, 752). Kulakov (1994, 191) setzt das Aufkommen dieser Fibel- form ins 12. Jahrhundert, wenngleich er sie in seiner Chronologie-Tabelle (ebd. 33.2) für das 10. Jahrhundert abbildet. Den Fund aus Wiskiauten datiert er in die Zeit um 1000 (ders. 1989, 91 Abb. 4.5). Zu einer späteren Datierung passt jedoch die Vergesellschaftung der Fibel aus Grab 51 mit einer aus doppelten Ringgliedern gefertigten Gerätekette, die auf Gotland erst in Stufe VIII:4 und somit zwischen 1090 und 1200 aufkommt (Thunmark-Nylén 2006, 241; 692). Das Vergesellschaftung mit einer Gerätefibel vom Typ 1 nach Thunmark-Nylén (ebd. 235), der in den Stufen VIII:2 bis VIII:4 (ebd. 237) vorkommt, widerspricht der späten Datierung nicht. Somit repräsentiert Grab 51 einen der spätesten Grabfunde Wiskiautens und zeugt von einer Nutzung der Hügelgräbernekropole über das bislang vermutete Belegungsende in der Mitte des 11. Jahrhunderts hinaus. Ketten mit doppelten Ringliedern sind übrigens in Birka nicht vertreten (ebd. 242), was vorsichtig als Hinweis auf gotländische Herkunft der in Grab 51 bestatteten Frau zu werten ist. Die anderen fünf Hufeisenfibeln aus Wiskiauten gliedern sich in zwei Typen: zum einen kommen Fibeln mit facettierten Endknöpfen vor, die von zur Mühlen (1975, 29) „Fibeln mit Stollenenden“ nennt219 (Abb. 44, 1-4). In einem Diese Benennung lässt sich der Besprechung eines Schwertes vom Typ K (von zur Mühlen 1975, 29) entnehmen, wonach eine „Hufeisenfibel mit Stollenenden“ im gleichen Grab gefunden worden sein soll. Der Komplex ist im Abbildungsteil überliefert (ebd. Taf. 36). Dort ist deutlich eine Hufeisen219 128 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 44 Gräberfeld von Wiskiauten, Hufeisenfibeln. 1 Grab ohne Nummer. – 2 Grab ohne Nummer. – 3 Grab ohne Nummer. 4 Grab ohne Nummer. 5 Grab ohne Nummer (1, 3-5: Fotos aus dem Nachlass von H. Jankuhn (ALM Schleswig); 2: von zur Mühlen 1975, 227 Taf. 41, 12). Kein einheitlicher Maßstab. Fall (ebd. 137 Nr. 68, 9) lässt sich das Stück über die Beschreibung „Stollenende“ dem Typ 7 nach Salmo (1956, 30ff.), dem Typ RVFE nach Žulkus (1997, 167ff.), dem Typ FAC:S nach Carlsson (1988, 19) bzw. dem Typ 2 nach Thunmark-Nylén (2006, 97) zuweisen. Weitere zwei Hufeisenfibeln können als Einzelfunde angeführt werden (Bujack 1877, 661-662). Die Beschreibung der einen Hufeisenfibel und besonders ihrer „Endstücke mit würfelförmigen Aufsätzen, deren Ecken abgestumpft sind“ (ebd. 661) erlaubt ebenfalls die Zuordnung zum Typ 2 nach Thunmark-Nylén (2006, 97). Das zweite Stück soll aus „vier Bronzedrähten geflochten“ gewesen sein (Bujack 1877, 661). Diese für Fibeln ziemlich ungewöhnliche Konstruktion deutet eher auf einen Arm- oder Halsring hin. Zur zweiten in Wiskiauten vorkommenden Fibelform zählen Hufeisenfibeln, die mit je zwei quadratischen Platten mit geraden Rändern auf trichterförmigen Bügelabschlüssen ausgestattet sind. Sie entsprechen den Fibeln mit trichterförmigen Enden vom Typ 10 nach Salmo (1956, 46ff.), dem Typ RVTE nach Žulkus (1997, 174), der Gruppe TRA nach Carlsson (1988, 23) bzw. dem Typ 3a nach Thunmark-Nylén (2006, 97). Eine weitere, bei von zur Mühlen nicht abgebildete, jedoch erwähnte Fibel aus Grab 143 (von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 64) soll nach Thunmark-Nylén (2006, 112 Anm. 295) zum Typ 3b gehören. Kulakov (1989, 87 Abb. 4, 3; hier Abb. 45) bildet das Stück zusammen mit den anderen Gegenständen dieses Grabes ab. Ein ähnliches Exemplar ist im Nachlaß von H. Jankuhn (ALM Schleswig) bei den Funden aus fibel mit facettierten Enden zu erkennen. Wiskiauten abgedruckt220 (Abb. 44, 5). Die Zuordnung zu Wiskiauten ist nicht gesichert. Die Verbreitung der Fibeln vom Typ 2 ist östlich geprägt. In Schweden weist nur Birka eine größere Anzahl auf (Thunmark-Nylén 2006, 111 Anm. 260). Besonders in Finnland und auf russischem Gebiet in der Gegend von Ladoga sowie im Ostbaltikum ist der Typ zahlreich vertreten (Salmo 1956, 33ff.; Žulkus 1997, 168; Thunmark-Nylén 2006, 111). Die beiden Exemplare aus Wiskiauten und eines aus Linkuhnen stellen im ehemaligen Ostpreußen die einzigen Belege dar. Auf Gotland ist der Typ ungemein häufig, so dass von Ģinters (1984, 29f.; vgl. auch Müller-Wille 1988a, 760) eine Produktion dieser Fibeln nach östlichen Vorbildern angenommen wird. Auf Gotland finden sich sowohl Fibeln vom Typ 2 als auch vom Typ 3 vornehmlich in Gräbern der Stufen VIII:2 und dem älteren Teil der Stufe VIII:3 (ThunmarkNylén 2006, 108), was absolutchronologisch dem Zeitraum zwischen der zweiten Hälfte des 10. und der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts entspricht (ebd. 92). Salmo (1956, 35) führt die ältesten Vertreter ins frühe 9. Jahrhundert zurück, im 9. und 10. Jahrhundert sei diese Fibelform allgemein verbreitet221. Die Wiskiautener Gräber mit den Hufeisenfibeln vom Typ 2 sollen alle dem 10. Jahrhundert angehören (von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 17–18, 69). Hufeisenfibeln vom Typ 3 sind ähnlich wie Fibeln vom Typ 2 ebenfalls hauptsächlich in östlichen Der Fund ist hier mit der Prussia-Inventarnummer III, 104, 941 zitiert. In von zur Mühlens (1975) Katalog ist ein Grab mit dieser Bezeichnung nicht vorhanden. 220 vgl. auch Ģinters 1984, 27ff; Müller-Wille 1988a, 759; Žulkus 1997, 169. 221 Das Gräberfeld Abb. 45 Gräberfeld von Wiskiauten, Grab 143, Hufeisenfibel (Kulakov 1989, 87 Abb. 4, 3). Gebieten verbreitet, in skandinavischen Regionen bleiben sie abgesehen von Funden aus Birka und von Gotland selten (Thunmark-Nylén 2006, 100; 112). Die zeitliche Einordnung entspricht denen der Fibeln vom Typ 2. In Wiskiauten stammen sie aus Gräbern, die ins 10. Jahrhundert datiert werden (von zur Mühlen 1975, 131 Nr. 42; 133 Nr. 48). B.5.4.3.1.9 Weitere Fibeln Eine rautenförmige Fibel mit Durchbruchsmuster (Abb. 46, 2) aus der Gruppe der Rechteckfibeln soll aus Hügelgrab 44 (von zur Mühlen 1975, 80 Fundliste 9, Taf. 4, 2) geborgen worden sein, ist aber in von zur Mühlens (ebd. 134 Nr. 53) Gräberkatalog unter dieser Grabnummer nicht verzeichnet. Das Stück ist insofern besonders interessant, als es einen offenbar lokalen Charakter trägt. Fibeln dieser Form sind vor allem aus den Gräberfeldern im Memelgebiet bekannt, weitere Analogien stammen aus Elbing-Neustädterfeld (ebd. 80-81 Fundliste 9). Auch aus Litauen und Lettland sind einzelne Exemplare bekannt. Sehr schwierig zu beurteilen ist eine „vierseitige Fibel“ aus einem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 131 Nr. 43, 5), die bislang nur durch ein schlechtes Foto überliefert war (ebd. Taf. 42, 7). Eine bessere Abbildung hat im Nachlass von H. Jankuhn (ALM Schleswig) überdauert (Abb. 46, 1). Demnach handelt es sich um ein filigran- und granulationsverziertes Objekt, zu dem sich keine Analogien auf- 129 zeigen lassen. In der Abbildung bei von zur Mühlen (ebd. Taf. 42, 7) ist unter der vermeintlichen Fibel ein Ring zu sehen, auf den die Fibel aufgesetzt scheint. Er fehlt auf dem Foto aus dem Nachlass Jankuhn oder ist dort aufgrund der Perspektive nicht zu sehen. Dieser Ring könnte auf eine Deutung als Ringnadelfragment oder auf ein Ohrgehänge hinweisen. Jedenfalls scheint die Ansprache als Fibel sehr unsicher. Eine grobe Datierung ins 10. Jahrhundert ergibt sich über die Beifunde der filigranverzierten Anhänger und Perlen, die sich im gleichen Grab gefunden haben, sowie aus der Filigranverzierung des Fundes selbst. Aus einem Männergrab mit der Nummer 151a (von zur Mühlen 1975, 137 Nr. 69) stammt eine Armbrustfibel (Abb. 46, 3), die mit einer Hufeisenfibel mit facettierten Enden vom Typ 2 nach Thunmark-Nylén (2006, 97), einem Schwert vom Typ K nach Petersen (1928), zwei Lanzenspitzen vom Typ E nach Petersen (ebd.) und einem Messer vergesellschaftet war (vgl. von zur Mühlen 1975, 217 Taf. 36). Nach von zur Mühlen (ebd. 137 Nr. 69) soll es sich um ein Hügelgrab gehandelt haben, eine Angabe, die bei näherer Prüfung als falsch eingestuft werden muss. Der Grabfund soll beim Stubbenroden im Herbst 1930 gemacht worden sein und ist nach mehreren überlieferten Zeitungsberichten (ALM Schleswig) als Flachgrab einzustufen. Das Stück findet Entsprechungen in einer Gruppe von litauischen und finnischen Fibeln, die Åberg (1919, 145) als Weiterentwicklung der germanischen Prachtfibeln mit schmalem Tierkopffuß betrachtet. Insbesondere das Exemplar aus Oberhof/ Aukštkiemiai im heutigen Litauen (ebd. 144 Abb. 200) ist mit dem Wiskiautener Stück nahezu identisch. Wróblewski (2006a, 141) stuft den Fund als baltische Produktion ein. Fibeln dieser Form sind bis in die Wikingerzeit hinein belegt (Kemke 1914, 56; Åberg 1919, 145). B.5.4.3.2 Gürtelzubehör Das Gürtelzubehör ist in Schnallen und Riemenzungen zu untergliedern. B.5.4.3.2.1 Schnallen Hinweise auf Gürtelbestandteile liegen durch die allgemeine Angabe „Bronzeschnalle“ in insgesamt acht Gräbern222 von Wiskiauten vor, 222 von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 16, 37 (vgl. 130 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 46 Gräberfeld von Wiskiauten, verschiedene Fibeln. 1 Silberne Fibel (?) aus einem Grab ohne Nummer (Foto aus dem Nachlaß von H. Jankuhn (ALM Schleswig). – 2 Rautenförmige Fibel aus Grab 44 (von zur Mühlen 1975, 153 Taf. 4, 2). – 3 Armbrustfibel aus Grab 151a (ebd. 217, Taf. 36). dreimal ist lediglich eine „Eisenschnalle“223, einmal ist nur eine „Schnalle“ ohne Angaben des Materials überliefert (Kulakov 2005, 59, Hügel K5), einmal eine „Rundschnalle“ (von zur Mühlen 1975, 132 Nr. 46). Zwei „Ringschnallen mit rautenförmigem Querschnitt“ stammen aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 124 Nr. 11) und zwei „Bronzeschnallen“ aus Hügelgrab 145 (ebd. 132 Nr. 45). Aus zwei weiteren Gräbern (ebd. 133 Nr. 48; 138 Nr. 78) liegen Hinweise auf je drei Bronzeschnallen vor. Eine Abbildung findet sich nur zu einer kleinen Schnalle mit rechteckigem Rahmen aus Grabhügel K 167/167 (Kulakov 2005, Abb. 21, 53), sowie zu zwei ringförmigen Schnallen mit rautenförmigem Querschnitt (von zur Mühlen 1975, Taf. 39, 10.11). Darüber hinaus lassen sich aus 25 Gräbern weitere Funde anführen, die nur allgemein als „Schnallen“ bezeichnet sind und zu einfachen Gürtelgarnituren zu gehören scheinen, hier aber nicht weiter besprochen werden sollen. B.5.4.3.2.2 Riemenzungen Aussagekräftiger sind Riemenzungen, besonders die beiden Exemplare aus einem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 133 Nr. 49 Taf. 43, 14) und aus Grabhügel 174 (ebd. 138 Nr. 78 Taf. 44, 4). Sie lassen sich dem Typ 2 Abb. bei Heydeck 1900, Taf. VIII, 5), 49–50, 56, 64, 68; Kulakov 2005, 59 (Hügel K1). von zur Mühlen 1975, 125 Nr. 16; Kulakov 2005, 71 Abb. 21, 53 (Hgl. K167/167); 66 (Hügel K 174). 223 nach Thunmark-Nylén (2006, 135) zuordnen, der auf Gotland in die Übergangszeit von Stufe VIII:2 zu VIII:3 datiert wird (ebd. 145) und dementsprechend in die erste Hälfte des 10. Jahrhundert eingeordnet werden kann (vgl. ebd. 692). Neben den beiden Riemenzungen aus Wiskiauten und einem norwegischen Stück scheint das Vorkommen von Funden dieser Form auf Gotland begrenzt zu bleiben (ebd. 149). Das Exemplar aus dem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 133 Nr. 49 Taf. 43, 14) wird von Thunmark-Nylén (2006, 147) zusammen mit vier weiteren Riemenzungen, die nicht näher beschrieben sind, und vor allem 33 spiralförmigen Bronzeröhrchen als Gürtel mit Prunkquaste gedeutet. Solche Gürtel sind auch aus Lettland, Litauen, Estland, Finnland und Ostpreußen bekannt, fehlen dagegen in Birka. Aufgrund der limitierten Verbreitung dieses Typs 2 dürfte das Exemplar in Wiskiauten aus Gotland stammen. Eine Riemenzunge vom Typ 1 nach Thunmark-Nylén (2006, 135) liegt aus einem weiteren Grab ohne Nummer von Wiskiauten vor (von zur Mühlen 1975, 125 Nr. 17 Taf. 40, 7). Vertreter dieser Form sind außerhalb Gotlands – abgesehen von Finnland (Kivikoski 1973, 119) und Lettland, wenigen Exemplaren aus Birka sowie einzelnen Vertretern aus Estland, Litauen und Ostpreußen – äußerst selten (Thunmark-Nylén 2006, 149). Auf Gotland werden sie meist in Kombination mit Schnallen vom Typ 1 angetroffen, deren Vorkommen in die Das Gräberfeld 131 Abb. 47 Gräberfeld von Wiskauten, Keramikgefäße. 1 Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 187 Taf. 21, 4). – 2 Grab ohne Nummer (ebd. Taf. 21, 7). – 3 Grab 163 (ebd. 185, Taf. 20, 2). Stufen VIII:2 und VIII: 3 (ebd. 145) und somit ins 9.–11. Jahrhundert (ebd. 692) gesetzt werden kann. Dabei sollen die Exemplare, deren Enden wie beim Stück aus Wiskiauten nach unten hin deutlich schmaler werden, die typologisch jüngere Variante sein (ebd. 136). Weitere Riemenzungen sind aus mehreren Wiskiautener Gräbern bekannt, lassen sich aber aufgrund schlechter oder fehlender Abbildungen nicht näher beschreiben. Ein „Riemensenkel“(Agde 1936) wurde in einem Grab ohne Nummer gefunden. Ein einfaches eisernes Exemplar stammt aus Grabhügel K 128/146 (Kulakov 2005, 76 Abb. 25.8). In Grabhügel K 174 legte Kulakov (ebd. 65-67 Abb. 15b, 1.2.5) zwei bronzene Riemenzungen und drei Gürtelbeschläge frei. Eine besonders qualitätvolle Riemenzunge stammt aus einem unbekannten Grab von Wiskiauten. Das silberne, vergoldete Exemplar, das sich unter den wiederentdeckten Funden aus Fort Nr. III bei Kaliningrad befand und heute im Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad ausgestellt ist, konnte durch K. Skvorzov durch eine Archivalie von K. Voigtmann im Berliner Prussia-Archiv224 eindeutig dem Gräberfeld von Wiskiauten zugewiesen werden. Es handelt sich um eine im Borrestil verzierte, offenbar umgearbeitete oder reparierte Riemenzunge mit verschliffenem Tierkopfabschluss, die acht nachträglich angebrachte Löcher aufweist. Besonders inter224 SMB-PK/PM-A IXc1. essant ist die Rückseite mit einer eingeritzten Maske, die analog zu einer Darstellung auf der Rückseite der Zungenfibel aus einem Grab ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 130 Nr. 37 Taf. 4, 14; zur Abb. auf der Rückseite vgl. Heydeck 1900 Taf. 8, 3) und vergleichbaren Fibeln aus Dänemark (Wamers 1984, 95) als Besitzermarke oder apotropäische Darstellung gedeutet werden kann. Die Ritzung scheint durch das Abschneiden der ursprünglich wohl längeren Riemenzunge nur zum Teil erhalten zu sein. Die Riemenzunge ist vermutlich im 9. oder 10. Jahrhundert hergestellt, dürfte aber aufgrund der Umarbeitung und somit sekundären Nutzung nicht vor dem 10. Jahrhundert in die zugehörige Bestattung gelangt sein. B.5.4.4 Keramik Für sechs Gräber stellt von zur Mühlens (1975) Katalog ein Keramikgefäß vor (ebd. 122-140 Nr. 33, 39, 43225, 45226, 52, 70227, 73, 84). Weitere Gefäße sind im Tafelteil abgebildet (ebd. Taf. 20, 3; 21, 2.5; 46, 1-3), fehlen jedoch im Gräberkatalog. Sie sind daher nicht sicher als Grabfunde anzusprechen, wenngleich die Wahrscheinlichkeit groß ist, da komplette Gefäße kaum 225 vgl. von zur Mühlen 1975, Taf. 21, 4 oder 21, 7. 226 vgl. von zur Mühlen 1975, Taf. 21, 4 oder 21, 7. Das Gefäß aus diesem Grab ist nicht in der Inventarliste erwähnt, in der Beschreibung von Tafel 20, 2 (von zur Mühlen 1975, 143) wird das dortige Gefäß aber dem Hügel 163 zugewiesen. 227 132 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung als Einzelfunde auftreten. Von zur Mühlen (ebd. 50) selbst spricht nur von insgesamt acht Keramikgefäßen, die abgesehen von „einer geringen Anzahl unverzierter Scherben“ bis 1939 aus den Hügelgräbern Wiskiautens geborgen worden sein sollen. Ein Gefäß aus Grab 170a228 wurde offenbar als Urne genutzt, wie die darin aufgefundenen verbrannten Knochen belegen. Für die anderen Gefäßbeigaben kann diese Verwendung nur vermutet werden. Aber auch Interpretationen als Behälter für Speisebeigaben oder aber als Trinkgeschirr sind denkbar, wenn man von zur Mühlens (ebd. 49) Beschreibung als „kleine, unverzierte Gefäße einfacher Becherform“ in dieser Richtung deuten will. Abgesehen vom Gefäß aus Grab 163 (Abb. 47, 3) handelt es sich um handgemachte Keramik (vgl. Abb. 47, 1-2) bauchiger Form mit senkrechtem oder leicht ausladendem Profil. Als Verzierung kommen lediglich Fingereindrücke auf dem Rand vor (vgl. Abb. 47, 1). Einzelne Scherben hingegen sind wesentlich häufiger belegt. Immerhin zehn229 bis 1945 und sieben230 nach1945 freigelegte Bestattungen enthielten Bruchstücke von Keramik, die sich aber auch hier nicht zu kompletten Gefäßen zusammenfügen ließen. Vielmehr scheint es sich tatsächlich um einzelne Scherben, offenbar auch von verschiedenen Gefäßen (Kulakov 2005, 71), gehandelt zu haben, die als Bruchstücke ins Grab gelangten. Sie werden als Opferreste gedeutet (ebd. 75). Dabei ist unklar, woher die Scherben stammen: von auf den Scheiterhaufen mitverbrannten Gefäßen, von unverbrannten Gefäßen, die während des Bestattungszeremoniells geopfert wurden oder in sonstiger Weise Teil des Bestattungsrituals waren, oder von Keramikgefäßen, die in Zusammenhang mit der eigentlichen Grablege mit Füllerde des Grabes an ihren späteren Auffindungssort gelangten. In den meisten Fällen scheint es sich um handgemachte Gefäße mit geraden Standböden bei krukenartiger oder doppelkonischer Form mit Entspricht in von zur Mühlens (1975, 137) Katalog der Grabnummer 73. 228 Von zur Mühlen 1975, 122-140 Nr. 1, 33, 37, 52, 64, 68, 74–76, 78. 229 Kulakov 2005, Gräber K I, III, 3, 172, 174, 167/167, 128/146. 230 schwach ausladenden Rändern gehandelt zu haben (vgl. von zur Mühlen 1975, Taf. 21, 4-7; 46, 1), seltener um kleine, kumpfartige Gefäße (vgl. ebd. Taf. 46, 2.3)231. Sie sind unverziert, lediglich der Rand scheint in einigen Fällen durch einfache Einkerbungen verziert zu sein (vgl. ebd. Taf. 20, 3; 21, 4.6; 46, 1). Wegen dieser Einfachheit beschrieben Engel (1935a, 112) und von zur Mühlen (1975, 49) die in der Kaup gefundenen Gefäße als Keramik, die sich wenig von der unansehnlichen einheimischen Tonware unterscheide. Ein Gefäß (von zur Mühlen 1975, Taf. 20, 3) weist bei doppelkonischer Form eine Reihe von kleinen dreieckigen Einstichen auf dem Gefäßumbruch auf, die vermutlich unsorgfältig mit einem Töpferkamm angebracht sind. Am Rand sind, wie bei mehreren anderen Gefäßen, kleine Einkerbungen angebracht. Von zur Mühlens (ebd. 50) Versuch, durch die Verzierung auf dem Bauch des Gefäßes aufgrund eines ähnlich verzierten Keramikgefäßes aus Seeland Beziehungen nach Dänemark herzustellen, scheint aufgrund der geringen Anzahl von nur zwei Gefäßen etwas weit gegriffen. Die Übertragung dieser These auf zwei ähnliche Tongefäße aus Ekritten (ebd. Taf. 20, 5.6) kann auch umgekehrt zu deuten sein, da im Samland mit drei Gefäßen gegenüber einem einzelnen Fund aus Seeland ein deutliches Übergewicht zugunsten der ostpreußischen Gräberfelder zu erkennen ist. Ein sehr interessantes Keramikgefäß liegt aus Hügelgrab 163 vor (vgl. ebd. 49 Taf. 20, 2). Es handelt sich um ein großes, bauchiges Gefäß mit geradem Boden und kurzem Hals sowie weit ausladendem, stark profiliertem Rand, das größtenteils mit umlaufenden Rillen versehen ist. Nur im Halsbereich ist das Rillenornament durch ein Wellenband ersetzt. Das untere Gefäßdrittel bleibt verzierungsfrei. Von zur Mühlen (ebd. 49) erwähnte zahlreiche Vergleiche aus Ostpreußen. Die Keramik erinnert stark an slawische Gurtfurchenware und dürfte frühestens ins 11. Jahrhundert zu datieren sein, eventuell sogar erst dem 12. oder Die beiden letztgenannten Gefäße befinden sich mit einem weiteren im Muzeum Warmii i Mazur in Olsztyn, Polen. Für die Genehmigung zur Einsichtnahme ins Museumsarchiv und die Zusendung der Zeichnungen danke ich Dr. M. Hoffmann und Dr. J. Sobieraj (Olsztyn). 231 Das Gräberfeld 133 Abb. 48 Gräberfeld von Wiskiauten, Kette mit Silberfiligrananhängern, kufischen Münzen und silbernen Perlen aus einem Grab ohne Nummer (Foto aus dem Nachlass von H. Jankuhn (ALM Schleswig). 13. Jahrhundert angehören. Das Gefäß stammt aus dem ohnehin außergewöhnlichen Hügelgrab 163 mit der Massenbestattung von mehreren Personen im Randbereich des Hügels. Sollte das Gefäß tatsächlich als Grabbeigabe aufzufassen sein, so würde es eine späte Belegung des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten belegen, die vermutlich über die Mitte des 11. Jahrhunderts hinausgeht. B.5.4.5 Sonstige Beigaben Aus den Hügelgräbern von Wiskiauten ist eine große Anzahl weiterer Funde geborgen worden. So sind Perlen aus Silber, Glas, Bergkristall und Karneol (Engel 1935a, 111), Silbermünzen, meist als Anhänger umgearbeitet (Abb. 48), scheibenförmige filigranverzierte Anhänger aus Silber, Lunula-Anhänger, Schlüssel, Gewichte, Waagenfragmente, Wetzsteine, Arbeitsgeräte wie Scheren oder Pfrieme und etliche weitere Kleinfunde bekannt, die jedoch kaum mehr chronologischen Aussagewert haben als die bereits besprochenen Gegenstände der Bewaffnung, des Reitzubehörs oder der Tracht. Selbst die arabischen Münzen sind zu lange im Umlauf gewesen und sogar sekundär als Schmuck verwendet worden, als dass sie für die Datierung der Wiskiautener Gräber bessere Anhaltspunkte liefern könnten als die bereits besprochenen Artefakte. Sie werden an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt, ohne jeden einzelnen Fund detailliert zu erläutern. Dennoch soll auf einige herausragende Funde hingewiesen werden, da ihnen für die Fragestellung relevante Informationen zu entnehmen sind. Dazu sind die sogenannten Hansaschüsseln, Kämme und ein Anhänger mit einer stilisierten Reiterfigur zu zählen. Offenbar durch christliche Einflüsse geprägt enthalten viele skandinavische Gräbern bronzene Schüsseln auf, auch als „Hansaschüsseln“ bezeichnet, die als Taufbecken oder Waschschüsseln oder einfach als Bestandteile des Trinkgeschirrs interpretiert werden (Müller 1998, 324ff.). Aus Wiskiauten liegen Hinweise auf fünf Schalen vor. Von zur Mühlen (1975) kannte offenbar nur drei Exemplare (ebd. 123 Nr. 7; 132 Nr. 47; 133 Nr. 48). Zwei weitere Funde werden bei Bujack (1876a, 279-280; 1876b, 687) erwähnt. Auch in anderen Gräberfeldern des Samlandes kommen die Schalen relativ zahlreich vor (Müller 1998, 318), teilweise wurde sogar eine Herstellung im Samland diskutiert (Poklewski 1961, 55ff.). Poklewski (ebd. 89-90 Kat.Nr. 57-59) kennt aus Wiskiauten nur drei Exemplare aus den bei von zur Mühlen (1975, 123 Nr. 7; 132 Nr. 47) angeführten Gräbern ohne Nummer sowie einem weiteren Fund, bei dem keine Zuordnung zu einem bestimmten Grabkomplex gelingt. Während zwei Bronzeschalen dem Typ VI nach Poklewski (1961) angehören und in den Zeitraum des 11.–13. Jahrhunderts datiert werden (ebd. 1961, 89-90 Kat.Nr. 58.59; Müller 1998, 313), 134 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 49 Wiskiauten. Grab 144b. Kamm mit bronzenen Griffschalen. Zeichnung von H. Jankuhn (ALM Schleswig). gehört das dritte Exemplar vom Typ III nach Poklewski (1961) offenbar in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts (ebd. 89 Kat.Nr. 57). Hierbei könnte es sich um das bereits von Bujack (1876b, 687) erwähnte Stück handeln, das jedoch aus Ankäufen der Prussia-Gesellschaft stammt und somit nicht sicher den Hügelgräbern in der Kaup zuzuordnen ist. Es ist auch denkbar, dass es von einem prussischen Bestattungsplatz in der Umgebung der Kaup geborgen wurde, so etwa dem spätheidnischen Aschenplatz oder dem Gräberfeld von Friedrichshof. Als Hinweis auf späte Bestattungen in der Kaup kann dieser Fund nicht gewertet werden. Insgesamt betrachtet weisen die Funde von Bronzeschalen aus Wiskiauten jedoch darauf hin, dass einige der in den Hügelgräbern bestatteten Personen Christen gewesen sein könnten. Kämme aus Horn oder Knochen sind für acht Gräber mit zehn Exemplaren belegt232. Besonders erwähnenswert sind zwei weitere Kämme, die mit bronzenen Griffleisten versehen gewesen sind. Es handelt sich um ein gut erhaltenes Stück mit Flechtbandmuster aus dem von V. I. Kulakov ausgegrabenen Grabhügel K 128/146 (Kulakov 2005, 76 Abb. 25, 3) sowie ein gleichartiges Exemplar aus dem vor 1945 gegrabenen Hügel 144b (von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 67). Auch die Griffschalen diesen zweiten Kammes sind mit einem Flechtbandornament versehen gewesen, wie eine überlieferte ZeichGrab 43 (von zur Mühlen 1975, 134 Nr. 52), Grab 72 (ebd. 134 Nr. 55), Grab 174 (ebd. 138 Nr. 78), Grab K2 (Kulakov 2005, 59 Abb. 6), Grab K 175 (2 Exempl.; ebd. 68), Grab K 167/167 (ebd. 71), Grab 192 (Ohne Verfasser 1935; Agde 1936) sowie ein Grab ohne Nummer (Heydeck 1879, 26). 232 nung aus dem Nachlass von Herbert Jankuhn (Abb. 49) zeigt. Das Hauptvorkommen dieser Kämme (vgl. Abb. 50), die, abgesehen von den Wiskiautener Funden, mit 25 Exemplaren an 13 Fundorten233 (Meier 1994, 155-156) belegt sind, liegt in Haithabu und auf Gotland. In Haithabu sind neben elf Bronzekämmen bzw. Fragmenten davon vor allem auch mehrere Gussformen für die bronzenen Griffschalen nachgewiesen, welche die Herstellung an diesem Ort belegen (Müller-Wille 1988b, 278; Meier 1994, 155). Von sechs auf Gotland gefundenen Exemplaren weisen fünf das auch bei den Wiskiautener Kämmen auftretende Flechtbandornament auf (Thunmark-Nylén 2006, 256), das allgemein für Kämme mit Bronzegriffschalen typisch ist (ebd. 261). Auf Gotland gehören solche Kämme in den späten Teil der Stufe VIII:2 (ebd. 259), der absolutchronologisch etwa dem gesamten 10. Jahrhundert entspricht (ebd. 692). Für alle anderen Funde fasst auch Meier (1994, 155) die Ergebnisse vorheriger Bearbeiter zusammen und betont die ungewöhnliche Dichte von Datierungen ins 10. Jahrhundert. Abgesehen von den Funden aus Haithabu und von Gotland finden sich Kämme mit Bronzegriffleisten in Flechtbandornamentik auch im niederländischen Raum, in Schleswig-Holstein, in Birka und vor allem im russischen Gebiet, wo die Fundorte Staraja Ladoga, Gnёsdovo und Bolsoe Timerovo solche Kämme beinhalten (Meier 1994, 155-156; Thunmark-Nylén 2006, 261). Durch das Vorkommen zweier Kämme in Wiskiauten deutet sich für die in den entsprechenden Gräbern beigesetzten Personen und dadurch bedingt auch für den gesamten Ein bei Thunmark-Nylén (2006, 261) für Gnëzdovo angegebenes Exemplar kommt hinzu. 233 Das Gräberfeld 135 Abb. 50 Verbreitung von wikingerzeitlichen Bronzekämmen (nach Müller-Wille 1988b, 276 Abb. 5). Fundplatz erneut eine klare Verbindung zu den wikingerzeitlichen Handelsnetzwerke an. Ein sehr interessanter Fund liegt mit einem Anhänger mit stilisierten Reiterfiguren vor (Kulakov 1996, 145 Abb. 9). Leider ist unbekannt, aus welchem Grab das Stück stammt. Kulakov (ebd. 145) gibt als Fundort jedoch Wiskiauten an. Solche Anhänger, die ihren Ursprung in der finnisch-ugrischen Mythologie besitzen sollen und als Symbol für einen Reitergott interpretiert werden (Herrmann 2005, 127 Abb. 141 (mit Lit.)), sind im westlichen Ostseegebiet kaum anzutreffen, in Osteuropa dagegen häufiger (ebd. 127 Abb. 141). Sie sollen als Anhänger unter Nadeln oder unter Schalenfibeln gedient haben, wobei am unteren Rand des stilisierten Reiters Ketten des Brustschmuckes befestigt gewesen sind. B.6 Datierung des Gräberfeldes Der erste publizierte Hinweis auf einen Datierungsversuch stammt von Bujack (1876a, 280), der eine 1873 von Heydeck freigelegte Bestattung aufgrund einer bronzenen Schale ins 10. oder 11. Jahrhundert setzt, sicherlich in Anlehnung an den Ausgräber. Heydeck (1877, 651) selbst datierte die Wiskiautener Gräber zunächst allgemein in das „jüngere Eisenalter“ und gibt als Zeitraum das 5.–10. Jahrhundert an. 1879 wurde das Alter dreier Bestattungen aus Wiskiautener Hügelgräbern auf das 9. Jahrhundert festgelegt (ohne Verfasser 1879b, 71). Später verlegte Heydeck (1893, 57) die Gräber aus der Kaup anhand arabischer Münzen in den Zeitraum zwischen der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts und der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, betonte jedoch, dass es auch eine spätere Phase gibt, die er ins 10.–12. Jahrhundert setzte und damit die Gesamtdauer zeitlich teilte. So fände sich „neben den Wikingergräbern und solchen, die nicht denselben Charakter aufweisen, aber doch der selben Zeit angehören, noch eine große Anzahl von Gräbern, die dem 10.–12. Jh. zugerechnet werden müssen.“ Hierher gehören die „Gräber mit den Bronzeschalen und eisernen Eimerreifen samt dem sonstigen Zubehör dieser Zeit“ (Heydeck 1893, 57). Hier wird deutlich, dass Heydeck offenbar eine Trennung zwischen Gräbern der 136 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Wikinger und gleichzeitigen, jedoch anders gearteten Bestattungen vornahm. Vielleicht spielt er hier auf Flachgräber an, deren Existenz jedoch aus den publizierten Informationen nicht sicher belegt werden kann. Denkbar ist auch, dass er Inventare mit offensichtlich skandinavischen Beigaben von solchen trennt, die mit allgemein in der Region verbreiteten Gegenständen ausgestattet waren, ohne eine eindeutige Provenienzanalyse vornehmen zu können. Hier könnten auch die schon damals bekannten prussischen Flachgräber in der kleinen Kaup eine Rolle gespielt haben. Hollack (1908, 185) nennt um 1908 allgemein die Stufen „F, G und H“ als Belegungszeitraum und gibt damit den einzigen Hinweis auf frühe Gräber in der Kaup. Für Stufe F gibt er in Anlehnung an Bezzenberger den Zeitraum des 6.–8. Jahrhunderts an (ebd. LXIV). Engel (1935a, 110) datierte die Gräber in der Kaup insgesamt ins 9. und 10. Jahrhundert, wobei die Hauptmasse der Funde aber aus dem 10. Jahrhundert stammen soll; ob einige Gräber auch bis ins 11. Jahrhundert hineinreichen, wollte er in einem Zeitungsbericht (ALM Schleswig) damals nicht „sicher entscheiden“. Ohne Angabe von Gründen lässt er die Belegung des Gräberfeldes „um etwa 1000“ enden. Nach Angaben von Engel (ALM) kam schon B. Nerman zu dem Ergebnis, dass nur „verhältnismäßig wenige“ Gräber ins 9. Jahrhundert gehörten, „dass also die Wikingerkolonie zu dieser Zeit noch ziemlich klein gewesen sein muss“. Die Entwicklung zu einer „volkreichen Niederlassung“ sah er erst im 10. Jahrhundert (ebd.). Nerman (1931, 170 Anm. 4; 1932, 15; 1934, 372; 1936, 79) vermutete nach den Grabungen 1932, dass das Gräberfeld in den Jahren um 800 oder dem Anfang des 9. Jahrhunderts begonnen habe und bis um das Jahr 1000 belegt war. Gaerte (1933b, 13), lässt aufgrund des Gräberfeldes die „Wikingerkolonie“ bereits kurz nach 800 beginnen und sieht sie bis ins 11. Jahrhundert hinein besiedelt. Das spätheidnische Gräberfeld datiert er ins 11. und 12. Jahrhundert (ebd.). Von zur Mühlen (1975, 15) gibt als Belegungszeit den Zeitraum von 850– 1075 an, wobei der größte Teil der Gräber dem 10. Jahrhundert angehören soll. An anderer Stelle spricht er davon, dass die „rein wikingischen Hügel nicht über den Beginn des 11. Jh. hinausgehen“ (ebd. 16). Auch Kleemann (1939a, 4) sieht den Beginn der „wikingische[n] Belegung“ um 800 und ihr Ende in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Im Ostteil des Gräberfeldes dagegen dauert sie noch bis ins 12. Jahrhundert fort, allerdings nun mit rein prussischen Bestattungen. In dieser Zeit soll das Gräberfeld von der Bevölkerung der ältesten Besiedlungsphase Wosegaus genutzt worden sein, die Kleemann (1939b, 214) mit den beiden Fundstellen „Wosegau 3“ und „Wosegau 4“ aus dem 13. und 14. Jahrhundert belegt sieht (ebd. 224). Analog zu den von Nerman (1929) in Grobin erzielten Resultaten wird die durch das Gräberfeld angezeigte Siedlung von Engel (1935a, 112) eher als Garnison angesehen, weil die Zahl der Frauengräber gegenüber den Kriegerbestattungen „überaus gering“ gewesen sei. Das allerdings lässt sich für die bisher bekannten und publizierten Bestattungen nicht so ohne weiteres behaupten. Nach einer Auszählung der durch von zur Mühlen (1975) vorgenommenen Geschlechtszuweisung234 beträgt das Verhältnis von Frauen- zu Männergräbern 24 zu 46 und somit etwas weniger als 1:2. 17 Bestattungen lassen sich keinem Geschlecht zuweisen. Zuletzt setzte Kulakov (1989) sich intensiv mit den chronologischen Verhältnissen der Grabhügel in der Kaup auseinander, indem er eine einfache Kombinationsanalyse durchführte (ebd. 91 Tab. I). Einbezogen wurden 51 Grablegen, die sowohl in deutscher als auch in russischer Zeit untersucht worden sind und typologisch und chronologisch auswertbare Beigaben enthielten. Demnach sind vier Gräber der Zeit zwischen 800 und 850 zuzurechnen. Acht Bestattungen sollen der Zeit zwischen 850 und 900 angehören. Insgesamt 25 Grabhügel sollen in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts angelegt worden sein, während die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts mit zehn Bestattungen wieder deutlich unterrepräsentiert ist. Der Schlussphase am Anfang des 11. Jahrhunderts rechnet Kulakov (ebd.) lediglich vier Gräber zu, wobei er das Gräberfeld im Jahr 1016 enden lässt, da er aufgrund der Erwähnung von kriegerischen Einfällen der Dänen ins Samland Auch die mit einem Fragezeichen versehenen Geschlechtszuweisungen sind hier eingerechnet. Zusätzlich wurde das Vorhandensein einer Hufeisenfibel als Hinweis auf eine Männerbestattung gewertet. 234 Das Gräberfeld unter Führung von Knut dem Großen bei Saxo Grammaticus annimmt, dass die zugehörige Siedlung in diesem Jahr zerstört wurde (ebd. 98). Für die frühe Datierung einiger Gräber in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts zieht Kulakov (ebd. 94 Nr. 18) offenbar die gotländischen Gerätefibeln heran, die nach neuerem Kenntnisstand jedoch nicht vor der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts auf Gotland auftreten (Thunmark-Nylén 2006, 237). Zusammenfassend lassen alle bisherigen Datierungsversuche die Kernzeit des Gräberfeldes von der Mitte des 9. bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts erkennen. Lediglich Hügelgrab 44235 mit einem Paar gleicharmiger Fibeln vom Ljønestyp“ nach Petersen (1928) könnte in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts gehören, wenngleich die im gleichen Grab gefundene Gerätefibel eher für eine spätere Datierung spricht. Hügelgrab 43236 lieferte ein einschneidiges Schwert, das von Nerman (1932, 14) aufgrund der Griffform ins frühe 9. Jahrhundert datiert wurde. Auch das Grab ohne Nummer mit einem Schwert vom Typ E (von zur Mühlen 1975, 125 Nr. 13) gehört vielleicht noch zu den frühen Grabfunden des 9. Jahrhunderts. Alle anderen Hinweise auf Bestattungen aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts halten einer genauen Prüfung nicht stand. Für die Gründungszeit des Gräberfeldes ist dabei zu bedenken, dass die Gräberzahl zumindest am Anfang eventuell kleiner gewesen ist und erst im Laufe der Zeit, wenn die Bewohner der zugehörigen Siedlung älter werden, auch mehr Gräber entstehen. Gleichzeitig kann zwischen der Ankunft der Skandinavier und den ersten Bestattungen ein gewisser Zeitunterschied liegen, der damit die tatsächliche Anwesenheit der zugezogenen Personen zeitlich nicht widerspiegelt, sondern verspätet erscheinen lässt. Durchaus kann also die vermutete Siedlung vor der Mitte des 9. Jahrhunderts gegründet worden sein, während erst etwas später die ersten Hügelgräber in Wiskiauten errichtet wurden. Dagegen gibt es einschlägige Hinweise auf eine Nutzung auch nach der Mitte des 11. Jahrhunderts. So stammt aus dem ohnehin durch Entspricht in von zur Mühlens (1975, 134) Katalog Grabnummer 53. 235 Entspricht in von zur Mühlens (1975, 134) Katalog Grabnummer 52. 236 137 die mehr als 10 Randbestattungen vom üblichen Grabbau abweichenden Hügel 163 ein scheibengedrehtes Gefäß mit umlaufenden Gurtfurchen, das aufgrund dieser Verzierungsart frühestens in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts gehören dürfte. Einen weiteren Hinweis auf späte Bestattungen liefern mehrere sog. „Hansaschüsseln“, die allgemein ins 11.–13. Jahrhundert datiert werden (Poklewski 1961, 9; Müller 1998, 313). Schon Heydeck (1893, 57) hatte betont: “es finden sich neben den Wikingergräbern und solchen, die nicht den gleichen Charakter aufweisen aber doch derselben Zeit angehören, noch eine grosse Zahl von Gräbern, die dem 10.–12. Jh. zugerechnet werden müssen. Es sind dies die Gräber mit den Bronzeschalen und eisernen Eimerreifen samt dem ganzen Zubehör dieser Zeit.“ Auch Wulff (1865, 645) erwähnte Fragmente von Hansaschüsseln, die aber in diesem Fall vermutlich aus dem spätheidnischen Aschenplatz stammen und eine späte Datierung dieses separierten Bestattungsplatzes nahelegen. Die von allen Forschern ermittelte Kernbelegungszeit des Gräberfeldes von Wiskiauten zwischen der Mitte des 9. und der Mitte des 11. Jahrhunderts lässt sich also anhand des Fundmaterials (vgl. Kap. B.5.4) bestätigen. Während die Masse der Gräber sich anhand der Funde ins 10. Jahrhundert datieren lässt, fallen einige frühe sowie späte Grabkomplexe auf, die gleichzeitig Anfangs- und Endpunkt der Nutzung des Hügelgräberfeldes repräsentieren. B.7 Struktur und Belegungsabfolge des Gräberfeldes Bisher am wenigsten Informationen liegen über die Belegungsabfolge und die innere Struktur des Gräberfeldes von Wiskiauten vor. Einige spärliche Informationen, die meist in Randbemerkungen aus alten Publikationen oder Grabungsberichten enthalten sind, lassen nur tendenzielle Bemerkungen zu. Zunächst sind einige Aussagen zur diachronen Belegungsabfolge zu treffen. So befand sich im Osten der Kaup das große steinzeitliche Hügelgrab, das Nachbestattungen aus der älteren Bronzezeit enthielt. In der Nähe des Hügels befanden sich offenbar auch mehrere Gräber der „älteren Eisenzeit“ (Heydeck 1900, 61), die 138 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung nach einer Beschreibung von Hollack (1908, 185) der Römischen Kaiserzeit zuzuweisen sind237. Ebensolche Gräber hat es offenbar im Westen der Kaup gegeben (Heydeck 1900, 61), während „die größere Mitte und teilweise das Westende dagegen fast nur mit Wikingergräbern belegt ist.“ (ebd.). Insgesamt scheinen sich die Gräber gruppenförmig aneinandergereiht zu haben (Engel, ALM Schleswig). Auch die Lage der Gräber im Gesamtplan lässt auf zusammengehörige Gruppen schließen (vgl. Abb. 9). Mehrfach liegen die Grabhügel reihenartig an den späteren, neuzeitlichen Wegen aufgereiht. Auch wenn diese neuzeitlichen Wege sich sicherlich an den Hügelgräbern orientiert haben, könnte es andererseits auch sein, dass sie schon auf die Entstehungszeit des Gräberfeldes zurückgehen und sich ihrerseits an den Hügelgräbern orientierten. Dass weitgehende Fehlen von Nachbestattungen in den Wiskiautener Hügeln lässt sich vielleicht durch den ausgiebig vorhandenen Platz erklären, so dass keine Nachbestattungen nötig waren. Nach Engel (ALM) wurde von Paulsen 1932 am Nordrand des Gräberfeldes eine Gruppe meist recht beigabenarmer Gräber aus dem Ende des 10. Jahrhunderts untersucht. Diese Gräber waren überwiegend von einer quadratischen oder rechteckigen Steinsetzung umgeben, in deren Mitte jeweils ein Beigefäss stand. Aufgrund dieser Gleichförmigkeit könnte es sich um ein von den restlichen Gräbern separiertes Bestattungsareal handeln. Kulakov (1989) war der erste, der sich an einer Belegungsabfolge des Gräberfeldes versuchte. Zwar umfasst seine Kombinationsanalyse insgesamt 51 datierbare Gräber, im Plan selbst sind jedoch nur 23 Gräber mit Datierung angegeben. Die Schwierigkeit liegt darin, die Hügelgräber eindeutig im Plan zu verorten, da nur von wenigen Bestattungen auch die alte Grabnummer bekannt ist. So ergeben sich im Wesentlichen zwei räumlich getrennte Gruppen von datierbaren Gräbern im Osten und Westen, während die Bestattungen im Mittelteil undatiert bleiben. Nach Kulakov (ebd. Abb. 3) befinden sich im westlichen Teil der Möglicherweise liegt hier eine Verwechslung mit den im Kunterstrauch bei Wiskiauten aufgedeckten kaiserzeitlichen Gräbern vor (vgl. Kap. A.7.2.3). 237 Nekropole Gräber der Zeit zwischen 850 und 900, denen nördlich und westlich Gräber der Zeit zwischen 900 und 950 benachbart liegen. Gleiches gilt für eine Gruppe von Grabanlagen im Osten. Hier wird ein Grab der Zeit von 850– 900 von fünf Bestattungen der Zeit von 900–950 umrandet. In diesem Bereich sind auch Gräber des Zeitraums 950–1000 zu verorten, nur eine Bestattung dieser Zeit dagegen befindet sich in der westlichen Gruppe. Für die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts gab Kulakov (ebd.) nur eine Grablege im Ostteil an. Als späteste Phase des Gräberfeldes von Wiskiauten muss nach wie vor der sog. „Spätheidnische Aschenplatz“ in der kleinen Kaup im Osten des Denkmals gelten. Trotz aller Datierungsunsicherheiten dürfte dieser separierte, prussische Bestattungsplatz entweder mit der Spätphase des Hügelgräberfeldes parallel sein oder im Anschluss ab Mitte des 11. Jahrhunderts entstanden sein und bis mindestens ins 12. Jahrhundert, vermutlich sogar bis ins 13. Jahrhundert in Nutzung gestanden haben (vgl. hierzu Kap. B.3.2.3). B.8 Zur Herkunft der in Wiskiauten bestatteten Personen Richtete sich eine der wichtigsten Fragen der Forschungen zum Gräberfeld in der Kaup – und letztlich auch der modernen Siedlungsforschungen – seit Beginn der Grabungen auf die Herkunft der in Wiskiauten bestatteten Personen, entsprach dagegen das Fundmaterial nicht dem einheimischen Kontext. Nach anfänglichen Fehlinterpretationen, wie beispielsweise der Annahme, bei den begrabenen Personen handele es sich um Litauer (Wulff 1865, 645), die in der Schlacht bei Rudau im 14. Jahrhundert gefallen wären, manifestierte sich relativ schnell die größtenteils noch heute gültige Forschungsmeinung, nach der skandinavische Personen für die Anlage des Hügelgräberfeldes verantwortlich zu machen sind. Besonders in den 1930er Jahren erhob sich dann die Frage, in welchem Teil Skandinaviens ihre Herkunft zu suchen sei. Zusätzlich wurde diskutiert, zu welchen Regionen sich besonders intensive Kontakte erkennen ließen. Insbesondere durch die Grabungen Birger Nermans in Grobin angeregt, kam wenig später zusätzlich die Theorie auf, dass möglicherweise die in der Das Gräberfeld Folge kurischer Aufstände aus Grobin vertriebenen Personen Wiskiauten gegründet hätten. Auch diese Interpretation wird heute noch von einigen Autoren aufgegriffen. Als Beleg für diese oder jene Theorie sind in der Vergangenheit hauptsächlich die Grabfunde sowie der Grabbau, seltener auch Hinweise aus historischen Quellen herangezogen worden. Auf Grundlage der Analyse dieser Kriterien und der daraus abgeleiteten Herkunftsmodelle wurden diese Interpretationen wiederholt auch auf die vermutete, aber nie eindeutig gefundene Siedlung von Wiskiauten übertragen. So sprach man von einer Garnison, einem Handelstützpunkt oder einer Kolonie der Wikinger. Nur selten wurde die vermeintliche Siedlung auch in einen einheimischen Kontext eingepasst und eine eher polyethnische Niederlassung angenommen. Im Folgenden sollen die wichtigsten Interpretationsansätze kurz zusammenfassend vorgestellt werden. Mehrere Forscher betonten die auffällige Ähnlichkeit der Grabfunde aus Wiskiauten mit Funden aus Schweden, besonders aus.Birka. Schon Gaerte (1929, 349) sah die Gräber des 10.–11. Jahrhunderts „weniger [von] Dänemark als [von] Schweden“ beeinflusst, wobei er – unter Berufung auf unveröffentlichte Forschungen von H. Kemke (ebd. Anm. 1) – als Herkunftsgebiet besonders Upland favorisierte. Nerman (1932, 15) interpretierte die von ihm untersuchten Gräber dahingehend, dass „die schwedische Wikingerkolonie etwa um das Jahr 800 oder Anfang des 9. Jahrh. sich in Wiskiauten niedergelassen und dort bis gegen das Jahr 1000 gelebt hat. Merkwürdig ist, dass die Kolonie während der gesamten Zeit ihren schwedischen Charakter behalten hat – noch die von uns untersuchten Gräber der Zeit um 950 und der 2. Hälfte des 10. Jahrh. zeigen keine prussischen Einflüsse.“ Er sieht also während der ganzen Belegungszeit einen rein schwedischen Einfluss ohne jegliche einheimische Elemente, zumindest in dem Bereich, der in der schwedisch-deutschen Gemeinschaftsgrabung in den 1930er Jahren untersucht worden ist. Bereits 1934 scheint Nerman (1934, 372) diese Meinung jedoch leicht modifiziert zu haben, denn er schreibt von vereinzelten prussischen Gegenständen in den Hügelgräbern der Kaup. Auch Engel (1935a, 111; 1935b, 40) und Kiviko- 139 ski (1937, 238) machten Personen schwedischer Herkunft für die Hügelgräber in der Kaup verantwortlich. Insbesondere Engel (1935a 112) sah einerseits künstlerische und stilistische Einflüsse aus vielen Regionen. Während er beispielsweise den „Silberschmuck aus Arabien und Südrussland“ herleitete, betonte er ausdrücklich auch „Kunstformen aus Norwegen, Irland, Gotland und Kurland, aus welch letzterem mehrere ausgeprägt kurische Einfuhrstücke vorliegen“. Andererseits stellte er jedoch klar, dass er die Hauptmasse der Funde und auch der Bestattungsbräuche und Grabformen „unzweifelhaft“ für mittelschwedisch hielt, wobei er besonders das große Hügelgräberfeld von Birka im Mälarseegebiet als Vergleich heranzog. Er folgerte daraus mittelschwedischen Ursprung der skandinavischen Kolonie bei Wiskiauten, in der einzelne gotländische Kaufleute gelebt haben sollen. Auch andere Bearbeiter suchten den Ursprung einiger Skandinavier aus Wiskiauten auf Gotland. So war auch von zur Mühlen (1975, 56) der Ansicht, dass die Funde aus den Wiskiautener Gräbern in der Mehrzahl zwar generell schwedischer Herkunft seien, vereinzelt aber eher auf Gotland als nach Mittelschweden weisen. Ausschlaggebend dafür waren vor allem Dosenfibeln, Dosenschnallen bzw. Gerätefibeln, verschiedene Armringformen und Lanzenspitzen mit Treppenmuster auf der Tülle. Andererseits seien auch Bezüge zum dänischen Fundmaterial vorhanden, die deutlich auf eine Herkunft aus Dänemark hinwiesen. Hierzu wurden die Zungenfibel mit Flechtbandornamentik, durchbrochene Steigbügel und Schwerter vom Typ V nach Petersen (1919) gezählt (von zur Mühlen 1975, 55f.). Weitere dänische Einflüsse könnten nach eingehender Analyse auch an Gebrauchsfunden, Pferdegeschirr sowie der Keramik abgelesen werden. Die restlichen Beigaben hielt von zur Mühlen (ebd.) für allgemein skandinavisch, ohne dass sich daraus Provenienzhinweise ableiten ließen. Dänischen Einfluss hielt auch Hollack (1908, LXXXVII) unter Berufung auf Saxo Grammaticus (Gesta Danorum, Buch X, 5; vgl. Holder 1886, 328; von zur Mühlen 1975, 1) für wahrscheinlich und interpretierte das Gräberfeld als Reste einer „dänischen Kolonie, vom Sohne Harald Blauzahns, Haquinus, im Samland gegründet“. 140 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Spätere Forscher griffen diese Thesen auf und sahen die frühe Phase in Wiskiauten von Gotländern dominiert, im folgenden Jahrhundert sollen Dänen für das Siedlungsgeschehen verantwortlich gewesen sein, die ihre eigene Expansion Richtung Osten starteten (Duczko 1997, 205). Abweichend sah dagegen Warnke (1964, 48) Wiskiauten als gemeinsame Siedlung von Gotländern und Prussen. Die dänische Komponente erwähnte sie nicht. Auch in der Sicht Wróblewskis (2006c, 113) überwogen hielt – in Anlehnung an von zur Mühlen (1975) – für eine frühe Phase Wiskiautens gotländische und schwedische Funde, während sich ab dem 10. Jahrhundert ein deutlicher dänischer Einfluss bemerkbar mache. Gleichzeitig wollte Wróblewski (2006b, 141; 2006c, 110) eine signifikante Anzahl prussischer Objekte bzw. interregionaler, baltischer Objekte erkennen. Schon Kleemann (1939b, 215) hatte betont: „Es ersteht dafür ein Handelsplatz und gleichzeitig Vorort der ganzen Gegend zunächst in wikingischer Hand unter preußischer Beteiligung, später nur von den Preußen bestimmt und von Wikingern besucht.“ Es war wohl vor allem die Mischung von panskandinavischen und gotländischen Fibelformen in den frühen Wiskiautener Gräbern (Abb. 51), die für eine Gründung des Ortes durch Personen aus Grobin zu sprechen schien (Callmer 1994, 67). Für Grobin kam schon Nerman (1929, 181f.; 199ff.) zu dem Schluss, dass hier eine schwedische von einer gotländischen Bevölkerungskomponente unterschieden werden könne. Dementsprechend konnte nach Callmer (1994, 67) in Grobin fernab der Mutterländer ein solcher Mix am ehesten entstehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgte dabei auch eine Beeinflussung durch einheimische kurische oder allgemein baltische Elemente; die Anwesenheit solcher Gegenstände wie beispielsweise der Armbrustfibel mit Tierkopffuß aus einem Flachgrab (Engel, ALM; von zur Mühlen 1975, Taf. 36; Wróblewski 2006a, 141; vgl. hier Abb. 46, 3) in den ansonsten mit skandinavisch anmutenden Funden ausgestatteten Gräbern wird dadurch in ein neues Licht gerückt. Besonders die Mischung von mittelschwedischen und gotländischen Elementen lässt sich auch an den Funden aus Wiskiauten ablesen, wenn beispielsweise gotländische Gerätefibeln mit festlandskandinavischen Schalenfibeln vergesellschaftet sind. Nicht unbedingt muss dabei eine der beiden Gegenden als Ursprungsgebiet in Frage kommen. So deutete auch Thunmark-Nylén (2006, 651) Gräber mit der Kombination aus Schalenfibelpaar und Dosenfibel als Bestattungen von ortsanssässigen Frauen, die sich schon etwas von der traditionellen Trachtsitte entfernt hätten und Wurzeln in festlandskandinavischen Gebieten als auch auf Gotland Wurzeln aufwiesen. Auch Kulakov (2005, 77) griff diese Thesen auf und wollte die ältesten Gräber Wiskiautens von Gotländern angelegt verstehen, zog aber andererseits (ders. 1989, 95; 1994, 211) auch eine Gründung der Siedlung von Personen aus Truso in Erwägung. Die genaue Analyse der Grabfunde von Wiskiauten steht bislang aus. Eine vorläufige Übersicht (vgl. Kap. B.5.4) bestätigt jedoch tendenziell die bisher in der Literatur am häufigsten vertretene Meinung, dass die Mehrheit der Funde mit der Mälarseeregion um Birka zu verbinden ist. So ist die Masse der Schalenfibeln, die auf Gotland äußerst selten sind, als festlandskandinavisch anzusprechen. Dies lässt sich deutlich als Anwesenheit festlandskandinavischer Frauen interpretieren oder spricht zumindest dafür, dass die Trägerinnen ihre Trachtgegenstände aus Mittelschweden bezogen, womit sich gleichzeitig eine starke Identifikation mit dieser Gegend vermuten lässt. Nur wenige Dosenfibeln und Gerätefibeln weisen ausdrücklich auf Gotland hin, da sie als exklusiv gotländische Trachtelemente verstanden werden, die nur äußerst selten außerhalb Gotlands angetroffen wurden (ThunmarkNylén 2006, 234, 238). Auch andere Funde sind auf Gotland sehr häufig, wobei nicht klar wird, ob vielleicht nur Handelsaktivitäten dafür verantwortlich zu machen sind. So ist der Kamm mit den bronzenen Griffschalen aus Grab 144b (von zur Mühlen 1975, 136 Nr. 67; vgl. Abb. 49) zwar vermutlich in Haithabu hergestellt, könnte aber auch einer bisher nicht lokalisierten Werkstatt auf Gotland entstammen (Meier 1994, 155). Zumindest ist hier eine auffällige Häufung zu Das Gräberfeld 141 Abb. 51 Gräberfeld von Wiskiauten. Inventar eines Frauengrabes mit Kombination von Schalenfibeln und Dosenfibel (links: von zur Mühlen 1975, 191 Taf. 23). – rechts: Foto aus dem Nachlass von H. Jankuhn, ALM Schleswig). verzeichnen, so dass die Insel vermutlich eine übergeordnete Rolle beim Handel mit diesen Kämmen spielte (ebd.). Auch mit dem Fundensemble aus dem in die Mitte des 9. Jahrhunderts datierten Hügelgrab 44 „Steinsetzung A“ (von zur Mühlen 1975, 134 Nr. 53) sind Hinweise vorhanden, dass Gotländer zumindest anfangs an der Nutzung des Hügelgräberfriedhofes beteiligt gewesen sein könnten. Insgesamt 33 kleine Bronzespiralen aus einem Grab ohne Nummer (ebd. 133 Nr. 49 Taf. 43, 14) deuten als Bestandteil eines Prunkgürtels ebenfalls auf Verbindungen zu Gotland hin, zumal im gleichen Grab unter anderen auch eine typisch gotländische Riemenzunge (Typ 2 nach Thunmark-Nylén 2006) belegt ist. Auf dänische Personengruppen weist neben der Zungenfibel (von zur Mühlen 1975, 130 Nr. 37), die prinzipiell auch eingehandelt sein kann, auch ein Schwertortband mit anthropomorpher Verzierung hin. So sieht Hedenstierna-Jonson (2002) solche Ortbänder von den Darstellungen des Jellingesteines beeinflusst und interpretiert ihr Vorkommen dement- sprechend als Anwesenheit dänischer Personen oder zumindest von Vertretern dänischer Herrschaft an diesen Orten. Gleiches müsste dann für das Exemplar aus Grabhügel 170c (von zur Mühlen 1975, 138 Nr. 75) von Wiskiauten gelten. Allerdings fällt dieser Fund hier aus dem Rahmen, da er innerhalb dieser Fundgruppe einen der wenigen Grabfunde darstellt und gerade die Auffindung in Siedlungen, also in gewissem Sinne im öffentlichen Raum, Hedenstierna-Jonsons (2002) Theorie stützt. Insbesondere der Grabbau (vgl. hierzu auch Kap. B.3.2) hat verschiedene Forscher (Nerman 1934, 372; Engel 1935a, 112) veranlasst, die Herkunft der in den Hügelgräbern von Wiskiauten bestatteten Personen nördlich der Ostsee und besonders in Mittelschweden zu suchen. Tatsächlich bilden Grabhügel auf Gotland eine Ausnahmeerscheinung (Nerman 1932, 10; Thunmark-Nylén 2006, 580), während sie in Birka und in der Mälarseeregion ausgesprochen häufig sind (Nerman 1932, 10; Gräslund 1980, 72). Die verschiedenen Formen der Brandbestattungen, die sich in Wiski- 142 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung auten nachweisen lassen, kommen dagegen in beiden Regionen vor. In der Zusammenschau spricht einerseits das Überwiegen von festlandskandinavischen Schalenfibeln und anderen Funden in Kombination mit dem Hügelgrabbau für eine starke Beeinflussung durch die Region um Birka. Vermutlich bestanden zu diesem Handelsplatz die engsten Beziehungen. Einige Bestattungen dagegen können durchaus mit Personen aus Gotland in Verbindung stehen, wie insbesondere die Gerätefibeln in Kombination mit Dosenfibeln aus drei Gräbern nahelegen. Sie bleiben aber deutlich in der Unterzahl. B.9 Aussagemöglichkeiten zur Größe der zu vermutenden Siedlung aufgrund der Grabfunde Bereits mehrfach sind Versuche gemacht worden, die Bevölkerungszahl verschiedener wikingerzeitlicher Siedlungen und Handelsplätze anhand der Anzahl der auf den zugehörigen Gräberfeldern bestatteten Personen zu berechnen. Für Haithabu kommt Randsborg (1980, 80) auf Grundlage der mindestens 5000 Gräber auf eine Einwohnerzahl von 1000 Personen bei einer besiedelten Fläche von 24 ha238. Gräslund (1980, 83) gibt unter mehreren Berechnungen für Birka unter Zugrundelegung einer Anzahl von 3000 Bestattungen und einer Nutzungsdauer der Gräberfelder von etwa 175 Jahren eine Gesamteinwohnerzahl von 500-600 Personen den Vorzug. Für beide Plätze ergibt sich ein ungefähres Verhältnis von 1:5 bis 1:6 zwischen Einwohnern und Bestattungen. Die Siedlungsfläche von Birka ist mit 12 ha halb so groß wie Haithabu. Für die Berechnung der Einwohnerzahl verwendete Gräslund (ebd.) eine Formel, die auch für das Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten genutzt werden kann. Dabei wird die Anzahl der Gräber mit der vermuteten Lebenserwartung der Individuen multipliziert und das Ergebnis durch die Nutzungszeit der Siedlung dividiert. Die Zahl der Gräber in Wiskiauten lässt sich auf etwa 500 Hügelgräber schätzen (Nerman 1942, 92; vgl. auch Anm. 2), die NutzungsdauHaithabus tatsächliche Siedlungsfläche innerhalb des Halbkreiswalles liegt nach neueren Angaben bei 27 ha (Hilberg 2007, 187). 238 er des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten dagegen kann auf etwa 150–200 Jahre limitiert werden. Es gibt keinen Grund, für die in Wiskiauten bestatteten Personen andere Lebenserwartungen anzusetzen als für Birka oder Haithabu, weshalb auch hier eine durchschnittliche Lebenserwartung von 30–40 Jahren zugrunde gelegt werden soll. Daraus ergeben sich analog zu den Berechnungen von Gräslund (1980, 83) in Birka für Wiskiauten bei unterschiedlichen Einschätzungen der Lebenserwartung und der Nutzungsdauer des Gräberfeldes für eine zugehörige Siedlung, die ausschließlich das Hügelgräberfeld als Bestattungsplatz nutzte, eine Gesamtzahl zwischen 75 und 133 Einwohnern (Tab. 1). Diese Zahl bezieht sich auf die durchschnittliche gleichzeitige Einwohnerzahl. Im Vergleich mit Birka mit einer Größe von 12 ha bei doppelt so großer Einwohnerzahl kann für Wiskiauten bei einer Nutzungsdauer von 150 Jahren und einer Lebenserwartung von 40 Jahren eine Größe von 5–6 ha angenommen werden. Bei einer Nutzungsdauer von 200 Jahren und einer geringen Lebenserwartung von 30 Jahren schrumpft die Siedlungsgröße dagegen auf etwa 2–3 ha. Dies gilt allerdings nur für die skandinavische Bevölkerungsgruppe. Unter der Annahme, dass es sich um eine von Skandinaviern und Prussen gleichzeitig genutzte Niederlassung handelt, dürfte die Gesamtfläche wesentlich größer gewesen sein. Als Problem ergibt sich dabei, dass die Anzahl der Flachgräber von Wiskiauten aufgrund der einseitig auf die Grabhügel fokussierten Ausgrabungsaktivitäten früherer Archäologen bisher kaum eingeschätzt werden kann. Neue Untersuchungen von V. I. Kulakov, die auch die Bereiche zwischen den Grabhügeln einbeziehen, zeigen bereits jetzt, dass die Zahl der Flachgräber mindestens so groß gewesen sein dürfte wie die Zahl der Hügelgräber239. Die Gesamtzahl der Bestattungen in der Kaup ist daher mit bis zu 1000 Bestattungen sicherlich nicht zu hoch angegeben. Wenn diese Vermutung stimmt, wachsen die Größe der Bevölkerung und dementsprechend auch die Größe der Siedlung mindestens auf das Doppelte. Bei der Untersuchung eines Grabhügels im Jahr 2007 deckte Kulakov in dessen Umfeld drei Flachgräber auf, von denen zwei nach C14-Datierungen in das 10. Jahrhundert gehören. Für die freundliche mündliche Mitteilung dankt Verf. dem Ausgräber. 239 Das Gräberfeld 143 Tab. 1: Wiskiauten. Berechnung der Bevölkerungszahlen der Siedlung bei 500 Bestattungen, bezogen auf die Nutzungsdauer des Gräberfeldes in Jahren und unter Berücksichtigung verschiedener Lebenserwartungen. Tab. 2: Wiskiauten. Berechnung der Bevölkerungszahlen der Siedlung bei 1000 Bestattungen, bezogen auf die Nutzungsdauer des Gräberfeldes in Jahren und unter Berücksichtigung verschiedener Lebenserwartungen. Die Zahl der Einwohner lässt sich unter diesen Vorraussetzungen auf etwa 150–267 Personen schätzen (Tab. 2). Die Größe der Siedlung betrüge dementsprechend etwa 10–12 ha, wenn man von einer kurzen Nutzungsdauer und einer hohen Lebenserwartung ausgeht. Bei einer Nutzungsdauer von 200 Jahren und einer Lebenserwartung von 30 Jahren allerdings ergibt sich für die Siedlung wieder eine geschätzte Größe von etwa 5–6 ha. Im regionalen Umfeld dürfte aber schon eine Siedlung von 5–6 ha mit einer ständigen Einwohnerzahl von 150 Personen noch relativ groß gewesen sein. Biskup/Labuda (2000, 89) schätzen die Gesamtzahl der Bewohner des Samlandes am Anfang des 14. Jahrhunderts auf insgesamt 22000 Personen bei einer Gesamtbevölkerungszahl der Gebiete Altpreußens von etwa 170000 Menschen. Das entspricht einer Einwohnerdichte von 4-5 Personen pro Quadratkilometer. Die Zahl der kampftüchtigen Krieger bei Ankunft des Deutschen Ordens wird auf 2200 festgelegt (ebd. 182). Kulakov (1994, 199) dagegen will nur etwa 300 samländische Krieger sehen, die mit insgesamt nicht mehr als 1000 prussischen Bewaffneten, die leicht bewaffneten Gefolgsmänner eingerechnet, zur Verteidigung gegen den Orden zur Verfügung gestanden haben. Schwieriger ist die Größe der Siedlungen zu schätzen, weil komplett ausgegrabene Siedlungen nicht existieren. Das prussische Siedlungssystem war zunächst in verschiedene territoriale Einheiten, die sog. „pulka“ (Biskup/Labuda 2000, 86) oder auch „polca“ (Kleemann 1939a, 5), gegliedert, deren Mittelpunkt eine Siedlung bildete. Zu einer „polca“ gehörten weiterhin auch alle stehenden und fließenden Gewässer, Haine und Weideflächen sowie Wälder und Wüstungen in der Umgebung (Biskup/Labuda 2000, 87ff.). Die nächst größere Territorialeinheit, die in der schriftlichen Überlieferung mit 144 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung dem lateinischen Namen „territorium“ oder „terrula“ erscheint, wurde aus mehreren solcher „polcae“ gebildet. Eine prussische Siedlungseinheit bestand aus einem Dorf („kaymis“) und den umliegenden Äckern („lauks“). Beide Begriffe finden sich in zahlreichen Ortsnamen wieder. Die Bezeichnung „lauks“ soll dabei eine erweiterte Bedeutung gehabt und die Gesamtheit der Gebiete, die von den Einwohnern der Siedlung wirtschaftlich genutzt wurde, umfasst haben. Die „polcae“ variierten in ihrer Zusammensetzung beträchtlich und wurden entweder von Einzelhofsiedlungen, deren Mittelpunkt der Sitz einer Großfamilie oder einer Sippe war, und Anhäufungen von mehreren Dörfern und Weilern gebildet, die entweder aus einer einzelnen Siedlung entstanden waren oder aus einer Dorfgemeinschaft, die sich im Zuge günstiger Wirtschaftsbedingungen allmählich auflöste und sozial stratifizierte. Die Größe der durch die polcae gebildeten Gebiete war vermutlich durch deren wirtschaftliche Leistungskraft bestimmt. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts soll eine „polca“ durchschnittlich zwei große Hufen umfasst haben; das entspricht einer Fläche von 15 - 16 ha. Eine Niederlassung mit einer durchgehend besiedelten Fläche von 5–6 ha dürfte vor diesem Hintergrund zumindest im einheimischen, prussischen Milieu extrem groß gewesen sein. Auch der überregionale Vergleich zeigt, dass Wiskiauten nicht unbedingt als klein bezeichnet werden muss. Andere wikingerzeitliche Niederlassungen, denen der Status eines Handelsplatzes oder einer frühstädtischen Anlage zugesprochen wird, liegen allgemein in einem ähnlichen Größenbereich. Einige Beispiele sollen dies belegen. So umfasste der Halbkreiswall von Haithabu ein Areal von 27 ha (Hilberg 2007, 187), das jedoch nicht komplett bebaut gewesen ist und zusätzlich ein großes Gräberfeld mit bis zu 5000 Gräbern enthielt. Das Siedlungsgebiet von Menzlin umfasste bei 400 nachgewiesenen und etwa 500–700 vermuteten Bestattungen etwa 12 ha (Jöns 2006, 92), dasjenige von Truso 10–15 ha (Jagodziński 2000b, 170), wobei ein zugehöriges Gräberfeld noch nicht entdeckt wurde. Für Groß Strömkendorf gibt Tummuscheit (2007, 145) sogar eine Größe von 20 ha an. Schwierig ist es, die exakte Nutzungsdauer des Gräberfeldes von Wiskiauten zu limitieren. Besonders die Gräberanzahl des 9. Jahrhunderts und auch des 11. Jahrhunderts ist schwer abzuschätzen. Anfangs- und Endpunkt der Belegung sind bislang nicht klar ermittelt. Die Masse der Gräber aber scheint im 10. Jahrhundert angelegt zu sein. Dementsprechend ist für das 10. Jahrhundert eine größere Siedlung anzunehmen als für die vorangehenden oder nachfolgenden Jahrhunderte. Unter dieser Vorraussetzung ist auch für Wiskiauten zumindest für das 10. Jahrhundert eine Siedlung von wesentlich größeren Ausmaßen anzunehmen, als dies allein aufgrund einer gleichmäßig auf die Jahrhunderte verteilten, jährlich anfallenden Zahl an Bestattungen zu vermuten wäre. Weitere Beobachtungen stützen diese Annahme. So steht in Wiskiauten einer größeren Anzahl von Schalenfibeln an einigen bedeutenden wikingerzeitlichen Fundplätzen, die jüngst Duczko (2004, 159) zusammenfasste – und dabei etwa für Haithabu oder Kaupang je 50 Exemplare, für Gnёzdovo 53 Exemplare, für Birka 316 Exemplare ermittelte – mit 44 Schalenfibeln (vgl. Kap. B.5.4.3.1) kaum eine geringere Anzahl gegenüber. Erneut kommt hier der im Vergleich erstaunlich hohe Anteil vermutlich skandinavischer Frauen oder skandinavisch beeinflusster Frauentrachten in den Hügelgräbern Wiskiautens zum Ausdruck, der, zumindest für das 10. Jahrhundert, vorsichtig als Hinweis auf eine ähnlich große Siedlung wie an den genannten Plätzen gedeutet werden kann. Die Siedlungsforschungen C Die Siedlungsforschungen der Jahre 2005–2007 C.1 Einleitung Während das Gräberfeld von Wiskiauten trotz seiner fragmentarischen Überlieferung als relativ gut erforscht gelten kann, fehlten für die Frage der zugehörigen Siedlung lange Zeit jegliche Hinweise. Die Existenz einer Niederlassung wurde dagegen nie angezweifelt. Auch aufgrund der naturräumlichen Vorraussetzungen und der Analyse der Grabfunde und des Grabbaus ist es sehr wahrscheinlich, dass Skandinavier, vermutlich hauptsächlich aus der Mälarseeregion um Birka, zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert in das Siedlungsgeschehen um die Hügelgräbernekropole von Wiskiauten integriert gewesen sind. Vermutungen zur Lage der Ansiedlung finden sich mehrfach in der Literatur der Vorkriegszeit (vgl. Kleemann 1939a; 1939b). Erst dem russischen Archäologen V. I. Kulakov gelang es aber im Jahr 1979, die Überlegungen deutscher Archäologen durch eigene Feldforschungen mit neuem Material zu konfrontieren und ein abweichendes, für die russische Forschungsetappe gültiges Siedlungsmodell zu etablieren (vgl. Kap. C2). Die von Kulakov (2005 mit Lit.) vorgelegten Ergebnisse reichten aber bei weitem nicht aus, Fragen zur genauen Datierung, zur Ausdehnung oder gar zur inneren Struktur der vermuteten Niederlassung zu beantworten. Im Rahmen der seit dem Jahr 2005 neu initiierten Siedlungsforschungen zum Fundplatz Wiskiauten galt es, Kulakovs Ergebnisse zusammen mit den Hinweisen aus der deutschen Forschungsetappe in interdisziplinäre Forschungsstrategie einzubeziehen und zu überprüfen. Darüber hinaus wurde die großräumige Umgebung Wiskiautens mit einer Fläche von annähernd 3km2 während der Untersuchungen berücksichtigt. Angesichts der weitläufigen potentiellen Siedlungsfläche versprach nur die Kombination verschiedener Forschungsmethoden zum Erfolg zu führen. Durch die Kombination naturwissenschaftlicher und archäologischer Disziplinen gelang es, die hier vorgelegten Ergebnisse zu einem vorläufigen Siedlungsmodell weiterzuentwickeln. Es ist als Zusammenfassung aller bishe- 145 rigen Informationen zu verstehen und erhebt keinen Anspruch auf historische Realität. Bei zukünftigen Ausgrabungen werden neue Erkenntnisse das Bild mit Sicherheit erweitern und korrigieren. Im Folgenden werden Methoden und Ergebnisse der bislang dreijährigen Siedlungsforschungen, die im Jahr 2005 vom Archäologischen Landesmuseum in der Stiftung Schleswig-Holsteinischer Landesmuseen Schloß Gottorf in Schleswig initiiert wurden und in enger Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften Moskau durchgeführt werden, vorgelegt und ausgewertet. C.2 Bisherige Theorien zur Lage der Siedlung Von entscheidender Bedeutung für die Wahl der Untersuchungsflächen hat sich neben geologischen, topographischen und kartographischen Studien vor allem auch die Analyse bisher in der Forschung geäußerter Lagetheorien mit ihren erfolgreichen oder erfolglosen Lokalisierungsversuchen erwiesen. Sie sind bereits ausführlich bei der Besprechung der Forschungsgeschichte (Kap. A.4.2) abgehandelt worden, sollen aber an dieser Stelle nochmals kurz zusammengefasst werden, da sie entscheidend waren für die Wahl der neuen Untersuchungsflächen. Die Frage nach einer wikingerzeitlichen Ansiedlung bei Wiskiauten berücksichtigte bereits Voigt (1901) bei seinen Forschungen zur Lokalisierung des Ortes, an dem im Jahr 997 der Missionar Adalbert von den Prussen erschlagen worden sein soll. Er diskutiert in seiner zweiten Lagetheorie einen prussischen Handelsplatz in der Einfahrt der Cranzer Beek beim sog. Garbick, einem als Befestigungsanlage der Prussen gedeuteten Hügel in den Bruchwäldern etwa 2 km westlich der heutigen Haffküste (vgl. hierzu auch Kap. A.7.2.4.2). Voigt (ebd.) postulierte einen großen prussischen Marktplatz, den Adalbert am Vortag seines Todes besucht haben soll. Heydeck (1893, 47) kam zu der Erkenntnis, dass die Masse der Funde aus dem Hügelgräberfeld von Wiskiauten skandinavischer Herkunft sei, woraus sich indirekt auch seine Vorstellung einer Ansiedlung skandinavischer Personen in 146 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung dessen Umgebung ergibt, wenngleich er keine genaue Lagetheorie äußerte. Eine erste konkrete Vermutung zur Lage einer Niederlassung lieferte Ebert (1926, 18; vgl. auch Kleemann 1939b, 202 Anm. 1), der durch eine Probegrabung im Jahr 1924 die Siedlung „dicht südlich der Kaup“ lokalisiert haben wollte. Unterlagen fehlen, abgesehen von einer vermutlich von Ebert selbst angefertigten Lageskizze im Nachlass von H. Jankuhn (ALM Schleswig; vgl. Kap. A.4.2.1), so dass die Angaben nicht verifiziert werden können. Das entsprechende Areal ist heute ein mit Beton versiegelter Autoparkplatz und für archäologische Grabungen nicht mehr zugänglich. Dem Hinweis kann dementsprechend nicht nachgegangen werden240. Engel (1931a, 30) vermutete, dass die „Wikingerkolonie“ nicht am Meer gelegen, sondern die viel breitere Beek241 als Einfahrt benutzt habe. Dabei spielte die bis heute nicht bewiesene Theorie, dass sich das Haff in der Wikingerzeit bis in die Nähe des „[Bahn-242] Haltepunktes Bledau“ erstreckt haben könnte, eine entscheidende Rolle243. In einem Zeitungsartikel in der Königsberger Hartungschen Zeitung vom 26.5.1932 dagegen vermutet Engel (ALM) die gesuchte „Faktorei“ „in der Gegend des Gutes Bledau an der Beekmündung“, also auf der dem Wäldchen Kaup gegenüberliegenden Ostuferseite der breiten, ehemals wasserführenden Niederung. 1935 präzisiert er die Angaben und vermutet einen Hafen entweder in der Gegend „des heutigen“ Mehrere Bohrungen nördlich der großräumig durch Betonplatten versiegelten Flächen ergaben keine Hinweise auf archäologische Befunde. 240 Mit „Beek“ ist bei Engel der breite Fluss gemeint, der etwa 6 km östlich des Gräberfeldes von Wiskiauten ins Kurische Haff entwässert. Er wird von mehreren kleineren Einzelflüssen (Wosegauer Beek oder Brast, Bledauer Beek, Dariener Beek; vgl. Kleemann 1939a, Abb. 4) gespeist und wird etwa ab der sog. Beekinsel, wo sich heute der Selenogradsker Hafen befindet und wo die Brast und die Bledauer Beek zusammenfließen, als Beek bezeichnet. Diese Benennungen tauchen schon in den historischen Karten von Henneberger (1863) und Schroetter (1802) auf. 241 242 Einfügung von Verf. Zu den neuen geologischen Untersuchungen und deren Ergebnissen vgl. Kap. C.4.1.2. 243 Bledau oder bei Wosegau und nennt als Grund für den Verlust der „Welthandelsbedeutung“ die fortschreitende Vermoorung eines Binnenhafens (Engel 1935a, 114). Von zur Mühlen (1975, 52) zog ebenfalls die Ortschaft Bledau in Betracht, schloss aber auch den Ort Wosegau nicht aus, den besonders Kleemann (1939b, 216) favorisierte. Allerdings erwog auch er eine Lage in der Nähe der halbinselartig in die Niederung vorgeschobenen Sandlinse mit dem Flurnamen Palve bzw. bei der nur wenig entfernt liegenden Bahnstation Bledau am westlichen Rand der Niederungszone. Äußerst interessant sind Kleemanns (1939a, 6, 11) Bemerkungen zu ausgedehnten Suchschnitten, die aber ergebnislos geblieben sind. Demnach führten weder großflächige Feldbegehungen im Umfeld der Hügelgräbernekropole noch die Anlage von mehreren Suchschnitten östlich und westlich der Straße von Wiskiauten nach Wosegau auf einer Stufe des terrassenartig zur Niederung abfallenden Geländes zur Auffindung von Siedlungsspuren. Auch ein langer, nach Osten gerichteter Suchgraben lieferte keine Hinweise. Kleemann (1939a, 11) resümierte, dass zukünftige Forschungen, zu denen es aber infolge des Zweiten Weltkrieges nicht mehr kommen sollte, sich „auf den Hochuferrand bis zum Gut Bledau, besonders an der auffällig in die Niederung vorspringenden Halbinsel [Palve244] in der Mitte dieser Strecke“ konzentrieren müssten. Auch Suchschnitte „bei den Dorfstellen altes Wiskiauten, neues Wiskiauten und Wosegau und schließlich dicht südlich und westlich der Kaup“ hielt er für sinnvoll. Sehr eigene Vorstellungen entwickelte Kulakov (1989; 2005) zur Lage und darüber hinaus auch zur Struktur der Siedlung, die er analog zum alten Flurnamen des Gräberfeldes als „Siedlung Kaup“ bezeichnete. Dabei leitete er – anders als die deutsche Forschung (vgl. z. B. Heydeck 1877, 650; Engel 1935a, 110) – den Begriff nicht von den Bestattungen, sondern aus dem altnordischen Wort kaupangr für Handelsplatz her (Kulakov 2005, 55). Nach der Auswertung eines Luftbildes aus den 1960er Jahren wollte Kulakov (1989; 2005, 62) zahlreiche Siedlungsspuren im Umfeld des Gräberfeldes erkannt haben und versuchte, sie durch Suchschnitte und Oberflächenbegehun244 Anmerkung von Verf. Die Siedlungsforschungen 147 Abb. 52 Wiskiauten. Auswertende Umzeichnung eines Luftbildes mit Markierung archäologischer Befunde (Kulakov 1989, 83 Abb. 2). 1 Ausbreitung der Kulturschicht. – 2 Reste obertägiger Bauwerke. – 3 Grenze der Flussaue und Halbkreiswall um die Siedlung. – 4 Fluss. – 5 Zerpflügte Hügelgräber. – 6 Flachgräber. – 7 Grenze des Wäldchens. gen zu verifizieren. Die Umzeichnung des Luftbildes (Kulakov 1989, 83 Abb. 2; 1994, 82 Abb. 39; hier Abb. 52) gibt mehrere siedlungsrelevante Strukturen wieder. So soll die Siedlung in ihrem Hauptteil im südwestlichen Bereich der Hügelgräbernekropole gelegen haben und in ihrem südwestlichen Rand von einem Halb- kreiswall geschützt worden sein245. Dieser Wall soll, zusammen mit einem begleitenden Graben, eine ausgedehnte Siedlungsfläche geschützt haben, die sich nördlich bis Zu den Ergebnissen der Bohrungen, die zur Überprüfung an der wallartigen Struktur durchgeführt worden sind, vgl. Kap. C.4.4.1.3. 245 148 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung in das Hügelgräberfeld erstreckt und dieses teilweise überlagert (ders. 2005, 62). Die Größe des außerhalb des Waldstückes liegenden Teils der Siedlung wird mit 250 x 200 m angegeben, während die Gesamtgröße 500 x 250 m – etwa 12,5 ha – betragen haben soll. Im Osten der Nekropole vermutete Kulakov (ebd.) eine kleine Befestigung, als „Borg“ bezeichnet, die auf dem von J. Heydeck ausgegrabenen Steinzeithügel errichtet worden sein soll. Heydeck (1873) bemerkte jedoch bei der Ausgrabung keine Besonderheiten, die auf eine wikingerzeitliche Befestigungsanlage hindeuten könnten. Die wallartige Umfassung des steinzeitlichen Hügels, die Kulakov zur Interpretation als Burganlage geführt haben mag, resultiert aus der Ausgrabung Heydecks, da die Erde aus dem Hügelinneren während der Ausgrabung an den Seiten angehäuft worden ist. Westlich dieser „Borg“ begann nach Kulakovs (2005, 62) Vorstellungen die Belegung mit Hügelgräbern, die sich allmählich weiter nach Westen ausgebreitet und damit auch die Ausdehnung der „offenen“ Siedlung verändert haben sollen. Einerseits bleibt dabei unklar, warum eine durch einen Wall befestigte Siedlung als offene und nicht als befestigte Siedlung bezeichnet wird. Andererseits fällt die durch das Gräberfeld von der Siedlung separierte isolierte Lage der „Borg“ auf, die bei einer tatsächlichen Existenz doch eher in das Gebiet der Siedlung integriert gewesen sein dürfte. Seine Vermutungen versuchte Kulakov (Archiv Kaliningrad) im Jahr 1979 durch Oberflächenbegehungen und kleine Ausgrabungsschnitte zu untermauern. Einerseits wurden dabei auf dem damals noch unter ackerbaulicher Nutzung stehenden Gelände Scherben handgeformter Keramik, Schleifsteinbruchstücke und Fragmente der Horn- und Knochenbearbeitung gefunden, die auf eine Siedlungsschicht hinzudeuten schienen (Kulakov 2005, 62). Ein Grabungsschnitt von 4 x 2 m Größe soll eine Kulturschicht bis 0,7 m Dicke aufgedeckt haben. Dabei fand sich unter Trümmern von kleinen Steinen 0,25 m in den Boden eingetieft ein Teil eines Hauses (Abb. 53). Vermutlich bezieht sich diese Tiefenangabe auf den anstehenden Boden, da die Struktur im Pflughorizont bei der intensiven jahrundertelangen ackerbaulichen Nutzung in dieser Tiefe wohl nicht erhalten geblieben wäre. Die bei Abb. 53 Wiskiauten. Zeichnung des „Hausbefundes“ auf dem Acker im Süden des Gräberfeldes (Kulakov 2005, 63 Abb. 11). Kulakov (2005, 62) angegebene Mächtigkeit der Kulturschicht von bis zu 0,7 m Dicke ist der veröffentlichten Profilzeichnung (ebd. Abb. 11) jedoch nicht klar zu entnehmen. Wenngleich die Interpretation als Hausreste aufgrund der unklaren Struktur und nur eines dokumentierten Pfostenlochs sowie drei undefinierbarer Gruben sehr fraglich bleibt, scheinen die geborgenen Hüttenlehmfragmente auf Bebauungsstrukturen zumindest in der näheren Umgebung hinzuweisen. Die zeitliche Einordnung in die Wikingerzeit aufgrund der wenigen, nicht im Kontext gefundenen Streufunde ist jedoch schwer nachzuvollziehen. Als zweiten Baubefund führte Kulakov (2005, 63) einen Grabungsschnitt am Fuß des Grabhügels K 174 an. Die dabei aufgedeckte rechteckige Steinstruktur von 1 x 1 m Ausdehnung, als Herdstelle interpretiert, die offenbar aus kleinen Steinen, vermischt mit Tierknochen und Holzkohle, bestanden hat und sechs Pfo- Die Siedlungsforschungen stenstandspuren enthalten haben soll, ist ebenfalls nur mit großer Unsicherheit als Rest eines frühmittelalterlichen Hauses auszudeuten. Analog zu den Befunden im Umfeld der Grabhügel K 174 (ebd. 66 Abb. 10) und K128/146 (ebd. 77 Abb. 24) könnte es sich entweder um Reste von Bestattungen oder von Befunden im Zusammenhang mit einem unbekannten Bestattungsritual bzw. einem Opferritual im Anschluss an die Beisetzung gehandelt haben. Die Beschreibung des Fundmaterials als „Scherben handgefertigter Keramik“ sowie der Vergleich mit Befunden aus Århus in Dänemark reicht zumindest nicht aus, dem Befund eine klare Datierung in die Wikingerzeit zu bescheinigen. Insofern ist zwar grundsätzlich auch ein von einem Grabhügel überlagertes Siedlungsobjekt denkbar; dieses dürfte dann aber vermutlich nicht mit der Nutzungsphase des Gräberfeldes in zeitlichem Zusammenhang stehen, sondern früher angelegt worden sein. Hierzu passt dementsprechend Kulakovs (ebd. 62) Interpretation, dass ein Teil der Siedlung von späteren Grabhügeln überlagert worden sei. Angesichts der ausgedehnten Freiflächen um das Gräberfeld herum, die genügend Platz für die Anlage von Bestattungen bieten, kann diese Erklärung jedoch nicht zufrieden stellen. Einen überzeugenden Hinweis auf die gesuchte, zeitlich zum Gräberfeld gehörige Siedlung liefern die angeführten Befunde nicht. Im Frühjahr 2006 legte Kulakov (2006, 126f. Abb. 5) einen Grabungsschnitt im südlichen Waldbereich an246. Er liegt in der Nähe des in Fläche 1 freigelegten Ofenbefundes der Vorrömischen Eisenzeit (vgl. Kap. C.5.1). In einem 7 x 4 m großen Suchschnitt konnte eine nord-südlich orientierte maximal 0,12 m dicke und etwa 1 m breite Verziegelungsschicht dokumentiert werden, die sich über die gesamte Schnittbreite von 4 m nachweisen ließ. Zur Datierung wurden drei Keramikscherben aus dem darüberliegenden Ackerhorizont herangezogen, die dem 10. Jahrhundert angehören sollen. Kulakov (ebd.) deutete die Verziegelung als Hinweis auf eine Befestigungsanlage, die im Zusammenhang mit der „Siedlung Kaup“ stehen soll. Dieser Erklärung kann aufgrund des kleinen GraDer Grabungsschnitt „3a“ diente zur Vorbereitung der Errichtung einer Palisade, die für ein touristisches Wikingerfestival auf dem Gelände der vermuteten Siedlung aufgebaut wurde. 246 149 bungsauschnittes, der nicht geklärten Ursache der Verziegelung und der fehlenden Datierung, die nicht über Streufunde aus unstratifizierten, ackerbaulich gestörten Schichten über dem Befund ermittelt werden darf, nicht gefolgt werden. Die Theorien deutscher Forscher griff zuletzt auch Bogucki (2006a, 102 Abb. 12) auf, indem er die beiden bevorzugten Bereiche in der bereits von Kleemann (1939b Abb. 1; vgl. hier Abb. 54) publizierten Karte markierte. Diese aufgrund von topographischen Merkmalen gewonnenen Lagetheorien sind plausibel, aber bislang nicht bewiesen. Zusammenfassend lassen sich weder aus der bisher publizierten Literatur noch aus den Archivalien sichere Hinweise auf die Lage der vermuteten Siedlung gewinnen. C.3 Fragestellungen Nachdem durch Analyse des Fundmaterials aus den Hügelgräbern der Kaup bei Wiskiauten und der Auswertung der Schriftquellen unbedingt mit einer dauerhaften Anwesenheit von skandinavischen Personengruppen in der Umgebung des Gräberfeldes zu rechnen ist, konzentrierten sich die gegenwärtigen Forschungen im Rahmen des Wiskiauten-Projektes am Anfang naturgemäß auf die Auffindung entsprechender Siedlungsbefunde des 9.–11. Jahrhunderts. Durch die Aufdeckung von Siedlungsspuren der Zeit direkt vor und nach der Belegungsphase des Gräberfeldes hat sich der zeitliche Schwerpunkt der Forschungen jedoch mittlerweile deutlich erweitert. Nicht länger steht nur die lange Zeit die Forschung dominierende Hügelgräbernekropole im Vordergrund. Insbesondere die frühe Besiedlung durch die einheimische Bevölkerung, die einer Niederlassung der Wikingerzeit vorangegangen sein muss, wird mittlerweile systematisch in die Forschungen einbezogen. Hier gilt es, die infrastrukturellen Rahmenbedingungen abzustecken, vor deren Hintergrund die zum Gräberfeld gehörende Siedlungsgemeinschaft sich niedergelassen hat oder in deren Millieu sie an einer bestehenden Siedlung beteiligt worden ist. Es erscheint nicht denkbar, dass ohne eine bereits etablierte, einheimische Vorgängersiedlung eine Teilnahme skandinavischer Personen am Siedlungsgeschehen erfolgen konnte, oder dass eine neu gegründete Siedlung in einer 150 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung völlig unbesiedelten Region angelegt wurde, da der vermutete Hauptzweck des Handels infrastrukturelle Voraussetzungen erfordert und eine bestehende Siedlungsstruktur sehr wahrscheinlich auszunutzen versucht haben wird. Die Dominanz des Hügelgräberfeldes, das jahrzehntelang Mittelpunkt jeglicher Forschungen war, und die daran geknüpfte Suche nach zeitgleichen Siedlungsspuren weicht demnach einer erweiterten Fragestellung, welche die gesamte Siedlungskammer über einen größeren Zeitraum zu untersuchen hat. Zunächst galt es, eine Forschungsstrategie zu entwickeln, die ein sehr großes Gebiet, in diesem Fall etwa 3 km2, schnell großflächig voruntersuchen kann, um die Ansatzpunkte archäologischer Grabungen zu definieren. Zwar bietet der Fundplatz einerseits durch die fehlende moderne Überbauung und die Zugänglichkeit infolge der weitgehend brachliegenden Felder und Wiesen gute Bedingungen für großräumige Untersuchungen, andererseits aber fällt durch die russischen Denkmalschutzgesetze, die die Untersuchung von nicht ackerbaulich genutzten Flächen mit dem Metalldetektor verbieten, die an anderen wikingerzeitlichen Fundplätzen so erfolgreich praktizierte Methode der Begehung mit Metallsuchgeräten (vgl. z.B. für Haithabu: Hilberg 2007) weitgehend aus. Da auch herkömmliche Oberflächenbegehungen aufgrund der dichten Vegetationsdecke nur ansatzweise möglich sind, versprach der Einsatz von geophysikalischen Messgeräten zum Erfolg zu führen. Der Einsatzort wurde gleichzeitig durch geologische Bohrungen eingegrenzt. Sie sollten die Frage der ehemaligen Wasserverhältnisse und des vermuteten ehemaligen Küstenverlaufes des Kurischen Haffes klären, um die noch heute teilweise stark vernässten, siedlungsungünstigen Gebiete von vornherein von der Suche ausschließen und die Untersuchungsfläche dementsprechend begrenzen zu können. Zur Auswahl der durch geophysikalische Prospektionsmethoden zu untersuchenden Areale dienten anfangs die Hinweise auf Siedlungsspuren in der direkten Nachbarschaft der Nekropole, die V. I. Kulakov (zuletzt zusammenfassend 2005) bei seinen Forschungen gewinnen konnte. Ausgehend vom Gräberfeld wurde daher in alle Himmelsrichtungen nach Siedlungsspuren gesucht. In der ersten Projektphase247 beschränkten sich die Fragestellungen auf relativ grundlegende Probleme. So ging es zunächst darum, ob der Einsatz geophysikalischer Methoden unter den gegebenen Bodenverhältnissen überhaupt möglich sein würde und ob sich Auffälligkeiten im Boden als geomagnetische Anomalien zeigen würden. Diese Vermutung hat sich vollständig bestätigt. Die Messungen lieferten sehr viele Ansatzpunkte für weiterführende Untersuchungen. Um die große Zahl der Anomalien in den Messbildern zunächst vorläufig als verdächtig oder unverdächtig einstufen zu können, erschien der Einsatz eines Bohrgerätes zur Vorsondierung sinnvoll. Während dieser Arbeiten entwickelte sich aufgrund der guten Bohrergebnisse und der überwiegend hervorragenden Befunderhaltung die Idee, besonders auffällige Strukturen durch Entnahme von organischem Probenmaterial naturwissenschaftlich zu datieren und so zu einer zeitlichen Aufschlüsselung der Anomalien und besonders ihrer dichten Konzentrationen, den potentiellen Siedlungsverdichtungen, zu gelangen. Aus der Kombination der Messergebnisse und der 14 C-Analysen des Probenmaterials konnte im nächsten Schritt eine sinnvolle Auswahl der archäologischen Ausgrabungsflächen erfolgen. Im Anschluss haben kleinräumige Ausgrabungen stattgefunden. Hierbei musste zunächst geklärt werden, inwieweit die Bodenverhältnisse eine Befunderhaltung überhaupt erlauben und ob als Ursache für die Anomalien in den Messbildern tatsächlich archäologische Objekte verantwortlich gemacht werden können. Auch in dieser Frage war das Ergebnis überwiegend positiv. Diese Forschungsstrategie hat sehr schnell zu einem ersten Gesamtüberblick über die archäologischen Verhältnisse im definierten Arbeitsgebiet geführt. Mittlerweile umfasst die geomagnetisch vermessene Fläche knapp 100 Hektar (vgl. Abb. 66). Die Messflächen sind dabei so in der Landschaft verteilt, dass zu nahezu allen Bereichen des insgesamt 3km2 großen Territoriums, das potentiell für menschliche Siedlungsaktivitäten in Frage kommt, nunmehr Informationen vorliegen, ob Grabungen Erfolg versprechen oder nicht. Selbstverständlich sind die Ergebnisse der GeomaDie erste Projektphase umfasst den Zeitraum der Jahre 2005 bis 2007. 247 Die Siedlungsforschungen gnetik ständig kritisch zu prüfen, da mit Sicherheit nur bestimmte Befundgruppen wie relativ tief in den Boden eingegrabene Gruben oder Hausstrukturen erkannt werden können. Für kleine Befunde wie Pfostengruben scheint die Methode unter den gegebenen Vorraussetzungen nicht tauglich. Zusätzlich wurde zugunsten einer hohen Geschwindigkeit auf eine sehr feine Auflösung der Messbilder verzichtet. Bestimmte Befundgruppen bleiben daher wahrscheinlich unsichtbar. In der Zukunft gilt es, unbedingt auch die Bereiche zwischen den auffälligen Anomalien in die Wahl der Grabungsflächen einzubeziehen. Ein weiteres Problem ergibt sich dadurch, dass vorangehende Grabungen und somit archäologische Siedlungsbefunde fehlen, vor deren Hintergrund – wie etwa in Haithabu (Hilberg 2007, 193) – die erzielten Ergebnisse der geophysikalischen Untersuchungen überhaupt erst oder jedenfalls besser interpretierbar wären. In archäologischer Hinsicht sind besonders Fragen zum Ablauf des Siedlungsgeschehens interessant. Sie können jedoch zur Zeit nur ansatzweise beantwortet werden, da die zeitliche Aufschlüsselung der erkannten Siedlungskonzentrationen noch nicht soweit abgesichert ist, dass sich die vermuteten Entwicklungstendenzen in vollem Umfang bestätigen lassen. Überhaupt können bislang noch keine sicheren Grenzen der lokalisierten Siedlungsaktivitäten definiert werden. Lediglich eine grobe Einschätzung ist auf der Basis des vorhandenen Datenmaterials möglich. Weiterführende Fragen wie die Anzahl der Siedlungskerne, ob es eine große oder mehrere kleine Siedlungen gegeben hat, ob sich Siedlungsbereiche im Laufe der Zeit verschoben haben, ob sich funktionale Bereiche innerhalb der Siedlungskerne ausgliedern lassen, ob sich verschiedene kulturelle Komponenten im Siedlungsmaterial erkennen lassen, ob es sich überhaupt um eine polyethnische oder etwa doch um mehrere, ethnisch separierte Siedlergemeinschaften gehandelt hat, sind bislang nur rudimentär und hypothetisch zu beantworten. Erschwerend ist hier der Umstand, dass bisher keine eindeutigen Siedlungsspuren aus dem 9.–11. Jahrhundert, also aus der Kernbelegungszeit des Hügelgräberfeldes, lokalisiert werden konnten. Skandinavische Funde schließlich sind im Siedlungsmaterial nur so spärlich vertreten, dass Aussagen, 151 wo skandinavische Bevölkerungsteile in das Siedlungsgeschehen integriert gewesen sind, nicht abgesichert werden können. Erst nach der Durchführung größerer Ausgrabungen können Fragen zum Fortbestehen von Siedlungsarealen nach Ende des Hügelgräberfeldes gestellt werden. Siedlungsspuren aus dieser Zeit, namentlich aus dem 11. und 12. und sogar 13. Jahrhundert, sind zahlreich dokumentiert worden. Das ausschließlich einheimische Fundmaterial und die fehlende Belegung der Nekropole durch zeitgleiche Gräber mit skandinavischem Fundmaterial nach der Mitte des 11. Jahrhunderts lassen aber darauf schließen, dass in dieser Zeit keine skandinavischen Personen mehr am Siedlungsgeschehen beteiligt gewesen sind. Diskussionen schließlich, ob Wiskiauten als Zentralort, als Seehandelsplatz oder als kleine Handelsniederlassung verstanden werden kann und in welchem Ausmaß die vermutete Siedlung in das Handelsnetzwerk der Wikingerzeit eingebettet gewesen sein mag, sind bislang weiterhin nur auf theoretischer Basis möglich. Archäologisch abgesicherte Erkenntnisse hierzu stehen noch weitgehend aus. Sie sind mit großer Wahrscheinlichkeit für die nahe Zukunft zu erwarten. Aber bislang bleibt die wesentliche Fragestellung des Projektes, Siedlungsspuren zu identifizieren, sie zeitlich und räumlich einzugrenzen und schließlich Funde zu bergen, die auf die Anwesenheit von Skandinaviern hindeuten könnten. C.4 Eingrenzung des potentiellen Siedlungsgeländes durch verschiedene Prospektionsmethoden Zur räumlichen Eingrenzung des in Frage kommenden Siedlungsgeländes standen den modernen Untersuchungen im Wesentlichen zwei Methoden zur Verfügung. Einerseits dienten geologische Bohrungen und die Auswertung geologischer Karten zur Überprüfung eines bereits in den 1930er Jahren entwickelten Landschaftsmodells, das unter Annahme eines zur Wikingerzeit erhöhten Wasserstandes eine im Gegensatz zur heutigen Situation wesentlich weiter im Landesinneren liegende Küstenlinie vermutete. Insgesamt sind während einer zehntägigen, geologischen Bohrprospektion 59 Bohrungen abgetieft worden. Die Wahl der 152 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Standorte erfolgte aufgrund topographischer Gegebenheiten. Bohrungen wurden besonders dort abgeteuft, wo auf Grundlage der „Geologischen Karte von Preußen und seinen benachbarten Bundesstaaten“ (Blatt 1088, Cranz; hier Abb. 15), herausgegeben von der Königlich Preußischen Geologischen Landesanstalt im Jahr 1907, ein Übergangsbereich von festen, lehmigen Böden und vernässten, torfigen Landschaftsteilen vermutet werden musste (zu den Ergebnissen vgl. Kap. C.4.1.1). Als zweites Instrument dienten geophysikalische Prospektionsmethoden. Aus den resultierenden Messbildern lassen sich in Verbindung mit den zur Überprüfung abgeteuften Bohrungen in einzelnen Anomalien Informationen darüber ableiten, wo eine Anhäufung von verdächtigen Objekten auf Areale hoher Siedlungsaktivität hinweisen könnte. Seit dem Jahr 2005 haben vier geophysikalische Messfahrten stattgefunden, die ein Areal von knapp 100 Hektar Größe untersucht haben (zu den Ergebnissen vgl. Kap. C.4.4). Als zusätzliche Hilfsmittel standen deutsche und sowjetische, zu militärischen Zwecken produzierte Luftbilder sowie moderne, semiprofessionell fotografierte Luftbilder zur Verfügung, die jedoch keine nennenswerten Strukturen erkennen lassen und somit keine Hinweise auf Siedlungsareale liefern. Zur zeitlichen Eingrenzung der durch geomagnetische Messungen erkannten und durch Bohrungen überprüften Anomalien schließlich sind die aus den Bohrkernen entnommenen, 14C-datierten Holzkohle- oder Tierknochenproben heranzuziehen. Sie zeigen, dass Befunde verschiedener Zeitstufen relativ dicht beieinander liegen können und betonen dadurch die beschränkte Aussagekraft der geomagnetischen Messbilder. Zwar wurden an ausgewählten Befunden auch Georadarmessungen durchgeführt, aber auch diese Methode kann nur innere Gliederungen der Befunde und bestenfalls vorläufige Tiefeneinschätzungen liefern. Das Problem der diachronen Nutzung der Siedlungskammer kann weiterhin nur durch die Datierung von Probenmaterial aus den Bohrkernen und durch archäologische Ausgrabungen aufgeschlüsselt werden. Dabei kann die Gefahr der Verschleppung von Probenmaterial durch Bioturbationen oder anthropogene Einflüsse nur bei entsprechend großer Anzahl statistisch abgesichert werden. Im Folgenden werden die Ergebnisse der einzelnen Eingrenzungskriterien vor ihrem methodischen Hintergrund dargestellt. C.4.1 Geologische und naturräumliche Untersuchungen C.4.1.1 Geologische Bohrungen Schon Heydeck (1893, 47) nahm an, dass sich die Ufer des Kurischen Haffes im Neolithikum wesentlich weiter im Landesinneren befunden haben müssen als in der Neuzeit. Nicht weit von Cranz soll dabei ein Durchbruch oder Tief bestanden haben. Diesen Gedanken griffen spätere Forscher auf. Von Wichdorff (1919, 159) nahm an, dass das Cranzer Tief „eine ziemlich große Breite und eine nicht unbedeutende Tiefe“ besessen habe und dementsprechend in voller Breite schiffbar gewesen sei und dass die feuchte Niederung zwischen Bledau und Cranz mehrere Meter248 unter dem Wasserspiegel gelegen habe (ebd. 158 Abb. 33). Weiterhin vermutete er, dass die Memel und alle zum Haff hin entwässernden Flüsse hier ihren Ausfluss in die Ostsee hatten (ebd. 167). Er stellt allerdings in Frage, ob das Cranzer Tief zur Zeit der steinzeitlichen Bevölkerung überhaupt noch Bestand hatte und verlegt die rekonstruierten Wasserverhältnisse damit in eine Zeit lange vor der frühmittelalterlichen Besiedlung. Die von ihm erstellte Karte der ehemaligen Wasserverhältnisse und der Ausdehnung des Cranzer Tiefes bildet die Grundlage späterer Forschungen. Engel (1935a, 115 Abb. 59) übernahm von Wichdorffs Daten und lässt das Cranzer Tief auf breiter Strecke von Cranz bis Klein Thüringen über eine Distanz von geschätzten 6 km als Verbindung zwischen Haff und Ostsee erscheinen. Das Haff soll sich in seiner Karte, der von Wichdorffs Karte zugrunde liegt, als breiter Zugang bis kurz vor Wosegau und bis knapp südlich von Bledau ausgedehnt haben. Andere Bearbeiter dagegen haben sich entFür die Bereiche östlich von Wosegau und Bledau kurz westlich des Cranzer Hafens (Cranzbeek) gibt von Wichdorff (1919, 158 Abb. 33) eine Tiefe von -12 m an, die sich jedoch ausdrücklich auf „den Seespiegel, nicht auch die heutige Landoberfläche“ bezieht. 248 Die Siedlungsforschungen schieden gegen das Vorhandensein eines Tiefs bei Cranz geäußert. So schließt Andrée (1932, 38f.) aufgrund des Fehlens von Ostseemuscheln aus den das Meer unterlagernden „Ostseesanden und Kiesen mit Kiesgeröllen“ in allen Bohrungen, die auch als ausgewaschene Dilluvialablagerungen interpretierbar sind, ein Tief bei Cranz völlig aus. Er sieht das sog. Schwendlunder Moor, das sich südlich des vermuteten Cranzer Tiefs befindet, sogar als Reste eines ruhigen Ausläufers des Kurischen Haffs an, dessen Verlandung in die LittorinaZeit zurückgehen könnte und somit lange vor dem hier zu untersuchenden Zeitraum stattgefunden haben dürfte. Eine erweiterte Karte legte Kleemann (1939a, 7 Abb. 1; hier Abb. 54) vor. Sowohl die von von Wichdorff (1919, 158 Abb. 33) errechnete Ausdehnung von mehr als 2 km Breite als auch die Tiefenangaben zwischen 2 und 12 m bzw. die durchschnittlichen Tiefen zwischen 6 und 8 m hält Kleemann (1939a, 12) für das vermutete Cranzer Tief für überzogen. Nach seiner Meinung hat sich das Haff als etwa 1 km breite, offene Wasserfläche bis in etwa 1 km Entfernung vom Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten erstreckt. Nach Westen und nach Süden sollen dabei zwei keilartig in die Landschaft einschneidende, breite Wasserläufe vorhanden gewesen sein, die von zwei aus dem Landesinneren kommenden Flussläufen gespeist wurden. Es ergibt sich ein alter Küstenverlauf, der in etwa 1 km Entfernung zur Nekropole im Norden über Nordosten nach Osten verläuft. Zu dieser Situation passen die geologischen Verhältnisse, die der „Geologischen Karte von Preußen und seinen benachbarten Bundesstaaten (Blatt Cranz)“ von 1907 zu entnehmen sind. Zwar spiegelt diese Karte in topographischer Hinsicht nur die Verhältnisse zur Zeit ihrer Erstellung wider, die geologischen Informationen lassen jedoch eingeschränkt Rückschlüsse auf allgemeine Tendenzen in der Landschaftsentwicklung zu. In der betreffenden Karte lässt sich durch die Signatur in den von Kleemann (Abb. 54) als Wasserfläche angegebenen Bereichen eine vernässte Niederung erkennen, die vermutlich als Grundlage für Kleemanns Rekonstruktionsversuch diente. Die großen Niederungsflächen sind in der geologischen Karte als „Flachmoortorf mit faulschlammartigem Sanduntergrund bei niedrigem Grund- 153 wasser“ präzisiert. Kleemann verzeichnete an zwei Stellen in die Wasserfläche vorgeschobene Halbinseln. Auf der nördlichen liegt heute das Dorf Wosegau, auf der östlichen mit dem Flurnamen Palve vermutete Kleemann (1939b, 225) in der „Fundstelle Wosegau 6“ eine steinzeitliche Siedlung249. Zur Überprüfung der von Kleemann (vgl. Abb. 54) rekonstruierten Wassersituation wurden im März 2006 in den Niederungsflächen und den vermuteten Uferbereichen insgesamt 59 geologische Bohrungen abgeteuft (Abb. 55–56). Es zeigte sich insbesondere für den nördlichen Teil um Wosegau ein völlig anderes Bild als in Kleemanns Karte dargestellt250. Bei nahezu der Hälfte aller Bohrungen in diesem Bereich wurden reine Torfabfolgen (Schilfund Bruchwaldtorf) über glazialen Sedimenten erbohrt (Jakobsen/Pahl 2006, 9; hier Abb. 57). Hier können also während des gesamten Holozäns und somit auch während der Wikingerzeit keine zusammenhängenden größeren Wasserflächen existiert haben. Die erbohrten Sedimentabfolgen lassen vielmehr auf Schilfflächen und Bruchwälder schließen, die auch in heutiger Zeit das Landschaftsbild dominieren. Diese Bruchwälder und Schilfgebiete sind jedoch von größeren Wasserläufen durchzogen gewesen. Ein über 600 m Länge angelegtes Bohrprofil, das von einem Punkt südöstlich von Wosegau in nördlicher Richtung über die gesamte Breite der dort vermuteten Niederung angelegt wurde, erbrachte das Ergebnis, dass es hier offenbar niemals eine ausgedehnte Wasserfläche gegeben hat. Dafür wurden aber drei rinnenartige Flussläufe nachgewiesen, die vermutlich glaziofluvialen Ursprungs sind. Die südliche und die mittlere Rinne stellen dabei nur kleine Wasserläufe von bis zu 1 Hinweise auf steinzeitliche Siedlungsspuren sind in den Grabungsflächen des Jahres 2008 auf der Palve zutage gekommen. Ihre endgültige Datierung mittels Radio-Karbon-Analyse lag kurz vor Abschluss dieser Studie vor. Die freigelegten Kulturschichten datieren demnach tatsächlich in das Neolithikum. 249 Die an dieser Stelle wiedergegebenen Erläuterungen basieren im Wesentlichen auf geologischen Bohrungen, die von O. Jakobsen und S. Pahl (Naturerlebniszentrum Maaholm) im März 2006 parallel zur geomagnetischen Prospektion stattgefunden haben. 250 154 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 54 Rekonstruktion der Wasserverhältnisse um Wiskiauten (Kleemann 1939, 7 Abb. 1). m Tiefgang dar. Die breitere, nördlichere Rinne dagegen, die eventuell mit dem heute stark drainierten Fluss Brast (heute Trostjanka) gleichgesetzt werden kann, muss als größerer Fluss von 50-100 m Breite und mindestens 5 m Tiefe schiffbar gewesen sein. Im Osten des Gräberfeldes von Wiskiauten dagegen konnten in der Niederung in mehreren Bohrungen mit mineralischen und organischen Mudden Sedimente erbohrt werden, die auf eine Ablagerung unter Stillwasserbedeckung schließen lassen (Jakobsen/Pahl 2006, 9f.). Für die Rekonstruktion der Wasserverhältnisse bedeutet dies, dass es im Bereich der Palve tatsächlich offene Wasserflächen gegeben haben könnte, da hier in mehreren Bohrkernen die für gut durchlüftete, offene Gewässer ty- pischen mineralischen Mudden angetroffen wurden. Für konkrete Aussagen zur Ausdehnung dieser Wasserfläche und den Verlauf ihrer Küste ist die Anzahl der Bohrungen jedoch zu gering. Immerhin sprechen die bisherigen Ergebnisse in diesem Untersuchungsbereich nicht gegen das von Kleemann (vgl. Abb. 54) entwickelte Modell der Wasserverhältnisse. Im Norden aber muss Kleemanns Rekonstruktion abgelehnt werden. Insbesondere der Anschluss der ermittelten Flussläufe im Norden an die im Osten nachgewiesene Wasserfläche ist aufgrund der punktuellen Bohrungen unklar. Ebenso unsicher ist, ob es auch einen in südlicher Richtung verlaufenden Fluss gegeben hat, der die vermutete offene Wasserfläche Die Siedlungsforschungen 155 Abb. 55 Lage der Geologischen Bohrungen im Umfeld von Wiskiauten. als schiffbare Rinne durchzog. Für die Beurteilung der dortigen Verhältnisse können alte Landkarten herangezogen werden, deren Verhältnisse aber aus einer Zeit stammen, als das Gräberfeld von Wiskiauten schon über 500 Jahre nicht mehr in Nutzung stand. Eine Übertragung der Wassersituation auf die Wikingerzeit ist also nicht möglich. Dennoch liefert besonders eine Karte von Caspar Henneberger, deren erste Version um 1576 erschienen (Ohne Verfasser 1871, 16) und die 1595 sowie 1863 (Henneberger 1863) neu aufgelegt worden ist, einige bedeutungsvolle Hinweise. In Hennebergers Landkarte ist vom Haff in Richtung Westen einschneidend ein größerer Wasser- lauf eingezeichnet, der die Beekinsel umfließt. Hier mündet der aus Westen kommende Fluss „Beck“. Ein weiterer Fluss, hier mit „Bledauwisch Beck“ bezeichnet, kommt aus südwestlicher Richtung. Er entspringt laut Karte etwas südlich von Rudau und vereint sich östlich von Labiau mit einem namentlich nicht benannten kleineren Fließgewässer. Demnach wäre der gesamte Fluss ab Rudau bis zu seiner Mündung in der Nähe Wiskiautens durchgehend wasserführend und möglicherweise auch schiffbar gewesen. Hennebergers Karte ist aber erst um 1576 entstanden. Für die frühmittelalterlichen Verhältnisse ist diese Quelle also nicht direkt verwendbar. Aber sie gibt ei- 156 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 56 Lage der geologischen Bohrpunkte. Links: nördlicher Bereich von Wiskiauten (vgl. Abb. 55, Ausschnitt 1). - Rechts: östlicher Bereich von Wiskiauten (vgl. Abb. 55, Ausschnitt 2). nen Hinweis, dass mit der Schiffbarkeit eines größeren Gewässers auch in südlicher Richtung zu rechnen ist. Das größte Problem stellt die Datierung der durch die geologischen Untersuchungen ermittelten bzw. rekonstruierbaren Wassersituation dar. Aus mehreren Bohrkernen wurden organische Proben gewonnen, die über RadioKarbon-Datierungen auf ihr Alter bestimmt wurden. Dabei stellte sich heraus, dass die rekonstruierten Wasserverhältnisse zumeist jungsteinzeitlich oder jünger sein müssen. Insgesamt sind vier Bohrproben durch 14CAnalysen datiert worden. Es handelt sich um drei Proben aus Bohrungen, die in der Umgebung von Wosegau angelegt wurden, sowie um eine Probe aus dem Bereich der Palve. Die Bohrung BWI 8 (vgl. Abb. 56, 1; 58) wurde in der nördlichen Niederung nordwestlich vom Dorf Wosegau abgeteuft (vgl. Abb. 12). Hier besteht, durch den kleinen Bachlauf Woj gespeist, eine Art Becken, das sich westlich der halbinselartigen Geländeformation befindet, auf der das Dorf Wosegau liegt. Es reicht heutzutage knapp bis an den drainierten Fluss Brast/Trostjanka heran und könnte früher mit ihm verbunden gewesen sein.In Bohrung BWI 8 steht in einer Tiefe von 0,39–1,14 m unter NN organische Mudde über Torf an. Mudde lagert sich unter Stillwasserbedingungen ab. In diesem Bereich hat es demzufolge einen schmalen Wasserlauf oder eine offene Wasserfläche ge- geben. Das datierte organische Material wurde aus dem Übergang vom Torf zur Mudde entnommen. Der Datierung zufolge war dieses offene Gewässer im Bereich der Bohrung bereits um 2576-2469 v. Chr.251 tief genug, so dass es zur Ablagerung von Mudde kommen konnte. Bei einer angenommenen Sedimentationsrate von 1 mm/Jahr, wie sie z. B. für den Oldenburger Graben in Ostholstein angenommen wird (Jakobsen 2004), könnte die Wasserfläche für ca. 750 Jahre, also bis 1816-1719 v. Chr. bestanden haben, bevor die Verlandungsprozesse mit der Ablagerung des hangenden Torfes einsetzten. Demzufolge gab es hier zur Wikingerzeit keine offene Wasserfläche. Diese Aussage setzt allerdings eine kontinuierliche Ablagerung der Mudde voraus. Die Bohrung BWI 15 wurde auf einem Grundstück im Dorf Wosegau abgeteuft. Die Niederung setzt sich hier in Form eines Nebenarmes bis zum Bohrpunkt fort (zur Lage vgl. Abb. 56, 1). In Teufen zwischen 0,74 und 2,94 m unter NN steht an dieser Stelle mineralische Mudde mit makroskopisch erkennbaren Resten von Muscheln oder Schnecken an (Abb. 59, links). Die mineralische Mudde wird nach oben durch ein 0,06 m mächtiges Lehm-Holz-Gemisch abgeschlossen. Die 14C-Datierung des Holzes KIA 35334: Radiocarbon Age: BP 4001 +/- 30, OneSigma-Range: cal BC 2566-2477, Two-Sigma-Range: cal BC 2576-2469. 251 Die Siedlungsforschungen 157 Abb. 57 Bohrpositionen mit organischen bzw. mineralischen Mudden im Vergleich mit den von Kleemann (1939a, 7 Abb. 1) vermuteten offenen Wasserflächen (Jakobsen/Pahl 2006, 10 Abb. 5). ergab ein Alter von 1388-1116 v. Chr.252 und steht somit nicht im Zusammenhang mit der wikingerzeitlichen Besiedlung. Oberhalb des Lehm-Holz-Gemisches zeugt eine Torfschicht von nachfolgenden Verlandungsprozessen. Das Lehm-Holz-Gemisch könnte daher auch durch Erosion infolge eines Wasser- oder Meeresspiegelrückganges an diese Stelle gelangt sein. Nach diesem Rückgang muss der Wasserspiegel wieder angestiegen sein, denn es kam erneut zur Ablagerung von Mudde. Diese kann sich durchaus während der Wikingerzeit abgelagert haben, was für eine zeitgleiche offene Wasserfläche und somit eine paläogeographisch günstige Position für einen Hafen oder Anlandeplatz sprechen würde. Um diese Aussage zu verifizieren, sind weitere Datierungen nötig. Die Bohrung BWI 34a wurde in der nördlichsten der drei Rinnen im geologischen Übersichtsprofil (Abb. 60; zur Lage vgl. Abb. 56, 1) abgeteuft. An dieser Stelle hat sich im Holozän 2,6 m Torf abgelagert (Abb. 59, Mitte). Hier hat es zu keiner Zeit eine offene Wasserfläche gegeben, es handelte sich stets um einen verlandenden oder bereits verlandeten Uferbereich. Diese Entwicklung begann nach der Datierung der ältesten Sedimente in der Bohrung aus einer Teufe von 3,14–3,15 m unter NN schon um 4615 – 4406 v. Chr.253 Die Bohrung BWI 54 wurde östlich der Palve abgeteuft (zur Lage vgl. Abb. 56, 2). In einer Teufe von 3,33 m unter NN wurde ein Übergang von Torf zu Mudde erbohrt (Abb. 59, rechts). Der Datierung zufolge war das Umfeld der Bohrung bereits ab 7524-7198 v. Chr.254 eine offene und schiffbare Wasserfläche. Ob diese auch zur Wikingerzeit noch Bestand hatte, müsste vor einer endgültigen Aussage durch weitere Datierungen geklärt werden. Bislang zeichnet sich ab, dass die Kleemannsche Karte nur im nördlichen Bereich abgewandelt werden muss, da hier keine offene Wasserfläche existiert haben kann. Im Osten dagegen lässt sich eine solche annehmen, kann aber nicht abschließend datiert werden. Ob sie im Frühmittelalter vorhanden war, ist unklar. Kleemann (1939a, 11) vermutete, dass die Bledauer und die Wosegauer Beek (Brast) KIA 35335: Radiocarbon Age: BP 2996 +/- 41, OneSigma-Range: cal BC 1311-1132, Two-Sigma-Range: cal BC 1388-1116. KIA 35337: Radiocarbon Age: BP 8335 +/- 45, OneSigma-Range: cal BC 7479-7354, Two-Sigma-Range: cal BC 7524-7198. 252 KIA 35336: Radiocarbon Age: BP 5682 +/- 35, OneSigma-Range: cal BC 4543-4463, Two-Sigma-Range: cal BC 4615-4406. 253 254 158 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung ein offenes Gewässer die Anfahrt möglicherweise erleichtert, wenngleich der Beleg, dass dieses Gewässer zur Wikingerzeit bestanden hat, nicht eindeutig erbracht werden kann. Erneut wird jedoch klar, dass die große feuchte Niederung von der Suche nach der Siedlung ausgeschlossen werden kann. C.4.1.2 Süßwasservorkommen in der Umgebung von Wiskiauten Abb. 58 Sedimentabfolge der Bohrung BWI 8 (Jakobsen/Pahl 2005, 30). getrennt in das Haff mündeten. Diese auf Hennebergers Landtafel255 fußende Annahme lässt sich nicht mehr überprüfen. Sie spielt auch für die Frage der Siedlung eher eine untergeordnete Rolle. Denn beide Flüsse dürften schiffbar gewesen sein. Und unter der Annahme, dass die gesuchte Siedlung von Wiskiauten mit dem Schiff vom Haff kommend erreichbar war, lassen sich nach wie vor beide halbinselartigen Geländeformationen an der Palve und bei Wosegau als besonders günstig für eine Anlandemöglichkeit beschreiben. Beide Stellen sind vermutlich durch dicht vorbeifließende, größere Flussarme mit dem Haff verbunden gewesen. Insbesondere im Bereich der Palve hat 255 Vgl. Henneberger 1863. Für mögliches Siedlungsgelände sind neben der Ausdehnung der mit dem Haff zusammenhängen Wasserflächen, die bei der Suche nach einer Niederlassung – abgesehen von möglichen Hafenanlagen – ausgeklammert werden können, besonders Süßwasservorkommen relevant. Mehrfach sind kleinere Bachläufe oder zur Zeit der Kartenerstellung offensichtlich trocken gefallene Bäche auszumachen, die sich in letzterem Fall immer noch als rinnenartige Vertiefung im Gelände zu erkennen geben und auf ehemals fließende Süßwasser hindeuten. Ein noch heute wasserführender Bachlauf befindet sich nordwestlich des Gräberfeldes. Die alte Flurbezeichnung für dieses Areal lautet „Kunterfeld“ (vgl. Abb. 12), nimmt damit also eindeutigen Bezug auf das naheliegende Wäldchen „Kunterstrauch“ (Kleemann 1939a, 6). Das Wort „Kunter“ soll auf eine altdeutsche Bezeichnung für kleines Pferd zurückgehen (ebd.)256. Dieses heute verwilderte Feld wird durch den Bach Woj im Osten begrenzt. Etwa 400 m nordwestlich der Nordwestecke des Wäldchens Kaup entspringt der Bachlauf des Woj in einer sumpfigen, nassen Senke. Von hier aus fließt er in nördlicher Richtung, aufgrund seiner Geradlinigkeit offenbar reguliert, nach Norden auf das Dorf Wosegau zu. Auf beiden Seiten umgibt den Bachlauf eine vernässte Zone, die auch in den geomagnetischen Bildern durch großflächige Anomalien zum Ausdruck zu kommen scheint (vgl. auch Kap. C.4.4.3). Durch Bohrungen konnte nachgewiesen werden, dass diese Strukturen mit humosem Material verfüllt sind und stellenweise auch Tierknochen und Keramikreste Eine alternative Deutungsmöglichkeit bietet V. I. Kulakov an. So soll nach einer mündlichen Aussage das Wort „Kunter“ auf ein altisländisches Wort zurückzuführen sein, das mit „Birkenkiste“ übersetzt werden kann und auf Brandbestattungen in organischen Behältnissen hindeuten soll. 256 Die Siedlungsforschungen 159 Abb. 59 Sedimentabfolgen in den geologischen Bohrungen. Links: Bohrung BWI 15 (Jakobsen/Pahl 2005, 37). – Mitte: Bohrung BWI 34a (ebd. 60). – Rechts: Bohrung BWI 54 (ebd. 81). enthalten. Es könnte sich also um anthropogen verfüllte Gräben handeln, aber auch eine Verfüllung von Teilen eines alten Bachbettes durch natürliche Erosionsprozesse sowohl mit natürlichem als auch teilweise mit siedlungsanzeigendem Material ist denkbar, das von einer in der Umgebung liegenden Siedlung stammen könnte und durch Wasserbewegungen des Baches ungelagert wurde. Der heute namenlose Bach, in deutscher Zeit als „Woj“ bezeichnet (Kleemann 1939a, 7 Abb. 1), mündet in die Brast (heute Trostjanka). In seinem Mündungsgebiet konnten durch geologische Bohrungen (vgl. Kap. C.4.4.1) größere offene Wasserflächen festgestellt werden, die jedoch nach der Steinzeit trocken gefallen sein müssen. Eine in ihren Ursprüngen wohl prussische Namensnennung „Wosegowiske“ von 1331 (Gerullis 1922, 209) bedeutet in etwa „Bach bei Wosegau“. Ob damit der Bach Woj oder die von Westen nach Osten nördlich von Wosegau in Richtung Haff fließende Brast gemeint ist, bleibt offen. Eine weitere rinnenartige Situation, die auf einen ehemaligen Bachlauf schließen lässt, ist in der geologischen Karte von 1907 (vgl. Abb. 15) im Nordosten der Kaup eingetragen, fehlt aber in dem entsprechenden Messtischblatt (Nr. 1088 Cranz; vgl. Abb. 13). Interessant ist das Vorhandensein einer geradlinigen, schwach erkennbaren Struktur in den Geomagnetikbildern in Messfläche E (vgl. Kap. C.4.4.5.2), die in ihrem Verlauf ungefähr der Rinne entspricht. Möglicherweise hat hier ein Bachlauf bestanden, denkbar ist allerdings auch ein künstlicher Drainagegraben oder sogar einer der von deutschen Archäologen angelegten Suchschnitte, die Kleemann (1939a, 11) erwähnt. Der vermutete Wassergraben endet zu- 160 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 60 Geologisches Übersichtsprofil im Norden des Fundplatzes im Bereich des Flusses Brast/Trostjanka (Jakobsen/Pahl 2005, 11 Abb. 3; zur Lage vgl. Abb. 56, 1). nächst westlich der Bahnlinie in einem kleinen Teich, um dann östlich der Bahnlinie etwas nach Süden versetzt dem Niederungsbereich im Osten zuzufließen, randlich von einigen größeren Bäumen begleitet257. Eine dritte Grabenstruktur, die im Zusammenhang mit der Siedlungssuche von Bedeutung sein könnte, liegt im Osten des Gräberfeldes. Sie beginnt unweit einer kleineren sumpfigen Fläche ab der 5m-Höhenlinie und verläuft von hier in östlicher Richtung auf die Nordseite der Palve (zur Lage vgl. Abb. 12) zu. Noch heute ist hier im Gelände ein zeitweise wasserführender, deutlich begradigter Graben sichtbar, der früher durchaus ein kleiner Bach gewesen sein könnte. Die Höhenlinien weisen in diesem Fall am deutlichsten auf einen Geländeeinschnitt hin. Am Ostende dieser Rinne wurde eine 14C -Datierung aus der Zeit zwischen 781–962258 ermittelt, die aus einer bei den geologischen Bohrungen gewonnenen Probe stammt. Weitere 14C-Daten aus der Zeit zwischen dem 6. und 12. Jahrhundert liegen aus drei AnomaIn diesem Bereich wurde im Jahr 2008 Fläche 18 angelegt, die jedoch keinerlei archäologische Befunde erbracht hat. 257 KIA 30154: Radiocarbon Age: BP1160 +/- 20, OneSigma-Range: cal AD 783–956, Two-Sigma-Range: cal AD 781-962. 258 lien259 in der Umgebung vor260. Hinzu kommen weitere Daten, die während der Ausgrabungskampagne im Sommer 2007 in Fläche 5 (vgl. Kap. C.5.4) gewonnen wurden. Insbesondere die Nähe zu den Sandflächen im Süden und zur halbinselartigen Palve mit ihrer exponierten Anomalien an_62/06 (KIA 32980: Radiocarbon Age: BP 1230 +/- 30, One-Sigma-Range: cal AD 720865, Two-Sigma-Range: cal AD 690-887), an_136/07 (KIA 36103: Radiocarbon Age: BP 1021 +/- 35, OneSigma-Range: cal AD 985-1031, Two-Sigma-Range: cal AD 899-1151) und an_138/07 (2 Proben: A: KIA 36104: Radiocarbon Age: BP 1426 +/- 116, One-Sigma-Range: cal AD 437-765, Two-Sigma-Range: cal AD 394-878; B: KIA 36105: Radiocarbon Age: BP 1298 +/- 47, One-Sigma-Range: cal AD 665-770, TwoSigma-Range: cal AD 787-861). 259 Im Jahr 2008 sind beide Anomalien sowie weitere, bis dahin undatierte Befunde durch Ausgrabungsschnitte überprüft worden. Während die über Anomalie an_136/07 angelegte Fläche 11 keinerlei archäologische Befunde enthielt, wurde in Fläche 13 als Grund für Anomalie an_138/07 eine etwa 0,3 m tiefe Grabenstruktur dokumentiert, die von Südwesten nach Nordosten verlief und im Zentrum des Grabungsschnittes rundlich erweitert war. Mittlerweile liegt eine 14C-Datierung ins 7. und 8. Jahrhundert vor (KIA 37092: Radiocarbon Age: BP 1310 +/- 30, One-Sigma-Range: cal AD 662-765, TwoSigma-Range: cal AD 657-771). 260 Die Siedlungsforschungen Lage am Rande der sumpfigen und feuchten Niederung charakterisiert den ganzen Bereich als potentielles Siedlungsgelände261.Problematisch ist die zeitliche Einordnung der relevanten Wasserläufe. Hinweise zur Datierung ergeben sich aus den Karten nicht. Aufzeichnungen über Trockenlegungsmaßnahmen oder Drainagearbeiten etwa aus der Ordenszeit fehlen. So kann nur allgemein vermutet werden, dass die in der Topographie deutlich sichtbaren Rinnen nach der Anlagerung des Bodenmaterials in der Weichseleiszeit durch Gletscherbewegungen als Abflussrinnen für Schmelzwasser dienten, denen auch spätere Wasserläufe in ihrem Verlauf folgten. Das Vorhandensein eines Baches im Zeitraum der hier zu untersuchenden Siedlungsspuren kann weder ausgeschlossen noch eindeutig bestätigt werden. Es ist jedoch unter geologischen und topographischen Gesichtspunkten zu vermuten. C.4.1.3 Bodenarten in der Umgebung von Wiskiauten Um siedlungsgünstige von siedlungsungünstigen Gebieten unterscheiden zu können, ist auch die Verteilung der Bodenarten relevant. Für die Beurteilung stehen einerseits geologische Karten, andererseits die während der Feldforschungen 2005–2007 durchgeführten Bohrungen zur Verfügung. Da zur Überprüfung der in den geomagnetischen Messbildern erkennbaren Anomalien neben einer Bohrung im Anomalienmittelpunkt meist auch eine oder mehrere Kontrastbohrungen außerhalb des vermuteten Objektmittelpunktes angelegt worden sind, stehen für die Beurteilung des Bodenaufbaus auch diese Ergebnisse zur Verfügung. Das Gelände im Umkreis des Gräberfeldes stellt sich in der „Geologischen Karte von Preußen und seinen benachbarten Bundesländern“ von 1907 im Maßstab 1:25 000 als pleistozänes Moränengebiet dar, das durch überwiegend lehmige Böden geprägt ist. Sie erstrecken sich vom Hügelgräberfeld im Wäldchen Kaup ausgehend bis zur etwa 1 km entfernten vermutlichen Küstenlinie im Norden, Nordosten und Osten. Im Wäldchen Kaup ist zumindest im Ostteil während der Ausgrabungen deutscher ArchäoDie Existenz dieser Siedlung ist durch neue Ausgrabungen im Sommer 2008 bestätigt worden. 261 161 logen gleichfalls lehmiger Boden angetroffen worden (Heydeck 1877, 651). Besonders im Westteil aber muss auch mit Sand- oder Kiesuntergrund gerechnet werden. So zeigt sich in der geologischen Karte (vgl. Abb. 15) im Westen des Wäldchens eine rundliche Zone schwach lehmigen bis sandigen Kieses oder Kies mit kiesigem Untergrund, ein Material, das offenbar der Grund für die Anlage zweier dort verzeichneter Kiesgruben ist. Großräumig scheint hier der Boden schon anthropogen umgelagert zu sein. Diese Umlagerung dürfte unmittelbar mit dem Kiesabbau zusammenhängen. Unwahrscheinlicher ist, dass bei der geologischen Kartierung hier archäologisch relevante Bereiche bzw. vor- und frühgeschichtliche Bodeneingriffe kartiert wurden. Grundsätzlich legen die Unterlagen zum Gräberfeld nahe, dass statt mit Sand- oder Kies- auch mit Lehmentnahmegruben zu rechnen ist, wie sie in den Originalplänen262 der Ausgrabungen im östlichen Bereich in der Nähe der kleinen Kaup sowie im Südwesten des Wäldchens erwähnt werden. Im Osten schließen sich ausgedehnte Wildwiesen bzw. brachgefallene ehemalige Ackerflächen an, die sich südlich und nördlich der Straße Wosegau - Bledau sowie nördlich und westlich des Gräberfeldes erstrecken. Unmittelbar östlich der kleinen Kaup263 scheint das Gelände tiefer zu liegen, hier herrscht sandiger Boden vor. Ob hier in früherer Zeit bereits Lehmentnahme oder Sandabbau stattgefunden hat und die heutigen morphologischen Verhältnisse das Resultat dieses Abbaus sind, kann nicht sicher beurteilt werden. Lediglich etwa 800 m südöstlich des Wäldchens Kaup sind größere, zusammenhängende Sandflächen verzeichnet, deren Ostrand an die sandige, halbinselartige Palve heranreicht. Diese sandige Erhebung inmitten der durch überwiegend torfige Böden gekennzeichneten Niederung der ehemaligen Bledauer Beek, welche sich als keilförmige Fläche von Norden nach Süden in die Landschaft einschiebt, findet etwas weiter nördlich parallel zur 0,5 m Höhenlinie ihre Fortsetzung in einem ebenfalls aus sandigen Böden bestehenden Streifen. Die 262 SMB-PK PM-A 522/17, 029 bis 034. Der Begriff „Kleine Kaup“ bezieht sich auf den Teil des Wäldchens, der östlich der Strasse Wiskiauten-Wosegau liegt. 263 162 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Signatur in der Geologischen Karte (vgl. Abb. 15) spezifiziert den Sand als „schwach humosen Sand bis Sand mit Sand-Untergrund bei meist nicht tiefem Grundwasser“. Bohrungen im Jahr 2005 haben hier jedoch keinerlei Kulturschichten zutage gefördert, welche den starken Humusgehalt auf Siedlungsaktivitäten zurückführen könnten. Auch in der im Jahr 2008 untersuchten geomagnetischen Messfläche K3 sind keine auffälligen Strukturen erkennbar (vgl. Kap. C.4.4.11). Etwa 200 m südwestlich der Nekropole befindet sich eine Niederung, die sich, von Süden kommend, in einer scharfen S-Kurve in die Landschaft eingeschnitten hat. Diese Niederung ist sowohl auf dem Messtischblatt als auch auf den Luftbildern zu erkennen. Sie mündet in einem kleinen Tümpel ca. 300 m westlich der Kaup. Dieser vermutlich neuzeitliche Tümpel ist heute von dichtem Strauch- und Baumbewuchs umgeben. Die Niederung selbst scheint zumindest in ihrem südlichen Abschnitt nicht von Sträuchern oder kleinen Bäumen eingegrenzt zu sein. Im Umfeld dieser Niederung wurden anmoorige Böden nachgewiesen. Der Grundwasserspiegel lag bei 0,5–0,8 m Tiefe. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass nach starken Regenfällen der gesamte Bereich der Niederung bis zu 0,5 m unter Wasser steht. Diese beckenartige vernässte Zone interpretiert V. I. Kulakov264 als den zur „Siedlung Kaup“ gehörigen Hafen, eine Annahme, die jedoch in Anbetracht der Höhe von 8 m über Meeresspiegelniveau unwahrscheinlich ist. Ob ein Zusammenhang zum weiter nördlich fließenden Bach Woj besteht, ist unklar, aber aufgrund des Gewässerverlaufes anzunehmen. Beide Wasserläufe sind durch einen etwa 100 m breiten Geländerücken voneinander getrennt. Ein auf beiden Seiten die Niederung begleitender Streifen dichten Wiesenbewuchses von ca. 20 m Breite zeigt zusätzlich an, dass hier mit feuchtem Boden zu rechnen ist, der aufgrund dieser Feuchte nicht unter ackerbaulicher Nutzung steht. C.4.1.4 Aussagen zu potentiellen Siedlungsflächen aufgrund der Topographie Berücksichtigt man siedlungsgünstige und siedlungsungünstige Faktoren, kommen bestimmte Freundliche mündliche Mitteilung von V. I. Kulakov. 264 Flächen mehr und andere weniger als potentielle Siedlungsareale in Frage. Als siedlungsgünstige Faktoren können die Nähe zu einem fließenden Süßwasser, die Bodenart, die Nähe zum schiffbaren Gewässer, Hangneigung und die Anbindung an Verkehrsund Handelswege angeführt werden. Der für die Anlage einer Siedlung zur Verfügung stehende Raum im Umfeld des Gräberfeldes von Wiskiauten wird im Norden und Osten zunächst durch die beiden Flüsse Wosegauer Beek/Brast (heute Trostjanka) und Bledauer Beek begrenzt. Zusätzlich muss das vernässte Gebiet der Niederung ausgeklammert werden, da sich der nasse Untergrund, der vermutlich seit der Jungsteinzeit in einem ähnlich wasserreichen Zustand verblieben ist, nicht zur Besiedlung eignet. Als Grenze dieser Niederung kann vorläufig der Rand der Jungmoränenkuppe angenommen werden, der in der geologischen Karte klar hervortritt und in etwa durch die dort verlaufende Bahnlinie gekennzeichnet wird. Die genaue Ausdehnung des vermuteten Binnensees im Osten bzw. die Frage, ob es sich um eine weitmündige oder räumlich eng begrenzte Anbindung an das Kurische Haff gehandelt hat (vgl. hierzu auch Kap. C.4.1.1.), ist bislang nicht geklärt, aber hier nicht weiter von Belang. Vom westlichen Randbereich der Niederung steigt das Gelände bis zu einem Höhenrücken an, dessen Anfang das Gräberfeld in der Kaup bei Wiskiauten bildet. Der Geländerücken verläuft von hier in ähnlichen Höhenbereichen um 10–12 m in Richtung Süden. Auf ihm befindet sich das Dorf Wiskiauten. Eine nord-südliche Verbindung zwischen den Dörfern Mülsen und Wosegau, die das Wäldchen Kaup und den Fundplatz Wiskiauten passiert, lässt sich zumindest bis ins Mittelalter zurück nachweisen. Sie bildete offenbar einen Teil der alten Poststraße, die schon um 1700 erwähnt wird (Schlicht 1922, 249). Auch vorher ist ein auf diesem Geländerücken verlaufender Weg nicht auszuschließen. Er würde in diesem Fall den nord-südlich gerichteten Verkehr kanalisieren. Eine ost-westlich verlaufende Verkehrsachse ist ebenfalls anzunehmen. Als Einfallstor in die durch die geologischen Verhältnisse und die Gewässersituation relativ scharf abgegrenzte Siedlungskammer von Wiskiauten ist am ehesten ein schmaler Geländesporn denkbar, der sich vom Wäldchen Kunterstrauch kommend, Die Siedlungsforschungen zwischen den beiden Teilen des Woj hindurch in Richtung Kaup erstreckt. Die ansatzweise erkennbare Reihung der Hügel im Gräberfeld könnte diese These zusätzlich stützen, wenn man davon ausgeht, dass die Hügel entlang der Verkehrsachsen angelegt waren. So könnte sich die auffällige westöstliche Aneinanderreihung der Grabdenkmäler bzw. die west-östliche Ausrichtung des Gräberfeldes insgesamt erklären. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass der überlieferte Gesamtplan lediglich etwas mehr als 200 Gräber kartiert, der überwiegende Teil dagegen nicht abgebildet ist, da die meisten der ursprünglich über 500 Gräber zur Entstehungszeit des Dokumentes schon ausgegraben und abgetragen waren. Die sichtbare Reihung der Hügelgräber könnte also lediglich auf den archäologischen Eingriffen beruhen und muss nicht zwangsläufig deren originale Anordnung widerspiegeln. In der Verlängerung könnte der Weg in Richtung Osten zunächst zur Palve geführt haben, um von hier über die schmalste Stelle der Niederung zum gegenüberliegenden, ebenfalls halbinselartigen Geländesporn südlich von Bledau überzusetzen. Da bei Anlage einer Siedlung sehr wahrscheinlich süßwasserführende kleinere Fließgewässer einbezogen worden sind, kommen für die Anlage der wikingerzeitlichen Siedlung insbesondere zwei größere Areale in Frage. Einerseits handelt es sich um das Gebiet um das ehemals deutsche Dorf Wosegau (heute Vishnevoe). Hier bietet die halbinselartige Situation zusammen mit dem Fluss Woj ein nur von der Südseite her zugängliches Gelände, das im Norden eine Anbindung an das zum Haff ableitende Flusssystem der Wosegauer Beek oder Brast (heute Trostjanka) bietet. Die Flächen beiderseits des Woj sind in dieses mögliche Siedlungsgebiet einzubeziehen. Auch ein Übergang zu der nördlich um Cranz (heute Selenogradsk) gelegenen Region und damit der Zugang zur Kurischen Nehrung ist an dieser Stelle relativ einfach möglich, da sich die halbinselartige Geländeformation beim Dorf Wosegau weit nach Norden vorschiebt. Zusätzlich soll der Begriff „Brast“ in der prussischen Sprache gleichbedeutend mit „Flussübergang“ oder „Furt“ sein265: ein weiterer Hinweis auf 265 Mündliche Aussage von W. Wrobléwski, War- 163 eine hier verlaufende Verkehrsachse. Die zweite hervorragende Situation bietet sich im Bereich der Palve an. Hier liegen zusätzlich auch die wenigen Stellen mit sandigem Untergrund vor, die wegen ihrer dränierenden Eigenschaften vielleicht bevorzugt für die Anlage von Gebäuden genutzt worden sein könnten. Gleichzeitig ermöglicht die Geländesituation in verkehrstechnischer Hinsicht durch die beiden gegenüberliegenden halbinselartigen Landzungen eine einfache Querung der breiten Niederung. Fließendes Süßwasser in Form von kleinen Bachläufen, die von Westen kommend in die Niederung entwässern, ist an dieser Stelle ebenfalls mehrfach belegt. Diese beiden Örtlichkeiten sind schon von der deutschen Forschung mehrfach als prädestinierte Siedlungsareale angenommen worden (Engel 1931a, 30; Kleemann 1939a, 11; 1939b, 216). Prinzipiell sind jedoch alle Bereiche zwischen Gräberfeld und ehemaliger Uferkante des offenen Binnengewässers in die Untersuchungen einzubeziehen. C.4.2 Geophysikalische Untersuchungen Nach der Auswertung der topographischen Verhältnisse, der geologischen Karten und Bohrungen sowie der siedlungsgünstigen Voraussetzungen wie der Verfügbarkeit von fließendem Süßwasser und der Bodenarten kristallisiert sich relativ scharf ein Kernraum möglicher Siedlungsaktivitäten heraus. Besonders die Bereiche im direkten Umfeld des Gräberfeldes, weiterhin die gesamte Fläche in einem Radius von 1 km um das Hügelgräberfeld herum in nördlicher, nordöstlicher und östlicher Richtung bis zur ehemaligen Uferkante sind demnach für die Anlage einer Siedlung besonders geeignet. Dabei sind drei Stellen aufgrund des fließenden Süßwassers und der Nähe zum ehemaligen Binnensee bzw. dessen Ufern interessant. Einerseits kommt das Umfeld des früheren Ortes Wosegau (heute Vishnevoe) in Frage, da sich hier eine halbinselartige Landzunge in die ehemalige Wosegauer Beek oder Brast (heute Trostjanka) hinein vorschiebt und durch den Bach „Woj“ mit Süßwasser versorgt wird. Eine zweite Stelle liegt etwa 1000 m nordöstlich des Hügelgräberfeldes an der Mündung einer heute nur noch teilweise wasserführenden Rinne, die auf die vermutete schau, dem Verf. für diesen Hinweis dankt. 164 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Uferkante zufließt und in die Niederungsfläche entwässert. Für das dritte Gebiet um die Palve herum schließlich könnte besonders der dort vorhandene Sandboden sprechen, der insgesamt als siedlungsgünstig einzustufen ist, da der Boden gut drainierende Eigenschaften besitzt. Diese Bereiche standen daher im Mittelpunkt der geophysikalischen Prospektionen, wobei aber auch das südliche, westliche und nördliche Umfeld des Gräberfeldes berücksichtigt wurde, da hier Siedlungshinweise aus der russischen Forschungsperiode vorlagen (vgl. Kap. C.2). Darüber hinaus wurden auch weniger verdächtige Flächen in die Untersuchungen einbezogen. Einerseits geschah dies, um systematisch den gesamten in Frage kommenden Bereich abzudecken, andererseits lassen sich Konzentrationen von Anomalien nur erkennen, wenn entsprechende Kontrastflächen mit weniger auffälligen Strukturen als Vergleichsbasis zur Verfügung stehen. C.4.2.1 Messfahrten und Arbeitsgebiete Insgesamt sind in den Jahren 2005–2008 vier Feldforschungskampagnen mit geophysikalischen Messungen durchgeführt worden. Im Sommer 2005 wurden zunächst die Bereiche südlich des Gräberfeldes von Wiskiauten untersucht, da hier aufgrund der Überlegungen von V. I. Kulakov Siedlungsspuren zu erwarten waren (vgl. Abb. 66 Messfläche A). Diese galt es durch die Messungen zu verifizieren. Im Anschluss wurde der Bereich westlich der Kaup vermessen (vgl. Abb. 66 Messfläche B). Auch die Bereiche an der Quelle des Baches Woj sowie ein Teil des Feldes westlich davon, das sog. Kunterfeld, sind bei den Untersuchungen im Jahr 2005 berücksichtigt worden (vgl. Abb. 66 Messfläche C). Die größte zusammenhängende Messfläche von etwa 1100 m Länge und 350 m Breite (vgl. Abb. 66 Messfläche D) im Norden des Gräberfeldes zwischen der Kaup und dem Dorf Wosegau entstand während der zweiten Messfahrt, die im März 2006 stattgefunden hat. Der Termin wurde bewusst in diese Zeit verlegt, da der Boden aufgrund des Frostes sehr hart war und der Traktor sich auf dem gefrorenen Wiesenboden gut bewegen konnte. Zwar ermöglicht ein Laptop an Bord des Traktors auch ein Navigieren nach GPS-übermittelten Daten, zusätzlich half die leichte Schneedecke aber bei der Orientierung des Messfahrers, da die Reifenspuren des Traktors unter diesen Bedingungen gut zu erkennen sind. Dadurch wurde die visuelle Navigation erleichtert und die Messgeschwindigkeit dementsprechend erhöht. Während dieser Kampagne ist auch ein etwa 1200 m langer und 80 m breiter Streifen östlich der Straße zwischen Wiskiauten und Wosegau vermessen worden (vgl. Abb. 66 Messfläche E). Eine weitere große Messfläche von etwa 470 x 180 m (vgl. Abb. 66 Messfläche G) entstand im Osten der Hügelgräbernekropole, in die auch der Bereich direkt südlich der kleinen Kaup einbezogen wurde (vgl. Abb. 66 Messfläche F). Im März 2007 sind gut drei Hektar Boden (510 x 60 m) im Nordosten der Nekropole geomagnetisch vermessen worden (vgl. Abb. 66 Messfläche H1). Gleichzeitig haben umfangreiche Georadarmessungen an ausgewählten Anomalien stattgefunden (Radarflächen 1–8). Eine letzte hier berücksichtigte Messkampagne hat im März 2008 eine Gesamtfläche von etwa 35 Hektar geomagnetisch vermessen. Der Schwerpunkt lag dabei auf der großen Ackerfläche nordöstlich des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten, wo zusammen mit der Messfläche H1 vom März 2007 eine große zusammenhängende Geomagnetikfläche entstand (vgl. Abb. 66 Messfläche H2), sowie in den Uferbereichen der ehemaligen Wasserfläche nordöstlich davon. Dabei wurde insbesondere der vermutete Uferbereich der Niederungsfläche im Nordosten des Gräberfeldes von Wiskiauten durch eine maximal 1000 m lange und 120 m breite Messfläche prospektiert, die sich in zwei Teilflächen untergliedern lässt (vgl. Abb. 66 Messfläche I1 und I2). Weitere Messflächen liegen nördlich von Fläche 5 in der Nähe der Palve (vgl. Abb. 66 Messfläche J1) sowie auf der Palve selbst (vgl. Abb. 66 Messfläche J2). Insgesamt drei kleinere Messflächen liegen im Bereich westlich Palve zwischen der Bahnlinie und dem Hügelgräberfeld in der Nähe des dort fließenden, namenlosen Baches (vgl. Abb. 66 Messfläche K1 bis K3)266. Mit gewissen Lücken ist so eine Gesamtfläche von fast zwei Quadratkilometern berücksichtigt worden, so dass zu fast allen möglichen Die in sehr unwegsamem Gelände gelegenen Messflächen J1, J2, K1, K2 und K3 wurden im Gegensatz zu allen anderen Flächen mit einem tragbaren bzw. fahrbaren „Handgerät“ vermessen. 266 Die Siedlungsforschungen 165 Abb. 61 Messapparatur des Kieler Instituts für Geophysik, bestehend aus einem Traktor mit Anhänger, auf dem die 8 Fluxgate-Sonden und das Differential GPS befestigt sind. Siedlungsarealen erste Informationen vorliegen. C.4.2.2 Technische Vorraussetzungen Die Messapparatur des Instituts für Geowissenschaften (Abteilung Geophysik) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel267 besteht aus einem kleinen Traktor (Abb. 61), an dessen metallfreiem Anhänger aus Hartplastik ein Magnetometer-Array mit 6 oder 8 Fluxgate Sonden268 der Firma Dr. Förster befestigt ist (Stümpel 2005, 2). Auf dem Messwagen (Abb. 62) sind die einzelnen Sonden im Abstand von 0,5 m montiert, so dass bei den Feldmessungen mit parallelen Profilen eine Breite von 3,5 m abgedeckt wird. In Profilrichtung werFür die großflächigen geomagnetischen Messungen in Wiskiauten in den Jahren 2005 bis 2008 dankt Verf. Dr. H. Stümpel, Dr. S. Wölz, E. Erkul, H. Petersen, F. Oestmann, M. Proksch, V. Glomb, T. Wunderlich, Chr. Klein, C. Podolski, K. Dünnbier und Chr. Cajar vom Institut für Geowissenschaften (Abteilung Geophysik) der Christian-AlbrechtsUniversität Kiel. 267 268 Sondentyp Ferrex DLG 4.032.82. den 10 Messwerte pro Sekunde aufgezeichnet. Der Messwagen wird etwa mit 0,6–1,2 m/s im Gelände bewegt. Jede Sekunde wird vom Differential-Global-Positioning-System (DGPS) dabei ein Event erzeugt und im Datensatz registriert. Es dient der späteren Zuordnung von flächenhaften Koordinaten. Die einzelnen Fluxgate-Magnetometer messen die Vertikalkomponente des Erdmagnetfeldes. In jedem Sondenstab sind zwei dieser Magnetometer im Abstand von 0,6 m übereinander angebracht. Als Messgröße wird die Differenz beider Signale mit einer Auflösung von 0,0238 nT digital in einem 8-Kanal Datenlogger aufgezeichnet. Die Auflösung der Magnetometersonden beträgt etwa 0,5 nT. Die Differenzbildung bewirkt, dass unerwünschte Störsignale, wie z.B. tiefer liegende geologische Anomalien, abgeschwächt bzw. ausgelöscht werden. Die effektive Eindringtiefe hängt von der Größe der gesuchten Objekte ab. Größere Anomalien können auch noch in größerer Tiefe erkannt werden. Später werden extern die Messdaten mit den Koordinaten zusammen gefügt. Es können Messlücken auftreten, wenn 166 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 62 Traktor des Kieler Instituts für Geophysik mit Anhänger und 8-sondiger Messapparatur beim Einsatz im Umfeld von Wiskiauten. der vom DGPS berechnete Positionierungsfehler zu groß wird. Als mögliche Fehlergrenze wird hier maximal 0,2 m angesetzt. Dies entspricht der Pixelgröße der montierten Magnetikdaten. Solche Datenverluste treten häufig auf, wenn Satelliten fehlen oder durch Bäume abgeschirmt sind. Während der hier durchgeführten Messungen traten tagsüber nur sehr selten kleinere Zeitfenster mit weniger als 5 Satelliten auf, die für die gewünschte hohe Genauigkeit nötig sind. Für die geomagnetische Kartierung wurde das lokale archäologische Koordinatensystem übernommen, dessen fiktiver Nullpunkt etwa 120 m westlich der Südwestecke des Gräberfeldes von Wiskiauten liegt. Die kontinuierliche Ortsbestimmung während des geophysikalischen Messvorgangs erfolgt mit einem Differential-GPS der Firma Leica. Dazu wird zunächst auf dem mobilen DGPS-Empfänger eine Stationierung im lokalen Koordinatensystem vorgenommen. Bei einer ausreichenden Anzahl von Satelliten kann so eine Auflösung von 0,02 m erreicht werden. Im nördlichen Messgebiet werden größere Abweichungen auftreten, da hier die Position extrapoliert werden musste. Während des Messvorgangs werden die lokalen Koordinaten der GPS-Antenne auf dem Sondenträger in Echtzeit mit fünf Werten pro Sekunde an einen Laptop geliefert, dort gespeichert und mit den Datenloggern synchronisiert. Auf dem Bildschirm wird die Fahrspur in Echtzeit grafisch dargestellt. Das gesamte System wird während des Messbetriebs nur von einer Person gehandhabt. Die wenigen Messlücken in den Magnetikflächen wurden durch besondere Geländegegebenheiten wie Heuballen, große Steine oder schwer befahrbare, vernässte Bodenvertiefungen verursacht. Neben den horizontalen Koordinaten liefert das DGPS auch einen Höhenwert. Diese Werte wurden wieder gesondert erfasst und können in einer eigenen Abbildung dargestellt werden. In Profilrichtung liegt eine laterale Auflösung von etwa 0,10 m vor. Der Profilabstand kann zwischen 3,0 m und 4,5 m liegen. Die geomagnetischen Messbilder sind in verschiedenen Nano-Tesla-Bereichen bzw. Graustufenbereichen darstellbar, die alle koordinatengetreu ins übergeordnete geographische Informationssystem (GIS)269 importiert wurden 269 Für die Digitalisierung aller Daten wurde das Die Siedlungsforschungen 167 und dort als Ebenen übereinander geblendet werden können. So ist nach der Ermittlung der Koordinaten im GIS im Feld später die exakte Position der erkennbaren Anomalien zu ermitteln. C.4.3 Bohrungen zu ausgewählten Anomalien In den geomagnetischen Messbildern sind mehr als eintausend Anomalien erkennbar, die einen vom natürlichen Magnetisierungsgrad des Bodens abweichenden Wert zu erkennen geben. Dabei wurden nur Objekte mit einer Mindestgröße von ca. 0,5 m bei einem Wert von +/- 3 nT berücksichtigt. Diese Größe stellt bei einer Auflösung der geomagnetischen Messbilder von 0,2 m pro Pixel nahezu die Obergrenze der Erkennbarkeit archäologischer Objekte dar. Zählt man auch kleinere Objekte unter 0,5 m hinzu, ist die Zahl der Anomalien fast unüberschaubar. Bedingt durch die große Anzahl von Anomalien und ihre weiträumige Verteilung über 100 Hektar Gesamtfläche war die Entwicklung einer speziellen Untersuchungsstrategie vonnöten. Archäologische Ausgrabungen schienen erst dann sinnvoll, wenn bereits eine Voreinschätzung und bestenfalls sogar Datierung der Anomalien vorlag. Die Anomalien werden daher zunächst mit ein Pürckhauerbohrstab überprüft (Abb. 63). Der Bohrstab mit einem Durchmesser von 36 mm wurde wahlweise bis 1 m oder bis 2 m Tiefe abgeteuft. Zwar bedeutet das Anbohren der archäologischen Befunde bereits einen Eingriff in die archäologische Substanz und stellt ein gewisses Zerstörungsrisiko dar, bei der Größe der angebohrten Objekte von mindestens 0,5–1 m Durchmesser ist die kleinräumige Zerstörung jedoch zugunsten einer schnellen vorläufigen Interpretation zu vernachlässigen. Zusätzlich ermöglicht die Bohrung durch das Bergen von Probenmaterial die naturwissenschaftliche Datierung der Objekte. So konnte für die Anlage von Grabungsschnitten eine sinnvolle Vorauswahl getroffen werden. Die Anwendung eines Bohrstabes erbrachte eine große Anzahl von Hinweisen auf archäologische Befunde. Insgesamt wurden bislang etwa 200 Anomalien durch Bohrungen überprüft (Abb. 64). In den geomagnetischen Bildern des etwa 100 Programm ArcGIS der Firma ESRI benutzt. Abb. 63 Anbohren der Anomalien im Feld mit einem Pürckhauerbohrstab. ha umfassenden Messgebietes sind zahlreiche Anomalien erkennbar, die durch Bohrungen auf ihre Bodenschichtung hin untersucht wurden, um festzustellen, ob eine natürliche Schichtung vorliegt oder ob eine anthropogene Beeinflussung unterstellt werden kann. Nach dem Datum ihres Erkennens sind die Anomalien durchnumeriert worden. Die Anomalien an_201/05 bis an_218/05 stellen die chronologisch zuerst erkannten Strukturen in der Fläche südlich des Wäldchens Kaup dar (Messfläche A). Ihre Benennung mit Ziffern über 200 resultiert aus einer internen Nummerierung im GPS-Gerät der Kieler Geophysiker, mit dem sie erstmalig anvisiert wurden. Alle später erkannten Anomalien wurden je nach Überprüfungszeitpunkt mit an_1/05 bis an_63/05 bzw. an_1/06 bis an_68/06 etc. benannt. Dabei steht das Kürzel an für „Anomalie“, die durch die Zahl hinter dem Unterstrich mit einer Nummer versehen ist. Hinter dem Schrägstrich schließlich steht das Jahr der Identifizierung als Kürzel 05 für das Jahr 2005 etc. Diese Zusatzbenennung ist nötig, da in den Jahren 2005 und 2006 mit der Nummerierung der Anomalien jeweils bei Nummer 1 angefangen wurde. Ab 2007 sind die Anomalien zwar numerisch fortlaufend von der letzten Anomalie des Jahres 2006 an benannt, aber auch in diesen Fällen steht hinter dem Schrägstrich das Erkennungsjahr, um Verwechslungen zu vermeiden. Nach der Bestimmung der Mittelpunktskoordinaten durch die Integration der Messbilder in das übergeordnete GIS-Projekt erfolgte zu- 168 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 64 Wiskiauten. Übersicht über die zur Überprüfung mit dem Pürckhauerbohrstab angebohrten Anomalien. nächst, meist bei einer Darstellung mit +/- 3 nT, die Anvisierung der betreffenden Anomalie mit dem Tachymeter oder mit dem Differential-GPS. Teilweise sind bei der Einmessung der Objekte offenbar kleine Messfehler aufgetreten, die das später negative Bohrergebnis erklären. Für andere Anomalien bleibt das Fehlen eindeutiger anthropogener Einflüsse bzw. geologischer Phänomene jedoch unklar. Der vermutete Mittelpunkt des Objektes wurde nach seiner Einmessung durch einen Holzpflock im Feld visuelle gekennzeichnet und anschließend mit einem Pürckhauerbohrstab ein Bohrkern von meist 1 m Länge gewonnen. Die speziell zur Bohrkerndokumentation entwickelten, standardisierten Bohrprotokolle270 Auf die komplette Vorlage der Bohrprotokolle im Katalogteil wurde in dieser Studie verzichtet. Dafür sind die Bohrergebnisse zu den wichtigsten 270 (Abb. 65) ermöglichten dabei eine effektive Vorgehensweise. Dabei sind auf einer schematisierten Bodensäule Schichtgrenzen eingetragen, rechts daneben befindet sich die entsprechende Bodenansprache. In dieses Schema ist die Farbangabe des Bodenmaterials durch farbige Flächen integriert. Zur Verdeutlichung der Bodenfarbe ist auf den Orignalprotokollen im Feld zusätzlich ein „Abdruck“ des Bodens an der entsprechenden Stelle im Bohrprotokoll angefertigt worden, der einen realistischen Eindruck der Farbe vermitteln soll. Nach der Angabe des Bodenhorizontes finden sich die Sedimentansprache und anschließend weitere Anomalien im Text beschrieben. Alle Bohrprotokolle sind als Bestandteil des übergeordneten geographischen Informationssystems (GIS) dort abrufbar und ermöglichen so eine effektive Arbeit mit den geomagnetischen Messbildern. Die Siedlungsforschungen 169 Abstand, meist 2 m vom Mittelpunkt entfernt, Kontrastbohrungen abgeteuft worden. Sie sind zur Kontrolle, dass es sich tatsächlich um eine begrenzte Anomalie und nicht etwa um flächige Schichtungen handelt, für die angewandte Methode unbedingt notwendig. Denn erst wenn die Kontrastbohrungen keine oder nur abgeschwächte anthropogene Einflüsse zu erkennen geben, kann eine Anomalie mit großer Wahrscheinlichkeit als archäologisch relevanter Befund eingestuft werden. C.4.4 Ergebnisse der Prospektionen 271 An dieser Stelle erfolgt zunächst eine allgemeine Beschreibung der einzelnen Messflächen, die aus den geophysikalischen Untersuchungen resultieren. Dabei gilt es besonders, Befundkonzentrationen ausfindig zu machen, die auf Siedlungskerne hinweisen könnten. Zusätzlich sind die Ergebnisse der Bohrungen zur Überprüfung auffälliger Anomalien eingearbeitet. Es wäre wenig sinnvoll, dabei auf jede einzelne Anomalie hinzuweisen, da einerseits nur ausgewählte Anomalien überprüft worden sind und andererseits nicht alle Bohrungen positive Ergebnisse erbracht haben. So werden nach der allgemeinen Beschreibung der einzelnen Messflächen die Bohrergebnisse ausgewählter Anomalien angeführt und mit den vorhandenen 14C-Daten verknüpft. Gleichzeitig werden die von einigen Teilbereichen stammenden Oberflächenfunde besprochen. Ihnen kommt teilweise eine datierende Funktion zu, auf deren Grundlage Verdichtungen als potenzielle Siedlungsstellen interpretiert und zumindest ansatzweise zeitlich eingeordnet werden können. Die Ergebnisse der Ausgrabungen, die erst in Kap. C.5 im Anschluss ausführlich dargelegt werden, sind an dieser Stelle trotzdem teilweise einbezogen, da nur vor dem Hintergrund der Grabungsergebnisse eine Interpretation der Anomalien und ihrer Konzentrationen sinnvoll erscheint. Wo es nötig schien, sind daher die Kernaussagen der Ausgrabungen angeführt, um die aus den Prospektionsergebnissen gewonnen Erkenntnisse zu prüfen, zu unterstützten oder zu relativieren. Die Erkenntnis, wie wichtig Kontrastbohrungen für die sichere Ansprache von Anomalien sind, ent- wickelte ich erst im Laufe der Arbeiten des Jahres 2006. Für viele Anomalien, die im Jahr 2005 angebohrt wurden, fehlt diese wichtige Zusatzinformation. Abb. 65 Wiskiauten. Bohrprotokoll zu Anomalie an_26 mit Beschreibung der Bodenhorizonte, Geomagnetikbildern und sonstigen Angaben. Auffälligkeiten wie enthaltenes Fundmaterial, möglicher Grundwassereinfluss und Bewuchs. Aus einigen Bohrkernen sind naturwissenschaftlich datierbare Proben gewonnen worden, wobei nur deutlich von einer natürlichen Bodenschichtung abweichende Horizonte beprobt wurden. Eine Auswahl besonders interessanter Objekte ist im Anschluss bei geeignetem Probenmaterial wie Holzkohle oder Knochen in der Verfüllung durch Radiokarbon-Analysen271 datiert worden, um zu einer vorläufigen zeitlichen Einschätzung der Anomalie zu gelangen. Die Ergebnisse flossen in die Wahl der Ausgrabungsflächen ein. Zusätzlich zur Bohrung im Anomalienmittelpunkt sind in fast allen Fällen272 in genügendem Alle Proben wurden im Leibniz-Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung der ChristianAlbrechtsuniversität zu Kiel untersucht. 272 170 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 66 Wiskiauten. Benennung der Geomagnetik-Messflächen der Jahre 2005–2008 im Umkreis des Gräberfeldes (Karte genordet, Maßstab etwa 1:125). Nach der Vorlage der Ausgrabungsergebnisse in Kap. C.5 werden in Kap. D nochmals gesondert alle Einzelergebnisse zusammengeführt, um die Kernräume der bislang erkannten Siedlungsstrukturen herauszuarbeiten und ein vorläufiges Besiedlungsmodell des Fundplatzes zu entwerfen. C.4.4.1 Messfläche A Messfläche A (Taf. 86; Abb. 67; zur Lage vgl. Abb. 66) liegt südlich des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten. Sie umfasst in ihrer größten Ausdehnung ein Areal von 320 m in nord-südlicher und 240 m in ost-westlicher Ausrichtung, dabei erreicht im Süden ein 35 m breiter, west-östlich ausgerichteter Streifen eine Länge von 340 m erreicht. An der Nordwestecke der Hauptmessfläche ist ebenfalls ein etwa 40 m breiter und 340 m langer Streifen in Richtung Westen angefügt. Fehlstellen in den Bildern liegen in Heuballen begründet, die während der Messarbeiten auf dem Feld lagen und das Manövrieren mit dem Traktor behinderten. Im Messbild fällt zunächst die starke Verunreinigung mit offenbar modernem Metallschrott auf, die sich durch zahlreiche kontrastreiche, schwarz-weiße Dipole äußert. Sie streuen nahezu über die gesamte Fläche und bilden stellenweise, so etwa im Osten der Messfläche in der Nähe einer dort befindlichen Zufahrt zum Feld, starke Konzentrationen. Sie können durch Metallentsorgung oder Verlust von klei- Die Siedlungsforschungen 171 Abb. 67 Wiskiauten. Lage der durch Bohrungen überprüften Anomalien in Messfläche A. nen Metallteilen von Maschinen während der Feldarbeit erklärt werden. Insgesamt sind im Messbild zwei auffällige lineare Strukturen und etwa 25 große, punktuelle Anomalien sichtbar. Daneben existieren viele kleine, durchweg rundliche Anomalien schwarzer Färbung, deren Größe meist unter 0,5 m liegt. In den Bildern mit einem Messwertbereich von +/- 3 nT sind auch einige leicht graue Schatten zu sehen, die offenbar weniger stark magnetisch sind, aber dennoch potentiell als Befunde eingestuft werden müssen. Die Anomalien liegen scheinbar regellos verteilt. Allerdings sind sie im südlichen Messbildbereich häufiger. Das gilt besonders für die größeren Anomalien über 2 m Durchmesser. Im gesamten Messbild sind west-östlich ausgerichtete Streifen sichtbar, die aus einem helleren Bereich, meist im Norden, und einem dunkleren Bereich im Süden bestehen und die bei einer Darstellung mit +/- 3 nT eine Breite bis zu 1 m erreichen. Sie sind aufgrund ihrer Regelmäßigkeit vorläufig als Pflugspuren zu interpretieren, die vom Tiefpflügen herrühren könnten. Die große Breite resultiert dabei aus der Überstrahlung der Anomalien, die auch an zahlreichen anderen Objekten auffällt und durch die Ausgrabungsergebnisse verifiziert werden konnte, denn in den Grabungsschnitten zeigten sich die Objekte meist nur halb so groß wie im Messbild bei +/- 3 nT. In Messfläche A liegen die beiden Grabungsschnitte Fläche 1, in der ein eisenzeitlicher Ofen zutage kam (vgl. Kap. C.5.1), und Fläche 2 mit dem aus Steinen gemauerten Brunnen des 11. oder 12. Jahrhundert (vgl. Kap. C.5.6). Beide Befunde sind vor der Ausgrabung mit dem Georadar untersucht worden. In Messfläche A wurden mit den punktuellen Anomalien an_40/05 bis an_47/05 sowie an_ 172 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 201/05273, an_202/05, an_ 207/05274, an_212/05 bis an_218/05 insgesamt 18 Objekte durch Bohrungen überprüft, wobei die Anomalien an_213/05 bis an_218/05 in der nordwestlichen Erweiterung liegen, alle anderen finden sich in der Hauptmessfläche. Sonderfälle stellen einerseits die lineare Anomalie an_212/05 knapp südlich der Waldgrenze, andererseits eine im geomagnetischen Messbild nicht sichtbare lineare Bodenerhöhung dar, die von Kulakov (2005, 62) als Wall interpretiert wurde. Beide Strukturen wurden durch Bohrungen überprüft (vgl. Kap. C.4.4.1.3). C.4.4.1.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Anomalie an_201/05 Einen der auffälligsten Befunde in Messfläche A stellt Anomalie an_201/05 dar (Abb. 68). Sie zeigt sich in der Geomagnetik als schwarzes Oval von 3 m Länge und 2,5 m Breite mit einem weißen, nach Norden gelagerten Hof. Bohrungen im Anomalienmittelpunkt ergaben unnatürliche Verziegelungsschichten bis in eine Tiefe von 1,4 m unter der Geländeoberfläche. Analog zu der in Fläche 1 (vgl. Kap. C.5.1) ausgegrabenen Anomalie an_202/05 dürfte es sich um einen Ofenbefund handeln. Durch die räumliche Nähe zum Befund in Fläche 1, der nach Ausweis der 14C-Daten in die letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderte und somit in die Vorrömische Eisenzeit gehört, lässt sich für Anomalie an_201/05 vorsichtig eine ähnliche Zeitstellung vermuten. Somit liegen hier zwei gleichartige Befunde dicht beieinander und lifern dadurch Hinweise auf eine nach funktionalen Gesichtspunkten gegliederte Siedlungsstruktur in dieser Zeit. Anomalie an_41/05 Einige Objekte mit zunächst negativem Bohrergebnis lassen sich durch große Metallstücke erklären. So handelte es sich bei Anomalie an_41/05 (Abb. 69) um eine große Metallplatte von ca. 0,2 m Größe, die erst während des Bohrvorganges an der Geländeoberfläche Diese Anomalie ist im Jahr 2005 durch Fläche 1 erfasst worden (vgl. Kap. C.5.1). 273 Diese Anomalie ist im Jahr 2005 durch Fläche 2 erfasst worden (vgl. Kap. C.5.6). 274 Abb. 68 Wiskiauten. Anomalie an_201/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). aufgefunden wurde. In diesem Fall bildet ein kleiner schwarzer Kern den Mittelpunkt eines 4 m großen, weißen Hofes, der sich gleichmäßig um den Anomalienmittelpunkt herum ausbreitet. Wegen der fehlenden Erfahrung mit der Interpretation der Bilder am Anfang der geophysikalischen Messungen wurde diese Anomalie zunächst als verdächtiges Objekt eingestuft. Anomalie an_40/05 Von ähnlicher Form und Größe in den geomagnetischen Messbildern ist Anomalie an_40/05 (Abb. 69) nur 17,5 m nordwestlich von Anomalie an_41/05. In allen drei zur Überprüfung angelegten Bohrungen innerhalb ihrer visuellen Grenzen im Messbild wurden anthropogen beeinflusste Horizonte bis in eine Tiefe von etwa 0,7–0,8 m identifiziert. Am deutlichsten war die menschliche Einwirkung, erkennbar durch Keramikfragmente und Holzkohlepartikel, in einer Bohrung 1 m östlich des Mittelpunktes. Erst 2 m östlich des Mittelpunktes war unter dem Ackerhorizont von 0,4 m Dicke der natürliche gewachsene Lehmboden nachzuweisen. Hier zeigt sich, wie wichtig Kontrastbohrungen sind, um archäologische Befunde zu erkennen und zu begrenzen. Anomalien an_43/05 und an_44/05 Bei Anomalie an_43/05 (Abb. 70, links) blockierte ein Stein ab 0,4 m Tiefe das weitere Eindringen des Bohrers. Die Kontrastbohrung 1 m nördlich ergab keine Auffälligkeiten. Unter dem Ackerhorizont von 0,4 m Dicke konnte lediglich der natürliche Boden nachgewiesen werden. In einer Tiefe von 0,7 m bzw. 0,6 m wurden in zwei Bohrungen im Mittelpunkt auch in Anomalie an_44/05 (Abb. 70, rechts) Steine nachgewiesen, Die Siedlungsforschungen die aber in diesem Fall von einem Mischhorizont mit Rotlehm- und Holzkohleresten zwischen 0,4 und 0,6 m Tiefe überlagert wurden. In beiden Fällen dürfte es sich um archäologisch relevante Objekte handeln, deren Zeitstellung aber aufgrund fehlender Datierungen im Dunkeln liegt. Anomalien an_45/05 und an_46/05 Anomalie an_45/05 (Abb. 71), im südwestlichen Mittelbereich der Messfläche gelegen, kann als Grubenbefund interpretiert werden, worauf die humose Verfüllung bis mindestens 0,75 m Tiefe zwischen Ackerhorizont und anstehendem Boden hinweist. Die 15 m weiter südöstlich liegende Anomalie an_46/05 (Abb. 71) dagegen besitzt nach Ausweis der Bohrung nur einen undeutlich ausgeprägten Siedlungshorizont mit Knochenfragmenten im Übergangsbereich zwischen Ackerhorizont und anstehendem Geschiebemergel zwischen 0,4 und 0,55 m. Sie lässt sich nicht sicher als archäologisch relevant einstufen. Eine Kontrastbohrung wurde in diesem Fall nicht durchgeführt. Anomalien an_213/05 bis an_218/05 Interessant ist eine Gruppe von Befunden in der nordwestlichen Erweiterung der Messfläche. Hier liegen die Anomalien an_213/05 bis an_218/05. Die Anomalie an_215/05 (Abb. 72, rechts) wurde offenbar durch einen großen oder viele kleine Steine verursacht, da in mehreren Bohrungen im Umkreis von 0,5 m des Anomalienmittelpunktes aufgrund eines mechanischen Widerstandes ab 0,3 m Tiefe kein weiteres Eindringen des Bohrers möglich war. Auch für die beiden Anomalien an_217/05 und an_218/05 (Abb. 73) etwa 30 m südöstlich, die im geomagnetischen Messbild lediglich als leichte graue Schatten erkennbar sind, wurden Steine in Tiefen von 0,3 m bzw. 0,6 m nachgewiesen. Dabei wurde im letzteren Fall bei Anomalie an_ 218/05 zusätzlich ein stark humoser Horizont zwischen 0,3 und 0, 6 m Tiefe erbohrt, der möglicherweise auf anthropogenen Einfluss zurückgeht. Dagegen war in der direkt benachbarten Anomalie an_216/05 keinerlei Abweichung vom natürlichen Bodenaufbau erkennbar. Höchst interessante Befunde stellen die beiden Anomalien an_213/05 und an_214/05 dar (Abb. 72, links). In beiden Fällen sind mächtige Verziegelungshorizonte und in Anomalie 173 an_214/05 auch große Mengen an sehr leichter, grauer Schlacke festgestellt worden. Möglicherweise handelt es sich um Keramikschlacke. In Anomalie an_213/05 reicht die Verziegelung im Mittelpunkt mindestens 1 m hinab, während sie 1 m nördlich nur noch eine Mächtigkeit von 0,18 m unter dem 0,3 m dicken Ackerhorizont aufweist. Dies deutet auf eine wannenartige Befundsohle hin. Für Anomalie an_214/05 fehlt eine zweite Bohrung, so dass hier keine Aussagen zum Verlauf der Befundsohle zu treffen sind. Eine Datierung liegt für keinen der beiden Befunde vor. Die doch deutliche Entfernung zu den beiden Ofenbefunden an_201/05 und an_202/05 verbietet eine Übertragung der Datierung in die Vorrömische Eisenzeit. Die Zeitstellung bleibt unklar. C.4.4.1.2 Anomalienkonzentrationen Neben den beschriebenen Konzentrationen von Anomalien in Messfläche A, die vor allem die als Ofenanlagen oder Feuerstellen interpretierten Befunde an_213/05 und an_214/05 sowie die ebenfalls sehr dicht beieinander liegenden Befunde an_201/05 und an_202/05 betreffen, soll hier eine Zone aufgezeigt werden (Abb. 74, 1–2), die sich durch eine besondere Dichte an Anomalien auszeichnet. Zusätzlich enthält sie den Abschnitt einer linearen Struktur (vgl. hierzu auch Kap. C.4.4.1.3). Drei besonders große Anomalien, darunter die durch Bohrungen überprüfte Anomalie an_45/05, befinden sich am rechten Bildrand (Abb. 75) des Messbildausschnittes bzw. etwas nordwestlich des Zentrums. Sie weisen Durchmesser von 2–3 m auf und besitzen eine ovale Form. Gemäß der Bohrung in an_45/05 könnte es sich um humos verfüllte Grubenbefunde handeln, da hier bis 0,85 m Tiefe eine deutlich humose Bodenschichtung, in den oberen Horizonten mit Einschlüssen von Holzkohle, erkennbar war. Eine weitere Grube, die sich auch bei Werten von +/- 12 nT (vgl. Abb. 75c) noch sehr deutlich im Messbild abzeichnet, liegt etwas weiter südwestlich. Hier ist mit einer Grube mit Steinverfüllung zu rechnen. Möglicherweise um einen Befund mit Verziegelung handelt es sich bei dem kleineren Objekt am Nordrand des Messbildausschnittes, da sich hier ein weißlicher, nach Norden gerichteter Hof zeigt, der in dieser Form auch bei den als Öfen oder Feu- 174 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 69 Wiskiauten. Anomalien an_40/05 (links) und an_41/05 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Abb. 70 Wiskiauten. Anomalien an_43/05 (links) und an_44/05 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Abb. 71 Wiskiauten. Anomalien an_45/05 (links) und an_46/05 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Abb. 72 Wiskiauten. Anomalien an_213/05 und an_214/05 (links) und an_215/05 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Abb. 73 Wiskiauten. Anomalien an_216/05 bis an_218/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Die Siedlungsforschungen Abb. 74 Wiskiauten. Messfläche A. Lage einer Konzentration von Anomalien (2: kleiner roter Kasten), der linearen Struktur (1: großer roter Kasten) sowie der Grabenstruktur an_212/05 (blauer Kasten). erstellen interpretierten Anomalien an_201/05, an_202/05, an_213/05 und an_214/05 auftritt. Zwischen diese besonders auffälligen Anomalien sind weitere, kleinere Objekte eingebettet. Auffällig ist auch eine lineare Struktur, die hier nur in einem kleinen Ausschnitt erfasst ist und eigentlich zu einer längeren Anomalie gehört, die sich in nordsüdlicher Richtung über eine Länge von insgesamt ca. 90 m durch die gesamte Fläche zieht.Wenngleich zunächst weder eine konkrete Aussage zu den Anomalien selbst noch zu ihrem möglichen funktionalen oder zeitlichen Zusammenhang getroffen werden kann und die Interpretationen sehr unsicher sind, bleiben solche Bereiche erhöhter Dichte auffällig und könnten mit Siedlungskonzentrationen in Zusammenhang stehen. C.4.4.1.3 Lineare Strukturen An mehreren Stellen können in den Messbildern lineare Strukturen erkannt werden. Als herausragendes Beispiel soll hier eine längliche Struktur in Messfläche A angeführt werden, die sich in nordsüdlicher Richtung auf einer Gesamtlänge von mindestens 90 m zu erkennen gibt (Abb. 76). Sie besteht aus zahlreichen, schwach grau gefärbten Einzelanomalien, die sich zu einer auffälligen Reihung zusammenschließen. Es könnte sich um einen Weg oder um eine palisadenartige Bezäunung handeln, andererseits ist auch ein rein geologischer Ursprung denkbar. Eine abschließende Beurteilung ist derzeit nicht möglich. 175 C.4.4.1.3.1 Graben südlich der Kaup Eine Besonderheit bildet eine großräumige, westöstlich orientierte Struktur in Messfläche A, die sich in den geomagnetischen Messbildern (Abb. 77) auf einer Länge von etwa 120 m südlich der Waldgrenze der Kaup als gräuliche, durchschnittlich 12 m breite Verfärbung entlang zieht. Diese Struktur wurde als an_212/05 bezeichnet und durch mehrere Verfahren untersucht. So wurde senkrecht zu ihrem Verlauf eine Reihe von Bohrungen abgetieft, die eine zusammenhängende Boden-Catena bilden. In den Bohrkernen tritt deutlich ein Graben in Erscheinung, der überwiegend einheitlich humos verfüllt ist. Im Anschluss sind geophysikalische Messungen mit dem Georadar erfolgt, die ebenfalls das Ergebnis erbracht haben, dass es sich bei dieser Struktur um einen Graben handeln dürfte. Die Bohr-Catena besteht aus insgesamt 21 Bohrungen auf einer Länge von 20 m, da die Bohrungen in Abständen von 1 m angelegt wurden. Deutlich zeigt sich eine anthropogen beeinflusste Bodenschichtung, die in der Mitte bei Bohrung 12 bis in eine Tiefe von 1,1 m unter der Geländeoberkante nachweisbar ist. Bei Aneinanderreihung der Bohrprofile ohne Berücksichtigung ihres Abstandes zueinander wirkt der Graben an der Sohle gerundet (Abb. 78). Wird der Abstand der Bohrungen zueinander einberechnet, so zeigt sich ein nun deutlich flacherer Verlauf, der von Nord nach Süd zunächst flach abfällt, im Bereich zwischen Bohrung 2 und Bohrung 3 nach unten abtaucht und zwischen den Bohrungen 8 und 17 auf einer Breite von ca. 9 m in der relativ gleichbleibenden Tiefe von 0,8–1,1 m verläuft (Abb. 79). Von hier steigt er Richtung Süden bis zum letzten Bohrpunkt 20 wieder an. Das Ende des Grabens ist durch die Bohrungen nicht komplett erfasst worden.In dem durchweg sehr stark humosen Horizonten der Grabenverfüllung fanden sich in den Bohrungen 7 sowie 15–18 vereinzelt Holzkohlefragmente, in Bohrung 8 wurde in 1,0 m Tiefe ein Stein angetroffen. In Bohrung 17 fanden sich sogar Keramikreste. Grundwasser konnte in 1,55 m Tiefe unter der Geländeoberfläche nachgewiesen werden. Während die Bohrungen nur einen punktuellen Einblick in die Grabenstruktur geben, können für eine Betrachtung des Profils die Georadar-Bilder angeführt T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 176 a b c d Abb. 75 Wiskiauten. Messfläche A. Deutliche Konzentration mehrerer Anomalien (Kantenlänge der genordeten Bilder jeweils 30 m) in verschiedenen Darstellungsarten: a: +/- 3 nT. – b: +/- 6 nT. – c: +/-12 nT. – d: +/- 3 nT mit farblicher Markierung der Anomalien. a b c d Abb. 76 Wiskiauten. Messfläche A. Aneinanderreihung verschiedener schwacher Anomalien, die eine deutlich lineare Struktur bilden (Höhe der genordeten Bilder jeweils ca. 100 m, Breite ca. 40 m) in verschiedenen Darstellungsarten: a: +/- 3 nT; b: +/- 6 nT; c: +/- 12 nT; d: +/- 3 nT mit Markierung der linearen Struktur. werden, die auf einer Fläche von 25 x 10 m im mittleren Grabenabschnitt durchgeführt wurden. Die Messungen erfolgten mit zwei unterschiedlichen Auflösungen in 200 MHz und 400 MHz und wurden in Nordsüdrichtung durchgeführt. Sie beginnen auf der gleichen Messlinie wie die Bohrcatena und setzen sich von hier in östliche Richtung fort. Nur die mit 200 MHz gemessenen Georadar-Bilder zeigen eine deutliche Struktur, die in ihrem Verlauf in etwa mit dem durch die Bohrungen nachgewiesenen Graben vergleichbar ist. In einem Radarprofil (Abb. 80A) sinkt der Graben von Nord nach Süd zunächst ab. Die Grabensohle scheint an der tiefsten Stelle gerundet zu sein, erweckt aber insgesamt den Eindruck eines Spitzgrabens. Von hier steigt der Graben in Richtung Norden wieder gleichmäßig an. Im zweiten Radarprofil (Abb. 80B) ist der Graben in seinem Verlauf etwas flacher. Ohne weitere Bodeneingriffe sind weder Funktion noch Zeitstellung des Grabens näher zu bestimmen. Auch hier ist grundsätzlich ein geologisches Phänomen nicht auszuschließen, wenngleich die Einschlüsse von Keramik und Holzkohle zumindest für eine Verfüllung mit anthropo- Die Siedlungsforschungen 177 Abb. 77 Wiskiauten. Messfläche A. Grabenartige Struktur, Darstellung mit +/- 3 nT, Bild genordet, Breite ca. 140 m, Höhe ca. 60 m; die Lage der Bohrcatena ist durch die gelbe Linie angegeben. < Norden 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Süden > 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 200 Abb. 78 Wiskiauten. Boden-Catena durch die längliche Grabenstruktur südlich des Wäldchens Kaup. Die schwarze Linie gibt die Unterkanten der anthropogen beeinflußten Bodenhorizonte an. In der X-Achse ist die Nummer des Bohrpunktes, in der Y-Achse die Tiefe der Bohrung in cm angegeben. 178 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 79 Wiskiauten. Schematisiertes Profil durch den Graben südlich des Wäldchens Kaup, umgerechnet auf die Länge der tatsächlichen Bohrstrecke. Auf der X-Achse ist die Nummer der Bohrung angegeben. gen beeinflusstem Bodenmaterial sprechen. C.4.4.1.3.2 Vermuteter Wall Nach der Auswertung eines Luftbildes interpretierte Kulakov (2005, 62) eine etwa 100 m südlich der Kaup liegende, lineare Bodener- hebung im Gelände als Reste eines verschliffenen Walles, der sich von West nach Ost halbkreisförmig um den West- und Südrand des Wäldchens herumziehen soll. Durch insgesamt 20 Bohrungen wurde der vermutete Wall überprüft. Durch die vorbereitende Hö- Abb. 80 Wiskiauten. Grabenartige Struktur in zwei Georadar-Messbildern, Messstrecke 25 m. Die Siedlungsforschungen heneinmessung der einzelnen Bohrpunkte lässt sich diese Erhöhung tatsächlich nachweisen. So liegt der Anfangspunkt der Bohrungen bei 10,10 m üNN275, das Gelände steigt dann bis zur Mitte des vermuteten Walls um 0,33 m auf einen Wert von 10,43 m üNN an. Auf etwa 4–5 m Breite bleiben diese Werte konstant, um anschließend auf eine Höhe von 10,10–10,05 m üNN abzufallen. Somit ist tatsächlich eine 6 m breite und 0,33 m hohe Geländeerhebung zu dokumentieren, die das Gelände südlich des Wäldchens in westöstlicher Richtung quert. Zur Überprüfung eines möglichen anthropogenen Einflusses wurde im rechten Winkel zum vermuteten Verlauf des Walles eine Bohrcatena angelegt. Insgesamt sind auf einer Strecke von 19 m im Abstand von je 1 m 20 Bohrungen abgetieft worden (Abb. 81–82). Die Bohrprotokolle bestätigen durch die dabei ermittelten Höhenwerte einerseits tatsächlich das Vorhandensein einer leichten Geländeerhöhung, andererseits deuten sie besonders in den Bodenbereichen unter der wallartigen Erhöhung eine gestörte Schichtung an. Dieses Ergebnis ist aber relativ schwer auszudeuten, da im gleichen Bereich auch der geologische Untergrund anzusteigen scheint. Auffällig bleiben die im Norden der Bohrstrecke sehr mächtigen Bodenhorizonte, bei denen eine anthropogene Beeinflussung belegt werden konnte. In Bohrung 11 wurden sogar Keramikund Bernsteinfragmente nachgewiesen, die diesen Einfluss in einer Tiefe von 0,7 m bestätigen. Vielleicht handelt es sich bei den nördlich des Walles belegten, anthropogen beeinflussten Bodenschichten um die von Kulakov (2005, 62) postulierte Kulturschicht, die eine Mächtigkeit von 0,7 m besitzen soll. In Bohrung 1 nämlich reichen die Tiefenwerte der gestörten Horizonte bis in 0,9 m unter GOK herab. Abzüglich eines Ackerhorizontes von 275 Dieser Wert stellt einen Arbeitswert dar und stimmt nicht mit der tatsächlichen Höhe über NN überein. Er bezieht sich auf den Messpunkt MP 1, der vor Grabungsbeginn auf 10,00 m definiert wurde. Leider stehen im Arbeitsgebiet keine trigonometrischen Messpunkte zur Verfügung, welche die genaue Einmessung ermöglichen würden. Der angenommene Höhenwert ist daher auf Grundlage des betreffenden deutschen Messtischblattes 1088 (Cranz; vgl. Abb. 13) ermittelt. Dagegen stimmt die relative Höhe der Bohrpunkte zueinander. 179 0,2 m ergäbe sich als Dicke der Kulturschicht ein Wert von 0,7 m. C.4.4.1.4 Oberflächenfunde Neben dem später im Zusammenhang mit den Funden aus Fläche 2 (vgl. Kap. C.5.6.2.3) ausführlicher besprochenen Fibelendknopf (Fu.Nr. D190; Taf. 68, 7) liegen aus Messfläche A keine nennenswerten Streufunde vor, vermutlich auch deshalb, weil das Gelände dicht bewachsen ist und daher weniger intensiv begangen wurde. C.4.4.1.5 Interpretation Für viele Anomalien in Messfläche A wurde durch Bohrungen ein anthropogener Hintergrund wahrscheinlich gemacht. Die Ausgrabung von Objekt an_201/05 in Fläche 1, die einen Ofen der vorrömischen Eisenzeit zutage förderte (vgl. Kap. C.5.1) sowie von Anomalie an_207/05 in Fläche 2, die durch einen aus Steinen trocken gemauerten Brunnen des späten 11. oder beginnenden 12. Jahrhundert verursacht wurde (vgl. Kap. C.5.6), zeigen deutlich, dass dieser Bereich südlich des Hügelgräberfeldes in der Kaup in verschiedenen Zeiten als Siedlungsfläche genutzt wurde. Weitere Datierungen liegen aus diesem Bereich nicht vor, so dass eine weitere zeitliche Aufschlüsselung nicht möglich ist. Andererseits ermöglichen die Bohrergebnisse aber eine Zuweisung zu bestimmten Befundkategorien, etwa zum Befundtyp der Ofen- oder Feuerungsanlagen. Wenn zwei Befunde räumlich sehr dicht beieinander liegen, wie beispielsweise die beiden Anomalien an_201/05 und an_202/05 und eines dieser Objekte durch die Ausgrabungen und die Analyse von 14C-Proben datiert ist, dann liegt die Vermutung nahe, dass auch der zweite Befund der gleichen Zeit angehört. Es könnte sich um funktional ausgesonderte Bereiche innerhalb einer Siedlungsstruktur handeln. Ähnliches lässt sich für die beiden als Feuerungsanlagen oder Öfen interpretierbaren Objekte an_213/05 und an_214/05 in der nordwestlichen Erweiterung der Messfläche unterstellen, zu denen Hinweise auf eine Datierung bislang fehlen. Durch den Ofenbefund an_201/05 liegen deutliche Anzeichen auf eine Siedlung der vorrömischen Eisenzeit vor, mit der auch die von Kulakov (2006) im Jahr 2006 in Grabungsschnitt T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 180 Abb. 81 Wiskiauten. Vermutete Wallstruktur südlich des Wäldchens Kaup. Bohrcatena. Die untere schwarze Linie gibt die Unterkanten der anthropogen beeinflussten Bodenhorizonte an, die obere Linie die Höhenwerte des Geländes. In der Y-Achse ist die Höhe über NN angeben. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Abb. 82 Wiskiauten. Vermutete Wallstruktur südlich des Wäldchens Kaup. Schematisiertes Profil, umgerechnet auf die Länge der tatsächlichen Bohrstrecke. „3a“ ausgegrabene verziegelte Struktur etwa 20 m östlich von Fläche 1 zusammenhängen könnte. Kulakov (ebd.) datierte den als Reste einer Befestigung interpretierten Streifen von leicht verziegeltem Lehm aufgrund einiger Streufunde im Ackerhorizont in die Wikingerzeit. Diese Datierung ist genauso problematisch wie die Übertragung der Datierung von Fläche 1 auf diesen Befund. Die räumliche Nähe spricht eher für eine zeitliche Gleichsetzung von Kulakovs Grabungsschnitt „3a“ und dem Ofen aus Fläche 1. Dass hinter einigen Anomalien in Messfläche A Befunde des 11. und 12. Jahrhunderts zu vermuten sind, zeigen die Ausgrabungsergebnisse an Anomalie an_207/05 in Fläche 2. Der hier freigelegte, massive Brunnen, dessen Bau einen enormen organisatorischen und technischen Aufwand bedeutete, und die Verfüllung des Brunnenschachtes mit typischen Siedlungsfunden sind nur vor dem Hintergrund einer Niederlassung dieser Zeit zu verstehen. Inwieweit das 14C-Datum einer Holzkohleprobe aus der Verfüllung, die in die Zeit zwischen 902 und 1023276 datiert wurde, auf SiedlungsKIA 32001: Radiocarbon Age: BP 1050 +/- 25, OneSigma-Range: cal AD 983-1017, Two-Sigma-Range: cal AD 902-1023. 276 Die Siedlungsforschungen 181 Abb. 83 Wiskiauten. Messfläche B. Lage der durch Bohrungen überprüften Anomalien. spuren des 10. und frühen 11. Jahrhunderts in der Umgebung hindeutet und damit Hinweise auf eine zum Gräberfeld zeitlich parallele Siedlung liefert, wird später diskutiert (Kap. C.5.6.4). C.4.4.2 Messfläche B Messfläche B (Taf. 87; Abb. 83; zur Lage vgl. Abb. 66) besteht aus einem 100 m breiten und 300 m langen Feld parallel zur westlichen Waldkante der Kaup, an den im Norden und Süden in westlicher Richtung zwei ähnliche große Felder in westlicher Richtung anschließen. Insgesamt ist auch hier eine lose Bedeckung mit größeren und kleineren Anomalien erkennbar, wenngleich die Gesamtzahl niedriger einzuschätzen ist als beispielsweise in den Messflächen A, C oder gar D. Lineare Strukturen sind nur selten auszumachen. Eine etwa 5 m breite Struktur schwach gräulicher Färbung bei einem Wert von +/- 3 nT zieht sich von der nah am westlichen Waldrand liegenden Anomalie an_8/05 mit weißem Hof, bei der es sich um eine Ofenanlage handeln dürfte, in nordwestlicher Richtung (Abb. 83). Sie ist bislang noch nicht untersucht worden, so dass keine Interpretationsansätze vorliegen. Auch in Messfläche B sind die bereits in Messfläche A beobachteten linearen Strukturen zu erkennen, die sich in regelmäßigen Abständen bei west-östlicher Ausrichtung über das gesamte Messfeld ziehen. Es dürfte sich um Pflugspuren handeln. In Messfläche B sind mit den Anomalien an_1/05 bis an_11/05, an_25/05 bis 182 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung an_32/05 sowie an_39/05 insgesamt 20 Objekte durch Bohrungen überprüft worden. Etwa die Hälfte lieferte Hinweise auf archäologische Befunde. C.4.4.2.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Anomalie an_7/05 Die bei einem Messwert von +/- 3 nT als 1,6 m großer, rundlicher schwarzer Fleck im Messbild (Abb. 84) erkennbare Anomalie an_7/05 reduziert sich bei einem Messwert von +/- 24 nT zu einer rundlichen grauen Fläche von 1,0 m Durchmesser. Eine im Anomalienmittelpunkt durchgeführte Bohrung ließ unter dem Ackerhorizont von 0,35 m lediglich eine 0,3 m mächtige graubraune Schicht inhomogenen Erdmaterials erkennen, bevor ab 0,65 m der anstehende Lehmboden auftrat. Es könnte sich um einen archäologischen Befund handeln, da eine unnatürliche Schichtung bis 0,65 m auftrat. Siedlungsanzeigende Einschlüsse wie Holzkohle oder Rotlehm oder gar Keramikreste sind allerdings nicht beobachtet worden. Anomalie an_8/05 Bei einem Messwert von +/- 3 nT (Abb. 84) zeigte ein schwarzes Oval von 2,8 x 2,2 m Größe Anomalie an_8/05 an. Sie weist einen deutlich ausgeprägten, nach Norden orientierten weißen Hof auf. Selbst bei einem Wert von +/- 24 nT ist der schwarze Kern der Anomalie noch 2,3 m lang, der weiße Hof allerdings nur noch als schwacher Grauschatten sichtbar. Die Bohrung lieferte deutliche Hinweise auf ein archäologisches Objekt. Unter einem Ackerhorizont von 0,35 m Dicke bestand der Bohrkern bis zum Ende der Bohrung bei 1,0 m aus rötlich verziegeltem Lehm. Mit großer Wahrscheinlichkeit liegt hier ein Befund vor, bei dem große Hitzeeinwirkung eine Verziegelung ausgelöst hat oder der sekundär mit verziegeltem Material verfüllt worden ist. Eine Datierung fehlt. Anomalie an_11/05 Anomalie an_11/05 zeigt sich im Messbild bei +/- 3 nT (Abb. 85) als etwa 7,2 m lange und 2 m breite, südwest-nordöstlich ausgerichtete, längliche Anomalie schwarzer Farbe, der im Nordwesten auf der gesamten Länge ein weißer Hof vorgelagert ist. Mit zunehmenden nT-Werten aber verringert sich die längliche Anomalie zu einem punktuellen, rundlichen Kern mit einem Durchmesser von 1,6 m bei einem Wert von +/- 12 nT. Die Form der zuvor so deutlich sichtbaren länglichen Struktur wird nur noch durch einen leichten Grauschatten angedeutet. Bei einem Messwert von +/- 24 nT ist nurmehr ein unregelmäßig schwarzer Fleck von 1,0 m Durchmesser zu erkennen. Die zur Überprüfung durchgeführte Bohrung hat offenbar den ovalen Kern der Anomalie um etwa 0,8 m verfehlt und gibt demnach den Schichtenaufbau in der länglichen Struktur wieder. Mit 0,2 m Dicke ist hier der Ackerhorizont nur sehr schwach ausgeprägt. Darunter folgte zunächst bis 0,5 m eine gräulichbraune, humose Erdschicht, die sehr inhomogen wirkte. Zwischen 0,5 und 0,75 m zeigte sich das gleiche Erdmaterial, das aber in diesem Bereich wesentlich stärker verdichtet war. Ab 0,75 m Tiefe traf der Bohrer auf einen Stein. Weitere Untersuchungen fehlen, so dass die Anomalie nur unsicher als archäologisch relevanter Befund eingestuft werden kann. Auffällig bleiben die deutlich durchmischten Erdschichten zwischen Ackerhorizont und Stein, die nicht dem natürlichen Bodenaufbau in diesem Bereich entsprechen. Anomalie an_25/05 Die rundliche schwarze Anomalie an_25/05 weist bei einem Messwert von +/- 3 nT einen Durchmesser von 1,6 m auf, ist aber bei einem Wert von +/- 24 nT nur noch als leichter Grauschatten vorhanden (Abb. 85). Unter dem 0,3 m mächtigen, humosen Oberboden zeigte sich im Bohrkern bis in eine Tiefe von 0,87 m eine dunkelbraune, sehr stark humose Schicht mit Knochenresten und Holzkohleeinschlüssen. Eine Datierung liegt bislang nicht vor. Entweder handelt es sich bei diesem Objekt um einen archäologischen Befund oder um eine natürliche Bodensenke, in die aufgrund unbekannter Prozesse von einer in der Umgebung liegenden Siedlung Bodenmaterial eingelagert worden ist. Anomalie an_26/05 Als Anomalie an_25/05 wird eine längliche Struktur von 10,2 m und einer Breite von 2,4 m bezeichnet, die bei einem Messwert von +/- Die Siedlungsforschungen 3 nT erkennbar ist (Abb. 86). Schon bei einem Wert von +/- 6 nT löst sich die Struktur in vier kleinere, ovale Objekte mit Längen bis max. 1,5 m und Breiten bis 0,6 m auf, die in eine nun grau erscheinende Zone eingebettet liegen. Bei einem noch höheren Messwert von +/- 12 nT wirkt die gesamte ehemals schwarze Anomalie nun durchgehend grau. Die Bohrung erfolgte etwa in der Mitte der bei einem Wert von +/- 3 nT zu wahrzunehmenden Struktur. Unter dem 0,35 m dicken Ackerboden folgte zunächst für 0,1 m ein Übergangshorizont, der ab 0,45 m von einer dunkelgrauen, manchmal schwarzen, fast torfartig wirkenden Erdschicht mit sehr hohem Humusanteil abgelöst wurde. Sie enthielt relativ viele kleine Holzkohlestückchen und Rotlehmpartikel und reichte bis zum anstehenden Lehmboden in 0,6 m Tiefe. Anomalie an_29/05 Als rundlicher Befund von 1,6 m Durchmesser tritt Anomalie an_29/05 bei einem Messwert von +/- 3 nT in Erscheinung (Abb. 86). Bei einer Darstellung mit +/- 24 nT ist sie kaum noch im Messbild wahrzunehmen. Die Bohrung im Mittelpunkt zeigte unter dem 0,4 m dicken Ackerhorizont eine bis in eine Tiefe von 0,97 m dunkelgrau gefärbte, aus sehr stark tonigem Material bestehende Erdschicht. Sie enthielt an mehreren Stellen Holzkohleflitter. Anomalie an_30/05 Die im Messbild bei einem Wert von +/- 3 nT rundliche Anomalie an_30/05 mit einem Durchmesser von 1,6 m ist bei einem Wert von +/- 24 nT nur noch als grauer Schatten von 1,2 m Durchmesser zu erkennen (Abb. 87). Im Bohrkern fand sich unter dem Ackerhorizont lediglich eine gräuliche Schicht aus sehr stark tonigem Material mit Holzkohleflittern zwischen 0,3 und 0,4 m Tiefe. Anomalie an_31/05 Mit einer Länge von 3,8 m und einer Breite von 0,7 m bei westöstlicher Ausrichtung ist Anomalie an_31/05 im Messbild bei einem Wert von +/3 nT sichtbar (Abb. 87). Auch bei +/- 24 nT ändert sich bei gleichbleibender Größe lediglich die Farbgebung. Die Anomalie ist nur noch als Grauschatten wahrzunehmen. Durch die Bohrungen konnten jedoch keine Auffälligkeiten festgestellt werden, unter dem Ackerhorizont 183 von 0,3 m Dicke fand sich, abgesehen von einer nur undeutlich erkennbaren Übergangsschicht gräulicher Farbe aus tonigem Material, lediglich der anstehende Lehmboden. Anomalie an_32/05 Interessant ist das Bohrergebnis zu Anomalie an_32/05, die durch die Bohrungen offenbar aufgrund eines Messfehlers nicht richtig erfasst worden ist. Sie liegt etwa 1,3 m nordöstlich einer kleinen, punktuellen Anomalie mit einem Durchmesser von nur 0,7 m bei einem Messwert von +/- 3 nT (Abb. 88). Interessanterweise zeigte sich auch hier im Bohrbild eine Schicht zwischen 0,3 und 0,55 m Tiefe, die genau die gleiche graue Farbe und die Zusammensetzung aus tonigem Material aufwies wie die tatsächlich durch die Bohrungen erfassten Anomalien. C.4.4.2.2 Anomalienkonzentrationen Besonders interessant sind die Bohrungen zu den Anomalien an_25/05 bis an_32/05, die alle in einer Anomalienkonzentration in der kleinen dreieckigen Erweiterung in der Nordwestecke der nördlichen Verlängerung von Messfläche B im östlichen Randbereich des Flüsschens Woj gelegen sind (vgl. Abb. 83). Hier fallen lineare Strukturen auf, die sich mäanderartig auf der Fläche verteilen. Es könnte sich um Reste des mehrfach verlagerten Bachlaufes handeln, die sich mit stark humosem Material verfüllt haben. Erstaunlicherweise sind in die Bohrkerne auch Bruchstücke handgemachter Keramik und Tierknochen eingebettet gewesen. Während die Bohrungen zu einigen Anomalien durch die fast überall angetroffene graue Schicht zwischen Ackerhorizont und anstehendem Boden, die fast in allen Bohrungen Holzkohleteilchen aufwies, zunächst auf archäologische Befunde schließen lassen, erstaunt das Ergebnis der Bohrungen an Anomalie an_32/05. Offenbar aufgrund eines Messfehlers liegt die Bohrung außerhalb der eigentlich anvisierten Struktur im geomagnetischen Messbild. Trotzdem konnte auch hier die gräuliche Tonschicht nachgewiesen werden. Möglicherweise handelt es sich in allen Anomalien um Siedlungsreste, die durch Einschwemmungen oder sonstige unbekannte Umlagerungsprozesse in das ehemalige Bach- 184 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 84 Wiskiauten. Anomalien an_07/05 und an_8/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Abb. 85 Wiskiauten. Anomalien an_11/05 und an_25/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 m x 12 m). Abb. 86 Wiskiauten. Anomalien an_26/05 und an_29/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Abb. 87 Wiskiauten. Anomalien an_30/05 und an_31/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Abb. 88 Wiskiauten. Anomalie an_32/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Die Siedlungsforschungen a b 185 es sich bei den vier Anomalien im Nordwesten handeln, die in einer Reihe mit Abständen von ca. 3 m liegen. Viele kleinere Befunde mit ungeklärtem Charakter verteilen sich über die gesamte Fläche. Ob es sich bei eine nur schwach erkennbaren linearen Struktur, die von der Bildmitte in Richtung Südosten verläuft, tatsächlich um einen archäologischen Befund handelt, lässt sich ohne Ausgrabungen nicht klären. C.4.4.2.3 Interpretation c d Abb. 89 Wiskiauten. Messfläche B. Konzentration von Anomalien (Kantenlänge der genordeten Bilder jeweils 26 m) in verschiedenen Darstellungsarten: a: +/- 3 nT; b: +/- 6 nT; c: +/- 12 nT; d: +/- 3 nT mit farblicher Markierung der Anomalien (zur Lage vgl. Abb. 83, roter Kasten). bett oder dessen Randbereiche gelangt sind. Diese Siedlung bislang unbekannter Zeitstellung müsste dann in unmittelbarer Umgebung der Anomaliengruppe gelegen haben. Eine weitere Konzentration von mehreren, bisher noch nicht untersuchten Einzelbefunden liegt in der west-östlich gerichteten, schmalen Erweiterung im Süden von Messfläche B (Abb. 89; zur Lage vgl. Abb. 83, roter Kasten). Zu keiner der zahlreichen kleineren und größeren Anomalien in diesem Ausschnitt liegen Bohrungen vor. Dennoch können einige Befunde im Vergleich mit dem Erscheinungsbild bereits untersuchter Anomalien im Messbild interpretiert werden. So dürfte die Anomalie in der Nordostecke des Bildausschnittes (Abb. 89) eine Feuerungsanlage anzeigen, da sie einen ovalen schwarzen Kern und einen hauptsächlich nach Norden bzw. Nordosten gerichteten weißen Hof besitzt, der dem Bild anderer Anomalien mit erbohrter Verziegelungsschicht entspricht. Um humos verfüllte Gruben oder solche mit einer Verfüllung aus Steinen dürfte Aufgrund der geringen Datenbasis, vor der die Messbilder aus Messfläche B beurteilt werden könnten, sind zuverlässige Interpretationen der Anomalien in diesem Bereich nicht möglich. Interessant ist mit Anomalie an_8/05 ein vermutlicher Ofenbefund. Außerdem fallen die offenbar teilweise mit Siedlungsmaterial verfüllten Anomalien an_1/05 und an_2/05 sowie an_25/05 bis an_32/05 in der nordwestlichen Erweiterung im Randbereich des Flüsschens Woj auf, bei denen es sich vermutlich um ehemalige Seitenarme oder Bachbetten des Woj handelt könnte. Sie müssen als Hinweise auf allgemeine Siedlungsaktivitäten – allerdings bislang unbekannter Zeitstellung – verstanden werden, die im unmittelbaren Umfeld stattgefunden haben dürften. Möglicherweise stehen die Anomalien mit den in Messfläche C zu vermutenden Siedlungsspuren in Zusammenhang, da die räumliche Entfernung relativ gering ist. C.4.4.3 Messfläche C Die 360 m lange und 110 m breite Messfläche C verläuft auf der Westseite des kleinen Baches Woj parallel zu dessen Ufer (Taf. 88; zur Lage vgl. Abb. 66). Sie wurde angelegt, weil sich in vorherigen Bohrungen, besonders im Randbereich, unter dem Ackerhorizont von 0,4 m Mächtigkeit eine Schicht dunkler, stark humoser Erde zeigte. Diese Schicht war zwischen 0,2 und 0,3 m dick und enthielt Keramik- und Tierknochenreste. Insgesamt zeigt sich auch in Messfläche C eine starke Verunreinigung mit Metallschrott, die durch zahlreiche sog. Dipole, magnetische Pole gleicher Größe mit unterschiedlichen Vorzeichen, erkennbar ist. Im westlichen Mittelbereich liegt eine große Anomalie von maximal 186 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung tel aller Bohrungen wurden auffällige Schichten dokumentiert. Zusätzlich liegen hier die beiden Grabungsflächen Fläche 3 aus dem Jahr 2005 und Fläche 20 aus dem Jahr 2008. C.4.4.3.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Anomalie an_18/05 Bei einem Wert von +/- 3 nT ist an dieser Stelle im Messbild eine rundliche Anomalie von 1,8 m Durchmesser sichtbar, die sich bei einem Wert von +/- 12 nT zunächst auf 1 m Durchmesser reduziert und bei +/- 24 nT nur noch als schwach grauer Schatten bemerkbar ist. Die Bohrungen zeigten unter der 0,3 m mächtigen Ackerschicht einen anthropogen beeinflussten Horizont mit Holzkohle- und Rotlehmpartikeln, der bis in eine Tiefe von 0,8 m reichte. Es dürfte sich um einen archäologisch relevanten Befund handeln, der jedoch undatiert ist. Anomalie an_20/05 Abb. 90 Wiskiauten. Messfläche C. Lage der durch Bohrungen überprüften Anomalien 25 m Durchmesser, die durch einen Strommast verursacht wird. Die Anomalienbedeckung ist ähnlich dicht wie in den beiden zuvor besprochenen Messflächen A und B. Am unteren westlichen Rand fällt eine lineare Struktur auf, die diagonal von Nordwesten nach Südosten verläuft. Zur Überprüfung abgeteufte Bohrungen erbrachten kein eindeutiges Ergebnis. Im Mittelbereich der Messfläche liegen einige größere Anomalien konzentriert beieinander, auch im Nordwesten zeigt sich eine Anhäufung auffälliger Objekte, ansonsten sind die Anomalien ohne erkennbares System über die gesamte Fläche verteilt. Ihre Gesamtzahl ist nicht sehr hoch einzuschätzen. Insgesamt 34 Anomalien sind durch Bohrungen überprüft worden (Abb. 90). In zwei Drit- Zusammen mit den Anomalien an_19/05, an_22/05 und an_35/05 bis an_37/05 liegt Anomalie an_20/05 im westlichen Uferbereich des drainierten Baches Woj. Sie stellt sich bei einem Wert von +/- 3 nT als max. 3,3 m große, amorphe schwarze Fläche dar, die bei einem Wert von +/- 24 nT kaum noch wahrnehmbar ist (Abb. 91). Die Magnetisierung ist also nicht besonders stark. Die Bohrungen erbrachten hier eine zwischen 0,42 und 0,6 m Tiefe liegende Schicht dunkelbraunen Erdmaterials mit Einschlüssen von Tierknochen und Holzkohle. Darunter folgte zwischen 0,6 und 0,75 m ein stark humoser, schwarzbrauner Bodenhorizont, der ebenfalls Holzkohlepartikel enthielt. Es dürfte sich um eine Kulturschicht handeln, mit großer Wahrscheinlichkeit liegt anthropogener Einfluss vor. Anomalie an_22/05 Etwas schwächer ausgeprägt ist die vermutliche Kulturschicht bei Anomalie an_22/05. Hier zeigt sich im Messbild bei einem Wert von +/3 nT eine etwa 2,2 m lange und 1,0 m breite schwarze Struktur, die bei einem Wert von +/- 24 nT nur noch als kleiner schwarzer Kern von etwa 0,4 m erkennbar ist (Abb. 91). Auch hier liegt die zur Überprüfung durchgeführte Bohrung bei geringen Messwerten inner- Die Siedlungsforschungen 187 Abb. 91 Wiskiauten. Anomalien an_20/05 und an_22/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). halb, bei höheren Werten aber außerhalb der vermeintlichen Anomalie. Im Bohrkern war dementsprechend eine 0,15 m dicke schwarze Schicht aus dunkelbraunem bis gräulichem, humosem Sand-Lehm-Gemisch zu dokumentieren, die wenig Holzkohle enthielt. Sie liegt zwischen dem Ackerhorizont und dem anstehenden Lehmboden in einer Tiefe von 0,5–0,65 m. Es dürfte sich um Reste einer Kulturschicht handeln. Anomalie an_23/05 Mit einem Durchmesser von 2,5 m zeigt sich Anomalie an_23/05 bei einem Wert von +/- 3 nT im geomagnetischen Messbild. Die Form ist annähernd rund. Dagegen erscheint sie bei einem Wert von +/- 12 nT nunmehr oval. Die Anomalie hat in diesem Zustand Maße von 2,0 x 1,7 m und ist ost-westlich ausgerichtet. Sie zeichnet sich nun als grauer Schatten ab, der bei leicht verringerter Größe auch bei +/- 24 nT noch deutlich sichtbar bleibt. Unter dem Ackerhorizont, der in einer Tiefe von 0,33 m unter der Geländeoberfläche endete, folgte in der Bohrung zunächst bis 0,5 m Tiefe ein anthropogen beeinflusster Mischhorizont mit Holzkohleanteilen, dem bis 0,9 m Tiefe ein zweiter Mischhorizont, ebenfalls mit relativ viel Holzkohle, folgte. Dies sind klare Indokatoren auf einen archäologischen Befund, der allerdings bislang nicht datiert werden kann. Anomalie an_36/05 Diese Anomalie lässt sich bei einem Wert von +/- 3 nT als rundlicher schwarzer Fleck von 1,4 m Durchmesser beschreiben (Abb. 92). Bei einem Messwert von +/- 24 nT hat sich die Anomalie auf einen kleinen schwarzen Kern im Südosten mit einem Durchmesser von 0,35 m verkleinert, während an Stelle der vorherigen schwarzen Anomalie nun nur noch ein leichter grauer Schatten zu erkennen ist. Die Bohrung sitzt von diesem kleinen schwarzen Kern etwa 0,6 m in nordwestlicher Richtung entfernt. Im Bohrkern war jedoch eine deutlich anthropogen beeinflusste Schichtenabfolge zu beobachten. So folgte unter dem Ackerhorizont mit einer dunkelbraunen Erdschicht zwischen 0,3 und 0,5 m zunächst eine Art Übergangshorizont zur darunterliegenden Schicht. Diese nächste Schicht zwischen 0,5 und 0,65 m enthielt bei graubrauner Farbe relativ viele kleine Holzkohlestückchen. Abgelöst wurde sie von einem Horizont aus dunkelgrauem, stark tonigem Erdmaterial, in das neben Holzkohle in einer Tiefe von 0,85 m auch ein Stück Keramik eingebettet war, bevor ab 1,28 m der anstehende, grundwasserbeeinflusste graue Lehmboden mit rötlichen Eisenausfällungen auftrat. Vermutlich handelt es sich um einen archäologischen Befund. Anomalie an_21/05 Bei Anomalie an_21/05, die den Anomalien an_52/05 und an_38/05 direkt benachbart liegt, dürfte es sich um einen Befund mit Feuereinwirkung handeln, der auf eine Feuerungsanlage oder einen Ofen hinweisen könnte277. Darauf deutet neben dem Erscheinungsbild bei einem Wert von +/- 3nT, das die Anomalie als ovales Objekt von 2,5 x 1,8 m mit einem im Norden vorgelagerten weißen Hof zeigt (Abb. 92), auch die durch die Bohrungen dokumentierte VerDiese Anomalie wurde im Sommer 2008 durch Fläche 20 untersucht, wobei eine Herdstelle oder Feuergrube freigelegt wurde. Zwei Holzkohleproben aus dem Befund lieferten eine Datierung ins 4.–7. Jahrhundert (KIA 37240: Radiocarbon Age: BP 1475 +/- 27, One-Sigma-range: cal AD 563-616, TwoSigma-Range: cal AD 547-640; KIA 37241: Radiocarbon Age: BP 1641 +/- 29, One-Sigma-range: cal AD 352-503, Two-Sigma-Range: cal AD 337-533). 277 188 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 92 Wiskiauten. Anomalien an_21/05 und an_36/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). ziegelungsschicht in 0,35–0,55 m Tiefe hin. Sowohl 2 m westlich als auch 2 m östlich ließ sich eine holzkohlehaltige dunkle Bodenschicht bis 0,75 m Tiefe nachweisen, die eine Einbettung des Befundes in ein ebenfalls anthropogen beeinflusstes Umfeld wahrscheinlich macht. Anomalie an_52/05 Anomalie an_52/05, ca. 7 m weiter westlich gelegen, kann als Befund mit starker Konzentration von Holzkohle und Rotlehm in der Verfüllung charakterisiert werden und ist bis in eine Tiefe von 0,75 m unter der Geländeoberfläche erhalten. Im Messbild bei +/- 3 nT hat sie mit einer Breite von 2 m in Nord-süd-Richtung eine Länge von etwa 3 m bei ovaler Form (Abb. 93). Auch bei höheren nT-Werten bleibt der Befund, wenn auch abgeschwächt, deutlich sichtbar. Eine zweite Bohrung 2,5 m nördlich des Mittelpunktes enthielt ab einer Tiefe von 0,3 m eine Schicht von 0,15 m Mächtigkeit und deutet dadurch ebenfalls auf eine Einbettung des Befundes in eine Siedlungsschicht hin. Nur 1 m weiter nördlich war diese Schicht in der dritten Bohrung allerdings nicht mehr nachweisbar. Entweder liegt hier somit eine kurzfristige Unterbrechung vor oder die Schicht ist tatsächlich auf das Umfeld der Befunde begrenzt. Vermutlich handelt es sich bei Anomalie an_52/05 um eine Siedlungsgrube. Anomalie an_38/05 Der 14 m weiter südlich gelegene Befund an_ 38/05 besitzt im Messbild bei verschiedenen Messwertbereichen einen weißen Kern von max. 1,3 m Durchmesser bei rundlicher Form, um den ringsum ein schwarzer Hof von max. 3,8 m Durchmesser angelagert ist (Abb. 93). Erstaunlicherweise konnte durch die Bohrung im Zentrum lediglich eine Siedlungsschicht von 0,15 m Mächtigkeit in einer Tiefe zwischen 0,35 m und 0,5 m dokumentiert werden, die als Siedlungsanzeiger Holzkohle und Knochenpartikel enthielt. Anomalie an_56/05 Bei einem Wert von +/-3 nT zeigt ein schwarzer, rundlicher Fleck mit einem Durchmesser von 2 m und einem sehr deutlich ausgebildeten weißen Hof, der die gesamte Anomalie umrahmt. Dieser Hof ist auch bei +/- 12 nT noch schwach sichtbar ist. Die Anomalie dagegen hat sich zwar auf 1,8 m Durchmesser verkleinert, erscheint aber unverändert schwarz. Auch bei +/24 nT ist sie sehr deutlich sichtbar. Der Durchmesser beträgt nun 1,5 m. Zwischen 0,3–0,53 m Tiefe zeigte sich in der Bohrung eine Verziegelungsschicht, die darauf schließen lässt, dass es sich um einen Befund mit Feuereinwirkung handelt. Eine Datierung liegt für den Befund noch nicht vor. Abb. 93 Wiskiauten. Anomalien an_52/05 und an_38/05 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Die Siedlungsforschungen C.4.4.3.2 Anomalienkonzentrationen In Messfläche C sind an mehreren Stellen Häufungen verdächtiger Anomalien festzustellen. Exemplarisch soll hier ein Ausschnitt von 26 x 26 m aufgezeigt werden, der im Nordwesten der Fläche liegt. Dieser Bereich (zur Lage vgl. Abb. 90, roter Kasten) enthält die drei Anomalien an_21/05, an_38/05 und an_52/05, die durch Bohrungen überprüft wurden. In allen Fällen ist ein anthropogener Einfluss wahrscheinlich. Als Auslöser für Anomalie an_21/05 ist durch Fläche 20 eine Feuerstelle nachgewiesen worden, die nach Ausweis der 14C-Daten278 in das 4.–7. Jahrhundert gehört. Insgesamt deutet sich hier das Vorhandensein einer flächigen Siedlungsschicht an, die zumindest an das nähere Umfeld der in den Messbildern erkannten Befunde gebunden scheint. Zusätzlich zeigt das Messbild in der unmittelbaren Umgebung der drei Befunde zahlreiche weitere Anomalien (Abb. 94d, grün markiert) auf, die bisher noch nicht untersucht worden sind. Bei längerer Betrachtung der Messbilder scheint sich sogar ein relativ unruhiger Bereich um diese Befunde herum von einer ruhigeren, ungestörter wirkenden Umgebung abzugrenzen. Die Form des unruhigen Bereiches ist annähernd quadratisch (Vgl. Abb. 94, a-d). Als vorsichtige Interpretation ist hier an ein Siedlungsgefüge zu denken, das aus funktional differenzierten Befunden bestehen und gegen die Umgebung durch Zäune abgegrenzt sein könnte. Immerhin deutet sich hier das Potential an, bei entsprechend höherer Datenmenge Interpretationsmodelle im Sinne einer Arbeitshypothese zu entwickeln, die auf eine Vergleichbarkeit ähnlicher Befundgruppierungen abzielt. C.4.4.3.3 Oberflächenfunde Besonders der Bereich westlich des Woj-Flusses erbrachte bei unregelmäßigen Oberflächenbegehungen einige Streufunde, die teilweise mit dem Metalldetektor lokalisiert wurden279. Neben zahlreichen neuzeitlichen Metallobjekten fanden sich mehrere Bronzeobjekte und ein Gegenstand aus Blei, die hier näher beschrieVgl. 14C-Datierung KIA 37240 und 37241 (vgl. Kap. E.2.2–3). 278 Keiner der Funde ist mit genauen Koordinaten eingemessen. Sie lassen sich nur grob dem nördlichen Teil des Messbildes zuordnen. 279 189 a c b d Abb. 94 Wiskiauten. Messfläche C. Deutliche Konzentration mehrerer Anomalien (Kantenlänge der genordeten Bilder jeweils 26 m) in verschiedenen Darstellungsarten: a: +/- 12 nT; b: +/ - 6 nT; c: +/- 3 nT; d: +/- 3 nT mit Markierung verdächtiger Anomalien. ben werden sollen. Ein kleiner, tropfenförmiger Gegenstand aus Bronze (Abb. 95; Taf. 85, 9) mit einer Gesamtlänge von 21 mm weist eine flache Rückseite mit einer Rille in Längsrichtung auf, an der möglicherweise eine Vorrichtung zur Befestigung angebracht gewesen ist. Die Vorderseite ist stark abgegriffen oder verschliffen, es ist keine Verzierung erkennbar. Den Abschluss bildet an einer Seite ein knopfartiger Fortsatz, der durch eine flache Einkerbung vom Rest abgesetzt ist und an eine Maske mit zwei Augen erinnert. Auch auf dem Abschluss auf der gegenüberliegenden Seite sind zwei kleine, muldenartige Vertiefungen auszumachen, die Augen darstellen könnten. Die Funktion des Objektes bleibt unklar, möglicherweise handelt es sich um Kleidungsbesatz. Auch die Zeitstellung ist bisher ungeklärt, da Analogien fehlen. Ein weiteres, flaches Objekt aus Bronze (Abb. 95; Taf. 85, 10) ist von länglich-rechteckiger Gestalt und etwa in der Mitte gebrochen, die zweite Hälfte fehlt. Es weist eine erhaltene Länge von 41 mm und eine Breite von max. 190 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 95 Wiskiauten. Messfläche C. Detektorfunde. Links: Tropfenförmiges Objekt aus Bronze (Fu.Nr. D3). – Rechts: rechteckiges, fragmentiertes Objekt aus Bronze (Fu.Nr. D2). Abb. 96 Wiskiauten. Detektorfunde aus dem Bereich des Woj. Links: Kugelförmiges Eisengewicht mit Messingummantelung. - Mitte: Flaches Bronzegewicht mit Kreuzmarkierung. - Rechts: Bronzene Schelle. 16 mm auf. Der erhaltene Abschluss ist leicht gerundet, die geraden Kanten laufen zur fragmentierten Mitte hin leicht aufeinander zu. Auf der Oberseite trägt der Gegenstand je zwei parallele, gekrümmte Linien, deren Exaktheit darauf hindeutet, dass sie mit einem zirkelartigen Instrument ausgeführt worden sind. Das Blech weist an der leicht gerundeten Ecke an der erhaltenen Seite ein Loch von 2 mm Durchmesser auf, eine weitere, etwas größere Durchlochung an der Bruchstelle ist nur zur Hälfte erhalten. Auch bei diesem Fund sind Zeitstellung und Funktion unklar. Ein zylinderförmiger, etwa 70 mm langer Gegenstand aus Blei (Fu.Nr. D8) mit einem Durchmesser von 30 mm könnte als Netzsenker angesprochen werden, da sich an einer Schmalseite eine rillenartige Vertiefung zur Aufnahme einer Schnur befindet. Das Stück weist auf ganzer Länge eine unregelmäßige Durchlochung von 3-4 mm Durchmesser auf. Besonders interessant ist eine Gruppe von De- tektorfunden, die im Heimatmuseum Selenogradsk (ehemals Cranz) aufbewahrt werden und im Jahr 2005 von illegalen Detektorgängern getätigt worden sein sollen. Es handelt sich um insgesamt zwölf Funde280, die in zwei verschiedenen Arealen in der Nähe der geomagnetischen Messflächen entdeckt worden sein sollen. Sieben Objekte stammen aus dem Bereich des Woj und somit wahrscheinlich aus Messfläche C oder D, darunter zwei Gewichte, zwei Silbermünzen, zwei Schnallen und eine Schelle. Die beiden Gewichte gehören unterschiedliDiese Funde sind bisher unpubliziert, eine genaue Untersuchung konnte während der Grabungsarbeiten nicht vorgenommen werden, da ihr Vorhandensein erst in den letzten Tagen der Kampagne im Sommer 2005 bekannt wurde. Eine Nummerierung der Funde gibt es bisher nicht, auch Zeichnungen oder Maße stehen nicht zur Verfügung. Lediglich Digitalfotos können hier für eine Beschreibung herangezogen werden. 280 Die Siedlungsforschungen chen Typen an. Das erste Stück (Abb. 96, Mitte) ist aus Bronze gegossen und besitzt einen flachen, fast scheibenförmigen Körper mit nur leicht gewölbter Wandung. Der Durchmesser beträgt ca. 25 mm. Die abgeflachten Seiten tragen auf beiden Seiten als Markierung ein einfaches Kreuz. Das zweite Stück (Abb. 96, links) gehört zum Typ der Kugelzonengewichte, die einen messingummantelten Eisenkern besitzen, der in diesem Fall deutlich an der Korrosion der abgeflachten Ober- und Unterseite erkennbar ist. Möglicherweise aufgrund dieser Korrosion sind Markierungen nicht zu erkennen. Das Gewicht hat eine kugelige Grundform mit einem Durchmesser von ca. 40 mm, die Wandung ist bei einer Höhe von 30 mm deutlich gewölbt281. Die Enden sind abgeflacht. Durch die kleinen Polflächen lässt sich das Gewicht dem Typ B2 nach Steuer (1984, 283; 1997, 47) zuweisen, der allgemein im 10. und 11. Jahrhundert aufzukommen scheint (ders. 1973, 20; 1997, 48). Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich anfangs auf die Gebiete südlich der Ostsee (ders. 1973, 13; 1997, 48), später auch auf Nordund Nordosteuropa bzw. den gesamten Raum rund um die Ostsee. Auch im 12. und 13. Jahrhundert sind sie zahlreich belegt (ebd.). Bei der kleineren der beiden Silbermünzen (Abb. 97, rechts) mit einem Durchmesser von knapp 20 mm handelt es sich um eine deutsche Münze, die in Worms unter Kaiser Otto II. oder wahrscheinlicher Otto III. im Zeitraum zwischen 983 und 1002 geprägt wurde282. Dafür lässt sich neben der schlecht lesbaren Umschrift „Mogetium“ vor allem das Dach der auf der Rückseite zu erkennenden kleinen Holzkirche anführen, deren Giebel aus zwei Linien besteht, die sich an ihren Fußpunkten berühren. Dieses Merkmal spricht eindeutig für Worms als Prägeort (Hatz 1961, 148). Die zweite Silbermünze (Abb. 97, links) ist auf den Bildseiten stark abgegriffen, so dass bisher nur eine vorläufige Bestimmung erfolgt ist. Es handelt sich um eine arabische Münze, geprägt in der Regierungszeit von Harun alDas Gewicht war nicht ermittelbar, da der Fund nur kurze Zeit zur Dokumentation zur Verfügung stand. 281 Für die Bestimmung der Münze dankt Verf. H. Mäkeler (Kiel). 282 191 Raschid, Kalif der Abbassiden, um 803–810283. Die ursprünglich etwa 35 mm große Münze ist durch zwei gerade Schnittkanten auf die jetzige Größe reduziert. Diese Abtrennungen stellen ein übliches Phänomen bei wikingerzeitlichen Münzen dar und sprechen für eine lange Umlaufzeit der überwiegend im 8. und 9. Jahrhundert geprägten Exemplare. Sie wurden in Form von Hacksilber als Gewichtsgeld benutzt. Die ab dem 10. Jahrhundert aufkommenden Zerteilungen (Steuer 2004, 69) dienten der Gewinnung kleinerer Gewichtseinheiten. Demnach dürfte auch die hier besprochene Münze nicht vor dem 10. Jahrhundert in den Boden gelangt sein. Die kleine Bronzeschelle (Abb. 96, rechts) mit einem Durchmesser von max. 25 mm stammt vermutlich vom Pferdegeschirr oder von einem Brustgehänge der weiblichen Tracht. Ähnliche Schellen stammen aus Männergräbern von Wiskiauten mit Reitzubehör (vgl. z.B. Grab 48; von zur Mühlen 1975, 133 Taf. 34, 10), in denen sie als Pferdeschellen interpretiert werden, sowie aus Frauengräbern mit Trachtausstattung, wo sie vermutlich am Kettengehänge getragen wurden. Als Vergleichsfund lässt sich hier das Grab SHM 27739:1d von Barshalder, Ksp. Grötlingsbo, von der Insel Gotland anführen (Thunmark-Nylén 1995, Abb. 45b), bei dem die Schelle am Ende eines Kettenstranges hing. Alle Schellenfunde im ehemaligen Ostpreußen, die vor dem Zweiten Weltkrieg geborgen wurden, stammen offenbar aus dem Gräberfeld von Wiskiauten (von zur Mühlen 1975, 119 Fundliste 48; vgl. auch Kap. B.5.4.2.5). In neuerer Zeit sind jedoch viele Schellen aus prussischen Gräbern bekannt geworden, so beispielsweise aus dem Gräberfeld von Klincovka (Irzekapines; vgl. Kulakov 1990). Das Fragment einer Ringfibel mit Stegornamentik (Abb. 98, Mitte) lässt sich dem sog. kurischen Typ nach Kulakov (1990, 19) zuweisen, der hauptsächlich im 11.–13. Jahrhundert in baltischen Fundzusammenhängen vorkommt. Ein komplett erhaltenes Exemplar wurde in Fläche 4 (vgl. Kap. C.5.7.2.3) gefunden, ein weiteres Fragment liegt als Streufund in der Umgebung dieser Grabungsfläche vor (vgl. Kap. C.4.4.4.1). Weitere Detektorfunde sind durch eine schlichFreundliche Information von Dr. A. Fomin (Kaliningrad), vermittelt durch V. I. Kulakov. 283 192 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 97 Wiskiauten. Detektorfunde aus dem Bereich des Woj. Links: arabische Silbermünze mit Hackspuren, 9. Jahrhundert. – Rechts: Deutsche Silbermünze, 10. Jahrhundert. Abb. 98 Wiskiauten. Detektorfunde aus dem Bereich des Woj: links: Bronzeperle. – Mitte: Fragment einer Ringfibel mit Stegornamentik. – Rechts: Bronzeschnalle. te, rundliche Bronzeperle (Abb. 98, links) und eine Schnalle aus Bronze repräsentiert (Abb. 98, rechts). C.4.4.3.4 Interpretation Messfläche C enthält eine Reihe interessanter Anomalien, die zunächst auf anthropogenen Einfluss hinweisen, ohne allerdings näher datiert zu sein. Mit Datierungen versehen sind dagegen die beiden Anomalien an_19/05 und an_21/05. Sie wurden in den Grabungsschnitten Fläche 3 und Fläche 20 erfasst. Bereits im Jahr 2005 gelang in Fläche 3 im Randbereich des Baches Woj, die Anomalie an_19/05 untersuchte, der Nachweis einer bis zu 0,4 m mächtigen Kulturschicht mit zahlreichen Keramik- und Tierknochenfragmenten, die als Anzeichen einer Siedlung gewertet werden kann. In der Nordostecke wurde als einziger Befund eine kleine Grube angeschnitten, deren Funktion jedoch unklar blieb. Die insgesamt zwei 14 C-Datierungen verlegen die in Fläche 3 erkannten Siedlungsreste ins 7.–10. Jahrhundert, wobei aufgrund der Schnittmenge der beiden Datierungsergebnisse das 8. Jahrhundert als Entstehungszeit am wahrscheinlichsten ist. Die bislang nur vorläufig ausgewertete, zur Überprüfung von Anomalie an_21/05 angelegte Fläche 20 mit einer länglichen Feuerstelle deutet aufgrund der 14C-Datierung auf die Zeit des 4.–7. Jahrhunderts und somit auf frühere oder zeitgleiche Siedlungsspuren hin. Neben den zahlreichen Keramikfunden aus beiden Grabungsschnitten liegt als einziger Sonderfund das Fragment einer blauen, scheibenförmigen Glasperle vor, die jedoch keine feinchronologische Einordnung erlaubt. Die Detektorfunde, insbesondere die illegalen, deuten an, dass im gesamten Bereich auch mit Siedlungsspuren des 9.–11. Jahrhunderts zu rechnen ist. Allerdings ist die genaue Herkunft der Funde ungeklärt, diese Vermutung also mit einer gewissen Unsicherheit belastet. Die Anomalien in Messfläche C bilden kein erkennbares System. Für tiefergehende Interpretationsmodelle fehlen weitere Datierungen. Die Siedlungsforschungen Mit großer Wahrscheinlichkeit aber dürfte eine größere Anzahl der Anomalien in den Messbildern ebenfalls der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends angehören. Somit ist dieser Bereich insbesondere für die Frage nach Siedlungsspuren, die zeitgleich zum Hügelgräberfeld sein könnten, von großem Interesse. Zusätzlich bietet die Topographie mit dem süßwasserführenden Bachlauf und der Nähe zur halbinselartigen Geländeformation unter dem deutschen Dorf Wosegau und damit der Nähe zum vermutlich mit dem Kurischen Haff verbundenen Fluss-System einige wichtige Siedlungsvoraussetzungen. Spuren der von Kleemann (1939b, 214) in diesem Bereich vermuteten Fundstelle des 13. und 14. Jahrhunderts sind bei den Untersuchungen nicht dokumentiert worden, wenn man nicht die wenigen Metalldetektorfunde, insbesondere das mit einer Zirkelornamentik versehene längliche Blech (Abb. 86; Taf. 85,10; vgl. Kap. C.4.4.3.3) diesem Zeitraum zuordnen will, eine Annahme, die aufgrund von fehlenden Analogien aber bislang nicht bestätigt werden kann. 193 werden kann. Sechs davon (an_29/06, an_31/06, an_32/06, an_33/06, an_34/06, an_35/06) sind durch Pürckhauer-Bohrungen auf anthropogenen Einfluss hin untersucht worden (zur Lage Abb. 101). Die Konzentration besteht aus einem Bereich mit vielen größeren Anomalien von ca. 2-3 m Durchmesser, die zwei Schwerpunkte bilden. Eine erhöhte Dichte ist dabei östlich der nordsüdlich verlaufenden, linearen Struktur „AK1/ L2“ zu verzeichnen. Die Anomalien scheinen in regelmäßigen Fluchten angeordnet zu sein, wenngleich bisher kein wirkliches System erkennbar ist. Nur wenige größere Objekte liegen noch weiter ostwärts dieses ca. 100 x 40 m großen Bereiches. Den zweiten Schwerpunkt bilden die westlich zwischen den beiden größten linearen Strukturen eingebetteten Anomalien auf einer Fläche ca. 100 x 80 m, die sich aber auch noch auf den Bereich südlich der südwestnordöstlich verlaufenden, linearen Anomalie „AK1/L1“ erstrecken. Hier nimmt die Dichte allerdings ab. C.4.4.4 Messfläche D C.4.4.4.1.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Zwischen der Straße von Wiskiauten nach Wosegau und dem kleinen Fluss Woj nordwestlich des Gräberfeldes wurde mit Messfläche D (Taf. 89; zur Lage Abb. 66) auf einer brachliegenden Wiese ein Areal von max. 1060 m Länge und max. 350 m Breite vermessen. Sie enthält im Wesentlichen die beiden größeren AnomalienKonzentrationen AK1 und AK2 mit diversen kleineren Anhäufungen verdächtiger Objekte. Die Anomalienkonzentration AK1 scheint sich auch in der geomagnetischen Messfläche E östlich der Straße Wiskiauten-Wosegau fortzusetzen. Zumindest finden sich hier auf etwa gleicher Höhe in dem nur 80 m breiten Messausschnitt ebenfalls mehrere Anomalien, zwischen denen sich auch kleine lineare Strukturen erkennen lassen (vgl. Kap. C.4.4.5). Anomalie an_29/06 In der am nördlichsten gelegenen Anomalie an_29/06, die im geomagnetischen Messbild als rundlicher, schwarzer Fleck mit knapp 2,5 m Durchmesser284 erscheint (Abb. 102), konnte durch die insgesamt drei Bohrungen eine vermutlich anthropogen beeinflusste Schichtung bis in eine Tiefe von 0,55 m unter dem 0,15–0,4 m mächtigen Ackerhorizont festgestellt werden. Das graubraune Erdmaterial aus diesem Horizont war überwiegend sandig mit schwachen Lehmanteilen und enthielt Anteile von Rotlehm und Holzkohle. Unter dem anthropogen beeinflussten Horizont steht rötlich-brauner, stark toniger Lehm an. Vermutlich handelt es sich um einen archäologischen Befund, dessen Datierung jedoch aussteht. C.4.4.4.1 Anomalienkonzentration AK1 Anomalie an_33/06 Die Konzentration AK1 erstreckt sich auf einer Fläche von ca. 250 x 200 m nördlich des Gräberfeldes in einer Entfernung von ca. 150–200 m von der rezenten Waldkante (vgl. Abb. 99). Sie besteht aus zahlreichen größeren verdächtigen Objekten über 1 m Durchmesser (vgl. Abb. 100), deren Anzahl auf etwa 100 geschätzt Als amorphe Struktur von max. 2,3 m Durchmesser erscheint Anomalie an_33/06 (Abb. 102) im Messbild. Die Bohrungen belegen eine anthropogene Beeinflussung. Die Bohrung im Bei allen Maßangaben zur Größe der Anomalien wurden die Messbilder mit +/- 3 nT zugrunde gelegt. 284 194 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 99 Wiskiauten. Lage der Anomalienkonzentrationen AK1 und AK2 in Messfläche D. Mittelpunkt der Anomalie zeigte unter dem Pflughorizont von 0,3 m Stärke eine Schicht durchmischten Erdmaterials von dunkelbrauner, leicht gräulicher Färbung bis 0,6 cm unter der Geländeoberfläche. In dieser Tiefe wurde ein mechanischer Widerstand, vermutlich in Form von Steinen, festgestellt. Die zweite Bohrung etwa 1 m südlich weist mit mindestens zwei unterschiedlichen Mischhorizonten bis in eine erbohrte Tiefe von 0,85 m unnatürliche Bodenverhältnisse auf. Siedlungsanzeigende Einschlüsse wie Keramik oder Holzkohle wurden nicht festgestellt. Eine anthropogene Entstehung ist wahrscheinlich, eine archäologische Relevanz ohne klare Datierung dagegen nur zu vermuten. Ansatzweise ist der Befund mit der im Jahr 2005 in Fläche 2 teilweise freigelegten Anomalie an_207/05 zu vergleichen, da auch hier Steine in den Bohrungen auftraten. Sie waren dort allerdings flächendeckend nachgewiesen worden. Anomalie an_35/06 Die leicht ovale Anomalie an_35/06 liegt im westlichen Bereich der Konzentration AK1. Sie besteht aus einem schwarzen Kern von 2,3 x 2 m Ausmaßen mit einem leicht weißlichen Randbereich im Nordosten (Abb. 103). Der Kern bleibt im Gegensatz zu den bisher besprochenen Anomalien auch bei höheren nT-Werten konstant schwarz. Die insgesamt vier Bohrungen zeigen eine flächendeckende Steinlage in einer Tiefe von 0,45–0,5 m unter GOK. Darüber befindet sich ein nicht sicher vom oberen Ackerboden zu trennender Bereich mit möglicherweise zwei unterschiedlichen Schichten, die beide auf anthropogenen Einfluss zurückzuführen sein dürften. Dafür spricht das Vorhandensein von zahlreichen Rotlehmpartikeln und Holzkohle, die im Ackerhorizont fehlen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um einen archäologischen Befund, der mit der in Fläche 2 ausgegrabenen Anomalie an_207/05 vergleichbar sein dürfte. Auch hier wurde eine flächendeckende Steinschicht in ähnlicher Tiefe bei gleicher Form der Anomalie nachgewiesen. Auffallend ist allerdings, dass die Anomalie an_35/06 auch bei höheren nT-Werten bis +/- 24nT noch sehr deutlich her- Die Siedlungsforschungen 195 Abb. 100 Wiskiauten. Messfläche D. Anomalien-Konzentration AK1 nördlich der Kaup (Bildausschnitt: Länge in Nord-Südrichtung ca. 280 m). vortritt, während sie in an_207/05 bei gleichen Werten nur noch als schwach grauer Bereich erkennbar war. Anomalie an_31/06 Anomalie an_31/06 ist im Messbild (Abb. 103) als ovale, nordwestlich-südöstlich ausgerichtete Struktur von 2,8 x 1,7 m Ausdehnung zu erkennen. Bei +/- 3 nT noch deutlich sichtbar ist bei Werten von +/- 12 nT nur noch schwach eine Anomalie auszumachen, bei +/- 24 nT ist die Anomalie fast verschwunden. Die Bohrergebnisse belegen einen Mischhorizont bis 0,6 m unter der Geländeoberfläche, der aber sehr undeutlich ist und bei der Ansprache im Feld große Schwierigkeiten bereitete. Die zweite Bohrung nur 0,5 m südlich erbrachte keine deutliche Schichtung, es konnte nur ab 0,35 m Tiefe stark lehmiger, vermutlich schon anstehender Boden dokumentiert werden. Archäologische Relevanz ist hier nur mit Vorsicht zu unterstellen. Anomalie an_32/06 Eine starke Magnetisierung weist Anomalie an_32/06 auf (Abb. 104). Um einen schwarzen, rundlichen Kern von 2,5 m Durchmesser lagert sich ein weißlicher Hof, der sich mit zu- 196 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 101 Wiskiauten. Messfläche D. Lage der angebohrten Anomalien in Konzentration AK1 (Kantenlänge des Bildausschnitts ca. 280 m). nehmenden nT-Werten in der Darstellung rapide reduziert, aber dennoch erkennbar bleibt. Selbst bei Werten von +/- 24 nT ist der schwarze Befundkern noch von fast gleicher Ausdehnung und Intensität. Mit nur 0,2 m Mächtigkeit ist der Ackerboden in allen vier Bohrungen nur schwach ausgeprägt. Darunter folgt in allen Bohrungen dunkelbrauner bis leicht gräulicher Feinsand bis 0,5 m bzw. 0,6 m unter der Geländeoberfläche, er besitzt daher eine Mächtigkeit zwischen 0,3 m und 0,4 m. Der Horizont enthält Holzkohle und Rotlehmpartikel als Anzeichen anthropogener Beeinflussung. In den beiden Bohrungen im Befundzentrum wurden ab 0,5 m unter der Geländeoberfläche Steine festgestellt. In einer Bohrung 1,5 m westlich des Mittelpunktes und damit schon außerhalb der eigentlichen Anomalie fehlt der Nachweis von Steinen, der Mischhorizont mit Holzkohle und Rotlehm ist analog zu den vorherigen Bohrungen aber deutlich ausgeprägt. Eine weitere Bohrung wurde zur Kontrolle bewusst 3 m nordwestlich und somit eindeutig außerhalb der Anomalie angelegt. Sie zeigte erstaunlicherweise den gleichen Schichtaufbau bei fehlenden Steinen, also auch hier einen anthropogen beeinflussten Horizont von 0,4 m Mächtigkeit bis in eine Tiefe von 0,6 m unter der Geländeoberfläche. Damit dürfte hier eine flächige Kulturschicht in der Umgebung des eigentlichen Befundes anzunehmen sein. Die Anomalie wird vermutlich von der Ansammlung von Steinen hervorgerufen. Durch die aus den Bohrkernen entnommenen Holzkohleproben liegt für den Befund eine vorläufige Datierung vor. Die aus einer Tiefe von 0,5 m entnommene Probe lieferte ein Datum in die Zeit zwischen 1642 und 1955285 Allerdings könnte die Datierung durch die relativ oberflächennahe Lage der Probe bzw. der Nähe zum darüberliegenden Ackerhorizont, aus der die Probe beispielsweise durch Bioturbation oder Pflugtätigkeit in die Entnahmetiefe verlagert worden sein kann, verfälscht sein und muss nicht dem tatsächlichen Alter des Befundes entsprechen. Anomalie an_34/06 Die Anomalie an_34/06 stellt mit einer erbohrten Tiefe von 3,5 m das interessanteste Objekt in Konzentration AK1 im Messfläche D dar. KIA 30151: Radiocarbon Age: BP 170 +/- 70, OneSigma-Range: cal AD 1658-1955, Two-Sigma-Range: cal AD 1642-1955. 285 Die Siedlungsforschungen 197 an_29/06 +/- 3 nT +/- 12 nT an_33/06 +/- 24 nT +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT Abb. 102 Wiskiauten. Anomalien an_29/06 (links) und an_33/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x12 m). an_35/06 +/- 3 nT +/- 12 nT an_31/06 +/- 24 nT +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT Abb. 103 Wiskiauten. Anomalien an_35/06 (links) und an_31/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x12 m). an_32/06 +/- 3 nT +/- 12 nT an_34/06 +/- 24 nT +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT Abb. 104 Wiskiauten. Anomalien an_32/06 (links) und an_34/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Im Messbild ist ein annähernd rechteckig anmutender Anomalienkern von 3,5 m x 3,1 m Ausdehnung sichtbar (Abb. 104), der sich bei Werten von +/- 24 nT in drei einzelne, in eine nurmehr gräulich wirkende Fläche eingebettete Objekte aufgliedern lässt. Die Bohrung im Anomalienmittelpunkt ergab eine Verfüllung aus dunkelbraunem bis gräulichem, leicht schluffigem Feinsand mit Holzkohle und Rotlehmanteilen, die besonders im unteren Befundbereich häufiger auftraten. Erst ab einer Tiefe von ca. 3 m änderte sich die Schichtenabfolge. Jetzt herrschte nasser Mittelsand vor, der aus der Bohrsonde „herausgeflossen“ war. Offensichtlich tritt hier sandiges Substrat mit Grundwassereinfluss auf. Erst bei 3,5 m Tiefe unter der Geländeoberkante musste die Bohrung aufgrund eines mechanischen Widerstan- des, vermutlich verursacht durch Steine, abgebrochen werden. Zusätzlich zu den Bohrungen wurde Anomalie an_34/06 im März 2007 durch Georadarmessungen mit der 400 Mhz-Antenne untersucht (Abb. 105). Dazu wurde ein 10 x 25 m großes Messfeld, benannt als „Radarfläche 3“, um den Anomalienmittelpunkt herum erfasst, das sich in nordwestlich-südöstlicher Ausrichtung an die südliche Grenze von Fläche 4 des Jahres 2006 (vgl. Kap. C.5.7) anschloss. Mit der Anlage der Georadarfläche sollte einerseits überprüft werden, ob sich die in Fläche 4 entdeckten Pfostenstandspuren im Süden der Grabungsfläche möglicherweise fortsetzen, andererseits sollte Befund an_34/06 untersucht werden. Während die Radargramme für die Frage der Pfostenstandspuren keine Ergebnisse liefern, zeigen sich bei Anomalie an_34/06 mehrere interessante Strukturen. 198 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 105 Wiskiauten. Messfläche D. Anomalienkonzentration AK1. Grabungsfläche 4 und Radarfläche 3. So ist ab einer Tiefe von 0,4 m unter der Oberfläche eine dunkle, den Befund ringförmig umschließende dunkle Zone im Messbild sichtbar, die sich sowohl von der helleren Umgebung als auch von der helleren Innenfläche der Anomalie abgrenzt. Mit zunehmender Tiefe wird diese Umrandung massiver, um ab einer Tiefe von etwa 0,75 m (vgl. Abb. 106 e) als flächige dunkle Verfärbung die gesamte Innenfläche der Anomalie auszufüllen. Gleichzeitig erscheint nun das Umfeld deutlich gegliedert. So wird der Befund jetzt im Süden von einer dunkelgrauen, rechteckigen Struktur begleitet, bei der es sich um einen Abschnitt einer linearen Anomalie handeln dürfte, die knapp südlich von Anomalie an_34/06 von West nach Ost vorbeizieht. Sie hat eine Breite von durchschnittlich 6 m und ist auf einer Länge von mindestens 130 m nachweisbar. Etwa 70 m östlich von Radarfläche 3 wurde die Struktur auch in Radarfläche 2 erfasst, wo sie ein ähnliches Erscheinungsbild aufweist. In Radarfläche 3 schließt sich im Süden eine auffällig weißliche, ihrerseits im Süden durch eine scharfe schwarze Linie abgegrenzte längliche Struktur an, welche die dunkle Fläche seitenparallel begleitet. In einer Tiefe von etwa 0,6 m (vgl. Abb. 106, d) ist nördlich von Anomalie an_34/06 auch eine rechteckige weiße Fläche zu sehen, die deutlich gegenüber der gräulichen Umgebung abgegrenzt ist. Der Grund bleibt ohne weitere Untersuchungen unklar. Es könnte sich um ein Gebäude handeln. Die in Radarfläche 3 erfassten Strukturen sind ohne weitere Untersuchungen nur sehr schwer auszudeuten. Vorläufig bietet sich für Anomalie an_34/06 nach Ausweis der Bohrergebnisse eine Interpretation als Brunnen an, der durch den anstehenden Lehmboden hindurch in eine grundwasserführende Sandschicht eingegraben wurde. Nach der Nutzung könnte der Brunnen intentionell verfüllt worden sein, wofür die Homogenität der Verfüllung spricht. Aus den Bohrkernen wurden neben einem kleinen Bruchstück handgemachter Keramik auch Holzkohleproben entnommen, die eine 14 C-Datierung ermöglichen. Demnach lässt sich die Verfüllung des vermuteten Brunnens in die Zeit zwischen 1029 und 1159286 einordnen. Aufgrund der zahlreichen Funde aus FläKIA 30152: Radiocarbon Age: BP 935 +/- 20, OneSigma-Range: cal AD 1036-1156, Two-Sigma-Range: cal AD 1029-1059. 286 Die Siedlungsforschungen 199 Abb. 106 Wiskiauten. Radarfläche 3 (Größe 10 x 25 m) im Umfeld von Anomalie an_34/06 in verschiedenen Tiefenbereichen: a – 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte). Abb. 107 Wiskiauten. Ausschnitt aus den geomagnetischen Messbildern mit der Anomalienkonzentration AK1 und den darin befindlichen linearen Anomalien „AK1/L1“ und „AK1/L2“. Als grüne Punktlinien sind die Bohrstrecken „Catena 3“ und Catena 4“ eingetragen, die Radarflächen 1–3 werden durch die grünen Quadrate angezeigt. Mit einem roten Quadrat markiert ist Grabungsfläche 4, rote Dreiecke markieren durch Bohrungen überprüfte Anomalien. 200 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 108 Wiskiauten. Radarfläche 1 (Größe 10 x 10 m). Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a – 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte). Abb. 109 Wiskiauten. Radarfläche 2 (Größe 15 x 15 m). Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a – 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte). che 4 und deren Umgebung, die hauptsächlich ins 11. und 12. Jahrhundert gehören, ist es unwahrscheinlich, dass der Brunnen selbst sehr früh innerhalb dieses Zeitraums errichtet worden ist. Auch er dürfte daher eher ans Ende des 11. Jahrhunderts oder ins beginnende 12. Jahrhundert datieren. C.4.4.4.1.2 Lineare Strukturen Besonders interessant sind verschiedene lineare Strukturen (Abb. 107), die zwischen den Anomaliengruppen verlaufen und mit 130–180 m teilweise erstaunliche Längen aufweisen. Zwei größere Strukturen fallen im Messbild ins Auge. Eine gräuliche Linie, hier als „AK1/L1“ benannt, zieht sich von Südosten nach Nordwesten und ist leicht gekrümmt. Sie verläuft in Richtung der nördlicher gelegenen Anomalienkonzentration AK2, endet aber weit davor. Dennoch scheint sie sich als schwache Anhäufung von mehreren Dipolen bis zur Konzentration AK2 fortzusetzen, was auf eine direkte Verbindung beider Konzentrationen hinweisen könnte. Am Südostende dieser linearen Struktur setzt die zweite größere lineare Anomalie „AK1/L2“ an. Sie verläuft von hier in westlicher Richtung und ist wesentlich breiter und nicht so scharf abgegrenzt. Die Deutung dieser linearen Strukturen ist unsicher, es könnte sich durchaus um Wege oder Gräben handeln. Dafür spricht ihr Ver- lauf durch die Zentren der Anomalienkonzentration. Da sie sehr regelmäßig wirken, ist ein anthropogener Einfluss sehr wahrscheinlich. Beide linearen Strukturen sind im März 2007 durch Georadarmessungen und Bohrungen näher untersucht worden. Lineare Anomalie „AK1/L1“ Die nord-südlich verlaufende Anomalie „AK1/ L1“ zeigt sich in den Radarbildern (Abb. 108) als dunkelgraue, relativ klar hervortretende Anomalie mit randlicher Begrenzung und erstreckt sich bei einer durchschnittlichen Breite von 2 m über eine Länge von 180 m nach Nordwesten in Richtung der Anomalienkonzentration AK2. In insgesamt zwei Georadarmessungen ist die lineare Struktur erfasst worden. So liegt „Radarfläche 1“ von 10 x 10 m Größe etwa 10 m nördlich der Stelle, wo die lineare Anomalie „AK1/L1“ die lineare Anomalie „AK1/L2“ schneidet (vgl. Abb. 107). Die 15 x 15 m große „Radarfläche 2“ dagegen erfasst genau diesen Überschneidungsbereich der beiden Anomalien (vgl. Abb. 107 und 109). In beiden Messbilderreihen ist Anomalie „AK1/ L1“ als klar begrenzte, in mehrere einzelne Linien zu untergliedernde Struktur erkennbar (vgl. Abb. 108–109). Besonders der Randbereich erscheint in fast allen Bildern besonders dunkel. In den Radarprofilen (Abb. 110) ist eine kompakte Störung sichtbar, die in der Mitte blockartig wirkt, an den Rändern dagegen im 45°-Winkel Die Siedlungsforschungen 201 Abb. 110 Wiskiauten. Radarfläche 1 in Geomagnetik-Messfläche D mit linearer Anomalie „AK1/L1“: 1 Time-slice-Bild (Aufsicht, Größe 10 m x 10 m) mit Markierung der Lage der Radargramme/Querschnitte. – 2 Radargramm/Querschnitt a-b. – 3 Radargramm/Querschnitt c-d. ansteigt. Auf einer Strecke von 10 m wurde in südwestlich-nordöstlicher Richtung eine Catena senkrecht zum Verlauf der linearen Anomalie „“AK1/L1“ angelegt. Sie umfasst insgesamt 11 Bohrungen im Abstand von je 1 m, zwischen die Bohrungen 8 und 9 ist eine zusätzliche Bohrung 12, zwischen die Bohrungen 5 und 6 die zusätzliche Bohrung 13 eingeschoben, um das Bohrergebnis an diesen Stellen zu verfeinern. Senkrecht zu diesen Bohrungen wurden ent- sprechend dem Verlauf der Anomalie die Bohrungen 14–19 abgetieft, um die Struktur auch in ihrer Längsausdehnung zu untersuchen. Die Bohrergebnisse sind überaus interessant. So konnten in den Bohrungen 5, 13287, 6, 7 und 8, also auf einer Länge von insgesamt 3,5 m in allen Bohrungen Steine in einer Tiefe von durchschnittlich 0,35 m festgestellt werden. Auch in Bohrung 13 wurde zwischen den Bohrungen 5 und 6 abgetieft. 287 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 202 1 2 3 Abb. 111. 1 Wiskiauten. Lineare Anomalie „AK1/L1“ in Radarfläche 2 mit scharf begrenzten Seiten (Bildgröße: 15 x 15 m, Tiefe ca. 0,6 m). – 2-3 Rekonstruktionen von Wegen vom Typ Tibirke (2) und Broskov (3) aus Dänemark (Schou Jørgensen 1988, Abb. 2). den längs zum Verlauf der Anomalie in südöstlicher Richtung angelegten Bohrungen 14–17 wurden Steine in gleicher Tiefe dokumentiert. Bohrung 17 lag dabei 6 m südöstlich der rechtwinklig zur Anomalie angelegten Catena. Erst in der 9 m südöstlich durchgeführten Bohrung 18 konnten keine Steine mehr festgestellt werden. Etwa 1 m in nordwestlicher Richtung von der Mittelachse der Catena wurde in Bohrung 19 ebenfalls ein Stein nachgewiesen. Eine weitere Bohrung etwa 5 m nordwestlich erbrachte dagegen keinen Hinweis auf Steine. Da durch die Bohrungen ein offensichtlich relativ flächendeckendes Steinpflaster nachgewiesen ist und hinter den dunklen, scharf begrenzten Rändern in den Radarbildern gleichzeitig eine stärker befestigte randliche Begrenzung vermutet werden kann, könnte es sich um einen gepflasterten Weg vom Typ Tibirke oder Typ Broskov (Schou Jørgensen 1988, Abb. 2; hier Abb. 111) handeln, vergleichbar etwa mit den in Menzlin (vgl. Jöns 2006, 96ff.) dokumentierten Strukturen. Die randliche Begrenzung entspräche dann den erhöhten Randsteinen. Ein geologisches Phänomen ist mit Sicherheit auszuschließen. Unklarheit besteht über die Zeitstellung, da bisher keine Datierungshinweise vorliegen. Lediglich die Nähe zu den bisher in diesem Areal dokumentierten Befunden des späten 11. oder anfänglichen 12. Jahrhunderts machen eine gleiche Zeitstellung auch für die Anomalie „AK1/L1“ wahrscheinlich. Offenbar wird die lineare Anomalie „AK1/L1“ im Überschneidungsbereich mit Anomalie „AK1/L2“ von dieser gestört. Zumindest scheint Anomalie „AK1/L1“ im Kreuzungsbereich unterbrochen. Da es sich bei Anomalie „AK1/L2“ vermutlich um einen Graben handelt (s.u.), dürfte der hinter Anomalie „AK1/L1“ vermutete Weg den Graben ehemals überquert haben, vielleicht auf einer hölzernen, später vergangenen Brücke, die dementsprechend im Georadarbild eine Lücke an dieser Stelle hinterlassen würde. Lineare Anomalie „AK1/L2“ Eine zweite lineare Anomalie in Anomalienkonzentration AK1 in Messfläche D wurde bereits im Zusammenhang mit der linearen Struktur „AK1/L2“ und dem vermuteten Brunnenbefund an_34/06 angesprochen, soll hier jedoch nochmals gesondert vorgestellt werden. Sie wird als Anomalie „AK1/L2“ benannt und liegt südlich der Anomalienkonzentration AK1. Es handelt sich um eine mindestens 130 m lange, südwestlich-nordöstlich orientierte lineare Struktur, die in den Messbildern bei Messwertbereichen von +/- 3 nT deutlich als gräulicher Streifen von durchschnittlich 6–7 m Breite in Erscheinung tritt (vgl. Abb. 107). Die Anomalie wurde in den beiden Georadarflächen 2 (Abb. 109) und 3 (Abb. 106; vgl. auch Abb. 107) erfasst und zusätzlich durch eine Reihe von Bohrungen untersucht, die als „Catena 3“ bezeichnet wird und auf einer Länge von 14 m aus 15 Bohrungen im Abstand von jeweils 1 m besteht. Sie beginnt etwa 4 m nördlich der linearen Anomalie, die letzte Bohrung erfolgte ca. 4 m südlich der Struktur. Anfangs- und Endpunkt der Catena wurden bewusst so weit außerhalb der Anomalie gewählt, um einen Kontrast zum umgebenden Boden erkennen zu können. Während in den ersten vier Bohrungen unter dem mit 0,4 m durchschnittlich ausgeprägten Ackerhorizont ein sandiger Lehm von gelblich- Die Siedlungsforschungen brauner Farbe anstand, änderte sich das Bild ab Bohrung 4. Hier trat zwischen dem Ackerhorizont und dem anstehenden Lehmboden eine stark sandige Schicht auf. Ab Bohrung 5 herrschte dieser schwach lehmige Feinsand vor, der in allen folgenden Bohrungen bis mindestens bis in eine Tiefe von 0,6 m nachgewiesen wurde. Die Unterkante dieser Sandschicht wurde nicht erbohrt288, es fehlen daher Angaben über die Tiefe. Der in den Bohrungen 6–13 erbohrte Sand wirkte ungestört, siedlungsanzeigende Einschlüsse wie Keramik, Holzkohle oder Knochenfragmente wurden nicht beobachtet. Lediglich in Bohrung 12 war der Bereich zwischen 0,5 und 0,6 m stark humos. In den beiden Bohrungen 14 und 15 war die Sandschicht nur noch bis max. 0,55 m Tiefe nachzuweisen, darunter folgte ein lehmiger Boden, von rötlichbrauner bis gelblichbrauner Farbe, der den anstehenden Lehmboden repräsentieren dürfte. Der Verlauf des Grabens lässt sich vorläufig folgendermaßen charakterisieren: zwischen Bohrung 3 und 4 beginnend fällt er relativ schnell auf eine Tiefe über 0,6 m ab, die absolute Tiefe ist unbekannt. Die durch die Bohrungen nachgewiesene Breite von mindestens 10 m zwischen den Bohrungen 4 und 15 deckt sich nicht mit dem geomagnetischen Messbild, in dem der Graben nur zwischen den Bohrungen 5 und 12 auf einer Breite von 7 m als gräuliche Verfärbung in Erscheinung tritt. Ob der Graben auf einem natürlichen Phänomen beruht, kann ohne weitere Bohrungen noch nicht sicher beurteilt werden, scheint aber derzeit wahrscheinlicher als eine anthropogene Entstehung. Die Anomalie in Radarfläche 3 wirkt in verschiedenen Tiefenbereichen aber sehr scharf begrenzt, so dass hier möglicherweise an eine Befestigung des vermuteten Grabens zu denken ist. Da an der Überschneidungsstelle mit Anomalie „AK1/L1“ in Radarfläche 2 eine deutliche Lücke in der senkrecht zum Graben verlaufenden Anomalie „AK1/L1“ zu erkennen ist, kann vermutet werden, dass alle anderen Strukturen deutlich auf den Grabenbefund Bezug nehmen und er somit zur Zeit der Entstehung der umliegenden Befunde schon bestanden hat. Selbst wenn es sich um einen natürlichen Graben handelt, scheint Zur Zeit der Bohruntersuchungen stand nur ein 60 cm langer Bohrer zur Verfügung. 288 203 er zumindest anthropogen verändert worden sein. Auch eine ausschließlich künstliche Anlage ist durchaus denkbar. C.4.4.4.1.3 Weitere auffällige Strukturen Im Bereich von Konzentration AK1 liegt nördlich des Befundes an_34/06 eine auffällige Struktur von 13 x 6 m Größe. Sie besteht aus einem nordwestlich-südöstlich ausgerichteten Rechteck mit abgerundeten Seiten, das im geomagnetischen Messbild nur schwach erkennbar ist (vgl. Abb. 251). Innerhalb dieser Umrandungslinie sind vereinzelt Strukturen sichtbar, die an eine innere bauliche Gliederung denken lassen. Diese Struktur ist im Jahr 2006 durch die 10 x 10 m große Fläche 4 untersucht worden, wobei tatsächlich mehr als 60 Holzpfosten nachgewiesen werden konnten, die allerdings nicht exakt mit der Anordnung der vermuteten Pfosten im geomagnetischen Messbild korrelieren (vgl. Kap. C.5.7). Dennoch ist durch den Grabungsschnitt eindeutig die Existenz von Bauten in Pfostenbauweise belegt. Die Masse der Funde deutet auf eine Datierung ins 11. oder 12. Jahrhundert hin. Durch 14C-Datierungen ins 7. und 8. Jahrhundert bzw. ins 9. und 10. Jahrhundert (vgl. Kap. C.5.7.4) allerdings liegen auch Hinweise vor, dass an gleicher Stelle mit älteren Siedlungsspuren zu rechnen ist. Weitere hausähnlich anmutende Befunde in der Umgebung sind in den Messbildern nicht erkennbar. C.4.4.4.1.4 Oberflächenfunde Im Umfeld von Fläche 4 und innerhalb der Anomalienkonzentration AK1 sind zur Überprüfung der Koordinatentreue der geomagnetischen Messbilder gezielt einige Dipole mit dem Metalldetektor auf ihre Lage hin überprüft worden. In der Mehrzahl der Fälle saß das im Feld lokalisierte Metallobjekt, ausnahmslos eiserne Gegenstände, genau in der Schnittfläche der weißen und schwarzen Dipole. Durch diese Methode konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass die Messbilder mit dem Messsystem übereinstimmten. Unter den insgesamt 53 Metallfunden (zur Lage Abb. 112) befinden sich auch einige Buntmetallobjekte von archäologischer Relevanz, denen für die Datierung der in Anomalienkonzentration AK1 liegenden Befunde zusammen mit den Ergebnissen aus Fläche 4 teilweise große Bedeu- 204 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 112 Wiskiauten. Übersicht über die Lage der Streufunde in der Umgebung von Fläche 4 (bei der Nummerierung fehlt der Zusatz „D“). tung zukommt. Nur ein Fund (Taf. 81, 28) aus Eisen ist in diesem Zusammenhang von Interesse. Es handelt sich um ein stark korrodiertes, eisernes Messer oder ein handwerkliches Gerät. Der Fund ist bisher unrestauriert und daher vorläufig typologisch nicht ansprechbar. Wesentlich mehr aussagekräftige Funde liegen aus Bronze vor. Alle sind mit einer tiefgrünen Patina versehen. Erwähnenswert sind ein Gürtelhaken (Abb. 113, links), ein Kugelzonengewicht (Abb. 115, Mitte), ein Ring mit imitiertem Flechtband (Abb. 115, links), ein kleiner Beschlag (Taf. 81, 12), ein Schmelzrest (Taf. 81, 16), das Fragment eines bandförmigen Gegen- standes (Taf. 81, 13), eine Gussform (Abb. 116, links), ein Endknopf einer Fibel mit stollenförmigen Enden (Abb. 115, rechts), ein Fragment einer Ringfibel mit Stegornamentik (Abb. 116, rechts) sowie das Fragment eines Bronzebarrens (Abb. 113, rechts). Der Gürtelhaken oder Kleidungsverschlusshaken (Abb. 113, links; Taf. 81, 6) ist nur zur Hälfte erhalten. Es handelt sich um ein flaches Bronzeblech von max. 1,5 mm Stärke bei einer Breite von ca. 15 mm, das sich zum Ende hin stark verjüngt und in einem nach hinten umgebogenen Haken endet. Die Gesamtlänge beträgt 34 mm. Die Vorderseite ist mit einem Die Siedlungsforschungen 205 Abb. 113 Wiskiauten. Umgebung von Fläche 4. Links: bronzener Gürtelhaken oder Kleidungsverschluss (Fu.Nr. D52). – Rechts: Fragment eines Bronzebarrens (Fu.Nr. D41). Muster verziert, das aus einer randbegleitenden Reihe sehr kleiner Quadrate gebildet wird. Ihr folgt nach innen eine Reihe großer Quadrate, von denen an einer Seite fünf, an der gegenüberliegenden Seite sechs Stück erhalten sind. Den inneren Abschluss bildet eine unregelmäßig verlaufende Linie, die an ihrer zum spitz zulaufenden Ende des Hakens hin zeigenden Seite von mehreren quer verlaufenden Linien geschnitten wird. Auch diese Linien bestehen zu einem Teil aus sehr kleinen Quadraten. Insgesamt wirkt das eingestempelte oder gepunzte Muster etwas nachlässig ausgeführt. Die Rückseite weist nur einige Schleiflinien oder Abnutzungsspuren auf, Verzierungen sind hier nicht zu erkennen. Gürtelhaken dieser Form, die an der südlichen Ostseeküste mehrfach belegt sind (Knorr 1970 Karte 1; Gabriel 1988, 207f.bb. 41; Schenk 1998, 69 Abb. 2), kommen in unverzierten und verzierten Exemplaren aus Eisen und Bronze vor. Sie dürften als Verschluss an Gürteln aus Kordeln oder Brettchenbändern gedient haben. Dafür spricht die Auffindung in Gräbern in Hüfthöhe. Ihre Verbreitung erstreckt sich „von Wagrien bis zur Oder und von der Ostseeküste bis zur Havel“ Gabriel 1988, 209), einige Exemplare sind an der unteren Weichsel belegt. Ein einzelner Fund stammt von der Kurischen Nehrung und ist aus Silber gefertigt (ebd.). Knorr (1970, 96ff.) vermutete als Entstehungsgebiet den Raum östlich der Oder, da hier bereits im 10. Jahrhundert silberne Ketten- schließen sehr ähnlicher Form auftreten, aber um die Mitte des 11. Jahrhunderts wieder aus dem Formengut verschwinden. Unter Voraussetzung eines Stilbezuges sieht er die ab der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts aufkommenden Gürtelhaken deutlich von diesen Vorgängern geprägt (ebd. 99; 101). Von diesem Gebiet könnten sie „über das verbindende Meer“(ebd. 101) in andere Regionen an der südlichen Ostseeküste gelangt sein. Darauf scheinen auch die zahlreichen Nachweise in den Küstengebieten und die Konzentration auf Orte mit einer gewissen lokalen Bedeutung hinzuweisen, wenngleich die Vorraussetzungen für eine eigene Produktion beispielsweise im mecklenburgischen Küstengebiet durchaus gegeben waren. Als alternative Nutzungsdeutung bietet sich auch eine Funktion als Fischköderhaken an. Diese Interpretation scheint jedoch aus mehreren Gründen fraglich. Einerseits sind es technische Bedenken, denn Angelhaken oder Fischköderhaken (vgl. z.B. die Haken aus Ralswiek: Herrmann 2005, 150 Abb. 166a. g.o.k) sind zumeist mit einem Widerhaken ausgestattet, um das Lösen des Fisches vom Haken nach dem Biss zu verhindern und den Fang zu sichern. Es gibt allerdings, wie in Ralswiek (Herrmann 2005, 150 Abb. 166c.d.e.i.n), auch Exemplare ohne diese Vorrichtung, und Heindel (1982, 187) hat insbesondere für die tordierten, eisernen Haken aus dem slawischen Gebiet überzeugend eine Verwendung als Angelhaken nachgewiesen, auch wenn 206 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 114 Gürtelhaken. 1 Wiskiauten. Streufund aus dem Wäldchen Kaup bei Wiskiauten. - 2 Wiskiauten. Streufund bei „Fläche 4“. - 3 Altfund aus Stangenwalde/Kurische Nehrung (Foto C. Engel im Nachlass Grenz, ALM Schleswig). – 1–2: Bronze. – 3 Silber. sie keine Widerhaken aufweisen. Aber auch das für einige der „Gürtelhaken“ verwendete Material Silber (vgl. z.B. den Fund aus Stangenwalde (Engel 1930, 114 Abb. k; hier Abb. 114, 3) leuchtet bei einer Verwendung für den Fischfang nicht ein. Silber scheint einerseits zu weich für einen solch funktional orientierten Gegenstand, andererseits zu teuer, zumal es mit bronzenen oder eisernen Haken Alternativen von gleicher Wirkung gibt. Aus Kützerhof in Mecklenburg-Vorpommern allerdings liegt ein bronzenes Exemplar vor, das lediglich versilbert ist (Schenk 1998, 70 Abb. 3a). Letztlich erhärtet aber ein Neufund aus gesicherten Grabzusammenhängen aus Povarovka (vgl. Pronin/Smirnova/Mishina/ Novikov 2006 Abb. 191, 1 Nr. 3) im Samland aufgrund der Fundlage im Hüftbereich die Ansprache als Kleidungsverschluss oder Gürtelhaken. Auch die etwas neutralere Deutung als Schließhaken einer kleinen Tasche, die am Gürtel getragen wurde, könnte die Lage im Hüftbereich erklären; darauf dürfte insbesondere die Fundlage solcher Schließhaken im Hüftbereich der beiden Frauengräber von Gamehl und Damm in Mecklenburg-Vorpommern hinweisen (Schmidt 1989, 33). Während Knorr (1970, 93) auf der Grundlage von Körpergräbern aus Mecklenburg als Zeitansatz das 11. und 12. Jahrhundert nannte, legte Herrmann (2005, 91) mehrere einfache Exemplare aus Ralswiek (ebd. Abb. 124, m-p) vor dem Hintergrund zahlreicher Vorkommen aus slawischen Zusammenhängen schon in das 9. Jahrhundert. Gegen eine ausschließlich slawische Herkunft äußerte Gabriel (1988, 207) Bedenken. In diesem Zusammenhang sind einige Neufunde aus dem Kaliningrader Gebiet interessant. An erster Stelle ist hier neben den mittlerweile zwei Neufunden aus den Siedlungsgrabungen in Wiskiauten (Fu. Nr. D88: Abb. 133; Fu.Nr. D52: Abb. 114; Taf. 81, 6) ein Streufund aus dem Wäldchen Kaup aus dem Jahr 2005 (Abb. 119, 1) zu nennen, der den 2006 und 2007289 gefundenen Exemplaren sehr ähnlich ist. Auch dieser Haken ist aus Bronze gefertigt und weist auf der Oberseite eine Verzierung auf, die aus zwei aus kleinen Einzelpunkten gebildeten randbegleitenden Linien besteht, die innen von je einer Reihe Kreisaugen begleitet werden. Auch die in der Mitte der Platte verlaufende Linie setzt sich aus vielen kleinen Punkten zusammen. Während ein Ende abgebrochen ist, ursprünglich aber in einen Haken ausgelaufen sein wird, zeigt das erhaltene, auf der Oberseite aufgerollte Ende, Ein weiteres Exemplar fand V. I. Kulakov bei seinen Ausgrabungen in Wiskiauten im Jahr 2008. Für die freundliche Mitteilung sei dem Ausgräber herzlich gedankt. 289 Die Siedlungsforschungen 207 Abb. 115 Wiskiauten. Umgebung von „Fläche 4“ bzw. Anomalienkonzentration AK1. Links: Fingerring (Fu.Nr. D13). – Mitte: Kugelzonengewicht (Fu.Nr. D44). – Rechts: Endknopf einer Hufeisenfibel mit aufgestellten Endknöpfen (Fu.Nr. D27). was dem Siedlungsfund von Wiskiauten (Abb. 113, links; 114, 2) fehlt: die typische Schlaufe, die an anderen Exemplaren regelhaft vorkommt. Diese Schlaufe fehlt auch dem zweiten Wiskiautener Exemplar aus den Siedlungsgrabungen (Fu.Nr. D88; vgl. Abb. 133, rechts), das mit einem in Tremolierstichtechnik ausgeführten Muster aus kleinen Dreiecken verziert ist, welches zu einer randbegleitenden Doppellinie arrangiert wurde. Dabei zeigen die äußeren Dreiecke mit der Spitze nach außen, die inneren jedoch mit der Spitze zur Mitte des Objektes hin. Im Zentrum befindet sich ein Viereck mit einem diagonal ausgerichteten Kreuz, das rechts und links von zwei senkrecht stehenden Doppellinien begleitet wird. Bereits bei den ersten semiwissenschaftlichen Grabungen durch Leutnant Wulff (1865, 645) im sog. Spätheidnischen Aschenplatz von Wiskiauten im Jahr 1865 wurde ein „Bronzegewandhaken“ gefunden, bei dem es sich um einen der hier besprochenen Gürtelhaken handeln dürfte. In großer Anzahl hat das erst im Jahr 2005 im westlichen Samland ausgegrabene Gräberfeld von Povarovka (Pronin/Smirnova/Mishina/ Novikov 2006) Funde der hier besprochenen Form geliefert. Aus den Gräbern XXXV (ebd. Abb. 145, 3), TPS LIII (ebd. Abb. 170, 8), TPP 4 (ebd. Abb. 191, 3) und TPP 16/Grab XIII (ebd. Abb. 221, 2) stammt je ein Exemplar, darüber hinaus sind zwei Einzelfunde (ebd. Abb. 246, 12; 254, 1) geborgen worden. Damit sind aus diesem Gräberfeld nunmehr insgesamt sechs Funde bekannt, die zusammen mit den Wiskiautener Funden und dem silbernen Altfund von Stangenwalde/Kurische Nehrung (Engel 1930, 114 Abb. 16k) einen neuen Schwerpunkt in der Verbreitungskarte bilden. Der Zeitansatz der Gürtelhaken aus Povarovka zwischen dem 10. Jahrhundert (Grab TPP 4 (Pronin/Smirnova/Mishina/Novikov 2006, 80) und dem 11./12. Jahrhundert (Grab XXXV, ebd. 65) passt zum Datierungsansatz des Fundspektrums von Wiskiauten sowohl in Fläche 4 (vgl. Kap. C.5.7) als auch im Umfeld von Anomalienkonzentration AK1, das in der Summe ans Ende des 11. und in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts gehören dürfte. Eine ähnliche Datierung gilt für den Hakenfund (vgl. Abb. 133, rechts) aus der Anomalienkonzentration AK2 südlich von Wosegau, die aufgrund der großen Zahl der in den geomagnetischen Messbildern erkannten Anomalien und weitere Streufunde aus Buntmetall und Keramik auf einen Siedlungskomplex des 11.–13. Jahrhunderts hinweisen (vgl. Kap. C.4.4.4.2); dabei dürfte das Stück dann eher dem 11. oder 12. Jahrhundert angehören. In geringer Entfernung zum Fund des Gürtelhakens ist aus dem Ackerhorizont eine kleine Gussform (Abb. 116, links; Taf. 81, 8) geborgen worden. Sie besteht aus einer rechteckigen kleinen Platte mit Maßen von etwa 22 mm Länge und 12 mm Breite, die auf einer Seite Vertiefungen für das Gussobjekt aufweist und auf der Rückseite entsprechende Ausbeulungen besitzt. Sichtbar sind ein Gusskanal, der trichterförmig vom Rand zur Mitte hin verläuft, sowie im Anschluss daran eine ringförmige Vertiefung, die mit einer halbkugelförmigen Mulde durch einen kleinen Durchbruch ver- 208 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 116 Wiskiauten. Umgebung von Fläche 4. Links: Gussform, aus Bronze, evtl. zur Herstellung kleiner kugelförmiger Knöpfe (Fu.Nr. D26). – Rechts: Fragment einer Ringfibel mit Steg-Ornamentik, auf der Rückseite Reste des Nadelhalters (Fu.Nr. D35). bunden ist. Das in dieser offensichtlich nur zur Hälfte erhaltenen Form gegossene Objekt lässt sich als kleiner kugelförmiger Gegenstand beschreiben, an dem ein kleiner Ring zur Befestigung ansitzt. Es ist denkbar, dass es sich um eine Gussform für einfache, kugelförmige Knöpfe handelt, die entweder aus Bronze oder Zinn gegossen wurden und möglicherweise zum Verschließen von Kleidung gedient haben. Eine Reihe von kleinen Knöpfen mit Ring aus Grab 1074 von Birka (Arbman 1943 Taf. 93, 3-9.19) vermittelt eine Vorstellung, wie die Knöpfe ausgesehen haben mögen, wenngleich die Exemplare aus Birka mit 12–14 mm (ebd. 446) etwas größer sind als die nur 8 mm großen Exemplare, die in der Gussform von Wiskiauten hergestellt worden sind. Ein Datierungshinweis ergibt sich lediglich durch die räumliche Nähe zum einen zu den Funden aus Fläche 4 und deren näherer Umgebung, die alle in das späte 11. oder beginnende 12. Jahrhundert gehören, und zum anderen zu den 14Cdatierten Anomalien in Anomalienkonzentration AK1 aus dem gleichen Zeitraum. Als einziger Schmuckgegenstand wurde als Streufund in der gleichen Region wie der Gürtelhaken, die Gussform und der Fibelendknopf auch ein Ring (Abb. 115, links; Taf. 81, 7) geborgen. Der Fingerring mit einer lichten Weite von 18 mm ist mit einer flechtbandartigen, sehr plastischen Verzierung auf der Schauseite versehen. Diese Verzierung besteht aus drei dicken, ineinander verzwirbelten Bronzedrähten. Offenbar ist das Stück in einem Guss hergestellt, die Verzwirbelung ist also nur imitiert. Es handelt sich bei diesem Stück um eine Ringform, die bisher nicht zusammenfassend betrachtet wurde, aber ganz offensichtlich im prussischen Milieu heimisch ist oder zumindest oft hier vorkommt. Als Vergleichsbeispiele können mehrere Ringe aus dem Gräberfeld Povarovka angeführt werden, so z.B. die Ringe aus Grab VII (Pronin/Smirnova/Mishina/Novikov 2006, Abb. 56, 3.5) oder Grab TPS XLIX (ebd. Abb. 164, 7) aus der zweiten Hälfte des 11. bzw. ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts (ebd. 41; 72). Ein anderes Beispiel bietet der Fundplatz Stangenwalde/Kurische Nehrung, Grab 4 (Schiefferdecker 1871, Taf. IV, 19; Engel 1930, 114 Abb. 16; ders. 1935b Taf. 90 unten) aus Stufe I (Engel 1930, 114), d.h. der Zeit zwischen 1250 und 1500 (ders. 1935b, 60). Eine genauere Datierung lässt sich aus diesen meist nur grob datierten Fundplätzen nicht ableiten. Immerhin kann ihr Auftreten im Zeitraum des 10.–13. Jahrhunderts durch die erwähnten Fundplätze belegt werden. Insgesamt zwei Fragmente von Fibeln sind in der Umgebung von Fläche 4 als Streufunde aufgetreten. Einmal handelt es sich um ein kleines Bruchstück (Abb. 116, rechts; Taf. 81, 14) einer ringförmigen Fibel ähnlich wie die komplett erhaltene Fibel aus Fläche 4 (Taf. 79, Die Siedlungsforschungen 1) mit Stegornamentik. Deutlich sind auf der Vorderseite die Reste der Stege zu sehen. Auf der Rückseite weist das Fibelbruchstück Reste eines Nadelhalters auf. Als Zeitansatz gilt wie beim komplett erhaltenen Exemplar das 11. oder 12. Jahrhundert (vgl. Kap. C.5.7.2.3). Ein weiterer Streufund kann nur unsicher als Fibelfragment angesprochen werden. Es handelt sich um einen trapezförmig anmutenden Knopf (Abb. 115, rechts; Taf. 81, 10), der auf einer Seite flach und viereckig ist und sich zur gegenüberliegenden Seite hin stark verjüngt. Dabei sind die Seitenflächen gegeneinander abgegrenzt. Denkbar ist eine Interpretation als Endknopf einer Hufeisenfibel mit nach oben gebogenen Endknöpfen. Hufeisenfibeln dieser Form fasst Salmo (1956, 41) in seinem Typ 10 zusammen, der bei Carlsson (1988, 23-29) dem Typ TRA, auf Gotland dagegen dem Typ 3 nach Thunmark-Nylén (2006, 97) entspricht. Der Wiskiautener Fund gehört in dieser Einteilung zum Untertyp 3a, der sich durch seine geraden Oberseitenränder kennzeichnet und der auf Gotland im Allgemeinen in der Stufe VIII:2 und dem älteren Teil der Stufe VIII:3 vorkommt (ebd. 108). Dies entspricht einer absoluten Datierung ins 10. und die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts (ebd. 692). Damit läge für das Wiskiautener Exemplar eine sehr frühe Datierung für einen Fund aus Anomalienkonzentration AK1 vor, die jedoch zum frühen Zeitansatz einer 14C-Datierung aus Fläche 4 mit einer Datierung in die Zeit zwischen 886 und 988 zu passen scheint (vgl. Kap. C.5.7.4). Hufeisenfibeln mit stollenförmigen Enden dominieren in Finnland bzw. im östlichen Ostseegebiet (Salmo 1956, 48; Fechner 1963, 79 Abb. 46, 21-23.). Drei Fibeln dieser Form stammen aus dem Wiskiautener Hügelgräberfeld aus drei Hügelgräbern ohne Nummer (von zur Mühlen 1975, 133 Nr. 48.2 Taf. 34, 2; 126 Nr. 18 Taf. 40, 9; 131 Nr. 42 Taf. 41, 12). Eine Besonderheit des Fragmentes aus Anomalienkonzentration AK1 stellt die eiserne Achse dar, auf die der Endknopf offenbar im Überfangguss aufgesetzt wurde. Zumindest auf Gotland sind innerhalb des Formenspektrums jedoch auch Stücke bekannt, welche dieses Merkmal mit dem hier besprochenen Fund gemeinsam haben (Thunmark-Nylén 2006, 100f.). In diesen Fällen ist der Fibelbügel aus einem Eisenstab 209 hergestellt gewesen, der mit einem dünnen Bronzegeflecht überzogen war. Die sonst bei Fibeln dieser Form häufige Verzierung auf der Knaufoberseite fehlt dem Wiskiautener Fund. Überhaupt wirkt das Stück sehr roh gearbeitet, so dass die Interpretation als Fibelendknopf letztlich fraglich bleibt. Durch die eiserne Achse kann es sich auch um den Rest einer eisernen Nadel handeln, auf die der bronzene Abschluss aufgegossen gewesen ist. Ein Hinweis auf bronzeverarbeitendes Gewerbe ergibt sich durch das kleine Fragment eines Bronzebarrens (Abb. 113, rechts; Taf. 81, 9) mit flacher Unter- und schwach gewölbter Oberseite, dessen scharfe Kante auf eine absichtliche Abteilung von einem größeren Stück zu werten ist. Das andere Ende ist rundlich und entspricht offenbar der ursprünglichen Form. Datierungshinweise ergeben sich nicht. Ein Gewicht (Abb. 115, Mitte; Taf. 81, 11) stammt aus dem Bereich nordwestlich von Fläche 4. Es handelt sich um ein Kugelzonengewicht, dessen eiserner Kern mit Bronze ummantelt ist. Um beide Polflächen ist eine ringförmige Verzierung aus kleinen Quadraten angebracht, auf der Innenfläche sind Reste einer Kennzeichnung aus Kreisaugen zu erkennen. Diese in einem breiten geographischen Raum in Nord- und Nordosteuropa und an der südlichen Ostseeküste vorkommenden Gewichte (Steuer 1973, 13) sind ab dem ausgehenden 9. Jahrhundert in Gebrauch und treten auch im 10. Jahrhundert zahlreich auf (ebd. 20). Sie lassen sich allgemein bis ins 11. und 12. Jahrhundert hinein nachweisen (Steuer 1997, 49f.), wobei besonders im südlichen Ostseegebiet Gewichte aus einer jüngeren Phase auftreten, die im 11. Jahrhundert beginnt (ders. 2007, 581). Das hier besprochene Stück dürfte aufgrund der kleinen Polflächen dem Typ B2 nach Steuer (1997, 47, 305) zuzuordnen sein, der im späten 10. Jahrhundert oder frühen 11. Jahrhundert aufkommt und bis ins 12. und 13. Jahrhundert vorkommt. Immerhin liegt durch diesen Fund nun auch für die nördlich des Gräberfeldes gelegenen Flächen ein Hinweis auf Handelstätigkeit vor. Allgemein bleibt die Benutzung genormter Sätze mit Kugelzonengewichten eher auf den skandinavischen und slawischen Raum begrenzt (Steuer 2007, 572). Doch auch 210 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 117 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK1 mit Lage der durch Bohrungen überprüften Anomalien. Die Anomalien an_14/06 bis an_16/06, an_29/06 und an_31/06 bis an_36/06 liegen alle im Übergangsbereich zwischen 7,5 m und 5 m ü NN und entsprechen damit der Gesamtverteilung von Anomalien in diesem Bereich. im prussischen Siedlungsgebiet sind sie weit verbreitet (von zur Mühlen 1975, 93-98 Fundliste 27, 265 Karte 5; Bezzenberger 1900b). Neben diesen gut bestimmbaren Funden liegt eine Reihe von kleineren Fragmenten aus Kupferblech oder Bronze und auch von Eisenobjekten vor, die keine Aussagen auf ursprüngliche Form oder Funktion zulassen. In einigen Fällen handelt es sich wahrscheinlich um neuzeitlichen Schrott, andere Objekte könnten durchaus in den gleichen Zeithorizont gehören und mit den vermuteten Siedlungsaktivitäten in Zusammenhang stehen. Auch wenige Fragmente von Drehscheibenkeramik wurde im Bereich der Konzentration AK1 geborgen. Sie entsprechen in Farbe, Magerung und Oberflächenbeschaffenheit der in der Konzentration AK2 aufgefundenen Keramik und dürfte ähnlich wie diese ins 11. und 12. Jahrhundert zu datieren sein. Dafür sprechen besonders auch der hohe Fundanfall an metallischen Kleinfunden in der Umgebung von Fläche 4 sowie die aus diesem Schnitt geborgenen Fundmaterialien, die alle ausnahmslos in das späte 11. oder 12. Jahrhundert einzu- ordnen sind (vgl. dazu Kap. C.5.7). C.4.4.4.1.5 Interpretation Die Komplexität der in Anomalienkonzentration AK1 in Messfläche D identifizierten Strukturen lässt, auch vor dem Hintergrund der Ausgrabungsergebnisse aus Fläche 4 (vgl. Kap. C.5.7), an eine Siedlung mit aufwändigen baulichen Maßnahmen wie Häusern, Brunnen, Straßen und Gräben denken. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich daher bei Anomalien-Konzentration AK1 um eine Anhäufung von Siedlungsbefunden, eine Vermutung, die auch durch den erhöhten Fundanfall von siedlungsanzeigenden Kleinfunden im Umfeld der hier besprochenen Anomalien bestätigt wird. Die Mehrzahl der durch Bohrungen überprüften Anomalien weist zudem eine unnatürliche Bodenschichtung auf, in drei Befunden wurden Holzkohle und Rotlehmreste dokumentiert. Sicherlich liegt menschlicher Einfluss vor. Die linearen Strukturen durchschneiden die Konzentration und scheinen mit ihr in funktionaler Verbindung zu stehen, wenngleich ein geologischer Ursprung zumin- Die Siedlungsforschungen 211 Abb. 118 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Geomagnetisches Messbild (Gesamtlänge des Bildausschnittes in Nord-Südrichtung: 425 m; Bild genordet). dest für die lineare Anomalie „AK1/L1“ nicht auszuschließen ist. Auffällig bleibt, dass sich der gesamte Bereich durch eine erhöhte Dichte von Anomalien und damit eine anzunehmende Siedlungsaktivität auszeichnet, die in den umliegenden Flächen nicht beobachtet werden kann. Zusätzlich scheinen sich die Anomalien auf einen bestimmten Höhenbereich zwischen etwa 7,5 und 5 m ü NN zu beschränken. Sie liegen fast ausnahmslos auf einem Gelände, das nach Norden durch eine deutliche Verflachung begrenzt ist (Abb. 117). Es ist denkbar, dass sich hier mindestens zwei größere Gehöfte abzeichnen, die jeweils von einer größeren Anzahl von archäologischen Befunden repräsentiert werden. C.4.4.4.2 Anomalienkonzentration AK2 Als Konzentration AK2 wird hier eine größere Ansammlung von Anomalien südlich von Wosegau bezeichnet (Abb. 118; zur Lage vgl. Abb. 99). Sie liegt etwa 600–800 m nördlich der rezenten Waldkante der Kaup mit dem darin befindlichen Gräberfeld. Diese Anomalien-Kon- 212 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung zentration besteht aus mehreren Bereichen mit einer erhöhten Anomalienanzahl im Messbild der Geomagnetik. Die Gesamtausdehnung lässt sich mit ca. 300 x 200 m angeben, wobei nicht alle Bereiche gleich dicht belegt sind. Vielmehr scheint hier eine bisher noch nicht auszudeutende innere Gliederung vorzuliegen. Die Verteilung der Anomalien ist sehr unterschiedlich. Ganz im Norden liegen nur wenige größere Anomalien in größeren Abständen zueinander, in deren Umgebung sich sehr viele kleine Dipole befinden, die auf Metallobjekte hindeuten. Ob diese Dipole durch rezentes oder archäologisch relevantes Metall verursacht werden, ist nicht zu entscheiden. In dieser nördlichen Zone fällt eine lineare Struktur (Abb. 119, A) auf, die sich über etwa 70 m Länge von Süd-Südwest nach Nord-Nordost zieht und die abschnittsweise aus mehreren einzelnen Objekten zu bestehen scheint. Eine Überprüfung hat bisher nicht stattgefunden. In einem Abstand von 35 m in Richtung Nordwesten befindet sich eine größere, breite Anomalie (Abb. 119, B), die zunächst für etwa 23 m ein Stück parallel zur vorher beschriebenen linearen Struktur verläuft, dann aber für weitere 23 m nach Westen abbiegt. Eine Deutung ist bisher nicht sicher möglich. Die Anomalie, die nur in einem Abschnitt erfasst ist, kann vorläufig als Rand einer Senke interpretiert werden, da sich in unmittelbarer Nähe eine größere Kuhle befindet, die teilweise unter Wasser steht. Ähnliche Messbilder ergaben sich bei der Erstellung der geomagnetischen Messfläche E, in der sich nachweislich eine größere Kuhle durch dunkle Ränder zu erkennen gab, die auch im Messtischblatt an dieser Stelle vermerkt ist (vgl. Abb. 13). Die größte Konzentration befindet sich als ringförmig angeordnetes Band etwa 150 m südlich der Nordkante der Messfläche (Abb. 119, C). Sie besteht aus zahlreichen größeren Anomalien, die auffällig oft rechteckigen oder quadratischen Grundriss aufweisen. Sie umschließen eine ovale Fläche von 90 x 40 m, in der sich keine Anomalienhäufung erkennen lässt und nur einzelne kleinere Objekte sichtbar sind. Zu dieser Gruppe von Anomalien gehören auch die durch Bohrungen überprüften Objekte an_ 9/06, an_10/06, an_4/06, an_5/06 und an_6/06. Gleichzeitig konnte in diesem Bereich eine größere Ansammlung von Kleinfunden aus Keramik, Metall und anderen Materialien an der Oberfläche dokumentiert werden. Weiter südwestlich fällt eine west-östlich verlaufende, lineare Anomalie von ca. 40 m Länge auf (Abb. 119, D), die wiederum aus mehreren kleineren Anomalien mit dazwischenliegenden, grau gefärbten Flächen besteht. Ihre Deutung ist bisher unklar, keine der Anomalien wurde durch Bohrungen überprüft, lediglich Georadaruntersuchungen haben abschnittsweise stattgefunden. Diese längliche Struktur wird östlich von einer kleinen Ansammlung von Anomalien begleitet, die sich auf eine 15–20 m breite, bogenförmig verlaufende Zone konzentrieren (Abb. 119, E). Diese Zone zieht sich als Band aus Anomalien in nördliche Richtung und scheint eine Verbindung mit der ringförmig angeordneten Anomalienkonzentration (Abb. 119, C) aufzuweisen. Weiter westlich liegt eine Ansammlung von ca. 30 gut sichtbaren Anomalien, die sich unregelmäßig auf einen Fläche von ca. 30 x 50 m verteilen (Abb. 119, F). Nach Süden hin folgen auf etwa 120 m weitere größere Anomalien, von hier an wird der Untergrund wesentlich ruhiger. Lediglich eine größere, auffällige Anomalie von ca. 17 x 13 m ist am Westrand der Messfläche bzw. am unteren Rand des Bildauschnittes sichtbar (Abb. 119, G). Hier umschließen zwei dunkle, annähernd halbmondförmige Zonen eine hellere, rechteckige Innenfläche. Das Objekt wurde mittels Georadar untersucht. Es zeigten sich aber keine Auffälligkeiten. Der Grund für die Anomalie bleibt unklar. Bohrungen wurden bislang nicht durchgeführt. Insgesamt ist das Erscheinungsbild dieser großen Anomalienkonzentration AK2 nicht so geschlossen wie Konzentration AK1, vielmehr besteht hier ein Geflecht aus unterschiedlichen Anomalie-„Nestern“, denen kein bisher erkennbares System zu unterstellen ist. C.4.4.4.2.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Zehn Befunde wurden durch Bohrungen auf anthropogenen Ursprung überprüft, sie alle liegen eher im nördlichen Bereich. Einige Auffälligkeiten sollen im Folgenden näher beschrieben werden. Die Siedlungsforschungen 213 Abb. 119 Wiskiauten. Messfläche D. Anomalienkonzentration AK2. Übersicht über die im Text beschriebenen Ansammlungen von Anomaliengruppen A–G (links) und die durch Bohrungen überprüften Objekte (rechts). Anomalie an_1/06 Bei Anomalie an_1/06 handelt es sich um ein rundliches Objekt von ca. 2 m Durchmesser und schwarzer Färbung im Messbild bei Werten zwischen +/- 3 nT bis +/- 12 nT (Abb. 120). Zwar verringert sich der Durchmesser mit zunehmenden nT-Werten, erst ab +/- 24 nT beginnt der Kern aber deutlich zu verblassen. An zwei Stellen im Mittelpunkt und ca. 0,4 m östlich konnten in einer Tiefe von 0,45 m unter dem Ackerhorizont Steine nachgewiesen werden. An zwei weiteren Punkten ca. 0,4 m westlich und südlich des Mittelpunktes, aber noch innerhalb der Anomalie, ergaben die Bohrungen unter der Pflugschicht einen Mischhorizont bis 0,8 m Tiefe aus stark humosem, dunkelbraunem, stark lehmigem Sand. Damit dürfte anthropogener Einfluss vorliegen. Anomalie an_2/06 Anomalie an_2/06 erscheint im Geomagnetikbild (Abb. 120) bei Werten von +/- 3 nT als rechteckige schwarze Verfärbung von 2,5 x 2 m Größe. Schon bei Werten um +/- 12 nT ist nur noch ein leichter grauer Schatten sichtbar. Die Magnetisierung ist also sehr gering. Das Bohrprotokoll zeigt für diese Anomalie an_1/06 +/- 3 nT +/- 12 nT an_2/06 +/- 24 nT +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT Abb. 120 Wiskiauten. Anomalien an_1/06 (links) und an_2/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 214 an_4/06 +/- 3 nT +/- 12 nT an_5/06 +/- 24 nT +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT Abb. 121 Wiskiauten. Anomalien an_4/06 (links) und an_5/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). einen nur schwach und undeutlich erkennbaren Mischhorizont aus humosem Erdmaterial zwischen 0,3 m und 0,6 m Tiefe in der ersten Bohrung im Anomalienmittelpunkt. In einer zweiten, direkt benachbarten Bohrung ließ sich unter diesem Mischhorizont in 0,5 m Tiefe ein Stein nachweisen. Eine Ansprache als archäologischer Befund ist nicht gesichert, aber wahrscheinlich. Anomalie an_4/06 Als 2,2 x 2,4 m große Anomalie stellt sich das Objekt an_4/06 im Geomagnetikbild bei einem Wert von +/- 3 nT dar (Abb. 121). Eine Bohrung im Mittelpunkt sowie eine zweite ca. 0,4 m westlich davon belegen das Vorhandensein von Steinen in einer Tiefe von 0,2 m bzw. 0,33 m. Nur in der dritten Bohrung ca. 0,4 m südlich wurde humose Erde mit Einschlüssen von Holzkohle und Rotlehm festgestellt, die mindestens bis in eine Tiefe von 1,0 m hinabreicht. Die Befundsohle wurde durch die Bohrung nicht erreicht. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Befund aus siedlungsarchäologischem Kontext wie etwa eine Wirtschaftsgrube. Anomalie an_5/06 In der im Messbild rundlichen Anomalie an_ 5/06 (Abb. 121) von max. 3 m Durchmesser bei einem Wert von +/- 3 nT wurden insgesamt zwei Bohrungen abgetieft. Bei Werten von +/12 nT ist die Anomalie noch deutlich sichtbar, bei +/- 24 nT erscheint sie nur noch schwach gräulich. Die Bohrungen zeigen eine nicht sehr stark ausgeprägte Schichtung mit einem unter dem Ackerhorizont liegenden Mischhorizont aus stellenweise humosem, gräulich-braunem, lehmigem Sand von 0,4–0,6 m bzw. 0,7 m. Stellenweise wirkt das Erdmaterial leicht grünlich. In einer Bohrung wurden Bernsteinfragmente angetroffen. Möglicherweise liegt hier ein nur schwach ausgeprägter Siedlungsbefund vor. Ein anthropogener Einfluss ist wahrscheinlich, aber nicht gesichert. Anomalie an_6/06 Während Anomalie an_6/06 sich bei einem Wert von +/- 3 nT im geomagnetischen Messbild (Abb. 122) als einheitlich schwarze Fläche von 3,5 m Länge und 2,2 m Breite bei südwestlich-nordöstlicher Ausrichtung präsentiert, teilt sich der Befund bei Werten von +/-12 nT in zwei kleinere Objekte, die auch bei +/- 24 nT gut erkennbar bleiben, was für eine sehr starke Magnetisierung spricht. Dabei scheint es sich beim westlicheren der beiden Einzelobjekte um einen Dipol zu handeln, dessen Zugehörigkeit zum Befund nicht gesichert ist. Die Bohrungen ergaben einen unter dem Ackerhorizont von 0,3 m Mächtigkeit liegenden Mischhorizont bis 0,72 m Tiefe. Das gräulichbraune Erdmaterial enthielt Holzkohle und Rotlehm. Da in einer Kontrastbohrung 4 m nördlich diese Schicht fehlt, ist der Befund vermutlich anthropogen beeinflusst. Anomalie an_26/06 Diese 3,8 x 3,5 m große Anomalie hat bei Werten von +/- 3 nT annähernd rechteckige Form (Abb. 122), die sich bei +/- 12 nT auf einen kleinen schwarzen Punkt mit einem leicht gräulichen Umgebungsbereich reduziert. Die Bohrergebnisse weisen zunächst auf einen Befund von 0,9 m Tiefe mit einer Schichtung aus drei Mischhorizonten hin. Der unter der Pflugschicht von 0,35 m Dicke liegende 0,15 m mächtige Horizont besteht aus humosem Erdmaterial mit Rotlehmpartikeln und Holzkohle und mehreren kleinsten Keramikfragmenten, Die Siedlungsforschungen 215 an_26/06 an_6/06 +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT Abb. 122 Wiskiauten. Anomalien an_6/06 (links) und an_26/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen. (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). an_9/06 +/- 3 nT +/- 12 nT an_10/06 +/- nT +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT Abb. 123 Wiskiauten. Anomalien an_9/06 (links) und an_10/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen. (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x12 m) die sich aufgrund ihrer geringen Größe nicht näher einordnen lassen. Das Erdmaterial dieser Schicht ist dunkelbraun bis schwärzlich gefärbt. Der folgende Mischhorizont zwischen 0,5 m und 0,7 m ist sehr inhomogen und besteht aus hellgrauem bis bräunlichem Sand mit kleinen humosen Einschlüssen. Von hier ab reicht ein weiterer Mischhorizont mit gräulichem bis hellbraunem Feinsand und wenigen humosen Einschlüssen bis in eine Tiefe von 0,9 m hinab. Ab dieser Tiefe ist der anstehende Lehmboden nachgewiesen. Weitere Bohrungen nördlich davon, in Abständen von 1 m, 2 m, 3 m und 6 m nördlich ergaben erstaunlicherweise in etwa die gleiche Schichtung bis 0,8 m, wenngleich sich hier überwiegend jeweils nur noch der erste Mischhorizont zeigte. Durch diese Ergebnisse ist davon auszugehen, dass die Anomalie durch das Vorhandensein einer stärkeren Schichtung in eine Umgebung mit ähnlichem Bodenaufbau eingebettet ist, der vermutlich auf anthropogenen Einfluss zurückzuführen ist. Möglicherweise handelt es sich um eine Siedlungsschicht von ca. 0,5 m Mächtigkeit, die überall durch Einschlüsse von Holzkohle, Rotlehm und Keramikfragmenten gekennzeichnt ist. Anomalie an_9/06 Die im Messbild als rechteckige schwarze Fläche erkennbare Anomalie an_9/06 hat Maße von 3,2 m x 2,8 m und weist eine nordwestsüdöstliche Ausrichtung auf (Abb. 123). Bei Werten von +/- 3 nT ist sie deutlich ausgeprägt. Auch bei zunehmenden nT-Werten ist sie, wenngleich schwächer und nun gräulicher wirkend, noch deutlich sichtbar und behält ihre Form fast unverändert bei. Die Bohrungen belegen an zwei Stellen Steine in einer Tiefe von 0,6 m bzw. 0,75 m, überdeckt von einem Mischhorizont mit stark humosem, dunkelbraunem, teilweise schwarzem Erdmaterial mit zahlreichen Holzkohle- und Rotlehmeinschlüssen, der unter dem Ackerhorizont in einer Tiefe von 0,3 m bzw. 0,4 m beginnt. Nur in einer Bohrung im Anomalienmittelpunkt konnte wegen der hier offenbar nicht vorhandenen Steine eine Befundtiefe von mindestens 1,0 m festgestellt werden. Das Befundende wurde durch die Bohrung nicht erfasst. Die Verfüllung des Befundes bestand auch hier aus dunkelbraunem bis schwärzlich gefärbtem Erdmaterial, das neben Rotlehm- und Holzkohleeinschlüssen sogar kleinste Keramikfragmente und Knochen enthielt. Aus dem Pürckhauerbohrstab wurden Holzkohleproben genommen, die mit einem 216 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 124 Wiskiauten. Radarfläche 4 (Größe 10 x 10 m). Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a – 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte). Radiokarbon-Alter von BP 845 +/- 23290 eine Datierung in das 12. oder 13. Jahrhundert nahelegen. Der Befund wurde im März 2007 auch mit dem Georadar untersucht (Abb. 124). Dabei zeigte sich eine grabenartige Störung in der Befundmitte, die etwa 1 m Breite aufweist und sich nach unten hin stark verjüngt. Sie dürfte mit einer linearen Struktur zusammenhängen, die sich über mehrere hundert Meter von Nord nach Süd durch das gesamte Messbild zieht und die aufgrund ihrer Regelmäßigkeit und Geradlinigkeit als Drainagegraben interpretiert werden kann. Im Jahr 2008 ist der Befund teilweise freigelegt worden, wobei sich die Störung in der vermuteten Art und Weise deutlich zeigte. Die Anomalie, präzise als dunkelbrauner Bereich mit humosem Erdmaterial und zahlreichen Einschlüssen von Drehscheibenkeramik und Tierknochen sowie weiteren Funden wie einem Bronzerohklumpen und einem Kammfragment erkennbar, war von einem Kranz aus größeren Steinen mit einem Durchmesser bis etwa 0,4 m umrahmt. Vorläufig kann der Befund entweder als Keller oder, wahrscheinlicher, als Brunnen interpretiert werden. Auch ein Grubenhausbefund ist grundsätzlich denkbar, wenngleich die große Tiefe von mehr als 1,0 m dagegen zu sprechen scheint. Anomalie an_10/06 Direkt benachbart in einer Entfernung von nur 8,5 m in westlicher Richtung liegt die Anomalie an_10/06, die sich im Geomagnetikbild bei +/- 3 nT (Abb. 123) ebenfalls als rechteckige Struktur zu erkennen gibt. Sie ist24mit 2,5 x 2,1 m etwas kleiner, bei höheren nT-Werten KIA 30150: Radiocarbon Age: BP 845 +/- 23, One-Sigma- Range: cal AD 1164-1283, Two-SigmaRange: cal AD 1160-1259. 290 reduziert sie sich deutlich auf einen rundlichen, schwarzen Kern von nurmehr etwa 1 m Durchmesser bei +/- 24 nT. In insgesamt vier Bohrungen im Mittelpunkt und jeweils ca. 0,4 m nördlich, westlich und südlich wurden Steine in unterschiedlicher Tiefe dokumentiert. In der Bohrung im Mittelpunkt der Anomalie bestand ab 0,4 m Tiefe ein mechanischer Widerstand in Form von Steinen, der sich auch in den Bohrungen knapp westlich und südlich bei 0,7 m, nördlich bei 0,8 m Tiefe nachweisen ließ. Zwischen dem Ackerhorizont von 0,3–0,4 m Mächtigkeit und den erbohrten Steinen fand sich in jeder Bohrung ein Mischhorizont aus dunkelbraunem bis schwärzlichem, stark schluffigem Feinsand von dichter Konsistenz, der stark humos war und Holzkohle und Rotlehmpartikel enthielt. Auch in diesem Fall dürfte es sich daher um einen archäologisch relevanten Befund handeln, in dem Steine als Verfüllung Verwendung fanden. Im Bohrkern der Pürckhauerbohrung fand sich ein kleines Keramikfragment, das den an der Oberfläche gefundenen Fragmenten von Drehscheibenkeramik auffällig gleicht. Da die Anomalie ebenfalls im Bereich der Keramikkonzentration des 11.–13. Jahrhunderts liegt, kann vorläufig eine gleiche Zeitstellung wie für an_9/06 angenommen werden. Anomalie an_48/07 Im März 2007 sind in Anomalienkonzentration AK2 weitere Befunde angebohrt worden, darunter auch Anomalie an_48/07. Sie zeigt sich bei +/- 3 nT als 1,8 x 1,5 m großes Oval einheitlich schwarzer Färbung, das sich mit zunehmenden nT-Werten stark verkleinert und bei +/- 24 nT nur noch als schwachgraue rundliche Verfärbung von 1,5 m Durchmesser zu erkennen ist (Abb. 125). Die Bohrungen ergaben unter dem 0,35 m mächtigen Acker- Die Siedlungsforschungen 217 Abb. 125 Wiskiauten. Anomalien an_48/07 (links) und an_49/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). horizont zunächst bis 0,53 m einen graubraunen, lehmigen Sand mit wenigen Einschlüssen von Holzkohle- und Rotlehmpartikeln, dem ein aus schwarzbraunem, schwach lehmigem Sand bestehender Horizont folgte. Diese durch zahlreiche Holzkohlefragmente und viele Rotlehmpartikel gekennzeichnete Bodenschicht war bis in eine Tiefe von 1,27 m nachweisbar. Die in einer Tiefe von 0,7 m aus dem Bohrkern extrahierte Holzkohleprobe erbrachte eine Datierung in das 11. und 12. Jahrhundert291. Anomalie an_49/07 Nur 20 m nordwestlich davon liegt mit Anomalie an_49/07 (Abb. 125) ein weiterer Befund mit deutlicher anthropogener Beeinflussung. Im Messbild erscheint das Objekt bei +/- 3 nT als quadratische Struktur, der nordwestlich und südöstlich je eine kleinere Anomalie vorgelagert ist. Die quadratische Form behält die Anomalie auch bei einem Messwert von +/- 12 nT bei. Selbst bei +/- 24 nT ist die Grundform quadratisch, auch wenn nur noch ein leichter Grauschatten sichtbar ist. Unter dem 0,34 m mächtigen Ackerhorizont ließen sich durch die Bohrungen bis in eine Tiefe von 1,4 m verschiedene, stark mit Holzkohle und Rotlehmfragmenten angereicherte Bodenschichten aus sandigem bis lehmigem Bodensubstrat schwarzbrauner Färbung nachweisen, bevor ab 1,4 m Tiefe aufgrund eines mechanischen Widerstandes in Form eines Steines kein tieferes Eindringen mit dem Bohrer mehr möglich war. Aus einer Tiefe von 0,43 m stammt eine Holzkohleprobe, die für den Befund eine Datierung ins 11.–13. Jahrhundert nahelegt292. KIA 32976: Radiocarbon Age: BP 915 +/- 20; OneSigma-Range: cal AD 1042-1160; Two-Sigma-Range: cal AD 1034-1187. 291 292 KIA 32977: Radiocarbon Age: BP 905 +/- 50; One- Eine Kontrastbohrung erbrachte den Nachweis, dass im Umfeld des Befundes zwischen 0,3 m und 0,43 m offenbar eine schwach ausgeprägte Kulturschicht mit wenigen Holzkohlestückchen existiert, die auf dem darunter anstehenden Geschiebemergel gelblichbrauner Farbe aufliegt. Anomalie an_28/06 Die rundliche Anomalie an_28/06 weist im Geomagnetikbild (Abb. 126) einen Durchmesser von 2 m auf und erscheint als schwarzer Kern mit leichtem Grauschatten bei +/- 3 nT, bei +/- 12 nT reduziert sich die Größe auf etwa die Hälfte, bei +/- 24 nT auf ein Viertel der ursprünglichen Größe. Die Bohrung im Zentrum traf in einer Tiefe von 0,62 m auf einen Stein, der von einem inhomogenen, rötlich-braunen und stellenweise dunkelbraunen lehmigen Sand mit vielen Rotlehmpartikeln überlagert wird. Der darüberliegende Ackerhorizont ist mit 0,35 m durchschnittlich mächtig. Es handelt sich vermutlich um einen Siedlungsbefund, dessen Zeitstellung und Funktion ohne weitere Untersuchungen ungeklärt bleiben muss. Anomalie an_30/06 Die etwa 10 m weiter östlich gelegene Anomalie an_30/06 zeigt sich im Messbild bei +/- 3 nT (Abb. 126) als ovale Struktur von 3,2 m x 2,5 m Größe. Dem schwarzen Kern ist im Norden ein weißlicher Hof vorgelagert, der sich auch bei Werten von +/- 12 nT und +/- 24 nT in verkleinerter Form abzeichnet. Die im Zentrum des vermuteten Befundes niedergebrachte Bohrung zeigt zwischen 0,25 m und 0,45 m eine Schicht aus dunkelbraunem bis schwärzlichem, stark humosem Sand mit einem hohen Sigma-Range: cal AD 1039-1188; Two-Sigma-Range: cal AD 1022-1222. T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 218 an_30/2006 an_28/2006 +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT Abb. 126 Wiskiauten. Anomalien an_28/2006 (links) und an_30/2006 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). Abb. 127 Wiskiauten. Radarfläche 5 (Größe 10 x 15 m). Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a – 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte). Anteil von verziegeltem Material. Das Vorkommen von zahlreichen Holzkohlestückchen stützt die Vermutung, dass es sich um einen anthropogen beeinflussten Befund handelt. Die Anomalie im Messbild könnte damit als Folge eines leichten Verbrennungsprozesses an dieser Stelle gedeutet werden, eine regelrechte Verziegelungsschicht liegt aber nicht vor. Gegen diese Interpretation spricht das Ergebnis einer Kontrastbohrung ca. 5 m westlich. Sie erbrachte einen ähnlichen Schichtenaufbau, wobei der fragliche Horizont mit Rotlehm- und Holzkohleeinschlüssen hier nur zwischen 0,25 m und 0,38 m nachzuweisen war. Somit könnte hier eine großflächigere Schicht im Boden zu erwarten sein. Die Anomalie selbst könnte als kleine Grube mit gleichartiger Verfüllung in diese vermutlich auf Siedlungsaktivitäten zurückzuführende Schicht eingebettet sein. C.4.4.4.2.2 Lineare Strukturen In der Anomalienkonzentration AK2 können an verschiedenen Stellen kleinere, lineare Strukturen festgestellt werden, deren Ursprung aber ohne weitere Untersuchungen ungeklärt bleiben muss. Sie liegen fast immer in einem Bereich mit erhöhter Anomaliendichte. Lediglich die beiden annähernd parallel in einem Abstand von ca. 12 m von Nord nach Süd verlaufenden Linien dürften aufgrund ihrer Geradlinigkeit als rezent zu interpretieren sein. Möglicherweise handelt es sich um moderne Drainagen oder Leitungen. Dafür spricht auch das Ergebnis des im Jahr 2008 angelegten, noch nicht abschließend ausgewerteten Grabungsschnittes Fläche 19, in dem eine mit großen Steinen umrandete, humos verfüllte Grube mit einer linearen Störung im Zentrum dokumentiert wurde. Diese Störung schneidet den Befund in Nordsüdrichtung und ist damit stratigraphisch jünger. Ein Drainagerohr wurde jedoch nicht beobachtet. Eine etwa 40 m lange, aus zahlreichen Einzelanomalien bestehende lineare Struktur (vgl. Abb. 119, D) wurde in Georadarfläche 5 abschnittsweise auf einer west-östlich ausgerichteten Fläche von 10 x 20 m untersucht. Hierbei zeigte sich in Tiefenbereichen zwischen 0,8 m und 1,4 m (vgl. Abb. 127, d-g), dass es sich doch um eine durchgehende Bodenstörung handelt, die als schwarze, sehr scharf begrenzte Struktur von 2 m Breite in Erscheinung tritt. Bohrungen sind nicht durchgeführt worden. Aufgrund der Ähnlichkeit mit den Messergebnissen zur linearen Anomalie „AK1/L2“ in Radarfläche 1 und 2 (vgl. Abb. 108-109) ist als Grund für die Anomalie auch in diesem Fall eine flächige Steinlage zu vermuten. In den Radargrammen aber unterscheiden sich beide Strukturen. Während der Querschnitt (vgl. Abb. 110) zu Anomalie „AK1/L2“ eine Die Siedlungsforschungen 219 Abb. 128 Wiskiauten. Messfläche D. Radarfläche 5: 1 Time-slice-Bild (Aufsicht, Größe 10 m x 15 m) mit Markierung der Lage der Radargramme/Querschnitte. – 2 Radargramm/Querschnitt a-b. – 3 Radargramm/ Querschnitt c-d. 220 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 129 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Links: Handgemachte Keramikscherbe mit Kammstichdekor. – Rechts: Keramikfragment aus Fläche 3/2005 (Fu.Nr. 3/63). Struktur zeigt, die mit ihrer Oberkante in einen waagerechten Horizont eingebettet ist, bei dem es sich um den umgebenden, anstehenden Lehm handeln dürfte, liegt der vergleichbare Bodenhorizont bei der linearen Struktur in Radarfläche 5 unter der Oberkante des vermutlichen Befundes (Abb. 128). Es entsteht der Eindruck einer blockartigen, eher mauerartig gestalteten Struktur, die sich über den anstehenden Boden erhebt. Datierungshinweise liegen nicht vor. C.4.4.4.2.3 Oberflächenfunde Im Vorfeld der geophysikalischen Untersuchungen sind die geplanten Messflächen in Ausschnitten mit einem Metalldetektor abgesucht worden, um größere Metallgegenstände abzusammeln, da diese zwangsläufig zu Störungen in den Messbildern geführt hätten. Dabei ist neben zahlreichen Streufunden aus Keramik und anderen Materialien, die an Stellen mit weniger dichter Vegetation auf der Oberfläche sichtbar waren, auch eine nennenswerte Anzahl von interessanten Kleinfunden aus Metall geborgen worden. Insbesondere das Umfeld der beiden Befunde an_9/06 und an_10/06 (vgl. Abb. 119, rechts) lieferte zahlreiche Keramikscherben und diverse Kleinfunde wie Knochen, Schlacken, Bernsteinfragmente und Metallnägel, aber auch einige Buntmetallfunde, die im folgenden kurz vorgestellt werden sollen, da sie neben den 14CDaten als Datierungshinweis herangezogen werden können293. 293 Leider ist ein Teil der Oberflächenfunde aus Keramikfunde Die Keramik lässt sich technologisch in handgemachte Keramik und Drehscheibenware aufteilen. Die letztere überwiegt deutlich (vgl. auch Taf. 84). Die wenigen Fragmente handgemachter Keramik (Abb. 129) sind von bräunlicher und schwarzer Farbe, im Kern überwiegt schwarz. Die Magerung besteht aus rötlichem und weißlichem Gesteinsgrus von bis zu 2 mm Durchmesser. Ein Fragment weist eine Kammstichverzierung auf (vgl. Abb. 129, links; Taf. 84, 8), sonst bleiben die Scherben unverziert. Die handgemachte Keramik erinnert teilweise stark an die im Jahr 2005 in Fläche 3 zahlreich aufgefundene Keramikart. Besonders in Bezug auf Oberflächenfarbe, -beschaffenheit und Magerung sind die Scherben beider Lokalitäten nahezu identisch. Weitere Fragmente dieser Keramikart wurden vereinzelt sowohl in Fläche 2 aus dem Jahr 2005 als auch im Bereich der südlicher gelegenen Anomalienkonzentration AK1 angetroffen. Gleichzeitig tritt sie im Bereich östlich des Gräberfeldes von Wiskiauten in Erscheinung, wo in der Nähe der Grabungsflächen Fläche 5 und Fläche 8 und im Bereich der Palve deutliche Hinweise auf eine Siedlung des 7. und 8. Jahrhunderts identifiziert wurden. Damit etabliert sich hier eine KeAnomalienkonzentration AK2 seit der Einlieferung ins Magazin des Kaliningrader Museums für Geschichte und Kunst heute nicht mehr auffindbar bzw. nicht zugänglich, so dass zu einigen Funden keine Zeichnungen und genauen Maßangaben vorliegen. Alle besprochenen Funde werden jedoch als Foto abgebildet. Die Siedlungsforschungen 221 Abb. 130 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Drehscheibenkeramik, Oberflächenfunde. ramikart, die großräumig um das Gräberfeld in der Kaup verteilt ist und möglicherweise als Ausdruck einer großräumigen Besiedlung interpretiert werden kann. Die Zeitstellung allerdings ist bisher noch nicht zufriedenstellend erfasst. Vorläufige Datierungen an das Ende des 1. Jahrtausends für die Keramik aus Fläche 3 oder in das 7. und 8. Jahrhundert für die Fragmente aus Fläche 5 können nicht ohne weiteres auf die insgesamt sehr unspezifische Keramik der anderen Fundorte übertragen werden. Auffällig ist eine Scherbe mit einem Gitterstempeldekor (Abb. 135, rechts). Sie gleicht einem aus dem Brunnen in Fläche 2 geborgenen Stück (vgl. Abb. 234, rechts; Taf. 58, 22; vgl. auch Kap. C.5.6.2.2). Das Stück wirkt handgemacht und erinnert an mittelslawische Ware. Die Drehscheibenkeramik (Abb. 130; vgl. auch Taf. 84, 1–7. 9–46), darunter auch mehrere Randstücke, weist überwiegend Oberflächen von grauschwarzer oder hellbräunlicher Farbe auf. Selten wurde schwarze Färbung beobachtet, die durch sekundären Brand erklärt werden kann. Fast alle Fragmente weisen deutliche Drehspuren auf, die als flache, kantige Rillen auf der Außenseite erkennbar sind. Sie sind im Vergleich mit slawischer Keramik vor- sichtig als Gurtfurchen zu bezeichnen. An den Innenseiten der Fragmente sind Glättspuren sichtbar. Die Ränder sind scharf profiliert und deutlich nach außen ausladend gestaltet. Sie sind jedoch zu stark fragmentiert und zu klein, um komplette Gefäßformen zu rekonstruieren oder Durchmesserbestimmungen vorzunehmen. Im Kern sind die relativ hart gebrannten Scherben grau, seltener braun. Die Magerung besteht aus weißlichen Quarzitkörnern, die durchschnittlich bis zu 0,5 mm groß sind, aber auch Größen von bis zu 1 mm aufweisen können. Selten ist rötliche Magerung aus Gesteinskörnern belegt. Abgesehen von parallelen Rillen (Abb. 130; 131, links; vgl. auch Taf. 84, 1.9.12.13.22.24.25.39.40-43) bzw. Gurtfurchen wurden kaum Verzierungen beobachtet. Lediglich vier Scherben (Taf. 84, 2.8.39.41) sind mit Stempeleindrücken verziert, wobei eine Keramikscherbe mit Stempeldekor von einem handgemachten Gefäß stammt (Taf. 84, 8). Zweimal kommen Reihungen aus Kammstichen vor (Taf. 84, 39.41), die unter den Streufunden in Anomalienkonzentration AK1 und auch in Fläche 2 wesentlich häufiger auftreten. Die bei Anomalienkonzentration AK2 aufgesammelten Fragmente von Drehscheibenke- 222 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 131 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Oberflächenfunde. Links: Keramik mit Rillendekor. – Rechts: Bernsteinfragmente. ramik sind technologisch mit spätslawischer Gurtfurchenware vergleichbar und in das 11.– 13. Jahrhundert zu datieren. Auch einige Fragmente von hartgebrannter, ordenszeitlicher Grauware ebenso wie einige glasierte, neuzeitliche Scherben wurden beobachtet. Sie dürften mit ackerbaulichen Tätigkeiten in Zusammenhang mit dem ab dem 14. Jahrhundert schriftlich erwähnten Dorf Wosegau in den Boden gelangt sein. Sonstige Funde Im Bereich von Anomalienkonzentration AK2 sind bei unsystematischen Oberflächenbegehungen – erschwert durch die dichte Vegetationsdecke – mehrere Streufunde aus Metall gefunden worden (Abb. 132). Trotz weitgehend fehlender zeitlicher Einordnung dürften auch diese Funde größtenteils mit den Siedlungsaktivitäten in Zusammenhang stehen, auf welche die zahlreichen Anomalien in diesem Bereich hindeuten. Erwähnenswert sind neben zahlreichen Nägeln und mehreren unbestimmbaren Bronzeblechfragmenten vor allem einige Bronzefunde294. Es handelt sich um eine Fibel mit kolbenförmig verdickten Enden (Abb. 133, links), den Endknopf einer Fibel mit mohnkopfförmigen Enden (Abb. 134, 1; Taf. 85, 4), einen Kleiderverschluss- oder Gürtelhaken (Abb. 133, rechts), einen bandförmigen Fingerring (Taf. 85, 8), eine Bronzeschnalle (Taf. 85, 3) und Nicht zu allen Bronzefunden liegen bislang Fundzeichnungen vor, da sie noch nicht abschließend restauriert sind. Deswegen muss bei der Abbildung der Funde teilweise auf Fotos zurückgegriffen werden. 294 zwei Aufhängevorrichtungen von Gefäßen (Abb. 134, 3-4). Die Fibel mit kolbenförmig verdickten Enden (Abb. 133, links)) ist nur zur Hälfte erhalten. Der im Querschnitt ovale Bügel mit leicht konkaver Unterseite im Bereich der verbreiterten Enden ist größtenteils unverziert. Lediglich am Übergang zu den verbreiterten Enden ist eine Verzierung in Form von drei Strichgruppen sichtbar. Senkrecht zum Bügel verlaufen zunächst drei flache Rillen mit dazwischen befindlichen Stegen. Es folgen drei schräggestellte Rillen mit ebenfalls zwei Stegen. In umgekehrter Richtung setzt sich das gleiche Muster bis zum Bügelende fort, wo sich ein aus zwei randparallelen Rillen gebildeter Abschluss befindet. Eine Nadel ist nicht erhalten. Während Salmo (1956, 84ff.) den einzigen ihm bekannten Vertreter dieser Fibelform in seinem Typ 22 zusammenfasste und das Stück ins 12. Jahrhundert datierte, gehört die Fibelform bei Thunmark-Nylén (2006, 97) zum Typ 7, der durch flache Exemplare ohne aufgebogene Enden charakterisiert ist. Bei den Stücken mit kolbenförmigen Enden ist eine Verzierung aus Schrägstrichen oder Schlingenmuster häufig. Es handelt sich um einen Fibeltyp, der im Ostbaltikum relativ häufig aus späten Zusammenhängen bekannt ist (ebd. 115). Die Masse der Funde gehört offenbar ins 12.–14. Jahrhundert (ebd. 110; 115). Nach Nerman (1931, 169) liegen im südlichen Lettland, im Memelgebiet und in Ostpreußen Konzentrationen im Verbreitungsbild. Ein Endknopf einer Fibel mit sogenannten „mohnkopfförmigen“ Endknöpfen (Abb. 134, 1; Taf. 85, 4) entspricht dem Typ 11 nach Salmo Die Siedlungsforschungen 223 Abb. 132 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Metallfunde mit Materialangabe. (1956, 54). Thunmark-Nylén (2006, 97) ordnet Vertreter dieser Fibelform ihrem Typ 4 zu. Auf Gotland kommen die insgesamt 125 Exemplare vornehmlich in den Stufen VIII:3 und VIII:4 vor (ebd. 109), wobei sich in Stufe VIII:3 ein zeitlicher Schwerpunkt zu erkennen gibt. Die Hauptverbreitung fällt auf Gotland damit in das gesamte 11. Jahrundert und die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts (ebd. 692).Fibeln dieser Form sind in Schweden neben Birka auch mit einigen weiteren Exemplaren vertreten, aus Finnland sind 30 Stücke bekannt, sonst kommen Fibeln mit mohnkopfförmigen Enden auch „im Ostbaltikum, in Ingermanland, östlich von Ladoga und tiefer in Russland hinein“ (Thunmark-Nylén 2006, 112) vor. Im Ostbaltikum sind Fibeln dieser Form besonders geläufig. Aus Litauen kennt man ca. 520 Stück (Thunmark-Nylén 2006, 113). Ner- man (1929, 143) wollte den Typ wie Kivikovski (1973, Nr. 700) in Gotland beheimatet sehen, während Salmo (1956, 57f.) eine Entstehung im Ostbaltikum befürwortete. Halbfabrikate sind aus Tervete und Daugmale in Lettland bekannt, was letztere Theorie stützen könnte. Durch das Fragment der Fibel mit mohnkopfförmigen Enden ergibt sich ein Hinweis, dass die Siedlungsaktivitäten im Umfeld von Anomalienkonzentration AK2 schon in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts begonnen haben dürften. Für Wiskiauten bestätigt dieser Fund einerseits die Zeitstellung der südlich von Wosegau lokalisierten Siedlungsreste in die Zeit des 11.–13. Jahrhunderts, andererseits deutet er für diese Zeitspanne erneut eine Einbindung des Platzes in den ostbaltischen Kulturraum an. T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung 224 Abb. 133 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Oberflächenfunde. Links: Fragment einer Fibel mit kolbenförmigen Enden (Fu.Nr. D85), Bronze. – Rechts: Gürtelhaken oder Kleiderverschluss (Fu.Nr. D88), Bronze. 1 2 3 4 Abb. 134 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Oberflächenfunde. 1 Fibelendknopf (Fu.Nr. D206), Bronze. – 2 Eisennägel, Tierzähne und -knochen, Schlacke. – 3 Aufhängebeschlag, Bronze (Fu.Nr. D92). – 4 Aufhängebeschlag, Bronze (Fu.Nr. D97). Die Siedlungsforschungen 225 Abb. 135 Wiskiauten. Anomalienkonzentration AK2. Oberflächenfunde. Links: Bernsteinstücke. – Rechts: Keramikfragment mit Stempelverzierung (Fu.Nr. SF9/88). Ein Gürtelhaken (Abb. 133, rechts) aus dünnem Bronzeblech weist einen schlechten Erhaltungszustand auf, da die hellgrüne Patina bei der Auffindung an einigen Stellen bereits abgeplatzt war. Zudem fehlen beide Enden. Der erhaltene, weidenblattförmige Körper dagegen lässt noch eine Verzierung mit einem Linienmuster aus Tremolierstichen erkennen. Zwei Linien aus kleinen eingepunzten Strichen umlaufen den Körper in geringem Abstand vom Rand. In der Mitte zwischen den äußeren Linien ist eine aus ebenfalls je zwei Linien bestehende Verzierung in Form eines Andreaskreuzes angebracht, die zu den Seiten hin von je zwei Doppellinien abgegrenzt ist. Je zwei weitere senkrechte Doppellinien befinden sich zwischen der Mittelverzierung und den Spitzen der sich zum Rand hin verjüngenden Außenlinien. Wie bereits bei der Besprechung eines ähnlichen Hakens aus Anomalienkonzentration AK1 in Messfläche D erwähnt, bildet sich zusammen mit den Funden aus Wiskiauten und einigen weiteren samländischen Neufunden ein neuer Schwerpunkt im Verbreitungsgebiet dieser meist als Gürtelhaken interpretierten Funde. Ihr zeitlicher Schwerpunkt liegt im 10.– 12. Jahrhundert (vgl. Kap. C.4.4.4.1). Eine einfache Schnalle aus Bronze (Taf. 85, 3) besitzt einen omegaförmigen Rahmen mit trapezförmigem Querschnitt. Nur die gerade abschließende Basis weist einen viereckigen Querschnitt auf, hier ist lediglich die Außenseite im Querschnitt leicht abgeschrägt, alle anderen Seiten sind gerade. Am Übergang vom rechteckigen Schnallenteil zum rundlichen Riemendurchlass sitzt auf jeder Außenseite eine kurze rundliche Erweiterung an. Das Stück weist auf der Rahmenaußenseite und auf der Rückseite starke Bearbeitungsspuren, etwa von einer Feile, auf. Datierungshinweise liefert das Stück nicht, Analogien sind nicht bekannt. Als weiterer Streufund aus Anomalienkonzentration AK2 ist ein einfacher, bandförmiger Fingerring (Taf. 85, 8) anzuführen, der jedoch nur zur Hälfte erhalten ist. Zwei randbegleitende Rillen bilden die einzige Verzierung. Die einfache Ringform ist typologisch nicht aussagekräftig. Interessant sind auch zwei bronzene Ösen (Abb. 134), bei denen es sich um Aufhängebeschläge von Metallkesseln oder Holzgefäßen handeln dürfte. Ein Exemplar (Abb. 134, 3) weist Reste zweier dreieckiger Nietplatten auf, in denen sich noch ein ebenfalls bronzener Niet befindet. Dem zweiten Stück fehlen diese Nietplatten, wenngleich die verbreiterten, aber abgebrochenen Enden darauf hinweisen, dass es ähnliche Befestigungsvorrichtungen gegeben haben muss. Die Keramik- und Buntmetallfunde aus diesem Areal werden ergänzt durch zahlreiche Eisenfunde bisher unbekannter Funktion295, Da die Mehrzahl der Funde vor Abschluss dieser Studie nicht in restauriertem Zustand vorlag, entfällt eine genaue Beschreibung. 295 226 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung einige Schleif- oder Wetzsteinfragmente, drei Fragmente von tönernen Spinnwirteln, zwei Glasscherben, wenige Schlackereste, insgesamt zwölf Rohbernsteinstücke (vgl. Abb. 135, links), eines davon mit deutlichen Bearbeitungsspuren (vgl. Abb. 131, rechts), und einige Brocken verziegelten Lehms mit Abdrücken von Zweigen oder kleineren Ästen. Es handelt sich somit um Hüttenlehmreste oder Reste von Ofenkuppeln. Beide Interpretationen sprechen für Siedlungsaktivitäten in der direkten Umgebung. Mit den vorliegenden Streufunden wird erneut der Verdacht auf eine ausgedehnte Siedlungsfläche des 11.–13. Jahrhunderts bestätigt, wobei insbesondere unter den keramischen Funden wiederum einige älter anmutende Stücke auf eine Mehrphasigkeit hinweisen könnten. C.4.4.4.2.4 Interpretation Anomalienkonzentration AK2 ist insgesamt als großflächige Zone von Siedlungsaktivitäten vermutlich des 11.–13. Jahrhunderts zu beurteilen. Ältere und auch jüngere Befunde sind dabei nicht auszuschließen. Zwar könnte das Fundmaterial generell auch mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten wie etwa dem Aufbringen von Mist und den darin enthaltenen Abfallprodukten aus den mittelalterlichen Haushalten, zumindest für das 13. Jahrhundert, zu erklären sein, aber die dichte Konzentration von Funden bei gleichzeitigem Fehlen in der Umgebung und das Vorhandensein von Befunden im Boden macht eine Siedlung, die im Bereich der beschriebenen Phänomene liegt, wahrscheinlich. Diese Aktivitätszone dürfte sich bei intensiveren Begehungen oberflächlich durch die zahlreichen Keramikscherben eingrenzen lassen. Andererseits sind auch östlich der Straße von Wosegau nach Wiskiauten in einer Entfernung von etwa 150 m mit dem Metalldetektor einige Kleinfunde lokalisiert worden (vgl. Kap. C.4.4.5), die zeitlich in das hier vorgestellte Spektrum passen. Es ist möglich, dass beide Bereiche zu ein und derselben Siedlung gehören. Genauere zeitliche Aufschlüsse sind erst nach Ausgrabungen zu gewinnen. Die 14C-Daten aus den Anomalien an_9/2006, an_48/2006 und an_49/2006 deuten bislang auf eine Siedlung des 11.–13. Jahrhunderts hin. Besonders bei den Anomalien an_9/2006 und an_10/2006 dürfte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Siedlungsbefunde in Form von Gruben, Brunnen oder sogar Grubenhäusern handeln. Ähnliche Befunde lassen sich zunächst bei rein optischer Auswertung der Geomagnetikbilder zahlreich in der näheren Umgebung finden. Teilweise erfahren diese Vermutungen durch die Bohrergebnisse ihre vorläufige Bestätigung. Zumindest dürfte in fast allen überprüften Anomalien anthropogener Einfluss zu unterstellen sein. Die an der Oberfläche gefundenen Streufunde von Knochenmaterial und Schlacke könnten auf ausgedehnte handwerkliche Produktionsprozesse hinweisen, falls sich eine Zeitgleichheit mit der Keramik und den datierenden Buntmetallfunden als richtig erweisen sollte. Durch den Bernsteinfund mit Bearbeitungsspuren wird eine wirtschaftliche Beschäftigung mit diesem Rohstoff wahrscheinlich gemacht. C.4.4.5 Messfläche E Die 1250 m lange und etwa 90 m breite, grob nordsüdlich ausgerichtete Messfläche E liegt etwa 100 m östlich der Straße von Wiskiauten nach Wosegau (Taf. 90; zur Lage vgl. Abb. 66). Sie beginnt knapp nördlich der Verbindungsstraße von Wiskiauten nach Bledau und endet etwa 100 m vor dem Dorf Wosegau. Südlich von Wosegau fällt eine etwa 300 m lange Zone mit erhöhter Konzentration von Dipolen auf, die auf eine großräumige Verunreinigung mit rezentem Metallschrott hindeutet. Im Süden, etwa 250 m nördlich der Straße Wiskiauten nach Bledau, liegt eine weitere Konzentration von Dipolen, die aufgrund ihrer Regelmäßigkeit ebenfalls auf rezente menschliche Aktivitäten hinweist. Eine erhöhte Anomalienanzahl ist im mittleren Bereich der Messfläche auf einer Länge von etwa 350 m erkennbar. Sie liegt auf etwa der gleichen Höhe wie Anomalienkonzentration AK1 in Messfläche D. Auch lineare Strukturen sind in Messfläche E ansatzweise erkennbar (vgl. Kap. C.4.4.5.2). C.4.4.5.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien In Messfläche E sind insgesamt zehn Anomalien durch Bohrungen überprüft worden. Neun liegen im Bereich der im mittleren Messflächen- Die Siedlungsforschungen 227 Abb. 136 Wiskiauten. Anomalien an_37/06 (links) und an_38/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). bereich erkennbaren Anomalienkonzentration. Aus dieser Anomaliengruppe sind insgesamt neun Anomalien (an_37/06 bis an_39/06 und an_52/07 bis an_57/07) durch Bohrungen überprüft worden. Nur Anomalie an_40/06 befindet sich im südlichen Messbildbereich in einer Konzentration von Dipolen. Erstaunlicherweise erbrachte die Überprüfung der Anomalien in dieser Konzentration nur in etwa 30 % der Fälle ein positives Ergebnis. Anomalie an_37/06 Im Messbild ist Anomalie an_37/06 bei fast allen nT-Bereichen als großer Dipol erkennbar. Die Bohrungen legen als Grund für die Abweichung im Messbild (Abb. 136) einen Stein nahe, der in einer Tiefe von 0,6 m angetroffen wurde. Darüber wurden Bodenschichten dokumentiert, die keinerlei anthropogenen Einfluss erkennen ließen. So lag unter dem humosen Ackerhorizont von 0,35 m Dicke nur ein 0,25 m mächtiges Band aus rötlichbraunem Lehm, das insgesamt ungestört wirkte, bevor der Bohrer auf einen Stein traf. Es könnte sich somit in diesem Fall um einen großen Findling handeln, der in den anstehenden Boden eingebettet ist und der im Messbild als Dipol erkennbar wird. Andererseits könnte es sich um ein größeres Metallteil in der Nähe des Bohrpunktes handeln. Der durch die Bohrungen nachgewiesene Stein muss nicht zwangsläufig mit dem Dipol in Zusammenhang stehen, sondern könnte auch zufällig angetroffen worden sein, da im gesamten Umgebungsbereich Geschiebelehm ansteht, der auch größere Steine enthält. Anomalie an_38/06 Die in den geomagnetischen Messbildern bei +/- 3 nT fast exakt rundliche Anomalie an_38/06 ist auch bei Werten von +/- 24 nT noch deut- lich als schwarzer runder Punkt zu erkennen, nun aber mit 1,6 m Durchmesser etwas kleiner (Abb. 136). Dennoch weist die Erkennbarkeit auch in hohen nT-Bereichen auf eine starke Magnetisierung hin. Bei Messwerten von +/- 3 nT umschließt ein deutlicher weißer Hof die gesamte Anomalie auf einer Breite von etwa 1 m, der jedoch generell im Nordwesten stärker ausgeprägt ist. Ebenso wie bei Anomalie an_ 37/06 ist durch die im Anomalienmittelpunkt abgeteufte Bohrung unter einer Ackerschicht von 0,3 m zunächst für 0,15 m ungestört wirkender, rötlichbrauner Lehm nachgewiesen worden. Bei 0,45 m Tiefe verhinderte ein Stein ein tieferes Eindringen mit dem Bohrer. Auch in diesem Fall dürfte daher ein Stein, wahrscheinlich ein großer Findling, die Anomalie im Messbild verursacht haben. Ein archäologischer Befund liegt somit nicht vor. Anomalie an_39/06 Etwa 65 m nördlich von Anomalie an_38/06 liegt Anomalie an_39/06. Sie gibt sich im Messbild bei Werten von +/- 3 nT als rundliche schwarze Anomalie von 2,3 m Durchmesser zu erkennen, die bei Messwerten von +/- 24 nT auf 0,8 m Größe zusammenschrumpft (Abb. 137). Eine Bohrung im Anomalienmittelpunkt erbrachte einen Stein ab 0,6 m Tiefe, der von einer ungestört wirkenden Lehmschicht zwischen 0,3 und 0,6 m Tiefe und einem Ackerhorizont von 0,3 m überlagert wurde. In einer zweiten Bohrung 0,5 m südlich des Anomalienmittelpunktes zeigte sich unter dem Ackerhorizont von 0,3 m Dicke bis zum Ende der Bohrung bei 1,0 m Tiefe nur ungestörter, rötlichbrauner Lehmboden. Auch hier dürfte ein großer Findling Auslöser der geomagnetischen Anomalie sein. Es handelt sich nicht um einen archäologischen Befund. 228 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 137 Wiskiauten. Anomalien an_39/06 (links) und an_48/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). Anomalie an_40/06 Im südlichen Messbildbereich inmitten einer Konzentration von Dipolen, die fast linear angeordnet wirken, befindet sich Anomalie an_40/06. Die bei Werten von +/- 3 nT 2,8 m lange und 1,8 m breite schwarze Anomalie mit einem weißen Hof im Norden ist west-östlich ausgerichtet und bis zu Werten von +/- 24 nT in gleicher Form mit verringerter Größe sichtbar, wenngleich der weiße Hof nun nur noch als Grauschatten sichtbar ist (Abb. 137). Die erste Bohrung im Anomalienmittelpunkt erbrachte einen ungewöhnlich starken Ackerhorizont bis in eine Tiefe von 0,6 m, der insgesamt mit kleinen Rotlehmpartikeln und Holzkohleresten angereichert war. Ab 0,6 m Tiefe verhinderte ein Stein das weitere Bohren. In der zweiten Bohrung 1,0 m südlich des Anomalienmittelpunktes war der Ackerhorizont mit 0,38 m nicht so deutlich ausgeprägt. Darunter wurde bis in eine Tiefe von 1,0 m der anstehende, stark sandige Lehm mittelbrauner Farbe nachgewiesen. Eine menschliche Beeinflussung ist aufgrund der erhöhten Anteile von Rotlehm und Holzkohle in der ersten Bohrung denkbar, aber nicht schlüssig nachzuweisen. Durchaus kann es sich auch hier um einen großen Findling handeln. Abb. 138 Wiskiauten. Anomalien an_52/07 und an_53/07 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). Anomalien an_52/07 und an_53/07 Die beiden mit einem leichten Grauschatten umgebenen Anomalien an_52/07 und an_53/07, die bei Messwerten von +/- 3 nT eine nordwestsüdöstlich ausgerichtete längliche Struktur von 6,0 m Länge und 2,3 m Breite bilden, lösen sich bei höheren nT-Werten von +/- 6 nT bzw. +/- 12 nT in eine große (an_52/07) und mehrere kleinere Objekte (an_53/07) auf (Abb. 138). Die südlicher gelegene Anomalie an_52/07 verringert sich bei einem Wert von +/- 6 nT auf eine rundliche Anomalie von 2,1 m Durchmesser, bei +/- 12 nT ist sie nur noch 1,6 m groß. Die Bohrung im Mittelpunkt ergab keinerlei auffällige Schichtung unter dem 0,32 m dicken Ackerhorizont. Das gleiche negative Ergebnis ergab sich bei der Bohrung im Mittelpunkt der bei Messwerten von +/- 3 nT noch 2,3 m messenden, bei nT-Werten von +/- 12 nT nur noch 0,8 m großen, rundlichen Anomalie an_53/07, die sich in diesem Messwertbereich in mehrere Einzelanomalien aufzuteilen scheint. Zwar war hier der Ackerhorizont mit 0,43 m etwas mächtiger, auch darunter zeigte sich aber sofort der anstehende Lehmboden ohne erkennbare anthropogene Beeinflussung. Anomalie an_54/07 Die rundliche Anomalie an_54/07 mit einem Durchmesser von 2,6 m bei einem Wert von +/- 3 nT verringert ihre Größe bei einem Wert von +/- 12 nT auf 1,7 m Durchmesser, erst bei einem Wert von +/- 24 nT ist sie nur noch als diffuser grauer Schatten von 1,3 m Durchmesser zu erkennen (Abb. 139). Es handelt sich um eine Anomalie mit relativ starkem Magnetisierungsgrad. Das Bohrbild zeigte einen 0,3 m mächtigen Ackerhorizont, unter dem eine anthropogen beeinflusste, mit Holzkohle vermischte dunkelbraune Erdschicht zutage trat, Die Siedlungsforschungen 229 Abb. 139 Wiskiauten. Anomalien an_54/07 (links) und an_55/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). Abb. 140 Wiskiauten. Anomalien an_56/07 (links) und an_57/07(rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbildbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). die bis in eine Tiefe von 0,54 m nachweisbar war, bevor ein Stein ein tieferes Bohren verhinderte. Hier liegt wahrscheinlich ein zumindest anthropogen beeinflusster Horizont zwischen 0,3 und 0,54 m vor, der durch Entnahme einer Holzkohleprobe 14C-datiert wurde. Sie ergab eine Datierung in die späte Bronzezeit bzw. frühe Vorrömische Eisenzeit zwischen 792 und 411 v. Chr.296 Es könnte sich entweder um eine menschlich beeinflusste Erdschicht über einem Findling handeln, andererseits ist auch eine mit Steinen verfüllte Grube unter der anthropogenen Schicht denkbar. Anomalie an_55/07 Mit Maßen von 1,3 x 0,9 m bei ovaler Form und westöstlicher Ausrichtung ist Anomalie an_55/07 relativ klein, bleibt aber bis zu einem Wert von +/- 24 nT in ihrer Größe stabil (Abb. 139). Nur der bei niedrigen nT-Werten sehr ausgeprägte weißliche Hof, der sich ringsum die Anomalie zieht, ist bei hohen nT-Werten nur noch schwach sichtbar. Bis 0,43 m Tiefe reichte in der zur Überprüfung durchgeführten Bohrung der Ackerhorizont hinab. Ab hier war im Bohrkern ein in drei einzelne Horizonte unterteiltes SchichtpaKIA 32978: Radiocarbon Age: BP 2496 +/- 69, OneSigma-Range: cal BC 777-531, Two-Sigma-Range: cal BC 792-411. 296 ket nachzuweisen. Unter dem Ackerhorizont folgte zunächst zwischen 0,43 und 0,55 m ein mittelbrauner Lehm mit stellenweise humosen Einschlüssen, zwischen 0,55 m und 0,67 m ein sandiger, gelblichbrauner Lehm, darunter bis in eine Tiefe von 0,82 m ein mittelbrauner bis graubrauner Lehmboden, der erst ab 0,82 m Tiefe vom anstehenden, gelblichbraunen Lehm abgelöst wurde. Ob ein anthropogener Einfluss vorliegt, kann nicht mit Sicherheit entschieden werden, ist aber aufgrund der graubraunen Farbe des dritten Horizontes möglich, auch wenn in allen Schichten Einschlüsse wie Keramik oder Holzkohle fehlen. Anomalie an_56/07 Bei Anomalie an_56/07 handelt es sich um eine rundliche, schwarze Anomalie von 1,8 m bei einem Messwert von +/- 3 nT, die mit zunehmenden nT-Werten ihre Größe verringert, um bei +/- 24 nT noch als schwach graue Verfärbung von 1,2 m Durchmesser sichtbar zu sein (Abb. 140). Die Anomalie liegt mit mehreren anderen gleicher Form und Größe in einer kleinen Konzentration von Anomalien, zu der auch Anomalie an_57/07 gehört. In der Umgebung befinden sich auch einige diffuse lineare Strukturen, die jedoch nicht weiter untersucht worden sind. Die Bohrungen im Mittelpunkt 230 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 141 Wiskiauten. Messfläche E. Lineare Strukturen. der Anomalie legen als Grund für die Abweichung im geomagnetischen Messbild einen Stein nahe, der unter dem Ackerhorizont von 0,45 m Dicke angetroffen wurde. Anomalie an_57/07 Die rundliche, schwarze Anomalie an_57/07 mit einem Durchmesser von 1,9 m bei einem Messwert von +/- 3 nT verringert sich bei einem Messwert von +/- 24 nT auf einen diffusen grauen Schatten im Messbild, der nurmehr 1,2 m Durchmesser besitzt (Abb. 140). Durch Bohrungen im Anomalienmittelunkt ist eine anthropogene Beeinflussung nachgewiesen, die sich durch einen stark mit Rotlehmpartikeln und Holzkohle durchsetzten, humosen Horizont aus stark lehmigem Sand unter dem Ackerhorizont zwischen Tiefen von 0,36 und 0,8 m äußert. Eine in einer Tiefe zwischen 0,6 und 0,7 m aus dem Bohrkern entnommene Holzkohleprobe lieferte ein 14C-Datum zwischen 968 und 806 v. Chr.297 Der Befund lässt sich dadurch in die späte Bronzezeit einordnen. Es könnte sich um eine Siedlungsgrube handeln. Damit liegen nunmehr zwei in das erste Jahrtausend datierte Befunde aus der Anomalienkonzentration im mittleren Bereich der Messfläche E vor, die darauf schließen lassen, dass es in der Umgebung weitere Befunde dieser Zeitstellung geben muss. die von einer Senke im Westen die Messfläche in östlicher Richtung durchquert (Abb. 141, links). Es könnte sich um eine Abflussrinne handeln, da in den geologischen Karten in östlicher Verlängerung ein kleiner, heute noch teilweise vernässter Wasserlauf kurz vor dem ehemaligen Uferbereich des vermuteten Binnensees sichtbar ist. Eine Zeitlang bestand der Verdacht, dass es sich um einen der von Kleemann (1939a, 11) erwähnten, von deutschen Archäologen in östlicher Richtung angelegten Suchgräben handelt. Dieser Graben soll jedoch von der „Kaup nach Osten“ verlaufen sein. Ohne weitere Untersuchungen ist eine Interpretation zu unsicher. C.4.4.5.2 Lineare Strukturen An linearen Anomalien ist einerseits eine etwa 14 m breite Struktur hellgrauer Farbe mit dunkler Begrenzung im Norden bei einem Wert von +/- 3 nT im mittleren Messbildbereich auffällig, KIA 32979: Radiocarbon Age: BP 2726 ± 36, OneSigma-Range: cal BC 897-832, Two-Sigma-Range: cal BC 968-806. 297 Abb. 142 Wiskiauten. Messfläche E. Oberflächenfunde. Oben: Fragment eines Bronzegefäßes (Fu. Nr. D232). – Unten: Lanzenspitzenfragment oder Arbeitsgerät, Eisen (Fu.Nr. D211). Die Siedlungsforschungen 231 Abb. 143 Wiskiauten. Messfläche E. Oberflächenfunde. Links: Fragment eines Gegenstandes unbekannter Funktion, Bronze (Fu.Nr. D219). – Rechts: Fragment eines Zylinderschlosses, Eisen (Fu.Nr. D212). Eine ähnliche Anomalie von gräulicher Farbe (Abb. 141, Mitte), in die jedoch viele kleine, schwarze und punktuelle Anomalien eingebettet sind, befindet sich im südlichen Bereich von Messfläche E. Sie äußert sich als gräuliche Struktur von etwa 7 m Breite, die sich als nach Westen offener Halbkreis beschreiben lässt. An gleicher Stelle liegt eine heute vernässte Geländesenke, deren Ränder in etwa der linearen Anomalie entsprechen. Somit dürfte es sich um ein geologisches Phänomen oder um die Ränder einer anthropogen angelegten Senke handeln, die in diesem Zusammenhang aber nicht weiter von Belang ist. Eine interessante Konzentration von linearen Anomalien befindet sich nur knapp südlich von Anomalie an_37/06. Sie besteht aus mehreren, senkrecht und waagerecht zueinander verlaufenden Linien von etwa 1 m Breite bei Werten von +/- 3 nT, die eine Länge von ca. 10 m erreichen (Abb. 141, rechts). Die Linien nehmen offenbar deutlichen Bezug aufeinander. Sie bilden zwei nach Nordosten offene Quadrate, deren Südwestseiten durch weitere Linien geschlossen werden. Etwas versetzt von der Mitte schließen zwei weitere, nach Südwesten verlaufende Linien an. Folgeuntersuchungen haben bisher nicht stattgefunden. Der Auslöser der geomagnetischen Anomalien bleibt unbekannt. C.4.4.5.3 Oberflächenfunde und Interpretation Nicht direkt in der Messfläche selbst, aber in einem Areal zwischen dem nördlichsten Messbildbereich und der Straße nach Wosegau sind an der Oberfläche mehrere Metallfunde geborgen worden. Erwähnenswert sind ein Lanzenspitzenfragment (Abb. 142 unten; Taf. 85, 14), ein Fragment eines Zylinderschlosses aus Eisen (Abb. 143, rechts; Taf. 85, 13), ein Fragment eines gerundeten Bronzebleches mit Niet und rechteckiger Aussparung an der Basis mit unbekannter Funktion (Abb. 143, links; Taf. 85, 12) sowie ein Randstück eines massiven Gefäßes aus Bronze (Abb. 142 oben; Taf. 85, 11). Wenngleich sich aus den Funden selbst heraus keine zeitlichen Hinweise ergeben, scheint sich die Zone mit Metallfunden in der Umgebung von Anomalienkonzentration AK2 auch auf den Bereich östlich der Straße auszudehnen, wie die geringe Entfernung beider Fundregionen zueinander von nur 150 m nahelegt. 232 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Andererseits könnte hier eine abgegrenzte Konzentration an Metallfunden auf das Vorhandensein eines weiteren Siedlungsareals hindeuten. In diesem Areal ist mit Messfläche E bisher lediglich ein schmaler Streifen von 75 m Breite geomagnetisch vermessen. Im nördlichen Teil des Messbildes sind jedoch kaum nennenswerte Anomalien zu verzeichnen. Zumindest zeichnet sich keine so deutliche Häufung von größeren Objekten wie in Anomalienkonzentration AK2 ab. C.4.4.6 Messfläche F Die mit maximalen Ausmaßen von 100 m x 200 m relativ kleine Messfläche F von halber Trapezform liegt südlich der kleinen Kaup, dem östlichen Teil des Waldes mit dem Hügelgräberfeld (Taf. 91; zur Lage vgl. Abb. 66). Dieses Areal tritt durch seinen in mehreren voruntersuchenden Bohrungen nachgewiesenen sandigen Untergrund aus den anderen Messflächen hervor. Da in der geologischen Karte der Königlich Preußischen Geologischen Landesanstalt aus dem Jahr 1907 hier Lehmböden kartiert sind, könnte der Sandboden als Ausdruck menschlicher Lehmabbauaktivitäten verstanden werden; der Lehmboden dürfte somit schon abgetragen sein. Darauf deuten auch die erhaltenen Grabungspläne zum separierten, als „spätheidnischer Aschenplatz“ bezeichneten Bestattungsareal in diesem Bereich hin. Dieser soll bei Anlage einer Lehmgrube in den 1930er Jahren aufgedeckt worden sein (Engel 1932a). Möglicherweise hat diese Lehmentnahme auch in der Umgebung und damit in Messfläche F stattgefunden. Archäologisch relevante Anomalien wären in diesem Fall nicht zu erwarten. Tatsächlich sind im Messbild relativ wenige auffällige Strukturen erkennbar. C.4.4.7 Messfläche G Die in Nordsüdrichtung ca. 170 m breite und in Westostrichtung ca. 470 m lange Messfläche G (Taf. 92; zur Lage vgl. Abb. 66) ist eine der größten zusammenhängenden Messflächen und enthält auffällig viele Anomalien. Sie verteilen sich in einem unregelmäßigen Muster auf den gesamten gemessenen Bereich, mit einer leichten Häufung im mittleren Teil. Diese Zone mit erhöhter Anomaliendichte wird hier als Konzentration AK3 bezeichnet. Die Ano- malien sind mit teilweise 4,5 m Durchmesser meist von größerem Ausmaß als die Anomalien in den Konzentrationen AK1 und AK2. Die räumliche Verteilung der Einzelobjekte folgt jedoch keinem erkennbaren Muster. Interessant ist dieser Bereich im Osten des Gräberfeldes insofern, als auch hier südlich von Messfläche G eine rinnenartige Situation im Gelände auf einen ehemaligen Wasserlauf schließen lässt. Auch heute noch befindet sich hier ein Drainagegraben, der Wasser führt. Die Situation ist in Bezug auf topographische Verhältnisse also sehr gut mit der südwestlich von Wosegau liegenden Stelle am Rande des Woj zu vergleichen. Auch hier im Osten steht also das für Siedlungsaktivitäten sicherlich zu erwartende, oberflächlich zugänglich Süßwasser an. Der Drainagegraben entwässert die umliegenden Flächen, deren Relief deutliche Spuren anthropogener Modellierung aufweist, in Richtung der tiefer liegenden, heute noch nach starken Regenfällen fast vollständig mit Wasser bedeckten Senke zwischen Mohovoe und Sosnovka. Die kleine halbinselartige Erhöhung mit dem alten deutschen Flurnamen Palve mit ihren durchweg sandigen Böden, die in die vernässte Niederung vorgeschoben ist, bietet an dieser Stelle ideale Voraussetzungen für Siedlungsaktivitäten direkt am Wasser; auch an eventuelle Hafensituationen ist in diesem Zusammenhang zu denken. Allerdings erwähnt Kleemann (1939b, 208 Abb. 1; hier Abb. 144) für diese Palve eine „endjungsteinzeitliche, schnurkeramische“ Siedlungsstelle (ebd. 225, „Fundstelle Wosegau 6“). Hier sollen 1939 zwei Reibesteine und einige zum Teil typisch verzierte Scherben gefunden worden sein. Bei einer Oberflächenbegehung im Sommer 2005 konnten an dieser Stelle mehrere kleinste Fragmente schwarzer, mit rötlichem Granitgrus gemagerter Keramik sichergestellt werden. Im März 2008 ist der Bereich der Palve auch durch geomagnetische Messungen in Messfläche J2 (vgl. Kap. C.4.4.10.2) untersucht worden. Durch neue Ausgrabungsergebnisse aus dem Sommer 2008 lässt sich das Vorhandensein neolithischer Befunde mittlerweile bestätigen, die bei Anlage von Fläche 10 dokumentiert und durch 14C-Datierungen zeitlich eingeordnet worden sind. Aber auch eine bronzezeitliche und eisenzeitliche Besiedlung (Sondage S 8/9 aus dem Jahr 2008) und eine Die Siedlungsforschungen 233 Abb. 144 Ausschnitt aus der Karte archäologischer Denkmäler um Wiskiauten mit Kennzeichnung der Fundstelle „Wosegau 6“ auf der Palve durch einen roten Kreis (Kleemann 1939a, Abb. 1). völkerwanderungszeitliche Besiedlung, durch eine Wirtschaftsgrube in Fläche 9 belegt, wird durch die Ausgrabungsergebnisse des Jahres 2008 wahrscheinlich gemacht. Schließlich liegen aus der ebenfalls im Jahr 2008 angelegten Sondage S 15 auch Siedlungshinweise aus der Wikingerzeit vor. Kleemann (1939a, 6) ermittelte für ein Gebiet, das südlich des drainierten Baches liegt, die alte Flurbezeichnung „das alte Dorf“ und einen besonderen Abschnitt „Alte-Leute-Garten“. Zur Erklärung erläutert Kleemann, dass an dieser Stelle das alte Dorf Wiskiauten bestanden hat, aber nach einem Schadensfeuer um die Mitte des 19. Jahrhunderts abgerissen und weiter westlich an der späteren Stelle von Wiskiauten bzw. dem heutigen Mohovoe neu errichtet worden sein soll. Diese Flächen wurden in Messfläche K2 geomagnetisch untersucht (vgl. Kap. C.4.4.11). In Messfläche G sind im Jahr 2007 die beiden Ausgrabungsflächen Fläche 7 (vgl. Kap. C.5.2) und Fläche 8 (vgl. Kap. C.5.5) angelegt worden. In Fläche 7 kam dabei eine Siedlungsgrube mit zahlreichen Keramikfragmenten zum Vorschein, die nach Ausweis der 14C-Datierungen in die Vorrömische Eisenzeit gehört. Fläche 8 erbrachte einen knapp 1,0 m tiefen Befund mit starker Feuereinwirkung und Steinauskleidung an der Sohle, der sich über die 14C-Datierungen in die Zeit des 7. und 8. Jahrhunderts einordnen lässt. Diese beiden unterschiedlichen Datierungen an Befunden, die räumlich nur ca. 45 m voneinander entfernt liegen, mahnen bei der vorschnellen zeitlichen Einordnung gleichartiger Befunde in der Umgebung zu äußerster Vorsicht. Durchaus ist hier also mit einer räumlichen Vermischung von Siedlungsobjekten aus unterschiedlichen Zeiten zu rechnen. 234 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 145 Wiskiauten. Messfläche G mit Markierung der durch Bohrungen überprüften Anomalien. Ebenfalls in Messfläche G liegen die im Jahr 2008 angelegten Grabungsschnitte Fläche 15 und Fläche 16, die beide keine eindeutigen bzw. nur geringfügige archäologische Spuren freilegen konnten. Durch Bohrungen sind bislang die 13 Anomalien an_41/06 bis an_44/06, an_62/07 bis an_66/07, an_73/07 bis an_74/07 sowie an_80/07 und an_81/07 überprüft worden (Abb. 145). Auffällig viele Anomalien in dieser Messfläche haben in archäologischer Hinsicht kein positives Ergebnis erbracht. Möglicherweise liegt ein unbekannter Fehler bei der Einmessung der Anomalienmittelpunkte vor oder die anomalienerzeugenden Objekte liegen tiefer als 1 m unter der Oberfläche. Tatsächlich wurden die beiden in den Grabungsflächen Fläche 7 und Fläche 8 freigelegten Anomalien an_80/07 und an_81/07 jeweils etwa um 0,8 m nach Norden verschoben vorgefunden. Alle Bohrergebnisse aus diesem Bereich sind also mit großer Vorsicht zu interpretieren. Lineare Strukturen sind nur schwer auszumachen, sie lassen dabei die Deutlichkeit der anderen Konzentrationen vermissen. C.4.4.7.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Anomalie an_41/06 Dieses im Geomagnetikbild (Abb. 146) bei einem Wert von +/- 3 nT als schwarze Struktur von 2,8 m Durchmesser erkennbare Objekt weist auch bei höheren nT-Werten eine massive Schwarzfärbung auf, was auf eine hohe Magnetisierung schließen lässt. Erstaunlicherweise ergaben die Bohrungen im Zentrum keine auffällige Bodenschichtung. Lediglich ein mächtiger Horizont von 0–0,5 m, der unter anderem aufgrund der enthaltenen Rotlehmpartikel nicht klar als Pflughorizont anzusprechen war, konnte über dem ab 0,50 m anstehenden Boden dokumentiert werden. Eine Kontrastbohrung 3 m nördlich erbrachte eine identische Schichtung. Der Grund für die im Messbild vorhandene Anomalie ist damit bisher ungeklärt, es könnte sich um einen Messfehler handeln. Die Siedlungsforschungen 235 an_41/06 +/- 3 nT +/- 12 nT an_42/06 +/- 24 nT +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT Abb. 146 Wiskiauten. Anomalien an_41/06 (links) und an_42/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). an_43/06 +/- 3 nT +/- 12 nT an_44/06 +/- 24 nT +/- 3 nT +/- 12 nT +/- 24 nT Abb. 147 Wiskiauten. Anomalien an_43/06 (links) und an_44/06 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Anomalie an_42/06 Auch für Anomalie an_42/06 lässt sich bei deutlich sichtbarem, schwarzen Objektkern von rechteckiger Form bei 2,2 m Länge und 1,8 m Breite im Messbild (Abb. 146) durch die Bohrungen nur ein mit 0,45 m Mächtigkeit relativ stark ausgeprägter Ackerhorizont feststellen. Darunter folgte sofort der anstehende Boden. Die dokumentierten Holzkohlepartikel und Rotlehmanteile sind in der Pflugschicht enthalten und rechtfertigen keine Ansprache als archäologischer Befund, wie die 5 m nördlich durchgeführte Kontrastbohrung mit identischer Schichtung bestätigt. Der Auslöser für diese Anomalie ist auch in diesem Fall bisher nicht zu ermitteln. Es kommt wiederum ein Messfehler in Betracht. Anomalie an_43/06 Trotz deutlich sichtbarer Anomalie von rechteckiger Form bei einem Wert von +/- 3 nT (Abb. 147), die allerdings bei höheren nT-Werten deutlich abnimmt und amorphe Gestalt annimmt, lässt sich durch die Bohrung im Mittelpunkt keine anthropogene Beeinflussung feststellen. Erstaunlicherweise erbrachte dagegen eine Kontrastbohrung 3 m nördlich der Anomalie eine bis in eine Tiefe von 0,85 m er- kennbare, unnatürliche Bodenschichtung mit schwach lehmigem, humosem Sand mit Holzkohle und Rotlehmpartikeln, die auf anthropogenen Einfluss zurückzuführen sein dürfte. Anomalie und Kontrastbohrung sind hier genau gegensätzlich zur erwarteten Schichtung gestaltet. Auch hier könnte ein Messfehler zumindest die Abwesenheit eines Befundes bei Anomalie an_43/06 erklären. Anomalie an_44/06 Bei Objekt an_44/06 handelt es sich eigentlich um mehrere Anomalien, die auch von starken Dipolen verursacht sein könnten (Abb. 147). Die Bohrung erbrachte über dem ab 0,7 m Tiefe anstehenden lehmigen Boden mehrere nicht klar zu trennende Mischhorizonte mit bräunlichem Sand, der besonders zwischen 0,2 und 0,45 m Tiefe sehr viel Holzkohle und Rotlehm enthielt. Hier liegt sicherlich anthropogener Einfluss vor, der aber aufgrund der starken Dipole in der Umgebung mit rezenter Abfallentsorgung in Zusammenhang stehen könnte. Anomalie an_62/07 Bei Messwerten von +/- 3 nT stellt sich Anomalie an_62/07 als rundliches, schwarzes Objekt von 3,5 m Größe dar, dass sich schon bei 236 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 148 Wiskiauten. Anomalien an_62/07 (links) und an_63/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). einem Wert von +/-12 nT nur noch als schwacher Grauschatten von 3,0 m Durchmesser zu erkennen gibt (Abb. 148). Durch Bohrungen im Mittelpunkt der Anomalie konnte zunächst ein unter dem Ackerhorizont von 0,3 m Dicke liegendes, aus zwei Horizonten bestehendes Schichtpaket bis 0,52 m Tiefe nachgewiesen werden. Das Schichtpaket teilt sich in einen graubraunen bis dunkelbraunen und demnach humos beeinflussten, von Rotlehmpartikeln und Holzkohle durchsetzten Horizont zwischen 0,3 und 0,4 m Tiefe, der darunter bis in eine Tiefe von 0,52 m von einem Horizont gleicher Zusammensetzung abgelöst wird, der jedoch von hellbrauner Farbe und demnach schwächer humos ist. Darunter folgt der gelblichbraune, anstehende Lehm. Aus dem ersten Horizont unter dem Ackerboden wurde eine Holzkohleprobe zur Datierung entnommen, die ein 14C-Datum zwischen 690 und 887298 erbrachte. Eine zweite Bohrung zur Überprüfung nur unweit des Anomalienmittelpunktes ergab ein ähnliches Ergebnis. Aufgrund der für die Gesamtfragestellung vielversprechenden Daten wurde im Jahr 2007 über Anomalie an_62/07 Fläche 6 angelegt. Er blieb allerdings, abgesehen von einer mittig von West nach Ost durch den Schnitt verlaufenden Drainageleitung, ergebnislos (vgl. Kap. C.5.8). Der Grund für die Anomalie bleibt unklar. Ein Messfehler im Koordinatensystem ist hier auszuschließen, da der 4 x 2 m große Grabungsschnitt einen Teil dieser Anomalie erfasst haben müsste. Anomalie an_63/07 Mit 3,2 m Durchmesser zeigt sich Anomalie an_ 63/07 (Abb. 148) ähnlich groß wie Objekt an_ KIA 32980: Radiocarbon Age: BP 1230 +/- 30, OneSigma-Range: cal AD 720-865, Two-Sigma-Range: cal AD 690-887. 298 62/07. Auch das Erscheinungsbild als schwarze, rundliche Struktur bei einem Wert von +/- 3 nT haben beide gemeinsam. Das Bohrbild zeigt allerdings unter dem 0,33 m mächtigen Ackerhorizont lediglich eine 0,08 m dünne Schicht graubraunen, sandigen Lehms ohne jegliche Auffälligkeiten, bevor ab 0,41 m der übliche rötlichbraune Lehm auftrat. Die Kontrastbohrung etwa 2 m nördlich ließ diesen dünnen Horizont vermissen, unter dem Ackerhorizont von 0,4 m trat sofort der anstehende Lehm auf. Ein anthropologischer Einfluss ist nicht mit Sicherheit nachzuweisen. Anomalie an_64/07 Anomalie an_64/07 besteht aus einem schwarzen Fleck von 2,5 m Durchmesser bei einem nT-Wert von +/- 3 nT, der bei +/- 12 nT immer noch deutlich als nunmehr 1,7 m durchmessender, schwarzer Punkt bestehen bleibt (Abb. 149). Erst ab einem Wert von +/- 24 nT wird er zum leichten Grauschatten, behält aber Form und Größe annähernd bei. Unter dem Ackerhorizont von 0,3 m Dicke konnte hier durch die Bohrungen ein 0,3 m mächtiger Horizont dunkelbrauner Farbe mit hohem Humusanteil nachgewiesen werden, der jedoch Siedlungsanzeiger wie Holzkohle vermissen lässt. Ab 0,6 m Tiefe wird er von einem grünlichgrauen, stark lehmigen Sand mit deutlichem Grundwassereinfluss abgelöst, der bis ans Ende der Bohrung bei 0,8 m nachgewiesen wurde und bei dem es sich um den anstehenden Boden handelt. Die Kontrastbohrung, die 2 m westlich angelegt wurde, zeigte einen mit 0,47 m Dicke sehr mächtigen Ackerhorizont, der im unteren Bereich etwas dichter war als der lockerere Oberboden. Nur wenige Rotlehmpartikel im humosen Oberboden reichen in diesem Fall nicht aus, hier einen archäologi- Die Siedlungsforschungen 237 Abb. 149 Wiskiauten. Anomalien an_64/07 (links) und an_65/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). schen Befund zu unterstellen. Demnach dürfte der in der ersten Bohrung nachgewiesene Horizont als archäologisch relevant eingestuft werden. In Anbetracht des bei anderen Anomalien möglichen Messfehlers bleibt diese Interpretation jedoch mit einer gewissen Unsicherheit belastet. wiesene humose Erdschicht zwischen 0,37 m und 0,56 m Tiefe als Grund für die Anomalie im Messbild verantwortlich gemacht werden. Vermutlich handelt es sich um eine anthropogen erzeugte Störung des Magnetfeldes, womit prinzipiell ein Befund von archäologischer Relevanz vorliegen könnte. Anomalie an_65/07 Anomalie an_66/07 Die etwa 4 m lange und 2,6 m breite, nordsüdlich gerichtete Anomalie an_65/07 besteht offenbar zum Teil aus einem Dipol, der sich im Südwesten des Objektes befindet (Abb. 149). So ist zwar bei einem Messwert von +/- 3 nT eine große Struktur erkennbar, die offenbar ein zusammenhängendes Objekt bildet, bei einem Wert von +/- 24 nT zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Nunmehr ist im Südwesten ein Dipol sichtbar. Die eigentliche Anomalie, die als schwachgrauer rundlicher Fleck von 1,8 m in Erscheinung tritt, sondert sich im Nordosten ab. Unter dem Ackerhorizont folgt in der Bohrung ab 0,37 m eine dunkelbraune, humose Erdschicht, die aus schwach lehmigem Grobsand mit hohen Anteilen von Fein- und Mittelsand besteht. Danach wurde ab 0,56 m ein bis 0,75 m nachgewiesener rötlichbrauner Grobsand gleicher Textur dokumentiert. Ab 0,75 war die Bohrsonde leer, was als Anwesenheit von Grundwasser ab dieser Tiefe gewertet werden kann. Der Sand ist durch den hohen Wasseranteil aus der Sonde „herausgeflossen“. In der Kontrastbohrung, die etwa 2 m westlich abgeteuft wurde, zeigte sich ein völlig anderes Bild. Hier stand unter dem nur 0,28 m dicken Ackerhorizont ein mittelbrauner bis rötlichbrauner, schwachsandiger Lehm an, der ab einer Tiefe von 0,7 m von einem nassen, schluffigen, leicht tonigen Feinsand abgelöst wurde. Demnach kann die in der ersten Bohrung nachge- Die exakt rundliche Anomalie an_66/07 von 2,0 m Durchmesser ist bei einem Wert von +/- 3 nT als schwarzes Objekt, bei einer Darstellung mit +/- 24 nT dagegen nur noch als leichter Grauschatten von 1,1 m Durchmesser erkennbar (Abb. 150). Die Bohrung im Anomalienmittelpunkt gab einen ungewöhnlich dicken Ackerhorizont bis 0,54 m Tiefe zu erkennen. Darunter war bis 0,63 m Tiefe eine leicht gräuliche bis dunkelbraune, offenbar leicht humose Schicht sandigen Bodenmaterials nachzuweisen, die vom rötlichbraunen, anstehenden Lehm abgelöst wurde. Die gleiche graue Schicht wurde in der Kontrastbohrung etwa 2 m westlich in einem Tiefenbereich zwischen 0,29 und 0,49 m vorgefunden. Das Bohrergebnis liefert somit keine klar erkennbaren Hinweise auf den Auslöser der geomagnetischen Anomalie. Zur Überprüfung der Struktur, der in 4 m Entfernung in südöstlicher Richtung eine fast gleichartige Anomalie benachbart liegt, wurde im Sommer 2008 Grabungsschnitt Fläche 16 angelegt, der die Nordhälfte der Anomalie freilegen sollte. Abgesehen von mehreren größeren Steinen, die ohne erkennbares System in den anstehenden Lehmboden eingebettet lagen und die von einem gräulichen Erdmaterial umgeben waren, und drei kleinen rundlichen, maximal nur 0,05 m tiefen Gruben konnten keine Auffälligkeiten dokumentiert werden. Holzkohleproben wurden aus einer der drei kleinen Gruben im 238 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 150 Wiskiauten. Anomalien an_66/07 (links) und an_73/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Nordteil der 4 x 5 m großen Grabungsfläche extrahiert. Die nur wenige Zentimeter in den anstehenden Boden eingetieften, mit schwach gräulichem Sediment verfüllten und ein wenig Holzkohle enthaltenden Gruben könnten Überreste von Pfostengruben sein. Die Altersbestimmung einer Holzkohleprobe erbrachte eine 14C-Datierung in das späte Neolithikum299. Die Anomalie dürfte durch das gräuliche Erdmaterial und vor allem die darin liegenden Feldsteine verursacht worden sein. Eine klare Interpretation der aufgedeckten Befunde nicht möglich, ohne den gesamten Bereich großräumiger durch Ausgrabungen zu untersuchen. Anomalie an_73/07 Als rundlicher schwarzer Fleck von 2,6 m Durchmesser bei einem Wert von +/-3 nT gibt sich Anomalie an_73/07 zu erkennen (Abb. 150). Bei einem Wert von +/- 24 nT ist immer noch eine nun gräuliche Anomalie von 2,1 m Durchmesser zu erkennen, deren innerer Kern noch relativ dunkel erscheint. Die Bohrungen zeigten eine unter dem Ackerhorizont von 0,22 m liegende Schicht sandigen Bodenmaterials, das sich durch gräuliche Farbe und das Vorhandensein von Rotlehmpartikeln und Holzkohle bis in eine Tiefe von 0,62 m als vermutlich anthropogen beeinflusst interpretieren lässt. Allerdings wurde die gleiche Schichtung auch in einer Kontrastbohrung etwa 2,5 m südlich zwischen den Anomalien an_73/07 und an_74/07 festgestellt. Damit handelt es sich nicht um eine abgegrenzte Anomalie, sondern um eine großräumig vorhandene Schichtung, die vorsichtig als Kulturschicht angesprochen werden kann. Der Grund für die eigentliche Anomalie konnte nicht geklärt werden. KIA 37094: Radiocarbon Age: BP 3619 ± 31, OneSigma-Range: cal BC 2025-1943, Two-Sigma-Range: cal BC 2118-1892. 299 Anomalie an_74/07 Die in Nordwest-Südostrichtung 3,7 m lange und in Südwest-Nordostrichtung 2,2 m breite Anomalie an_74/07 liegt nur etwa 5 m südlich der Anomalie an_73/07. Sie hat in den geomagnetischen Messbildern bei allen nT-Werten ein vergleichbares Aussehen und ist hier als schwarzer, ovaler Punkt zu erkennen (Abb. 151). Lediglich ihre ovale Form und die Größe unterscheidet sie von Anomalie an_73/07. Auch hier konnte durch die Bohrungen kein klarer Hinweis auf mögliche Gründe für eine geomagnetische Abweichung festgestellt werden. Die Bohrprotokolle beider Anomalien und auch die dazwischenliegende Kontrastbohrung sind identisch. Anomalie an_80/07 Die ovale, nordsüdlich ausgerichtete Anomalie an_80/07 hat im geomagnetischen Messbild bei einem Messwert von +/- 3 nT eine Ausdehnung von 2 x 1,6 m. Sie besitzt einen weißen Hof von 0,75 m um ihren schwarzen Kern herum, der im Nordosten am deutlichsten ausgeprägt scheint (Abb. 151). Bei einem Wert von +/- 24 nT ist sie immer noch als schwarze, nunmehr auf eine Größe von 2,0 m x 1,5 m reduzierte Anomalie erkennbar, die jedoch bei diesen Werten keinen weißen Hof mehr aufweist. Insgesamt sind drei Bohrungen abgeteuft worden. In einer ersten Bohrung im Anomalienmittelpunkt wurde unter dem Ackerhorizont von mindestens 0,23 m Dicke ein bis 0,55 m Tiefe nachgewiesener Horizont dokumentiert, der ebenfalls stark humos beeinflusst war, sich aber durch die gräulichere Färbung vom Ackerboden unterschied. Zwischen 0,55 und 0,62 m folgte ein gelblicher lehmiger Sand mit vielen Holzkohlestückchen und Rotlehmpartikeln, der das Erdmaterial rötlich gefleckt erscheinen ließ. Er kann als anthropogen beeinflusste Schicht in- Die Siedlungsforschungen 239 Abb. 151 Wiskiauten. Anomalien an_74/07 (links) und an_80/07 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). terpretiert werden. Ab einer Tiefe von 0,62 m unter der Oberfläche traf der Bohrer auf einen Stein. Daher wurde 0,2 m nördlich eine weitere Bohrung durchgeführt, wobei der dritte Horizont aus der ersten Bohrung mit den vielen Rotlehmpartikeln in einer Tiefe von 0,66–0,74 m nachgewiesen werden konnte. Ab 0,75 m folgte der anstehende, rotfleckige, grünlichgelbe Mittelsand, der hier den natürlichen Boden darstellt. Die Kontrastbohrung 2 m südlich zeigte bis auf den rotlehmbeeinflussten Horizont und die Abwesenheit von Steinen einen gleichen Schichtaufbau. Demnach wird die Anomalie durch den anthropogenen Horizont und die Steine ausgelöst. Anomalie an_80/07 wurde im Sommer 2007 durch Fläche 8 überprüft (vgl. Kap. C.5.5). Als Grund für die Anomalie kann eine mit Rotlehm, Holzkohle und kleineren Steinen verfüllte Grube verantwortlich gemacht werden, die an der Sohle ab etwa 0,6 m Tiefe mit großen Feldsteinen ausgekleidet war und wenige Keramikfragmente enthielt. Durch 14C-Datierungen ist eine zeitliche Einordnung in das 7. und 8. Jahrhundert gesichert. Es handelt sich um eine Ofen- oder Feuerungsanlage. natürliche Schichtenfolge bis 0,76 m unter der Geländeoberfläche an, wobei im Bohrkern ab 0,55 m vermehrt Holzkohlepartikel und Keramikfragmente auftraten. Erst ab 0,76 m Tiefe kam der anstehende, gelblichgraue Sand zum Vorschein. Die 2,5 m südlich angelegte Kontrastbohrung zeigte zwar einen ungewöhnlich mächtigen Ackerhorizont bis 0,55 m Tiefe, ließ aber die auffällige Schichtung aus der ersten Bohrung vermissen. Der Befund wurde im Sommer 2007 in Fläche 7 freigelegt (vgl. Kap. C.5.2) und durch mehrere 14C-Analysen von Holzkohlestücken in die Vorrömische Eisenzeit datiert. Es handelt sich um eine flache Siedlungsgrube, in der zahlreiche Keramikscherben aufgefunden wurden und die vermutlich der Abfallentsorgung diente. Durch die beiden Anomalien an_80/07 und an_81/07 zeigt sich erneut, dass Siedlungsobjekte aus unterschiedlichen Zeiten direkt nebeneinander liegen können. Die Übertragung von Datierungen einer Anomalie auf benachbarte Objekte ist daher nicht ohne weiteres möglich. Anomalie an_81/07 Anomalie an_81/07 ist im Messbild bei einem Wert von +/- 3 nT als ovales, schwarzes Objekt von 2,2 m Länge und 1,6 m Breite bei nordwest-südöstlicher Ausrichtung erkennbar (Abb. 152). Sie besitzt einen schwachen weißen Hof, der im Nordosten am deutlichsten ausgeprägt erscheint. Bei einem Wert von +/- 24 nT ist immer noch ein schwarzes Oval von 1,6 m Länge sichtbar, das jedoch jetzt keinen Hof mehr erkennen lässt. Bohrungen im Anomalienmittelpunkt zeigten unter dem Ackerhorizont von 0,24 m Mächtigkeit eine un- Abb. 152 Wiskiauten. Anomalie an_81/07 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). 240 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung C.4.4.7.2 Lineare Strukturen Messfläche G und mit der darin enthaltenen Anomalienkonzentration AK3 lässt klare lineare Strukturen vermissen. An einigen Stellen entsteht besonders bei sehr niedrigen Messwertbereichen von +/- 1,5 nT bis +/- 3 nT durch Aneinanderreihung von Einzelanomalien der Eindruck einer linearen Struktur. So befindet sich im nördlichen Bereich in der Mitte der Messfläche in der Nähe von Anomalie an_43 eine von Südwesten nach Nordosten verlaufende dunklere Zone von ca. 60 m Länge (vgl. Abb. 145), in die zahlreiche kleinere Anomalien eingebettet sind. Auch im westlichen Messbildbereich sind großflächige, gräuliche Verfärbungszonen sichtbar, die die Messfläche über eine Strecke von 30–40 m von Nord nach Süd queren. Keine der Strukturen ist aber bislang durch weitere Maßnahmen untersucht worden. Aussagen zum Auslöser der Anomalien sind somit nicht möglich. Abb. 153 Wiskiauten. Messfläche G. Umgebung von Fläche 8. Bronzeperle (Fu.Nr. D117) als Aufsatz einer Ringtrense. C.4.4.7.3 Oberflächenfunde im Bereich von Anomalienkonzentration AK3 Im Bereich von Messfläche G sind während der Ausgrabungen und zur Überprüfung der Koordinatentreue der Messbilder gezielt einige in den geomagnetischen Messbildern erkennbare Metallobjekte mit einem Detektor anvisiert worden. Dabei gelang es auch, einige Objekte aus Buntmetall zu bergen. So wurde etwa 200 m nordwestlich und nur 40 m von der Bahnlinie entfernt eine polyedrische Bronzeperle an der Oberfläche gefunden (Abb. 153; Taf. 85, 16). Sie weist eine runde Durchlochung von 6 mm Durchmesser auf und misst bei einer Höhe von 12 mm an der breitesten Stelle 14 mm. Vier Hauptfelder weisen Verzierungen aus einrahmenden Linien auf, die aus kleinen eingepunzten Quadraten bestehen. Mehrere kleine Dreiecke, mit ihrer Basis an den Seitenlinien ausgerichtet, weisen mit der Spitze zur Mitte und tragen in ihrer Innenfläche einen kleinen Punkt als Verzierung. Die beiden abgeschrägten, jeweils zwischen diesen vier Hauptfeldern eingeschobenen Seitenflächen sind durch die gleichen Linien aus randbegleitenden Quadraten und kleinen Dreiecke verziert. Nach Vergleichen von der Insel Gotland gehört die Perle als Aufsatz auf den Ring einer Trense. Fast exakte Analogien liefern drei Grabfunde aus Gotland (Thunmark-Nylén 2006, 325). In Abb. 154 Ire auf Gotland. Inventar des Grabes 497 mit Ringtrense (rechte Bildhälfte), auf deren Ringe je drei polyedrische Perlen aufgesetzt sind (Thunmark-Nylén 1995 Abb. 193). Abb. 155 Wiskiauten. Geomagnetikmessfläche G. Oberflächenfunde. Links: Bronzeblechfragment (Fu.Nr. D153). – Rechts: eiserner Trensenring ? (Fu. Nr. D136). Die Siedlungsforschungen Grab 497 von Ire fand sich eine Trense (Abb. 154), auf deren Ringen je drei Perlen von fast identischem Aussehen angebracht sind. Dieses Grab enthält auch eine Ringfibel vom Typ 2 (ebd. 433), der in die späte Stufe VIII:2 und in den Beginn von Stufe VIII:3 datiert werden kann (ebd. 108) und damit in die Zeit zwischen ca. 950 und 1050. Außerhalb Gotlands werden Fibeln dieser Form im Allgemeinen ebenfalls in das 10. Jahrhundert datiert (ebd. 112). Außer den gotländischen Funden und dem Stück aus Wiskiauten sind keine weiteren Exemplare bekannt. Hier kommt außerhalb des Hügelgräberfelds von Wiskiauten anhand dieses Einzelfundes eventuell eine Beziehung zwischen beiden Regionen zum Ausdruck, die im Gräberfeld selbst anhand einiger Grabfunde so ausgeprägt in Erscheinung tritt. Es bleibt unklar, ob der Einzelfund mit noch nicht lokalisierten Siedlungsspuren in der Nähe in Zusammenhang steht. Die geringe Distanz zu einigen umliegenden Anomalien lässt darauf schließen. Andererseits zeigen die Ausgrabungsschnitte Fläche 7 und Fläche 8, wie nah zeitlich völlig unterschiedliche Befunde beieinander liegen können. Neben diesem herausragenden Einzelfund liegt aus Messfläche „Ost“ ein kleines, mit einem Niet versehenes Blonzeblechfragment mit Massen von 30 x 11 mm vor (Abb. 155, links) sowie ein bislang unrestauriertes, ringförmiges Eisenobjekt (Abb. 155, rechts) mit einem Durchmesser von 52 mm bei einer Ringstärke von 10 mm, bei dem es sich um einen Trensenring handeln dürfte. Dafür sprechen drei Korrosionsstellen, die in regelmäßigem Abstand am Ring haften und bei denen es sich um Reste von Riemenhaltern oder Gebissenden handeln könnte. Eine Datierung liegt nicht vor. C.4.4.7.4 Interpretation Durch die Überprüfung von Anomalien durch Bohrungen und Ausgrabungen sind in Messfläche G mehrere Siedlungsspuren aus unterschiedlichen archäologischen Epochen nachgewiesen worden. Viele der im Messbild erkennbaren Anomalien, die besonders im mittleren Teil eine unregelmäßige Konzentration bilden, dürften auf menschliche Siedlungstätigkeiten zurückzuführen sein. Es ist jedoch ausdrücklich vor einer vorschnellen zeitlichen Interpretation der Objekte zu warnen. Insbe- 241 sondere die Ausgrabungsergebnisse und die Datierungen ausgewählter Holzkohleproben aus den Grabungsschnitten zeigen deutlich, dass sich Siedlungsspuren verschiedener Zeiten in geringer Entfernung voneinander befinden können. Selbst eine subjektiv als regelmäßig empfundene Anordnung von Anomalien kann also auf Zufälligkeiten oder Befunde unterschiedlicher Epochen zurückzuführen sein. Diese Beobachtungen verbieten es, ohne weitere Ausgrabungen eine abschließende Einschätzung des archäologischen Beweismaterials vorzunehmen. Bei aller Unsicherheit lassen sich jedoch bereits jetzt einige tendenzielle Überlegungen zum Siedlungsgeschehen in diesem Bereich anstellen, die durch die bisherigen wissenschaftlichen Ergebnisse ansatzweise abgesichert werden können und im Sinne einer Arbeitshypothese verstanden werden sollten. In Messfläche G muss zunächst allgemein mit der Existenz von Siedlungsspuren der Vorrömischen Eisenzeit gerechnet werden, wie Fläche 7 (vgl. Kap. C.5.2; Abb. 183) mit der Abfallgrube zeigt. Dass unter den in der Umgebung liegenden Objekten weitere Befunde gleicher Zeitstellung zu finden sind, ist sehr wahrscheinlich. Sie lassen sich jedoch ohne weitere Bohrungen, Ausgrabungen und vor allem naturwissenschaftliche Datierungen von Probenmaterial aus den Befunden nicht identifizieren. Ähnlich verhält es sich mit den Siedlungsspuren aus der Zeit des 7. und 8. Jahrhunderts. Zwar liegt mit dem Befund in Fläche 8 (vgl. Kap. C.5.5) ein eindeutig datierter Siedlungsbefund vor, zeitgleiche Objekte aber sind in der Umgebung bisher nicht lokalisiert worden. Großräumiger betrachtet aber lässt sich die Zugehörigkeit des Befundes in Fläche 8 sehr wohl als Teil eines größeren Siedlungskomplexes interpretieren. Zieht man die Ergebnisse der südlich des drainierten Bachlaufes durch Bohrungen überprüften Anomalien und die zugehörigen 14C-Datierungen sowie die im Sommer 2008 in den Grabungsschnitten Fläche 11–13 ausgegrabenen Befunde hinzu, so verdichten sich die Hinweise auf Siedlungsaktivitäten in diesem Areal, die schwerpunktmäßig in das 5.–8. Jahrhundert fallen. Gleichzeitig sind mit den in Fläche 5 (vgl. Kap. C.5.4) dokumentierten Kulturschichten des 7. und 8. Jahrhunderts 242 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung auch östlich der markanten Bahnlinie von Königsberg nach Cranz zeitgleiche Befunde bekannt. Zusätzlich sind in deren Umfeld im Sommer 2008 neue Siedlungshinweise dieser Zeit durch Ausgrabungen erschlossen worden. Darüber hinaus ist die gesamte Fläche zwischen der Palve und Fläche 8 mit sehr einheitlichem keramischen Material übersät. Besonders im Umfeld von Fläche 5 sowie in einigen mit einem Bagger rezent angelegten Wartungsgräben im Randbereich des kleinen Bachlaufes konnten Scherben geborgen werden, die von handgemachten, der Keramik in Fläche 5 vergleichbaren Gefäßen stammen. Mit Vorsicht lassen sich die weite Verbreitung relativ gleichartiger Keramik, die in Fläche 5 in das 7. und 8. Jahrhunderts datiert werden konnte, sowie die durch die Ausgrabungsschnitte Fläche 5 und Fläche 8 des Jahres 2007 identifizierten Siedlungsspuren des 5. und 9. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt im 7. und 8. Jahrhundert als Teil eines größeren Siedlungskomplexes ausdeuten. Ein weiterer Hinweis liegt durch die Ausgrabungen des Jahres 2008 vor. Etwa 125 m westlich der Bahnlinie und 25 m südlich des Bachlaufes konnte in Fläche 13 ein Graben dokumentiert werden, aus dem 14C-Daten der Zeit zwischen 657 und 771300 stammen. Schon die Bohrungen in der später durch diesen Grabungsschnitt freigelegten Anomalie an_138/07 hatten mit zwei 14C-Daten301 aus dem späten 4.–9. Jahrhundert bzw. dem 7.–9. Jahrhundert eine ähnliche Zeitstellung erbracht. Diese drei Grabungsschnitte bilden gewissermaßen die Eckpunkte des potenziellen Siedlungsareal dieser Zeit. Dass die dadurch zu vermutende Siedlung Wurzeln in früherer Zeit haben könnte, zeigen wiederum die Ergebnisse der Ausgrabungen im Sommer 2008. So wurde in Fläche 9302 auf der Palve eine KIA 37092: Radiocarbon Age: BP 1310 ± 28, OneSigma-Range: cal AD 662- 765, Two-Sigma-Range: cal AD 657-771. 300 KIA 36104: Radiocarbon Age: BP 1426 ± 116, OneSigma-Range: cal AD 437-765, Two-Sigma-Range: cal AD 394-878; KIA 36105: Radiocarbon Age: cal BP 1298 ± 47, One-Sigma-Range: cal AD 665-770, Two-Sigma-Range: cal AD 648-861. 301 Aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Auswertung und Aufarbeitung der Grabungsergebnisse des Jahres 2008 können hier nur die wichtigsten Ergebnisse der Grabungsschnitte Fläche 9, 12 und 302 Holzkohleprobe aus einem Grubenbefund in die Zeit zwischen 550 und 637303 datiert. Die Grabungsfläche liegt etwa 250 m südöstlich von Fläche 5. Auch die der Fläche 13 direkt benachbarte Fläche 12 südlich des Baches und westlich der Bahnlinie beinhaltete einen Pfostenbefund, der durch eine 14C-Datierung in die Zeit zwischen 535-644304 eingeordnet werden kann. Insgesamt zeichnet sich der gesamte Bereich, zu dem neben Messfläche G auch die geomagnetisch vermessenen Messflächen K1 bis K3 und J1 bis J2 gehören, durch zahlreiche Hinweise auf menschliche Aktivitäten im 6.–8. Jahrhundert aus. Darüber hinaus liegen geringe Hinweise auf Siedlungsspuren des 8.–10. Jahrhunderts vor. So lieferte eine Holzkohleprobe aus Anomalie an_62/07 ein Datum in die Zeit zwischen 690-887305 Auch wenn die Ausgrabung dieser Anomalie in Fläche 6 keinerlei archäologische Befunde aufdecken konnte (vgl. Kap. C.5.8), ist die Probe mit einer gewissen Unsicherheit einer Kulturschicht zuzuordnen, die an mehreren Stellen dieses Areals beobachtet werden konnte. Sie gibt sich nur undeutlich als dünnes, gräuliches Bodenmaterial von 0,1–0,15 m Dicke zu erkennen, das in mehreren Grabungsund Sondageschnitten beobachtet worden ist. Trotz fehlender Stratifizierung ergibt sich ein Hinweis auf Siedlungsaktivitäten dieser Zeit, der durch andere Befunde bestätigt wird. So lieferte die im März 2006 abgeteufte geologische Bohrung „BWI 1“ (vgl. Kap C.4.1.1) einen Hinweis auf stark humose Ablagerungen mit Tierknochen und Keramikfragmenten im Randbereich des Baches. Ein aus diesen humosen Schichten stammendes Holzkohlestück erbrachte ein 14C-Datum aus dem 8.–10. Jahrhundert306. Unterstützend kann auch die 13 zusammengefasst werden. KIA 37088: Radiocarbon Age: BP 1476 ± 22; OneSigma-Range: cal AD 566 -611; Two-Sigma-Range: cal AD 550-637. 303 KIA 37089: Radiocarbon Age: BP 1488 ± 29, OneSigma-Range: cal AD 553-606, Two-Sigma-Range: cal AD 535-644. 304 KIA 32980: Radiocarbon Age: BP 1230 +/- 30, OneSigma-Range: cal AD 720-865, Two-Sigma-Range: cal AD 690-887. 305 KIA 30154: Radiocarbon Age: BP 1160 +/- 20, OneSigma-Range: cal AD 783-956, Two-Sigma-Range: 306 Die Siedlungsforschungen 243 Abb. 156 Wiskiauten. Anomalien an_58/07 (links) und an_59/07(rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Bronzeperle angeführt werden, die als Oberflächenfund nur etwa 25 m nordwestlich von Fläche 6 gefunden wurde und die in das 10. Jahrhundert gehört (vgl. Kap. C.4.4.7.3). Das ganze Gebiet ist als Zone hoher menschlicher Aktivität zu werten, die vor allem in der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends stattgefunden haben dürfte. Die Ausgrabungsergebnisse sind dahingehend zu werten, dass schon vor der vermuteten Ankunft der Skandinavier in der Siedlungskammer Wiskiauten eine einheimische Siedlung der prussischen Kultur etabliert war, deren Beginn bereits in der frühen Völkerwanderungszeit liegen könnte. Mit großer Wahrscheinlichkeit enthält Anomalienkonzentration AK3 jedoch auch Befunde der Vorrömischen Eisenzeit, so dass es nicht möglich ist, die Anomalien sämtlich einem für den Zeitraum zwischen dem 5. und 10. Jahrhundert – mit einer Hauptphase im 7. und 8. Jahrhundert – erschlossenen Siedlungsgeschehen zuzuweisen. C.4.4.8 Messfläche H Messfläche H (Taf. 93-94; zur Lage vgl. Abb. 66) ist während zweier Feldforschungskampagnen im März 2007 und im März 2008 entstanden. Daher erfolgt eine Unterteilung in die beiden Messflächen H1 und H2. Im Frühjahr 2007 wurde zunächst die 60 m breite und 510 m lange Messfläche H1 parallel zu Messfläche E in einem Abstand von 160 m vermessen. Der weitaus größere Teil dieses Areals dagegen ist im März 2008 vermessen worden. Diese in der Grundform rechteckige Messfläche H2 umfasst ein Gebiet von maximal 750 m Länge in Nordsüd-Richtung und 220 m in Westost-Richtung, wobei im Südosten ein leicht schräger Streifen von 425 x 90 m in nordwestlich-südöstlicher Ausrichtung angesetzt ist. cal AD 781-962. Messfläche H1 zeigt im Norden zunächst eine auffällig begrenzte Ansammlung von Dipolen, in der mit dem Metalldetektor viele Munitionsteile und Metallschrott aus dem zweiten Weltkrieg aufgefunden wurden307. Einige größere Anomalien häufen sich im mittleren Bereich, während die Umgebung relativ ruhig wirkt. Die beiden Anomalien an_58/07 bis an_59/07 (Abb. 156) sind durch Bohrungen überprüft worden. Sie werden vermutlich durch große Findlinge verursacht, da in beiden Fällen unter dem Ackerhorizont zunächst ungestörter, anstehender Boden nachgewiesen wurde, bevor der Bohrer in beiden Fällen ab 0,45 bzw. 0,55 m Tiefe auf einen Stein traf. Demnach sind die Steine in den natürlichen Boden eingebettet und auf geologischen Ursprung zurückzuführen. In Messfläche H2 sind an zwei Stellen Verdichtungen von Anomalien auszumachen. Zum Einen ist der nördliche Bereich durch eine etwa 130 m breite Zone mit hoher Anomalienzahl gekennzeichnet, die sich von West nach Ost durch die gesamte Fläche zieht. Aus dieser Gruppe, die hier als Anomalienkonzentration AK4 bezeichnet wird, sind mehrere Anomalien durch Bohrungen untersucht worden. Von den Anomalien an_88/08 bis an_91/08 sowie den Anomalien an_116/08 bis an_117/08 ist nur Anomalie an_89/08 als potentiell archäologischer Befund einzustufen. Alle anderen Bohrungen ergaben lediglich anstehenden Boden unter dem Ackerhorizont. Der Grund für die Nach mündlicher Aussage von Klaus Lunau, Selenogradsk, der an den damaligen Kriegshandlungen um das damals deutsche Cranz teilnahm, befand sich hier eine Abwehrstellung des deutschen Militärs, wodurch die Dipolansammlung eine plausible Erklärung findet. Verf. dankt K. Lunau für die bereitwilligen Auskünfte. 307 244 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 157 Wiskiauten. Lage der durch Bohrungen überprüften Anomalien in Messfläche H. Links: nördlicher Teil mit AK4. – Rechts: südlicher Teil mit AK5. Anomalien im Messbild ist unbekannt. Auch hier könnte es sich um ein natürliches Phänomen handeln, etwa um einen Bereich mit erhöhter Findlingsanzahl im geologischen Untergrund. Im südlichen Messbildbereich fällt neben mehreren kleinen Dipolkonzentrationen eine weitere Zone mit erhöhter Anomaliendichte auf. Sie wird hier als Anomalienkonzentration AK5 benannt. Auch im großräumigen Umfeld befinden sich einige verdächtige Objekte. Mit den Anomalien an_82/08 bis an_87/08 sowie an_119/08 bis an_121/08 sind neun Objekte durch Bohrungen überprüft worden. Interessante Ergebnisse lieferte lediglich Anomalie an_120/08, in allen anderen Bohrkernen war ein anthropogener Einfluss als Grund für eine Störung des Magnetfeldes nicht erkennbar. Da die Bohrung in Anomalie an_120/08 ein eindeutiges Bohrergebnis erbrachte, kann kein Fehler im Meßsystem vorliegen, der dieses „negative“ Ergebnis zu anderen Anomalien rechtfertigen würde. C.4.4.8.1 Anomalienkonzentration AK4 Anomalienkonzentration AK4 liegt im mittleren Abschnitt von Messfläche H2 (Abb. 157). Sie besteht aus unzähligen kleineren und einer Anzahl größerer Anomalien, die sich deutlich von der ruhiger wirkenden Umgebung abgrenzen. Die Anomalien ziehen als etwa 130 m breites Band unregelmäßiger Form von West nach Ost durch die gesamte Fläche. Mit den Anomalien an_88/08 bis an_91/08 und an_116/08 bis an_117/08 sind insgesamt sechs Objekte durch Bohrungen untersucht worden. Nur für Anomalie an_89/08 läßt sich ein archäologischer Hintergrund vermuten. C.4.4.8.1.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Anomalie an_88/08 Die rundliche, bei einem Wert von +/- 3 nT ca. 2,5 m große Anomalie an_88/08 (Abb. 158) liegt im südlichen Randbereich der nördlichen Anomalienverdichtung in Messbild H2. Bei einem Wert von +/- 24 nT zeigt sie sich nur noch als schwachgrauer Fleck von 0,5 m Durchmesser. Die zur Überprüfung abgeteufte Bohrung scheint dabei außerhalb der grauen Fläche zu liegen, so dass das negative Bohrergebnis nicht überrascht. Im Bohrkern war sowohl im Anomalienmittelpunkt als auch bei einer Kontrastbohrung 2,5 m westlich lediglich der rötlichbraune anstehende Lehm unter dem Ackerhorizont von ca. 0,35 m nachweisbar. Da die Bohrpunkte bei einem Messbildwert von +/- 3 nT ausgewählt wurden, ist es möglich, dass die eigentliche Anomalie durch die Boh- Die Siedlungsforschungen 245 Abb. 158 Wiskiauten. Anomalien an_88/08 (links) und an_89/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Abb. 159 Wiskiauten. Anomalien an_90/08 (links) und an_91/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). rung knapp verfehlt wurde. Anomalie an_89/08 Ein völlig abweichendes Bild bietet Anomalie an_89/08. Als Oval von 2,6 x 1,6 m Größe bei einem Wert von +/- 3 nT erkennbar, reduziert sie sich bei einem Wert von +/- 24 nT auf einen gräulichen Schatten mit dunklem Kern von 1,9 x 1,3 m Ausmaßen, der südwestlich-nordöstlich ausgerichtet ist (Abb. 158). Ein weißer Hof im Norden ließ schon vor der Bohrung auf die Existenz einer Verziegelungs- oder Brandschicht schließen, die auch tatsächlich in einer Tiefe zwischen 0,5 und 0,6 m nachgewiesen werden konnte. Zunächst zeigte sich unter dem 0,27 m mächtigen Ackerhorizont eine hellbraune bis gräuliche Schicht sandig-lehmigen Bodens mit Einschlüssen von Holzkohle, die bis 0,4 m Tiefe reichte. Ab 0,4 m folgte eine Schicht aus Holzkohle, vermischt mit lehmigem Erdmaterial, die von einem zwischen 0,45 und 0,5 m auftretenden Verziegelungshorizont abgelöst wurde, bevor ab 0,5 m der Lehmboden anstand. Es dürfte sich um eine Feuerstelle oder die Sohle eines Ofens handeln, wie die eindeutige Schichtenabfolge von Holzkohle über einem verziegelten Horizont anzeigt. Eine Datierung liegt nicht vor. Anomalie an_90/08 Die bei einem Messwert von +/- 3 nT als annähernd rundliches Objekt von 2,7 m in Erscheinung tretende Anomalie an_90/08 (Abb. 159) ist auch bei einem Wert von +/- 24 nT noch als tiefschwarzes Oval von nunmehr 2,0 m Länge und 1,8 m Breite sichtbar: ein Indiz eines hohen Magnetisierungsgrades. Der bei +/- 3 nT sehr stark ausgeprägte weiße Hof im Norden verliert sich bei höheren Messwerten zu einem leichten weißen Schatten. Trotz der hohen Magnetisierung und dem verdächtigen weißen Hof erbrachte die Bohrung im Zentrum keinerlei Hinweis auf den Auslöser der Anomalie, was umso mehr überrascht, als die Bohrung innerhalb des schwarzen Kerns angelegt wurde. Unter dem Ackerhorizont von 0,4 m wurde lediglich der anstehende Boden angetroffen. Anomalie an_91/08 Ähnliche Ausmaße hat mit 2,7 m Durchmesser die nur 33 m weiter nördlich gelegene Anomalie an_91/08, die sich durch einen massiven schwarzen Kern bei +/- 3 nT im Messbild äußert (Abb. 159). Auch bei einem Wert von +/- 24 nT ist sie noch deutlich sichtbar, jetzt allerdings bei einem Durchmesser von 1,1 m als gräulicher Fleck mit schwarzem Kern. 246 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 160 Wiskiauten. Anomalien an_117/08 (links) und an_116/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Die Bohrung im Mittelpunkt traf nach Durchdringung des Ackerhorizontes bei 0,3 m Tiefe auf einen Stein. Je eine Bohrung dicht rechts und links des Mittelpunktes dagegen erreichte in einer Tiefe von 0,3 m lediglich den anstehenden braunen Lehmboden. Der in der ersten Bohrung nachgewiesene Stein dürfte daher nicht mehr als 0,25 m groß sein. Es liegt kein archäologischer Befund vor. Anomalie an_116/08 Die mit einem leichten weißen Hof in nördlicher Richtung versehene Anomalie an_116/08 besitzt bei einem massiv schwarzen Kern bei einem Wert von +/- 3 nT einen Durchmesser von 1,75 m, der sich auf 1,1 m Größe bei einem Wert von +/- 24 nT verringert, aber deutlich sichtbar bleibt (Abb. 160). Zwei Bohrungen, eine im Mittelpunkt der Anomalie, eine weitere als Kontrastbohrung 3 m südlich angelegt, zeigten unter dem 0,4 m mächtigen Ackerhorizont einen rötlichbraunen Lehm, der als anstehender Boden interpretiert werden kann. Nur die Bohrung im Anomalienmittelpunkt erbrachte den Nachweis einer Bodenschicht mit zahlreichen natürlichen Eisenausfällungen ab 0,63 m bis zum Ende der Bohrung bei 0,73 m. Ein klarer Grund für die Anomalie ist nicht ersichtlich, anthropogener Einfluss ist nicht nachzuweisen. Anomalie an_117/08 Bei der Überprüfung einer rundlichen Anomalie von 2,5 m Durchmesser, die 25 m südöstlich von Anomalie an_116/08 liegt, ist es offenbar zu einem Messfehler gekommen, da die Bohrung 3 m nördlich des Anomalienmittelpunktes abgeteuft wurde. So überrascht es nicht, dass unter dem Ackerboden von 0,43 m nur der anstehende Lehmboden angetroffen wurde. Die schwarze Anomalie, die sich deutlich im Messbild zeigt (Abb. 160), bleibt in ihrem Ursprung daher ungeklärt. C.4.4.8.1.2 Interpretation Obwohl Anomalienkonzentration AK4 auffällig viele verdächtige Objekte enthält, hat nur die Bohrung in Anomalie an_89/08 als Auslöser für die geomagnetische Störung einen anthropogenen Einfluss nachweisen können. Es handelt sich vermutlich um eine Feuerstelle, die jedoch bislang nicht datiert werden kann. Auf dieser Basis ist keine schlüssige Interpretation möglich. Die Beobachtung, dass viele der überprüften Anomalien einen möglicherweise natürlichen Ursprung haben, lässt für Anomalienkonzentration AK4 ein geologisches Phänomen vermuten, das aber nicht genauer benannt werden kann. Das Bohrergebnis an Anomalie an_89/08 weist jedoch darauf hin, dass nicht alle Objekte dieser Zone natürlichen Ursprungs sein müssen. Durchaus ist mit weiteren archäologischen Befunden zu rechnen. C.4.4.8.2 Anomalienkonzentration AK5 Die hier als Anomalienkonzentration AK5 bezeichnete Ansammlung von größeren Objekten in den geomagnetischen Messbildern umfasst einen Bereich von 300 x 240 m im südlichen Bildausschnitt (Taf. 94). Die Hauptkonzentration (Abb. 157) liegt etwa 170 m nördlich der Strasse von Wiskiauten nach Bledau und umfasst ein Areal von 170 x 100 m. Es handelt sich um viele größere Objekte mit einem Durchmesser bis 3 m, zwischen die zahlreiche kleinere Anomalien mit Durchmessern von durchschnittlich 0,5 m eingestreut sind. Eine Regelmäßigkeit lässt sich nicht erkennen. Aus dieser Anomaliengruppe sind die insgesamt neun Objekte an_82/08 bis an_85/08, an_87/08 sowie an_119/08 bis an_122/08 durch Bohrungen überprüft worden. Nur Anomalie Die Siedlungsforschungen 247 Abb. 161 Wiskiauten. Anomalien an_82/08 (links) und an_83/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). an_120/08 lieferte dabei ein Ergebnis, das eine Ansprache als archäologischer Befund erlaubt. C.4.4.8.2.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Anomalie an_82/08 Bei Anomalie an_82/08 handelt es sich um eine ovale, nordsüdlich ausgerichtete Anomalie von 3,2 x 1,9 m bei einem Messwert von +/- 3 nT, die bei einem Wert von +/- 24 nT auf ein schwarzes Oval von 1,8 x 1,2 m zusammenschrumpft (Abb. 161). Nur 3 m westlich liegt ein zweites, identisches Objekt. Die zur Überprüfung durchgeführte Bohrung hat den Anomalienmittelpunkt aber offenbar verfehlt, wie sich nach der Montage der Messbilder im GISSystem später zeigte. Der Bohrpunkt liegt 1,25 m vom Anomalienmittelpunkt entfernt. Dementsprechend wurde im Bohrkern lediglich der Ackerhorizont bis in eine Tiefe von 0,46 m nachgewiesen, bevor der anstehende, stark lehmige Sandboden begann. Offenbar lag bei der Einmessung des Bohrpunktes mit dem Differential-GPS ein Fehler vor, der durch fehlende Satellitenabdeckung erklärt werden kann. Anomalie an_83/08 Ein ähnlicher „Messfehler“ liegt offenbar bei der annähernd rundlichen Anomalie an_83/08 vor (Abb. 161). Auch hier scheint die vermeintlich im Mittelpunkt durchgeführte Bohrung die Anomalie verfehlt zu haben. Zwar liegt der Bohrpunkt bei einem Messwert von +/- 3 nT noch innerhalb des schwarzen Kerns, bei einem Wert von +/- 24 nT jedoch, bei dem sich das Objekt immer noch deutlich als schwarze Verfärbung zu erkennen gibt, verfehlt er den Westrand der Anomalie um 0,35 m. So konnte auch hier durch die Bohrung nur ein allerdings relativ mächtiger Ackerhorizont von 0,52 m über dem anstehenden Boden nachgewiesen werden, der im unteren Bereich zwischen 0,35 und 0,52 m etwas sandiger wirkte. Diese Sandanreicherung fehlte in einer Kontrastbohrung, die 2 m westlich durchgeführt wurde. Ob sie bereits als Auslöser der Anomalie in Frage kommt, ist ohne weitere Untersuchungen unklar. Anomalie an_84/08 Als schwarzes Oval von 1,9 x 1,6 m zeichnet sich Anomalie an_84/08 bei einem Wert von +/- 3 nT im Messbild ab (Abb. 162). Sie besitzt einen weißen Hof, der jedoch nicht rings um die Anomalie verläuft, sondern im Nordwesten als fast gleich große helle Verfärbung angesetzt ist. Demnach könnte es sich um einen Dipol handeln. Bei der Darstellung mit einem Wert von +/- 24 nT ist der weiße Teil der Anomalie zu einem grauen Schatten zusammengeschrumpft, währen der Anomalienkern noch als kleiner schwarzer Kern mit einer 1,8 x 1,4 m großen Graufläche sichtbar bleibt. Bei dieser Darstellung zeigt sich auch, dass die im Mittelpunkt abgeteufte Bohrung den Kern der Anomalie verfehlt hat. Das Bohrergebnis ließ dementsprechend auch keine Auffälligkeiten erkennen, lediglich der Ackerhorizont von 0,2 m war über dem anstehenden Lehmboden zu beobachten. Anomalie an_85/08 Das gleiche Bohrergebnis zeigt die 90 m weiter nördlich liegende Anomalie an_85/08, die sich bei einem Wert von +/- 3 nT als 4 m 2,8 m großes Objekt im Messbild abzeichnet (Abb. 162). Mit einem höheren Wert von +/- 24 nT ist sie noch als graue Fläche von 2,8 x 1,8 m sichtbar. 248 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 162 Wiskiauten. Anomalien an_84/08 (links) und an_85/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Abb. 163 Wiskiauten. Anomalien an_87/08 (links) und an_119/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). Abb. 164 Wiskiauten. Anomalien an_120/08 (links) und an_121/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). In diesem Fall liegt die zur Überprüfung angelegte Bohrung innerhalb dieser Gaufläche, aber trotzdem konnte unter dem 0,35 m mächtigen Ackerhorizont nur der anstehende Lehmboden nachgewiesen werden. Der Grund für die Anomalie bleibt unersichtlich. Anomalie an_87/08 Als sehr unregelmäßige Anomalie von 2,6 m Durchmesser, die schon bei einem Wert von +/- 3 nT nur schwach sichtbar ist, lässt sich Anomalie an_87/08 (Abb. 163) beschreiben. Bei höheren nT-Werten ist sie nicht mehr sichtbar. Die Bohrung erbrachte keinerlei auffälliges Resultat. Lediglich der 0,3 m dicke Ackerhorizont wurde über dem anstehenden Lehmboden angetroffen. Ein archäologischer Hintergrund ist nicht nachzuweisen. Anomalie an_119/08 Bei Anomalie an_119/08 handelt es sich um eine rundliche schwarze Fläche von 3 m Durchmesser, wenn die Darstellung mit +/- 3 nT gewählt wird (Abb. 163). Bei einem höheren Wert von +/- 24 nT ist nur noch eine graue Fläche von nunmehr ca. 2 m Durchmesser sichtbar, deren Ränder unregelmäßig ausgefranst wirken. Ein klares Resultat lieferte die Bohrung im Anomalienmittelpunkt nicht. Unter dem Ackerhorizont von 0,3 m zeigte sich zunächst eine Schicht humosen, mittelbraunen Erdmaterials, das im Wesentlichen der Konsistenz des Ackerhorizontes entsprach, aber etwas dichter wirkte. Diese Schicht war bis in eine Tiefe von 0,44 m nachzuweisen. Es handelt sich vermutlich ebenfalls um einen ackerbaulich beeinflussten Horizont. Ab einer Tiefe von Die Siedlungsforschungen 249 0,44 stand der rötlichbraune Lehmboden an. Es liegen keine Hinweise auf einen archäologischen Befund vor. handelt es sich um einen Befund, der ebenfalls auf eine feuerbeeinflusste Grube zurückzuführen sein dürfte. Anomalie an_120/08 Anomalie an_121/08 Ein ovaler schwarzer Kern von 3,2 x 2,2 m, der mit einem im Norden stärker ausgeprägten weißen Hof ausgestattet ist, ließ vor den Bohrungen einen feuerbeeinflussten Befund als Grund für die geomagnetische Anomalie an_120/08 vermuten (Abb. 164). Die Bohrungen im Anomalienmittelpunkt erbrachten eine deutlich anthropogen beeinflusste Schichtenabfolge zwischen 0,3 und 0,76 m Tiefe. Zunächst folgte unter dem Ackerhorizont von 0,3 m Dicke eine inhomogene Erdschicht aus sandigem Lehm mit zahlreichen kleinen Verziegelungseinschlüssen, die bis 0,6 m unverändert blieb. Zwischen 0,6 und 0,73 m fand sich ähnlicher Boden, wobei nun der Rotlehmanteil deutlich überwog und auch kleine Holzkohlestücke dokumentiert wurden. Zwischen 0,73 und 0,76 fand sich eine schwarze, schmierige Bodenschicht, die im Wesentlichen aus Holzkohle bestand. Danach folgte der anstehende Boden. Zur Bestätigung wurde etwa 0,1 m westlich der ersten Bohrung ein zweiter Bohrkern entnommen. Zwei Holzkohleproben aus dem Horizont zwischen 0,73 und 0,76 m lieferten zwei unterschiedliche 14C-Daten, die beide im ersten vorchristlichen Jahrtausend liegen. Die aus dem ersten Bohrkern extrahierte Probe datiert in die Zeit zwischen 752 und 46 v. Chr.308 Eine weitere Probe stammt aus der zweiten Bohrung im Anomalienmittelpunkt aus dem gleichen Horizont, liefert aber mit einer Datierung in die Zeit zwischen 997 und 795 v. Chr.309 ein früheres Ergebnis. So kommt das gesamte erste vorchristliche Jahrtausend als Datierungsansatz in Betracht. Etwa 10 m östlich liegt eine Anomalie, die im geomagnetischen Messbild die gleiche Erscheinung aufweist wie Anomalie an_120/08, aber mit einem Durchmesser von 3,8 m wesentlich größer ist. Bohrungen sind nicht durchgeführt worden, aber mit großer Wahrscheinlichkeit Ein negatives Ergebnis lieferte die Bohrung in Anomalie an_121/08, die im Messbild bei einem Wert von +/- 3 nT als 2,0 m große schwarze Verfärbung sichtbar ist und bei einem Wert von +/24 nT nur noch aus einem grauen Schatten besteht (Abb. 164). Dem Ackerhorizont von 0,34 m Dicke folgte eine Schicht braunen Lehms mit relativ vielen Eisenausfällungen, bevor ab 0,5 m der jetzt grünlichbraune, stark lehmige Sand mit ebenfalls vielen rötlichen Eisenausfällungen nachzuweisen war. Eine Kontrastbohrung 2 m nördlich erbrachte das gleiche Ergebnis. In diesem Fall bleibt der Grund für die geomagnetische Anomalie unklar. KIA 36097: Radiocarbon Age: BP 2272 +/- 14, OneSigma-Range: cal BC 507-168, Two-Sigma-Range: cal BC 752-46. 308 KIA 36098: Radiocarbon Age: BP 2711 +/- 60, OneSigma-Range: cal BC 907-810, Two-Sigma-Range: cal BC 997-795. 309 C.4.4.8.2.2 Interpretation Nur für Anomalie an_120/08 ist durch die Bohrungen ein archäologischer Ursprung zu unterstellen, alle anderen Anomalien sind bislang unerklärbar. Während in einigen Fällen ein Fehler bei der Einmessung der Bohrpunkte das negative Ergebnis erklären könnte, stellt das gleiche Resultat bei korrekt eingemessenen Bohrpunkten diese Erklärung wiederum in Frage. Es bleibt nur die unbefriedigende Vermutung, dass ein bisher unbekanntes geologisches Phänomen die Anomalien im Messbild verursacht hat. Trotzdem liegt mit dem in das erste vorchristliche Jahrtausend datierten, feuerbeeinflussten Befund, der Anomalie an_120/08 verursacht, ein archäologisches Objekt aus dieser Anomalienkonzentration vor, das weitere Befunde gleicher Zeitstellung in der Umgebung vermuten lässt. Eine weitergehende Interpretation der Anomalienverdichtung im Messbild ist auf der geringen Datengrundlage nicht möglich. C.4.4.9 Messfläche I Am Rande der durch die geologischen Bohrungen und andere Beobachtungen als wahrscheinlich anzunehmenden, ehemaligen Wasserfläche zwischen Wiskiauten und Bledau liegt die in zwei Abschnitte zu unterteilende Messfläche I (Taf. 95); zur Lage vgl. Abb. 66). Sie wurde angelegt, um diesen Bereich auf mögliche Befunde einer Siedlung des Früh- 250 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 165 Wiskiauten. Messfläche I. Durch Bohrungen überprüfte Anomalien. mittelalters zu untersuchen, da aufgrund diverser, bereits früher erläuterten Überlegungen (vgl. Kap. C.4.1.4) eine Anbindung dieser Niederlassung an die schiffbaren Wassersysteme angenommen werden muss. Auch wenn insbesondere der nordwestliche Randbereich der ehemaligen Wasserfläche aufgrund einiger topographischer Beobachtungen wie fehlende Wasserläufe bzw. relativ große Entfernung zu den Hauptarmen des vermuteten Wassersystems nicht als besonders siedlungsgünstig eingeschätzt wurde, sollte eine systematische Überprüfung diesen Bereich einschließen. Messfläche I1 weist eine Gesamtlänge von 820 m in nordwest-südöstlicher Richtung auf und zieht sich als langer Streifen parallel zur vermuteten Uferkante hin. Im südlichen Drittel ist sie mit 110 m breiter als im nördlichen Bereich, Die Siedlungsforschungen 251 Abb. 166 Wiskiauten. Anomalien an_94/08 (links) und an_97/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). wo sie nur eine Breite von 55 m erreicht. Sehr viel kleiner ist die südlich eines kleinen Wasserlaufes gelegene Messfläche I2, die ein Areal von 130 x 95 m umfasst. Insgesamt weisen beide Flächen eine sehr geringe Bedeckung mit Anomalien auf. Eine auffällige lineare Struktur, die im nördlichen Bereich von Messfläche I1 von Westnordwest nach Ostsüdost die Messfläche quert, besteht aus einer Vielzahl von Dipolen, die zu zwei Reihen angeordnet scheinen (TAf. 95). Die gesamte Struktur ist bei einer Gesamtlänge von 120 m etwa 8 m breit. Die beiden Dipolreihungen umschließen dabei einen etwa 3,5 m breiten Streifen ohne nennenswerte Anomalien. Aufgrund der Regelmäßigkeit und des Vergleichs mit ähnlichen Phänomenen in Messfläche J2 (vgl. Kap. C.4.4.10.2) muss davon ausgegangen werden, dass es sich um Reste von rezenten Stacheldrahtzäunen handelt, deren Überreste in Form eiserner Drahtreste, Nägel und Krampen eine Störung in den geomagnetischen Messbildern verursachen. Die beiden Zäune dürften einen Weg in ihrer Mitte begleitet haben. 70 m weiter südlich fällt eine ähnlich hohe Dipolansammlung von linearer Form auf, die zunächst 25 m Richtung Westen verläuft, um dann in einem fast rechten Winkel auf 80 m Länge in südlicher Richtung zu verlaufen. Hier handelt es sich vermutlich ebenfalls um einen Weg, der durch eine erhöhte Dipolanzahl aufgrund verlorener Kleinmetallteile zum Ausdruck kommt. Beide Strukturen besitzen somit keine archäologische Relevanz. Abgesehen von diesen beiden auffälligen Dipolansammlungen ist auch der Rest der Messfläche von vielen kleineren Dipolen übersäht, die mit ackerbaulicher Nutzung in Zusammenhang stehen dürften. An Anomalien lassen sich nur wenige interes- sante Objekte ausmachen, die besonders im westlichen Randbereich des Mittelteiles von Messfläche I1 gehäuft auftreten. Erstaunlich ruhig dagegen bleibt der südliche, breitere Teil der Messfläche I1, wo kaum Anomalien und auch nur wenige Dipole in Erscheinung treten. Ebenso ruhig zeigt sich Messfläche I2, in der nur einige größere Dipole und wenige kleine, nicht sehr stark magnetisierte Anomalien das ansonsten eintönig gräuliche Messbild stören. Im Messfläche I1 sind mit den Objekten an_ 97/08 bis an_113/08 insgesamt 17 Anomalien angebohrt worden, während in Messfläche I2 nur die beiden Objekte an_93/08 und an_ 94/08 überprüft wurden (Abb. 165). C.4.4.9.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Anomalie an_93/08 In Messfläche I2 befindet sich Anomalie an_ 93/08, die bei einem Messwert von +/- 3 nT als 1,3 m große, rundliche schwarze Fläche in Erscheinung tritt. Bei einem Wert von +/- 24 nT ist sie kaum noch wahrzunehmen. Der Bohrpunkt liegt aufgrund eines unbekannten Fehlers bei der Einmessung etwa im südöstlichen Randbereich der Anomalie. Im Bohrkern folgte einem 0,45 m mächtigen Ackerhorizont eine ähnliche Schicht bis 0,54 m Tiefe, die ebenfalls stark humos war. Auffällig ist der folgende Horizont zwischen 0,54 und 0,62 m über dem anstehenden Boden. Er besteht aus gräulichbraunem, lehmigem Erdmaterial, siedlungsanzeigende Einschlüsse in Form von Holzkohle, Rotlehmpartikeln oder gar Keramikfragmenten konnten jedoch nicht beobachtet werden. In der Kontrastbohrung 3 m westlich fehlte dieser Horizont. Es ist davon auszugehen, 252 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 167 Wiskiauten. Anomalien an_98/08 (links) und an_99/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). dass er im Anomalienmittelpunkt deutlicher ausgeprägt ist und durch die Bohrungen nur der Randbereich eines Objektes erfasst wurde. Datierungshinweise liegen nicht vor. Es könnte sich um einen archäologisch relevanten Befund handeln. Anomalie an_94/08 Als Anomalie an_94/08 wird ein Objekt in Messfläche I2 bezeichnet, dass sich bei einem Messwert von +/- 3 nT als schwarze Fläche von 0,75 m Durchmesser zu erkennen gibt, bei einem höheren Wert von +/- 24 nT jedoch kaum noch sichtbar ist (Abb. 166). Bei dieser Anomalie liegt die Bohrung aufgrund des unbekannten Messfehlers außerhalb des vermuteten Kernbereiches, deshalb konnte im Bohrkern unter dem Ackerhorizont von 0,3 m Dicke lediglich der anstehende, rötlichbraune Lehmboden nachgewiesen werden. Anomalie an_97/08 Die im mittleren Bereich von Messfläche I1 gelegene Anomalie an_97/08 zeigt sich bei einem Wert von +/- 3 nT im Messbild (Abb. 166) als rundliche Anomalie von 1,6 m Durchmesser, die bei einem Wert von +/- 24 nT nur noch einen leichten Grauschatten darstellt. Die Bohrung erbrachte keinerlei auffällige Schichten unter dem 0,42 m mächtigen Ackerhorizont, der lediglich eine etwas gräulichere Farbe aufwies. Ein Grund für die Anomalie ist nicht zu ermitteln. Anomalie an_98/08 Auch für die mit einem Durchmesser von 1,4 m ähnlich große Anomalie an_98/08 mit gleichem Erscheinungsbild in den Messbildern, die nur 6 m westlich liegt, lässt sich durch die Bohrungen kein erkennbarer Auslöser für eine geo- magnetische Störung ausmachen. Lediglich ein Ackerhorizont von 0,45 m mit einer ebenfalls im unteren Bereich leicht dunkleren Farbe konnte über dem anstehenden rötlichbraunen Lehm nachgewiesen werden. Anzeiger für einen archäologischen Hintergrund fehlen. Diese Anomalie wurde zusammen mit einem weiteren Objekt 2,5 m weiter nordwestlich im Sommer 2008 in Fläche 18 untersucht, wobei jedoch nur ein Tiergang dokumentiert werden konnte, der einige größere Steine beinhaltete. Er erklärt die geomagnetische Störung im Messbild (Abb. 167) und zeigt gleichzeitig, dass bei der Interpretation der Anomalien generell mit natürlichen Phänomenen gerechnet werden muss. Als Auslöser für die zweite Anomalie in diesem Grabungsschnitt kommt ein 0,4 m großer Stein in Frage, der unter dem Ackerhorizont im Planum dokumentiert wurde. Hinter beiden Anomalien steckt demnach ein natürliches Phänomen, archäologische Relevanz liegt nicht vor. Anomalie an_99/08 Als ovales Objekt von 2,2 x 1,7 m bei west-östlicher Ausrichtung kann Anomalie an_99/08 beschrieben werden (Abb. 167). Die Größenangaben gelten für eine Darstellung mit +/- 3 nT, während sich bei einem Wert von +/- 24 nT nur noch ein leichter Grauschatten zeigt. Die Bohrung im Mittelpunkt ergab einen vielschichtigen Bodenaufbau. So reichte zunächst der Ackerhorizont bis in eine Tiefe von 0,38 m hinab, um dann von einer ähnlichen, aber dichteren Schicht aus dunkelbrauner, humoser Erde abgelöst zu werden, die bis 0,65 m Tiefe auftrat. Zwischen 0,65 und 0,67 m war zunächst ein dünnes Band aus gelblichem Sand eingeschoben, dem zwischen 0,67 und 0,69 m eine dünne Schicht dunkelbraunen, humosen Sandes Die Siedlungsforschungen 253 Abb. 168 Wiskiauten. Anomalien an_101/08 (links) und an_102/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). folgte. Zwischen 0,69 und 0,73 m wurde ähnlich humoser Boden wie im Ackerhorizont angetroffen, der jedoch hier etwas dichter wirkte und von einer Schicht aus dunkelbraunem, stark lehmigem Sand abgelöst wurde. Dieser war in einer Tiefe von 0,73–0,76 m nachweisbar. Der nächste Horizont zwischen 0,76 und 0,9 m bestand aus dunkelgrauem, schwach lehmigem Sand mit rötlichen Eisenausfällungen und wurde ab 0,9 m vom anstehenden hellgrauen bis rötlichbraunem Lehm abgelöst. Ob anthropogener Einfluss vorliegt, lässt sich schwer beurteilen. Siedlungsanzeigende Einschlüsse jedenfalls sind nicht beobachtet worden. Eine ähnliche Schichtenabfolge wurde auch in der Umgebung in mehreren Kontrastbohrungen erbohrt. Die Entstehung der Bodenschichten bleibt ohne weitere Untersuchungen unklar. Anomalie an_101/08 Bei Anomalie an_101/08 handelt es sich um eine rechteckige, schon bei einem Wert von +/- 3 nT nur schwach grau gefärbte Struktur von 1,6 x 0,8 m, die bei höheren Werten nicht mehr zu sehen ist (Abb. 168). Die Bohrung im südlichen Randbereich ergab ein kaum nennenswertes Ergebnis, bei dem unter dem 0,3 m mächtigen Ackerhorizont und dem ab 0,5 m anstehenden gräulichen Lehmboden lediglich eine etwas dichtere Schicht gleichen Erdmaterials wie im Ackerhorizont dokumentiert werden konnte. Ein archäologischer Hintergrund ist nicht nachzuweisen. Anomalie an_102/08 Ein ähnliches Ergebnis lieferte die 25 m südöstlich gelegene Anomalie an_102/08, die bei einem Wert von +/- 3 nT als 1,0 x 0,8 m großes, schwarzes Oval im Messbild erkennbar ist und auch bei einem Wert von +/- 24 nT noch eine Größe von 0,8 x 0,6 m besitzt (Abb. 168). Durch die Bohrungen ist unter dem 0,3 m dicken Ackerhorizont lediglich eine etwas dichtere Schicht ebenfalls dunkelbraunen, stark humosen Erdmaterials belegt, die ab 0,43 m vom anstehenden Boden abgelöst wird. Eine etwa 2 m südlich angelegte Kontrastbohrung ließ die verdichtete Schicht zwischen Ackerhorizont und natürlichem Untergrund vermissen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die im Anomalienmittelpunkt offenbar etwas tiefer hinabreichende humose Erdschicht die Anomalie im geomagnetischen Messbild auslöst. Ein archäologischer Befund kann hier ausgeschlossen werden. Anomalie an_105/08 Inmitten einer kleinen Dipolkonzentration am westlichen Rand der Messfläche I1 liegt die Anomalie an_105/08 (Abb. 169). Bei einer Darstellung mit +/- 3 nT ist sie als 4 m großer, rundlicher Fleck erkennbar, dessen Grenzen jedoch durch die umliegenden Dipole stark verunklart werden. Erst bei einem Messwert von +/- 24 nT zeigt sie sich als Objekt von 2,0 m bei annähernd ovaler Form. Unter dem Ackerhorizont von 0,33 m Mächtigkeit trat im Bohrkern bis in eine Tiefe von 0,85 m stark humoser, sandiger Lehm mit helleren Sandeinschlüssen in Erscheinung, dem zwischen 0,85 und 1,7 m ein bräunlicher, von Grundwasser beeinflusster Sandboden folgte, der bei 1,05 m einen größeren humosen Einschluss aufwies. Erst ab 1,7 m zeigte sich ein bläulicher Lehmboden, der mit Sicherheit als anstehender Boden bezeichnet werden kann. Eine Kontrastbohrung 3 m südlich wies zwischen dem Ackerhorizont, der in einer Tiefe von 0,4 m endete, und dem anstehendem, rötlichbraunen lehmigen Sand ab 0,68 m Tiefe eine Schicht humosen Erdma- 254 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 169 Wiskiauten. Anomalien an_105/08 (links) und an_106/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). terials auf, die dichter wirkte als der Ackerhorizont selbst, aber ansonsten die gleichen Merkmale aufwies. Für Anomalie an_105/08 ist aufgrund des Fehlens von siedlungsanzeigenden Einschlüssen nicht mit Sicherheit von einem archäologischen Befund auszugehen. Anomalie an_106/08 Ein schwarzer rundlicher Fleck im Messbild bei einem Wert von +/- 3 nT zeigte Anomalie an_106/08 an (Abb. 169). Sie ist bei einem Wert von +/- 24 nT kaum noch sichtbar. Die Bohrung im Mittelpunkt traf ab 0,35 auf einen Stein, der auch in der zweiten Bohrung 0,3 m östlich angetroffen wurde. In der dritten Bohrung 3 m östlich, die zu Vergleichszwecken abgetieft wurde, fehlte dieser Stein. Lediglich ein Ackerhorizont bis in eine Tiefe von 0,46 m und der darunterliegenden Lehmboden konnten hier beobachtet werden. Als Auslöser für die Anomalie dürfte somit der Stein verantwortlich zu machen sein. Ob er als natürlicher Bestandteil des Bodens aufzufassen ist oder durch menschlichen Einfluss hierher gelangte, bleibt unklar. Anomalie an_107/08 Anomalie an_107/08 ist im Messbild bei +/- 3 nT als schwarzer Fleck von 1,9 m Durchmesser sichtbar, der einen leichten weißen Hof nach allen Seiten besitzt (Abb. 170). Dieser Hof allerdings ist bei +/- 24 nT nicht mehr sichtbar, während der Anomalienkern immer noch deutlich, wenn auch mit 1,6 m Durchmesser geringfügig kleiner, in Erscheinung tritt. Im Bohrkern war unter dem 0,37 m dicken Ackerhorizont ein dreigeteiltes Schichtpaket nachzuweisen, bevor ab 0,63 m der anstehende, schwach lehmige Sand gelblichbrauner Farbe auftrat. Das dreigeteilte Schichtpaket bestand zwischen 0,37 und 0,52 m Tiefe aus einem Erdmaterial, das mit dem des Ackerhorizontes vergleichbar war, aber verdichteter wirkte. Es folgte zwischen 0,52 und 0,58 m Tiefe ein fast identischer Horizont, der sich lediglich durch die etwas dunklere Braunfärbung von den beiden vorangehenden Schichten unterschied. Kurz vor dem anstehenden Boden war als dritte Schicht ein gräulicher, leicht lehmiger Sand eingeschoben. Eine zweite Bohrung nur 1 m südlich erbrachte einen identischen Schichtenaufbau. Eine dritte Kontrastbohrung 3 m südlich, zeigte ebenfalls eine auffällige Schichtung im Bohrkern. Hier war nach dem Ackerhorizont zwischen 0,4 und 0,6 m wiederum ein dem Oberboden vergleichbarer Horizont anzutreffen, der sich lediglich durch größere Dichte von diesem abhob. Es folgte eine Schicht ähnlichen Bodens, der jedoch einen größeren Humusanteil aufwies. Er reichte bis in eine Tiefe von 0,66 m, um von einem inhomogenen Horizont abgelöst zu werden, der bis in eine Tiefe von 0,82 m aus humosem Erdmaterial bestand, in das zahlreiche verklumpte Sandbröckchen bräunlicher Farbe eingebettet waren. Es dürfte sich um Eisenausfällungen handeln. Ab 0,82 m Tiefe schließlich fand sich sandiger Boden, der aufgrund der großen Nässe fast ganz aus der Sonde „herausgeflossen“ war. Eine vierte Bohrung, die 2 m östlich der dritten Bohrung als zusätzlicher Vergleich abgeteuft wurde, zeigte lediglich einen bis in eine Tiefe von 0,51 m stark durchwurzelten Horizont, der wechselweise aus Sandschichten und humosem Boden bestand und zwischen den 0,3 m dicken Ackerhorizont und den ab 0,52 m Tiefe anstehenden gelblichbraunen Lehmboden eingebettet lag. Die Ergebnisse der Bohrungen an Anomalie an_107/08 lassen sich nicht klar interpretieren. Da in keinem Horizont Anzeichen auf Fund- Die Siedlungsforschungen 255 Abb. 170 Wiskiauten. Anomalien an_107/08 (links) und an_108/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). material oder Holzkohle angetroffen wurden, lässt sich kein archäologischer Hintergrund unterstellen. Die Bohrkerne bleiben jedoch auffällig und sprechen für eine kleinräumige Umlagerung von Bodenmaterial, die aber auch natürlich verursacht sein kann. Anomalie an_108/08 Die Anomalie an_108/08 wird bei einem Messwert von +/- 3 nT durch einen schwarzen Kern von 1,3 m Durchmesser bei rundlicher Form angezeigt, der sich zu einem leichten Grauschatten bei höheren nT-Werten verflüchtigt (Abb. 170). Die im Mittelpunkt abgetiefte Bohrung konnte unter dem mit 0,5 m ungewöhnlich mächtigen Oberboden zunächst einen ebenfalls stark humosen Horizont bis 0,7 m Tiefe nachweisen. Zwischen 0,7 und 0,82 m trat ein sehr stark humoser, leicht lehmiger Sand von schwarzbrauner Farbe auf, der jedoch keinerlei auffällige Einschlüsse enthielt. Er wurde ab 0,82 m Tiefe vom anstehenden rötlichbraunen Boden aus lehmigem Sand abgelöst. Die Kontrastbohrung 2 m östlich zeigte dagegen lediglich bis 0,6 m Tiefe humoses Bodenmaterial, in dem keine echte Schichtentrennung möglich war, bevor auch hier der anstehende Boden in Erscheinung trat. Es könnte sich bei dem auffälligen Horizont schwarzbrauner Farbe im ersten Bohrkern um Reste eines archäologischen Befundes handeln, zu dem aber keine Datierungshinweise vorliegen. Mit großer Wahrscheinlichkeit aber ist diese Schicht als Auslöser für die geomagnetische Anomalie verantwortlich zu machen. Anomalie an_113/08 Die bei einem Wert von +/- 3 nT als 1,5 m großes Objekt schwarzer Farbe erkennbare Anomalie an_113/08 (Abb. 171) liegt am süd- lichen Rand von Messfläche I1. Sie verringert ihre Größe bei einem Wert von +/- 24 nT auf etwa 0,75 m und zeigt sich nurmehr als grauer Schatten von unregelmäßiger Form. Eine im Mittelpunkt abgetiefte Bohrung konnte unter dem 0,3 m dicken Ackerhorizont eine dünne Schicht bis 0,36 m Tiefe gleichen Erdmaterials nachweisen, die jedoch deutlich von rötlichen Eisenausfällungen gekennzeichnet war. Zwischen 0,36 und 0,49 m folgte ein humoser Horizont aus dunkelbraunem, lehmigem Sand, der neben den rötlichen Eisenausfällungen auch Manganausfällungen dunkler Farbe enthielt. Zwischen 0,49 und 0,62 m fand sich ein mittelbrauner Lehm, der zusammen mit dem darunter liegenden, grünlichen Mittelsand schon als anstehender Boden eingestuft werden kann. Eine Kontrastbohrung 4 m östlich erbrachte ein annähernd identisches Ergebnis. Eine dritte Bohrung 3 m östlich, die somit zwischen den beiden ersten Bohrpunkten lag, ließ die humosen Horizonte vermissen und zeigte unter dem hier 0,5 m mächtigen Ackerhorizont lediglich den gelblichbraunen, lehmigen Sand, der den anstehenden Boden symbolisiert. Als Auslöser für die Anomalie kommt zunächst der Horizont mit den Eisenausfällungen in Abb. 171 Wiskiauten. Anomalie an_113/08 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messbereichen (Größe der genordeten Bildausschnitte etwa 12 x 12 m). 256 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Frage. Allerdings ist an der Stelle, wo die erste Kontrastbohrung den gleichen Horizont erbrachte, im Messbild keine Anomalie gleicher Ausprägung erkennbar. Der eigentliche Grund für eine magnetische Störung im Messbild bleibt daher unbekannt. Ein archäologischer Hintergrund ist nicht zu erkennen, aber auch nicht pauschal auszuschließen. C.4.4.9.2 Interpretation Obwohl beide Teilbereiche von Messfläche I einige Anomalien aufweisen, die nach der optischen Auswertung der Messbilder als verdächtig eingestuft wurden, erbrachten die Bohrungen keine nennenswerten Hinweise auf archäologische Objekte. Für die Anomalien an_ 97/08, an_98/08, an_101/08 und an_102/08 ist ein menschlicher Einfluss auszuschließen. Bei den Objekten an_93/08, an_99/08, an_105/08, an_106/08 sowie an_113/08 könnte es sich um anthropogen verursachte Störungen im Messbild handeln. Genauso wahrscheinlich sind jedoch natürliche Prozesse, die den Anomalien zugrunde liegen. Auch die in Messfläche I1 im Sommer 2008 angelegte Fläche 18 mit den darin dokumentierten Tiergängen bzw. Steinen als Auslöser für die Störungen im Messbild lässt darauf schließen, dass einer Vielzahl der Anomalien natürliche Phänomene zugrunde liegen. Nur die Ergebnisse aus der in Messfläche I2 angelegten Fläche 17 lassen sich vorsichtig als Objekte von archäologischer Relevanz deuten (zur Lage vgl. Abb. 18). Hier wurden zwei Befunde freigelegt, die aufgrund ihrer dunklen Verfüllung und des relativ hohen Anteils von Holzkohle sowie geringen Resten von handgemachter Keramik als archäologische Objekte eingestuft werden können. Die Ergebnisse der Prospektion im Bereich von Messfläche I entsprechen im Großen und Ganzen der negativen Erwartung, in diesem Areal für die Fragestellung relevante Befunde anzutreffen. Die naturräumlichen Vorraussetzungen für die Anlage einer Siedlung sind an anderen Stellen günstiger. Ohne weitere Hinweise, beispielsweise in Form von prägnanten Oberflächenfunden, kann der gesamte Bereich als relativ unverdächtig eingestuft werden. C.4.4.10 Messfläche J In einem besonders interessanten Bereich mit mehreren siedlungsgünstigen Faktoren liegt Messfläche J (Taf. 96; zur Lage vgl. Abb. 66), die sich in die beiden Teilflächen J1 und J2 untergliedert. Die Messfläche befindet sich etwa 1000 m östlich des Hügelgräberfeldes von Wiskiauten auf sandigem Gelände, das sich entlang der ehemaligen Uferkante der vermuteten Wasserfläche und rund um die halbinselartige Sandkuppe Palve erstreckt. Auf der Palve vermutete Kleemann (1939b, 225 „Fundstelle Wosegau 6“; vgl. Abb. 144) aufgrund von Oberflächenfunden eine endneolithische, schnurkeramische Siedlung. Am Nordufer eines kleinen Baches, der als drainierter Wasserlauf knapp östlich des heutigen Dorfes Mohovoe entspringt und parallel zum Südrand von Messfläche G in westlicher Richtung zunächst unter der Bahnlinie durchfließt, dann auf die ehemalige Wasserfläche zumäandriert und südlich der Palve in die noch heute vernässte Niederungsfläche mündet, liegt Fläche 5 (vgl. Abb. 183). Hier konnten im Jahr 2007 auf einer Fläche von 2 x 3 m insgesamt drei Siedlungshorizonte des 7. und 8. Jahrhunderts dokumentiert werden (vgl. Kap. C.5.4), die zusammen mit mehreren Bohrungen und Oberflächenfunden in der Umgebung Hinweise auf eine größere Siedlung dieser Zeitstellung lieferten. Im Sommer 2008 wurden auf der Palve selbst die beiden Grabungsschnitte Fläche 9 und Fläche 10 angelegt. Sie erbrachten Befunde des 5. und 6. Jahrhunderts, aber mit 14C-Daten aus dem Neolithikum und der Bronzezeit auch wesentlich frühere Siedlungsspuren. In einem Sondageschnitt S 8/9 sind bronzezeitliche, eisenzeitliche und völkerwanderungszeitliche Kulturschichten dokumentiert worden, während aus den beiden Sondagen S 15 und S 16 14C-Daten aus dem 8.–10. Jahrhundert vorliegen. Der gesamte Bereich scheint also in verschiedenen archäologischen Epochen als Siedlungsstelle genutzt worden zu sein. Hintergrund ist vermutlich die räumliche Nähe zur ehemaligen Wasserfläche, der Zugang zu einem fließenden Süßwasser und vielleicht auch der gut drainierende Sandboden, der für die Errichtung von Gebäuden gute Bedingungen offeriert. Gleichzeitig bietet die Palve eine erhöhte Geländeposition, die bei Überflutungen eine relative Die Siedlungsforschungen Hochwasserfreiheit garantiert und auch verteidigungstechnisch einige Vorteile bietet, da der Zugang an drei Seiten nur von der Wasserseite her möglich war. Messfläche J teilt sich in zwei durch den kleinen Bachlauf räumlich getrennte Areale. Nördlich des Baches liegt als 180 m langes und maximal 50 m breites Rechteck Messfläche J1, in der bereits im März 2007 Radarfläche 8 angelegt wurde (Abb. 172). Zudem befinden sich die Sondagen S 8 bis S 11 und der Sondageschnitt S 8/9 aus dem Jahr 2008 in diesem Bereich. Messfläche J1 zeigt sehr wenige auffällige Anomalien, von denen keine durch Bohrungen überprüft wurde. Rund um die im Durchmesser etwa 260 m große Palve herum, die in ihrem Zentrum durch ein dort vorhandenes Viehgatter nicht zugänglich ist, erstreckt sich Messfläche J2. Während der südliche Randbereich ununtersucht blieb, umschließt Messfläche J2 die Palve im Westen, Osten und Norden mit jeweils unterschiedlich großen Teilflächen, die hier jedoch keine zusätzlich Benennung erhalten. An weiterführenden Untersuchungen sind in Messfläche J2 bereits im März 2007 Radarfläche 7 im nördlichen Randbereich, im Sommer 2008 die Grabungsschnitte Fläche 9 und Fläche 10 im östlichen Teil und die Sondagen S 3 bis S 7 und S 15 im Westen und Norden angelegt worden (vgl. Abb. 183). C.4.4.10.1 Messfläche J1 In der 180 m langen und 50 m breiten Teilfläche J1, die nordsüdlich ausgerichtet etwa 50 m nördlich von Fläche 5 beginnt, sind kaum nennenswerte Anomalien auszumachen. Der nördliche und der südliche Bereich werden durch einige größere Dipole gekennzeichnet, die locker verteilt in der Fläche liegen, während der mittlere Bereich sehr ruhig wirkt. Im südlichen Messbildbereich befindet sich Radarfläche 8, die sich mit einer Größe von 10 x 20 m als Rechteck vom südlichen Messbildrand in Richtung Norden erstreckt. In den Radarbildern, in diesem Falle in den als Aufsicht zu verstehenden time-slices, sind bis zu einer geschätzten Tiefe von 0,6 m nur vereinzelte punktuelle Anomalien sichtbar, die unregelmäßig über die gemessene Fläche verteilt sind (Abb. 173). Ab 0,75 m Tiefe (Abb. 173, e) aber kristallisieren sich drei prägnante Strukturen 257 heraus. So liegt nun im Nordwesten eine größere schwarze Anomalie, die bei einer Größe von 2,2 x 1,1 m in die nördliche Messbildkante hineinläuft. Genau in der Mitte der südlichen Messbildhälfte liegt eine Gruppe mehrerer kleiner Anomalien, die zusammen eine Fläche von 3,3 x 2,2 m bedecken. Gleichzeitig beginnt sich in der Mitte der Radarfläche eine Struktur abzuzeichnen, die auf einer Breite von etwa 4,3 m das gesamte Messbild in westöstlicher Richtung quert. Während die südliche Anomaliengruppe ab einer Tiefe von 0,9 m (Abb. 173, f) wieder an Deutlichkeit abnimmt, gewinnen die mittlere und die nördliche Struktur etwas an Klarheit und wachsen als mehr oder weniger einheitlich schwarz gefärbte Fläche zusammen. Ab einer Tiefe von 1,2 m (Abb. 173, h) lösen sich alle Strukturen wieder in kleinere Einzelanomalien auf, eine flächendeckende Schwarzfärbung ist nun nicht mehr sichtbar. Es ist schwierig, die flächigen Radarbilder ohne weitere Daten zu interpretieren. Deshalb wurden in Radarfläche 8 insgesamt drei kleine Sondageschnitte S 8 bis S 10 mit einer Größe von 1 x 1 m angelegt (zur Lage aller Sondagen vgl. Abb. 174). Da sich in Sondage S 8 im Gegensatz zu Sondage S 9 in allen Profilen ein deutliches Kulturschichtenpaket zeigte, das auf den ersten Blick deutliche Übereinstimmung mit den in Fläche 5 dokumentierten Siedlungsschichten des 7. und 8. Jahrhunderts aufzuweisen schien, sind die beiden Sondagen durch einen 14,75 m langen Sondagegraben S 8/9 verbunden worden. Es zeigte sich, dass die in Sondage S 8 so deutlich erkennbaren Siedlungshorizonte nach etwa 4,5 m in nördlicher Richtung langsam ausliefen. Lediglich eine unter dem Ackerhorizont liegende Schicht leicht gräulichen Bodenmaterials war bis zum Anschlussprofil an Sondage S 9 zu verfolgen. Es zeigte sich allerdings, dass sich keine Übereinstimmung zu den in den Georadarbildern erkennbaren Strukturen feststellen ließ, so dass beide Methoden in diesem Fall nicht sinnvoll miteinander verknüpft werden können. Besonders interessant ist der Schichtenaufbau in Sondage S 8. Unter dem Ackerhorizont von ca. 0,3 m Dicke und einer fundleeren, nicht klar anzusprechenden Schicht darunter zwischen 0,3 und 0,5 m sind insgesamt drei gräuliche Erdschichten dokumentiert worden, die teilweise Keramikfragmente und Tierknochen 258 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 172 Wiskiauten. Messfläche J. Durch Bohrungen überprüfte Anomalien sowie Radarflächen 7 und 8 (grüne Kästen; im Norden Radarfläche 8, im Süden Radarfläche 7). enthielten. Sie können als Siedlungshorizonte interpretiert werden. Aus dem untersten Horizont, etwa zwischen 0,7 und 0,9 m Tiefe, stammt eine Holzkohle- probe, die über die 14C-Analyse in die Bronzezeit310 datiert werden konnte. Eine Probe aus KIA 37098: Radiocarbon Age: BP 2864 ± 32, OneSigma-Range: cal BC 1113-980, Two-Sigma-Range: 310 Die Siedlungsforschungen 259 Abb. 173 Wiskiauten. Radarfläche 8 (Größe 20 x 10 m), Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a – 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte). dem darüberliegenden Horizont zwischen 0,6 und 0,7 m Tiefe lieferte ein 14C-Datum, das in die Vorrömische Eisenzeit311 weist. Aus dem obersten Siedlungshorizont liegt eine 14C-Datierung vor, die bestätigt, dass hier auch mit Siedlungsspuren des 6.–10. Jahrhunderts312 zu rechnen ist. Sondage S 9, die nördlich von Sondage S 8 liegt und mit dieser durch den 14,75 m langen Suchgraben S 8/9 verbunden ist, ließ nur einen unter dem Ackerhorizont befindlichen Horizont leicht graubrauner Färbung erkennen, der vermutlich anthropogen entstanden ist und als schwach ausgeprägte Kulturschicht unbekannter Zeitstellung verstanden werden muss. Auch Sondage S 10 befindet sich innerhalb der Radarfläche 8. In ihr zeigte sich unter dem Ackerhorizont eine sehr stark gestörte Schicht dunkelbraunen Erdmaterials, die wenige Scherben handgemachter Keramik enthielt. Der bislang undatierte, vermutlich als Rest einer Kulturschicht zu interpretierende Horizont lässt sich in Bezug auf Zusammensetzung, Farbe und Fundmaterial mit der in Sondage S 8 in dieser Tiefe dokumentierten Schicht vergleichen und dürfte mit dieser gleichzeitig sein. Dadurch ergäbe sich ebenfalls eine Datierung ins 6.–10. Jahrhundert. Eine weitere Sondage S 11 liegt 40 m nördlich von Sondage S 9 in Messfläche J1. Sie enthielt keine eindeutigen Hinweise auf Siedlungsakcal BC 1129-924. KIA 37097: Radiocarbon Age: BP 2382 +/- 29, OneSigma-Range: cal BC 507-398, Two-Sigma-Range: cal BC 706-392. 311 KIA 37096: Radiocarbon Age: BP 1274 +/- 107, One-Sigma-Range cal AD 659-831, Two-SigmaRange: cal AD 591-988. 312 tivitäten. Es deutet sich an, dass vermehrt im südlichen Bereich von Messfläche J1 mit archäologischen Befunden aus der Bronzezeit, Eisenzeit und besonders der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends gerechnet werden muss. C.4.4.10.2 Messfläche J2 Wesentlich mehr Anomalien enthält die etwa 1,8 ha große Messfläche J2 auf der halbinselartigen Sandkuppe Palve (Abb. 174). Sie umschließt die in die Niederung vorgeschobene, etwa 2,5 m hohe Geländeerhöhung als nach Süden offenes U. Der Mittelteil und somit die höchste Stelle der Palve sind aufgrund eines Viehgatters nicht zugänglich. Im Norden liegt Radarfläche 7 mit einer Größe von 10 x 20 m. Neben einigen größeren Dipolkonzentrationen im nordöstlichen Teil der Messfläche sowie im westlichen Bereich am Ausgang des Viehgatters fallen einige größere Anomalien auf, die unregelmäßig über das gesamte Areal verteilt liegen. Eine kleine Konzentration von fünf Anomalien findet sich ganz im Südosten der Messfläche. Hier ist auch ein Teil einer linearen Struktur aus einzelnen Dipolen im Abstand von jeweils etwa 2 m zueinander erkennbar, die sich zusammen mit einer gleichartigen, jedoch viel längeren Anomalie im Nordosten fast ringförmig um den östlichen Teil der Palve herumzieht. Durch die im Sommer 2008 angelegte Fläche 10 konnte als Grund für diese Anomalie ein Stacheldrahtzaun ermittelt werden, der knapp unter der Oberfläche angetroffen wurde. Durch Bohrungen sind zu insgesamt fünf Anomalien Daten gewonnen worden, die in vier Fällen positive Ergebnisse erbrachten (zur Lage vgl. Abb. 172). Innerhalb von Messfläche 260 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 174 Wiskiauten. Messfläche J. Lage der Sondagen des Jahres 2008 und Radarflächen 7 (grüner Kasten unten) und 8 (grünerKasten oben) im Umfeld der Palve. J2 befinden sich auch die im Sommer 2008 angelegten Sondagen S 3 bis S 7 und S 15 (zur Lage vgl. Abb. 174). In den Sondagen S 3 bis S 5 im westlichen Bereich der Messfläche sowie den Sondagen S 6 im nördlichen Teil und S 7 auf der höchsten Stelle der Palve sind keinerlei auffällige Bodenhorizonte angetroffen worden. Insbesondere in Zusammenhang mit der nur etwa 50 m südlich dieser beiden Sondagen gelegenen, im Jahr 2007 geöffneten Fläche 5 nördlich des Bachlaufes ist dieses Ergebnis überraschend, da die dort sehr stark ausgeprägten Kulturhorizonte des 7. und 8. Jahrhunderts auch südlich des Baches zu erwarten gewesen wären. Zusätzlich ist auf der Südseite des Baches in dessen unmittelbarem Uferbereich eine Konzentration von Keramikscherben ähnlicher Machart wie diejenigen aus Fläche 5 an der Oberfläche beobachtet worden. Sie treten bis etwa 15 m südlich des Bachlaufes auf, bevor die dichte Grasdecke eine Auffindung unmöglich macht. Die Abwesenheit von entsprechenden Siedlungshorizonten in den genannten Sondagen deutet darauf hin, dass dieser Bereich entweder nicht in das Siedlungsgeschehen einbezogen war oder die Siedlungsspuren hier völlig vernichtet sind. Vereinzelt weist eine Zone schwarz gefärbter rundlicher Einschlüsse in einer hellbraunen Sandschicht unter dem humos beeinflussten Oberboden in den Sondagen S 3 bis S 5 darauf hin, dass ein möglicher Siedlungshorizont durch Bioturba- Die Siedlungsforschungen 261 Abb. 175 Wiskiauten. Radarfläche 7 (Größe 20 x 10 m), Time-slices in verschiedenen Tiefenbereichen: a – 0,15 m, b – 0,3 m, c – 0,45 m, d – 0,6 m, e – 0,75 m, f – 0,9 m, g – 1,05 m, h – 1,2 m, i – 1,45 m, j – 1,6 m (Tiefenangaben sind Annäherungswerte). tionen zerstört worden sein könnte. Besonders interessant sind die Ergebnisse aus Sondageschnitt S 15, der etwa 10 m südlich des kleinen Bachlaufes auf der Nordseite der Palve angelegt wurde. Unter dem 0,3 m mächtigen Ackerhorizont ließen sich über dem ab 0,9 m Tiefe anstehenden, ungestörten Sanduntergrund insgesamt sieben Horizonte unterscheiden, von denen mindestens drei deutliche Kulturanzeiger in Form von Tierknochen und seltener auch Keramikscherben aufwiesen. Aus dem obersten Horizont liegt eine 14C-datierte Holzkohleprobe vor, die als Entstehungszeit das 8.–10. Jahrhundert313 vermuten lässt. Durch dieses Ergebnis wird erneut deutlich, dass in diesem Bereich mit Kulturhorizonten auch aus dem Frühmittelalter gerechnet werden muss, die in der Umgebung bereits durch Pflugtätigkeiten zerstört sein könnten. Lediglich an den durch Pflugarbeiten weniger betroffenen Stellen, wie sie der feuchte, zum Pflügen ungünstige Bereich südlich des Baches darstellt, in dem Sondage S 15 liegt, könnte sich diese bislang jüngste Kulturschicht auf der Palve erhalten haben. Eine Bestätigung für diese Annahme liefert Sondage S 16 auf der gegenüberliegenden Seite des Bachlaufes. Auch hier, etwa 20 m nördlich des Baches und etwa 35 m nördlich von Sondage S 15 sind Kulturschichten aus dem 9.–11. Jahrhundert314 dokumentiert worden, die Tierknochen enthielten. In der nur 5 m östlich von Sondage S 15 entKIA 37242: Radiocarbon Age: BP 1171 +/- 27, OneSigma-Range: cal AD 782-892, Two-Sigma-Range: cal AD 776-961. 313 KIA 37245: Radiocarbon Age: BP 1063 +/- 23, OneSigma-Range: cal AD 974-1016, Two-Sigma-Range: cal AD 898-1021. 314 fernten, am nördlichen Rand der Palve positionierten Radarfläche 7 mit einer Größe von 10 x 20 m bei etwa nord-südlicher Ausrichtung sind bis in eine Tiefe von 0,3 keine Auffälligkeiten erkennbar (vgl. Abb. 175, a-b). Ab 0,45 m Tiefe (Abb. 175, c) beginnt sich in der Nordwestecke eine Anomalie abzuzeichnen, die auch in den geomagnetischen Bildern hervortritt. Bis in eine Tiefe von 0,6 m (Abb. 175, d) ist sie als abgegrenzte Anomalie sichtbar, bevor sie in einer großräumigen Schwarzfärbung im nördlichen Radarflächenbereich aufgeht. Die Radarbilder zeigen nun einen nördlichen, dunkel gefärbten Bereich und einen hellgrauen Bereich im Süden, der relativ ruhig und ungestört wirkt. Erst ab einer Tiefe von 1,05 m (Abb. 175, g) beginnt sich auch hier in der Südwestecke eine kleine schwarze Anomalie abzuzeichnen. Ihr tritt ab einer Tiefe von 1,2 m (Abb. 175, m) eine zweite Anomalie westlich an die Seite, während gleichzeitig der nördliche Bereich wieder hellgrau erscheint und keine deutlichen Anomalien mehr zeigt. Bis in eine Tiefe von 1,6 m (Abb. 175, j) bleibt die westliche der beiden südlichen Strukturen noch schwach erkennbar, während die östliche schon bei einer Tiefe von 1,45 m (Abb. 175, i) nicht mehr sichtbar ist. Mit den geomagnetischen Bildern lassen sich die Ergebnisse der Radarmessungen nicht verknüpfen. Ohne weitere Untersuchungen sind Ursache und Entstehung der Anomalien in Radarfläche 7 nicht zu klären. Es scheint sich jedoch anzudeuten, dass mögliche Siedlungsobjekte im Norden der Radarfläche tiefer liegen als im Süden. Das entspräche der Geländesituation, denn auch die Palve fällt in Richtung Bachlauf ab. 262 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 176 Wiskiauten. Anomalien an_127/08 (links) und an_128/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). C.4.4.10.2 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Anomalie an_127/08 Eine Aneinanderreihung von mehreren Dipolen im südöstlichen Randbereich der Palve wurde als Anomalie an_127/08 benannt (Abb. 176). Auf einer Strecke von 25 m liegen diese Dipole in einer geraden Linie in nordost-südwestlicher Ausrichtung. Eine gleichartige, aber längere Struktur befindet sich im nordöstlichen Randbereich der Palve. Sie scheint sich am Rand der Sandkuppe entlang zu ziehen. Am Anfangs- und am Endpunkt dieser linearen Struktur wurden zwei Bohrungen abgetieft. Sie zeigten unter dem Ackerhorizont von 0,4 m Dicke zunächst eine ähnliche Schicht sandigen, leicht humosen Erdmaterials, die ebenfalls noch zum Ackerhorizont gehören könnte, aber etwas dichter war als der Oberboden und durch die dunklere Färbung einen höheren Humusgehalt anzeigte. Zwischen 0,6 und 0,82 m Tiefe folgte ein stark humoser, dunkelbraun bis schwarzbraun gefärbter Horizont, der Rotlehmpartikel enthielt. Durch die in der Mitte der Dipolreihung im Sommer 2008 angelegte Fläche 10 ist bewiesen, dass diese lineare Anomalie das Ergebnis eines Stacheldrahtzaunes ist, der oberflächennah in den Ackerhorizont eingebettet lag und offenbar die gesamte Palve umschlossen hat. Ein archäologischer Hintergrund liegt nicht vor. Allerdings sind die dunkelbraunen bis schwarzbraunen Erdschichten zwischen 0,6 und 0,8 m Tiefe als Siedlungshorizonte zu werten, da sie auch in Fläche 10 dokumentiert werden konnten. Hier allerdings fanden sich mehrere anthropogen beeinflusste Schichten, aus denen zwei 14C-Datierungen aus dem Neolithikum315 KIA 37090: Radiocarbon Age: BP 4530 +/- 33, OneSigma-Range: cal BC 3356-3117, Two-Sigma-Range: 315 und der Bronzezeit316 vorliegen. In diesem Bereich ist daher mit flächigen Siedlungsschichten aus den genannten Zeiträumen zu rechnen. Siedlungsspuren der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends fanden sich in diesem Grabungsschnitt nur in Form von wenigen Keramikscherben, die denen aus den anderen Ausgrabungsflächen in diesem Bereich, die eindeutig in diese Zeit datiert werden können, sehr ähnlich sind. Ihre Ansprache ist jedoch aufgrund der Gleichförmigkeit der meist stark fragmentierten Scherben sehr unsicher. Anomalie an_128/08 Die Anomalie an_128/08 gehört zusammen mit den Anomalien an_129/08 und an_130/08 zu einer kleinen Gruppe von mehreren Objekten im südöstlichen Randbereich der Palve. Bei einem Wert von +/- 3 nT gibt sie sich im geomagnetischen Messbild als amorphe Anomalie von 3 x 2,8 m Größe zu erkennen (Abb. 176). Auch bei einem Wert von +/- 24 nT ist sie noch deutlich als dunkelgraue Verfärbung von 1,7 m Durchmesser zu erkennen. Die Bohrung im Anomalienmittelpunkt offenbarte eine klare anthropogene Beeinflussung bis in eine Tiefe von 1,62 m, die damit deutlich tiefer ging als die im Zusammenhang mit der Überprüfung der linearen Struktur an_127/08 in der Umgebung nachgewiesenen Siedlungshorizonte, die nur bis in eine Tiefe von 0,8 m auftraten. Auch eine Kontrastbohrung 5 m westlich zeigte nur eine dünne Kulturschicht zwischen 0,57 und 0,66 m Tiefe. Somit handelt es sich bei Anomalie an_128/08 mit großer Wahrscheinlichkeit um einen grubenartigen Befund, innerhalb descal BC 3361-3102. KIA 37091: Radiocarbon Age: BP 2915 +/- 27, OneSigma-Range: cal BC 1190-1049, Two-Sigma-Range: cal BC 1248-1013. 316 Die Siedlungsforschungen 263 Abb. 177 Wiskiauten. Anomalien an_129/08 (links) und an_130/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). sen mehrere unterschiedliche Verfüllschichten vorliegen. Unter dem mit 0,6 m ungewöhnlich mächtigen Ackerhorizont, der sich nicht in einzelne Schichten aufgliedern ließ, fand sich zunächst bis in eine Tiefe von 0,8 m eine dunkelbraune, mit Holzkohlepartikeln angereicherte Erdschicht, die wesentlich dichter als der darüberliegende Horizont war. Zwischen 0,8 und 0,9 m nahm der Humusgehalt des sandigen Bodens bei gleichzeitiger Veränderung der Farbe, die nun schwärzer wirkte, zu. Neben den vielen Holzkohlestückchen enthielt der Bohrkern nun auch Rotlehmstückchen bis zu einer Größe von 10 mm. Als dritter Horizont konnte ein bis in eine Tiefe von 1,45 m hinabreichender, schwarz gefärbter Bodenhorizont mit hohem Anteil von Holzkohle und Rotlehmstückchen nachgewiesen werden. Das gleiche Erdmaterial fand sich nach einem Zwischenhorizont aus hellbraunem bis hellgrauem Sand ohne erkennbare Einschlüsse zwischen 1,45 und 1,56 m in genau gleicher Zusammensetzung nochmals zwischen 1,56 und 1,62 m Tiefe. Ob hier eventuell durch einen Tiergang Erdmaterial aus der schwarzen Schicht in den ab 1,62 m Tiefe anstehenden, hellbraunen Sandboden eingebettet worden ist oder ob der sandige Zwischenhorizont durch menschliche Tätigkeiten entstanden ist, lässt sich nicht sicher entscheiden. Aus dem schwarzen Horizont wurden dem Bohrkern aus einer Tiefe von 1,3 m sowie aus dem Bereich zwischen 1,36 und 1,42 m zwei Holzkohleproben entnommen, die für den Befund eine Datierung in die Zeit des 5.–7. Jahrhunderts 317 nahelegen. KIA 36099: Radiocarbon Age: BP 1517 +/- 24, OneSigma-Range: cal AD 538-590, Two-Sigma-Range: cal AD 435-608; KIA 36100: Radiocarbon Age: BP 1517 +/- 17, One-Sigma-Range: cal AD 540-575, TwoSigma-Range: cal AD 443-602. 317 Anomalie an_129/08 Bei Anomalie an_129/08 handelt es sich um eine schwach magnetische, ovale Struktur von 1,7 x 0,8 m Größe, die lediglich bei einem Wert von +/- 1,5 nT deutlich erkennbar ist (Abb. 177). Bei höheren Werten tritt sie nur noch als schwach graue Verfärbung in Erscheinung. Die Bohrung zur Überprüfung hat eventuell durch einen Messfehler nur den südlichen Randbereich der nordwest-südöstlich ausgerichteten, ovalen Anomalie getroffen. Hier konnte ein mit einer Mächtigkeit von 0,58 m relativ dicker Ackerhorizont nachgewiesen werden, dem bis in eine Tiefe von 0,75 m eine Schicht ebenfalls stark humosen Erdmaterials folgte. Sie ließ sich, abgesehen von der höheren Dichte, kaum vom darüberliegenden Horizont unterscheiden. Erst in einer Tiefe zwischen 0,75 und 0,88 m war eine dunkelbraune, stark humose Erdschicht mit Holzkohle und Rotlehmpartikeln zu erkennen, die auf anthropogenen Einfluss zurückzuführen sein dürfte. Ein kleines Band aus grünlichem Sand zwischen 0,88 und 0,9 m grenzte den vermutlichen Siedlungshorizont von dem darunter anstehenden gelblichen Sandboden ab. Es ist davon auszugehen, dass die Bohrungen den Anomalienmittelpunkt nicht richtig getroffen haben. Die nachgewiesenen Kulturschichten dürften wie die in den Bohrungen zur linearen Anomalie an_129/08 belegten auffälligen Schichtungen auf allgemeine menschliche Siedlungstätigkeiten zurückzuführen sein, für die zunächst eine Datierung in die Steinzeit, Bronzezeit oder analog zu Anomalie an_128/08 das 5.–7. Jahrhundert oder zu Anomalie an_130/08 das 6.–7. Jahrhundert in Frage kommt. Eine aus dem Horizont zwischen 0,75–0,88 m Tiefe entnommene Holzkohleprobe erbrachte jedoch ein 14 C-Datum, das für die nachgewiesene Schicht 264 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung eine Datierung in das 4.–6. Jahrhundert318 nahelegt. Anomalie an_130/08 Eines der interessantesten Objekte stellt die mittlerweile durch Ausgrabungen überprüfte Anomalie an_130/08 dar (Abb. 177). Sie zeigt sich im Messbild bei einem Wert von +/- 3 nT als rundlicher schwarzer Fleck von 2,2 m Durchmesser. Bei einem Wert von +/- 24 nT ist nur noch eine gräuliche Verfärbung von 1,8 m Durchmesser erkennbar. Unter dem 0,5 m mächtigen Ackerhorizont folgte im Bohrkern zunächst eine gleichartige Schicht bis in eine Tiefe von 0,75 m, die jedoch dichter war. Ab 0,75 zeigte sich ein gräulicher Sand mit zahlreichen kleinen Holzkohlestückchen und Rotlehmpartikeln, der ab 0,95 m von einer bräunlichen, stark humosen Erde abgelöst wurde. Diese Schicht, die bis zum anstehenden, grünlichgrauen Sandboden in 1,2 m Tiefe unverändert blieb, wirkte fast torfartig. Ein 14C-Datum aus einer Tiefe zwischen 0,8 und 0,9 m ließ schon vor der Ausgrabung eine Datierung in den Zeitraum zwischen 550 und 637319 vermuten. Im Sommer 2008 erfolgte die Überprüfung dieser Anomalie durch Fläche 9. In der 3 x 3 m großen Grabungsfläche fand sich unter dem Ackerhorizont eine ovale, schwärzlich verfüllte Grube mit zahlreichen Schlackefragmenten und einigen handgemachten, einfachen Keramikscherben. In die Verfüllung der Grube war auch ein Tierkiefer eingebettet, von dem lediglich die Zähne erhalten waren. Diese Beobachtung spricht dafür, dass es sich um eine Grube aus Siedlungszusammenhängen handelt, die zumindest sekundär zur Abfallentsorgung gedient hat. Das Vorhandensein der Zähne, die ihrer Position nach zu urteilen zusammen mit dem bei der Auffindung bereits vollständig vergangenen Kiefer in die Grube gelangten, deutet darauf hin, dass die Grube wesentlich mehr Tierknochen enthalten haben könnte, diese aber nicht mehr nachweisbar sind. Phosphatmessungen innerhalb und außerhalb der Grubengrenzen führten jedoch zu KIA 36101: Radiocarbon Age: BP 1626 +/- 21, OneSigma-Range: cal AD 396-526, Two-Sigma-Range: cal AD 385-533. 318 KIA 36102: Radiocarbon Age: BP 1461 +/- 26, OneSigma-Range: cal AD 583-634, Two-Sigma-Range: cal AD 558-646. 319 keinem nennenswerten Ergebnis. Die Werte aus der Grubenverfüllung waren ähnlich hoch wie die aus den umgebenden Kulturschichten und aus dem darunterliegenden natürlichen Boden. Bei einer erhöhten Anzahl von vergangenen Tierknochen im Grubenbefund selbst wären hier extrem hohe Werte zu erwarten. Aus der Grubenfüllung stammt eine weitere datierte Holzkohleprobe, welche die zeitliche Einordnung des Befundes zusätzlich absichert. Sie lieferte ein Datum aus der Zeit zwischen 558 und 646320, was mit dem ersten 14C-Datum aus dem Bohrkern übereinstimmt. Mit Sicherheit liegt hier ein Befund des 6. oder 7. Jahrhundert vor, der zusammen mit Anomalie an_128/08 und den durch die Bohrungen zu Anomalie an_129/08 nachgewiesenen Kulturschichten der Palve zu einem Siedlungskomplex des 5.–7. Jahrhunderts gehört. Anomalie an_134/08 Keine eindeutigen Kulturschichten erbrachten die Bohrungen an Anomalie an_134/08, die sich im nördlichen Bereich der Palve befindet. Sie zeigt sich bei einem Wert von +/- 3 nT als ovales Objekt von 2,2 x 1,5 m bei nordsüdlicher Ausrichtung und weist im Osten einen weißlichen Hof auf (Abb. 178). Die Tatsache, dass die Anomalie bei einem Messwert von +/- 24 nT immer noch durchgehend schwarz bleibt und sich lediglich die Größe auf 1,6 x 1,2 m verringert, könnte dafür sprechen, dass es sich um einen Dipol handelt. Ähnliche Objekte finden sich auf der Palve auch innerhalb der linearen, aus mehreren Dipolen bestehenden Struktur, die rings um die Sandkuppe herum verläuft und die von einem Stacheldrahtzaun ausgelöst wurde (vgl. Kap. C.4.4.10.2). Einige dieser der Dipole lassen bei einer Darstellung mit einem Messwert von +/- 24 nT gleichfalls den weißen Teil der Anomalie vermissen. Tatsächlich sind durch die Bohrungen kaum nennenswerte Schichtungen dokumentiert worden. Unter dem Ackerhorizont, der bis in eine Tiefe von 0,4 m nachweisbar war, fand sich eine leicht humose Erdschicht dunkelbrauner Farbe, die lediglich etwas dichter war als der Oberboden und zusätzlich einige sehr kleine Holzkohlestückchen KIA 37088: Radiocarbon Age: BP 1476 +/- 22, OneSigma-Range: cal AD 566-611, Two-Sigma-Range: cal AD 550-637. 320 Die Siedlungsforschungen Abb. 178 Wiskiauten. Anomalie an_134/08 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). enthielt. Sie reichte bis in eine Tiefe von 0,62 m, um dann vom anstehenden Sandboden abgelöst zu werden. In einer Kontrastbohrung, die 2 m östlich angelegt wurde, fand sich die gleiche Schicht in einer Tiefe zwischen 0,55 und 0,8 m unter dem darüberliegenden, in zwei Horizonte zu unterteilenden Ackerboden. Ein archäologisches Objekt liegt hier nicht vor. Ob die holzkohleenthaltende Schicht als Kulturschicht anzusprechen ist, kann ohne weitere Untersuchungen nicht geklärt werden. C.4.4.10.3 Interpretation 265 thropogen beeinflussten Horizont ein 14C-Datum in die Jahre zwischen 898 und 1021322 Die Dichte an archäologischen Funden und Siedlungsresten liegt offenbar in der besonderen, aus der Niederungsfläche hervorgehobenen Position der Palve und der Nähe zu diesem offenen Wasser begründet. Gleichzeitig ist mit dem kleinen Bachlauf fließendes Süßwasser vorhanden, das diesen „Uferstreifen“ mit seinen für Siedlungen ohnehin günstigen Sandböden in westöstlicher Richtung quert. Zusammen mit den Messflächen G und K bildet Messfläche J in Bezug auf die Fragestellung dieser Studie einen der interessantesten Bereiche im Umfeld der Hügelgräbernekropole von Wiskiauten. Mit großer Wahrscheinlichkeit liegt in den drei Messflächen eine Siedlung des 7. und 8. Jahrhunderts, deren Wurzeln in vorangehende Jahrhunderte zurückreichen könnte. Insbesondere drei 14C-Datierungen aus Anomalien in der südöstlichen Uferzone der Palve weisen in die Zeit des späten 4. und frühen 7. Jahrhunderts, wobei es sich hierbei um eine abgegrenzte Gruppe von Befunden einer Siedlung handelt, die möglicherweise im 7. Jahrhundert schon nicht mehr zu besteht. Denn nur das 14C-Datum aus Anomalie an_129/08 reicht bis in die Mitte des 7. Jahrhunderts, die drei anderen enden spätestens um 608. Neben dieser frühen Siedlungsphase deutet sich im nördlichen Bereich der Palve eine Siedlungsaktivität im 9. oder 10. Jahrhundert an, die sich jedoch bislang durch die Kulturhorizonte in den Sondagen S 15 und S 16 nur ansatzweise zu erkennen gibt. In Messfläche J häufen sich Hinweise auf Siedlungsaktivitäten unterschiedlicher archäologischer Epochen. So sind durch die Ausgrabungen im Sommer 2008 in Fläche 10 neolithische und bronzezeitliche Kulturschichten belegt. In Sondage S 8 und Suchschnitt S 8/9 liegen offenbar bronzezeitliche, eisenzeitliche und völkerwanderungszeitliche Siedlungsreste im Boden. Anomalie an_128/08 beweist ebenfalls die Existenz von Befunden aus dem 5.–7. Jahrhundert. In Fläche 5 sind bereits im Jahr 2007 Kulturhorizonte des 7. und 8. Jahrhunderts dokumentiert worden, während Sondage S 15 auch auf wikingerzeitliche Siedlungsspuren des 9. und 10. Jahrhunderts hoffen lässt, da eine Holzkohleprobe aus einem hier dokumentierten Siedlungshorizont eine Datierung in die Zeit zwischen 776 und 961321 erbrachte. In die gleiche Zeit weist eine 14C-Datierung aus Sondage S 16 nur etwa 35 m weiter nördlich. Hier lieferte eine Holzkohleprobe aus einem deutlich an- Messfläche K (Taf. 97; zur Lage vgl. Abb. 66) besteht aus den drei Einzelmessflächen K1–K3. Alle drei Messeinheiten liegen östlich des Gräberfeldes von Wiskiauten südlich des dort verlaufenden Baches, der Messfläche G südlich begleitet und in Richtung von Messfläche J fließt, um am Nordrand der Palve in die vernässte Niederung zu münden. Das Gelände ist durch ein starkes Relief gekennzeichnet, weshalb hier auf den Einsatz des Traktors zum Ziehen der Messapparatur verzichtet werden musste. KIA 37242: Radiocarbon Age: BP 1171 +/- 27, OneSigma-Range: cal AD 782-892, Two-Sigma-Range: cal AD 776-961. KIA 37245: Radiocarbon Age: BP 1063 +/- 23, OneSigma-Range: cal AD 974-1016, Two-Sigma-Range: cal AD 898-1021. 321 C.4.4.11 Messfläche K 322 266 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 179 Wiskiauten. Messfläche K 1. Durch Bohrungen überprüften Anomalien. Stattdessen sind die zu untersuchenden Areale mit einer Handapparatur untersucht worden. Kleemann (1939a, 6) ermittelte für diesen Bereich den aus deutscher Zeit stammenden Flurnamen „Altes Dorf“ und führt diesen auf die nach einem Schadensfeuer Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte Verlegung des früheren Dorfes Wiskiautens an dessen spätere Position zurück, an der sich auch heutzutage noch das nun russische Dorf „Mohovoe“ befindet. Ob hier aber auch Siedlungsspuren aus viel älterer Zeit, namentlich der Wikingerzeit, den Flurnamen erklären könnten, sollte durch die Anlage der Messflächen K1–K3 untersucht werden. Aufgrund von Kleemanns (ebd.) Forschungen jedenfalls war südlich des Bachlaufes mit relativ modernen Strukturen zu rechnen, die den Flurnamen „Altes Dorf“ rechfertigen könnten. Tatsächlich sind insbesondere in Messfläche K2 rechtwinklige, aus Dipolen bestehende lineare Anomalien sichtbar gemacht worden, die auf das frühere Dorf Wiskiauten zurückzuführen sein dürften. Darüber hinaus aber bietet besonders Messfläche K1 zahlreiche verdächtige Anomalien, die durch Bohrungen und, seit Sommer 2008, auch durch insgesamt vier Grabungsschnitte323 untersucht worden sind. Mit einer Gesamtfläche von 0,46 ha ist Messfläche K1 die größte der drei Einzelflächen. Sie Es handelt sich um die noch nicht abschließend ausgewerteten Grabungsschnitte Fläche 11–14. 323 enthält auch die meisten Anomalien, deren Zahl sich auf etwa 40 auffällige Objekte schätzen lässt. Von ihnen sind mit den Anomalien an_136/08 bis an_141/08 sechs Exemplare angebohrt worden (Abb. 179). Von diesen sind die drei Anomalien an_136/08 bis an_138/08 auch durch Ausgrabungsschnitte324 erfasst, eine weitere Anomalie wurde ohne vorherige Bohrung ausgegraben325. Zu drei der überprüften Anomalien liegen zusätzlich 14C-Datierungen vor, die eine vorläufige Interpretation von Messfläche K1 als Bestandteil einer Siedlung des 6.–8. Jahrhunderts ermöglichen. Messfläche K2 mit einer Fläche von 0,43 Hektar und Messfläche K3 ganz im Süden mit einer Größe von 0,41 Hektar dagegen sind abgesehen von jeweils etwa fünf größeren Anomalien und einigen Dipolreihungen sehr ruhig. Bohrungen oder Ausgrabungen wurden dort bislang nicht durchgeführt. C.4.4.11.1 Durch Bohrungen überprüfte Einzelanomalien Anomalie an_136/08 Diese Anomalie ist im Messbild bei einem Wert von +/- 3 nT als 3,5 m großes, schwarzes Objekt rundlicher Form zu erkennen, das bei einer Darstellung mit höheren nT-Werten schnell zu einer Graufläche amorpher Form und vermin324 Fläche 11 bis Fläche 13. 325 Fläche 14. Die Siedlungsforschungen 267 Abb. 180 Wiskiauten. Anomalien an_136/08 (links) und an_137/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). derter Größe zusammenschrumpft (Abb. 180). So ist bei +/- 6 nT noch ein leichter Grauschatten von 2,8 m sichtbar, bei einem Wert von +/24 nT dagegen ist kaum noch ein Unterschied zur Umgebung sichtbar. Die Bohrung im Anomalienmittelpunkt zeigte eine unter dem 0,4 m mächtigen, in diesem Bereich sehr stark humosen Oberboden liegende Schicht zwischen 0,4 und 0,58 m Tiefe, die durch ihre gräuliche Farbe und Einschlüsse von Holzkohle und kleine Rotlehmpartikel zunächst verdächtig wirkte. Eine Holzkohleprobe aus diesem Horizont ließ eine Entstehung im 10.–12. Jahrhundert326 vermuten. Unter dieser vermutlich anthropogen beeinflussten Schicht fand sich zwischen 0,58 und 0,7 m Tiefe ein torfartiger, sehr stark humoser Boden ohne besondere Einschlüsse, bevor ab 0,7 m der anstehende lehmige Sandboden dokumentiert wurde. Zur Überprüfung der Anomalie diente im Sommer 2008 der Grabungsschnitt Fläche 11 von 3 x 3 m Größe, der jedoch keine nennenswerten Befunde zutage förderte. Unter dem humosen Oberboden war analog zu den Ergebnissen der vorher durchgeführten Bohrung lediglich eine Schicht gräulicher Erde erkennbar. Mittig im Schnitt konnte eine in deutscher Zeit verlegte Drainageleitung mit erhaltenen Tonrohren dokumentiert werden, die als Auslöser der geomagnetischen Anomalie jedoch nicht in Frage kommt, da sie in ihrem Verlauf nicht mit den im Messbild erkennbaren Störungen übereinstimmt und als lineare Struktur keine punktuelle Anomalie auslösen kann. Als besonderer Einzelfund stammt aus dem Aushub des Grabungsschnittes das Fragment einer scheibenförmigen blauen Glasperle von weniger als 5 mm Durchmesser. Sie kann zur zeitlichen KIA 36103: Radiocarbon Age: BP 1021 +/- 35, OneSigma-Range: cal AD 985-1031, Two-Sigma-Range: cal AD 899-1151. 326 Einordnung nicht herangezogen werden, da es sich einerseits um einen nicht stratifizierten Siebfund handelt, andererseits Perlen dieser Form nicht auf eine bestimmte archäologische Epoche begrenzt sind. Sie kommen schon in der Römischen Kaiserzeit vor und sind auch aus mittelalterlichen Zusammenhängen bekannt. Anomalie an_137/08 Anomalie an_137/08 erscheint im Messbild bei einem Wert von +/- 3 nT als trapezförmiges Gebilde schwarzer Färbung, dem im Osten in einer Entfernung von nur 2 m ein zweites Objekt an der Seite steht (Abb. 180). Da beide Anomalien bei einem Wert von +/- 24 nT nicht mehr eindeutig abzugrenzen sind, liegt eine relativ schwache Magnetisierung vor. Die Bohrergebnisse im Anomalienmittelpunkt erbrachten keine eindeutigen Hinweise auf anthropogenen Einfluss, wenn man nicht die Schicht aus gräulichem Erdmaterial ohne besondere Auffälligkeiten zwischen 0,35 und 0, 45 m Tiefe unter dem darüberliegenden Ackerhorizont als Kulturhorizont ansprechen will. Zusammen mit einer 5 m südlich liegenden Anomalie ähnlicher Größe und Erscheinung in den Messbildern wurde Anomalie an_137/08 durch die im Sommer 2008 angelegte Fläche 12 erfasst. Abgesehen von einem Pfostenbefund und mehreren Verkeilsteinen, die nicht im Geomagnetikbild sichtbar sind, konnten keine archäologisch relevanten Strukturen ausfindig gemacht werden. Die Anomalien dürften durch leicht humose, amorphe Erdschichten verursacht worden sein, die sich unter dem Ackerhorizont im natürlichen Boden abzeichneten. Sie sind vermutlich auf Bioturbationen zurückzuführen. Ein Zusammenhang mit dem Pfostenbefund, der durch eine Holzprobe in 268 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 181 Wiskiauten. Anomalien an_138/08 (links) und an_140/08 (rechts) im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). das 6. oder 7. Jahrhundert327 datiert wurde, ist nicht herzustellen. Anomalie an_138/08 Die bei einem Wert von +/- 3 nT im Messbild exakt rundlich erscheinende Anomalie an_138/08 mit einer Größe von 2,3 m ist bei einem Wert von +/- 24 nT nur noch als leichter Grauschatten von etwa 1,4 m Durchmesser sichtbar (Abb. 181). Die im Mittelpunkt abgetiefte Bohrung gab unter dem 0,3 m mächtigen, humosen Oberboden zwei Schichten gräulicher bis schwarzer, stark humoser Erde mit Resten von Holzkohle und Rotlehm zu erkennen, die bis in eine Tiefe von 0,86 m anthropogenen Einfluss vermuten ließen. Der Unterschied zwischen beiden Schichten besteht in der Farbe. Während der obere Horizont zwischen 0,3 und 0,5 m Tiefe dunkelbraun bis graubraun gefärbt war, dominierte beim darunterliegenden Horizont zwischen 0,5 und 0,86 m Tiefe graubraune Farbe. Zwei Holzkohleproben aus dem Bohrkern, die in einer Tiefe zwischen 0,7 und 0,8 m und somit aus dem unteren Horizont entnommen wurden, lieferten 14C-Datierungen in das 6.–8. Jahrhundert328 Die an dieser Stelle im Sommer 2008 mit Fläche 13 durchgeführte Ausgrabung förderte tatsächlich eine rundliche Konzentration schwarzbrauner Erde unter der Pflugschicht zutage, die jedoch in den unteren Bereichen in einer Tiefe ab 0,5 m eher grabenKIA 37089: Radiocarbon Age: BP 1488 +/- 29, OneSigma-Range: cal AD 553-606, Two-Sigma-Range: cal AD 535-644. 327 KIA 36104: Radiocarbon Age: BP 1426 +/- 116, One-Sigma-Range: cal AD 437-765, Two-SigmaRange: cal AD 394-878; KIA 36105: Radiocarbon Age: BP 1298 +/- 47, One-Sigma-Range: cal AD 665770, Two-Sigma-Range: cal AD 648-861. 328 artige Form annahm und sowohl im Süd- als auch im Nordprofil des 3 x 3 m großen Grabungsschnittes verschwand. Es wurden mehrere Tierknochen und einige Fragmente handgemachter Keramik geborgen. Eine Holzkohleprobe von der gerundeten Sohle des ca. 0,6 m breiten Grabenbefundes lieferte in Übereinstimmung mit den bereits zuvor datierten Proben aus den Bohrungen ein 14C-Datum in das 7. und 8. Jahrhundert329. Anomalie an_140/08 Im Messbild zeigt sich Anomalie an_140/08 als 2,2 x 1,8 große, schwarze Anomalie bei einem Messwert von +/- 3 nT, die im Nordwesten einen ausgeprägten weißen Hof aufweist (Abb. 181). Dieser Hof ist bei einem Wert von +/- 24 nT nur noch ganz schwach erkennbar, während der eigentliche Anomalienkern als 1,6 m große, nun rundliche schwarze Verfärbung immer noch deutlich sichtbar bleibt. Es liegt ein hoher Magnetisierungsgrad vor, der eventuell durch einen größeren Stein verursacht wird. Denn in mehreren Bohrungen, die im Mittelpunkt abgetieft wurden, fand sich in einer Tiefe von 0,35 m ein Stein, während die Kontrastbohrung 0,3 m westlich zwischen dem Oberboden und dem anstehenden sandigen Lehm in einem Tiefenbereich von 0,4–0,65 m nur eine gräuliche Schicht lehmigen Sandes offenbarte. Eine weitere Bohrung 0,5 m südlich indessen ließ zwischen dem 0,24 m dicken Oberboden und dem ab 0,9 m Tiefe anstehenden, natürlichen Lehm vier unterschiedliche Schichten zutage treten. Einem Horizont aus gräulichbraunem, schwach lehmigem Sand mit Rotlehmpartikeln folgte ab 0,45 m eine inKIA 37092: Radiocarbon Age: BP 1310 +/- 28, OneSigma-Range: cal AD 662-694, Two-Sigma-Range: cal AD 657-771. 329 Die Siedlungsforschungen homogene Schicht gräulichgrünen Lehms, der mit humosem Bodenmaterial vermischt und bis 0,6 m nachzuweisen war. Unter dem nächsten Horizont, bestehend aus grünlichgrauem Lehmboden ohne erkennbare Einschlüsse zwischen 0,6 und 0,8 m konnte jedoch ein stark humoser Horizont bis 0,9 m Tiefe nachgewiesen werden. Ein anthropogener Einfluss lässt sich nicht eindeutig nachweisen, auch wenn die Tiefe dieser humosen Schicht überrascht. Es könnte sich auch um Bioturbationen handeln. Einschlüsse von Holzkohle, Rotlehm oder sonstigen siedlungsanzeigenden Materialien sind nicht beobachtet worden. Als Auslöser für Anomalie an_140/08 dürften ein oder mehrere Steine verantwortlich zu machen sein, wobei ungeklärt bleibt, ob sie als geologisches oder archäologisches Phänomen zu deuten sind. Anomalie an_141/08 Ein ähnliches Ergebnis lieferten die Bohrungen an Anomalie an_141/08. Auch hier zeigt sich im Messbild bei einer Darstellung mit +/3 nT eine rundliche schwarze Struktur von 2 m Durchmesser, die bei einem Wert von +/- 24 nT jedoch nur noch als 1 m großes, schwach gräuliches Rund erscheint (Abb. 182). Einen weißen Hof weist diese Anomalie nicht auf. Unter einem Ackerhorizont von 0,37 m Dicke war im Bohrkern zunächst bis 0,63 m eine hellbrauner, ungestört wirkender rötlichbrauner Sand mit hohem Lehmanteil nachzuweisen, bevor der Bohrer auf einen Stein traf. Die ungestörte, über dem Stein liegende Schicht lässt vermuten, dass es sich in diesem Fall um ein geologisches Phänomen handelt. Ein archäologischer Hintergrund ist unwahrscheinlich. Wiederum zeigt dieses Bohrergebnis, dass mitnichten alle Anomalien Hinweise auf archäologische Befunde geben, selbst wenn in unmittelbarer Umgebung solche nachgewiesen sind. C.4.4.11.2 Interpretation Von den drei einzelnen Messflächen K1 bis K3 liegen nur zu Messfläche K1 so viele Daten vor, dass eine vorläufige Interpretation der darin zu erkennenden Strukturen ansatzweise möglich ist. Für Messfläche K2 kann aufgrund der symmetrischen Reihungen von Dipolen lediglich vermutet werden, dass es sich hierbei um Reste des im 19. Jahrhundert abgebrann- 269 Abb. 182 Wiskiauten. Anomalie an_141/08 im geomagnetischen Messbild mit verschiedenen Messwertbereichen (genordeter Bildausschnitt etwa 12 x 12 m). ten Dorfes Wiskiauten handelt, das daraufhin an seiner späteren Lage neu errichtet wurde. Keine Ergebnisse liegen zu Messfläche K3 vor. Besondere Auffälligkeiten sind in den Messbildern nicht zu erkennen. Messfläche K1 enthält etwa 40 verdächtige Anomalien, von denen sechs Objekte durch Bohrungen überprüft worden sind. Zusätzlich sind vier Anomalien ausgegraben worden. In der Zusammenschau zeigen die Ergebnisse, dass in diesem Bereich massiv mit Siedlungsspuren des 6.–8. Jahrhunderts zu rechnen ist, die sich aber auch auf die folgenden Jahrhunderte erstrecken könnten. Insbesondere vor dem Hintergrund der in den Messflächen G und J erzielten Resultate dürfte das gesamte Areal im Randbereich des kleinen, namenlosen Baches etwa 800–1000 m östlich des Hügelgräberfeldes, der von Wiskiauten kommend in Richtung der vernässten Niederungsfläche fließt und schließlich am Nordrand der halbinselartigen Sandkuppe Palve dort mündet, als Siedlungsareal dieser Übergangsperiode zwischen ausklingender Völkerwanderungszeit und beginnender Wikingerzeit zu verstehen sein. Mit den über Holzkohleproben 14C-datierten Anomalien an_136/08, an_137/08 und an_138/08 liegen gleich drei naturwissenschaftlich datierte Objekte aus Messfläche K1 vor. Obwohl das Fundmaterial – hauptsächlich die relativ unspezifische, handgemachte Keramik, die großflächig in Sondagen, als Oberflächenfunde und aus den Ausgrabungsschnitten geborgen wurde – keine sichere archäologische Datierung erlaubt, ist eine zeitliche Einordnung zumindest für die drei genannten Anomalien möglich. Anomalie an_138/08 lieferte gleich drei Daten. Eine Datierung umfasst die 270 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Zeitspanne des 4.–9. Jahrhunderts, eine weitere die Zeit des 6.–7. Jahrhunderts, eine dritte die Zeitspanne vom 7.–9. Jahrhundert. In das 6. und 7. Jahrhundert weist Anomalie an_137/08, während die Untersuchung von Anomalie an_136/08 Siedlungsspuren des 9.– 12. Jahrhunderts nahelegt. Hinzu kommt die Datierung aus Fläche 12 mit einem 14C-Datum aus der Zeit des 6. und 7. Jahrhunderts. In die Wikingerzeit, genauer in die Jahre zwischen 781 und 962, weist eine Holzkohleprobe aus der geologischen Bohrung „BWI 1“ (vgl. Kap. C.4.4.7.4). Bei aller Vorsicht muss also mit menschlichen Siedlungsaktivitäten vor allem im 6.–8. Jahrhundert gerechnet werden. Zusätzlich häufen sich mittlerweile die Hinweise auf Siedlungsspuren der folgenden Jahrhunderte. Ähnliche Datierungen liegen aus den Messflächen G und J vor, wobei besonders in Messfläche J nun neben den zahlreichen Datierungen aus der Zeit des 6.–8. Jahrhunderts aus den Sondagen S 15 und S 16 auch zwei Daten des 9.–11. Jahrhunderts vorliegen. In einem Areal von 6 ha Größe, das sich zwischen den Grabungsschnitten Fläche 8 in Messfläche G und Fläche 9 auf der Palve auf einer Länge von etwa 600 m in nordwest-südöstlicher Richtung erstreckt und das mindestens 150 m breit ist, mehren sich nun die archäologischen Hinweise auf eine Siedlung der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends. Ob diese Siedlungsspuren auch kulturell mit dem Hügelgräberfeld verbunden sind, lässt sich aufgrund des Fehlens großflächiger Ausgrabungen derzeit nicht entscheiden, scheint aber vor dem Hintergrund der ansteigenden Datenmenge wahrscheinlich. C.4.5 Zusammenfassung der Prospektionsergebnisse Aufgrund der Größe des potentiell für eine Siedlung in Frage kommenden Gebietes wurde bei der seit dem Jahr 2005 anberaumten Suche nach Siedlungsspuren im Umfeld der großen Hügelgräbernekropole von Wiskiauten aus dem 9.–11. Jahrhundert eine besondere Strategie angewendet, die aus einer Kombination von geologischen Untersuchungen, großräumigen geophysikalischen Prospektionen, gezielten Bohrungen und naturwissenschaftlichen Datierungen des daraus gewonnenen Probenmaterials bestand. Die Ergebnisse sind vielschichtig und jeweils einer unterschiedlichen Quellenkritik unterlegen, lassen aber in der Zusammenschau in bestimmten Bereichen der Umgebung des Gräberfeldes eine Verdichtung von archäologisch relevanten Objekten in unterschiedlichen archäologischen Epochen erkennen. Sie ermöglichen eine vorläufige Einschätzung über die Verteilung archäologischer Fundstellen, die jedoch nur im Sinne einer Arbeitshypothese verstanden werden darf und in der Zukunft unbedingt durch weitere Untersuchungen überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden muss. Während einige Bereiche um das Gräberfeld von Wiskiauten nach den Prospektionsergebnissen zu urteilen in Bezug auf die Frage nach Siedlungsspuren weniger verdächtig sind, bilden sich in anderen Arealen regelrecht Schwerpunkte heraus, die durch die vorliegenden 14CDatierungen und teilweise auch durch Oberflächenfunde zeitlich sogar grob eingeordnet werden können. Die zeitliche Variabilität der Befunde ist immens. So konnten neben steinzeitlichen Kulturschichten auf der Palve an mehreren Stellen bronzezeitliche Siedlungsspuren dokumentiert werden. Sie liegen ebenfalls im Bereich der Palve, aber auch im südlichen Bereich von Messfläche G. Darüber hinaus sind durch den Sondagegraben S 8/9 in Messfläche J1 Kulturschichten der Bronzezeit nachgewiesen. Siedlungshinweise aus der Eisenzeit lieferten der ausgegrabene Befund in Fläche 1 im Messbild A sowie der in Fläche 7 freigelegte Befund in Messfläche G. Siedlungsspuren der Römischen Kaiserzeit sind lediglich in Messfläche H durch eine unstratifizierte Holzkohleprobe aus einem Tiergang in Fläche 18 dokumentiert worden. Besonders häufig sind Siedlungsspuren der Völkerwanderungszeit und des beginnenden Frühmittelalters zwischen dem 5. und frühen 9. Jahrhundert. Gleich an mehreren Stellen häufen sich Objekte dieser Zeitstellung. So lieferten östlich des Hügelgräberfeldes sowohl Messfläche G durch Fläche 8 als auch die Grabungsschnitte Fläche 12 und Fläche 13 aus Messfläche K1 sowie zwei Anomalien aus diesem Bereich Hinweise auf Siedlungsspuren dieser Zeit. Sie setzen sich mit Fläche 5 und dem oberen Kulturhorizont in Sondage S Die Siedlungsforschungen 8/9 auch in Messfläche J fort. Dabei ergibt sich eine Gesamtausdehnung von etwa 400 x 150 m. Hier ist demnach ein größerer Siedlungskomplex dieser Zeit von bis zu 6 ha Größe anzunehmen, dem auch einige der in den Messbildern erkennbaren Anomalien angehören dürften. Dabei lässt sich eine frühe Siedlung des 5. und 6. Jahrhunderts, vielleicht noch des beginnenden 7. Jahrhunderts, im südöstlichen Bereich der Palve von einer Siedlung trennen, die hauptsächlich im 6.–8. Jahrhundert Bestand gehabt haben dürfte. Sie befindet sich in den westlichen Bereichen der Palve und in der Umgebung von Fläche 8 in Messfläche G und der Grabungsschnitte Fläche 12 und Fläche 13 in Messfläche K1. Aber auch im Nordwesten der Hügelgräbernekropole finden sich mit den Ausgrabungsschnitten Fläche 3 und Fläche 20, die beide aufgrund von Holzkohleproben in die zweite Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends datiert werden können, zahlreiche Ansatzpunkte, dass die in diesem Bereich besonders in Messfläche C gehäuft auftretenden Anomalien in der Umgebung durch Befunde ähnlicher Zeitstellung ausgelöst worden sein könnten. Befunde, die sich mit der ursprünglich formulierten Fragestellung, Siedlungsspuren des Frühmittelalters bzw. der Wikingerzeit aufzufinden, in Einklang bringen lassen, finden sich anscheinend besonders häufig im Bereich der Messflächen G, J und K. Darauf weisen die Sondagen S 15 und S 16 in Messfläche J, aber auch die 14C-datierte und in Fläche 6 untersuchte Anomalie an_62/07 in Messfläche G, die geologische Bohrung „BWI 1“ und Anomalie an_136/08, die in Fläche 11 freigelegt wurde, hin. Dass auch direkt südlich des Gräberfeldes in Messfläche A einige Befunde dieser Zeitstellung liegen könnten, legt die einzelne 14C-Datierung einer Holzkohle aus der Brunnenverfüllung in Fläche 2 nahe. Anomalienverdichtungen, die mit Siedlungsspuren des späten 11.–13. Jahrhunderts zu verbinden sind, häufen sich nördlich des Gräberfeldes in Messfläche D. In zwei großen, aus mehreren hundert Einzelanomalien bestehenden Arealen sind durch Bohrungen und Ausgrabungen in den Schnitten Fläche 4 und Fläche 19 sowie durch einzelne 14C-datierte Anomalien besonders viele Befunde des beginnen- 271 den Mittelalters zu lokalisieren. Der Nachweis deutlich sichtbarer linearer Anomalien und mehrerer Brunnenanlagen, die teilweise auch durch Georadaruntersuchungen verifiziert werden konnten, belegt hier die Existenz der bislang komplexesten Siedlungsstrukturen im Umfeld der Hügelgräbernekropole. Keine Hinweise auf archäologische Befunde lieferten bislang die im Uferbereich des vermuteten Binnensees nordwestlich der Nekropole von Wiskiauten angelegten Messflächen I 1 und I 2. Zwei Objekte sind durch die Ausgrabungsschnitte Fläche 17 und Fläche 18 im Sommer 2008 untersucht worden, ohne jedoch Spuren menschlicher Besiedlung nachweisen zu können. Die Prospektionsarbeiten, die hier teilweise unter Vorwegnahme der im folgenden Kapitel vorgelegten Grabungsergebnisse interpretiert wurden, liefern erstaunlich viele Ansatzpunkte für archäologische Ausgrabungen. Die Schwierigkeit bei der Interpretation der Bilder besteht jedoch darin, dass nur bei einer entsprechend hohen Datendichte Siedlungsbereiche tatsächlich zuverlässig erkannt werden können. Einzelne Anomalien in den geomagnetischen Messbildern lassen sich ohne die Kombination der verschiedenen Methoden nicht sicher als archäologische Objekte einstufen. Zu häufig wurde die Erfahrung gemacht, dass auch geologische Phänomene oder bislang unbekannte Prozesse im Boden zur Erzeugung von geomagnetischen Anomalien führen können. Insgesamt sind die Prospektionsarbeiten als erfolgreich zu beurteilen, da sie grobe Voreinschätzungen ermöglicht haben und das potentiell in Frage kommende Siedlungsgebiet in Bezug auf die sinnvolle Anlage von Grabungsschnitten enorm eingegrenzt haben. Allerdings sollten zukünftige Ausgrabungen unbedingt auch die Bereiche zwischen den punktuellen oder linearen Anomalien erfassen, da nicht vorausgesetzt werden darf, dass alle archäologischen Befunde durch geophysikalische Messmethoden erkennbar oder messbar sind. Es mag Befundgruppen geben, die durch die angewandten Prospektionsverfahren nicht sichtbar gemacht werden können. Dies gilt insbesondere für kleine Befunde wie Pfostengruben oder Pfostenlöcher, die mit der verwendeten Messtechnik vermutlich nicht nachgewiesen werden können, weil die Auflösung 272 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 183 Wiskiauten. Luftbild mit Markierung der Grabungsflächen der Jahre 2005 bis 2007 (grün) und 2008 (gelb). der Messbilder hierfür zu gering ist. Letztlich können nur archäologische Ausgrabungen die bisherigen Vermutungen bestätigen und die Ergebnisse der Prospektionen zusammen mit den Ausgrabungsresultaten zu einem vorläufigen Modell des Siedlungsablaufes erweitern. Deshalb wurden in den Jahren 2005–2007 in drei Feldforschungskampagnen einige der Anomalien ausgegraben. Die Ergebnisse werden im folgenden Kapitel vorgestellt. Eine weitere Ausgrabung hat im Sommer 2008 stattgefunden. Die Dokumentation dieser Ausgrabung ist noch nicht abgeschlossen, so dass die Ergebnisse zu einem späteren Zeitpunkt vorgelegt werden. Die Siedlungsforschungen 273 C.5 Die Ergebnisse der Ausgrabungen 2005–2007 Zur Überprüfung der durch die Prospektionen gewonnenen Ergebnisse sind in den Jahren 2005–2007 insgesamt acht Grabungsschnitte330 angelegt worden, die sich jeweils an der Größe der in den geomagnetischen Messbildern erkannten Strukturen orientierten (Abb. 183). Die Grabungsflächen wurden in der Reihenfolge ihrer Entstehung mit Fläche 1 bis Fläche 8 benannt. Sie liegen in räumlich unterschiedlichen Regionen südlich, nordwestlich, nördlich und östlich der Nekropole und geben Hinweise auf eine Besiedlung der Umgebung des Gräberfeldes in der Vorrömischen Eisenzeit (Fläche 1 und 7) und im Zeitraum zwischen dem 6. und 13. Jahrhundert, der sich in eine Phase vor der Belegung des Hügelgräberfeldes im 6.–8. Jahrhundert (Fläche 3, 5 und 8) und eine Phase nach dessen Nutzungsende (Fläche 2 und 4) aufgliedern lässt. Das 9.–11. Jahrhundert konnte in den Ausgrabungen bislang nur ansatzweise nachgewiesen werden (Fläche 2 und 3). Die Ergebnisse der Ausgrabungen in den einzelnen Grabungsflächen werden hier in der Reihenfolge ihrer archäologischen Datierung vorgestellt. C.5.1 Fläche 1 C.5.1.1 Grabungsergebnisse In den geomagnetischen Messbildern (Abb. 184) tritt an der Stelle des später als Fläche 1 (Taf. 2-4) benannten Grabungsschnittes ca. 50 m südlich der Waldgrenze der Kaup eine deutlich erkennbare, ovale Anomalie331 von ca. 3 m ost-westlicher und 2,3 m nord-südlicher Ausdehnung bei einem Messwert von +/- 3 nT auf. Sie besitzt in den geomagnetischen Messbildern einen schwarzen Kern, um den sich ein weißer Hof abzeichnet, der im Norden seine Zusätzlich sind in einer Ausgrabungskampagne vom 14.7.–22.8.2008 weitere zwölf Grabungsschnitte und insgesamt 16 Sondagen angelegt worden. Die Ergebnisse dieser Ausgrabungen fließen in diese Studie nur am Rande ein, da die Bearbeitung zur Zeit der Fertigstellung dieser Studie noch nicht abandauerte. 330 331 an_202 Abb. 184 Wiskiauten. Anomalien an_201/05 K und an_202/05 im geomagnetischen Messbild von Messfläche A (Darstellung mit +/- 3 nT; genordet). Objekt an_202/05 wurde in Fläche 1 freigelegt. größte Ausdehnung aufweist. Durch zwei Bohrungen konnte hier im Vorfeld der Grabungen eine unnatürliche Bodenschichtung nachgewiesen werden. Unter dem üblichen, stark humosen Ackerhorizont von 0,35–0,4 m zeigte sich in beiden Bohrungen ein Mischhorizont mit Verziegelungsresten, der ab einer Tiefe von 0,7–0,75 m in eine Verziegelungsschicht von mindestens 0,15–0,25 m Dicke überging. Zur Überprüfung wurde durch den Anomalienmittelpunkt ein Kreuzschnitt angelegt332. Nach Abtrag des Ackerhorizontes erschien in einer Tiefe von 0,35 m unter der Oberfläche eine dunkelgraue Verfärbung von 1,6 x 1,35 m Größe im rötlichgelben, sehr humosfleckigen Lehm, der den anstehenden Boden darstellt, aber in dieser Tiefe noch durch zahlreiche Wurmgänge gestört ist. Am Rand wies die Verfärbung eine durchschnittlich 0,05 m breite Verziegelungsschicht auf (Abb. 185). Schon in dieser Tiefe zeigten sich vereinzelt größere Steine bis ca. 0,4 cm Durchmesser im Planum, die vor allem im Zentrum des Befundes auftraten. 332 Bei der Untersuchung dieses Befundes half der ukrainische Archäologe A. Petrauskas aus Kiew, der als Ofenspezialist bekannt ist und dem an dieser Stelle herzlich gedankt sei. 274 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 185 Wiskiauten. Fläche 1. Anomalie an_202/05 in der Südhälfte freigelegt, im Osten sind schon Steine und Verziegelungsreste zu erkennen. Nach Abtrag des Humusbodens in allen vier Sektoren präsentierte sich der Befund, anfänglich durch die Profilstege noch teilweise überdeckt, als längliche, ovale Verfärbung mit einer Länge von 1,6 m in Ost-West-Richtung und einer Breite von 1,3 m in Nord-Süd-Richtung, die am Rand eine durchgehende Verziegelungsschicht aufwies und im Inneren mit gräulichem Erdmaterial und Verziegelungsresten verfüllt war (vgl. Taf. 2). Im Zentrum waren mehrere größere Steine mit Durchmessern bis 0,2 m und mehrere kleinere Steine mit Durchmessern bis 0,1 m vorhanden, die in das gräuliche Sediment eingebettet lagen. Zwischen den Steinen fanden sich bei weiterem Abtiefen immer mehr Verziegelungsreste von meist rötlicher, teilweise aber auch dunkelgrauer oder hellgrauer Färbung. Die Brocken erreichten Größen bis zu 0,1 m und erweckten teilweise den Eindruck fast flächiger Verziegelungen. Es handelt sich um schichtweise in den Befund eingelagerte Verziegelungsreste. Im Nachhinein wurde nach dem Säubern des Verziegelungsmaterials festgestellt, dass sie mit Abdrücken von größeren Rundhölzern versehen waren, deren Durchmesser bis zu 0,15 m erreichten. Nach weiterem Freipräparieren des Befundinneren wurden die Verziegelungsreste häufiger, bis sie eine kompakte Füllung darstellten, die zur weiteren Bearbeitung des Befundes entnommen werden musste (Abb. 186). Auffällig sind die vielen Steine (vgl. Taf. 3), die mit den Verziegelungsresten in Planum 3 sichtbar waren und erst nach Nutzung der Anlage eingefüllt scheinen. Schon nach Entnahme der ersten Schichten im Befundinneren wurde die randliche Verziegelung immer ausgeprägter und schien zunächst zum Befundmittelpunkt hin nur leicht abzufallen. Nach ihrer Freipräparierung aber zeigte sich deutlich, dass die Grubenwände relativ steil nach unten verliefen. Die im ost-west-verlaufenden Nordprofil erkennbare Schichtenabfolge (Taf. 4; Abb. 187) lässt sich von unten nach oben folgendermaßen charakterisieren: Über dem vermutlich anstehenden, gelblich braunen, leicht rötlichen Lehm befand sich in einer Tiefe zwischen 0,95 und 0,8 m zunächst eine Verziegelungsschicht von ca. 0,1–0,15 m Dicke, die nach unten zum Lehmboden hin relativ scharf abgegrenzt war. Die seitliche Abgrenzung war schwieriger zu ermitteln, da grau und rötlich verziegelte Bereiche hier fast übergangslos ineinander liefen. Die randliche Verziegelung konnte nur aufgrund ihrer durchgehend rötlichen Farbe abgegrenzt werden. Bis 0,5 m über der Bodenverziegelung befanden sich mindestens drei Lagen aus dicht gepacktem verziegeltem Material, die stellenweise durchgingen und vorübergehend zur Interpretation eingestürzter Ofenkuppeln einer mehrphasigen Benutzung führten. Da die Verziegelungsstücke aber nach der Reinigung deutliche Abdrücke von Rundhölzern mit großem Durchmesser bis ca. 0,2 m aufwiesen, die für eine Ofenanlage untypisch groß wären, kann es sich nicht um eingebrochene Kuppeln handeln. Vielmehr muss mit einer mehrmaligen Verfüllung gerechnet wer- Abb. 186 Wiskiauten. Fläche 1, Anomalie an_202/05. Südhälfte des Befundes nach teilweiser Entnahme des gräulichen Erdmaterials. Deutlich sind die Steine und dazwischenliegende Verziegelungsbereiche gräulicher Färbung zu sehen. Die Siedlungsforschungen Abb. 187 Wiskiauten. Fläche 1, Anomalie an_202/05. Blick auf das Ost-West-verlaufende Kontrollprofil durch den Ofenbefund. Besonders im östlichen Bereich sind die deutlichen Verziegelungskonzentrationen erkennbar. den, deren einzelne Verfüllphasen aber zeitlich sehr eng beieinander liegen können. Die oberen 0,15–0,2 m des Befundes in einer Tiefe von 0,45–0,5 m unter der Geländeoberfläche bestanden aus einer eher homogenisierten Schicht einheitlich grauen Erdmaterials, das nur vereinzelt kleinere Verziegelungsreste aufwies. Offensichtlich gehört die gesamte Verfüllung des Befundes einer Phase nach der Nutzung der Anlage an. Die oberste Schicht ist vermutlich nach dem Absacken der Verfüllung erst später in den Befund eingebracht worden. Sie enthielt unter anderem eine bleiglasierte 275 Scherbe (Taf. 58, 2), die durch mittelalterliche Pflugtätigkeiten hierhin gelangt sein dürfte. Zumindest ist das Fundmaterial aus diesem oberen Horizont nicht als steril zu bezeichnen. Eine ähnliche Schichtung zeigte sich auch im nord-südverlaufenden Querprofil, wobei dort eine abgeschwächte Schichtenfolge erkennbar war (Abb. 188, rechts). Auch hier war die unterste Schicht deutlich bis mindestens 0,1 m Dicke verziegelt. Darüber folgte eine Schicht aus Verziegelungsresten, die aber nicht so massiv wirkte wie diejenige im Längsprofil. Vielmehr schien sich die stark mit Verzieglungsrückständen durchsetzte Zone im Zentrum der Befundverfüllung zu konzentrieren, an den umgebenden Seiten aber nicht so stark ausgeprägt zu sein. Nach vollständiger Entnahme der Verfüllung zeigte sich fast überall die rötlich verziegelte Wandung der nun als ovale Grube anzusprechenden Eintiefung (Abb. 188, links). An der südlichen Wand zeigte sich in einer Tiefe von ca. 0,45–0,65 m eine rundliche, in die Grubenwand eingebettete Konzentration von bisher nicht untersuchtem, verkohltem Material, das auch verkohlte Getreidekörner enthielt. Am Boden vor dem südlichen Grubenrand fand sich in einer Tiefe von 0,8 m ein größeres verkohltes Holzstück, das zum Zweck einer 14 C-Datierung beprobt wurde und entscheidend ist für die Datierung des Befundes in die Vorrömische Eisenzeit (vgl. Kap. C.5.1.3). Besonders die Seitenwand deutet durch die hier sehr regelmäßig verlaufende Verziegelungsschicht am Rand an, dass der Befund als Abb. 188 Fläche 1, Anomalie an_202/05. Links: Blick in den Befund 1, an der Südwand ist deutlich die schwarze Konzentration mit verkohltem Material erkennbar. – Rechts: Blick auf das nord-südverlaufende Querprofil des Befundes. Die schwarzen Flecken in der Mitte des Profils sind Verziegelungsreste und keine Holzkohle. 276 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 189 Wiskiauten. Fläche 1. Pfostenloch (Befund 2) im Planum 2 (links), bei weiterem Abtiefen (Mitte) und im Profil (rechts). sehr sorgfältig eingetiefte Grube interpretiert werden muss. Nach der vollständigen Entnahme aller Verfüllungselemente stellte sich der Befund als ovale Grube mit annähernd flachem Boden dar, der von einer fast flächigen Verziegelung bedeckt ist. Nur in der Westecke fand sich eine hellbraune Lehmlinse von ca. 0,35 m Durchmesser unter der Verziegelung, die sich vom anstehenden gelblich-braunen, mehr sandigen Lehm durch ihren hohen Tonanteil und die hellbraune Farbe unterscheidet, der aber keine anthropogene Entstehung unterstellt werden kann. Im Ostteil lagen im Zentrum über der Verziegelungsschicht drei größere Steine mit Durchmessern bis zu 0,2 m in einer Reihe. Sie erweckten den Anschein einer Art Fundamentierung der Ofensohle, lagen allerdings auf der Verziegelungsschicht auf. Demnach sind die Steine erst nach der Verziegelung des Bodens eingebracht worden. Sie stehen mit der Anlage vermutlich nicht in konstruktivem Zusammenhang. Neben dem Ofenbefund im Zentrum der ca. 5 x 5 m großen Grabungsfläche konnte im Nordostquadranten in etwa 1,7 m Entfernung von dessen Randbereich mit Befund 2 eine Pfostengrube mit Pfostenstandspur dokumentiert werden (Abb. 189; Taf. 2). Dieser Befund wurde bei der Anlage von Planum 2 in einer Tiefe von ca. 0,4 m erkannt. Relativ schwach zeichnete sich im Planum im anstehenden, in dieser Tiefe allerdings noch durch humose Einschlüsse gestörten Lehmboden eine annähernd rundliche, dunkelbraune Verfärbung mit einem Durchmesser von 0,12 m ab (Abb. 189, links). Nach weiterem Abtiefen auf Planum 3 in einer Tiefe von 0,5 m nahm die Verfärbung eine deutlich rundliche Form an (Abb. 189, Mitte), der Durchmesser betrug weiterhin 0,12 m. Nach Anlage eines Profilkastens zeigte sich der Befund im Profil (Abb. 189, rechts) als spitz nach unten zulaufende Pfostenstandspur mit nur schwach erkennbarer, umgebender Grube. Der Befund war ab Planum 2 noch bis in eine Tiefe von 0,2 m erhalten. Ein funktionaler Zusammenhang zu weiteren Befunden kann nicht hergestellt werden. Eine Gleichzeitigkeit mit dem Ofenbefund ist denkbar, kann aber, da Fundmaterial oder 14C-Datierungen fehlen, nicht belegt werden. Möglicherweise gehört der Befund zu einer Konstruktion, die sich durch die verziegelten Lehmbrocken in der Ofenverfüllung mit den Abdrücken größerer Rundhölzer andeutet. C.5.1.2 Fundmaterial Während in den oberen 0,4 m Boden einige rezente Nägel, moderne Ziegelreste sowie eine bleiglasierte Keramikscherbe (Taf. 58, 2) auf eine hochmittelalterliche oder neuzeitliche Pflugtätigkeit hindeuten, die den Befund in den oberen Bereichen gestört hat, sind in der Verfüllung des Befundes kaum Funde beobachtet worden. Nur wenige kleinste Fragmente kalzinierter Knochen stammen aus dem Tiefenbereich zwischen 0,4 und 0,5 m unter der Geländeoberfläche und sind der Verfüllung des Befundes nach dessen Aufgabe zuzuordnen. Am Boden des Befundes dagegen fanden sich auf der verziegelten Schicht aufliegend mehrere Wandungs- und Randscherben (Taf. 58, 1.3) eines rötlichbraunen, handgemachten Gefäßes von 17 cm Durchmesser mit leicht ausladendem, s-förmigen Profil mit gerundeter Lippe, das vermutlich sekundär gebrannt wurde, da die Scherben fast klingenden Brand aufwiesen. Die Gefäßhöhe kann nur ungefähr Die Siedlungsforschungen auf etwa 16–20 cm geschätzt werden, Bodenstücke waren nicht erhalten. Als Magerungspartikel fanden ausschließlich weißliche, scharfkantige Quarzitkörner bis zu 2,5 mm Durchmesser Verwendung. Die Keramik lässt sich aufgrund ihrer einfachen Machart typologisch kaum ansprechen. C.5.1.3 Datierung Für eine Datierung des Ofens kann aufgrund der beschränkten Aussagefähigkeit der Keramik lediglich eine anhand einer Holzkohleprobe vom Boden des Befundes gewonnene 14 C-Datierung herangezogen werden. Die Analyse ergab ein Radiokarbonalter von BP 2474 +/- 22333 und somit eine absolute Datierung in die Jahre zwischen 763 und 413 v. Chr. Der Befund kann demnach in die Ältere Vorrömische Eisenzeit eingeordnet werden. C.5.1.4 Interpretation Aufgrund der durchgehenden randlichen Verziegelung der ovalen Grube mit ebenso verziegeltem, fast waagerecht verlaufendem Boden handelt es sich um einen Befund, der wesentlich durch Hitzeeinwirkung charakterisiert wird und somit in den Bereich der Feuerungsanlagen oder Öfen zu stellen ist. Auf die konkrete Funktion ergeben sich nur wenige Hinweise. Eine Nutzung als Ustrinenanlage ist zunächst auszuschließen. Zwar fanden sich sowohl im obersten Ackerhorizont als auch in den obersten Verfüllschichten bis in eine Tiefe von 0,5 m vereinzelt kleinste Fragmente kalzinierter Knochen, insgesamt bleibt die Fundmenge dieser Kategorie aber zu gering für eine solche Interpretation. Außerdem stammen die Fragmente aus Tiefenbereichen des Befundes, die durch die Pflugschicht noch gestört sein könnten. Eine zoologische Bestimmung der Knochenfragmente ist bisher noch nicht erfolgt und ist aufgrund ihrer Kleinheit für die Bestimmung der Tierart oder die Zuweisung zum menschlichen Skelett aussichtslos. Ustrinenanlagen sind überdies in der Regel nicht als Grube in den Boden eingetieft, sondern auf der Oberfläche angelegt. Die zunächst als heruntergebrochene OfenKIA 30153, Radiocarbon Age: BP 2474 +/- 22, OneSigma-Range: cal BC 760-520, Two Sigma-Range: cal BC 763-413. 333 277 kuppeln interpretierten größeren Brocken verziegelten Lehms sind durch die größeren Rundhölzer, denen sie ursprünglich angehaftet haben müssen, nicht in den Kontext eines Ofens zu stellen, da hier als Konstruktionsbestandteile eher kleine Äste und Zweige Verwendung gefunden hätten. Sie stammen demnach aus einer Verfüllphase nach Aufgabe der ursprünglichen Anlage. Ob sie, wie zu vermuten ist, einem in der Nähe befindlichen Haus zuzuordnen sind, dessen Wandverputz man nach Nutzungsende der Feuerungsanlage in die aufgelassene Grube entsorgt hat, ist nicht sicher zu entscheiden, aber wahrscheinlich. Dass in der Grube selbst Feuer gebrannt hat, ist allein durch das einzelne verkohlte Holzstück am Boden nicht zu belegen. Es kann auch nachträglich in den Befund eingefüllt worden sein. Dennoch scheint sich durch die am Südrand befindliche Konzentration verkohlter organischer Rückstände und viel Holzkohle eine Verbrennungstätigkeit nachweisen zu lassen, die direkt in der Grube stattgefunden hat. Auch in der übrigen Verfüllung haben sich immer wieder kleine Holzkohlefragmente befunden. Auffällig bleibt das Fehlen einer regelrechten Brandschicht am Boden des Befundes. Für eine Feuerungsanlage bzw. einen Ofen spricht aber die starke Verziegelungsschicht, die von starker Hitzeeinwirkung in situ zeugt. Sie wurde sowohl am Boden als auch an den Wänden des Befundes festgestellt. Unklar ist der Zweck der Feuerungsanlage. Durch vereinzelt aufgefundene Keramikschlacken, erkennbar durch ihre gräuliche Färbung und die große Feinporigkeit der sehr leichten Schlackefragmente, ist an eine Funktion im Zusammenhang mit Keramikherstellung zu denken. Die Schlacken könnten jedoch auch durch den Verschlackungsprozess gemagerter Lehmbrocken infolge einer an anderer Stelle erfolgten großen Hitzeeinwirkung entstanden und erst nachträglich in die Grube eingefüllt worden sein. Denkbar ist eine offene Grube, die ohne Kuppelüberbau als Keramikbrenngrube gedient hat. Naheliegend ist auch eine Interpretation als Dörrofen zum Trocknen von Obst oder Getreide, zumal sich in der Holzkohlekonzentration im Südprofil eine geringe Menge verkohlter Getreidekörner erhalten hat. Sicherlich ist der Befund in einen eisenzeitlichen Siedlungszusammenhang zu stellen, eine zeitliche 278 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Verbindung zum naheliegenden Gräberfeld des 9.–11. Jahrhunderts kann ausgeschlossen werden. Die für den steinzeitlichen Grabhügel im Ostteil des Gräberfeldes von Wiskiauten in der Literatur (Heydeck 1893; Hollack 1908, 198ff.; Engel 1932b; 1935a, 109) erwähnten eisenzeitlichen Nachbestattungen, mit denen der in Fläche 1 aufgedeckte Siedlungsbefund zeitlich zunächst in Verbindung gebracht werden könnte, stellen sich nach Hollack (1908, 198ff.) als kaiserzeitliche Bestattungen heraus. Der Streufund einer Fibel mit blauen Emaileinlagen (Kemke 1906, 46; Kleemann 1939b, 224 „Fundstelle 1“) allerdings deutet zumindest allgemein auf die Anwesenheit von Menschen in der Vorrömischen Eisenzeit hin. Besonders die in der 900 m östlich gelegenen Fläche 7 (vgl. Kap. C.5.2) freigelegte Abfall- oder Wirtschaftsgrube, die ebenfalls in die Vorrömische Eisenzeit eingeordnet werden kann, gibt weitere Hinweise auf eine eisenzeitliche Besiedlung in der Nähe Wiskiautens. Die Abfallgrube in Fläche 7 gehört jedoch der Jüngeren Vorrömischen Eisenzeit an. Dadurch ist eine Besiedlung während der gesamten Vorrömischen Eisenzeit belegt. Das Vorhandensein weiterer Feuerungsanlagen in der näheren Umgebung (z. B. „an_ 201/05“, vgl. hierzu auch Kap. C.4.4.1.1), darunter auch Befunde, die in einer Entfernung von ca. 150 m vom Gräberfeld liegen (z.B. „an_213/05“, „an_214/05“), spräche für einen ausgedehnten Siedlungsbereich der Vorrömischen Eisenzeit im Süden und Südwesten der Hügelgräbernekropole von Wiskiauten, wenn ihre Gleichzeitigkeit zu dem Befund in Fläche 1 bestätigt werden könnte. Der Befund aus Fläche 1 verdeutlicht, dass in der Umgebung des Gräberfeldes und somit auf dem potentiell als Siedlungsgebiet in Frage kommenden Areal mit Befunden aller archäologischer Zeitstellungen zu rechnen ist. Bei der Betrachtung und Interpretation der in den geomagnetischen Messbildern erkennbaren Strukturen ist daher äußerste Vorsicht geboten. Abb. 190 Wiskiauten. Fläche 7. Anomalie an_81/07 im geomagnetischen Messbild (Kantenlänge des Bildausschnittes ca. 8 m; Darstellung mit +/- 3 nT). Abb. 191 Wiskiauten. Fläche 7. Planum 2 (0,4 m unter der Oberfläche); deutlich ist Befund 1 im Osten des Schnittes sichtbar. C.5.2 Fläche 7 C.5.2.1 Grabungsergebnisse Zur Überprüfung der ovalen Anomalie an_ 81/07 von 2,2 m Länge und 1,6 m Breite bei nordwest-südöstlicher Ausrichtung in den geomagnetischen Messbildern bei einem Wert von +/- 3 nT in Messfläche G (Abb. 190) ist Fläche 7 (Taf. 49–53) angelegt worden. Nachdem Bohrungen im Anomalienmittelpunkt unter dem Ackerhorizont von etwa 0,3 m Mächtigkeit eine unnatürliche Schichtenfolge bis 0,75 m unter der Geländeoberfläche anzeigten, wobei ab 0,55 m vermehrt Holzkohlepartikel und Keramikfragmente auftraten, wurde zunächst Die Siedlungsforschungen 279 Abb. 192 Wiskiauten. Fläche 7. Grubenbefund 1 im Profil (Ansicht von Ost). Abb. 193 Wiskiauten. Fläche 7. Befund 1 im Planum mit Keramikkonzentrationen (Farbunterschiede zwischen oberer und unterer Bildhälfte stammen vom Zusammensetzen der Fotos). 280 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung die östliche Befundhälfte durch einen nordsüdlich ausgerichteten Grabungsschnitt von 2 x 4 m untersucht (Sektor B). Schon ab 0,3 m Tiefe trat der Befund als dunkelbraune Verfärbung mit Resten von verziegeltem Lehm und Keramikfragmenten zutage (Taf. 49–50). Er grenzte sich deutlich vom umgebenden Lehmboden hellbrauner bis gelblichroter Farbe ab (Abb. 191). Der Befund erreichte eine Mächtigkeit von max. 0,4 m. Im Profil (Abb. 192; Taf. 53) war er als flache, wannenartige Grube erkennbar. Mit einer Breite von 1,4 m und einer Länge von etwa 2 m war die freigelegte Grube nur geringfügig kleiner als die Anomalie im geomagnetischen Messbild. Nach Erstellung des nord-südlich ausgerichteten Profils wurde der Grabungsschnitt in Richtung Westen auf einer Länge von 3 m um 1 m erweitert, um die andere Hälfte freizulegen (Abb. 193). Allerdings zeigte sich, dass der Befund noch für weitere etwa 0,2–0,3 m unter das westliche Profil zog: Bohrungen zur Ermittlung der Ausdehnung zeigten in den westlichen Bereichen noch eine geringe Schichtung an, die dem Schichtaufbau des Befundes entsprachen. Auf die Freilegung des noch verdeckten Grubenteiles wurde aus Zeitgründen verzichtet. Insgesamt ist der Befund aufgrund der zahlreichen Keramikfragmente und einzelner Tierknochen als Abfallgrube zu interpretieren. Auffällig waren mehrere Konzentrationen von Holzkohle, die mit darunterliegenden Verziegelungsbereichen in Verbindung zu stehen schienen. Möglicherweise wurden hier Brandreste in die Abfallgrube entsorgt. Eine größere Anzahl von verziegelten Lehmbrocken wies Abdrücke von größeren Rundhölzern auf, so dass vermutet werden kann, dass in der näheren Umgebung Häuser mit Lehmwandbewurf gestanden haben, deren Reste in die Abfallgrube gelangt sind. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein weiterer Befund334, der etwa 2 m östlich des Grubenbefundes dokumentiert wurde (vgl. Taf. 50). Es handelt es sich um eine Pfostengrube, die im Planum bei einem Durchmesser von Während der Ausgrabungen erhielt dieser Befund die Befundnummer 3, nachdem zuvor Befundnummer 2 für einen Tiergang vergeben worden war. 334 Abb. 194 Wiskiauten. Fläche 7. Hüttenlehmfragment (Fu.Nr. 7/92) mit Abdrücken von Rundhölzern. Abb. 195 Wiskiauten. Fläche 7. Keramik (Fu.Nr. 7/24a). 0,26 m deutlich als runde, gräuliche Verfärbung mit sandiger, wenig Holzkohle enthaltender Verfüllung erkennbar war. Nach dem nord-südlich ausgerichteten Profilschnitt (vgl. Taf. 52) zeigte sich eine gerade Befundsohle. Insgesamt wies der Befund eine Tiefe von 0,12 m auf. In der Verfüllung wurden zwei sehr kleine Keramikfragmente von weniger als 5 mm Größe geborgen, deren typologische Ansprache nicht möglich ist. C.5.2.2 Fundmaterial Die Ausgrabung des Befundes 1 in Fläche 7 lieferte hauptsächlich keramische Funde, aber auch wenige Tierknochen und zwei Rohbernsteinstücke. Daneben wurde eine sehr große Anzahl an Verziegelungsresten geborgen, teil- Die Siedlungsforschungen 281 weise mit Abdrücken von kleineren Rundhölzern (Abb. 194). Gefäßkeramik stellt neben Hüttenlehmresten bzw. verziegelten Lehmbrocken die Hauptfundgattung aus Fläche 7 dar. Überwiegend handelt es sich um rötliche bis bräunliche, handgemachte Irdenware, die auch im Bruch rötlich durchgebrannt ist. Die Magerung besteht aus Gesteinsgruß rötlicher oder weißlicher Farbe mit einer Größe bis 2 oder 3 mm. Seltener sind Scherben schwarzer Farbgebung geborgen worden. Die erhaltenen Ränder sind entweder gerade abgestrichen oder rundlich geformt und gehören zu leicht bauchigen Gefäßen, die bei sförmigem Profil nur einen kurzen oder keinen Halsansatz besitzen. Verzierung kommt nur in Form von Fingernageleindrücken auf der Gefäßlippe vor (Taf. 83, 1). In einem Fall wurde eine Wandscherbe mit Henkelansatz geborgen. Auch ein ganzer, bandförmiger Henkel liegt vor (Taf. 83, 22). Aus den Keramikfragmenten ließen sich bei der Fundbearbeitung mehrere größere Fragmente zusammensetzen. In einem Fall lässt sich dadurch ein rundbodiges Gefäß ermitteln (Abb. 195; Taf. 83, 1335). Insgesamt lassen sich mindestens fünf verschiedene Gefäße unterscheiden, deren Scherben jeweils nur durch kleine Unterschiede in der Oberflächengestaltung oder durch eine unterschiedliche Farbe voneinander abgegrenzt werden können. Problematisch ist die typologische Einordnung der Keramikgefäße von Wiskiauten, da für die Vorrömische Eisenzeit keine grundlegende Keramiktypologie vorliegt und Siedlungen der Vorrömischen Eisenzeit und somit auch deren Keramik aus Ausgrabungen nicht bekannt sind. Das keramische Material aus Fläche 7 war aufgrund seiner unspezifischen Machart zunächst durchaus mit der in Fläche 5 geborgenen, einfachen handgemachten Keramik vergleichbar. Erst durch 14C-Analysen mit einer Datierung in die ersten vier vorchristlichen Jahrhunderte (vgl. Kap. C.5.2.3) stellte sich jedoch ein viel höheres Alter heraus als anfangs angenommen. Somit mahnen die Keramikfunde von Fläche 7 erneut zu großer Vorsicht bei der vorschnellen Ansprache oder Datierung einzelner Keramikfragmente. Scheinbar hat die Keramikproduktion bei Wiskiauten über Jahrhunderte auf das gleiche Ausgangsmaterial und ähnliche Techniken zurückgegriffen, so dass die Keramik der Vorrömischen Eisenzeit und des beginnenden Frühmittelalters in Bezug auf Magerung und Beschaffenheit sehr ähnlich wirkt. Lediglich die nach der vorläufigen Restaurierung sichtbaren Rundböden und die Henkel lassen sich als chronologische Anhaltspunkte ausdeuten und können nun als Merkmal eisenzeitlicher Siedlungskeramik herausgestellt werden. Nach erneuter Durchsicht des keramischen Materials aus Fläche 7 gelang es, dem Gefäßoberteil (vgl. Taf. 83, 2) auch ein großes Stück Wandung zuzuordnen, das jedoch in der Zeichnung nicht berücksichtigt ist. Vom letzten Restaurierungszustand existiert daher bislang nur ein Foto. KIA 34280: Radiocarbon Age: BP 2248 +/- 23, OneSigma-Range: cal BC 383-356, Two-Sigma-Range: cal BC 390-208. 335 C.5.2.3 Datierung Die zeitliche Stellung des Grubenbefundes in Fläche 7 kann aufgrund der oben beschriebenen Probleme einer fehlenden Keramiktypologie nur anhand der 14C-Daten auf die ersten vier Jahrhunderte v. Chr. eingegrenzt werden. Insgesamt liegen vier Datierungen von Holzkohleproben vor, die alle aus der Verfüllung der Grube stammen: 1. KIA 34278, Holzkohleprobe: 2175 +/- 30 BP = 360-120 v. Chr.336 2. KIA 34279, Holzkohleprobe: 2129 ± 23 BP = 753-392 v. Chr. und 345-57 v. Chr. 337 3. KIA 34280, Holzkohleprobe: 2248 ± 23 BP = 390-208 v. Chr.338 4. KIA 34284, Holzkohleprobe: 2198 +/- 38 BP = 379-170 v. Chr.339 Probe KIA 34279 lieferte dabei mit 0,4 mg Kohlenstoff insgesamt zu wenig Probenmaterial KIA 34278: Radiocarbon Age: BP 2176 +/- 29, OneSigma-Range: cal BC 352-173, Two-Sigma-Range: cal BC 360-120. 336 KIA 34279[a] (Laugenrückstand): Radiocarbon Age: BP 2404 +/- 53, One-Sigma-Range: cal BC 724-400, Two-Sigma-Range: cal BC 753-392; KIA 34279[b] (Huminsäure): Radiocarbon Age: BP 2129 +/- 23, One-Sigma-Range: cal BC 200-112, Two-Sigma-Range: cal BC 345-57. 337 338 KIA 34284: Radiocarbon Age: BP 2198 +/- 38, OneSigma-Range: cal BC 357-200, Two-Sigma-Range: cal BC 379-170. 339 282 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung für eine sichere Datierung. Deshalb sind die Ergebnisse hier zunächst zu vernachlässigen und es ist nur eine ungefähre Altersbestimmung möglich. Eine erneute Messung der gleichen Probe erfolgte über die Huminsäurefraktion und ergab ein Alter, das in das Spektrum der anderen drei Datierungen passt. Die Menge von 1,9 mg Kohlenstoff reichte in diesem Fall für eine sichere Datierung aus und erbrachte die letzten vier vorchristlichen Jahrhunderte als Ergebnis. Als zuverlässig anzusehen sind die Resultate der drei anderen Proben. Sie liefern übereinstimmend Hinweise auf eine Datierung in das 4.–2. vorchristliche Jahrhundert. Der Befund gehört somit in die Jüngere Vorrömische Eisenzeit. C.5.2.4 Interpretation Der Grubenbefund in Fläche 7 ist zunächst als Wirtschafts- oder Abfallgrube anzusprechen, da sich vor allem zerscherbte Keramikgefäße und Tierknochen als Nahrungsreste darin befunden haben. Auch die Holzkohlekonzentrationen dürften als Abfall anzusehen sein und sind vermutlich als Brandrückstände eines Ofens oder einer Herdstelle in die Grube entsorgt worden; deshalb kam es in geringfügigem Maße in diesen Bereichen zur Verziegelung des Bodens. Darüber hinaus fanden sich jedoch auch große Mengen an verziegelten Lehmbrocken, die durch rundliche Abdrücke von größerem Durchmesser als Reste von Holzkonstruktionen anzusehen sind. Sie könnten ebenfalls als Abfall in die Grube entsorgt worden sein. Indirekt wird durch die Hüttenlehmfragmente auch das Vorhandensein von zeitgleichen bzw. geringfügig jüngeren Häusern in der Nähe angezeigt. Dafür spricht auch der einzelne Pfostenbefund in Fläche 7, Befund 2, wenngleich für dieses Objekt keine Datierung vorliegt. Eine Gleichzeitigkeit ist daher nicht schlüssig nachzuweisen. Die Abfallgrube in Fläche 7 steht wahrscheinlich in Zusammenhang mit einer eisenzeitlichen Siedlung, die im Zeitraum zwischen dem 4. und 2. vorchristlichen Jahrhundert im Osten des Gräberfeldes von Wiskiauten existiert haben dürfte. Zu Größe und Ausdehnung oder Form der Niederlassung können keine Aussagen getroffen werden. Die geomagnetische Messfläche G zeichnet sich insgesamt durch eine Konzentration von Anomalien aus, von denen einige gleicher Zeitstellung wie das Objekt in Fläche 7 sein dürften. Andererseits zeigt die nur 50 m östlich gelegene Fläche 8 mit einer Datierung in das 7. und 8. Jahrhundert, dass die räumliche Nähe von Anomalien in den Messbildern allein keinerlei Aussagekraft in Bezug auf eine ähnliche Zeitstellung besitzt. Zusammen mit dem bereits im Jahr 2005 ausgegrabenen Ofenbefund in Fläche 1 etwa 50 m südlich des Gräberfeldes in der Kaup bei Wiskiauten liegt nun der zweite Nachweis von eisenzeitlichen Siedlungsaktivitäten im Umfeld der Nekropole vor. Dabei gehört der Ofenbefund aus Fläche 1 einer früheren Phase an, während die Abfallgrube in Fläche 7 einer jüngeren Besiedlungsphase zuzuordnen ist. Zugehörige Gräber sind bisher nicht bekannt geworden. C.5.3 Fläche 3 C.5.3.1 Grabungsergebnisse Der Grabungsschnitt Fläche 3 (Taf. 15-17) liegt etwa 1,2 km nordwestlich des Hügelgräberfeldes von Wikiauten am Rande eines kleinen Baches mit dem alten deutschen Namen Woj340, der in russischen Karten keine namentliche Entsprechung hat. Im Westen des Baches, der heute drainiert ist, wurde im Jahr 2005 auf einer Fläche von etwa 360 x 110 m ein größeres Areal geomagnetisch vermessen. Es wird in dieser Studie als „Messfläche C“ benannt. In dieser Messfläche sind mehrere große Anomalien im Randbereich des Baches zu erkennen, von denen eine durch den als Fläche 3 benannten Ausgrabungsschnitt von 3 x 4 m Ausdehnung untersucht wurde (Abb. 196). Schon vor den geomagnetischen Messungen ist etwa 5-7 m westlich des Baches in dessen unmittelbarem Randbereich durch mehrere Bohrungen in einer Tiefe von 0,2-0,45 m unter der Geländeoberfläche eine mehr oder weniger flächige Kulturschicht von dunkelgrauer bis schwarzer Farbe nachgewiesen worden. Die Bohrkerne enthielten geringe Fragmente von Keramik und Tierknochen, die auf gut erhaltene Fundschichten schließen ließen. Mit diesem Namen bezeichnete man in Ostpreußen zahlreiche kleinere Flüsse (Kleemann 1939a, 6). 340 Die Siedlungsforschungen 283 Abb. 196 Wiskiauten. Fläche 3. Links: Ausschnitt aus Geomagnetikmessfläche C, der rote Rahmen markiert die Lage von Fläche 3 (Darstellung mit 128nT; Abbildung genordet). – Rechts: dunkelbraune bis schwarze, fundführende Kulturschicht nach Abtrag des Ackerbodens. Abb. 197 Wiskiauten. Fläche 3. Ostprofil (Ansicht von Westen). Links: schwarze Kulturschicht ohne Markierung. – Rechts: Kulturschicht mit zeichnerischer Hervorhebung. Der Grabungsschnitt wurde so ausgewählt, dass eine in den geomagnetischen Messbildern erkennbare, großflächige, amorphe Anomalie von ca. 3 x 6 m Ausdehnung erfasst wurde. Durch den Import des digitalen Messbildes in das GIS-System hat sich aber offensichtlich der Kontrast so stark erhöht, dass für das Einzelobjekt der Eindruck einer flächigen Anomalie entstand. In den originalen Messbildern wurde dagegen nach dem Beginn der Abtiefungsarbeiten festgestellt, dass sich der vermutete großflächige Befund in drei kleinere Anomalien aufgliedert (vgl. Abb. 196, links). Schon nach dem Abtrag des in diesem Bereich ca. 0,3–0,4 m mächtigen Ackerhorizontes gab sich eine durchgehende Schicht dunkelbrauner bis schwarzer Farbe zu erkennen (Abb. 196, rechts; Taf. 15), die aus sandigem bis lehmigem Sediment mit hohen Tonanteilen bestand. In diese Schicht eingebettet fanden sich zahlreiche, sehr stark abgerollte Keramikfragmente sowie große Mengen an Tierknochenfragmenten. Vereinzelt wurde auch Holzkohle angetroffen. Die Schicht erreichte bei einer Mächtigkeit zwischen 0,2 und 0,3 m Tiefen von 0,4–0,7 m unter der Grasnarbe, nur in der Nordostecke reichte sie im Bereich eines vermutlichen Grubenbefundes bis in eine Tiefe von 0,8 m hinab (vgl. Abb. 197; Taf. 16, unten; Taf. 17, unten). 284 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Auch ein erhöhter Fundanfall war nicht zu beobachten. Der Grund ihrer Entstehung bleibt unklar. Es könnte sich um eine anthropogen angelegte Grube oder aber um eine natürliche Bodensenke handeln, in die später Siedlungsmaterial hineinerodiert ist. C.5.3.2 Fundmaterial Abb. 198 Wiskiauten. Fläche 3. Grubenbefund in der Nordostecke; im Vordergrund auf einem Sockel Keramikscherben, links daneben im Planum Knochenreste. Lediglich im Ost- und Nordprofil (Taf. 16, unten; Taf. 17, unten) konnte über der schwarzen Kulturschicht eine 0,1–0,15 m mächtige, schwärzliche bis gräuliche, stark verdichtete Schicht aus sehr tonigem Sediment festgestellt werden. Sie ist vermutlich durch fluvial angeschwemmtes Bodenmaterial entstanden und dürfte als Ergebnis einer Überschwemmung zu interpretieren sein. Die fundführende schwarze Kulturschicht fiel nach Osten hin relativ flach zum Bachlauf hin ab, auf einer Strecke von 3 m beträgt der Höhenunterschied lediglich ca. 0,1 m (vgl. Taf. 17). Eine Besonderheit bildet der in der Nordostecke angeschnittene Befund (Abb. 198; Taf. 16, oben), bei dem es sich vermutlich um eine Grube handelt. Hier reichte das schwarze Sediment bis in eine Tiefe von 0,8 cm, wobei der Befund im Planum deutlich begrenzt wirkte. Diese Grube entspricht einer rundlichen, größeren Anomalie im geomagnetischen Messbild, von der durch Fläche 3 nur eine kleine Ecke freigelegt wurde. Da ab einer Tiefe von 0,8 m massiv Grundwasser an die Oberfläche des Planums trat, war bei tiefer liegenden Befunden mit guten Erhaltungsbedingungen für Holz oder andere organische Stoffe zu rechnen. In den Profilen (vgl. Taf. 16, unten; Taf. 17, unten) wies der Befund eine gerundete Sohle auf. Eine innere Gliederung war nicht erkennbar. Es handelt sich vermutlich nicht um eine Pfostengrube. Aus der schwärzlichen Kulturschicht stammen zahlreiche Keramik- und Tierknochenfragmente sowie mehrere Objekte aus Eisen. Sowohl Knochen als auch Keramik sind bei der Auffindung sehr stark fragmentiert gewesen, größere Stücke konnten nur selten dokumentiert werden. C.5.3.2.1 Tierknochen In Fläche 3 konnte eine große Menge Tierknochen geborgen werden. Alle Stücke sind stark fragmentiert, der Erhaltungszustand variiert. Überwiegend war die Knochensubstanz gut erhalten, nur wenige Fragmente zerfielen bei der Bergung aufgrund ihrer weichen Konsistenz. Eine tierartliche Bestimmung der Knochen ist bisher noch nicht erfolgt. Die sehr wenigen Fragmente kalzinierter Knochen mit einer Größe unter 0,5 cm lassen keine Zuweisung zu Tier- oder Menschenknochen zu. Insgesamt sprechen die in die Kulturschichten eingebetteten Tierknochen dafür, dass in der Nähe der Fundschichten tierische Nahrung verarbeitet wurde. C.5.3.2.2 Keramik Bei der relativ dickwandigen Keramik handelt es sich ausschließlich um handgemachte Ton- Abb. 199 Wiskiauten. Fläche 3. Keramikscherbe (Fu.Nr. 3/42) mit rötlichbrauner Oberflächenfarbe; deutlich ist die grobe Magerung erkennbar. Die Siedlungsforschungen ware mit einer meist groben Magerung aus rötlichem Granit- oder weißlichem Quarzitgrus bis 2 mm Größe bei scharfkantiger Form. Selten waren bei der Bergung dieser Fragmente beide Oberflächen erhalten, in den meisten Fällen war entweder die Inne- oder die Außenseite abgeplatzt. Feine Wurzeln zeigen an, das Pflanzenwuchs für die Zerstörung verantwortlich zu machen ist. Die erhaltenen Oberflächen sind sowohl innen als auch außen von dunkelgrauer bis schwarzer Farbe oder weisen auf beiden Seiten einen bräunlichen, selten orangenen Farbton auf (Abb. 199). Im Kern sind sie meist schwarz bis grau. Die Keramik wirkt nicht besonders hart gebrannt. Dies kommt auch in der oft schlechten Erhaltung und einer weichen Konsistenz zum Ausdruck. Die meisten Fragmente besitzen daher nur geringe Größen zwischen 30 und 50 mm. Abgesehen von den zahlreichen Wandscherben sind nur fünf Randstücke zu vermerken, Bodenscherben wurden nicht beobachtet. Zwei Randscherben (Taf. 72, 12-13) stammen von Gefäßen mit gerade abschließendem Rand, der keine Verzierungen aufweist. Ein Gefäß weist einen weit ausladenden Rand auf (Taf. 72, 14), ist aber ansonsten ebenso gestaltet. Fast scharf profiliert wirken zwei sehr kleine Randfragmente (Taf. 72, 10-11), die beide aus sehr schwarzem, geglättet wirkendem Ton gefertigt sind. Zumindest ein Stück ist dabei mit nur 3 mm äußerst dünnwandig, während die anderen Scherben bis zu 1,0 cm Dicke erreichen können. Typologisch sind die kleinen Fragmente schwer anzusprechen, weshalb bei der Ermittlung der Zeitstellung nicht zuletzt aufgrund des Fehlens einer abgesicherten Keramiktypologie in der gesamten Region auf naturwissenschaftliche Datierungsmethoden zurückgegriffen wird (vgl. Kap. C.5.3.3). Dabei spielt besonders ein Randstück mit einer verkohlten, organischen Masse an der Innenseite, vermutlich aus verbrannten Speiseresten, eine große Rolle (Taf. 72, 13). Etwas problematisch in ihrer Beurteilung ist eine große, grob gearbeitete Randscherbe mit Fingereindrücken als Verzierung auf der Lippe (Taf. 72, 15). Das zugehörige Gefäß war vermutlich handgemacht und besaß eine sehr raue Oberfläche mit erkennbaren Magerungspartikeln von bis zu 0,4 cm Größe, die hauptsächlich aus weißlichem Quarzitgrus bestan- 285 Abb. 200 Wiskiauten. Fläche 3. Rundliches Eisenobjekt, wahrscheinlich Verhüttungsrest (Fu.Nr. 3/13). den. Die Randstellung weist auf ein Gefäß mit weitmündiger Öffnung bei einem geschätzten Durchmesser von etwa 20 cm hin. Dieses Stück erinnert an große Urnen vom Typ Grebieten, die auf jüngerkaiserzeitlichen Gräberfeldern reichlich in Erscheinung treten (vgl. z.B. Nowakowski 1996, Taf. 11, 13; 13, 4; 38, 8). Aufgrund der 14C-Daten aus dem Grabungsschnitt (vgl. Kap. C.5.3.3) ist eine Datierung in die Kaiserzeit jedoch eher auszuschließen. C.5.3.2.3 Metallfunde Abgesehen von einigen neuzeitlichen, aufgrund ihrer starken Korrosion und schlechten Erhaltung unbestimmbaren Eisenobjekten aus dem Ackerhorizont, die vermutlich neuzeitlichen Ursprungs sind, lieferte die Kulturschicht in Fläche 3 weitere Eisenobjekte. Neben einem bis zur Unkenntlichkeit korrodierten dünnen Gegenstand (Fu.Nr. 3/5; ohne Abb.), bei dem es sich ursprünglich eventuell um einen Nagel gehandelt hat, liegt ein weiteres Objekt (Fu. Nr. 3/66; ohne Abb.) vor, das vielleicht ebenfalls als Nagel anzusprechen ist. Es besitzt einen gewölbten, rundlichen Kopf und einen daran sitzenden rundlichen Fortsatz von ca. 1,5 mm Länge, der dem Nagelschaft entsprechen könnte. Da sich das Stück bei Fertigstellung dieser Studie noch in der Restaurierung 286 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung Abb. 201 Wiskiauten. Fläche 3. Links: Messer (Fu.Nr. 3/8), Eisen, Griffangel abgebrochen. – Rechts: Gegenstand unbekannter Funktion, Eisen(Fu.Nr. 3/67). befand, können keine endgültigen Aussagen getroffen werden. Bei einem weiteren Eisenfund (Abb. 200) handelt es sich um ein rundlichen Gegenstand von ca. 80–100 mm Durchmesser, der schalenartig geformt ist und eine rundliche Unterseite bei nach innen gewölbter Oberseite besitzt. In der Mulde in der Oberseite sitzen grünliche, verglaste Schlackereste an. Das Objekt scheint massiv zu sein und besitzt eine starke Wandung von 15 mm Dicke. Es lässt sich vorläufig als Verhüttungsrest interpretieren und gewinnt durch den daraus resultierenden Nachweis von handwerklichen Tätigkeiten große Bedeutung. Ein längliches Objekt aus Eisen Abb. 201, rechts) lässt sich in seiner Funktion bisher nicht näher eingrenzen. Der Gegenstand ist insgesamt ca. 45 mm lang und besitzt einen rundlichen Querschnitt. Eine starke Korrosion verhinderte vor der Restaurierung eine genaue Betrachtung. Am ehesten dürfte es sich auch hierbei um einen Nagel handeln. Ein weiterer eiserner Gegenstand (Abb. 201, links) kann als Messer mit leicht geschwungenem Rücken und gebogener Schneide angesprochen werden. Eine Griffangel ist nicht erhalten. Ohne vorherige Restaurierung ist auch in diesem Fall eine typologische Ansprache unmöglich. C.5.3.2.4 Sonstige Funde Abgesehen von Keramik, Tierknochen und den oben beschriebenen Eisenobjekten fanden sich in Fläche 3 innerhalb der Siedlungsschicht nur einige kleinste Fragmente von Bernstein (Fu.Nr. 3/3–3/5341) ohne Bearbeitungsspuren sowie ein 341 Es handelt sich bei den Bernsteinfunden um so sehr weicher rötlicher Lehmbrocken, der beim Schlämmen einer Bodenprobe bemerkt wurde. Möglicherweise handelt es sich um ein Stück Hüttenlehm, da das Stück rundliche Abdrücke auf der Innenseite bei geglätteter Außenseite aufweist. Dieser Fund weist auf eine mögliche Bebauung mit lehmverputzten Häusern in direkter Umgebung von Fläche 3 hin, reicht aber als Einzelfund für derartige Interpretationen bei weitem nicht aus. Da die Durchmesser der Abdrücke maximal 15 mm messen, kann es sich auch um Reste von Ofenkuppeln oder sonstigen Konstruktionen handeln, bei denen Lehm und Holz Verwendung fanden. C.5.3.3 Datierung Für eine Datierung fällt das Fundmaterial weitgehend aus. Die Metallfunde sind noch unrestauriert, die Einfachheit der handgemachten Keramik ohne aufwändige Verzierungen oder besondere technologische Merkmale verbietet eine typologische Bestimmung. Darüber hinaus fehlen im Arbeitsgebiet eine abgesicherte Keramikchronologie sowie die Keramikfunde aus Ausgrabungen der Zeit vor dem Krieg aus den Beständen des ehemaligen Prussia-Museums, die einen Vergleich ermöglichen könnten. Die zeitliche Einordnung der Kulturschichten in Fläche 3 und des darin enthaltenen keramischen Fundmaterials kann daher zunächst nur über die naturwissenschaftliche Datierung einer verkohlten Speiseinkrustation an einer Randscherbe (Taf. 72, 14) vorgenommen werden. Demnach gehört das Fragment in die Jahkleine Fragmente, dass eine Dokumentation nicht sinnvoll erschien. Die Siedlungsforschungen re zwischen 721–955342 Die Eisenfunde liefern keine chronologischen Hinweise, negieren aber eine Zeitstellung, die vor der entwickelten Eisenzeit liegt. Somit sind steinzeitliche oder bronzezeitliche Siedlungsreste auszuschließen. Die Datierung eines aus der Kulturschicht selbst geborgenen Holzkohlefragmentes erbrachte ein relativ frühes Datum zwischen 660 und 770343. Eine Übertragung dieser Datierung auf die gesamte Kulturschicht ist aber mit der Unsicherheit belastet, dass keine geschlossenen oder sterilen Straten abgegrenzt werden konnten und damit das Material nicht gesichert aus ungestörten Schichten stammt, sondern nur allgemein aus der Kulturschicht. Ob die Auffindung von Metallgegenständen wie Gewichten und Silbermünzen sowie diverser anderer Buntmetallfunde in der weiteren Umgebung von Fläche 3 (vgl. hierzu Kap. C.4.4.3.3) mit der in Fläche 3 in Resten nachgewiesenen Siedlungsaktivität in Zusammenhang steht, ist bisher nicht zu entscheiden, muss aber ohne konkrete Funde aus der Kulturschicht vorerst offen bleiben. Die Datierung der Speiseinkrustation an der Keramikscherbe in das 8.–10. Jahrhundert lässt dies aber möglich erscheinen. Es deutet sich an, dass sowohl die Siedlungsschicht als auch das Fundmaterial dem letzten Drittel des ersten nachchristlichen Jahrtausends zuzuordnen ist. Möglicherweise erstreckt sich die Siedlungsaktivität auf den gesamten Zeitraum zwischen dem frühesten Datum von 660 und dem spätesten möglichen Zeitpunkt um 955. Denkbar ist auch, dass die tatsächliche Entstehung im Überschneidungsbereich der beiden Datierungen und somit zwischen 721 und 770, also im 8. Jahrhundert, anzusetzen ist. Zu diesem frühen Ansatz passt die offenbar noch sehr rudimentäre und kaum entwickelte Keramik mit ihren einfachen Randformen und der groben Machart. Allerdings sei erneut das weitgehende Fehlen von Vergleichsmaterial betont. KIA 30156: Radiocarbon Age: BP 1196 +/- 32, OneSigma-Range: cal AD 781-882, Two-Sigma-Range: cal AD 721-955. 342 KIA 30155: Radiocarbon Age: BP 1315 +/- 23, OneSigma-Range: cal AD 664-761, Two-Sigma-Range: cal AD 660-770. 343 287 C.5.3.4 Interpretation Mit großer Wahrscheinlichkeit kann die in Fläche 3 aufgefundene Schicht dunkler bis schwarzer Erde mit ihren zahlreichen Fundeinbettungen als Siedlungs- oder Kulturschicht angesprochen werden. Unklar ist, ob es sich um umgelagertes, ursprünglich weiter westlich gelegenes Bodenmaterial handelt, das durch unbekannte Erosionsprozesse an die Stelle seiner späteren Auffindung verlagert wurde, oder ob die Schichten in situ dokumentiert wurden, also am Ort ihres späteren Nachweises entstanden sind. Vielleicht handelt es sich um eine Bodenschicht, die ursprünglich zumindest zeitweise unter dem Einfluss des naheliegenden Bachlaufes gestanden hat und in die Abfälle einer nahegelegen Siedlung entsorgt wurden. Allerdings ist der ursprüngliche Verlauf dieses Wasserlaufes bisher nicht ausreichend untersucht. Die heutige drainierte Wasserführung entspricht zwar in etwa der Geländesituation in den topographischen Karten, beiderseits des eingezeichneten Wasserlaufes ist jedoch eine Vernässungszone verzeichnet, in der die Grabungsfläche liegt. Sie erreicht im Bereich von Fläche 3 eine Breite von 25 m. Für eine Auffindung in situ könnte dagegen die Einbettung der größeren Metallgegenstände in die Siedlungsschicht sprechen, die durch kleinere Sedimentationsprozesse sicherlich nicht weit verlagert worden sein dürften. Ob es sich bei dem in der Nordostecke von Fläche 3 dokumentierten Befund um eine intentionell angelegte Grube oder um eine natürliche Bodensenke handelt, muss ebenfalls unentschieden bleiben. Letztendlich ist die aufgedeckte Fläche zu begrenzt, um eine abschließende Interpretation vornehmen zu können. Deutlich zeigen die dokumentierten Siedlungsreste aber an, dass zumindest in unmittelbarer Nähe eine Siedlungstätigkeit stattgefunden hat, deren Überreste aus bisher unbekannten Gründen zur Entstehung der mindestens 0,3 m mächtigen Ablagerungsschicht geführt hat. Interessant ist eine Bemerkung von Kleemann (1939b, 214; 224), nördlich der Straße DollkeimCranz befinde sich eine Siedlung des 13.–14. Jahrhunderts, die durch vorkriegszeitliche Grabungsschnitte deutscher Archäologen und die dabei aufgefundene Keramik belegt sei (vgl. Abb. 19, Nr. 19). Hierbei sollen Siedlungs- 288 T. Ibsen – Etwa hier die Siedlung schichten von 0,7 m Mächtigkeit beobachtet worden sein. Auch südlich der Straße, also in unmittelbarer Umgebung der Fläche 3 des Jahres 2005 soll aufgrund von Oberflächenfunden eine Siedlungsstelle gleicher Zeitstellung nachgewiesen sein (ebd.). In diesem Zusammenhang ist auf die zahlreichen Streufunde in den ersten 0,3 m des Grabungsschnittes hinzuweisen, darunter auch Fragmente von bleiglasierter Drehscheibenkeramik. Diese Oberflächenfunde allein rechfertigen aber nicht, von einer Siedlung gleicher Zeitstellung auszugehen, da die Keramik auch durch Düngung mit Stallmist auf landwirtschaftlich genutzte Flächen gelangt sein kann. Die Siedlungsreste in Fläche 3 gehören nach Ausweis der naturwissenschaftlichen Datierung jedenfalls einer früheren Siedlungsphase an. Auch in der Umgebung von Fläche 3 liefern einige weitere Befunde und durch Bohrungen überprüfte An